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Pronomen, ihr Bedeutungs- und Emotionspotenzial

Individuelle Konzeptualisierungsprozesse im Lichte Langackerscher Auffassung der Grammatik

von Jolanta Mazurkiewicz-Sokołowska (Autor:in)
©2017 Monographie 184 Seiten

Zusammenfassung

Die Autorin geht der Langackerschen Auffassung der Grammatik als Bedeutung nach. Sie überprüft empirisch am Beispiel der äquivalenten, deutschen und polnischen Formen der Pronomen, wie sich die schemenhaften Bedeutungen grammatischer Einheiten in individuellen Konzeptualisierungsprozessen konkretisieren und welche Bedeutungsinhalte sie in dem gegebenen sprachlichen Ereignis fokussieren. Die introspektiv-intersubjektive Methode ermöglicht es, die Verarbeitungsarten der untersuchten Formen der Pronomen aufzudecken, die konzeptuelle Vielfalt der von den ProbandInnen aktivierten Bedeutungsinhalte dieser Formen zu beleuchten, und zu zeigen, dass die Formen der Pronomen prozessual individuell-subjektiv emotionsgeprägte Einheiten darstellen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autoren-/Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einleitung
  • 2. Kognitionslinguistische Grundlagen
  • 2.1. Zum symbolischen Charakter der Sprache
  • 2.2. Grammatik als bedeutungstragendes Phänomen
  • 3. Pronomen in traditioneller und kognitionslinguistischer Auffassung
  • 3.1. Traditionelle Perspektive
  • 3.2. Kognitionslinguistische Perspektive
  • 3.3. Ausgewählte Pronomen und ihre Formen
  • 3.3.1. Personalpronomen
  • 3.3.2. Demonstrativpronomen
  • 3.3.3. Relativpronomen
  • 3.3.4. Interrogativpronomen
  • 3.4. Resümee
  • 4. Die Pronomen in individuellen Verarbeitungsprozessen – eine empirische Studie
  • 4.1. ProbandInnen
  • 4.2. Ziel
  • 4.3. Material und Methode
  • 4.4. Datenauswertung
  • 4.4.1. Personalpronomen
  • 4.4.1.1. Fokussierte Inhalte und ihre Darstellungsarten
  • 4.4.1.2. Konzeptualisierungen und kognitive Domänen
  • 4.4.1.3. Emotionale Prägung der Bedeutungen
  • 4.4.2. Demonstrativpronomen
  • 4.4.2.1. Fokussierte Inhalte und ihre Darstellungsarten
  • 4.4.2.2. Konzeptualisierungen und kognitive Domänen
  • 4.4.2.3. Emotionale Prägung der Bedeutungen
  • 4.4.3. Relativpronomen
  • 4.4.3.1. Fokussierte Inhalte und ihre Darstellungsarten
  • 4.4.3.2. Konzeptualisierungen und kognitive Domänen
  • 4.4.3.3. Emotionale Prägung der Bedeutungen
  • 4.4.4. Interrogativpronomen
  • 4.4.4.1. Fokussierte Inhalte und ihre Darstellungsarten
  • 4.4.4.2. Konzeptualisierungen und kognitive Domänen
  • 4.4.4.3. Emotionale Prägung der Bedeutungen
  • 5. Schlusswort
  • Bibliografie
  • Reihenübersicht

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1. Einleitung

Der kognitive Gedanke ist in der Linguistik auf den Namen Noam Chomsky (1957) zurückzuführen, der in seinen Überlegungen zum Wesen der Sprache, diese als mentale Erscheinung auffasst und in seinen Arbeiten ihrer mentalen Repräsentation nachgeht (Chomsky 1957, 1965, 1981, 1995). Der mentale Sprachbezug ist das übergreifende Merkmal der kognitionslinguistischen Forschung in allen ihren Ausprägungen.

Die kognitive Linguistik im eigentlichen (engen) Sinne entwickelt sich seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in Opposition zu Chomskys generativer formaler Sprachtheorie. Im Unterschied zu der von ihm vertretenen These über die Sprachautonomie, stützt sie sich auf die Annahme, dass die Sprache erkenntnis- und kontextbedingt ist. Während die formalen Theorien die Rolle der Syntax hervorheben, wird in der kognitiven Linguistik die Ansicht vertreten, dass die Sprache Bedeutung ist. Diese These bildet das grundlegende Merkmal aller Ausrichtungen der kognitiven Linguistik, die verschiedene Theorien und Ansätze vereint (siehe dazu: u.a. Kardela 1994, Tabakowska 1995, 2001, 2004a, b, Kalisz 2001, Lee 2001, Croft, Cruse 2004, Geeraerts 2006, Evans, Green 2006, Evans 2007).

Die kognitive Linguistik erfasst u.a. folgende Konzeptionen: Bildschemata und Metapherntheorie (Lakoff, Johnson 1980, Lakoff, Turner 1989, Kövecses 2000, 2002, Fauconnier, Turner 2002, Barcelona 2003, Hampe 2005, Zlatev 2007, 2014, Kuźniak et al. 2014), Framesemantik (Fillmore 1982, Konerding 1993, 2005, Fraas 1996, Ziem 2008a, b), mentale Räume (Fauconnier 1985, Fauconnier, Turner 1998, Libura 2010a, b), Kognitive Grammatik (Langacker 1987, 1991), Radialnetwork (Brugman, Lakoff 1988), Konstruktionsgrammatiken (Lakoff 1987, Fillmore 1988, Goldberg 1995, 2006, Croft 2001, Bergen, Chang 2005, Fischer, Stefanowitsch 2006, Ziem, Lasch 2013), typologisch-universelle Ansätze (Croft 1990, Haspelmath 1997), Diskursanalysen (Chafe 1994, Verhagen 2005, Deppermann 2006a, b), Begriffssemantik (Wierzbicka 1992, 1996, Talmy 2000a, b), Grammatikalisierung (Heine et al. 1991, Heine 1997, Diessel 1999), gebrauchsbasierte Modelle (Barlow, Kemmer 2000, Tomasello 2005). Sie untersucht die Sprache vor dem Hintergrund „der gut dokumentierten oder selbstverständlichen oder auch zumindest hoch wahrscheinlichen Fakten“ bezüglich der menschlichen Erkenntnis (Taylor 2002/2007: 10).

In der kognitiven Linguistik wird die Sprache als Teil der menschlichen Erkenntnis betrachtet. Sie gilt als Resultat der Wirkung allgemeiner kognitiver Prozesse, wie Assoziationsbildung, Automatisieren, Kategorisieren, Schematisieren, ← 7 | 8 → Fokussieren. Die Fähigkeit, Assoziationen zu bilden, spiegelt sich in der Sprache u.a. in der Verknüpfung der phonologischen und semantischen Struktur zu der symbolischen Relation (siehe: Pkt. 2.1.) wider. Das Automatisieren beruht auf dem routinierten Gebrauch von Wörtern und Konstruktionen.

Die Fähigkeit, zu kategorisieren, manifestiert sich in der Einordnung neuer Einheiten in die bestimmten Sammlungen von Einheiten anhand ihrer Merkmale, z.B. der Einheiten sich ärgern, Ärger, ärgerlich in die Sammlung der Verben, Substantive, Adjektive, als Wortarten, entsprechend. Das Schematisieren beruht auf der Abstrahierung immer allgemeinerer gemeinsamer Merkmale bestimmter Objekte, woraus sich die Schematisierungs-/Konkretisierungsrelationen ergeben. Die steigenden Schematisierungsgrade mag das obige Beispiel illustrieren: sich ärgern, Ärger, ärgerlich stellen Konkretisierungen dar, Verben, Substantive, Adjektive bilden eine Schematisierungsstufe und die Wortarten – eine nächste.

Die Fähigkeit, bestimmte Inhalte zu fokussieren, wird auf die Figur-Grund-Relation zurückgeführt, die die Hervorhebung bestimmter Inhalte vor dem Hintergrund anderer ermöglicht, und die mit der vom Subjekt gewählten Art der mentalen Vorstellung und Konstruktion der Szene/Situation eng verbunden ist. Im obigen Beispiel manifestiert sich die Figur-Grund-Relation in der Hervorhebung der negativen Emotion bei unterschiedlicher Art der mentalen Vorstellung und Konstruktion der Situation: als Tätigkeit, Prozess (mithilfe des Verbs sich ärgern), als Zustand, nominal (mithilfe des Substantivs Ärger), als Merkmal der Situation (mithilfe des Adjektivs ärgerlich). An den Beispielen lässt sich erkennen, dass selbst die Wahl der Art und Weise, wie die Szene konstruiert wird, mit der Fokussierung bestimmter Inhalte verschiedener Modalitäten einhergeht, wie der Empfindungen des Subjekts, oder, distanzierter, mit Verschiebung der emotionalen Ladung auf die Merkmale der Situation (siehe dazu, u.a.: Langacker 2008/2009: 34–35, 88–89, Taylor 2002/2007: 11–20).

Als Grundlage der Herausbildung des Begriffs- und Bedeutungssystems wird die physische, körperliche, sensomotorische, kulturelle Erfahrung des Menschen angesehen, die sich in den konzeptuellen Metaphern, Bildschemata und mimetischen Schemata widerspiegelt, und auf andere, meist abstrakte Erscheinungen übertragen wird (Lakoff, Johnson 1980, Hampe 2005, Zlatev 2007).1 ← 8 | 9 →

Unterstrichen wird der symbolische Charakter der Sprache, indem die Sprache eine Sammlung von Mitteln zum Symbolisieren der Gedanken darstellt und der Kommunikation dieser Symbolisierungen dient (vgl. Taylor 2002/2007: 36).

Die genannten Prozesse beeinflussen die Wahrnehmung der äußeren und inneren Welt sowie die Arten der Interaktion mit ihr (siehe: u.a. Abelson 1981, Anderson 1983, Atkinson et al. 1983, Fraisse, Piaget 1991, Barsalou 1992a, b, Kurcz 2000). In der kognitiven Linguistik wird davon ausgegangen, dass die grundlegenden Erkenntnisprozesse die Bedeutungsbildungsprozesse steuern. Die Bedeutung der Ausdrücke wird als ihre individuelle Verstehensweise in der jeweils gegebenen Situation begriffen. Sie ergibt sich immer aus den individuell verschieden wahrgenommenen und verarbeiteten Gegebenheiten des Gesamtkontextes, unter Einwirkung der momentan aktivierten Ausschnitte individueller Lebenserfahrung und verfügbaren enzyklopädischen Wissens. Als solche ist die Bedeutung der sprachlichen Einheiten dynamisch veränderbar (vgl. Langacker 2008/2009: 51–53). Daher ist sie auch nicht objektiv. In ihr widerspiegelt sich immer eine bestimmte Wahrnehmungsperspektive, die sich jederzeit, selbst bei ein- und derselben Person, verändern kann. „Die Bedeutung konstruiert die Welt immer auf eine besondere Art und Weise“ (Geeraerts 2006: 4). Die gegebene Vorstellungsweise ist immer eine von vielen, oft unzähligen Vorstellungsmöglichkeiten (vgl. Geeraerts 2006: 4–5, Langacker 2008/2009: 18).

Die theoretische Untermauerung der vorliegenden Arbeit bildet die Konzeption der Kognitiven Grammatik von Ronald Langacker (1987, 1991, 1999, 2008/2009), der betont, dass auch die Grammatik mit sich Bedeutung trägt. Als weitere Voraussetzungen gelten die Thesen über die „erfahrungsbasierte Kognition“ (Ziem 2008), über die Emotionen als ihre gleichwerte Komponente (Schwarz-Friesel 2007), über den inferenziellen Charakter der Konzepte (Bartsch 2002), über den Einfluss der Homöostase (Damasio 2013) und der neurobiologischen Resonanz (Bauer 2006) auf das sprachliche Verhalten des Menschen.

So wie die Bedeutungen lexikalischer Spracheinheiten, ergeben sich auch die Bedeutungen grammatischer Elemente der Sprache aus der Vorstellung und der grundlegenden menschlichen Erfahrung „der Bewegung, Wahrnehmung und der Einwirkung auf die Welt“ (Langacker 2008/2009: 19). Langacker hebt hervor, dass die semantischen Analysen der Grammatik für die Untersuchung der Bedeutung von sprachlichen Einheiten und der Erkenntnisprozesse besonders aufschlussreich sind (vgl. Langacker 2008/2009: 18–19), weil „sich im Zentrum ← 9 | 10 → grammatischer Bedeutungen mentale Aktivitäten befinden, die in die alltäglichen Lebenstätigkeiten tief eingebettet sind“ (Langacker 2008/2009: 19). Da die Bedeutungen lexikalischer und grammatischer Ausdrücke aus der Vorstellungskraft und der Erfahrung herauswachsen, bilden die Konzeptualisierungen2, die mit den Bedeutungen gleichgestellt werden (siehe: Pkt. 2.), einen interessanten Untersuchungsgegenstand im Hinblick auf die mentalen Welten der Menschen und ihre Bedeutungsbildungsprozesse. So wie die Bedeutungen als verbalisierte Konzeptualisierungen, sind auch die ihnen zugrundeliegenden Konzeptualisierungen individuell different und dynamisch veränderlich (vgl. Langacker 1999, 2008/2009). Aus dem Gesagten ergibt sich, in Anlehnung an Schwarz-Friesel (2007) und deren Verweis auf die Relevanz der Interaktion zwischen der rationalen und emotionalen Komponente der Kognition für die Erforschung der Sprachverarbeitungsprozesse (vgl. Schwarz-Friesel 2007: 8–10, 15), die Frage nach der emotionalen Prägung der Bedeutung der sprachlichen Einheiten in ihrer individuellen, prozessualen Dimension.

Die bereits verfügbaren empirischen Daten zu der individuellen Prägung der Bedeutung der Ausdrücke lassen schließen, dass die im Verarbeitungsprozess der Ausdrücke ausgelösten Konzeptualisierungen und auf dieser Grundlage konstruierten Bedeutungen, in ihrer individuellen Dimension subjektiv, emotionsgeleitet und emotionsgeprägt sind (Mazurkiewicz-Sokołowska 2013, 2014a, b, c, 2015, 2016, 2017, Kasjanowicz 2016). Da in den meisten der aufgeführten Arbeiten lexikalisches Material der Analyse unterzogen wird, stellt sich die Frage nach der individuellen Prägung der Bedeutung grammatischer Einheiten, die, in Langackerscher Auffassung der Grammatik, wie bereits vermerkt, bedeutungstragende Phänomene darstellen.

In der einschlägigen Literatur werden hinsichtlich der Emotionen in der Sprache meist verschiedene Aspekte der Benenn- und Ausdrucksmöglichkeiten der Emotionen sowie der Manifestationen der Emotionen in der Sprache sowohl in den lexikalischen, als auch morphologischen und syntaktischen Einheiten und Konstruktionen, behandelt (u.a. Fiehler 1990, 2002, Kövecses 1990, Fries 1995, 1996, 2000, 2004, Wierzbicka 1999, Vaňková 2014). Das Interesse der kognitionslinguistischen Forschung hinsichtlich der konzeptuellen Aspekte grammatischer Phänomene gilt ferner insbesondere den Fragen der Motivierung durch die ← 10 | 11 → Bildschemata, der Profilierung, Kategorisierung, Prototypikalität sowie der evolutionären Entwicklung (u.a. Bybee, Slobin 1982, Anderson 1987, Vandeloise 1994, Haspelmath 1997, Tyler, Evans 2001, 2003, Evans, Tyler 2004, Diessel 2006).

Den Gegenstand der im Folgenden präsentierten Untersuchung zur individuellen Prägung der Bedeutung der grammatischen Einheiten bilden die Formen der Personal-, Demonstrativ-, Relativ- und Interrogativpronomen im Deutschen und im Polnischen. Es wird nach ihrem Bedeutungs- und Emotionspotenzial in individuellen Konzeptualisierungsprozessen gefragt.

Details

Seiten
184
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631736333
ISBN (ePUB)
9783631736340
ISBN (MOBI)
9783631736357
ISBN (Hardcover)
9783631736326
DOI
10.3726/b12002
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (November)
Schlagworte
Emotionslinguistik Sprachverarbeitung Bedeutungsbildungsprozesse grammatische Einheiten Kognitive Linguistik
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 184 S.

Biographische Angaben

Jolanta Mazurkiewicz-Sokołowska (Autor:in)

Jolanta Mazurkiewicz-Sokołowska ist außerordentliche Professorin am Institut für Germanistik der Universität Szczecin (Polen). Ihre Forschungsbereiche sind kognitive Linguistik, sprachliches Verhalten des Menschen, Erst- und Zweitspracherwerb, Zweisprachigkeit, Konzeptualisierungen und Emotionen in der Sprache

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Titel: Pronomen, ihr Bedeutungs- und Emotionspotenzial
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