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Ausbildungsabbruch und Biographie

Über Prozesse, Mechanismen und Wechselwirkungen in Lebensverläufen von Personen mit vorzeitiger Vertragslösung in der Berufsausbildung

von Sebastian Klaus (Autor:in)
©2014 Dissertation 456 Seiten

Zusammenfassung

Die vorzeitige Vertragslösung in außerakademischen Berufsausbildungen (Ausbildungsabbruch) ist seit Jahrzehnten ein regulärer Bestandteil des öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurses. Diese Untersuchung beleuchtet das Phänomen erstmals aus biographieanalytischer Perspektive und löst sich vom Fokus auf Gründe, Motive und Quoten. Das Ergebnis ist ein Prozessmodell eines typischen Verlaufs von der Kindheit bis hin zur biographischen und beruflichen Neuorientierung nach dem Ereignis. Das Prozessmodell zeigt nicht nur, dass die Entwicklungsgeschichte der Personen keineswegs so individuell ist, wie bislang angenommen wird. Es liefert ebenso Erklärungsmuster zu den Ursachen sowie Auswirkungen einer vorzeitigen Vertragslösung und eröffnet neue Ansatzpunkte zur Prävention beziehungsweise Kompensation.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 2 Forschungsstand und forschungsleitende Grundlagen
  • 2.1 Zur vorzeitigen Vertragslösung in der Berufsausbildung - Zum Forschungsstand
  • 2.1.1 Berufsausbildung und sozialer Wandel
  • 2.1.2 Zum Forschungsstand - Erkenntnisse über die vorzeitige Vertragslösung gegliedert nach Etappen und Themen
  • 2.1.2.1 Vorberufliche Sozialisation
  • 2.1.2.2 Die beginnende Berufsausbildung
  • 2.1.2.3 Andere Lebenswelten während der Berufsausbildung - Wechselwirkungen
  • 2.1.2.4 Gründe für und Prozesse zur vorzeitigen Vertragslösung
  • 2.1.2.5 Nach der vorzeitigen Vertragslösung
  • 2.1.3 Zum Forschungsstand - Erkenntnisse über die vorzeitige Vertragslösung gegliedert nach Methoden und Methodologien
  • 2.2 Zur Anlage der Untersuchung - Methodik und Forschungslogik
  • 2.2.1 Zur Forschungslogik - Grundlagen der Heuristik der Grounded Theory
  • 2.2.1.1 Grundgedanken und Implikationen
  • 2.2.1.2 Der Forschungsprozess
  • 2.2.2 Zur Datenerhebungsmethode - Das autobiographisch-narrative Interview
  • 2.2.2.1 Implikationen und Grundlagen
  • 2.2.2.2 Erhebungsschritte und Aufbau des Interviews
  • 2.2.3 Zur Datenauswertungsmethode - Die Narrationsanalyse
  • 2.2.3.1 Grundlagen und Erkenntnispotentiale
  • 2.2.3.2 Forschungsvorgehen
  • 2.2.4 Die Prozessstrukturen des Lebenslaufs
  • 2.2.4.1 Die Relevanz der Prozessstrukturen für die Forschung
  • 2.2.4.2 Das institutionalisierte Ablaufmuster
  • 2.2.4.3 Das biographische Handlungsschema
  • 2.2.4.4 Der biographische Wandlungsprozess
  • 2.2.4.5 Die Verlaufskurve des Erleidens
  • 2.2.4.6 Der kollektive Wandlungsprozess
  • 2.2.4.7 Die kollektive Verlaufskurve des Erleidens
  • 2.3 Zum Forschungsfeld
  • 2.3.1 Die Geschichte des Forschungsfeldes
  • 2.3.2 Wirtschaftliche Entwicklung
  • 2.3.3 Das kollektivhistorische Ereignis Wende als Transformations-prozess - Die Landeshauptstadt im Strukturwandel
  • 2.3.4 Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt
  • 2.4 Zum Forschungsprozess und zum Setting
  • 2.4.1 Der Forschungsprozess
  • 2.4.2 Das Setting
  • 2.5 Zwischenresümee
  • 3 Theoretisches Modell
  • 3.1 Der Berufswahlprozess
  • 3.1.1 Biographische Determination
  • 3.1.2 Berufsbiographische Planungen und Entwürfe
  • 3.1.2.1 Berater und Identifikationsvorbilder
  • 3.1.2.2 Zwischen Selbst- und Fremdbestimmung
  • 3.1.2.3 Die Orientierung an den Ablaufmustern
  • 3.1.3 Prozessierung und Passung der Entwürfe
  • 3.1.4 Zwischenresümee
  • 3.2 Das Aufkeimen und die Zunahme der Neigung zur vorzeitigen Vertragslösung
  • 3.2.1 Identifikation und Integration
  • 3.2.1.1 Identifikation
  • 3.2.1.2 Integration und Zugehörigkeit
  • 3.2.2 Marginalität und Stigma
  • 3.2.3 Schlüsselsituationen im Prozess
  • 3.2.4 Prozesse des Abwägens und des Ausharrens
  • 3.2.5 Beratung und Bearbeitung
  • 3.2.6 Die Zunahme des Verlaufskurvenpotentials bis zur Handlungsunfähigkeit
  • 3.2.7 Zwischenresümee
  • 3.3 Die vorzeitige Vertragslösung - Das Scheitern eines Identitätskonzepts
  • 3.3.1 Der Zerfall des Identitätskonzepts
  • 3.3.2 Der Bruch mit dem Erwartungsfahrplan und der Entzug der Anerkennung
  • 3.3.3 Die Veränderung der Identitätskonstellation
  • 3.3.4 Das Erkennen der Notwendigkeit zur beruflichen und/oder biographischen Neuorientierung
  • 3.3.5 Zwischenresümee
  • 3.4 Berufliche und biographische Neuorientierung
  • 3.4.1 Das Überwinden der Fallensituation
  • 3.4.1.1 Das berufliche time off
  • 3.4.1.2 Die Verlaufskurve
  • 3.4.1.3 Die biographische Arbeit in der Fallensituation
  • 3.4.1.4 Die Orientierung an den Ablaufmustern
  • 3.4.2 Die Rückerlangung der Anerkennung
  • 3.4.2.1 Der Prozess
  • 3.4.2.2 Die Orientierungsfolien
  • 3.4.3 Das neue Identitätskonzept
  • 3.4.3.1 Die Veränderung der Prozessstrukturen
  • 3.4.3.2 Das Bedürfnis nach einem sinn- und identitätsstiftendem Beruf
  • 3.4.3.3 Die Zentrierung der stabilsten Lebenswelt
  • 3.4.3.4 Die Hemmnisse oder Unterstützungen durch Institutionen und Berater
  • 3.4.4 Die Integration der Erfahrung und des Prozesses des Scheiterns in das neue Identitätskonzept
  • 3.4.4.1 Die gescheiterte Berufsausbildung als negative Abgleichsfolie des Erfahrungsschatzes
  • 3.4.4.2 Die nachträgliche Definition der gescheiterten Berufsausbildung
  • 3.4.5 Ideale und pragmatische Pläne
  • 3.4.5.1 Ideale
  • 3.4.5.2 Pragmatische Pläne
  • 3.4.5.3 Abgleichsfolien und Identifikationsvorbilder
  • 3.4.6 Zwischenresümee
  • 3.5 Die Relevanz der Lebenswelten
  • 3.5.1 Die Lebenswelten in der Identitätskonstellation
  • 3.5.1.1 Beruf
  • 3.5.1.2 Familie
  • 3.5.1.3 Anregungsmilieus / Soziale Welten
  • 3.5.2 Identifikation und Integration
  • 3.5.3 Das Changieren zwischen den Lebenswelten
  • 3.5.4 Die Wechselwirkungen zwischen den Lebenswelten
  • 3.5.5 Die Lebenswelten und das Identitätskonzept
  • 3.5.6 Zwischenresümee
  • 3.6 Auf der Suche nach Anerkennung
  • 3.6.1 Anerkennung aus differenten Lebenswelten der Identitätskonstellation
  • 3.6.1.1 Beruf
  • 3.6.1.2 Familie
  • 3.6.1.3 Anregungsmilieus / Soziale Welten
  • 3.6.1.4 Transformation in das Selbstbild
  • 3.6.2 Die Erfüllung kanonischer Erwatungen als Potential der Akkumulation von Anerkennung
  • 3.6.2.1 Kulturinhärente und diskursive Erwartungsfahrpläne
  • 3.6.3 Positive und negative Orientierungs- bzw. Abgleichsfolien
  • 3.6.4 Der Zerfall eines Identitätskonzepts und/oder der Bruch mit einem Erwartungsfahrplan im Kontext des Entzugs der Anerkennung
  • 3.6.5 Der Beruf als kulturinhärenter Teil des Identitätskon- zepts - Kanonisch erwartbare Akkumulation von Anerkennung
  • 3.6.6 Zwischenresümee
  • 4 Fazit
  • 4.1 Zur Untersuchung
  • 4.2 Zu den Erkenntnissen
  • 4.2.1 Zum Berufswahlprozess
  • 4.2.2 Zum Aufkeimen und zur Zunahme der Neigung zur vorzeitigen Vertragslösung
  • 4.2.3 Zum Ereignis der vorzeitigen Vertragslösung
  • 4.2.4 Zur beruflichen und biographischen Neuorientierung
  • 4.2.5 Zur Relevanz der Lebenswelten
  • 4.2.6 Zur Suche nach Anerkennung
  • 5 Literaturverzeichnis
  • 6 Weitere Quellen
  • 7 Tabellenverzeichnis

← 10 | 11 → 1 Einleitung

Basis dieser Studie ist die Erarbeitung einer neuen Perspektive auf das Phänomen der vorzeitigen Vertragslösung in der Berufsausbildung. Im Kontrast zu bisherigen Forschungen geht es nicht darum, die Entwicklung der Quote zu betrachten oder Gründe und Motive zur vorzeitigen Vertragslösung zu sammeln und zu kategorisieren. Vielmehr werden die biographischen Grundlagen und Entstehungsprozesse des Ereignisses der vorzeitigen Vertragslösung herausgefiltert. Es handelt sich somit um einen Blick hinter die Kulissen, der sich in einer Suche nach generalisierungsfähigen Prozessen, Mechanismen und weiteren Aspekten, die den Biographien von Personen mit vorzeitiger Vertragslösung inhärent sind, widerspiegelt. Darüber wird auch die Einbindung des Ereignisses in den gesamtbiographischen Kontext möglich und es offenbaren sich die Wechselwirkungen zwischen Biographie und vorzeitiger Vertragslösung. Vor allem in diesem Bereich sind erhebliche Forschungsdefizite der Thematik zu verzeichnen. Zusätzlich wird ein gesonderter Fokus auf die berufliche und biographische Entwicklung der Betroffenen nach dem Ereignis gesetzt, da sich diese Phase im Zusammenhang mit einer vorzeitigen Vertragslösung bislang als stark vernachlässigt erweist.

Die neue Perspektive wird in Form einer Theoriegenerierung erbracht, folgend der gegenstandsbezogenen Theoriebildung im Sinne der Grounded Theory, bei der eine stetige Verzahnung von Datenerhebung und -auswertung forschungsleitend ist. Darüber eröffnet sich das Potential der Betrachtung der sozialen Wirklichkeit aus der Sicht der von einer vorzeitigen Vertragslösung Betroffenen. Die gelieferten Konstruktionen der Akteure in dem zur Datenerhebung genutzten autobiographisch-narrativen Interview bilden zwar die soziale Wirklichkeit nicht exakt ab, doch kommen sie dieser am nächsten. Die Narrationen geben Aufschluss über Prozesse, Mechanismen und weitere Aspekte, denen die Betroffenen ausgesetzt sind und werden mit den Deutungen und Bewertungen der Handelnden angereichert. Sie bilden den Grundstock der analytischen Abstraktionen, die mithilfe der Narrationsanalyse zu theoretischen, generalisierungsfähigen und gesättigten Aussagen über den fokussierten Teilbereich der sozialen Wirklichkeit führen. Zur Erhöhung der Generalisierungsfähigkeit der Erkenntnisse, die auf den Daten fußen, bleibt die Studie auf ein gewähltes Forschungsfeld (Ort und Region Magdeburg) begrenzt, wodurch die Repräsentativität und Erklärungskraft der entstandenen Theorie für das Feld gefördert werden.

Gegliedert ist die Studie in zwei große Teilbereiche. Der erste widmet sich der Offenlegung des Forschungsstandes und der Klärung der forschungsleitenden Grundlagen. Einführend in den aktuellen Forschungsstand erfolgt eine Dis ← 11 | 12 → kussion über den Stellenwert der Berufsausbildung in Deutschland. Sie gilt als kulturelle Sozialisation und Basis der biographischen Gestaltung über den Beruf. Dem Beruf wird darüber hinaus die Bedeutung des zentralen Elements der Lebenssituation und -gestaltung zugeschrieben. Im Kontext des durch Individualisierung bestimmten sozialen Wandels - der auch als De-Institutionalisierung von Lebensverläufen gefasst wird - erfahren die Jugendlichen und jungen Erwachsenen zunehmend einen Druck zur Eigenverantwortung im Rahmen der Integration in das Berufsleben. Es kommt zu einer Notwendigkeit der individuellen Konstruktion von biographischen Entwicklungsmöglichkeiten über die Berufsausbildung mit gleichzeitigen kanonischen Erwartungen der Strukturierung des Alltags und der Biographie über den Beruf. Die einführende Erörterung bezieht sich folglich auf die Darstellung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in das Berufsleben eintreten.

Die Erörterung des Forschungsstandes ist in zwei zentrale Diskussionen unterteilt. Einerseits erfolgt eine Ordnung und Darstellung der relevanten Etappen und Themen im Kontext Biographie und Berufsausbildung, andererseits werden diese vorliegenden Ergebnisse in den Bezug zu den Methoden und Methodologien der jeweiligen Studien gesetzt. Ersteres offenbart die vorliegenden Erkenntnisse zum Phänomen der vorzeitigen Vertragslösung in der Berufsausbildung, zusammengetragen in der gewählten Gliederung nach Etappen und Themen. Es handelt sich somit um eine Sammlung und Verknüpfung der vorhandenen Erkenntnisse in Bezug zum biographischen Verlauf. Diese Form der Unterteilung ist im Rahmen der Theoriegenerierung dieser Studie der prozessualen Orientierung begründet und fördert so die theoretische Einbindung der gewonnenen Erkenntnisse. Gleichzeitig dient sie dem Aufdecken des gewählten Fokus im Kontext der Zentrierung auf bestimmte Themen und Etappen vorangegangener Forschungen. Die Gliederung deutet darüber auch bestehende Forschungsdefizite an. Der explizite Blick auf die zweite Diskussion im ersten Teil dieser Arbeit ist herausgefordert durch die Mannigfaltigkeit der bislang genutzten Zugangswege, auch bedingt durch die Interdisziplinarität der Berufsbildungsforschung. Es wird aufgezeigt, wie die Motive und Methoden der Forschungen mit der Erkenntnisgewinnung verwoben sind und welche Potentiale die gewählten Methoden(-kopplungen) bereithalten bzw. wie sie dadurch beschnitten werden. Ebenso erfolgt eine Illustration darüber, welche Methoden Verwendung finden und wie sie sich im zeitlichen Verlauf der Betrachtung des Phänomens der vorzeitigen Vertragslösung verändern oder häufen, wodurch die Entwicklungsgeschichte der Erforschung eingebunden wird. Im Zuge der Dokumentation kommt es somit eine Offenlegung der Forschungsdefizite in Bezug zu den genutzten Methoden bzw. Methodologien.

← 12 | 13 → Anschließend kommt es zu einer ausführlichen Darstellung der Forschungslogik einer gegenstandsbezogenen Theoriebildung und der genutzten Datenerhebungs- und Datenauswertungsmethode. Jeder der dortigen drei Schwerpunkte gliedert sich in die theoretischen Grundlagen und die forschungsbezogene Anwendung. In den theoretischen Grundlagen erfolgen die Einbindung der Herkunft und Verankerung in den Wissenschaftstraditionen und der methodischen bzw. methodologischen Landschaft, die Erörterung der Entwicklung der Methode bzw. Methodologie und die Erläuterung der Grundgedanken bzw. kausalen Zusammenhänge, auf denen sie fußen. Auf dieser Basis wird es möglich nachzuvollziehen, was mit der Methode bzw. Methodologie ermöglicht wird, wofür sie dienlich und gleichzeitig wofür sie nicht anwendbar ist. Bei den Schilderungen der forschungsbezogenen Anwendung steht das „Wie“ im Vordergrund. Es handelt sich um ein Aufzeigen der Leitlinien in der Anwendung, des Handlungsrahmens der Forschenden und der Vorgehensweise. Die Ausführlichkeit ist der Verdeutlichung der Logik der Verzahnung von Datenerhebung und -auswertung und der Erkenntnisgewinnung im Prozess geschuldet. Aufgrund der Relevanz der Prozessstrukturen des Lebenslaufs als Analyseapparat für die Datenauswertung und der gesamtgesellschaftlichen Brisanz dieser Typen für verschiedene allgemeine Lebensschicksale werden sie gesondert erörtert. Sie können auch im Kontext der vorzeitigen Vertragslösung zu generalisierungsfähigen Aussagen beitragen, da die Möglichkeit der Parallelen im Auftreten besteht. Die Darstellung ist im Kontext Forschungslogik und -praxis in ihrer Expansion relevant, da die Methoden und Methodologie in der Berufsbildungsforschung, trotz ihrer Interdisziplinarität, weitestgehend ungenutzt sind. Die Erläuterungen sollen dementsprechend parallel zur Erkenntnisgewinnung einen Beitrag zur Methodenvielfalt in dieser Forschungsdisziplin leisten. Relevanz besitzt die Herangehensweise für die Berufsbildungsforschung in zweierlei Hinsicht. Zum einen eröffnet sie bislang vernachlässigte Erkenntnispotentiale über die Perspektive der Handelnden auf die soziale Wirklichkeit und zum anderen erweist sich die Analyse biographischer (Re-)Konstruktionen gerade im Zuge der durch Individualisierung veränderten Rahmenbedingungen und Möglichkeitsstrukturen als passend.

Da die Studie auf der Analyse von Datentexten aus einem gewählten Forschungsfeld beruht, ist die Erörterung dessen im Kontext der Entwicklung und Einordnung nötig. Die Entstehungsgeschichte - auch in wirtschaftlicher Hinsicht - ist relevant für die Herausarbeitung der Spezifika und möglichen Parallelen des Feldes zu anderen Orten und Regionen bzw. größeren Regionen. Vor allem die Entwicklung nach dem kollektivhistorischen Ereignis Wende ist brisant für die Vergleichbarkeit in Bezug zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Die Ausbildungsberufe zeigen sich zudem abhängig von der Geschichte und dem ← 13 | 14 → kollektiven bzw. kulturellen Gedächtnis über die spezifische Tradition des Handels und des Schwermaschinenbaus. Darüber hinaus ist die individuelle biographische Gestaltung der Betroffenen eng mit einer Identifikation mit dem Ort und der Region verbunden. Sie determiniert die möglichen Bestrebungen, respektive die potentielle Akzeptanz einer Abwanderung auf der Suche nach Arbeit bzw. einem Ausbildungsplatz. Somit beeinflusst die (individuell zugeschriebene) Zugehörigkeit zum Forschungsfeld auch die Fokussierung einer Berufsausbildung am Ort bzw. in der Region und die Neigung zur vorzeitigen Vertragslösung. Die biographische Gestaltung der Betroffenen ist dementsprechend bedingt durch die individuelle, aber ebenso durch die kollektive Geschichte.

Abgerundet wird der erste große Teilbereich der Studie mit der Darstellung des Forschungsprozesses. Sie dient der besseren Nachvollziehbarkeit der Eruierung des Datenmaterials, der Dokumentation der Erhebungsformen, -schritte, des Zeitraums und der damit verbundenen Komplikationen. Gleichzeitig offenbart der Forschungsprozess die Verteilung und Spannbreite der interviewten Personen. Er gibt Aufschlüsse über die Zusammensetzung der Datengrundlage anhand der Illustration der Differenzen mithilfe soziodemographischer Daten, wie das Geburtsjahr, das Geschlecht, die Anzahl der erfahrenen vorzeitigen Vertragslösungen oder der beruflichen Status während des Interviews, wodurch es zu einer Andeutung der beruflichen Entwicklung nach dem Ereignis kommt. Zentral an diesem Abschnitt sind somit das „Wie“ der Datengewinnung und die Darstellung der gesamten Datenbasis.

Den zweiten großen Teilbereich bildet das theoretische Modell. Es ist die Abbildung der generalisierungsfähigen analytischen Extrakte in einer Theorie. Sie ist genau das, was aus den Datentexten in Bezug zum Forschungsinteresse erkannt und festgehalten werden kann. Das theoretische Modell beinhaltet folglich alle zentralen Prozesse, Mechanismen, Phänomene und Wechselwirkungen, die im biographischen Verlauf aller Betroffenen vorzufinden und generalisierungsfähig sind. Gegliedert ist das theoretische Modell in sechs Kernkategorien, die auf den verzahnten Analyseprozess zurückgehen. Die ersten vier beziehen sich auf Prozesse im Kontext der vorzeitigen Vertragslösung. Sie beinhalten den gesamten biographischen Verlauf der Betroffenen von den kindlichen Erfahrungen im Elternhaus bis hin zur Entwicklung nach dem Ereignis und unterteilen sich in die entsprechenden Etappen im Kontext Berufsbiographie. Während im Berufswahlprozess die gesamte Zeit vor dem Antritt der Berufsausbildung offen gelegt wird, widmen sich die Prozesse vom Aufkeimen der Neigung zur vorzeitigen Vertragslösung bis hin zur Umsetzung der Zeit der Partizipation an der scheiternden Berufsausbildung. Die Prozesse der Entstehung und Bearbeitung der Fallensituation, ausgelöst durch das Ereignis, werden daraufhin erörtert und bilden die Ausgangsbasis für die anfolgende Diskussion der Prozesse der beruf ← 14 | 15 → lichen und biographischen Neuorientierung. Strukturiert und dargestellt werden die Prozesse im Kontext der Phänomene und Mechanismen, mit denen sie verwoben sind. Wert gelegt wird dabei auf die möglichen Variationen und Kombinationen der Phänomene und Mechanismen im Prozess und die differenten Formen der prozessualen Verläufe selbst. Um die zentralen Aspekte der einzelnen Kernkategorien herauszuarbeiten, erfolgt jeweils eine zusammenfassende Darstellung im entsprechenden Zwischenresümee. Die zwei weiteren Themenkomplexe bilden zentrale Faktoren der biographischen Gestaltung von Personen mit vorzeitiger Vertragslösung ab. Sie sind in den jeweiligen prozessualen Kernkategorien zwar bereits enthalten, da sie diese mitbestimmen, müssen aber deutlich als zentrale und eigenständige Faktoren der biographischen Gestaltung herausgearbeitet werden. Sie offenbaren das, woran sich die Betroffenen orientieren und ihre Handlungen und Entscheidungen ausrichten. Zudem beinhalten auch sie partiell gesamtbiographische Prozesse, die den Biographien der Betroffenen inhärent sind. Zu diesen Faktoren gäbe es sicherlich noch weitere anzuführen. Alle weiteren erkannten Faktoren bestimmen jedoch nicht derart, wie die beiden dokumentierten, das Leben der Betroffenen. ← 15 | 16 →

← 16 | 17 → 2 Forschungsstand und forschungsleitende Grundlagen

2.1 Zur vorzeitigen Vertragslösung in der Berufsausbildung - Zum Forschungsstand

Dieser erste Abschnitt ist der theoretischen Auseinandersetzung mit der Thematik der vorzeitigen Vertragslösung innerhalb der Berufsausbildung gewidmet. Er soll in die einzelnen Teilbereiche des Gegenstandes einführen, welche im Kontext der wissenschaftlichen Erkenntnisse erörtert werden. Als zentral erweisen sich die Berufsausbildung und die vorzeitige Vertragslösung. Das dritte Hauptthema - die Biographien der Betroffenen - schwingt hierbei stetig mit und unterliegt diesbezüglich einer unterschwelligen Einordnung in die weiteren Kernpunkte. So wird beispielsweise unter 2.1.1 vorzugsweise die Berufsausbildung in den Kontext des sozialen Wandels gesetzt. Vor allem durch die sich verändernden Anforderungen innerhalb der (berufs-)biographischen Planung und Orientierung der Jugendlichen sind diese Themenkomplexe nur schwer voneinander zu trennen. Im Zuge des sich stetig vollziehenden sozialen Wandels, bei dem durch die Kanonisierung der individuellen Verantwortung in den letzten Jahrzehnten ein starker Schub zu erkennen ist, zeigt es sich von Interesse, in welcher Form die Berufswahl, das Duale System der Berufsausbildung in Deutschland und deren Funktionen Veränderungen unterliegt. Im gleichen Atemzug muss ebenso die sich wandelnde Deutung von Arbeit und Beruf, insbesondere in Anbetracht der Integration und Identifikation des Einzelnen, mit einbezogen werden. Die Deutungen, die im öffentlichen Diskurs vorherrschen, bestimmen zwangsläufig die des Einzelnen und die Selbstdeutung des Individuums. Sie werden so zu relevanten Aspekten der Berufswahl, des Aufbaus einer Berufsbiographie und damit der Positionierung innerhalb der Gesellschaft. Dieser erste Teil soll insofern die Sinnzusammenhänge zwischen den sich verändernden Normen und Werten der Gesellschaft, den sich dadurch modifizierenden Möglichkeitsstrukturen bzw. Handlungsspielräumen für das Individuum und der Berufsausbildung in ihrer stetigen Modifikation der Anforderungen herausarbeiten.

Im zweiten, darauf folgenden Teil, wird das Kernthema der vorzeitigen Vertragslösung erfasst. Dort werden bisherige Forschungsergebnisse zu diesem Punkt aus der wissenschaftlichen Landschaft zusammengetragen und in den biographischen Kontext gesetzt. Motiviert ist diese Gliederung des Zusammentragens von vorhandenen Forschungsergebnissen durch die bessere Integration und Vergleichbarkeit der Erkenntnisse dieser Untersuchung. Vor allem werden erkannte Prozesse und Mechanismen, welche für die Betroffenen als relevant ← 17 | 18 → erscheinen, in Augenschein genommen. Beginnen wird diese Art der Gliederung mit der Kategorie der vorberuflichen Sozialisation (vgl. Heinz 1995, S. 128ff.) unter Beachtung aller die Betroffenen beeinflussenden Momente. Über den Findungsprozess der beruflichen Orientierung, der Integration in die Berufsausbildung, die Wechselwirkungen zwischen den Lebenswelten, den Prozess hin zur und die Situation der vorzeitigen Vertragslösung wird der Verlauf bis hin zur Zeit nach der vorzeitigen Vertragslösung diskutiert. Hierbei sollen bisherige Forschungslücken aufgedeckt und festgehalten werden.

Im Anschluss an dieses Zusammentragen der vorliegenden Erkenntnisse über die vorzeitige Vertragslösung in der Berufsausbildung, gegliedert in die entsprechenden Etappen bzw. Themen, erfolgt eine Darstellung der vorangegangenen Forschungsergebnisse im Kontext der verwendeten Methode. Insbesondere der Zusammenhang zwischen der methodischen und methodologischen Vorgehensweise und den Forschungsergebnissen und -motivationen wird genauer beleuchtet. Gleichzeitig erfolgt eine Einbeziehung der Vor- und Nachteile des jeweiligen Forschungsvorgehens, ausgearbeitet an dem jeweiligen Fall. Auch dieser letzte Abschnitt verfolgt ein bestimmtes Ziel. Durch diese Art der Darstellung kann offenbart werden, an welcher Stelle und mit welcher Methodik die noch vorhandenen Forschungslücken geschlossen werden können. Es wird sich zeigen, dass die vorangegangenen Forschungen zumeist einen speziellen Aspekt der vorzeitigen Vertragslösung innerhalb der Berufsausbildung näher betrachten und die verwendete Methode zumeist keine weiteren Perspektiven zulässt.

Im Kontext der Diskussion der Methoden, Methodologien und Motivationen wird deutlich, inwiefern noch Forschungsdefizite bestehen und mit welchen Methoden bzw. Methodologien sie zu schließen sind. Somit wird auch eine Begründung geliefert, warum diese Untersuchung dem gewählten Forschungsvorgehen folgt.

2.1.1 Berufsausbildung und sozialer Wandel

„Unter Arbeit verstehen wir die Vielfalt menschlicher Handlungen, deren Zweck die Sicherung und Erweiterung des Lebensunterhaltes der arbeitenden Individuen und ihrer Angehörigen ebenso beinhaltet wie die Reproduktion des gesellschaftlichen Zusammenhanges der menschlichen Arbeitsteilung und hierüber der Gesellschaft selbst. Arbeit ist vergesellschaftetes Alltagsleben“ (Peter 1997, S. 29). Dass die Arbeit als gesellschaftlich konstitutives Moment in den westlich-marktwirtschaftlichen Nationen fungiert, ist wohl unumstritten. Die Frage, die sich eröffnet, ist jedoch, ob die Arbeit für das Individuum in der Tat nur der Sicherung und Erweiterung des Lebensunterhaltes dienlich ist. Damit verbunden ← 18 | 19 → ist ebenso fragwürdig, ob diese Motivation hinreichend wäre, für die Partizipation an der Gesellschaft und der Arbeit als Erwerbsarbeit. Denn die Arbeit ist „[...] der strukturelle Kern [...] an den sich die übrigen sozialen Systeme anlagern und auf den sie zugeschnitten sind“ (Kohli 1989, S. 253).

Details

Seiten
456
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653045284
ISBN (ePUB)
9783653983241
ISBN (MOBI)
9783653983234
ISBN (Hardcover)
9783631653395
DOI
10.3726/978-3-653-04528-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Juni)
Schlagworte
Biographieforschung Sozialisation Präventionsforschung Berufsbildungsforschung Vertragslösung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 456 S., 7 Tab.

Biographische Angaben

Sebastian Klaus (Autor:in)

Sebastian Klaus ist Soziologe. Das Studium mit den Schwerpunkten Berufs- und Betriebspädagogik sowie Soziologie absolvierte er an der Universität Magdeburg, wo er anschließend auch in Forschung und Lehre tätig war.

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