Lade Inhalt...

Profil des Online-Diskurses in Blog-Interaktionen an der Schnittstelle zwischen theoretischem Konzept und empirischem Modell

von Joanna Pędzisz (Autor:in)
©2017 Monographie 300 Seiten

Zusammenfassung

In dieser Studie wird das Modell der Blog-Interaktion-Analyse (BIAN) als das methodologische Instrumentarium erarbeitet, mit dem Profilierungsprozesse und die Konstruierung des thematischen und Interaktionsprofils im Kommunikationsgefüge Blog–Interaktion untersucht werden können. Dank der Behandlung der Ansätze aus dem Bereich der Text-, Diskurs-, Medienlinguistik und des Kognitivismus entsteht ein Spektrum von Kategorien, die in das BIAN-Modell einbezogen werden und die Spezifik der Profilierungs- und Konzeptualisierungsprozesse in Blog-Interaktionen in einem Online-Diskurs text- und diskurslinguistisch ausgerichtet erfassen. Infolgedessen wird das Integrationspotential der schon etablierten Phänomene wie Interaktion, Thema, Text, Blog, (Online)-Diskurs, Diskursteilnehmer nachgewiesen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Danksagung
  • 1. Einleitende Bemerkungen zum Forschungsprojekt
  • 1.1 Gedankliche Anstöße zur Zielsetzung
  • 1.2 Zielsetzung
  • 2. Blog im Web 2.0
  • 2.1 Vernetzung und Partizipation: Zur Spezifik der Web 2.0-Anwendungen
  • 2.2 Von Interaktivität zur Multimodalität im Web 2.0
  • 2.2.1 Interaktivität im Web 2.0
  • 2.2.2 Intermedialität im Web 2.0
  • 2.2.3 Multimodalität im Web 2.0
  • 2.2.4 Textbegriff in der Multimodalitätsforschung
  • 2.3 Multimodale Texte in der Blog-Interaktion
  • 2.3.1 Blog (B)
  • 2.3.1.1 BLOGGEN als multimodales Handeln
  • 2.3.1.2 Zur Struktur und Funktion der Zeichenmodi im Blog (B)
  • 2.3.2 Kommentar zum Blog (KzB) und Kommentar zum Kommentar (KzK)
  • 2.3.2.1 Handlungstypen von BLOG- und KOMMENTAR-KOMMENTIEREN
  • 2.3.2.2 Zur Struktur und Funktion der Zeichenmodi im Kommentar zum Blog (KzB) und zum Kommentar (KzK)
  • 2.4 Fazit: Multimodales Handeln in der Blog-Interaktion
  • 3. Zum Wesen des Kommunikationsgefüges Blog-Interaktion
  • 3.1 Linguistische Diskursmerkmale der Blog-Interaktion
  • 3.2 Zur Dynamik der Blog-Interaktion
  • 3.2.1 Beispielanalyse A: Wechselbezüge in der Blog-Interaktion
  • 3.2.2 Beispielanalyse B: Aufmerksamkeitsfokus in der Blog-Interaktion
  • 3.2.2.1 Einzelthemen der Blog-Interaktion
  • 3.2.2.2 Thema-Rhema-Strukturen in Kommentaren der Blog-Interaktionsteilnehmer
  • 3.2.2.3 Gesamtkonstellation und Unterkonstellationen in der Blog-Interaktion
  • 3.2.2.4 Thematische Bezeichnungsstabilität in der Blog-Interaktion
  • 3.2.2.5 Intertextuelle thematische Kohärenz der Blog-Interaktion
  • 3.2.3 Beispielanalyse C: Status der Blog-Interaktionsteilnehmer
  • 3.3 Fazit: Blog-Interaktion als Kommunikationsgefüge
  • 4. Profilierung des Online-Diskurses in der Blog-Interaktion
  • 4.1 Kognitive Diskursanalyse im Überblick
  • 4.2 Frame und Framing als kognitionslinguistische Kategorien in Online-Diskursen
  • 4.3 Framing und Profilierung in Online-Diskursen: zwischen Theorie und methodischem Verfahren
  • 4.3.1 Framing
  • 4.3.2 Profilierung
  • 4.4 Blog-Interaktion aus kognitionslinguistischer Sicht
  • 5. Profile der Blog-Interaktionen
  • 5.1 Thematisches Profil der Blog-Interaktionen
  • 5.2 Thematisches Profil der Blog-Interaktionen: Modell der Analyse
  • 5.3 Interaktionsprofil der Blog-Interaktionen
  • 5.3.1 Interaktionsprofil aus kognitionslinguistischer und handlungsorientierter Sicht
  • 5.3.2 Interaktionsprofil der Blog-Interaktionen: Praxis der Analyse
  • 5.3.3 Dimensionen des rollengeprägten Interaktionsprofils der Blog-Interaktionen: Praxis der Analyse
  • 5.3.4 Interaktionsprofil der Blog-Interaktionen: Modell der Analyse
  • 5.4 Blog-Interaktion-Analyse: BIAN-Modell
  • 5.5 Fazit: Von der Differenzierung zwischen Profilierung und Framing zum BIAN-Modell
  • 6. Ausschnitt des Online-Diskursstranges über Schiefergas in Deutschland. Profil
  • 6.1 Korpuserstellung
  • 6.2 Online-Diskursstrang über Schiefergas in Deutschland auf dem Prüfstand
  • 6.2.1 Thematisches Profil des Online-Diskursstranges über Schiefergas in deutschen Blog-Interaktionen
  • 6.2.2 Interaktionsprofil des Online-Diskursstranges über Schiefergas in deutschen Blog-Interaktionen
  • 7. Ausblick. BIAN: Desiderat für die Forschung
  • Literatur
  • Internetquellen
  • Links zum Analysekorpus
  • Tabellenverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis

← 8 | 9 →

Danksagung

Die vorliegende Monographie ist das Ergebnis einer 10-jährigen Auseinandersetzung mit text- und diskurslinguistischen Ansätzen und Arbeiten sowie, darüber hinaus, mit der fesselnden Wirkung der Neuen Medien, deren Charme ich spätestens erlag, als ich mich einer Blog-Community anschloss. Besonders fasziniert und herausgefordert hat mich dabei die Tatsache, dass beide Bereiche – (Online-)Diskurs und Blogs – aufeinander bezogen werden konnten, was zur Realisierung des Habilitationsprojektes führte. Ich möchte mich bei den Wegbegleitern, Vorgesetzten und Freunden bedanken, ohne die das Verfassen dieses Buches nicht möglich gewesen wäre.

Für die Möglichkeit, den wissenschaftlichen Werdegang einzuschlagen und ihn konsequent fortzusetzen, sei hier Prof. Dr. Jerzy Żmudzki recht herzlicher Dank ausgesprochen.

Prof. Dr. Margot Heinemann bin ich dankbar für ihre Differenzierung zwischen Individualität und Öffentlichkeit im Netz in der ersten Phase der konzeptionellen Arbeit an der Monographie. Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Wolfgang Heinemann für jede Menge inspirierender Fragen. Kann ein Diskurs ein Raum sein? Was genau sind „sprachliche Diskurshandlungen“? – solche und andere Hinweise blieben nicht ohne Einfluss auf den Umgang mit der Begrifflichkeit in meiner Monographie.

Angeregt durch die Gedanken von Priv.-Doz. Dr. Sven Kersten Roth bezüglich einer Blog-Interaktion entstand die Idee der Unterscheidung zwischen ihrer Mikro- und Makro-Ebene.

Prof. Dr. Sambor Grucza bin ich für die intensiven Gespräche über das Konzept der Profilierung und seinen Hinweis auf die Intentionalität und Zielorientierung der Profilierungsprozesse zu tiefem Dank verpflichtet.

Meinen Freunden Dr. Dorota Kaczmarek, Dr. habil. Waldemar Czachur und Dr. habil. Roman Opiłowski bedanke ich mich herzlichst für die wissenschaftliche Beratung an einem gewissen warmen Sommertag 2014 in Warschau. Das damalige Treffen gab mir den Mut, mit dem Verfassen der Habilitationsschrift zu beginnen. Im Laufe der Gespräche wurde der Aspekt der Anschlussfähigkeit von Blog-Interaktionsteilnehmern als Kompetenz von Dr. Dorota Kaczmarek angesprochen, wofür ich ihr dankbar bin. Zugleich wünsche ich ihr viel Erfolg und Geduld beim Feilen an ihrem eigenen Habilitationsprojekt. ← 9 | 10 →

Mein besonderer Dank richtet sich an Prof. Dr. Zofia Bilut-Homplewicz, Prof. Dr. Sambor Grucza und Dr. habil. Waldemar Czachur für die konstruktiven Verbesserungsvorschläge, ohne die ich das Konzept meiner Monographie nicht kritisch hinterfragt hätte.

Ich darf Prof. Dr. Hans-Jörg Schwenk danken für seine Bereitschaft, das sprachliche und strukturelle Gewand der Habilitationsschrift sanft zu korrigieren und damit zu perfektionieren.

Prof. Dr. Ewa Żebrowska danke ich für die Begutachtung dieser Arbeit, ohne die ihre Veröffentlichung nicht möglich gewesen wäre.

Ein besonderes Dankeschön schulde ich Prof. em. Dr. Dr. h.c. Karl-Dieter Bünting und Ingeborg Bünting für ihre allseitige Unterstützung, ihre Hilfe und – ja, das auch – ihr Trostspenden in den Phasen meines Lebens, in denen ich diesen Zuspruch besonders brauchte.

An Dr. Bruno Arich-Gerz geht mein Dank für die inspirierende AG mit der Planung der Projekte für die posthabilitatorische Zeit der Planlosigkeit, und für seine hoffnungsfunkende Prophezeiung.

Thomas bin ich sehr dankbar für seine innere Beteiligung, für konsequentes Nachhaken zur Zahl der Seiten dieser Arbeit sowie das Bewusstmachen, dass sie fertig ist.

Last but not least danke ich meiner Mama. Ohne ihre Hingabe und Aufmunterung hätte ich meinen Bildungsweg nicht verwirklichen können.

← 10 | 11 →

1.   Einleitende Bemerkungen zum Forschungsprojekt

Mediatisierung benennt […] die übergreifenden, längerfristigen und diskontinuierlichen Prozesse, in denen Medienumgebungen komplexer werden und in denen, damit verschränkt, Medienaneignungen und ihre sozio-kulturellen Kontexte sich wandeln. Zum einen kommen beständig neue Medien bzw. Anwendungen hinzu und zum anderen wandeln sich die Funktionen bestehender Medien, auch mit dem zunehmenden Einsatz von digitalen und vernetzten Medien. Diese Veränderungen regen Untersuchungen über das mediale Handeln der Menschen an, das mittels Medien zunehmend räumliche, zeitliche und soziale Distanzen überwindet […]. (Fraas et al. 2013b: 8 f.)

Angesichts der verflochtenen technisch-technologischen und sozio-strukturellen Veränderungen auf der funktional-kommunikativen Ebene des menschlichen Handelns in und mit den neuen Medien steht eine konzeptionelle Vielfalt, ein facettenreiches Spektrum der Ansätze und Methoden qualitativer Forschung außer Frage. Die Bestimmung eines Forschungsgegenstandes, einer Fragestellung und eine methodische Herangehensweise gehen dagegen auf eine der Tendenzen zurück, die die Auseinandersetzung mit den vernetzten Medien, medientechnischen Innovationen und medienbedingten gesellschaftlichen Prozessen prägt, nämlich: Integration. Demzufolge wird das Integrationspotential in der vorliegenden Arbeit genutzt und zwei Phänomene, die für die hier präsentierten Ausführungen grundlegend sind – Profil und Online-Diskurs in Blog-Interaktionen –, werden in Verbindung gebracht. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass den Menschen Weblogs als ein konkretes Werkzeug des Personal Publishing (vgl. Fraas et al. 2013b: 13) zur Teilnahme am öffentlichen Online-Diskurs zur Verfügung gestellt werden, problematisiert die Frage: Wie etablieren Internetnutzer das Profil des Online-Diskurses in Blog-Interaktionen? das Verhältnis zwischen dem Profilierungsprozess und dem in Blog-Interaktionen geführten Online-Diskurs. Die Antwort auf die in der vorliegenden Arbeit fundamentale Frage ergibt sich aus den im Folgenden gesetzten Zielen, die sich an der Schnittstelle zwischen der Text-, Diskurs-, Kognitiven Linguistik und der Online-Diskursanalyse positionieren. Die Realisierung der Ziele gilt dagegen als Plädoyer für den Einbezug des kognitiven Phänomens der Profilierung in die Dynamik der Blog-Interaktionen.

1.1   Gedankliche Anstöße zur Zielsetzung

„Trotz dieser epistemologischen Übereinstimmungen ist die Diskurslinguistik alles andere als eine einheitliche Fachrichtung“ – zu diesem Schluss kommen ← 11 | 12 → Spitzmüller/ Warnke (2011: 79), die den Weg zur Entstehung von zwei diskurslinguistischen ‘Lagern’ skizzieren (vgl. ebenda: 78 f.). Alle Diskurskonzepte, die in den letzten zwei Jahrzehnten entwickelt wurden, weisen auf eine sehr große Heterogenität hin und lassen sich der epistemologisch-diskurssemantischen und der kritisch-machtanalytischen Richtung zuschreiben (vgl. ebenda: 117). Einerseits wird die Diskurssemantik als Untersuchungsgegenstand aufgegriffen, die auf der Sprach(bewusstseins)geschichtsschreibung aufbaut und auf die pragmalinguistischen und handlungstheoretischen Konzepte zurückgreift. Andererseits rückt die Kritische Diskursanalyse mit den gesellschaftskritischen Wurzeln von Critical Linguistics ins Blickfeld der Forschung (vgl. ebenda: 78). Spitzmüller/ Warnke (ebenda: 118) plädieren für die Integration der Konzepte, Theorien und methodologischer Verfahren aus diesen zwei Lagern in eine Diskurslinguistik, ohne jedoch eine ‘stromlinienförmige’ Disziplin zu etablieren. Dementsprechend betonen sie das Wesen der Diskurslinguistik als offenen Programms, in dem ein produktives Potenzial für weitere Analysen steckt (vgl. ebenda: 4). Dem Integrationsanspruch wird in der vorliegenden Arbeit nachgegangen. Von daher wird das hier erörterte theoretische und methodologische Konzept der Diskursanalyse auf die Traditionen diskurslinguistischer Lager mit ihrer textlinguistischen, kognitiven und handlungstheoretischen Prägung bezogen.

Zur disziplinengeschichtlichen Verortung der Theorien und Methoden setzen Spitzmüller/ Warnke (2011) folgende Begriffe in Relationen: a) Diskurs und Wissen (vgl. ebenda: 81–97), b) Diskurs und Macht (vgl. ebenda: 97–114), c) Diskurs und Text (vgl. ebenda: 114 fff.). Damit beschreiben die Autoren das facettenreiche Forschungsfeld, auf dem das Phänomen Diskurs als übergeordnete Größe zu gelten scheint. Folglich wird sein Wesen in Bezug auf konkrete Variablen spezifiziert, nämlich Wissen, Macht und Text. Zwar visieren die vorliegenden Ausführungen es an, die Relationen zwischen diesen Begriffen auch zu eruieren, aber ihre Konstellation ist anders. Wissen, Text und Diskurs, deren Reihenfolge hier ebenfalls nicht zufällig ist und auf die demnächst eingegangen wird, werden durch die kognitive Kategorie der Profilierung integriert. Sie ist als übergeordnete Größe für diese Konstellation der Begriffe zu betrachten und sie verbindet diese, um die Mehrdimensionalität der diskursanalytischen Prozesse zu illustrieren. Auf diese Weise wird die Anschlussfähigkeit des im amerikanischen Kognitivismus verankerten und von Langacker (1987, 1999, 2009) definierten und beschriebenen Konzeptes der Profilierung mit den Ansätzen der germanistischen Text- und Diskurslinguistik nachgewiesen. Die Grundannahmen des in der vorliegenden Arbeit diskutierten Integrationsansatzes lassen sich folgendermaßen formulieren: ← 12 | 13 →

1. Profilierung als Aktivierung, Hervorhebung und Hierarchisierung eines Teils der Wissensstruktur zum Ziel der Konstruierung der Bedeutung lässt sich als feste mentale Aktivität der Menschen interpretieren.

2. Menschen sind als mit Texten Handelnde zu betrachten, deswegen findet die von ihnen vollzogene Profilierung ihre sprachliche Realisierung in Texten.

3. Thematische Textnetze werden als Diskurse aufgefasst (vgl. Fraas 2005: 84) und Menschen sind auch als Handelnde im Diskurs (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011: 136) zu betrachten. Daraus ergibt sich der Schluss, dass Menschen textübergreifend Diskurse profilieren, was zur Entstehung eines Diskursprofils bzw. Diskursprofile führt.

4. Bei der Konstituierung des Diskursprofils/ der Diskursprofile wird festgelegt, welches Wissen bei der Bedeutungskonstitution einbezogen wird und inwieweit das aktivierte Wissen komplex ist. Darüber entscheiden jedoch Menschen als Diskursteilnehmer.

Die präsentierten Hypothesen begründen zugleich die Reihenfolge der verwendeten Begriffe Wissen, Text und Diskurs. Hervorhebung verdient allerdings die Tatsache, dass die Relationen zwischen ihnen auf keinen Fall linear mit einem festgelegten Anfangs- und Endpunkt hergestellt werden. Sie zirkulieren, kursieren, greifen ineinander, resultieren auseinander oder gehen aufeinander zurück. Die vorliegende Arbeit richtet deswegen ihr Augenmerk darauf, dem Konzept der Profilierung eine ausschlaggebende Funktion zuzuschreiben, um die Verwobenheit der Dynamik des Diskurses mit den menschlichen mentalen Aktivitäten in ihrer textuellen Manifestation zu erkennen und auszulegen.

Ohne Zweifel befinden sich die klassischen Medien, insbesondere Printmedien, im Mittelpunkt des Interesses der diskursanalytischen Studien. Um nur ein paar Beispiele zu nennen, untersucht Contanze Spieß (2011) sprachlich manifestierte Weltbilder und Weltanschauungen im bioethischen Diskurs um die human-embryonale Stammzellforschung. Die mediale Berichterstattung zur Vogelgrippe im Frühjahr 2006 bildet die Grundlage für die Antwort auf die Frage, in welcher Weise die Thematisierung von Angst in diesem medialen Diskurs realisiert wird (vgl. Antos/ Radeiski 2009). Der bio-politische Diskurs in BILD im Jahre 1994 mit rund 220 aufgefundenen und analysierten Artikeln und Meldungen wird zum Forschungsgegenstand von Siegfried Jäger (2004). Angesichts der rasanten Entwicklung der neuen Technologien, dank deren neue Kommunikationsformen im, durch und dank des Internets entstehen, ist es jedoch legitim und notwendig, Online-Medien in die Diskursanalysen einzuziehen. Fraas/Pentzold (2008: 287 f.) weisen auf die kritische Einstellung dem Internet gegenüber hin. In Frage gestellt wird seine Relevanz wegen der ihm zuerkannten ← 13 | 14 → Merkmale wie Dynamik, Flexibilität, Kontextlosigkeit, Ahistorizität, Tendenzen der Individualisierung, aus denen die Fragmentierung der Gesellschaft resultiert (vgl. ebenda: 288). Nicht außer Acht dürfen jedoch solche Ereignisse, z. B. der Arabische Frühling (Arabellion), gelassen werden, in dem die Rolle der Internet-Kommunikation beträchtlich erweitert wurde.

Die Revolution hat auf der Straße stattgefunden, nicht im virtuellen Raum. Sie hat 800 Menschen das Leben gekostet", sagt der junge Blogger Abdallah aus Kairo. (…) Dennoch haben die neuen Medien bei den Umbrüchen eine entscheidende, wenn auch von Land zu Land unterschiedliche, Rolle gespielt. Facebook war anfänglich das wichtigste Medium zur Mobilisierung der Bevölkerung. Über Twitter und YouTube sendeten junge Araberinnen und Araber Informationen über Massenproteste um die Welt. Vor allem die symbiotische Vernetzung traditionellerer und neuer Medien war für die Umbrüche entscheidend. Das Zusammenspiel von TV, Internet und Mobiltelefonen veränderte die politische Kommunikation grundlegend und machte somit die Umstürze erst möglich. (Difraoui 2011)1

Auf Twitter wurde auch das Datum 11.02.2012 für einen europäischen Protesttag gegen das Anti-Filesharing-Abkommen (ACTA) weitervermittelt. Es drängt sich deswegen die Vermutung auf, dass es sich nicht mehr um das Zusammenwirken von online- und offline-Anteilen gesellschaftlicher Diskurse handelt, was Fraas (2005: 83) postuliert. Man spricht nicht mehr über den Anschluss der Internet-Kommunikation an traditionelle massenmediale Kommunikationsprozesse. Nicht mehr ist das Zusammenspiel alter und neuer Medien und die Korrespondenz der Internet-Kommunikation mit gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen zu beobachten (vgl. Fraas/ Pentzold 2008: 288 f.). Die Internet-Kommunikation mit all ihren Formen wird zum integralen Teil der gesellschaftlichen Diskursprozesse offline. Es unterliegt auch keinem Zweifel, dass „die Produktions- und Rezeptionsbedingungen von Online-Medien den Rollenwechsel zwischen Produzenten- und Rezipientenrolle unterstützen und den Zugang potentiell aller Akteure zu gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen öffnen“ (Fraas 2005: 101 f.). Die vorliegenden Ausführungen zielen dennoch darauf ab, in der Verknüpfung der Rolle der Interaktanten und Diskursakteure einen Schritt weiter zu gehen. Die Internet-Kommunikation verursacht die Hybridisierung der Online-Interaktionsprozesse und der gesellschaftlichen Diskursprozesse. Das zeigt sich am Beispiel der Blogs, in denen nicht selten aktuelle Themen aufgegriffen und weiterverbreitet werden (vgl. Schmidt 2006: 139). Die Mikro-Ebene (vgl. Fraas/ Pentzold 2008: 296) der Blog-Interaktion greift in die Makro-Ebene (vgl. ebenda) ← 14 | 15 → des Offline- und Online-Diskurses und umgekehrt. Zugleich besteht zwischen ihnen ein symmetrisches Verhältnis, weil nicht selten „Inhalte aus der Blogosphäre in den massenmedialen Diskurs eingespeist werden“ (Fraas/ Pentzold 2008: 290). Es muss jedoch betont werden, dass Blogosphäre als kein feststehender Begriff betrachtet wird2 und als die Gesamtheit von Weblogs und den kommunikativen und sozialen Verbindungen zwischen Weblog-Betreibern und -Nutzern gilt (vgl. Voßkamp 2007: 65). Sie wird auch als Kommunikationsgeflecht3, Marketingfaktor4, Blogmos5 oder „ein ganz eigenes Universum, in dem Blogs und Blogger miteinander verbunden sind“6, bezeichnet. Damit wird zweifellos die Vernetzung der Blogger, der Kommentatoren und die Verlinkung einzelner Blogeinträge hervorgehoben, weil dadurch sich Leser „innerhalb eines Themas von Blogger zu Blogger oder von Beitrag zu Beitrag bewegen“7 und miteinander kommunizieren können. Angesichts dessen sollten der Blogosphäre definitorische Konturen gegeben werden, dank deren der Begriff in den hier präsentierten Ausführungen bestimmt wird. Demzufolge beruhen die weiterführenden Überlegungen auf der Grundannahme, dass Blogosphäre zum Kommunikationsbereich, d.h. zum gesellschaftlichen Bereich wird, in dem nach konkreten Handlungsnormen und Konventionen gehandelt wird und der auch ein situativ und sozial definiertes Ensamble von Textsorten ausmacht (vgl. Brinker et al. 2000: XIX f.). Der Kommunikationsbereich Blogosphäre bildet eine Gesamtheit der Kommunikationsgefüge Blog-Interaktionen, in denen Blog-Autoren und Kommentierende mit Blogs und Kommentaren handeln und damit den Online-Diskurs gestalten. Demnach wird auch in der vorliegenden Arbeit zum einen die Differenzierung zwischen der Mikro-Ebene der Diskursrealisation in Blog-Interaktionen und der Makro-Ebene der Diskursrealisation in Online-Medien in Betracht gezogen. Zum anderen wird in den hier präsentierten Ausführungen die Tatsache berücksichtigt, dass sich Mikro- und Makro-Ebene gegenseitig bedingen und ineinander greifen, was nicht ohne Einfluss auf den Profilierungsprozess des Online-Diskurses bleibt. ← 15 | 16 →

1.2   Zielsetzung

Die gesellschaftlichen Prozesse vollziehen sich zur Zeit im Kontext vieler Diskurse, die von, in und durch Diskursgemeinschaften (re)aktiviert werden. Wie wird demnach auf den Diskursstrang über Schiefergas in Blog-Interaktionen eingegangen? Inwieweit hat man mit dem Transfer der Inhalte dieses Diskurses zu tun? Agiert die Blog-Community wie eine Diskursgemeinschaft? In welcher Relation stehen die Mikro- und Makro-Ebene des Diskursstranges über Schiefergas in Blog-Interaktionen?

Im Anschluss an diese Fragestellung lässt sich der Schwerpunkt der in der vorliegenden Arbeit präsentierten Analysen charakterisieren. Infolgedessen wird die Kennzeichnung des kognitiven Konzeptes der Profilierung als Strategie im Online-Diskursstrang über Schiefergas in Blog-Interaktionen in den Blick genommen. Um das übergeordnete Ziel zu verwirklichen, treten subsidiäre Ziele in den Vordergrund. Im Folgenden werden sie genannt und in der Forschungslandschaft der vorliegenden Ausführungen verortet.

1. Spezifizierung der Diskursivität der Handlungen von Diskursteilnehmern in Blog-Interaktionen im Online-Diskursstrang über Schiefergas.

a. Wie ist die Diskursivität der Handlungen der Blog-Interaktionsteilnehmer zu erkennen?

b. Was macht die Diskursivität der Handlungen der Blog-Interaktionsteilnehmer aus?

c. Zu welchem Zweck prägen Blog-Interaktionsteilnehmer ihre Handlungen diskursiv?

Blogosphäre als dynamischer Kommunikationsbereich wird in den Mittelpunkt des Interesses gestellt. In dem Bereich wird das Kommunikationsgefüge Blog-Interaktion (BI) ins Visier gefasst. Es besteht aus einem Blog (B), einem Blog-Autor (BA), Blog-Kommentierenden (BK), die Kommentare zum Blog (KzB) veröffentlichen, Kommentar-Kommentierenden (KK), die KzB kommentieren, und aus Interaktionsprozessen, die sich zwischen BA, BK und KK entwickeln und über die Dynamik dieses Gefüges entscheiden. Hervorhebung verdient die Tatsache, dass BA mittels eines Blogs und seiner Kommentarfunktion den anderen Internetnutzern die Möglichkeit zur Reaktion gibt. Deswegen ist es legitim zu eruieren, inwieweit Internetnutzer mit ihren Kommentaren responsiv sind. Wie handeln sie formal-organisatorisch? Hat man mit der inhaltlich kohärenten Weiterführung einer Blog-Interaktion zu tun? Wie beziehen sich Blog-Interaktionsteilnehmer (BIT) auf den Inhalt des Blogs und der Kommentare? Der unterschiedliche Grad der Responsivität hat zur Folge, dass die Blog-Interaktionsteilnehmer die Grenze ← 16 | 17 → der fokussierten Interaktion (Goffman 1964, 1979 in Auer 1999: 157) überschreiten. Mehrmals wird dann ein Aufmerksamkeitsfokus innerhalb „einer untergeordneten Seitenkommunikation“ (Auer 1999: 161) hergestellt. Im Diskurs, in dem die Grenze der Interaktion überschritten wird, der „eine transtextuelle Struktur“ (Spitzmüller/Warnke 2011: 188) hat, „ein Gesellschaftsgespräch, gebunden an Diskursräume“ (Wichter 2003: 68) ist und als „offene Menge thematisch zusammengehöriger und aufeinander bezogener Texte“ (Adamzik 2001: 315) gilt, wird der bearbeitete Aufmerksamkeitsfokus als Bearbeitung entweder eines neuen Themas des Diskursstranges (vgl. Jäger 2004: 160) oder sogar eines neuen Diskursstranges interpretiert. Dementsprechend werden Blog-Interaktionsteilnehmer (BIT) zu Diskurteilnehmern, die nicht selten konträre Standpunkte und Sichtweisen auf die Wirklichkeit im Rahmen der diskursiven Praxis und mittels ihrer Handlungen manifestieren.

Details

Seiten
300
Jahr
2017
ISBN (ePUB)
9783631705391
ISBN (PDF)
9783653068238
ISBN (MOBI)
9783631705407
ISBN (Hardcover)
9783631672587
DOI
10.3726/978-3-653-06823-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Dezember)
Schlagworte
BLOGGEN BLOG-KOMMENTIEREN Profilierung Kommunikationsgefüge BIAN-Modell diskursiv
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 300 S., 18 Abb., 9 Tab.

Biographische Angaben

Joanna Pędzisz (Autor:in)

Joanna Pędzisz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik und Angewandte Linguistik der Maria-Curie-Skłodowska-Universität zu Lublin (Polen). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Text- und Diskurslinguistik, Gesprächsanalyse, Didaktik und Methodik des DaF-Unterrichts und Didaktik des Simultandolmetschens.

Zurück

Titel: Profil des Online-Diskurses in Blog-Interaktionen an der Schnittstelle zwischen theoretischem Konzept und empirischem Modell
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
302 Seiten