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Die narrative Anamnese im Rahmen einer biographischen Diagnostik im pflegerischen Setting der kardiologischen Rehabilitation

Eine konzeptuelle Entwicklung

von Miriam Tariba Richter (Autor:in)
©2015 Dissertation 526 Seiten
Reihe: Pflegeforschung, Band 4

Zusammenfassung

In der stationären kardiologischen Rehabilitation steht kein geeignetes diagnostisches Instrument zur Verfügung, um individuelle und psychosoziale Probleme und Ressourcen der Rehabilitand_innen einzuschätzen. Dadurch werden bestehende individuelle, soziale, geschlechts- und altersspezifische Anforderungen häufig verkannt und angestrebte Rehabilitationsziele können nur eingeschränkt erreicht werden. Durch die Entwicklung einer narrativen Pflegeanamnese und biographischen Pflegediagnostik können im Gegensatz zur herkömmlichen Diagnostik subjektive und kontextspezifische Bedeutungsstrukturen erhoben und vielfältige Verstehensprozesse gefördert werden. Damit gelingt es, wichtige Rehabilitationsziele an die subjektiven Anforderungen der Rehabilitand_innen anzupassen sowie deren Partizipation zu fördern.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • O. Einleitung
  • I. Problemdarstellung
  • 1. Der Pflegeprozess als Grundlage für die Umsetzung einer professionellen Pflege
  • 1.1. Einführung in den Pflegeprozess
  • 1.1.1. Der Pflegeprozess in seiner Entwicklung und Funktion
  • 1.1.2. Die kritische Bewertung des Pflegeprozesses
  • 1.2. Das pflegerische Assessment
  • 1.2.1. Das pflegerische Assessment als Basis der Pflegediagnose
  • 1.2.2. Die kritische Bewertung der pflegerischen Anamnese in der praktischen Anwendung
  • 1.3. Die Pflegediagnosen
  • 1.3.1. Die Entwicklung und Funktion von Pflegediagnosen
  • 1.3.2. Eine kritische Bewertung der Pflegediagnosen aus theoretischer und praktischer Sicht
  • 1.3.2.1. Kritik des Entstehungskontextes und der internationalen Übertragbarkeit
  • 1.3.2.2. Machtkritik
  • 1.3.2.3. Kritik der theoretischen Orientierung und Fundierung
  • 1.3.2.4. Herausforderungen der praktischen Umsetzung und methodischen Ausbildung
  • 1.3.2.5. Professionalisierungsaspekte
  • 1.3.2.6. Empirische Messbarkeit und Gütekriterien
  • 1.4. Ergänzungsperspektiven durch alternative Ansätze der Pflegediagnostik
  • 1.4.1. Verstehende, phänomenologisch-biographische Perspektiven der Pflegediagnostik
  • 1.4.2. Der Ansatz der Verstehenden Pflegediagnostik
  • 1.4.3. Integration psychosozialer Aspekte und Ressourcen
  • 1.5. Zusammenfassung
  • 2. Das pflegerische Handlungsfeld im Setting der kardiologischen Rehabilitation
  • 2.1. Die koronare Herzkrankheit (KHK)
  • 2.1.1. Die Grundlagen des Herzkreislaufsystems
  • 2.1.2. Das Krankheitsbild
  • 2.1.3. Epidemiologische Daten
  • 2.1.4. Kardiovaskuläre Risikofaktoren
  • 2.1.4.1. Risikofaktoren der KHK
  • 2.1.4.2. Risikofaktoren der Hypertonie
  • 2.1.4.3. Personenbezogene und psychosoziale Risiko- und Einflussfaktoren
  • 2.1.5. Symptomatik und Diagnostik
  • 2.1.6. Therapeutische Interventionen
  • 2.1.7. Versorgungslage und -programme
  • 2.1.8. Wirtschaftliche und individuelle Folgeerscheinungen
  • 2.1.9. Bedeutungszuschreibungen bei Krankheitsbewältigung chronischer Herzkrankheiten
  • 2.1.10. Prävention von KHK
  • 2.2. Die kardiologische Rehabilitation
  • 2.2.1. Entwicklung und Modelle
  • 2.2.2. Definition und Rahmenbedingungen
  • 2.2.3. Stationäre und ambulante Formen
  • 2.2.4. Allgemeine und individuelle Ziele
  • 2.2.5. Voraussetzungen und Indikationen
  • 2.2.6. Diagnostik und Therapie
  • 2.2.7. Das pflegerische Aufgabenfeld der stationären kardiologischen Rehabilitation
  • 2.2.8. Kritische Bewertung der kardiologischen Rehabilitation
  • 2.3. Zusammenfassung
  • 3. Potenziale einer erweiterten Anamnese und Diagnostik für die stationäre kardiologische Rehabilitation
  • II. Methodologische Grundlagen der Konzeptentwicklung
  • 1. Forschungsmethodologische Verortung
  • 1.1. Orientierung am qualitativen Forschungsparadigma
  • 1.2. Konzeptentwicklung im Rahmen der Aktionsforschung
  • 1.3. Methodischer Rahmen
  • 2. Forschungsethische Reflexion
  • 3. Zusammenfassung
  • III. Empirische Grundlagen der Konzeptentwicklung als Ist-Analyse der stationären kardiologischen Rehabilitation
  • 1. Feldzugang und Feldphase
  • 2. Datenerhebung und -auswertung
  • 2.1. Feldbeobachtungen
  • 2.1.1. Erhebung der teilnehmenden Beobachtung
  • 2.1.2. Erhebung der fokussierten teilnehmenden Beobachtung
  • 2.1.3. Auswertung der Beobachtungen
  • 2.1.4. Ergebnisse der teilnehmenden Beobachtungen
  • 2.1.4.1. Rahmenbedingungen der Beobachtung
  • 2.1.4.2. Die Rehabilitand_innen
  • 2.1.4.3. Allgemeiner pflegerischer Tagesablauf
  • 2.1.4.4. Die unterschiedlichen Berufsgruppen mit ihrem Tätigkeitsprofil
  • 2.1.4.5. Arbeitsanforderungen und Zeitressourcen
  • 2.1.4.6. Informationssammlung und -weitergabe
  • 2.2. Dokumentenanalyse
  • 2.2.1. Analyse der Dokumentation versus mündlicher Daten
  • 2.2.2. Diskussion der Ergebnisse der Dokumentenanalyse
  • 2.3. Narrative Interviews
  • 2.3.1. Erhebungsmethode des narrativen Interviews
  • 2.3.2. Auswertung als Biographische Fallrekonstruktion
  • 2.3.3. Ergebnisse der narrativen Interviews
  • 2.3.3.1. Formale, strukturelle und inhaltliche Ergebnisse
  • 2.3.3.2. Fall Herr HB: „… ich mach keine halben Sachen, auch bei solchen Sachen nich´ …“
  • 2.3.3.2.1. Auswahl des Interviewpartners und Besonderheiten der Interviewführung und -auswertung
  • 2.3.3.2.2. Die Lebensgeschichte von Herrn HB
  • 2.3.3.2.3. Typenbildung: Der „Macher“
  • 3. Zusammenfassende Bewertung der Ergebnisse
  • IV. Theoretische Grundlagen der Konzeptentwicklung
  • 1. Das Handlungsfeld der Pflege
  • 1.1. Charakteristika des Handlungsfelds der Pflege
  • 1.2. Der Kern professionellen pflegerischen Handelns
  • 1.2.1. Der fürsorgende Aspekt pflegerischen Handelns
  • 1.2.2. Individuelles Fallverstehen in der Pflege
  • 1.2.3. Die Integration der Leiblichkeit in pflegerisches Handeln
  • 1.3. Die Theorie der Anerkennung als normative Grundlage pflegerischen Handelns
  • 2. Nutzer_innenorientierung in der pflegerischen Gesundheitssicherung
  • 2.1. Der Begriff der Nutzer_innenorientierung in der Gesundheitssicherung
  • 2.2. Die Ebenen der Nutzer_innenorientierung
  • 2.3. Voraussetzende Bedingungen des Nutzungshandelns
  • 2.4. Einschränkende Bedingungen des Nutzungshandelns
  • 2.5. Fazit: Stärkung der Nutzer_innenposition im Handlungsfeld der Pflege
  • 3. Die Biographieorientierung
  • 3.1. Die „Biographie“ und deren professioneller Einbezug
  • 3.2. Entwicklung und methodologische Grundlagen der Biographieorientierung
  • 3.3. Biographische Perspektiven
  • 3.3.1. Der Leib und die Biographie
  • 3.3.2. Das ungelebte Leben
  • 3.3.3. Das Fremdwerden der eigenen Biographie
  • 3.4. Methodische Grundlagen der Biographieorientierung
  • 3.4.1. Erzählungen von Krankheit, Gesundheit und Behinderung im institutionellen Kontext
  • 3.4.2. Die Erhebungsmethode des narrativen Interviews
  • 3.4.3. Biographische Auswertungsmethoden
  • 3.5. Biographische Diagnostik
  • 3.5.1. Ansätze biographischer Diagnostik unterschiedlicher Handlungsfelder
  • 3.5.2. Die Dialogische Biographiearbeit
  • 3.6. Biographieorientierung und ihr Anwendungsbezug im Handlungsfeld der Pflege
  • 3.6.1. Beispiele für einen Anwendungsbezug aus der Pflegeforschung und -bildung
  • 3.6.2. Abschließende Bewertung der Biographieorientierung im Handlungsfeld der Pflege
  • 4. Zusammenfassung
  • V. Die Konzeptionsentwicklung der narrativen Anamnese und biographischen Diagnostik im Setting der kardiologischen Rehabilitation
  • 1. Konzeption und Entwicklung des vorläufigen Konzepts
  • 2. Erkenntnisse aus den Erprobungsphasen des Konzepts
  • 2.1. Geplante praktische Erprobungsphase im Feld der stationären kardiologischen Rehabilitation
  • 2.1.1. Fachdidaktische Begründung und geplantes Vorgehen
  • 2.1.2. Planung und Durchführung der Schulung der Pflegenden
  • 2.1.3. Rückzug der Praxispartner_innen vor der Erprobungsphase
  • 2.2. Ergebnisse der Erprobung an der Hochschule
  • 3. Diskussion der Ergebnisse und Konsequenzen der praktischen Erprobung – Darstellung des abschließenden Konzepts
  • 4. Systematisierung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen für Praxis und Theorie
  • 4.1. Potenziale einer narrativen Anamnese und biographischen Diagnostik für das Handlungsfeld der Pflege
  • 4.1.1. Auswirkungen des Konzepts auf den Pflegeprozess
  • 4.1.2. Auswirkungen auf das Setting der stationären kardiologischen Rehabilitation
  • 4.1.3. Auswirkungen auf die Interaktion zwischen Patient_innen und Pflegenden
  • 4.2. Implementationsaspekte und Vorschläge für die Praxis
  • 4.2.1. Institutionelle Herausforderungen
  • 4.2.2. Die Rolle der Pflege in einer interdisziplinären Diagnostik
  • 4.2.3. Qualifizierung des Pflegepersonals und der Erwerb kommunikativer Kompetenzen
  • VI. Fazit
  • VII. Literaturverzeichnis

0.Einleitung

„Ich freue mich auf die Zukunft, weil ich ein geordnetes Leben hab´. Ich hab´ alles was ich brauche … in meiner Wohnung, … in meinem zu Hause, also ich bin von niemanden abhängig, (ich habe, d. Verf.) meine Enkel, wenn sie kommen «Oma was brauchst du», dann gehen sie in Keller holen, … nein, ich freu´ mich auf meine Wohnung, ich freu´ mich auf mein zu Hause.“ (Frau C 13/23–14/8)

„Ne, das ist vorbei, das is´ vorbei, das sag ich ganz klipp und klar, also ich wüsste nich´ … worüber … ich mich noch freuen sollte, das ist … weg, … ich bin morgens aufgestanden Jahr ein Jahr aus, Füße noch gar nicht aus´m Bett denn konnte ich singen und pfeifen, das ist alles weg, verschwunden als wenn es gar nicht da war … ich wüsste auch nicht mehr wo ich mich noch d´rüber freuen sollte, … das ist als wenn da oben einer was abgedreht hat.“ (Herr HB 27/20–43)

Diese beiden Patient_innen aus der stationären kardiologischen Rehabilitation bewerten ihre persönliche Zukunft auf unterschiedliche Art und Weise, abhängig davon, welche Rolle die chronische kardiologische Erkrankung in ihrem Leben spielt, ob ihnen soziale Ressourcen zur Verfügung stehen oder in welchem Ausmaß ihr weiteres Leben von den Einschränkungen der Krankheit gekennzeichnet sein wird. Menschen sind Individuen mit verschiedenen Perspektiven auf ihr Leben, mit differenten Lebensentwürfen und Alltagsbedingungen.

Hierbei stellt sich die Frage, inwieweit diese Individualität, die subjektiven Bewertungen und die ganz spezifischen Bedingungen des Lebens bei der professionellen Planung des pflegerischen Unterstützungsbedarfs der Rehabilitand_innen berücksichtigt werden. Die Studienlage macht deutlich, dass sich sowohl die pflegerische Bedarfsermittlung als auch das Setting der stationären kardiologischen Rehabilitation dahingehend als optimierungsbedürftig erweist. Aus Gründen einer reduktionistischen Anwendung der Anamnese im Pflegeprozess können beispielsweise individuelle und psychosoziale pflegerische Probleme, aber auch Ressourcen nur eingeschränkt erhoben und bei der Planung einer nutzer_innenorientierten Gesundheits- bzw. Pflegeversorgung berücksichtigt werden. Die negativen Auswirkungen für die Patient_innen und ihren Gesundungsprozess werden durch Studien aus der kardiologischen Rehabilitation belegt. Deshalb ist es das Ziel der Promotionsarbeit, die bestehende Pflegeanamnese und Diagnostik so zu optimieren, dass individuelle und psychosoziale Probleme und Ressourcen erfasst werden können.

Auf der einen Seite wird das Konzept des Pflegeprozesses als Beitrag zur Professionalisierung und Qualitätssicherung für notwendig erachtet (Schrems ← 11 | 12 → 2003, 15), auf der anderen Seite wird es aus vielerlei Gründen kritisiert. Der Pflegeprozess basiert im Wesentlichen auf der Erhebung (Anamnese) und Benennung (Diagnose) der aktuellen und potenziellen (pflegerischen) Probleme und Ressourcen und der Planung von Interventionen, welche entweder zu einer Verbesserung der (gesundheitlichen) Situation der Patient_innen führen oder deren Selbstpflegefähigkeiten wiederherstellen bzw. möglichst lange erhalten sollen. Im Hinblick auf die Anamnese bestätigen qualitative Studien, dass die Kommunikation in der Praxis meist reduziert ausfällt und die subjektive und individuelle Perspektive der Patient_innen vernachlässigt wird (Walther 2001, 113–249; Lotz 2000, 93–102). Darüber hinaus orientiert sich die Anamnese überwiegend an Problemen. Ressourcen und psychosoziale Aspekte werden nur eingeschränkt berücksichtigt (Kesselring 1999, 223–228). Eine der Ursachen liegt in der reduzierten Erfassung der Datenerhebung bei der Anamnese, welche vornehmlich auf Frage-Antwort-Gesprächen basiert. Iwert sieht hingegen durch eine offene Gesprächsführung, wie im narrativen Erzählen, verbesserte Chancen für die Verbalisierung subjektiver Bedeutungsstrukturen, die sich systematischem Abfragen versperren (Iwert 2003, 15–25; s. Kapitel I.1.).

In der stationären kardiologischen Rehabilitation befinden sich größtenteils Patient_innen mit koronaren Herzkrankheiten, wie z.B. nach einem Herzinfarkt. Für die Infarktüberlebenden besteht das hohe Risiko eines erneuten Infarkts und einer dauerhaften Invalidität, welche häufig mit Erwerbslosigkeit, Einschränkung der Lebensqualität und Pflegebedürftigkeit verbunden ist. Die Risikofaktoren einer koronaren Herzkrankheit gehen überwiegend auf die Lebensumstände der Betroffenen zurück, demzufolge spielt in der kardiologischen Rehabilitation die Änderung der verhaltens- als auch verhältnisbedingten Umstände der Lebenssituation bei der langfristigen Behandlung eine bedeutende Rolle (RKI 2006, 24f). Das Aufgabengebiet der Pflege in der kardiologischen Rehabilitation wird vorrangig im Bereich der Sekundär- und Tertiärprävention gesehen (Fischer 2004, 4–55; Hasseler, Meyer 2006). Aufgrund der geringen Wirksamkeit der Primärprävention ist das Augenmerk verstärkt auf die weiteren Präventionsbereiche von kardiologischen Erkrankungen zu legen (Grande et al. 1998,126–136). Aus folgenden Gründen wird in der Arbeit die stationäre Rehabilitation der ambulanten Rehabilitation als exemplarisches Setting vorgezogen: In einem Langzeitvergleich zwischen stationären und ambulanten Versorgungsformen konnte der vermeintliche Vorteil einer ambulanten Versorgung nicht signifikant aufgezeigt werden. Beide Versorgungstypen haben einen eher geringen Einfluss auf den Krankheitsverlauf. Trotzdem zeigt ein stationäres Behandlungskonzept bei einigen Interventionen geringe Vorteile gegenüber der ambulanten Versorgung (Grande et al. 2002b, 203–225; Badura et al. 1995). Zusätzlich ist durch die Einführung der Fallpauschalen eine frühere Verlegung vom Krankenhaus in die ← 12 | 13 → Rehabilitation ökonomisch attraktiver geworden, sodass zunehmend pflegebedürftigere Patient_innen in die stationäre Rehabilitation entlassen werden, bei denen eine ambulante Versorgung noch nicht induziert ist (Staender, Berger 1996, 100–119). Darüber hinaus ist nach der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herzkreislauferkrankungen die stationäre Versorgung die häufigste kardiologische Rehabilitationsform in Deutschland (DGPR 2011).

Die Probleme der kardiologischen Rehabilitation bestehen u.a. darin, dass die individuellen und psychosozialen Risikofaktoren (Hermann-Lingen et al. 2008; Grande et al. 1998), die einer koronaren Herzerkrankung zugrunde liegen und die vermehrt auftretenden Angstzustände (Pollack et al. 2005, 146) und Depressionen (Barth et al. 2005, 34f) zu selten diagnostiziert und in die Rehabilitationsplanung übernommen werden. Ferner konnte nachgewiesen werden, dass sich die vielfach geringe Rehabilitationsmotivation nachteilig auf die anschließende Änderung der Lebensführung auswirkt (Horres-Sieben 2004). Durch die Ignoranz gegenüber sozialen Unterschieden in der Prävalenz entstehen gesundheitliche Ungleichheiten in der Gesundheitsversorgung der Rehabilitand_innen, die zudem durch die Rehabilitation noch verstärkt werden (BMBF 2006a; Grande et al. 2002a). Geschlechts-, alters- und sozialbedingte Unterschiede bei den Erwartungen an die Rehabilitation, die Motivation und soziale Unterstützung finden während der Rehabilitationsphase gegenwärtig zu wenig Berücksichtigung. Vor allem Patient_innen aus niedrigen Sozialschichten müssen deshalb als eine besonders vulnerable Nutzer_innengruppe innerhalb dieses Gesundheitsbereichs bezeichnet werden. In der Anamnese sind bisher überwiegend physisch-funktionale und biomedizinische Parameter zu verzeichnen (Rauch et al. 2007; Grande et al. 1998), individuelle sowie psychosoziale Faktoren werden für die Planung der Rehabilitation nur begrenzt erfasst und die Ziele der rehabilitativen Versorgung dadurch nur bedingt erreicht. Um eine möglichst hohe Motivation und Akzeptanz der Veränderungen im Alltagsleben zu erreichen, ist es daher von großer Wichtigkeit, die Interventionen auch an die subjektiven Bedeutungsstrukturen der Patient_innen anzupassen (s. Kapitel I.2.). An dieser Stelle setzt das Promotionsvorhaben an.

Die kardiologische Rehabilitation wurde aus mehreren Gründen als exemplarisches Feld ausgewählt. Zum einem ist die kardiologische Rehabilitation ein pflegerisches Berufsfeld, welches im Vergleich zu der Akutpflege im geringeren Maße Handlungszwängen ausgesetzt ist. Daher werden verbesserte zeitliche Ressourcen in dem pflegerischen Handlungsfeld erhofft. Darüber hinaus sind die pflegerischen Aufgaben und Potenziale dieses Settings noch nicht abschließend definiert. Die (Neu-)formulierung von pflegerischen Aufgaben im Rahmen der Prävention und Rehabilitation können dazu beitragen, das pflegerische Profil im ← 13 | 14 → Sinne der Professionalisierung zu schärfen. Für die Patient_innen bietet die Fokussierung auf deren individuelle und subjektive Perspektive die Möglichkeit einer partizipativen Teilnahme, denn sie werden in einem interaktiven Diagnoseprozess miteinbezogen, der es ermöglicht, den Unterstützungsbedarf im Hinblick auf die Alltagsbewältigung zu planen. Und nicht zuletzt kann die Förderung der Selbstverstehensprozesse die autonomen Entscheidungen hinsichtlich der Lebensführung der kardiologischen Patient_innen stärken.

Die Hauptausgangsfragestellung der Promotionsarbeit kann folgendermaßen formuliert werden: Wie lassen sich die komplexen individuellen Probleme und Ressourcen im pflegerischen Setting der stationären kardiologischen Rehabilitation im Rahmen einer pflegerischen Anamnese und Diagnostik methodisch erfassen? Damit im Zusammenhang steht die Hypothese, dass durch eine narrative Anamnese und biographische1 Diagnostik komplexe und individuelle Probleme und Ressourcen in Erfahrung gebracht werden können, und sich die Pflegenden damit zielgerichteter an den Nutzer_innen des Gesundheitssystems orientieren können. Die vorliegende Arbeit ist auf der Mikroebene der Nutzer_innenorientierung angesiedelt. Dennoch müssen die auf der Meso- und Makroebene zugeordneten Fragen in Hinsicht auf die sich der Konzeptentwicklung anschließende Implementierung, etwa zu den institutionellen und interdisziplinären Voraussetzungen oder Qualifizierungsaspekten, ebenfalls reflektiert werden. Weitere Fragen, wie die Auswirkung der narrativen Anamnese und biographischen Diagnostik auf die pflegerische Interaktion, können nur ansatzweise antizipiert und müssen dezidiert in einem gesonderten Evaluationsprojekt beantwortet werden.

Ziel und Relevanz der Promotionsarbeit ist die konzeptionelle Entwicklung einer narrativen Anamnese und biographischen Diagnostik im Handlungsfeld der stationären kardiologischen Rehabilitation. Die methodologische Hauptorientierung ist der Biographieforschung entlehnt, welche sich an einem interpretativen und qualitativen Paradigma orientiert. Eine der zentralen Annahmen ist, dass sich gesellschaftliche Tatsachen nur über die Sinn- und Bedeutungszuschreibungen der individuell Handelnden erschließen lassen (Marotzki 2007, 175f). Es findet dabei eine Orientierung an der Biographie eines Menschen und seines „lebensgeschichtlichen Gewordenseins“ statt. In der Analyse der Biographie werden die Wechselwirkungen untersucht, denen Biographien ← 14 | 15 → aufgrund gesellschaftlicher und sozialer Gegebenheiten, Institutionen etc. ausgesetzt sind und inwiefern diese von den Biograph_innen in ihrer Lebensgeschichte aktiv genutzt und gestaltet werden (Hanses, Richter 2009, 63–82). Methodisch erfolgt die Einbeziehung des narrativen Interviews nach Schütze (1984), der Auswertung nach Rosenthal (2011) und Schütze (1983), der diagnostischen Verfahren von Hanses (2000) und der Dialogischen Biographiearbeit nach Köttig und Rätz-Heinisch (2005). Da rekonstruktive Analysen in der Praxis sehr zeitaufwändig sind, müssen diese im Rahmen des Promotionsprojekts für die pflegerische Handlungspraxis modifiziert werden. Nach einer anfänglichen theoretischen Konzeption und Anpassung des narrativen Interviews und der biographischen Diagnostik an die spezifischen Erfordernisse der pflegerischen Anamnese und des Settings der stationären kardiologischen Rehabilitation wurde das Konzept praktisch erprobt und im Anschluss weitere Schlussfolgerungen für die Konzeptentwicklung gezogen. Mit dieser Arbeit soll eine Anamnese in Form eines offenen, narrativen Gesprächs konzipiert werden, welche dazu beitragen soll, im Rahmen der Diagnostik die subjektive und biographische Bedeutung von Krankheit und Gesundheit als auch individuelle Erfahrungen zu erfassen und darauf aufbauend unter Einbezug individueller, objektiver und kontextueller Faktoren eine optimierte pflegerische Planung und Intervention zu entwickeln.

Mit einer solchen Form der pflegerischen Anamnese und Diagnostik sind vielfältige positive Effekte assoziiert. Aufseiten der Pflegenden sollen durch einen Perspektivenwechsel Verstehens- und Reflexionsprozesse generiert werden, welche dazu befähigen, den Patient_innen unterstützend zu helfen, autonome Entscheidungen zu treffen. Durch eine individuelle Planung der Maßnahmen können Veränderungen des Lebensstils angeregt und ggf. zukünftige Re-Infarkte vermieden werden. Bei den Patient_innen kann der kommunikativen Komponente in diesem Kontext eine heilsame Funktion zukommen (Rosenthal 2002, 204–227), denn schon allein der Ausdruck von Gefühlen, wie Ängste oder Unsicherheiten, kann einen positiven Beitrag zur Stabilisierung und Bewältigung leisten (Lotz 2000, 35f). Zusätzlich werden durch narrative Gespräche Selbstverstehensprozesse im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der Lebensgeschichte angeregt, welche die Motivation hinsichtlich der Veränderungsprozesse fördern können (Köttig, Rosenthal 2006, 189–221). Da die Orientierung an der Biographie der Patient_innen Einfluss auf das Nutzungshandeln hat, werden Krankheitsbewältigungsprozesse initiiert (Schaeffer 2004b, 244f). Ungleiche soziale, geschlechts- und altersspezifische Behandlung und psychosoziale Besonderheiten der kardiologischen Rehabilitation können dadurch erfasst und die Planung des Rehabilitationsverlaufs daran angepasst werden. Pflegerische Interventionen würden sich damit expliziter an den Nutzer_innen orientieren, soziale Ungleichheiten erkannt und vulnerable Gruppen ← 15 | 16 → gestärkt werden. Weitere Vorteile einer narrativen Anamnese, etwa bei der Überleitung in den häuslichen Bereich, z.B. in Form eines Schnittstellenmanagements, oder ein interdisziplinärer Nutzen, beispielsweise für die berufliche Wiedereingliederung, werden nicht ausgeschlossen. Für die an eine konzeptuelle Entwicklung anschließende Implementierung werden in dieser Arbeit erste Vorüberlegungen erstellt.

Die Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: Das Kapitel der Problemdarstellung (Kapitel I.) befasst sich mit dem Pflegeprozess (Kapitel I.1.) und der stationären kardiologischen Rehabilitation (Kapitel I.2.). Der Pflegeprozess wird in seiner Entwicklung und Bedeutung für die Pflege kritisch reflektiert und insbesondere die pflegerische Anamnese und die Pflegediagnostik analysiert (Kapitel I.1.1.- I.1.3.). Ausgehend von den vielfältigen praktischen und theoretischen Kritikpunkten der traditionellen und klassifizierenden Pflegediagnostik, unter der eine individualisierte Betrachtungsweise nur bedingt möglich ist, wird der Einbezug alternativer pflegerischer Diagnostikansätze und Ergänzungen thematisiert. Dabei wird eine phänomenologisch-hermeneutische und interaktionistische Diagnostik, welche sowohl verstärkt Ressourcen als auch psychosoziale Pflegeprobleme aufgreifen soll und der ein hermeneutischer Verstehensprozess vorausgeht, als sinnvolle Ergänzung bzw. Alternative zu der bereits bestehenden Diagnostik angesehen (Kapitel I.1.4.). Das zweite Kapitel der Problemdarstellung setzt sich mit dem Setting der kardiologischen Rehabilitation als pflegerisches Handlungsfeld auseinander. Neben der allgemeinen Definition der koronaren Herzkrankheit und den weiteren Aspekten des Krankheitsbilds, wie der Epidemiologie, Diagnostik, den Risikofaktoren, den therapeutischen Möglichkeiten etc., werden insbesondere personen- und kontextbezogene Einflüsse und Auswirkungen der chronischen Herzerkrankung dargelegt (Kapitel I.2.1.). Über Fragen der Prävention der Erkrankung hinaus wird die besondere Bedeutung der Sekundär- und Tertiärprävention und damit der Rehabilitation betont. Zusätzlich zu den allgemeinen Rahmenbedingungen, Zielen, Strukturen, Voraussetzungen und Bewertungen der kardiologischen Rehabilitation wird vor allem die Rolle der Bedeutungszuschreibung und Krankheitsbewältigung im Rehabilitationsprozess hervorgehoben (Kapitel I.2.2.). Mit Fokus auf das pflegerische Handlungsfeld erfolgt die Diskussion der Potenziale einer narrativen Anamnese und biographischen Diagnostik für die stationäre kardiologische Rehabilitation (Kapitel I.3.).

Die Inhalte der Problemdarstellung fließen als praktische Anforderung in die Konzeptentwicklung ein. Das methodische Vorgehen der Konzeptentwicklung orientiert sich im Wesentlichen an der Aktionsforschung (Hart, Bond 2001). Die ← 16 | 17 → vielen Varianten der Aktionsforschung zielen auf eine Forschung unter Einbezug der Praktiker_innen, welche nicht mehr als Untersuchungsobjekte angesehen werden, ab. Der Theorie-Praxis-Vermittlung wird ein besonderer Stellenwert zugeordnet und auf eine Verbesserung des Handlungsvermögens im Sinne eines „Reflective Practitioner“ (Schön 1983) abgezielt. Die überwiegend qualitativen Methoden werden in einem Verfahren der „Thick Description“2 nach Geertz (2007) angewendet. Einer der wesentlichen Gütekriterien dieser Forschungsmethode ist vor allem die Transparenz des Vorgehens und die Anschlussfähigkeit des daraus gewonnenen Wissens (Moser 2008). Das Forschungsdesign ist in Anlehnung an die drei Schritte der Aktionsforschung entwickelt worden (Rifkin 2002), wobei sich der Fokus bei der praktischen Erprobung aufgrund der erfolgten Absage der Praxispartner_innen nach anfänglicher Zusammenarbeit stärker auf die theoretische Entwicklung ausgerichtet hat. Die Konzeptentwicklung wird zu Beginn deduktiv abgeleitet und induktiv überprüft: ← 17 | 18 →

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Abb. 1: Theoretisches und empirisches Vorgehen bei der Konzeptentwicklung der narrativen Pflegeanamnese und biographischen Pflegediagnostik ← 18 | 19 →

Der erste Schritt der Aktionsforschung besteht aus einer Ist-Analyse des Handlungsfeldes. Für diesen Schritt fand in dem Promotionsvorhaben die Durchführung einer zweiwöchigen teilnehmende Beobachtung (Lüders 2007, 386) des stationären Ablaufs und des pflegerischen, aber auch interdisziplinären Aufgabenbereichs statt. Die Beobachtungen wurden im weiteren Verlauf auf die Aufnahme der Patient_innen, die Pflegeanamnese, pflegerische Gespräche und die pflegerische Übergabe fokussiert (Härder 2006, 301–303). Des Weiteren konnte die ärztliche Anamnese und die Gespräche der anderen Berufsgruppen mit den Patient_innen beobachtet werden. Alle Beobachtungsdaten sind in teilstandardisierten Feldprotokollen festgehalten worden. Der Fokus der Analyse lag auf den verbalisierten Problemen und Ressourcen der Patient_innen und den im Anschluss schriftlich fixierten bzw. mündlich überlieferten Ergebnissen des diagnostischen Prozesses. Dafür wurde zusätzlich eine Dokumentenanalyse3 notwendig. Die Erhebung von fünf narrativen Interviews (Schütze 1984) diente dazu, die spezifischen Probleme und Ressourcen von kardiologischen Rehabilitand_innen in Erfahrung zu bringen. Hieran schloss sich die Auswertung der erhobenen Daten an. Im Kapitel II. werden die methodologischen Grundlagen der Konzeptentwicklung vorgestellt. Nach der forschungsmethodologischen Verortung (Kapitel II.1.), welche eine Orientierung am qualitativen Forschungsparadigma (Kapitel II.1.1.), die Konzeptentwicklung im Rahmen der Aktionsforschung (Kapitel II.1.2.) und die methodische Vorgehensweise (Kapitel II.1.3.) beinhaltet, werden forschungsethische Fragen reflektiert (Kapitel II.2.). Das Kapitel III. umfasst die empirischen Grundlagen der Konzeptentwicklung als Ist-Analyse der stationären kardiologischen Rehabilitation. In diesem Kapitel werden zu Beginn die Feldphase und der Feldzugang zur kardiologischen stationären Rehabilitation aufgezeigt (Kapitel III.1.). Im Unterkapitel III.2. erfolgt die Abbildung der methodischen Ansätze der Datenerhebung und -auswertung der Feldphase. Mit der Darstellung der Ergebnisse der Ist-Analyse wird ein Teil der empirischen Grundlagen der konzeptuellen Entwicklung präsentiert, der sich in zwei Bereiche gliedert: Zum einen in die Ergebnisse aus den Beobachtungen in der kardiologischen Rehabilitation (Kapitel III.2.1.) und zum anderen in die Ergebnisse aus den narrativen Interviews (Kapitel III.2.3.).

Der zweite Schritt der Aktionsforschung befasst sich mit dem Planen, Handeln, Beobachten und Reflektieren als Prozess der Konzeptionsphase. In dieser Phase erfolgt die theoretisch konzeptuelle Entwicklung einer modifizierten narrativen Anamnese und Auswertung (Diagnose) in Anlehnung an die Biographieforschung. Für die theoretischen Grundlagen des Konzepts wird zu Beginn das ← 19 | 20 → Handlungsfeld der Pflege theoretisch abgesteckt (Kapitel IV.1.1.). Insbesondere findet die Herausarbeitung des Kerns pflegerischen Handelns, der Fürsorge, Fallverstehen und den Einbezug der Leiblichkeit beinhaltet (Kapitel IV.1.2.), statt. Dieser wird durch eine normative Grundlage pflegerischen Handelns in Form der Theorie der Anerkennung (Kapitel IV.1.3.) ergänzt. Als Basis für die Interaktion zwischen Patient_innen und Pflegenden wird der Begriff der Nutzer_innenorientierung diskutiert (Kapitel IV.2.). Nach der Darstellung grundlegender Aspekte und Bedingungen des Nutzungshandelns (Kapitel IV.2.1.- 2.3.) zeigt der Begriff für die Gesundheitssicherung sowohl Potenziale als auch Hindernisse auf (Kapitel IV.2.4.). Diese werden aufgegriffen, Begriffe wie Autonomie und Partizipation geschärft und auf das Handlungsfeld der Pflege bezogen. Mit diesem Rückbezug sind für das pflegerische Handlungsfeld weitere theoretische Ansätze zu integrieren und anstelle des Begriffs „Nutzer_innenorientierung“ der Begriff der „Stärkung der Nutzer_innenposition“ vorzuziehen (Kapitel IV.2.5.). Auf der Suche nach geeigneten Methoden für die Konzeptentwicklung, wird die Biographieorientierung eingeführt (Kapitel IV.3.1.). Nach den methodologischen Grundlagen der Biographieorientierung (Kapitel IV.3.2.) werden verschiedene Perspektiven des Biographischen herausgearbeitet (Kapitel IV.3.3.). Anknüpfend an die methodischen Grundlagen der Erhebung und Auswertung in der Biographieforschung (Kapitel IV.3.4.) sind vor allem die biographische Diagnostik und Dialogische Biographiearbeit (Kapitel IV.3.5.) für die Konzeptentwicklung von Bedeutung. Diese findet in unterschiedlichen Fachdisziplinen Anwendung und ist auf ihre Vor- und Nachteile für eine pflegerische Anamnese zu analysieren. Darauffolgend werden die Potenziale, aber auch Grenzen und der Anwendungsbezug der Biographieorientierung in der Pflegeforschung, -bildung und -praxis aufgegriffen und bewertet (Kapitel IV.3.6.). Im Anschluss an die theoretischen Grundlagen werden für die Entwicklung des Konzepts der narrativen Anamnese und biographischen Diagnostik anhand der praktischen und theoretischen Anforderungen an die Konzeptentwicklung die Basismethoden und das vorläufige Konzept (Kapitel V.1.) vorgestellt. Die empirischen Grundlagen des Konzepts basieren auf der Ist-Situation der kardiologischen Rehabilitation und resultieren aus drei Erprobungsphasen der Methoden: Die empirischen Ergebnisse aus der Feldphase (Kapitel III.2.), die geplante praktische Erprobungsphase im Feld der stationären kardiologischen Rehabilitation (Kapitel V.2.1.) und die Ergebnisse der Erprobung durch Student_innen innerhalb universitärer Lehrveranstaltungen (Kapitel V.2.2.). Aus den praktischen Erprobungen ergeben sich Konsequenzen für die Konzeptentwicklung im Hinblick auf die Relevanz des Konzepts, die Rahmenbedingungen, die narrative Gesprächsführung, die Diagnoseerstellung und die Qualifizierung der für das Konzept notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten. Die Ergebnis ← 20 | 21 → se führten zu einer Überarbeitung des Konzepts und mündeten in die endgültige Konzeption der narrativen Anamnese und biographischen Diagnostik (Kapitel V.3.).

In der letzten Phase der Aktionsforschung erfolgt eine theoretische Systematisierung der Ergebnisse aus der Konzeptionsphase. Zudem sind Schlussfolgerungen für Theorie und Praxis zu ziehen (Kapitel V.4.). Die narrative Anamnese wird abschließend theoretisch rückgebunden und weitergehende Überlegungen zu den Auswirkungen auf den Pflegeprozess, der pflegerischen Interaktion, den interdisziplinären Potenzialen, den institutionellen Rahmenbedingungen und den Implementierungsaspekten dargelegt: In Kapitel V.4.1. werden die Potenziale der narrativen Anamnese diskutiert und die Auswirkungen des Konzepts auf den Pflegeprozess, auf die rehabilitativen Maßnahmen und deren Nachhaltigkeit und auf die Interaktion von Pflegenden und zu Pflegenden hervorgehoben. Das Kapitel V.4.2. greift Implementationsaspekte und -vorschläge auf und erörtert institutionelle Herausforderungen, die Rolle von Pflegenden in der interdisziplinären Zusammenarbeit, die Qualifizierung der Pflegenden und den Erwerb kommunikativer Kompetenzen.

Die Dissertationsarbeit schließt mit einem Fazit ab (Kapitel VI.), in dem Forschungsdesiderate abgeleitet und Forderungen für die Praxis zusammengefasst werden. ← 21 | 22 → ← 22 | 23 →

1Anm. d. Verf.: Die Verwendung der alten grammatikalischen Schreibweise „Biographie“, anstelle der neuen grammatikalischen Schreibweise „Biografie“, wird durch den üblichen Schreibgebrauch der Forschungsrichtung begründet.

2Anm. d. Verf.: In dem Verfahren der „Thick Description“ (Dichten Beschreibung) geht es darum, ein möglichst vielfältiges Datenmaterial mit unterschiedlichen und mehrperspektivischen Methoden zu erheben und auszuwerten, um eine möglichst große Vielzahl an Informationen zu erhalten (Geertz 2007,4–7).

3Anm. d. Verf.: Kategoriengeleitete Sichtung von Anamnese-Dokumenten (Holloway, Wheeler 1997, 80f).

I.Problemdarstellung

„Daß der Mensch überhaupt erkennt, steht nicht in seinem Belieben. … Welcher dieser Erkenntnisse wir aber unsere Aufmerksamkeit besonders zuwenden, was wir zum Gegenstand unserer Frage oder gar Wissenschaft machen, das liegt auch an unserer Entscheidung.“ (Keller 1990, 60 zitiert in Schrems 2003, 13)

Details

Seiten
526
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653042146
ISBN (ePUB)
9783653987867
ISBN (MOBI)
9783653987850
ISBN (Paperback)
9783631650721
DOI
10.3726/978-3-653-04214-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Dezember)
Schlagworte
Diagnostik Pflegewissenschaft Biographieforschung Pflegeanamnese
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 526 S., 5 Tab., 3 Graf.

Biographische Angaben

Miriam Tariba Richter (Autor:in)

Miriam Tariba Richter ist Kinderkrankenschwester und Diplom-Berufspädagogin. Sie studierte Lehramt für Pflegewissenschaft und Psychologie und arbeitet als Pflegewissenschaftlerin in der Abteilung Qualifikations- und Curriculumforschung am Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP) der Universität Bremen.

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Titel: Die narrative Anamnese im Rahmen einer biographischen Diagnostik im pflegerischen Setting der kardiologischen Rehabilitation
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