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Alltags- und Fachkommunikation in der globalisierten Welt

Eine Annäherung

von Armin Burkhardt (Band-Herausgeber:in) Jin Zhao (Band-Herausgeber:in) Jianhua Zhu (Band-Herausgeber:in)
©2014 Konferenzband 350 Seiten

Zusammenfassung

Der unaufhaltsame Prozess der Globalisierung ist für die ganze Welt nicht nur eine ökonomische und ökologische, sondern auch eine kulturelle Herausforderung. Über wirtschaftliche Zusammenarbeit, internationalen Handel, wissenschaftlichen Austausch, weltweiten Tourismus, Migration und mediale Kommunikationsverbindungen, die in fast jeden Winkel der Erde reichen, greift er inzwischen in das private und berufliche Leben fast aller Menschen ein. Dieser Band enthält den Großteil der Beiträge des von der Alexander von Humboldt-Stiftung geförderten Symposiums «Alltags- und Fachkommunikation in der globalisierten Welt» (Shanghai 2010).

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort der Herausgeber
  • 1. Globalisierung und Interkulturelle Kommunikation
  • Ralf Glitza: Globalisierung – Über die Notwendigkeit interkulturell-interdisziplinärer Wissenschaften
  • Roland Harweg: Die andere Seite der Sprachenszene in der globalisierten Welt
  • Bernd Spillner: Interkulturelle Kontraste in der Alltags- und Fachkommunikation (mit chinesischen Beispielen)
  • Chonglyi Li: Interkulturelle Aspekte der Alltagskommunikation
  • Zhiqiang Wang: Zu chinesischen und deutschen Kulturstandardund Verhaltensunterschieden aus interkultureller Sicht
  • Jin Zhao: Selbststilisierung und Fremdwahrnehmung in einer globalisierten Welt. Analyse des deutschen Live-Kommentars zur Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2008 in Beijing
  • Teruaki Takahashi: Sensibilität gegenüber dem, was der Andere nicht sagt: Zur Tugend japanischer Kommunikationstradition auf dem Schlachtfeld der globalisierten Welt
  • 2. Literaturwissenschaftliche Studien
  • Dietmar Goltschnigg: Alexander von Humboldt und Heinrich Heine. Kommunikation in Briefen zwischen Paris und Berlin am Beginn der globalisierten Welt
  • Yu Sun: Ein Schritt nach vorn und außen – Goethes Übersetzungsansichten im Zeichen der Weltliteratur
  • David Chisholm: Erika Manns „Pfeffermühle“: Ein Kabarett im Exil
  • Zhuangying Chen: Indien – geistige Quelle von Hermann Hesse
  • Wenwei Pang: Mundglück, Kopfglück und Eintropfenzuvielglück. Zu einigen Motiven in Herta Müllers Atemschaukel
  • Andreas Wistoff: Axolotl im Universum. Plagiat und Intertextualität
  • Barbara von der Lühe: Das Nanjing-Massaker im deutschen und chinesischen Film. Kontrastive Filmanalyse im Fremdsprachenstudium in China
  • 3. Linguistik und Sprachvergleich
  • Honggang Zhang/Kaimin Shi: Fremdsprachliche Einflüsse auf die deutsche Sprache – eine deutliche Bereicherung und eine mögliche Bedrohung
  • Yong Liang: Interkulturalität der Begrifflichkeit(en)
  • Lingling Chang: Einfluss der resultativen Prädikate auf die Verbkomposita im Deutschen und im Chinesischen
  • Armin Burkhardt: G8- und andere Gipfel. Zur Sprache und kommunikativen Funktion internationaler Resolutionen
  • Qi Chen: Turn oder Wiederkehr? Zur Schrift-Bild-Kommunikation und -Interaktion beim „Iconic Turn“
  • 4. Fachkommunikation und Globalisierung
  • Jianhua Zhu: Fachstile und Fachkulturen in der globalisierten Welt
  • Ernest W. B. Hess-Lüttich: Fachtext-Netzwerke in der Gesundheitskommunikation
  • Jing Li: Streitige Verknüpfungen. Empirische Untersuchung zur Verknüpfungsmodalität in einem juristischen Fachdiskurs
  • Qisheng Liu: Herstellung gesellschaftlicher Beziehungen durch Selbstdarstellung
  • Dingxian Zhang: Führungsstil – Ein Vergleich zwischen chinesischen und deutschen Unternehmen
  • Kaifu Zhu: Der Einfluss virtueller Kommunikation auf das interkulturelle Management
  • 5. Sprachdidaktische Studien
  • Xiuli Jin: Die Bedeutung von Lehrerfortbildungen im Rahmen der Qualitätssicherung chinesisch-deutscher Studiengänge
  • Jing Dong: Integration gesprochener Sprache in den DaF-Unterricht bzw. in DaF-Lehrwerke
  • Reihenübersicht

← 6 | 7 → Vorwort der Herausgeber

Der unaufhaltsame Prozess der Globalisierung ist für die ganze Welt nicht nur eine ökonomische und ökologische, sondern auch eine kulturelle Herausforderung. Über wirtschaftliche Zusammenarbeit, internationalen Handel, wissenschaftlichen Austausch, weltweiten Tourismus, Migration und mediale Kommunikationsverbindungen, die in fast jeden Winkel der Erde reichen, greift er inzwischen in das private und berufliche Leben fast aller Menschen ein. Für eine internationale germanistische Konferenz in der Expo-Stadt Shanghai bot sich daher für das Jahr 2010 das Thema „Alltags- und Fachkommunikation in der globalisierten Welt“ beinahe von selber an. Veranstaltet wurde die Tagung, die vom 24.-27. Mai 2010 im Huiwen-Gebäude der Tongji-Universität Shanghai stattfand, vom Humboldt-Club Shanghai und der Deutschen Fakultät der Tongji-Universität, gefördert wurde sie von der Alexander von Humboldt-Stiftung, unterstützt von der Gesellschaft für deutsche Sprache. Dass die Tagung und ihr Rahmenthema reges Interesse fanden, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass 22 ausländische Teilnehmer – aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, den USA, Japan und Südkorea – anwesend waren und insgesamt 57 Humboldtianer, 41 Nachwuchswissenschaftler und 40 weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an diesem Humboldt-Kolleg teilgenommen haben.

Die Tagung umfasste zwei Fest- sowie 8 Plenarvorträge, eine Podiumsdiskussion und 4 Sektionen, in denen 46 Vorträge gehalten wurden. V.a. unter interkulturellen und kontrastiven Aspekten wurden recht unterschiedliche sprachund literaturwissenschaftliche sowie fremdund fachsprachendidaktische Themen diskutiert und beleuchtet. Aus der Vielfalt der Beiträge wurden 27 in den vorliegenden Band aufgenommen, die sich sehr unterschiedlichen – allgemeineren und spezielleren – Teilbereichen des Gesamtgegenstandes widmen. In den meisten von ihnen zeigt sich, wie spannend und hilfreich der Blick des Anderen auf das jeweils Eigene ist.

Die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes sind in 5 Kapitel gegliedert, deren Überschriften die wichtigsten Schwerpunkte der Tagung widerspiegeln. Da das Buch in deutscher Sprache in Deutschland erscheint und sich an Germanisten richtet, wurde auf englischsprachige Abstracts verzichtet. Aus demselben Grund haben wir entschieden, dass die chinesischen Namen wie die europäischen behandelt werden, d.h. dass im Inhaltsverzeichnis, im Artikelkopf und im Fließtext die Reihenfolge Vorname – Familienname gilt, während im Literaturverzeichnis schon aufgrund der Alphabetisierungsregeln der Familienname in jedem Fall zuerst genannt wird.

← 7 | 8 → Zu bedanken haben sich die Herausgeber bei der Alexander von Humboldt-Stiftung, hier insbesondere bei der damaligen Stellvertretenden Generalsekretärin Dr. Gisela Janetzke, und bei der Gesellschaft für deutsche Sprache, hier vor allem bei ihrem damaligen Vorsitzenden Prof. Dr. Rudolf Hoberg, und ihrer Geschäftsführerin, Prof. Dr. Karin Eichhoff-Cyrus, für die Förderung der Tagung, die ohne diese Unterstützung nicht hätte stattfinden können. Wir danken der gastgebenden Tongji-Universität Shanghai, hier besonders den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie der Leitung der Deutschen Fakultät, für die exzellente Organisation. Herzlicher Dank gebührt ebenfalls Dorotheé Radwe, die in Magdeburg als studentische Hilfskraft für die Endformatierung der Beiträge und die Erstellung der für den Druck benötigten PDF-Datei verantwortlich war und dabei sehr gute Arbeit geleistet hat. Wir danken auch den Autorinnen und Autoren für ihre interessanten, interkulturelles Verständnis fördernden Beiträge und für ihre Geduld.

Leider kamen den Herausgebern andere private und dienstliche Aufgaben, Probleme und Verpflichtungen immer wieder in die Quere, sodass sich die Publikation des Bandes mehrfach verzögert hat. Umso mehr freuen wir uns, der wissenschaftlichen Öffentlichkeit nun den fertigen Band vorlegen zu können, und hoffen auf dessen wohlwollende Aufnahme.

Armin Burkhardt   •   Jin Zhao   •   Jianhua Zhu

Magdeburg und Shanghai im November 2013

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Globalisierung und Interkulturelle Kommunikation← 9 | 10 →

← 10 | 11 → Globalisierung Über die Notwendigkeit interkulturell-interdisziplinärer Wissenschaften

Ralf Glitza (Bochum/Osnabrück)

Abstract

Im vorliegenden Beitrag wird der Frage nachgegangen, ob und inwiefern sich einzelwissenschaftsorientierte, medial geprägte oder landläufig wiederkehrende Charakterisierungen der Globalisierung als Fundament wissenschaftlicher Definitionen des Globalisierungsbegriffs eignen. Sowohl die Globalisierung in ihrem Reichtum an Facetten und Perspektiven als auch ihre häufig nicht klar umgrenzte begriffliche Bestimmung – so wird gezeigt – ist nur im Kontext „querdisziplinärer“ Wissenschafts- und Dialogkultur adäquat fassbar.

1. Der Begriff der Globalisierung

„Alltags- und Fachkommunikation in der globalisierten Welt“, so lautete das Rahmenthema des Humboldt-Symposions, aus dessen Beiträgen der vorliegende Band hervorgegangen ist und dessen Anliegen es war, den vielleicht „tollkühnen“ Versuch zu unternehmen, zwei den Inhalten, aber auch Methoden nach so verschiedene Fachwissenschaften wie die Germanistik und die Ökonomie thematisch zusammenzuführen: Dass die Erforschung von Kommunikation, Sprache und Verständigung einen zentralen Forschungsgegenstand der Linguistik bildet, scheint evident. Wie aber ist das vieldiskutierte Phänomen der Globalisierung unter germanistischen Gesichtspunkten zu fassen? In den folgenden Ausführungen werde ich mich einerseits dem Begriff der Globalisierung aus kritischer Distanz nähern, andererseits aus ihm die Notwendigkeit des vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) – als dessen Hochschuldidaktik-Repräsentant ich in der Volksrepublik China Wissenschaftsaustausch zu verantworten hatte – geförderten und vorangetriebenen Wissenschaftsdiskurses herleiten. So werde ich u.a. der Frage nachgehen, ob die landläufige Art und Weise, sich die Welt als globalisiert vorzustellen und als solche zu artikulieren, nicht fragwürdig und wissenschaftlich unhaltbar erscheint: Wie sinnvoll werden überhaupt Phänomene der Globalisierung im Alltag und in den Wissenschaften kommuniziert, vermittelt, rezipiert und verstanden?

Dass der Begriff der Globalisierung – das Gegenteil zu behaupten, wäre vermessen – gegenwärtig in aller Munde ist, lässt sich nicht von der Hand weisen: Weder von den Foren einer weltweiten kritischen Öffentlichkeit, noch von der Agenda politisch Verantwortlicher, noch aus wissenschaftlichen Diskursen ist der Globalisierungsbegriff fortzudenken. So ist es evident, dass viele Menschen glauben, sie lebten – so suggeriert die mediale Omnipräsenz des Begriffs ← 11 | 12 → – in einer Ära der Globalisierung. Der Philosoph Otfried Höffe (1999) setzt sich bereits 1999 mit dem sog. „Zeitalter der Globalisierung“ auseinander.

Einige Zeitgenossen setzen den Begriff der Globalisierung mit einer Zauberformel gleich, die eine Überwindung nationaler Grenzen, eine schier grenzenlose Entfaltung ökonomischer Werte und einen rasanten Austausch von Informationen, Gütern und Kapital ermögliche. Auf andere wiederum wirkt der Globalisierungsbegriff bedrohlich: Als wohl klingender Euphemismus bezeichne er nichts anderes als die weltweite Erfahrbarkeit eines rücksichtlosen Standortwettbewerbs und Konkurrenzdrucks, eines permanenten Abbaus von Arbeitsstellen, einer drastischen Infragestellung sozialer Sicherungssysteme und der Vernichtung überkommener Ordnungen und Lebensgefüge. In diesem Sinne konstatiert Bruce Stokes eine destruktive ökonomische Dimension der Globalisierung: „Sie ist eine unwiderstehliche wirtschaftliche Kraft, angetrieben durch transnationale Produktions- und Handelswerke, die die traditionellen sozialen und politischen Einheiten, nationale Märkte und möglicherweise die Regierungsfunktion des Nationalstaats zerstören.“ (2001: 19f.) Bereits 1932 betrachtet Karl Jaspers in seinem Werk,,Die geistige Situation der Zeit“ kritisch das zunehmend mit Schrecken wahrgenommene Phänomen einer technischen und ökonomischen Globalisierung unter den Zeichen und Vorzeichen seiner Zeit als einen Prozess der Aufhebung, des Anpassens, des Angleichens und des „Massendaseins“: „Als technische und wirtschaftliche scheinen alle Probleme planetarisch zu werden.“ Mit einer Vereinheitlichung des Planeten habe ein „Prozess der Nivellierung“ begonnen, der mit „Grauen“ wahrgenommen werde. (Vgl. Jaspers 1999: 74f.)

Doch eignen sich – so ist zu fragen und zu hinterfragen – einzelwissenschaftsorientierte, medial geprägte oder landläufig wiederkehrende Charakterisierungen der Globalisierung als Fundament wissenschaftlicher Definitionen des Globalisierungsbegriffs?

2. Globalisierung und Wissenschaft

2.1 Absichten und Ziele

In den folgenden Ausführungen werde ich auf mögliche Relationen des Begriffs und des Phänomens der Globalisierung im Hinblick auf eine interkulturelle Wissenschaftsdimension eingehen. Es wird die These vertreten, dass der Begriff der Globalisierung kein klar umgrenztes Phänomen beschreibt, sondern Ausdruck für Wahrnehmung von Komplexität ist, die sich einzelwissenschaftlichen Zugängen versperrt und sich grundlegend nur im Kontext „querdisziplinärer“ Wissenschafts- und Dialogkultur adäquat erfassen lässt. Des Weiteren wird ← 12 | 13 → diskutiert, welche Herausforderungen sich durch ein „Globalisierungskonstrukt“ für ein interkulturelles Verstehen aus germanistischer Perspektive stellen.

2.2 Pauschalisierung des Globalisierungsbegriffs

Die pauschalierende Rede von „der“ Globalisierung suggeriert, dass Globalisierung ein homogenes Geschehen sei, welches einer spezifischen Logik folge und eigendynamisch ablaufe. Beobachtbar ist, dass in Abhängigkeit vom Sprecherfokus verschiedene Aspekte (politische, kulturelle, ökonomische, etc.) unter den einen Globalisierungsbegriff subsumiert werden. Gegenstand der Auseinandersetzungen mit „dem“ Globalisierungsbegriff sind folglich Einzelbereiche im Kontext wissenschaftlich-singulärer Codes der Wirtschaftsund Gesellschaftswissenschaften. Dass „Globalisierung“ sich jedoch zwischen verschiedenen Dimensionen und Wechselwirkungen konstituiert, wird zumeist außer Acht gelassen: Üblicherweise wird jeweils der aus der disziplinären Perspektive nahe liegende Ausschnitt als das zentrale Phänomen der Globalisierung identifiziert. Der im exkludierenden Entweder-Oder-Modus geführte Diskurs verdeckt jedoch die Frage, ob das, was kritisiert oder befürwortet wird, fundiert kommuniziert und sinnstiftend verstanden werden kann. Sowohl die Gegner als auch die Befürworter der Globalisierung unterstellen gleichermaßen die Existenz eines eindeutig fassbaren Denotats des Globalisierungsbegriffs und bestimmen diesen über seine positiven oder negativen Wirkungen auf Parametern wie „Wohlstand vs. Armut“, „sozial vs. unsozial“, „nachhaltig vs. kurzsichtig“. Je nach Modellierung der Wirkungsursache konstituieren sich die zumeist durch die Massenmedien vermittelten Bezugsoder Angriffspunkte des Globalisierungsbegriffs.

2.3 Vergegenständlichung der Welt

Bei genauer und differenzierter Betrachtung suggeriert der pauschalisierende Gebrauch des Globalisierungsbegriffs zweierlei:

a) Wir hätten einen distanzierten, omniszienten Blick auf die uns umgebende und umschließende Welt, über die wir uns quasi supranatural erheben und die wir aus der Vogelperspektive neutral und in ihren Zusammenhängen vollständig betrachten könnten.

b) Wir lebten in einer als solche vollständig erfassbaren globalisierten Welt und verfügten tatsächlich über sie.

Beide Suggestionen sind problematisch:

← 13 | 14 → a) Das, worauf sich Globalisierung bezieht, wird objektiviert, zum objektiv wahrnehmbaren Gegenstand, der unabhängig vom subjektiven Dafürhalten erfasst und beschrieben werden kann, gemacht. Die Bedingtheit, Situierheit und Subjektivität des eigenen empirischen Fassens und kognitiven Erfassens wird intuitiv und unreflektiert negiert.

b) Wir distanzieren uns von der scheinbar eindeutig beschreibbaren, charakterisierbaren, vereinheitlichbaren und vergegenständlichbaren Welt, indem wir gleichsam frei wie ein Vogel über ihr schweben und sie aus metaphysischer Distanz beobachten, sie normieren und evaluieren.

c) Wir denken und verstehen Globalisierung, wie wir sprechen und Sprache gestalten, nämlich im Singular: Es gibt scheinbar für uns EINE und NUR EINE eindeutig erkennbare Welt. So bestätigen wir indirekt – unabhängig davon, ob bewusst oder unbewusst – Wilhelm von Humboldts transzendentalphilosophisch fundierbare Organon-These, derzufolge Sprache als „das bildende Organ des Gedanken“ (1968: 151) aufzufassen sei, aber auch die Sapir-Whorf-Hypothese (vgl. Whorf 2008), dass die Sprache das Weltbild bestimme, dass Sprache und Denken deckungsgleich oder gar identisch seien, wie die Vertreter des „Linguistic turn“ der 50er Jahre geglaubt hatten.

Die vereinheitlichende Vergegenständlichung der Welt verliert unmittelbar unter der Voraussetzung an Plausibilität, dass die Welt nachgezeichneter Migrationsbewegungen eine andere ist als die der Visualisierung von Religionszugehörigkeiten nach geographischen Parametern und Einheiten. Die aufgrund von Kapital- und Informationsströmen rekonstruierte und aufgrund von sprachlichen Vereinheitlichungen konstruierte Welt unterscheidet sich deutlich von einer auf Lebenserwartungen basierenden Welt. Das Nebeneinander verschiedener Welten aufgrund unterschiedlicher Weltsichten verdeutlicht sich insbesondere im Fokus der kulturellen Welten. Trotz aller Unterschiede sind die „Welten“ aufeinander bezogen, miteinander verbunden und unabhängig voneinander nur beschränkt begreifbar: DIE EINE, in sich wirkende, erfassbare und verstehbare Welt gibt es nicht; diese ist zugleich das Produkt und das Resultat einer bloßen Abstraktion, einer sprachlichen Determination und einer selektiven Wahrnehmung. Eine einheitliche Welt ist nichts anderes als eine bloß eingebildete, durch das Globalisierungsphänomen suggerierte Vorstellung von Einheit und Vereinheitlichung, die der Realität widerspricht.

2.4 Möglichkeiten des Verstehens

Unter der Prämisse der selektiven Wahrnehmung globaler Phänomene stellt sich die Frage nach der Möglichkeit eines „rechten“ Verstehens des Begriffs der Globalisierung. Als Wissenschaft des Verstehens empfiehlt die Hermeneutik, so ← 14 | 15 → darf ich mit Gadamer supponieren, sich allen Prozessen zuzuwenden, die Verstehen ermöglichen, sich nicht nur mit Hilfe bestimmter Methoden mit schriftlichen Zeugnissen und Kunstwerken zu befassen, sondern sich allen denkbaren und erforschbaren Äußerungsformen individuellen und sozialen Handelns mit dem Ziel zuzuwenden, „einen Sinnzusammenhang aus einer anderen,Welt‘ in die eigene zu übertragen“ (1974: 1061).

Im Sinne einer so verstandenen Hermeneutik erscheint es mir zunächst notwendig, Sinnzusammenhänge zu differenzieren, um auseinanderhalten zu können, ob man über singuläre Entwicklungen und Vorgänge spricht oder über die Frage, wie man deren Zusammenspiel adäquat erfassen kann. Verstehen von Globalisierung basiert demnach auf Modi des Erfassens ihrer Gesamtzusammenhänge in allen erdenklichen Äußerungsformen.

Wie könnte ein solches Verstehen ermöglicht werden? Für eine philosophische Annäherung an den Begriff der Globalisierung ist es interessant, dass – obgleich jeder einzelne Aspekt der Globalisierung mit einer wissenschaftlichen Disziplin korreliert – bislang kaum versucht worden ist, deren Verweisungszusammenhang für eine Deutung des Globalisierungsphänomens zu erhellen. Die komplexe Phänomenologie, die durch das Schlagwort Globalisierung bezeichnet wird, lässt sich schließlich nicht hinreichend durch exklusive einzelwissenschaftliche Zugänge erfassen; vielmehr bedarf es eines dynamisch-komplementären Zugriffs in Richtung reziproker Ergänzung disziplinär-spezifischer Blickwinkel und Methodenarsenale: Aufgabe aller Wissenschaftszweige ist es, sich

a) über Globalisierungsphänomene im Spannungsfeld disziplinärer Zuspitzungen und disziplinärer Öffnungen zu verständigen,

b) methodische Hermetisierungen und Blickwinkelverengungen aufzulösen, die bereits bestehende interdisziplinäre Forschung fortzuentwickeln und

c) disziplinenintegrative Theorieansätze zu konzipieren.

Bezogen auf die Vertreter weltweiter germanistischer Einrichtungen könnte dies

a) eine verstärkte Öffnung der Germanistik zu einer interkulturellen Wissenschaft bedeuten, in der das Verstehen des Globalisierungsbegriffs nicht verhandelt oder ausgehandelt wird, sondern in welcher alle Standpunkte, Perspektiven und Einstellungen, auch die des Fremden, Bedrohlichen und Beängstigenden eingenommen werden. Dies könnte

b) eine Erforschung der Möglichkeit einer interkulturell-interdisziplinären Sprache der Empathie und

c) die Entwicklung einer interkulturellen Hermeneutik bedeuten, die eine Stellung zwischen „Fremdheit und Vertrautheit“ einnimmt, die nicht abgrenzt, sondern Verstehensprozesse als Wesen einer interkulturell-interdisziplinären ← 15 | 16 → Sprachwissenschaft vorantreibt. So könnte beispielsweise ein „querdisziplinäres“ Wörterbuch über die Sprache der Globalisierungsphänomene entwickelt werden.1

Eine weitere Aufgabe bestünde in der intensiven Erforschung des Anderen, des Andersartigen und des Beängstigenden in der Sprache der Wissenschaften und der Medien, in der Begründung einer interkulturellen Alteritäts- und Xenologieforschung hinsichtlich diverser Globalisierungsproblematiken und im Vergleich von Begriffen der zahlreichen Globalisierungsphänomene vor dem Hintergrund kultureller Differenzen. Zu denken wäre in diesem Zusammenhang an die Eruierung von Globalisierung prägenden Begriffspaaren wie „Individualismus und Kollektivismus“, „Demokratie und Hierarchie“, „High Context und Low Context“ etc. Ziel einer sich diesen Aufgaben stellenden, interkulturellinterdisziplinär ausgerichteten Germanistik wäre eine Annäherung an einen Globalisierungsbegriff, der über eine bloße Summenbildung einzelwissenschaftlicher Forschungsergebnisse hinausgeht. Schließlich könnte der Begriff der Globalisierung trotz aller negativen politischen und ökonomischen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte dann ein umfassendes Verständnis für die Tragweite seines Denotats ermöglichen, das Hans-Olaf Henkel (2002) mit der Aufklärung vergleicht:

Für mich ist die Globalisierung nach der Aufklärung und der Erklärung der Menschenrechte die größte gute Nachricht für die Menschheit überhaupt. Globalisierung bedeutet ja nicht nur, dass Waren, Güter und Dienstleistungen um die Welt gehen. Sie beinhaltet vielmehr einen Austausch der besten Ideen. (Ebd.)

In diesem Sinne schafft Globalisierung – darauf ist abschließend hinzuweisen Kommunikation durch ein umfängliches Reservoir an Themen und Perspektiven. Sie ermöglicht Kontroversen und Vergleiche und bietet die Möglichkeit, Welt-, Wissenschafts- und Kulturentwürfe kritisch in den Blick zu nehmen und produktiv zu verarbeiten.

Details

Seiten
350
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653043686
ISBN (ePUB)
9783653992014
ISBN (MOBI)
9783653992007
ISBN (Hardcover)
9783631647349
DOI
10.3726/978-3-653-04368-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Mai)
Schlagworte
Interkulturelle Kommunikation Fachsprache Alltagskommunikation deutsch-chinesischer Sprachvergleich China
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 350 S., 2 farb. Abb., 3 s/w Abb., 8 Tab.

Biographische Angaben

Armin Burkhardt (Band-Herausgeber:in) Jin Zhao (Band-Herausgeber:in) Jianhua Zhu (Band-Herausgeber:in)

Armin Burkhardt ist Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Magdeburg und Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Sprache. Jin Zhao ist Professorin für Deutsche Sprachwissenschaft an der Tongji-Universität Shanghai und Dekanin der Deutschen Fakultät. Jianhua Zhu ist Professor für Deutsche Sprachwissenschaft an der Tongji-Universität Shanghai und Vorsitzender der Internationalen Vereinigung für Germanistik.

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