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Theologie und Praxis des Petrusamtes bei Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.

Zum Primat des Bischofs von Rom im Denken und Handeln des Theologen auf dem Papstthron

von Rafał Biniek (Autor:in)
©2017 Dissertation 402 Seiten

Zusammenfassung

Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. hat als Theologe in zahlreichen Veröffentlichungen zur katholischen Lehre des Petrusamtes sehr viel beigetragen und war als Papst Inhaber des Primats. Er ist auch der erste Petrusnachfolger in der Neuzeit, der zurücktrat. Die Studie zeigt, wie Ratzinger das Petrusamt versteht und als Benedikt XVI. ausübte. Das Ergebnis der Untersuchung zeichnet ein ganzheitliches Bild der Theologie und Praxis des Petrusdienstes anhand des Werkes des großen Theologen auf dem Papstthron. Das Buch trägt dazu bei, seine Auffassung des Primats besser kennenzulernen und gibt neue Impulse für die weitere theologische und ökumenische Diskussion zu diesem Thema.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • 1. Die Ekklesiologie Joseph Ratzingers
  • 1.1 Der Ursprung der Kirche
  • 1.1.1 Der Kreis der Zwölf
  • 1.1.2 Das Letzte Abendmahl
  • 1.1.3 Das Pfingstereignis
  • 1.2 Das Wesen der Kirche
  • 1.2.1 Die Kirche als „ἐκκλησία“
  • 1.2.2 Die Kirche als „Volk Gottes vom Leib Christi her“
  • 1.2.3 Die Kirche als „Kommunion“
  • 1.2.4 Die Kirche als „Heilssakrament“
  • 1.3 Die Verfassung der Kirche
  • 1.3.1 Die Gesamtkirche und die Ortskirche
  • 1.3.2 Die zentrale Rolle des Bischofsamtes
  • 2. Die biblischen Quellen des Primats
  • 2.1 Die Stellung des Apostels Petrus im Neuen Testament
  • 2.1.1 Die paulinischen Schriften
  • 2.1.1.1 Petrus – Erstzeuge der Auferstehung Jesu (1 Kor 15,3–7)
  • 2.1.1.2 Das Petruszeugnis des Galaterbriefes
  • 2.1.2 Die johanneischen Schriften
  • 2.1.3 Die synoptischen Schriften
  • 2.1.3.1 Die Dreiergruppe innerhalb der Zwölf
  • 2.1.3.2 Die Stellung Petri in den Jüngerlisten
  • 2.1.3.3 Der neue Name: Petrus – der Fels
  • 2.2 Die Auslegung des klassischen Primatstextes: Mt 16,17–19
  • 2.2.1 Exegetische Probleme und Diskussionen
  • 2.2.2 Der literarische Kontext
  • 2.2.2.1 Das Christusbekenntnis des Petrus
  • 2.2.2.2 Der Dialog zwischen Jesus und Petrus nach der ersten Ankündigung Jesu von Leiden und Auferstehung
  • 2.2.3 Der Inhalt
  • 2.2.3.1 Die Funktion des Felsens
  • 2.2.3.2 Die Schlüsselgewalt
  • 2.2.3.3 Die Binde- und Lösegewalt
  • 2.2.4 Die Bedeutung der Stelle Mt 16,17–19 für die Primatsfrage
  • 2.3 Die Entwicklung des kirchlichen Amtes im Neuen Testament
  • 2.3.1 Das Apostelamt
  • 2.3.1.1 Der Dienst an der Universalkirche
  • 2.3.1.2 Der kollegiale Charakter
  • 2.3.1.3 Die Dreiergruppe und der Primat Petri
  • 2.3.2 Das Problem der apostolischen und petrinischen Nachfolge im Neuen Testament
  • 2.3.2.1 Verschiedene Nachfolgehypothesen
  • 2.3.2.2 Das Prinzip „Nachfolge“: die Bindung von Wort und Zeugen
  • 2.3.2.3 Andere Ämter in der werdenden Kirche und die Sukzessionsfrage
  • 3. Die geschichtliche Entwicklung des Primats
  • 3.1 Patristik
  • 3.1.1 Die Verfassung der Alten Kirche
  • 3.1.1.1 Die Ortskirchen und die Gesamtkirche: Die Funktion des Bischofs
  • 3.1.1.2 Die apostolische Sukzession
  • 3.1.1.3 Die sedes apostolicae
  • 3.1.1.4 Die Sonderstellung Roms
  • 3.1.1.5 Die spätere Patriarchalverfassung
  • 3.1.2 Die Begründung des römischen Primats
  • 3.1.2.1 Rom als „Maßstab unverfälschter Tradition“
  • 3.1.2.2 Rom als Sitz der Apostel Petrus und Paulus und Ort Ihres Martyriums
  • 3.1.2.3 Die Jerusalemnachfolge der römischen Gemeinde
  • 3.1.2.4 Die Petrusnachfolge des Bischofs von Rom
  • 3.2 Mittelalter und Neuzeit
  • 3.2.1 Der Hintergrund: die Situation der Kirche im Westen
  • 3.2.2 Die Entstehung und theologische Begründung des päpstlichen Universalprimats
  • 3.2.2.1 Die Einbeziehung der einzelnen Ortskirchen des Westens in die Ortskirche von Rom
  • 3.2.2.2 Die Bedeutung des Bettelordensstreites in Bezug auf die Entwicklung der Lehre vom päpstlichen Universalprimat
  • 3.2.3 Drei ekklesiologische Richtungen des Spätmittelalters und der Neuzeit im Hinblick auf das kirchenleitende Amt
  • 3.2.3.1 Die Papsttheorie (Papalismus)
  • 3.2.3.2 Die gesamtkirchliche Position (Konziliarismus bzw. Episkopalismus)
  • 3.2.3.3 Die Mittelposition (Via Media)
  • 3.3 Das Erste Vatikanische Konzil
  • 3.3.1 Die Aussagen der Dogmatischen Konstitution „Pastor aeternus“ über Primat und Episkopat
  • 3.3.1.1 Der Jurisdiktionsprimat
  • 3.3.1.2 Die Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes
  • 3.3.2 Ratzingers Auslegung der Konzilslehre
  • 3.3.2.1 Die Zusammenfassung der Konstitution „Pastor aeternus“
  • 3.3.2.2 Das Kontinuitätsprinzip als Grundlage der rechten Hermeneutik konziliar-lehramtlicher Texte
  • 3.3.2.3 Die „Collectiv-Erklärung des Deutschen Episkopates…“ (1875) als Kommentar zum Vaticanum I
  • 3.3.2.4 Die Dialektik „Primat-Episkopat“
  • 3.4 Das Zweite Vatikanische Konzil
  • 3.4.1 Die Beteiligung Joseph Ratzingers am Konzil
  • 3.4.2 Die Aussagen der Konstitution „Lumen gentium“ über Episkopat und Primat
  • 3.4.2.1 Die Entstehung des Apostelkollegiums
  • 3.4.2.2 Die Weiterführung des Apostelkollegiums im Bischofskollegium
  • 3.4.2.3 Das Wesen des Bischofskollegiums
  • 3.4.2.4 Das letztverbindliche Lehramt des Bischofskollegiums
  • 3.4.3 Ratzingers Auslegung der Konzilslehre
  • 3.4.3.1 „Communio“ als Grundbegriff der Ekklesiologie des Konzils
  • 3.4.3.2 Die Wiederentdeckung der bischöflichen Kollegialität als Ergänzung der Primatslehre des Ersten Vatikanischen Konzils
  • 4. Wesen und Ausübung des Primats
  • 4.1 Die dreigliedrige Gestalt des päpstlichen Amtes
  • 4.1.1 Der Bischof von Rom
  • 4.1.2 Der Patriarch der lateinischen Kirche
  • 4.1.3 Der Primat über die ganze Kirche
  • 4.2 Der Dienst an der Einheit und am Glauben der Kirche
  • 4.2.1 Die Verantwortung für die wahre Kommunion
  • 4.2.2 Die Unfehlbarkeit bzw. Letztverbindlichkeit des päpstlichen Lehramtes
  • 4.3 Das Verhältnis zwischen Primat und Kollegialität der Bischöfe
  • 4.3.1 Successio episcopalis und successio papalis
  • 4.3.2 Die theologischen Grundlagen der Kollegialität und des Primats
  • 4.3.2.1 Die „Wir-Struktur des Glaubens“ als der innere Grund der Kollegialität
  • 4.3.2.2 Die persönliche Verantwortung des Glaubens als die theologische Grundlage der Primatslehre
  • 4.3.2.3 Das Zueinander von Primat und Episkopat
  • 4.3.3 Die Formen der Kollegialität in der Alten Kirche
  • 4.3.3.1 Die Briefe der Bischöfe an andere Ortskirchen
  • 4.3.3.2 Die Synoden
  • 4.3.3.3 Die Kommunionbriefe
  • 4.3.4 Die bischöflichen Gremien als Ausdruck der Kollegialität nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil
  • 4.3.4.1 Der Bischofsrat bzw. die Synode der Bischöfe
  • 4.3.4.2 Die Bischofskonferenzen
  • 4.3.4.3 Ein Bruch zwischen dem „früheren“ und dem „späteren“ ekklesiologischen Denken Ratzingers?
  • 4.4 Der Zeugnischarakter bzw. der martyrologische Charakter des Primats
  • 4.4.1 Der geschichtliche Kontext: Kardinal Reginald Pole (1500–1558) und seine Auseinandersetzung mit den Vertretern des Anglikanismus um das Papsttum
  • 4.4.2 Das Papsttum als Ausdruck des Gegenübers von Kirche und Welt
  • 4.4.3 Das Vikariat Christi als „Vikariat des Gehorsams und des Kreuzes“
  • 5. Der ökumenische Aspekt der Primatsfrage
  • 5.1 Grundprinzipien der Ökumene
  • 5.2 Der Primat als Grundproblem des ökumenischen Dialogs
  • 5.2.1 Der Dialog mit den orthodoxen Kirchen
  • 5.2.2 Der Dialog mit den infolge der Reformation des 16. Jahrhunderts entstandenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften
  • 5.2.2.1 Der Dialog mit den evangelisch-lutherischen Kirchen
  • 5.2.2.2 Der Dialog mit den anglikanischen Kirchen
  • 5.3 Vorschläge des Theologen Ratzinger für eine Erneuerung des Petrusamtes in ökumenischer Perspektive – eine Zusammenfassung
  • 6. Die Praxis des Primatsdienstes während des Pontifikats von Benedikt XVI.
  • 6.1 Der Papst als Theologe bzw. der Theologe als Papst
  • 6.1.1 Die Verhältnisbestimmung beider Funktionen
  • 6.1.2 Die „Regensburger Vorlesung“
  • 6.1.3 Das „Jesus-Buch“
  • 6.1.4 Das Interview „Licht der Welt“
  • 6.2 Die lehramtlichen Aussagen zum Thema „Primat“ bzw. „Petrusdienst“
  • 6.3 Die kurze Vorstellung der wichtigsten Dokumente des Pontifikats
  • 6.3.1 Die Enzykliken
  • 6.3.2 Die apostolischen Schreiben
  • 6.4 Das Phänomen der Papstreisen
  • 6.5 Die Analyse der ausgewählten primatialen Entscheidungen von Benedikt XVI.
  • 6.5.1 Der Verzicht auf den Titel des Patriarchen des Abendlandes
  • 6.5.2 Das Motu Proprio „Summorum Pontificum“ (7. Juli 2007)
  • 6.5.3 Die Rücknahme der Exkommunikation von vier Bischöfen der Priesterbruderschaft St. Pius X. (Januar 2009)
  • 6.5.4 Die Apostolische Konstitution „Anglicanorum coetibus“ (9. November 2009)
  • 6.5.5 Die Reformbestimmungen im Papstwahlrecht (2007 und 2013)
  • 6.5.6 Der Amtsverzicht (28. Februar 2013)
  • Fazit
  • Literaturverzeichnis

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Einleitung

Das Institut des Primats des Bischofs von Rom als Nachfolger des Apostels Petrus gehört dem katholischen Glauben gemäß zu den wesentlichen Elementen der auf den Willen Jesu Christi zurückgehenden Verfassung der Kirche. Im Laufe der Kirchengeschichte hat sich der petrinische Primat des römischen Bischofs in Form des Papsttums entfaltet. In der neueren Forschung, die den ökumenischen Kontext der Primatsfrage berücksichtigt, wird dieses Phänomen vorzugsweise als Petrusdienst bzw. Petrusamt bezeichnet, wobei einerseits der petrinische Ursprung und der Dienstcharakter dieses Instituts unterstrichen werden und anderseits die Frage seiner konkreten Ausgestaltung offen zu bleiben scheint. Für die systematisch-wissenschaftliche Reflexion auf dieses Amt ist die Tatsache von großer Bedeutung, dass der Primat des Bischofs von Rom in seiner heutigen Gestalt von allen nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften abgelehnt wird und insofern als eines der schwerwiegendsten Probleme der Ökumene betrachtet werden muss. Diese heute anzutreffende Gestalt des Papsttums basiert auf den Beschlüssen der beiden vatikanischen Konzilien. Das Erste Vatikanische Konzil hat in der Konstitution Pastor aeternus (1870) zwei diesbezügliche Dogmen verkündet, mit denen der Jurisdiktionsprimat des Papstes und die Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes definiert wurden. Die Konstitution Lumen gentium (1964) des Zweiten Vatikanischen Konzils hat die Primatslehre des Vorgängerkonzils wiederholt und in Zusammenhang mit den Ausführungen zum Bischofsamt (Stichwort: Kollegialität) gebracht. Die nachkonziliare theologische Diskussion um den Primat des Bischofs von Rom konzentriert sich einerseits auf die Analyse des biblischen und geschichtlichen Befundes in Bezug auf den Ursprung und die Entwicklung des Petrusamtes und andererseits auf die Suche nach einer diesem Ursprung entsprechenden und ökumenisch annehmbaren Ausgestaltung dieses Amtes. In beiden Fragen geht es letztendlich um Begründung, Wesen und Inhalt des Primats des Bischofs von Rom. Diese Thematik wird im Rahmen des fundamentaltheologischen Traktats De ecclesia erörtert.

Unter den zeitgenössischen Theologen, die am meisten zum theologischen Diskurs über den päpstlichen Primat beigetragen haben, ragt zweifelsohne Joseph Ratzinger (geb. 1927)1 hervor. Er hat im Laufe seiner langjährigen ← 15 | 16 → theologischen Tätigkeit sehr viel zu diesem Thema geschrieben und dabei alle oben genannten Aspekte behandelt. Das Außergewöhnliche an seiner Primatsauffassung besteht nicht zuletzt darin, dass Ratzinger selbst am 19. April 2005 zum Papst gewählt wurde und als Benedikt XVI. acht Jahre das Petrusamt ausgeübt hat. Hinzu kommt noch sein völlig unerwarteter Amtsverzicht (2013), der die Papstgeschichte vielleicht zu verändern vermag. Aus diesen Gründen habe ich mich entschieden, mich im vorliegenden Buch mit dem Primat des Bischofs von Rom im theologischen Denken und päpstlichen Handeln von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. zu beschäftigen2.

Eine Arbeit anhand des theologischen Werkes Ratzingers zu schreiben ist ein Wagnis, zumal dieses Werk in einem Zeitraum von mehreren Jahrzehnten entstanden ist. In dieser Zeit hat sich der Kontext seiner theologischen Tätigkeit vielfach verändert, was vor allem auf sein ekklesiologisches Denken großen Einfluss ausgeübt hat. Für die Darlegung und Einschätzung dieses Werkes ist auch die Tatsache von großer Bedeutung, dass Ratzinger nicht nur im Bereich der wissenschaftlichen Theologie tätig war, sondern auch wichtige Funktionen in der Kirchenleitung wahrgenommen hat. Er war Erzbischof von München und Freising (1977–1981), Kardinal (1977–2005), Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre (1981–2005), Dekan des Kardinalskollegiums (2002–2005) und letztlich Papst (2005–2013). Dies hat ihn aber nicht daran gehindert, die theologische Tätigkeit weiterzuführen und sich immer wieder auch in den fachwissenschaftlichen Diskussionen zu Wort zu melden. An dieser Stelle entsteht die Frage, ob es überhaupt möglich ist, das theologische Werk Ratzingers als ein Ganzes zu betrachten. Dies hängt mit der Antwort auf eine andere wichtige Frage zusammen, nämlich diejenige nach der Kontinuität des theologischen Denkens Ratzingers. ← 16 | 17 → Darauf wird näher im vierten Kapitel eingegangen, im Kontext der Diskussion um Veränderungen bzw. Akzentverschiebungen in der Ratzingerschen Auffassung von bischöflichen Zwischeninstanzen zwischen Primat und Einzelbischof. Hier möchte ich eine Forschungshypothese formulieren. Ich spreche mich für die Überzeugung von einer grundsätzlichen Kontinuität im theologischen Denken Ratzingers/Benedikts XVI. im Allgemeinen und in seiner Primatstheologie im Besonderen aus. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, den Beitrag Ratzingers zur Lehre vom Primat des Bischofs von Rom zunächst als ein Ganzes zu betrachten und darzustellen. An manchen Stellen jedoch, wo mir eine Unterscheidung zwischen seinen früheren und späteren Ausführungen nötig erscheint, wird darauf mit Verweis auf das Jahr der Veröffentlichung der jeweiligen Äußerung aufmerksam gemacht.

Ratzinger hat dem Primat des Bischofs von Rom keine Monographie gewidmet. Er hat aber mehrere Aufsätze und Artikel zu diesem Thema verfasst, die zuletzt in den Bänden 8/1 und 12 der Gesammelten Schriften neu veröffentlicht wurden. Es handelt sich um den Lexikonartikel Primat, den Ratzinger 1963 für Band 8 von LThK2 verfasst hat (JRGS 8/1, 606–609), sowie folgende Beiträge: Primat, Episkopat und Successio apostolica (Erstveröffentlichung: 1959 in der Zeitschrift „Catholica“ [Münster]; 1961 bildete dieser Text zusammen mit zwei Beiträgen Karl Rahners den 11. Band der Reihe „Quaestiones disputae“ u. d. T.: „Episkopat und Primat“; JRGS 12, 212–232); Die pastoralen Implikationen der Lehre von der Kollegialität der Bischöfe (Erstveröffentlichung: 1965 in der Zeitschrift „Concilium“; 1969 aufgenommen in dem Sammelband „Das neue Volk Gottes“; JRGS 12, 233–261); Primat und Episkopat (der Text wurde am 19. Juli 1964 als Vortrag bei der Tagung des Institute of European Studies in Tübingen gehalten; Erstveröffentlichung: 1969 im Sammelband „Das neue Volk Gottes“, JRGS 8/1, 629–659); Der Primat des Papstes und die Einheit des Gottesvolkes (der Text geht zurück auf den im Oktober 1977 in Rom während des Symposiums zum Thema „Dienst an der Einheit. Zu Wesen und Auftrag des Petrusamtes“ gehaltenen Vortrag; Erstveröffentlichung: 1978 in dem von Ratzinger unter demselben Titel herausgegebenen Sammelband; 1987 aufgenommen in dem Sammelband „Kirche, Ökumene und Politik“; JRGS 8/1, 660–675); Primat Petri und Einheit der Kirche (der Text geht zurück auf den Vortrag, den Ratzinger beim Theologischen Kurs für die brasilianischen Bischöfe in Rio de Janeiro im Juli 1990 gehalten hat; Erstveröffentlichung in deutscher Sprache: 1991 im Sammelband „Zur Gemeinschaft gerufen“; JRGS 8/1, 610–628). Außerdem knüpft Ratzinger in vielen anderen Aufsätzen an die mit der Primatsfrage verbundene Problematik an, die auch in der vorliegenden Arbeit berücksichtigt werden. Zu erwähnen ← 17 | 18 → sind in diesem Kontext auch die 2002 veröffentlichten Erwägungen der Kongregation für die Glaubenslehre unter dem Titel Der Primat des Nachfolgers Petri im Geheimnis der Kirche, die von Kardinal Ratzinger als Präfekt der Kongregation unterzeichnet wurden (Erstveröffentlichung in deutscher Sprache in: Gerhard Ludwig Müller (Hg.), Der Primat des Nachfolgers Petri im Geheimnis der Kirche. Studien der Kongregation für die Glaubenslehre, Würzburg 2010). Letztlich ist darauf hinzuweisen, dass drei Promovenden von Ratzinger in ihren Dissertationen die Primatsproblematik berührt haben. Es handelt sich um folgende Arbeiten: Martin Trimpe, Macht aus Gehorsam. Grundmotive der Theologie des päpstlichen Primates im Denken Reginald Poles (1500–1558) (Regensburger Universitätsschriften), Regensburg 1972; Stephan Otto Horn, Petrou Kathedra. Der Bischof von Rom und die Synoden von Ephesus (449) und Chalcedon (KKTS 45), Paderborn 1982; Vincent Twomey, Apostolikos Thronos. The primacy of Rome as reflected in the Church history of Eusebius and the historic-apologetic writings of Saint Athanasius the Great (MBT 49), Münster 1982. Ratzinger knüpft an manchen Stellen an ihre Ergebnisse an, worauf in den Fußnoten verwiesen wird.

Über die Ekklesiologie Joseph Ratzingers wurde schon viel geschrieben. Zu den wichtigsten Monographien gehören: Thomas Weiler, Volk Gottes – Leib Christi. Die Ekklesiologie Joseph Ratzingers und ihr Einfluss auf das 2. Vatikanische Konzil, Mainz 1997; Maximilian Heim, Joseph Ratzinger – kirchliche Existenz und existentielle Theologie (BaThS 22), Frankfurt 2004; Grzegorz Jankowiak, Volk Gottes vom Leibe Christi her. Das eucharistische Kirchenbild von Joseph Ratzinger in der Perspektive der Ekklesiologie des 20. Jahrhunderts (BaThS 28), Frankfurt 2005; Matei Mihai Surd, Ekklesiologie und Ökumenismus bei Joseph Ratzinger. Einheit im Glauben – Voraussetzung der Einheit der Christenheit (Theologische Reihe 89), Sankt Ottilien 2009. In diesen Schriften gibt es auch Abschnitte, in der sich die Autoren mit der Ratzingerschen Primats- und Kollegialitätsauffassung beschäftigen. Wenn es sich aber konkret um den Primat des Bischofs von Rom im theologischen Denken Ratzingers handelt, wurde dazu bis jetzt keine Monographie verfasst. Es gibt lediglich einige kurze Aufsätze und Artikel, die diesem Thema (meistens in Bezug auf einen gewissen Aspekt) gewidmet sind. Zu nennen sind: Hermann J. Pottmeyer, Primat und bischöfliche Kollegialität in der Eucharistischen Communio – Ekklesiologie Joseph Ratzingers, in: Frank Meier- Hamidi / Ferdinand Schumacher (Hg.), Der Theologe Joseph Ratzinger (QD 222), Freiburg 2007, 100–118; Wolfgang Klausnitzer, Der Primat des Bischofs von Rom im Denken Joseph Ratzingers, in: Christian Schaller (Hg.), Kirche – Sakrament und Gemeinschaft. Zu Ekklesiologie und Ökumene bei Joseph Ratzinger (RaSt 4), Regensburg 2011, 153–201; Maximilian Heim, In der Einheit wirkt der Eine. ← 18 | 19 → Macht und Ohnmacht des Petrusamtes am Beispiel von Papst Benedikt XVI., in: Manuela C. Hastetter / Christoph Ohly (Hg.), Dienst und Einheit. Reflexionen zum petrinischen Amt in ökumenischer Perspektive, Festschrift Stephan Otto Horn, Sankt Ottilien 2014, 38–64; Kurt Koch, Die Primatstheologie von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. in ökumenischer Perspektive, in: ebd., 15–37; Josef Zöhrer, Die roten Schuhe des Papstes oder Martyria als Grundkathegorie der Theologie des Petrusamtes bei Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI., in: ebd., 65–98. Eine prägnante zusammenfassende Darstellung der Primatsproblematik im Denken Ratzingers bietet auch: Ralph Weimann, Dogma und Fortschritt bei Joseph Ratzinger. Prinzipien der Kontinuität, Paderborn 2012, 281–284. Außerdem möchte ich auch auf einen Beitrag in polnischer Sprache hinweisen: Krzysztof Góźdź, Prymat według Josepha Ratzingera, in: SNT PAN 10 (2015) 67–79. Unter diesen Texten bieten nur die Aufsätze von Wolfgang Klausnitzer und Krzysztof Góźdź eine Darlegung der Primatstheologie Ratzingers als Ganzes, wobei im Rahmen eines Sammelband- bzw. Zeitschriftartikels dies nur in zusammenfassender Form möglich ist. Die übrigen Beiträge beschränken sich nur auf gewisse Aspekte des Primatsdenkens Ratzingers. Nur Klausnitzer versucht in diesem Kontext auch das päpstliche Handeln Benedikts XVI. zu analysieren, wobei diese Analyse verständlicherweise sehr kurz ist und nur bis 2011 reicht. Insofern bildet das vorliegende Buch die erste Monographie, die sich explizit mit der Frage des Primats des Bischofs von Rom im theologischen Denken und päpstlichen Handeln von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. beschäftigt, und zwar unter Berücksichtigung aller von Ratzinger erörterten Aspekte des Problems. Diese Aspekte bilden eine Grundlage für die Struktur der Dissertation, die sich aus sechs Kapiteln zusammensetzt und im Folgenden kurz dargestellt wird.

Das erste Kapitel hat einen Einführungscharakter. Sein Ziel besteht darin, einen allgemeinen ekklesiologischen Hintergrund zu schaffen, vor dem erst die Primatstheologie Ratzingers reflektiert werden kann. Da die Primatsfrage nicht isoliert, sondern nur im Kontext der gesamten Kirchenlehre zu entfalten ist, wird in diesem Kapitel in drei Schritten die Ekklesiologie Ratzingers vorgestellt. Es wird gefragt, (1) wie er den Ursprung der Kirche erklärt, (2) was er unter dem Begriff „Kirche“ versteht und (3) welche Konsequenzen aus diesem seinen Kirchenbild für die Verfassung der Kirche zu ziehen sind, zu der nach katholischer Auffassung als wesentliches Element das Petrusamt gehört.

Das zweite Kapitel behandelt die biblischen Quellen des Primats des Bischofs von Rom. Drei Themen sollen hier erörtert werden: (1) Ratzingers Analyse der Stellung des Apostels Petrus im Ganzen der neutestamentlichen Überlieferung, (2) seine Interpretation der klassischen Primatsstelle Mt 16,17–19 samt ihrem ← 19 | 20 → literarischen Kontext und (3). seine Überlegungen über Jdie Entwicklung des kirchlichen Amtes im Neuen Testament. Das Ergebnis bildet eine meines Erachtens solide biblische Grundlage für die Begründung der Existenz des Instituts des Petrusamtes bzw. des Petrusdienstes als solchen, ohne jedoch die Frage der Petrusnachfolge befriedigend beantworten zu können.

Der nächste Aspekt, den Ratzinger in Bezug auf den Primat erörtert, ist die geschichtliche Entwicklung dieses Elements der Verfassung der Kirche. Darauf wird im dritten Kapitel eingegangen, dessen Aufbau verständlicherweise ein chronologischer ist. Erst hier wird es möglich, den Fortbestand des auf die Entscheidung des Herrn zurückgehenden Petrusdienstes im Amt des Bischofs von Rom anhand des historischen Befundes zu begründen. Um dieses Ziel zu erreichen, schenkt Ratzinger der Ekklesiologie der Alten Kirche unter besonderer Berücksichtigung der damaligen Kirchenverfassung besonders viel Aufmerksamkeit. Seine diesbezüglichen Ausführungen werden im ersten Abschnitt des dritten Kapitels dargelegt. Dem folgt eine kurze Analyse der Weiterentwicklung des römischen Primats im Mittelalter und in der Neuzeit, die wegen des relativ geringen Interesses Ratzingers an diesen Epochen der Kirchengeschichte mit einigen meiner Meinung nach wichtigen Überlegungen Klausnitzers ergänzt wird. In den Abschnitten drei und vier des dritten Kapitels werden dann die für die heutige Ausgestaltung des Petrusamtes entscheidenden Aussagen der beiden vatikanischen Konzilien zu diesem Thema sowie die in den Schriften Ratzingers anzutreffende Auslegung dieser wichtigen Texte erörtert.

Das vierte Kapitel bildet das Hauptstück des Buches. Es geht hier um eine Analyse der Auffassung Ratzingers von Wesen und Inhalt des Primats des Bischofs von Rom. Es wird gefragt, was er unter diesem Begriff versteht und welche Konsequenzen aus seinem Primatsverständnis für die konkrete Ausgestaltung dieses Instituts in der Zukunft zu ziehen sind. Da Ratzinger diese Frage konsequent in Zusammenhang mit der Kollegialität der Bischöfe (im Sinne der Dialektik Primat-Episkopat) bringt, bildet die Erörterung seiner Überlegungen über das Zueinander der beiden Größen einen großen Teil dieses Kapitels. In diesem Kontext wird auch auf einige Akzentverschiebungen in den sich damit beschäftigenden Texten Ratzingers in verschiedenen Phasen seiner theologischen Tätigkeit hingewiesen und die Frage nach der diesbezüglichen Kontinuität seines Denkens gestellt. Den bedeutsamsten Beitrag Ratzingers zur katholischen Primatslehre macht jedoch nach meiner Auffassung die Betrachtung des Zeugnischarakters bzw. des martyrologischen Charakters des Petrusamtes aus, die im letzten Abschnitt des vierten Kapitels erörtert wird. ← 20 | 21 →

Am Anfang der Einleitung habe ich schon die ökumenische Relevanz der Frage des Primats des Bischofs von Rom angedeutet. Auf diesen wichtigen Aspekt, dem Ratzinger sehr viel Aufmerksamkeit schenkt, ist im fünften Kapitel einzugehen. Es wird zuerst nach dem Ökumeneverständnis Ratzingers im Allgemeinen gefragt, um dann vor diesem Hintergrund seine Ausführungen zum Petrusamt als dem Grund- bzw. Hauptproblem der einzelnen ökumenischen Dialoge zwischen der katholischen Kirche und anderen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, die die Legitimation des Anspruchs des römischen Bischofs auf einen universalkirchlichen Primat – zumal in der heutigen Gestalt des Papsttums – bestreiten, darzulegen. Der letzte Schritt besteht darin, die auf die diesbezüglichen Überlegungen Ratzingers zurückgehenden konkreten Vorschläge für eine Erneuerung des Petrusamtes in ökumenischer Perspektive aufzuzählen und theologisch einzuschätzen. Damit wird der theoretische Teil der Dissertation abgeschlossen. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass ich mich entschieden habe, mich in diesem theoretischen Teil im Haupttext auf die Darstellung und Interpretation der Ausführungen Ratzingers zu beschränken. Die Konfrontierung seiner Ansichten mit den Forschungsergebnissen anderer sich mit der Primatsfrage beschäftigenden Autoren wird vorzugsweise in Fußnoten vollzogen, es sei denn die konkrete These bzw. Gedankenreihe eines anderen Theologen scheint mir für das Verständnis eines gewissen Aspekts des Problems oder für den Gesamtduktus der Arbeit von großer Tragweite zu sein. Als Bereicherung werden auch an manchen Stellen in den Fußnoten einige polnische Publikationen zitiert bzw. erwähnt. Auf die Anknüpfungen Benedikts XVI. an seine früheren theologischen Ansichten werde ich ebenso in Fußnoten aufmerksam machen. Die biblischen Texte werden in der Regel nach der Einheitsübersetzung zitiert. Manche Stellen werden aber auch nach der von Ratzinger verwendeten Übersetzung angeführt, worauf in Fußnoten hingewiesen wird. Alle anderen Werke werden nach der im Literaturverzeichnis angegebenen Ausgabe zitiert.

Im sechsten Kapitel, das auch als der praktische Teil der Arbeit betrachtet werden kann, wird meines Erachtens ein Neuland in der fundamentaltheologischen Reflexion über den Primat des Bischofs von Rom betreten. Es handelt sich um den Versuch eines Vergleichs der Primatstheologie des Theologen Joseph Ratzinger mit seiner eigenen Primatsausübung als Papst Benedikt XVI. Wie gesagt, hat sich bis jetzt meines Erachtens nur Klausnitzer mit diesem Problemkreis aus der fundamentaltheologischen Perspektive beschäftigt, wobei seine im Rahmen eines kurzen Aufsatzes, der außerdem noch während des Pontifikats Benedikts XVI. verfasst wurde, vollzogene Analyse notwendigerweise unvollständig und ergänzungsbedürftig ist. Zuerst wird nach der ← 21 | 22 → Verhältnisbestimmung der beiden von Benedikt XVI. wahrgenommenen Funktionen (des Oberhaupts der katholischen Kirche und des wissenschaftlichen Theologen) gefragt. Dem folgt eine Analyse der ausgewählten lehramtlichen Aussagen und primatialen Entscheidungen Benedikts XVI., zu denen auch der unerwartete Amtsverzicht gehört. Dabei sollen diese für das Verständnis des Petrusamtes bedeutsamen Texte und Ereignisse seines Pontifikats in Bezug auf die frühere theologische Reflexion Ratzingers und unter Berücksichtigung der bisher veröffentlichten Kommentare anderer Autoren, die sich an der Diskussion um die jeweilige Verlautbarung bzw. den jeweiligen Beschluss des deutschen Papstes beteiligt haben, theologisch eingeschätzt werden.

Die bei der Verfassung der vorliegenden Arbeit verwendete Methode kann als analytisch-synthetische bezeichnet werden. Sie besteht aus drei Schritten. Im ersten Schritt habe ich die Quellen (Primär- und Sekundärliteratur) gesammelt und gesichtet. Der zweite Schritt bestand darin, auf ihrer Grundlage das theologische Denken und päpstliche Handeln von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. in Bezug auf die Frage des Primats des Bischofs von Rom darzulegen und einzuschätzen. Im letzten Schritt wurden die Schlussfolgerungen formuliert, die in Form einer Zusammenfassung am Ende des Buches aufgestellt werden und dann als Desiderate für die weitere Diskussion um das Petrusamt reflektiert werden können. Diesem Disput kommt Dringlichkeit zu, da es sich hier – um es nochmals zu betonen – um eine Frage handelt, die für die Wiederherstellung der sichtbaren Einheit der Kirche Jesu Christi von entscheidender Bedeutung ist. Das ist meines Erachtens eines der wichtigsten Ziele der Theologie im dritten Jahrtausend, zumal die bestehende Spaltung dem Glaubenszeugnis der Kirche(n) in der Welt von heute, für die das Phänomen der Globalisierung kennzeichnend ist, besonders großen Schaden zufügt.


1 Da zur Biographie Joseph Ratzingers samt seinem theologischen Werk schon sehr viel geschrieben wurde, habe ich mich entschieden, auf die Beschreibung seines Lebenslaufes zu verzichten. Siehe dazu seine eigene Autobiographie (Ratzinger, Aus meinem Leben); die Erinnerungen in: Benedikt XVI., Letzte Gespräche; sowie folgende Positionen: Fischer, Vom Theologen zum Papst; Hofmann, Benedikt XVI.; Läpple, Benedikt XVI. und seine Wurzeln; Schneider, Papst Benedikt XVI.; Seewald (Hg.), Der deutsche Papst; Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI.; IKaZ 35 (2006) 6: Themenheft „Joseph Ratzinger – Benedikt XVI.“. Eine gute Kurzbiographie Ratzingers bietet auch: Weiler, Volk Gottes – Leib Christi, 1–10.

2 Wolfgang Klausnitzer, der ebenfalls zu den Kennern der Primatsthematik gehört, hat die Besonderheit einer solchen Fragestellung 2011 – also noch vor dem Amtsverzicht Benedikts XVI. – mit folgenden Worten ausgedrückt (Klausnitzer, Der Primat des Bischofs von Rom im Denken Joseph Ratzingers, 152): „Es ist selten, dass ein Theologe, der sich Gedanken zum Primat des Bischofs von Rom gemacht hat, die durchaus in der innerkatholischen wie ökumenischen Diskussion beachtet worden sind, […] als Papst die Möglichkeit hat, seine theoretische Sicht des Papstamtes auch praktisch zu leben.“

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1.  Die Ekklesiologie Joseph Ratzingers

Die theologische Reflexion über den Primat des Bischofs von Rom gehört zur fundamentaltheologischen Ekklesiologie, die gemäß der traditionellen Einteilung der theologischen Disziplinen die institutionelle Außenseite der Kirche zu behandeln hat, während die Erörterung der Innenseite der Kirche die Aufgabe der Dogmatik ist1. Demgegenüber weist Joseph Ratzinger auf „die untrennbare Einheit beider Aspekte in der einen Wirklichkeit Kirche“2 hin. Er setzt dieses Prinzip konsequent in die Praxis seines Theologietreibens um, indem er die Innen- und Außenseite der Kirche miteinander verbindet und damit eine vollständige Ekklesiologie zu schaffen versucht. In ihrer Mitte steht das Sakrament der Eucharistie, das für Ratzinger sowohl für das Wesen der Kirche als auch für ihre Verfassung von entscheidender Bedeutung ist und die beiden Aspekte der kirchlichen Wirklichkeit zusammenfügt3. Deswegen nennt man sein Kirchenverständnis entweder „eucharistische Ekklesiologie“ oder „communio-Ekklesiologie“4, wobei bemerkenswert ist, dass der Begriff communio (gr. κοινωνία) ebenso „Eucharistie“ wie auch „Gemeinschaft“ bezeichnen kann5. Die besondere Bedeutung dieser Ekklesiologie liegt daran, dass sie ein grundlegendes Element der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils von der Kirche bildet6. Die Ekklesiologie Ratzingers hat meiner Meinung nach auch darum einen hohen Wert, ← 23 | 24 → weil sie auf einem soliden biblischen und patristischen Fundament aufgebaut ist, obwohl nicht alle seine Thesen mit den Errungenschaften der modernen Exegese übereinstimmen7.

Ratzinger erörtert in seinen von der Kirche handelnden Schriften zunächst ihren Ursprung und weist dabei auf das Letzte Abendmahl als den eigentlichen Akt der Kirchengründung hin. Daraus geht hervor, dass die Kirche „Volk Gottes vom Leibe Christi her“8 sei. Diese Formel fasst die Überlegungen Ratzingers über das Wesen der Kirche zusammen und ist gleichzeitig Ausgangspunkt seiner Reflexion über die Kirchenverfassung, deren zentrales Element Ratzinger im Bischofsamt sieht, das er in Zusammenhang mit dem Primat des Bischofs von Rom bringt. Auf diese Weise versucht Ratzinger zwei Modelle der Struktur der Kirche zu vermitteln: das communio-Modell und das iurisdictio-Modell9. ← 24 | 25 → In diesem Kapitel wird die Ekklesiologie Joseph Ratzingers in drei Abschnitten dargestellt: (1) Der Ursprung der Kirche, (2) Das Wesen der Kirche und (3) Die Verfassung der Kirche. Diese kurze Behandlung erhebt natürlich keinen Anspruch, vollständig und ausführlich zu sein. Vielmehr geht es um einen Entwurf, der als Ausgangspunkt der Reflexion über den Primat dienen will10.

1.1  Der Ursprung der Kirche

Zu Beginn seiner Überlegungen über den Ursprung der Kirche bemerkt Ratzinger, dass die Frage nach der Gründung11 der Kirche und ihrer im Neuen Testament anzutreffenden Anfangsgestalt zu den umstrittensten Problemen der Exegese gehöre und „vom Dickicht exegetischer Hypothesen überwuchert“ sei12. In diesem Kontext scheint es schwierig oder sogar aussichtslos zu sein, den eigentlichen Kern des neutestamentlichen Zeugnisses von der Kirche zu ← 25 | 26 → erkennen. Die Analyse der wichtigsten Richtungen in der Auslegungsgeschichte des 20. Jahrhunderts13 führt Ratzinger zur Formulierung der zwei Prinzipien, die hilfreich sein können, um dieses Problem zu lösen14. Die möglichst nahe am biblischen Wort bleibende Auslegung erfordere zunächst das Abziehen der modernen ideologischen Elemente aus den einzelnen exegetischen Hypothesen. Zu diesem negativen Maßstab fügt Ratzinger einen positiven hinzu: „die Vereinbarkeit mit dem Grundgedächtnis der Kirche“15. Auf diesem Grund versucht er, eine angemessene Antwort auf die Frage nach dem Ursprung der Kirche zu geben.

Ratzinger geht davon aus, dass Jesus Christus „unmittelbar nicht die Kirche, sondern das Reich Gottes“ verkündet habe. Die Entgegensetzung der beiden Begriffe sei aber unsachlich, „denn nach jüdischer Auffassung gehört zum Reich Gottes die Sammlung und Reinigung der Menschen für das Reich“16. Daraus geht die von Ratzinger angeführte These von Joachim Jeremias hervor: „Der einzige Sinn der gesamten Wirksamkeit Jesu ist die Versammlung des endzeitlichen Gottesvolkes.“17 Dies sei aber nur im Zusammenhang mit der Idee des Bundes zu verstehen. Das von Jesus angekündigte Kommen des Reiches Gottes erscheine in diesem Licht als die endgültige Erfüllung des Bundes Gottes mit den Menschen. ← 26 | 27 → Charakteristisch sei dabei „die Bindung an das Ich Jesu Christi“, der selbst in seiner Person das Reich Gottes sei18. Ratzinger stellt fest:

„Die Person Jesu wird zum Übergreifenden, in dem die Idee des Reiches, der Kirche und des Bundes sich miteinander verknüpfen. Indem Bund und Reich aus bisher kosmischen, raum-zeitlichen Begriffen in ihm zu einem Personbegriff werden, ist in ihm die eigentliche Mitte gegeben, von der die Kirche lebt.“19

Die Glaubenswahrheit, dass die Kirche eine vom Herrn selbst gewollte und gegründete Wirklichkeit sei, gehört nach Ratzingers Auffassung zum Wesen des katholischen Kirchenverständnisses. In der Bestreitung dieser These sieht er die grundlegende Ursache der gegenwärtigen Glaubens- und Kirchenkrise. Im Gespräch mit Vittorio Messori aus dem Jahr 1984 stellt er fest: „Mein Eindruck ist, dass weithin die genuin katholische Bedeutung der Wirklichkeit „Kirche“ stillschweigend verschwindet, ohne dass man sie ausdrücklich verwirft. Viele glauben nicht mehr, dass es sich um eine Wirklichkeit handelt, die vom Herrn selbst gewollt ist. Auch bei einigen Theologen erscheint die Kirche als ein menschliches Konstrukt, als ein Instrument, das von uns geschaffen ist und das somit wir selbst je nach den Erfordernissen des Augenblicks frei umorganisieren können.“20 Dies zeigt, wie bedeutsam die Frage nach dem Ursprung auch für das Heute und das Morgen der Kirche ist. Der Suche Ratzingers nach einer ausführlichen Antwort auf diese Frage ist im Folgenden nachzugehen.

1.1.1  Der Kreis der Zwölf

Nach den vorbereitenden Überlegungen kann man zur Analyse der konkreten Ereignisse übergehen, die Ratzinger zu den Akten der Kirchengründung zählt21. ← 27 | 28 → Zunächst stellt er fest, dass Jesus „nie allein“ sei22. Er sammele um sich eine Gruppe der Jünger, in deren Mitte der Kreis der Zwölf stehe23. Von großer Bedeutung ist dabei für Ratzinger die Gebetsbitte der Jünger (Lk 11,1), die ihr Bewusstsein ausdrücke, „eine neue Gemeinschaft von Jesus her geworden zu sein“24.

Der Evangelist Markus beschreibt die Berufung des oben genannten Kreises wie folgt: „[…] und Jesus machte Zwölf, damit sie mit ihm seien und damit er sie sende, zu verkündigen und Vollmacht zu haben, die Dämonen auszutreiben“ (Mk 3,14). Von da aus wird für Ratzinger klar, dass es einfach ihre erste Funktion sei, „die Zwölf“ zu sein. Dazu träten dann noch zwei Elemente: das Mit-Sein mit Jesus und die Teilhabe an seiner Sendung25.

Ratzinger beschreibt ausführlich die Symbolik der Zahl „Zwölf“, die für ihn von entscheidender Bedeutung ist, denn sie trage in sich die beiden oben erwähnten Ideen: „Volk Gottes“ und „Bund Gottes“26. Der Zwölferkreis sei zunächst ein eschatologisches Symbol: er stelle das neue Volk Gottes, „das endgültige Israel der Heilszeit“ dar27. Die Setzung dieser Gruppe symbolisiere „die Wiederherstellung der zwölf Stämme Israels“28, die gleichzeitig die endgültige Erfüllung des Bundes Gottes mit den Menschen bedeute. Ratzinger stellt fest:

Details

Seiten
402
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631722992
ISBN (ePUB)
9783631723005
ISBN (MOBI)
9783631723012
ISBN (Hardcover)
9783631717776
DOI
10.3726/b11215
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Dezember)
Schlagworte
Kirche Papstamt Petrusdienst Ekklesiologie Ökumene Kollegialität
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 402 S.

Biographische Angaben

Rafał Biniek (Autor:in)

Rafał Biniek ist Priester der Diözese Gleiwitz (Polen). Er studierte katholische Theologie an der Universität Oppeln (Polen) und wurde in Fundamentaltheologie an der Universität Würzburg promoviert. Außerdem ist er als Seelsorger in Bamberg tätig.

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Titel: Theologie und Praxis des Petrusamtes bei Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.
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