Lade Inhalt...

Vom NS-Volkstum- zum Vertriebenenfunktionär

Die Gründungsmitglieder des "Südostdeutschen Kulturwerks" München und der Landsmannschaften der Deutschen aus Rumänien, Ungarn und Jugoslawien

von Johann Böhm (Autor:in) Klaus Popa (Autor:in)
©2014 Monographie 358 Seiten

Zusammenfassung

In dieser Studie werden jene Personen der Öffentlichkeit in Erinnerung gebracht, die die Kriminalität des staatlich institutionalisierten Nationalsozialismus innerhalb der deutschen Volksgruppen in Rumänien, Ungarn und dem ehemaligen Jugoslawien unterstützten und die deutsche Bevölkerung einem verbrecherischen Regime auslieferten. Nach 1945 beherrschten diese ehemaligen Nazis nicht nur die Landsmannschaften der Deutschen aus diesen Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch das Südostdeutsche Kulturwerk und die Südostdeutschen Vierteljahresblätter. So konnten sie ihre fragwürdige Geschichtsauffassung ungestört verbreiten und ihre Kritiker mit Schmähkampagnen und Einschüchterungsversuchen verunglimpfen. Deshalb widmet sich diese Arbeit der Frage, wie es möglich war, dass sich diese Vertriebenenpolitiker mit brauner Vergangenheit nach 1945 wieder an die Spitze ihrer Landsleute setzen konnten.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • I. Vertriebenenpolitiker mit NS-Vergangenheit im „Südostdeutschen Kulturwerk“
  • 1. Prof. Dr. Friedrich Valjavec
  • 2. Franz Hamm
  • 3. Dr. Josef Trischler
  • 4. Hans Diplich
  • 5. Gertrud Krallert
  • 6. Heinrich Zillich
  • 7. Die Lage der Deutschen in Rumänien 1918
  • 8. Zillichs literarische und kulturelle Richtung nach 1929
  • 1. Heinrich Zillich nach 1945
  • 2. Weitere in den „Südostdeutschen Vierteljahresblättern“ gefeierte ehemalige NS-Größen der deutschen Minderheit in Rumänien
  • 2.1. Hans Mieskes
  • 2.2. Harald Krasser
  • 2.3. Erwin Neustädter
  • Hölderlins Leben und Sendung. Gedenkrede zum hundersten Todestag Friedrich Hölderlins von Erwin Neustädter
  • 2.4. Arnold Weingärtner
  • 2.5. Hans Zikeli
  • 2.6. Franz Hieronymus Riedl
  • 2.7. Nikolaus Engelmann
  • 2.8. Hans Christ
  • 2.9. Rudolf Hollinger
  • 2.9. Nikolaus Britz
  • 2.10. Anton Valentin
  • 2.11. Josef Gaßner
  • 2.12. Fritz Poppenberger
  • 2.13. Bruno Skrehunetz - Hillebrand
  • 2.14. Friedrich Fiechtner
  • 2.15. Oskar Hadbawnik
  • 2.16. Erich Prokopowitsch
  • 2.17. Otto Klett
  • II. Reaktionen ehemaliger NS-Funktionäre in der Landsmannschaftsführung der Siebenbürger Sachsen und in der „Arbeitsgemeinschaft für Südostdeutsche Volks- und Heimatforschung“ des Fritz Cloos auf Buchveröffentlichungen, die nicht in ihrem Sinne waren
  • 1. Geschichtsforschung der Deutschen Volksgruppe in Rumänien in der Zwischenkriegs- und Kriegszeit nach dem Augenmaß ehemaliger NS-Funktionäre in der „Arbeitsgemeinschaft für Südostdeutsche Volks- und Heimatforschung“ des Fritz Cloos
  • 2. Verdrängung und Umdeutung der historischen Entwicklung der Deutschen Volksgruppe in Rumänien in der Zwischenkriegs- und Kriegszeit durch Karl M. Reinerth und Fritz Cloos
  • 3. Böswillige Kritik am Tagebuch von D. Dr. Viktor Glondys. Aufzeichnungen von 1933 bis 1949
  • 4. Glondys’ Tätigkeit als Bischof der evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien von 1933 bis 1941
  • 5. Unterdrückung durch Verschweigen
  • 6. Würdelose Kritik an den Tagebuchaufzeichnungen von Bischof D. Dr. Viktor Glondys
  • 7. Der fragwürdige Inhalt des Müller-Textes
  • 8. Beunruhigte Müller eine eventuelle Veröffentlichung des Tagebuches von D. Dr. Viktor Glondys
  • 9. Bischofsvikar Friedrich Müller als Widerständler?
  • 10. Wie stand Bischofsvikar und Stadtpfarrer von Hermannstadt Friedrich Müller zur nationalsozialistischen Bewegung der Deutschen in Rumänien
  • 11. Der Eklat Friedrich Müllers mit der Kirchen- und Volksgruppenführung
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Anhang
  • Quellen und Literaturverzeichnis:
  • A. Unveröffentlichte Quellen
  • B. Zeitungen, Zeitschriften und Kalender
  • C. Zeitgeschichtliche Dokumentation und Einzeldarstellungen
  • D. Literatur
  • Personenregister

Vorwort

Bevor wir uns der Verleugnung der NS-Vergangenheit ehemaliger Hitleranhänger in den NS-Volksgruppenführungen der deutschen Volksgruppen in Ungarn, Rumänien und dem ehemaligen Jugoslawien zuwenden, die nach 1945 nicht nur die Landsmannschaftsführungen der Deutschen aus diesen Ländern in der Bundesrepublik Deutschland beherrschten, sondern auch das Südostdeutsche Kulturwerk und die Südostdeutschen Vierteljahresblätter, müssen wir die Ursachen ermitteln, die es möglich machten, dass sich diese ehemaligen Nazis nach 1945 wieder an die Spitze ihrer Landsleute setzen konnten.

Nach achtundzwanzigjähriger Auseinandersetzung mit den ehemaligen Ostrittern der deutschen Volksgruppen in den oben erwähnten Ländern bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass man nach Kriegsende die Sache eines klar erkennbaren kriminellen Systems zu einer eigenen, zur vaterländischen erklärte. Dabei vergaß man, dass ein beträchtlicher Teil der Welt in Stücke geschlagen worden war, und man scheiterte schließlich daran, mit diesen schrecklichen Verbrechen fertig zu werden – man wollte einfach in Ruhe gelassen werden. So gespenstisch das angesichts der Trümmer, des Verlusts der Heimat und der vielen Toten auch klingen mag, für diejenigen, die für Hitlerdeutschland und seine Vasallen in den deutschen Volksgruppenführungen Ostmittel- und Südosteuropas die Primärverantwortung trugen, war dies nach 1945 doch über Jahrzehnte hin die psychische Wirklichkeit dieser Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland. Für sie war der „Frieden mit den ehemaligen Nazis“, und darauf lief die Entwicklung innerhalb der verschiedenen Landsmannschaften letztlich hinaus, intern, und nichts als intern.1

Das war die eigene Sache, die bis Mitte der 1980er Jahre nie wirklich und ernsthaft zur Debatte stand. Zur Debatte standen nur jene ← 9 | 10 → Mittel und Wege, mit deren Hilfe die Täter ihrer strafrechtlichen Verfolgung entgehen konnten. Dazu gehörten blanke Lügen, gegenüber sich selbst und den Nachkommen, und blanke Furcht vor Vergeltung, wenn auch letztere nur über kurze, aber ungeheuer einprägsame Strecke. Wo NS-Gesinnung verblieb, wie anhand von Recherchen festgestellt werden konnte, machte sich ein Gemisch aus Trotz und Wut breit, das jede Bereitschaft ausschloss, sich zu den begangenen Fehlern zu bekennen und Verantwortung zu übernehmen.

Den ehemaligen NS-Amtswaltern in den Landsmannschaftsführungen und in der Leitung des Südostdeutschen Kulturwerks in der Bundesrepublik Deutschland war gemeinsam, nach außen ein anderes „Ich“ als das „ehemalige“ vorzuweisen, ohne jedoch das alte Ego im Innern gründlich verbergen zu können. Darum die aufgelegte Maske. Und tatsächlich, das Unsühnbare blieb ungesühnt, und von allen furchtbaren Wahrheiten, die uns die Hypothek Hitlerdeutschlands bescherte, ist diese die furchtbarste. In den 1950er Jahren in zeitlicher Nähe zum Dritten Reich kam diese Strategie sicherlich häufiger als heute zur Anwendung, doch dieser Typus des maskierten Nazis hat sich bis in die Gegenwart erhalten und ist ab den 1980er Jahren an Erfahrung reicher geworden. Diese so genannten „Zwangsdemokraten“ führen kein leichtes Leben, sie müssen dauernd taktieren zwischen dem, was sie eigentlich wollen, und dem, was sie darüber äußern können, ohne sich zu entlarven. Sie haben die Gabe, die Bundesbehörden von ihren Vorhaben zu überzeugen und so ihre Gegner, die sie demaskiert haben, teilweise in die Schranken zu weisen. Und das ist ihnen bis heute immer wieder gelungen. Sie testen fortwährend, wie belastbar die deutsche Demokratie ist und wie weit die Verfassung sich dehnen lässt. Es fällt ihnen nicht schwer, sich zu zügeln, vor allem, weil manische Rechthaberei eine charakteristische Angewohnheit dieser Gestrigen ist. Es gibt sie in den Landsmannschaftsführungen auf Bundes-, Landes-, Landkreis- und Ortsebene. Auf Bundesebene sind sie in verschiedenen Institutionen in vollster Aktion, müssen aber vorsichtig sein, weil sie hier ihren kritischen und scharfäugigsten Gegnern gegenüber stehen. Sie verstehen es aber immer wieder, die Bundesbehörden um den Finger zu wickeln und ihre Kritiker als unglaubwürdig oder als „Linke“ zu bezeichnen. Und da die Bundesbehörden leicht ← 10 | 11 → zu beeinflussen waren und noch sind, gelang es ihnen, diese anrüchige Methode – trotz mehrerer Warnungen – bis heute anzuwenden.

Der Mechanismus dieses Typus läuft darauf hinaus, etwas radikaler zu sein als der konventionelle Konservatismus und die Verfassungswirklichkeit in diese Richtung zu drücken. Das wird meist scharf formuliert und kritisch vorgetragen, um den Gegner (Kritiker) schnellzüngig und häufig ungebremst zu verteufeln.

Für den Autor waren die Gründer des Südostdeutschen Kulturwerkes und der Landsmannschaftsführungen immer die klassischen Zwangsdemokraten. Aber noch unheimlicher wird ihm, wenn er die Abhängigkeit und Loyalität des Umfeldes, die Nachfolger und Nachahmer anschaut, die Frischlinge auf den Spuren des Alten, die Jünger mit den gesicherten Posten – die Epigonen.

In der vorliegenden Publikation werden jene Personen der Öffentlichkeit in Erinnerung gebracht, die die Kriminalität des staatlich institutionalisierten Nationalsozialismus innerhalb der deutschen Volksgruppen in den oben genannten Staaten unterstützten und die deutsche Bevölkerung einem verbrecherischen Regime auslieferten. Diese ehemaligen Nazis waren nach dem Krieg nicht daran interessiert, sich zu ihren Fehlern zu bekennen, sie verfolgten nur ein Ziel: davonzukommen! Da die Entnazifizierung ohne deutsche Hilfe nicht durchführbar war, verabschiedeten die Ministerpräsidenten der drei westlichen Besatzungszonen im März 1946 das „Landesgesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“2 – die Durchführung der Entnazifizierung blieb jedoch unter alliierter Kontrolle. Die deutschen Ministerpräsidenten waren nicht daran interessiert, ein energisches Säuberungsprogramm aufzustellen und durchzuführen3, was ← 11 | 12 → vielen ehemaligen Nazis die Möglichkeit gab, mit falschen Angaben davonzukommen. So gelang es auch jenen ehemaligen hohen Nazibeamten der deutschen Volksgruppen aus Rumänien, Ungarn und dem ehemaligen Jugoslawien, die ohne Widerstand von bundesdeutscher Seite und besonders aus den eigenen Reihen die Gründung des Südostdeutschen Kulturwerkes und dessen Organ, der Südostdeutschen Vierteljahresblätter, durchführen konnten. Das bedeutete, dass die Entnazifizierung eine scham- und hemmungslose Massenlüge hervorrief, aufgesplittert in lauter einzelne Schwindler, kecke oder auch gewissenbelastete, die später, als sie ihre Fragebogen- und andere Unwahrheiten gestehen konnten, auf Notwehr plädierten. Aus einem Schreiben des Literaten und späteren Mitherausgebers und Autors der Südostdeutschen Vierteljahresblätter Heinrich Zillich an Will Vesper geht hervor4, wie man sich entlastende Gutachten verschaffen konnte. Wegen seines Führergedichtes „Den Deutschen von Gott gesandt“ erhielt Zillich die Anklage der Spruchkammer, in der man ihm mitteilte, dass man ihn wegen seines „späten Parteieintritts“ bloß als „Mitläufer“ einstufen würde. Da er aber ein Gedicht „zur Verherrlichung Hitlers geschrieben habe“, würde man seine „Einstufung in die zweite Klasse der Entnazifizierung“ fordern5. Im gleichen Schreiben bat Zillich Vesper, ihm einen unbelasteten Literaturhistoriker zu nennen, den er um ein literarisches Urteil über sein Führergedicht bitten könnte.6 Ob Zillich ein derartiges Urteil erhielt, konnte nicht ermittelt werden.

Es soll und kann nicht bestritten werden, dass die Entnazifizierung ein eklatantes Unrecht mit sich gebracht hat, auch im Stile der alten Regel „Die Kleinen werden gehängt, die Großen lässt man laufen“. Nur die Argumente, mit denen die NS-Anhänger ihre Weigerung, sich ihren Taten zu stellen, als notgedrungene Reaktion auf die Härten der Nachkriegszeit rechtfertigen wollten, wie Hunger, Wohnungsnot, ← 12 | 13 → Flüchtlingselend, Verlust der Heimat, Kälte und Hoffnungslosigkeit, sie alle halten rückblickend einer kritischen Untersuchung nicht stand. Als der beschworene Mangel unter Wohlstand, ja unter Überfluss zusammenbrach, zeigten jene Generationen keinerlei Bereitschaft, sich nun mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Dies nährt den Verdacht, dass hier eine Haltung vorherrschte, die unbeeindruckt blieb von äußeren Lebensumständen und die es unter keinen Umständen erlaubt hätte, anders zu verfahren, als es geschah. Das war der Stoff, aus dem Lebenslügen beim Südostdeutschen Kulturwerk und bei den Südostdeutschen Vierteljahresblättern gezimmert wurden.

In der vorliegenden Publikation wird bewiesen, dass bis Ende der 1980er Jahre in den Südostdeutschen Vierteljahresblättern „ressentimentgeladene Kulturpflege“ – mit bundesdeutscher Unterstützung – verbreitet wurde.7 Da dies möglich war, müssen die wichtigen Personen wie Prof. Dr. Friedrich (Fritz) Valjavec, Franz Hamm, Dr. Josef Trischler, Hans Diplich, Dr. rer. pol. Heinrich Zillich, Dr. Martha Petri und Dr. Gertrud Krallert des so genannten demokratischen Instituts näher betrachtet werden.

So wie andere Politiker mit NS-Vergangenheit in den Vertriebenenverbänden, die sich nach 1949 an die Spitze der verschiedenen Landsmannschaftsverbände in der Bundesrepublik Deutschland setzten, sammelten sich auch jene Männer aus Jugoslawien, Rumänien und Ungarn um Friedrich Valjavec und Franz Hamm, die im März 1951 die Südostdeutsche Kultur-Forschungsstelle gründeten, ab 1952 Südostdeutsches Kulturwerk. Erster Vorsitzender wurde Franz Hamm, zweiter Vorsitzender und Direktor der Forschungsstelle wurde Friedrich Valjavec. Das Südostdeutsche Kulturwerk und die Südostdeutschen Vierteljahresblätter (ab 2006 Spiegelungen) wurden bis 1969 vom Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte und danach vom Bundesministerium des Innern finanziert. Obwohl das neu gegründete Kulturwerk und sein Organ demokratischen Zwecken dienen sollten, versuchte man auch hier nach derselben Methode, die bei den ← 13 | 14 → Landsmannschaftsgründungen der Vertriebenenverbände angewandt wurde, bei der Gründung ehemalige hohe NS-Funktionäre und NSDAP-Mitglieder von verantwortlichen Posten nicht auszuschließen. Darum ist es wichtig, ernsthaft die Debatte darüber zu führen, wie es möglich war, dass frühere hohe NS-Funktionäre sich an die Spitze dieses so wichtigen Kulturwerks setzen konnten.

Die Gründung dieses wichtigen Kulturwerks wurde vom NS-Ostex-perten Theodor Oberländer8 unterstützt, der eine unrühmliche SS-und SA-Vergangenheit hatte und von Bundeskanzler Adenauer am 20. Oktober 1953 zum Bundesvertriebenenminister berufen wurde. Der erste Bundesminister für Angelegenheiten der Vertriebenen und einstige NS-Gegner Hans Lukaschek musste sein Amt abgeben.

Bekanntlich war der kritische Umgang mit der NS-Vergangenheit in den 1950er Jahren in der jungen Bundesrepublik Deutschland deutlich geringer ausgeprägt als in der Folgezeit. Eine solche Debatte fand bei den Vertriebenenverbänden und beim Südostdeutschen Kulturwerk nicht statt. Keines der Gründungsmitglieder des Südostdeutschen Kulturwerkes hat sich mit der NS-Vergangenheit auseinandergesetzt. Die Frage nach einer Verantwortung oder wenigstens Mitverantwortung der deutschen Volksgruppen in Jugoslawien, Rumänien und Ungarn wurde bis Mitte der 1985er Jahre weder in öffentlichen Erklärungen ← 14 | 15 → noch in internen Debatten der Landsmannschaftsverbände dieser Volksgruppen in der Bundesrepublik Deutschland oder beim Südostdeutschen Kulturwerk jemals angesprochen. Erst nach der Veröffentlichung von zwei Dissertationen über die Deutsche Volksgruppe in Rumänien9 von 1933 bis 1944 zeigten sich Tendenzen, die NS-Vergangenheit unter Vorbehalt anzusprechen.10 Statt sich kritisch mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, wurde das Leben die-ser Deutschen vor 1945 – ganz besonders bei den Siebenbürger Sachsen – als eine „heile Welt“ dargestellt. Das nationale Kollektiv der Hitleranhänger von gestern im Führungsgremium des Südostdeutschen Kulturwerkes verhielt sich nach 1951 so, wie es seiner nazistischen Vorformung entsprach. Bei der Verdrängung und Verleugnung der Naziverbrechen ging es ihnen nicht um die Verteidigung des Dritten Reiches und seines Führers, sondern vielmehr um das eigene „Ich“ und darum, weder vor sich selbst noch vor anderen Schuld einzugestehen. Das bedeutet, dass die Betroffenen durch eine deutliche innere Spaltung gekennzeichnet waren, und zwar in eine private human gebliebene und eine politische antihumane Hälfte. Die Art und Weise, wie die Führung und Mitarbeiter des Südostdeutschen Kulturwerkes auf Arbeiten, die sich mit der NS-Vergangenheit der deutschen Volksgruppen in den Staaten Ost- und Südosteuropas auseinandersetzten, reagierten, ließ den Eindruck entstehen, dass man es eigentlich nicht mit Erwachsenen zu tun hatte, sondern mit kindlichen Verhaltensformen. Diese Personen bewegten sich nicht auf der Höhe ihres sonstigen Intellekts, sondern bekundeten Verweigerung und Trotz. Sie gingen ← 15 | 16 → sogar so weit, Originaldokumente in Publikationen als unecht darzustellen und den Autor als „Linken“ oder sogar als Kommunisten und dessen Arbeit als ohne Niveau, „verzerrt“ oder als „schlicht unwahr“ zu bezeichnen.11 Der Gegensatz zwischen Lebensalter und Reaktionsweise offenbart einen gefährlichen Trugschluss. Die Abwehr von Schuld war zwar ein Akt des infantilen Selbstschutzes, aber die Schuldkulisse trug und trägt keineswegs kindlichen, sondern realen Charakter der Unehrlichkeit. ← 16 | 17 →

Johann Böhm

 

1Vgl. Johann Böhm: Hitlers Vasallen der Deutschen Volksgruppe in Rumänien vor und nach 1945, Frankfurt am Main 2006. Bei der Gründung der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in der BRD (1949) wurde beschlossen, über die Vergangenheit der ehemaligen Nazis den Mantel des Schweigens zu breiten und eine kritische Aufarbeitung der historischen Entwicklung von 1932 bis 1945 zu verhindern. Dies war eine allgemeine Regel innerhalb der verschiedenen deutschen Landsmannschaften in der BRD.

2Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946, geändert durch Gesetz Nr. 902 vom 23. Okt. 1947 (Regierungs-Blatt, S. 119), Gesetz Nr. 922 vom 29. März 1948 (Regierungs-Blatt, S. 58), Gesetz Nr. 923 vom 31. März 1948 (Regierungs-Blatt, S. 58). Das Gesetz besteht aus fünf Abschnitten mit 67 Artikeln und mit sechs einleitenden Punkten.

3Zwei interessante Notizen von Lucius D. Clay (*23. April 1897 in Marietta, Georgia, †16. April 1978 in Chatham, Massachusetts), Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone, befinden sich im Archiv des Autors und bestätigen die Äußerung.

4Deutsches Literaturarchiv Marbach [künftig: DLM], Zugangsnummer [künftig: Zugnr.] 76.2765/21, 23. Juli 1947.

5Damit man die Beurteilung ehemaliger Nazis gerechter einteilen konnte, bildete man fünf Gruppen: 1. Hauptschuldige, 2. Belastete (Aktivisten, Militaristen und Nutznießer), 3. Minderbelastete (Bewährungsgruppe), 4. Mitläufer und 5. Entlastete (Personen die vor der Spruchkammer nachweisen konnten, dass sie nicht schuldig waren).

6Vgl. DLM, Zugnr.: 76.2765/21, 23. Juli 1947.

7Vgl. Klaus Popa/Johann Böhm: „Gestörtes Geschichts- und Kulturverständnis“. In: Halbjahresschrift für südostdeutsche Geschichte, Literatur und Politik, 24. Jg., Heft 1 und 2 (2012), S. 199-206.

8Theodor Oberländer (*1. Mai 1905 in Meinigen, †4. Mai 1998 in Bonn) trat am 1. Mai 1933 in die NSDAP ein (Mitglieds-Nr.: 2.331.552). Im gleichen Jahr wurde er Obersturmführer und Mitglied der SA, vom 1. Juli 1933 bis 1. Juli 1937 war er Gauamtsleiter des Gau Grenzlandamtes und Mitglied der NS-Gauleitung von Ostpreußen. Da im Februar 1937 die Volksdeutsche Mittelstelle der SS unterstellt wurde und Oberländer der SS zu eigenwillig erschien, endete im Frühjahr 1937 durch eine innerparteiliche Intrige zwischen SS und Ostpreußens Gauleiter Koch seine Karriere. Koch behauptete, Oberländer habe streng vertrauliche Parteischreiben verschwinden lassen, Beweise gab es jedoch keine. Oberländer wurde 1937 von der Abwehr angeworben und war dort als Abwehroffizier in der Abteilung II (Sabotage und Sonderaufgaben) bis 1943 tätig. Danach lehrte er bis Kriegsende an der Reichsuniversität Prag. Von 1945 bis 1946 befand er sich in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Interessant ist, dass er bis 1949 für US-Geheimdienste Nachrichten aus Osteuropa auswertete. 1948 wurde er Mitglied der FDP und gehörte ab 1950 den Mitbegründern des Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) in Bayern an. Von 1950 bis 1953 gehörte er über die Liste des BHE dem Bayerischen Landtag an. Vom 3. Januar 1951 bis 24. Februar 1953 war er Staatssekretär für Flüchtlingsfragen im bayerischen Staatsministerium des Innern und vom 20. September 1953 bis 4. Mai 1960 Bundesminister für Angelegenheiten der Vertriebenen.

9Wolfgang Miege: Das Dritte Reich und die Deutsche Volksgruppe in Rumänien 1933-1938. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Volkstumspolitik, Frankfurt am Main 1972. Johann Böhm: Das Nationalsozialistische Deutschland und die Deutsche Volksgruppe in Rumänien 1936-1944, Frankfurt am Main 1985.

10In der Siebenbürgischen Zeitung, dem Organ der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, wurde am 15. Juli 1985 in zwei polemischen und beleidigenden Stellungnahmen von Rudolf Binder und Harald Roth die Dissertation von Böhm ohne Beweismaterial angegriffen. Doch erst nach einer groben Beleidigung durch den Schriftleiter der Siebenbürgischen Zeitung, Hans Bergel, stellte Böhm beim Landgericht München I. den Strafantrag gegen Bergel zur Unterlassung unbegründeter Verleumdungen. Am 9. Dezember 1988 wurde das Endurteil gesprochen. Der Beklagte Hans Bergel wurde wegen seiner Äußerungen verurteilt.

Details

Seiten
358
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653048582
ISBN (ePUB)
9783653981582
ISBN (MOBI)
9783653981575
ISBN (Hardcover)
9783631652404
DOI
10.3726/978-3-653-04858-2
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (September)
Schlagworte
Nationalsozialismus Volksgruppenführer NS-Vergangenheit Volksdeutsche
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 358 S., 2 s/w Abb.

Biographische Angaben

Johann Böhm (Autor:in) Klaus Popa (Autor:in)

Johann Böhm studierte Geschichte, Rumänistik und Germanistik an der Universität Cluj-Napoca (Rumänien) und Politikwissenschaft und Geschichte an den Universitäten Bochum und Aachen. Er ist Autor mehrerer wissenschaftlicher Arbeiten zu historischen und politischen Themen, für die ihm der Hauptpreis der Kulturstiftung «Gemeinschaft aller Donauschwaben», der Hauptpreis der «Nikolaus Lenau Kulturstiftung» und die «Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland» verliehen wurde. Seit 1989 gibt er die Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik heraus. Klaus Popa studierte Anglistik und Germanistik an der Universität Cluj-Napoca (Rumänien). Er ist Herausgeber von Dokumentensammlungen zur Zwischenkriegszeit und zur frühen Nachkriegszeit (1919-1951) der Deutschen in Rumänien; von zahlreichen Arbeiten und Publikationen zur spätmittelalterlichen, frühneuzeitlichen und NS-Geschichte dieser Minderheit. Außerdem ist er Mitarbeiter der Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik.

Zurück

Titel: Vom NS-Volkstum- zum Vertriebenenfunktionär
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
360 Seiten