Der Freiheitsbegriff bei Kant
Eine philosophische Untersuchung im Rückblick auf das christliche Freiheitsverständnis
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Igor Nowikow
Kapitel 6: Freiheit im Kontext der Rechtslehre Kants
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In dem ersten Teil der 1797 erschienenen Schrift Die Metaphysik der Sitten, der den Titel Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre trägt, wendet sich Kant dem Thema des Rechts zu. Bei dieser Gelegenheit stellt er einen anderen Willensbegriff, als dies in seiner Moralphilosophie der Fall war, in den Mittelpunkt seines Interesses: die „Willkür“. Die Willkür ist „ein Vermögen, nach Belieben zu tun oder zu lassen“.931 Kant unterscheidet sie vom „Willen“, der „die praktische Vernunft selbst“ sei. Die menschliche Willkür sei frei, weil sie durch reine Vernunft bestimmt werden könne.932 Kant spricht in diesem Zusammenhang von der „freien Willkür“ bzw. „Freiheit der Willkür“.933 Nur die Willkür – und nicht der Wille – kann nach seiner Auffassung frei genannt werden, weil der Wille „nicht auf Handlungen, sondern unmittelbar auf die Gesetzgebung für die Maxime der Handlungen (also die praktische Vernunft selbst) geht“.934 Er konstatiert: „Von dem Willen gehen die Gesetze aus; von der Willkür die Maximen.“935
Kant wiederholt also und führt die Gedanken weiter aus, die er ansatzweise bereits 1781 in der Kritik der reinen Vernunft936 und später auch in der Kritik der praktischen Vernunft937 zum Ausdruck brachte. Ein gewisses Novum besteht allerdings darin, dass er nun im Unterschied zu seinen moralphilosophischen Schriften der 1780-er Jahre das Prädikat „frei“ nur für die Willkür, nicht aber für den Willen ← 191 | 192 → reserviert.938 Diese anscheinend unerhebliche Kleinigkeit markiert die Akzentverschiebung: Mit dem Begriff der...
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