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Den Himmel öffnen …

Bild, Raum und Klang in der mittelalterlichen Sakralkultur

von Therese Bruggisser-Lanker (Band-Herausgeber:in)
©2014 Sammelband 164 Seiten

Zusammenfassung

In seiner ersten Übersetzung der Artes-liberales-Enzyklopädie des Martianus Capella hat Notker der Deutsche aus dem Kloster St. Gallen um das Jahr 1000 festgehalten, dass die freien Künste dem Menschen den Himmel öffnen. Zu ihnen gehörte auch die Musik, die ihren letzten Sinn aus der Analogie zur vollkommenen Harmonie der zahlhaften Struktur des Kosmos bezog, dem konstitutiven Prinzip absoluter Schönheit und Ausgewogenheit. Im Akt des anagogischen Aufstiegs zur höchsten und innersten Wahrheit – ausgehend von der Wahrnehmung im Sinnesvermögen – prägte sich in der Meditation der göttlichen Geheimnisse im inneren Hören und Sehen ein Ethos aus, das als Seelenbildung den ganzen Menschen erfassen sollte. Die künstlerischen Ausdrucksformen dienten dazu, unter Wahrung der Transzendenz dem Göttlichen eine mediale Präsenz im Diesseits zu verleihen, die sich in der Ästhetik des Ritus wie der Architektur und Ausstattung der Kirche verdichtete. Dieser Bedeutungsraum der Andacht spiegelt das geistige Sinngebäude des Mittelalters, das sich vom Irdischen zum Himmlischen weitet und das Erschaffene auf das Ewige hin transparent macht.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Mittelalterliche Kunst zwischen Wahrheitssuche, Gotteserfahrung und Ewigkeitssehnsucht
  • Zur Einführung
  • Das innere Gespräch mit Gott
  • Repräsentatio und Imaginatio in der spätmittelalterlichen Theologie bzw. Theorie des Bildes und der Bilder
  • Raumerfahrung und Raumwahrnehmung im Mittelalter
  • Gervasius von Canterbury: De combustione et reparatione Cantuariensis ecclesiae
  • 1. Sinne und Wahrnehmung im Mittelalter
  • 2. Raumvorstellungen und Raumerfahrung im Mittelalter
  • 3. Der Traktat De combustione et reparatione Cantuariensis ecclesiae
  • Autor und Werk
  • Eadmers Beschreibung der angelsächsischen Kirche
  • Das Opus Lanfranci
  • Das Opus Conradi
  • Raum und Architekturdetail
  • Schlussbemerkung
  • «Englische» und irdische Musik im 15. Jahrhundert
  • 1. Geistliche «Renaissance»?
  • 2. Die geschmähte Polyphonie
  • 3. Rechtfertigungen der Polyphonie (1): Memoria
  • 4. Rechtfertigungen der Polyphonie (2): Polyphonie als «englische» Musik
  • 5. Gemalte Musik: Ein Seitenblick in den Himmel
  • 6. Rechtfertigungen der Polyphonie (3): Polyphonie als Jubilus zwischen Himmel und Erde
  • Literaturverzeichnis
  • Zu den Autoren
  • Reihenübersicht

← 6 | 7 →Vorwort

Im Rahmen der Ausstellung «Geheimnisse mittelalterlicher Handschriften» der Stiftsbibliothek St. Gallen veranstaltete die Schweizerische Musikforschende Gesellschaft im November 2008 eine interdisziplinäre Tagung unter dem Titel «Den Himmel öffnen… – Bild und Klang als Medien zum Heil». Thema waren die Ausdrucksformen spätmittelalterlicher Frömmigkeit, die sich in Schrift, Bild oder Klang manifestieren und als Phänomene der Heilsvermittlung faszinierende Einblicke in die imaginären Denk- und Gefühlsräume des Mittelalters erlauben. An dieser Stelle gelangen nun damals gehaltene Vorträge zur Veröffentlichung, ergänzt mit einem Text des Architekturhistorikers Jens Rüffer zur Wahrnehmung des Kirchenraums, mit dem eine wichtige Deutungsebene hinzugewonnen werden konnte: Denn der Himmel wird in seiner Transzendenz gleichsam als innerer Resonanzraum erfahren, wofür das Gotteshaus, seine mit den Figuren der Heiligen Schrift bemalten Wände und Altartafeln wie der darin vollzogene Ritus mit dem liturgischen Gesang in ihrer ästhetischen Ausgestaltung das irdische Äquivalent bildeten.

Die kulturelle Bedeutung dieser religiösen Erlebniswelten kann nicht genug hervorgehoben werden, beeinflussten sie doch noch über Jahrhunderte das Denken und die Vorstellungsmodi der Theologen, Philosophen wie der Künstler und Baumeister. Es war vor allem die Lichterscheinung – als sinnliches wie geistiges Sehen und als akustische Erscheinung in Wort und Ton – die nach den Zeitzeugnissen das Herz durch die Nähe zu Gott mit unaussprechbarer Freude erfüllte, eine affektive Wirkung, die nicht mehr sprachlich einzuholen war und daher als Mysterium tremendum et fascinosum (Rudolf Otto) die irrationale Seite, die Wunder des Glaubens versinnbildlichte. Doch auch die Vernunft war zu übersteigen (transcendere), um auf dem Weg zur absoluten Wahrheit in die Kontemplation, die eigentliche Schau Gottes als dem Über-Seienden zu gelangen, die in der Erleuchtung sowohl das Intelligible wie das Emotionale umgreift. Laut der wirkmächtigen Schrift De mystica theologia des Dionysius Areopagita kam der allerletzte Schritt – unter Zurücklassung der göttlichen Lichter, himmlischen Klänge und Worte – letztendlich einem Sprung ins überlichte Dunkel gleich, bei dem jede Erkenntnistätigkeit aufhört.

Diesem unbekannten Verfasser des frühen 6. Jahrhunderts sind grundlegende Texte zum neuplatonisch-christlichen Aufstiegsmodell zu verdanken, in dessen Kontext der Himmel im eschatologischen Sinne einer regio beatitudinis als des letzthinnigen Ziels des Menschenlebens jenseits der Grenze des leiblichen Todes und jenseits von Zeit und Geschichte als utopischer Ort der ewigen Ruhe und ← 7 | 8 →des ewigen Friedens miteinbezogen war. Die biblische Metapher der Jakobs- oder Himmelsleiter wurde unzählige Male beschworen und beflügelte noch künstlerische Visionen des 19. Jahrhunderts, so etwa in Beethovens Missa solemnis: «Die grossartigen, scheinbar endlos sich kreuzenden Tonleitern am Ende des Credo, die gleich einer Jakobsleiter immer höher und tiefer zu steigen scheinen, während ihr Einsatz jeweils durch die Klangdichte verhüllt wird, müssen als Beethovens tönende Darstellung der Ewigkeit akzeptiert werden, als die musikalische Entsprechung für die Worte ‹Und ein ewiges Leben›.» (Charles Rosen, Der klassische Stil)

Solche Interpretationen werden verständlicher, wenn man die diesbezüglich überwältigende Einbildungskraft des Mittelalters kennt. Deshalb sei der Autorin und den Autoren von Herzen gedankt, die unter Einbezug der jeweiligen Forschungsliteratur zu einem facettenreichen Gesamtbild der verschiedenen Kunstgattungen beitrugen, welche zu dieser Zeit demselben Endzweck dienten. Dank gilt auch der Schweizerischen Musikforschenden Gesellschaft wie der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, die durch ihre Unterstützung Tagung und Druck ermöglichten.

← 8 | 9 →THERESE BRUGGISSER-LANKER

Mittelalterliche Kunst zwischen Wahrheitssuche, Gotteserfahrung und Ewigkeitssehnsucht

Zur Einführung

Die Rede vom Himmel, wie sie die mittelalterlichen Imaginationen und Spekulationen inspirierte, beruft sich auf verschiedenste biblische Erwähnungen, in erster Linie aber auf den Schöpfungsbericht gleich zu Beginn der Heiligen Schrift als dem einen grossen Ursprungsmythos, ohne den das eigene Dasein nicht zu begreifen war. In principio creavit Deus caelum et terram – «Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.» (Gen 1,1) Himmel und Erde sind beide Teil der gesamten Schöpfung, die nach diesem Bekenntnis durch Gott gestiftet ist und in die Christus – so die Erweiterung im Neuen Testament – als Sohn Gottes hineingenommen ist: «Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung. Denn in ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten [Engel verschiedener Hierarchiestufen]; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen. Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm. Und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde. Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, damit er in allem der Erste sei. Denn es hat Gott wohlgefallen, dass in ihm alle Fülle wohnen sollte und er durch ihn alles mit sich versöhnte, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.» (Kol 1,15–20) Durch Christus, inkarniert als Sohn Gottes, sind Erde und Himmel gleichsam transparent geworden. In seiner Nachfolge winkt den Gläubigen das ewige Leben, indem ihre Seelen in unsterbliche, engelsgleiche Wesen verwandelt werden, die im jenseitigen, vom Diesseits getrennten, immer auch wie ausgestalteten «Himmel» als dem Ort der Auferstehung leben.1

← 9 | 10 →Auf diesem Glaubensfundament gründen die vielfältig ausdifferenzierten Himmelsvorstellungen, die in der visio beatifica, der Schau Gottes in der ewigen Freude geistigen Lichts und himmlischer Harmonie, kulminieren. Welche Wege dorthin führen, das wird in Theologie, Philosophie, Kunst und Wissenschaft konkretisiert; hierin eröffnet sich ein schier unermessliches Feld kultureller Praktiken, deren mannigfache Ausfaltung ohne diesen Hintergrund nicht zu verstehen wäre. Sie führten zu geistigen und künstlerischen Höchstleistungen, welche die Entwicklung einer genuin europäischen Kultur erst ermöglichten. Die aus der Antike überkommenen Artes liberales spielten dabei eine nicht geringe Rolle, da bei deren Aneignung – wie in anderen Bereichen auch – zumeist eine interpretatio christiana vorgenommen wurde. Weisheitsstreben auf der Basis des klassischen Bildungskanons und Gottessuche nach biblischen Vorgaben gingen dabei eine eigentümliche Symbiose ein. So zum Beispiel bei Notker III. Labeo bzw. Teutonicus († 1022) von St. Gallen, der die Artes in seiner ersten Martian-Übersetzung ins Althochdeutsche im Hinblick auf ihre Übernahme in die klösterliche Ausbildung mit dem christlichen Ideal legitimiert: Es sind wie in De nuptiis Philologiae et Mercurii die freien Künste, die zum Himmel geleiten (ze hímele léitên), auch sie öffnen dem Menschen den Himmel, wie er es der Muse Thalia in den Mund legt.2 In ihrem Brautlied preist sie an dieser Stelle schon bei Martianus Capella das göttliche Paar Merkur und Philologia für ihre den Himmel erschliessende Heiligung der Künste und damit der Musen. Die Himmelfahrt der jungen Frau Philologia und ihrer Sänftenträger zunächst zum Sonnenkreis – der Quelle aller Lichter der Welt und Sitz des Musenführers Phoebus Apollon auf seinem Sonnenwagen – hinauf in den Glanz und das Licht des erhabenen und allmächtigen Götter-Schöpfers Jupiter erfolgt über Halb- und Ganztonstufen zum Oktavklang, bis alles, was sie durchmassen, in der Vollendung absoluter Harmonie zusammenstimmte.3 In dieser wunderbaren Metapher des stufenweisen Aufstiegs durch den klingenden Kosmos kommt sie denn auch in den unermesslichen Lichtfeldern und Frühlingswiesen zur himmlischen Ruhe, ← 10 | 11 →im Einklang aller Sphären- und Himmelsklänge der personifizierten Harmonia im antiken Götterhimmel ist ihr Ziel erreicht.4 Insofern ist hier aus ursprünglich platonischen und neuplatonischen Quellen vorgebildet, was auch im christlichen Verständnis Ziel- und Endpunkt des menschlichen Heilsweges darstellte. Zentrum himmlischer Visualisierung und ihrer irdischen Realisierung war und blieb im Mittelalter jedoch die Kirche als heiliger Ort wie als Imagination und – in ihr einbegriffen – der christliche Ritus als Kommunikation mit dem Göttlichen, wie es bereits in frühen christlichen Texten zum Ausdruck gebracht wird.

Schon gut hundert Jahre vor Notker dem Deutschen – der ersten und gleichzeitig grössten Blütezeit des Skriptoriums und der freien Künste – wirkte im Kloster St. Gallen einer seiner Namensvettern, Notker I. Balbulus oder der Dichter genannt († 912), selbst Lehrer und Gelehrter, Schreiber und Bibliothekar, qui composuit sequentias, wie es als Nachtrag im Nekrolog festgehalten ist. Ungefähr zeitgleich mit den ersten schriftlichen Zeugnissen musikalischer Notation in den gregorianischen Handschriften für die Liturgie schuf er im Liber hymnorum zu den wichtigen kirchlichen Festen Sequenzen, neuartige Prosadichtungen mit Melodien auf Alleluia-Vorlagen oder von eigener Komposition, die ein breites theologisches, historisches und literarisches Wissen, nicht nur der Werke der Kirchenväter verraten – De civitate Dei von Augustinus oder Hieronymus erwähnt er eigenhändig (in Cod. Sang. 14).5 Die Weihe seiner Kirche am 17. Oktober (nach dem Gallustag am 16. Oktober) gab ihm die Gelegenheit zur Reflexion darüber, was eine Kirche sei: eine Schöpfung Gottes, seine Stätte, ein Tor zum Himmel, wie es die liturgischen Texte sagten, aus denen Notker seine Anregungen nahm:6

In dedicatione ecclesiae (All. Laetatus sum) Die Kirchweihhymne
(Übersetzung Wolfram von den Steinen)
Psallat ecclesia, mater illibata et virgo sine ruga, honorem huius ecclesiae! [Es] psalliere die Kirche, die unversehrte Mutter und Jungfrau ohne Falte, zu Ehren dieser Kirche hier!
← 11 | 12 →Haec domus aulae caelestis probatur particeps in laude regis caelorum et ceremoniis Dies Haus erweist sich dem himmlischen Hofhalt zugehörig, da es im Preise des Himmelskönigs und mit seinen Begehungen
et lumine continuo aemulans civitatem sine tenebris et corpora in gremio confovens animarum quae in caelo vivunt. und mit seinem ewigen Lichte der Stadt ohne Finsternis nacheifert und in seinem Schosse Körper von Seelen hegt, die im Himmel leben.
Quam dextra protegat dei ad laudem ipsius diu! Möge die Rechte Gottes sie zu seinem eigenen Preise lang beschützen!
Hic novam prolem gratia parturit foecunda spiritu sancto; angeli cives visitant his suos et corpus sumitur Jesu. Hier gebiert die Gnade neuen Nachwuchs, befruchtet vom heiligen Geist; die Engel besuchen hier ihre Mitbürger, und man nimmt den Leib Jesu.
Fugiunt universa corpori nocua; pereunt peccatricis animae crimina. Es flieht jederlei dem Körper Schädliches; es schwinden die Vergehen der sündigen Seele.
Hic vox laetitiae personat; hic pax et gaudia redundant. Hier tönt die Freudenstimme hindurch; hier wogen Friede und Jubel zurück.
Hac domo trinitati laus et gloria semper resultant. In diesem Hause widerhallen der Dreifaltigkeit immer Preis und Gloriensang.

In dieser Kirchweihsequenz klingt ein Denkmodell an, das noch Jahrhunderte überdauern sollte: Das Gotteshaus (domus), geheiligt durch die Weihe, habe teil an der himmlischen Hofstatt (aula caelestis), der Jubelgesang für den himmlischen König überwinde im Wetteifer mit der himmlischen Liturgie die irdischen Begrenzungen. Er sei ihr Widerhall, indem die Stimme der Freude (vox laetitiae) die Mauern durchtöne (per-sonat), während Friede und Freude, alles überfliessend, «zurückströmten». In diesem Bild werden die Grenzen der Erfahrung in jeder Hinsicht durchlässig: In der poetischen Vision verschmelzen der lichtvolle Kirchenraum, die Zeremonien und die hin und her wogenden Klänge mit der ewigen Stadt Jerusalem, die nach der Johannesoffenbarung, da von der Herrlichkeit Gottes bzw. des Lammes erleuchtet, ohne Finsternis ist (Offb 21,23).7 Die Kirche als heiliger Raum wie die Kirche als jungfräuliche Braut Christi8 weisen voraus ← 12 | 13 →auf ihren Idealraum, die Stadt des zukünftigen Lebens, welche Verheissung und Vollendung der Heilsgemeinschaft bedeutet. Sie birgt in ihrem Schoss die Körper, deren Seelen im Himmel wohnen, als Nachwuchs des himmlischen Reiches werden sie – befruchtet durch die bereits auf Erden verliehene Gnade des Heiligen Geistes und gereinigt von ihren Sünden – von den Engeln als ihnen wesensgleichen «Bürgern» besucht. Immanenz und Transzendenz durchdringen sich; Gott wird angerufen, er möge sie um seines eigenen Lobes willen beschützen, das gegenseitige Aufeinander-verwiesen-Sein absichtsvoll herausstreichend. Konziser liesse sich die tiefgründige Symbolik der Kirche, der Liturgie und des damit verbundenen Heilsversprechens für den Menschen – im Fokus der christlichen Doktrin erwartungsgemäss mit eschatologischer Perspektive versehen – kaum in ein stimmiges Artefakt fassen, das den Grundgedanken des Festes in hermeneutischer Ausfaltung christlicher Wahrheit in klassizistisch-lyrischer Formensprache artikulierte und damit für die Gegenwart aktualisierte.

Psallat ecclesia: Die Aufforderung an die Kirche zum Gotteslob bezeichnet die ureigenste Aufgabe des Ritus; der Psalter als vollendete Dichtung, die König David zugeschrieben wurde, bildete im Stundengebet Ordnung und Mitte des monastischen Lebens, in der Privatandacht des Spätmittelalters auch desjenigen des Laien. Psallite sapienter; et: In conspectu angelorum psallam tibi, heisst es im 19. Kapitel der Benediktsregel in Anlehnung an den Psalmisten (Ps 47,8 bzw. 138,1 lat.): «Psalliert weise, und: Im Angesicht der Engel will ich Dir Psalmen singen, […] und stehen wir beim Singen der Psalmen so, dass unser Denken und unser Herz im Einklang mit unserer Stimme sind (et sic stemus ad psallendum, ut mens nostra concordet voci nostrae).»9 Die Gegenwart Gottes und der Engel, die Tatsache des offenen Himmels, woraus der Geist wie eine Taube herabschwebt, wie er bei der Taufe Christi erwähnt wird (Mk 1,10 oder 13), mahnten wie die Göttlichkeit der Gesänge zu höchster Ehrfurcht. Das «Psallieren», die Rezitation der Psalmen, wurde jedoch nicht nur zum intimen Gespräch mit Gott, das innere Aufmerksamkeit erforderte, sondern auch zur Richtschnur beim Wunsch, den Gottesdienst noch schöner, aufwendiger zu gestalten, indem man ihn ebenso inspiriert und mit genauso hohem Anspruch durch eigene Dichtungen zu erweitern suchte.

Details

Seiten
164
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783035106794
ISBN (ePUB)
9783035199390
ISBN (MOBI)
9783035199383
ISBN (Paperback)
9783034312691
DOI
10.3726/978-3-0351-0679-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (März)
Schlagworte
Andacht Meditation Musik Notker von St. Gallen
Erschienen
Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien, 2014. 164 S.

Biographische Angaben

Therese Bruggisser-Lanker (Band-Herausgeber:in)

Therese Bruggisser-Lanker studierte Musikwissenschaft, Mittelalterliche und Neuere Geschichte. Nach der Promotion 1999 zur Musik und Liturgie im Kloster St. Gallen habilitierte sie sich 2008 an der Universität Bern mit der Schrift Musik und Tod im Mittelalter – Imaginationsräume der Transzendenz. Seit 2011 wirkt sie als ständige Lehrbeauftragte am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Zürich.

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