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FRAND-Bedingungen bei SEP – Die Lizenzbereitschaftserklärung und das Problem der Bestimmung einer angemessenen Lizenzgebühr

von Sara Isabell Heitkamp (Autor:in)
©2020 Dissertation 276 Seiten

Zusammenfassung

Die Festlegung und Verwendung einheitlicher Standards bzw. Normen ist aus der heutigen Wirtschaft nicht mehr wegzudenken. Obwohl FRAND-Lizenzbereitschaftserklärungen bei standardessentiellen Patenten inzwischen in einigen Industriezweigen weit verbreitet sind, besteht weiterhin Unklarheit hinsichtlich des inhaltlichen Umfangs sowie der rechtlichen Wirkungen. Die Autorin des Buches nimmt eine umfassende Untersuchung dieser Aspekte aus zivil- und kartellrechtlicher Perspektive vor und setzt sich mit dem zentralen Streitpunkt der Bestimmung einer angemessenen Lizenzgebühr konstruktiv auseinander.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Kapitel 1 Einleitung
  • A. Problemstellung
  • B. Fragestellungen und Ziele der Arbeit/ Themenabgrenzung
  • C. Gang der Untersuchung
  • Kapitel 2 Grundlagen: Standards, Immaterialgüter- und Kartellrecht
  • A. Standardisierung und Patentrecht
  • I. Begriff, Erscheinungsformen, Funktion von Standards
  • 1. Begriffsbestimmung
  • 2. Erscheinungsformen
  • a) Differenzierung nach Regelungszweck
  • aa) Qualitäts- und Sicherheitsstandards
  • bb) Netzwerk-, Kompatibilitäts- oder Schnittstellenstandards
  • b) Differenzierung nach Art der Entstehung
  • aa) Formelle Standards
  • bb) De facto-Standards
  • cc) De jure-Standards
  • c) Weitere Formen/ Differenzierungen
  • d) Zusammenfassung
  • 3. Ziele und Vorteile von Standardisierung
  • 4. Verfahren zur Festlegung von formellen Standards
  • a) Standardisierungsorganisationen
  • aa) Nationale SSO
  • bb) Europäische SSO
  • cc) Internationale SSO
  • b) Verfahrensablauf und -grundsätze
  • aa) Projektauswahl
  • bb) Erarbeitung eines Normentwurfes und Stellungnahmeverfahren
  • cc) Abstimmungsverfahren und Veröffentlichung
  • dd) Berufungsverfahren
  • ee) Grundsätze der Normarbeit
  • II. Standardessentielle Patente
  • 1. Spannungsverhältnis Immaterialgüterrecht und Standardisierung
  • 2. Standardisierung unter Beteiligung von Immaterialgüterrechten
  • a) Wesentliche Patente und technische Normen
  • b) Auswirkungen auf den Zugang zum Standard
  • 3. Patent- und Lizenzregelungen der Standardisierungsorganisationen
  • a) Gebot bzw. Pflicht der Offenlegung
  • b) Lizenzbereitschaftserklärung228
  • B. Verhältnis Immaterialgüter- und Kartellrecht
  • I. (Spannungs-)Verhältnis der beiden Rechtsgebiete
  • II. Anwendbarkeit des Kartellrechts auf Immaterialgüterrechte
  • 1. Gemeinschaftsrecht und Geistiges Eigentum (Territorialitätsprinzip und Erschöpfungsgrundsatz)
  • 2. Bestand und Ausübung des Schutzrechts sowie sein spezifischer Gegenstand
  • 3. Ergebnis
  • C. Kartellrechtliche Vorgaben für Standardisierungs-vereinbarungen
  • I. Risiken von Standardisierungen für den Wettbewerb
  • II. Standardisierung und Kartellverbot
  • 1. Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung
  • 2. Bewirkte Wettbewerbsbeschränkung
  • 3. Spezifische Anforderungen an das Standardisierungsverfahren
  • a) Normgegenstand
  • b) Teilnehmerkreis
  • c) Austausch von Informationen
  • 4. Zusätzliche Vorgaben bei der Beteiligung von Gewerblichen Schutzrechten
  • a) Gutgläubige Offenlegung
  • b) FRAND-Selbstverpflichtung
  • c) Umsetzung in IPR-Policies
  • d) Stellungnahme
  • 5. Auswirkungsanalyse
  • 6. Möglichkeit der Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV
  • a) Effizienzgewinne
  • b) Weitergabe an Verbraucher
  • c) Unerlässlichkeit
  • d) Keine Ausschaltung des Wettbewerbs
  • Kapitel 3 Die FRAND- Lizenzbereitschaftserklärung
  • A. Funktion, Zustandekommen und Inhalt
  • I. Funktion der FRAND-Erklärung
  • II. Grundlagen und Zustandekommen
  • 1. Formale Vorgaben
  • 2. Abgabe gegenüber SSO
  • III. Inhalt
  • 1. Fair
  • 2. Angemessen
  • 3. Nicht-diskriminierend
  • 4. Zusammenfassende Stellungnahme
  • B. Anwendbares Recht
  • I. Mitgliedsverhältnis der SSO (Sitz- und Gründungstheorie)
  • II. FRAND-Erklärung (Rom I)
  • C. Rechtsnatur
  • I. Keine bindende Wirkung/invitatio ad offerendum
  • II. FRAND-Erklärung als Erklärung i.S.d. § 23 PatG
  • III. Offerta ad incertas personas
  • IV. Verpflichtung des SEP-Inhabers zu Vertragsverhandlungen und Unterbreitung eines FRAND-Lizenzangebotes
  • V. Vertrag zugunsten Dritter
  • 1. Pactum de non petendo
  • 2. Vorvertrag zugunsten Dritter
  • VI. Bewertung: bedingter Vorvertrag zugunsten Dritter
  • D. Kartellrechtliche Bedeutung
  • I. Kartellrechtliche Relevanz von (Verstößen gegen) FRAND-Erklärungen
  • II. FRAND-Erklärungen im Kontext des Missbrauchs marktbeherrschender Stellung nach Art. 102 AEUV/ § 19 GWB
  • 1. Allgemeine Grundlagen
  • 2. Marktbeherrschende Stellung
  • a) Abgrenzung des relevanten Marktes in SEP-Konstellationen
  • aa) Sachlich relevanter Markt
  • (1) Technologiemarkt
  • (2) Eigener Standardmarkt?
  • (3) Produktmarkt
  • bb) Räumlich relevanter Markt
  • cc) Zeitlich relevanter Markt
  • dd) Stellungnahme
  • b) Beherrschende Stellung auf dem relevanten Markt
  • aa) Marktbeherrschung bei Vorliegen von Immaterialgüterrechten
  • bb) Marktbeherrschung bei Standardessentiellen Patenten
  • 3. Missbräuchliche Verhaltensweisen
  • a) Objektiver Begriff der missbräuchlichen Ausnutzung
  • b) Weiter Anwendungsbereich
  • c) Missbrauchstatbestand und Schutzrechte
  • d) Grundsätzliche Lizenzverweigerung
  • aa) Situation ohne FRAND-Erklärung
  • (1) Verweigerung einer unerlässlichen Lizenz
  • (2) Verweigerung verhindert neues Erzeugnis
  • (3) Eignung der Verweigerung zur Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs auf einem abgeleiteten Markt
  • (4) Keine Rechtfertigung
  • bb) Situation mit FRAND-Erklärung
  • e) Weigerung der Lizenzerteilung zu FRAND-Bedingungen
  • aa) Unfaire und/oder unangemessene Bedingungen
  • bb) Diskriminierende Bedingungen
  • f) Patentverletzungsklagen auf Unterlassung
  • aa) Nationale Rechtsprechung vor „Huawei“
  • (1) Standard-Spundfass
  • (2) Orange-Book-Standard
  • (3) Umsetzung in instanzgerichtlicher Rechtsprechung
  • bb) Kommissionspraxis vor „Huawei“
  • cc) Zusammenfassende Stellungnahme
  • dd) Vorlagefragen des LG Düsseldorf
  • ee) EuGH, „Huawei Technologies/ZTE“
  • (1) Entscheidung
  • (2) Zusammenfassende Stellungnahme
  • ff) Anwendung der „Huawei“-Kriterien in instanzgerichtlicher Rechtsprechung
  • (1) Inhaltliche Anforderungen an die Hinweispflicht des SEP-Inhabers
  • (2) Inhalt und Frist der Lizenzbereitschaftserklärung des Patentnutzers
  • (3) Inhalt der Lizenzangebote
  • (4) Gerichtlicher Prüfungsumfang
  • (5) Starres Angebot-Annahme-System oder unabhängige Beurteilung der Pflicht zur Erfüllung der jeweiligen Obliegenheiten
  • gg) Weitere offene Fragen
  • (1) Übertragbarkeit auf de facto-Standards
  • (2) Inhaltliche Konkretisierung der FRAND-Bedingungen
  • g) Patentverletzungsklagen auf Rechnungslegung/ Schadensersatz
  • h) Verweigerung der Abgabe einer FRAND-Erklärung
  • i) Zusammenfassung: Wirkungen der FRAND-Erklärung im Kontext des Missbrauchs marktbeherrschender Stellung
  • 4. Rechtsfolgen
  • a) Kartellrechtlicher Kontrahierungszwang
  • b) Kartellrechtlicher Zwangslizenzeinwand
  • c) Bußgeld
  • E. Zivilrechtliche Auswirkungen von (Verstößen gegen) FRAND-Erklärungen
  • I. Zivilrechtlicher Lizenzierungsanspruch
  • II. Keine Bindungswirkung bei Rechtsübertragung
  • Kapitel 4 Maßstäbe zur Bestimmung der angemessenen Lizenzgebühr
  • A. Preismissbrauch bei SEP-Lizenzgebühren
  • I. Kriterien der Preismissbrauchsaufsicht nach Art. 102 AEUV/§ 19 GWB
  • 1. Art. 102 S. 2 lit. a AEUV
  • a) Grundsätzliche Problematik der kartellrechtlichen Preiskontrolle
  • b) Bestimmung des unangemessenen Preises
  • aa) Gewinnspannenbegrenzung
  • (1) Preis-Kosten-Vergleich
  • (2) Unangemessener Preis im Verhältnis zum wirtschaftlichen Wert
  • (3) Kritik
  • bb) Vergleichsmarktkonzept
  • (1) Räumliches Vergleichsmarktkonzept
  • (2) Sachliches Vergleichsmarktkonzept
  • (3) Zeitliches Vergleichsmarktkonzept (Sockeltheorie)
  • (4) Kritik
  • cc) Konkurrenzpreiskonzept
  • dd) Gewinnvergleichskonzept
  • 2. Besonderheiten im nationalen Recht, § 19 Abs. 2 Nr. 2/ Nr. 3 GWB
  • a) Vergleichsmarktkonzept
  • b) Andere Konzepte
  • c) Erheblichkeitszuschlag
  • 3. Preishöhenmissbrauch bei SEP-Lizenzgebühren
  • II. Einfluss der FRAND-Erklärung – Verschiebung des Preismissbrauchsmaßstabes?
  • III. Begrenzung der Lizenzgebührenhöhe auf den Patentlohn
  • IV. Vielzahl standardessentieller Patente
  • 1. Cross-Lizenzierung
  • 2. Patentpools
  • 3. Lizenzgebührenobergrenze
  • V. Zusammenfassung
  • B. Konzepte zur Bestimmung von FRAND-Lizenzgebühren
  • I. Europäische Kommission
  • 1. Horizontalleitlinien
  • 2. ECSIP Consortium study: Patents and Standards
  • 3. JRC Science and Policy Report
  • 4. Mitteilung an das Europäische Parlament
  • II. Rechtsprechung
  • 1. Georgia-Pacific-Test
  • 2. Instanzgerichtliche Rechtsprechung
  • a) High Court of Justice
  • b) Deutsche Gerichte
  • III. Ansätze der Literatur
  • 1. Shapley-Wert
  • 2. Numerische Proportionalität/ Minimum Change Optimum Impact
  • 3. Rule of Thumb/ Profit-Split-Methode
  • 4. Ex ante incremental value
  • 5. Ex-ante Auktion
  • 6. Bindendes Schiedsverfahren
  • 7. Efficient Component Pricing Rule – ECPR
  • 8. Kostenorientierte Ansätze
  • 9. Vergleichsmarktorientierter Ansatz
  • 10. Ex-ante Offenlegung
  • 11. Ex-ante Festlegung
  • IV. Berechnungsgrundlage für FRAND-Lizenzen
  • 1. Umsatz- oder Stückzahl
  • 2. Endgerätepreis oder smallest saleable patent-practicing unit
  • C. Bewertung
  • I. Zusammenfassende Stellungnahme
  • II. Vorschlag zweier Kriterienkataloge zur Bestimmung von FRAND-Gebühren
  • 1. Begründung/Erläuterung
  • 2. Ex-ante Festlegung der Gebühren
  • 3. Ex-post-Festlegung der Gebühren
  • Kapitel 5 Zusammenfassung
  • Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

Abkürzungsverzeichnis

a.A.

andere Ansicht

ABl.

Amtsblatt (der Europäischen Union bzw. der Europäischen Gemeinschaft)

Abs.

Absatz

a.F.

alte Fassung

Antitrust L.J.

Antitrust Law Journal

Art.

Artikel

BB

Betriebs-Berater

BeckRS

Beck online Rechtsprechung

Berkeley Tech. L. J.

Berkeley Technologie Law Journal

Beschl.

Beschluss

BGH

Bundesgerichtshof

BKartA

Bundeskartellamt

BPartG

Bundespatentgericht

bspw.

beispielsweise

bzw.

beziehungsweise

Cal. L. Rev.

California Law Review

CEN

Europäisches Komitee für Normung

CENELEC

Europäisches Komitee für Elektrotechnische Normung

CMA

Competition and Markets Authority

COMLINTL

Competition Law International

d.h.

das heißt

DIN

Deutsches Institut für Normung e.V.

ECJ

European Competition Journal

ECLR

European Competition Law Review

ECSIP

European Competitiveness and Sustainable Industrial Policy Consortium

Ent.

Entscheidung

ESB

Elektronische Schnittstelle für Behörden

ETSI

European Telecommunication Standards Institiute

EuGH

Gericht (der Europäischen Union/ erster Instanz der EuropäischenGemeinschaft)

EuGH

Gerichtshof (der Europäischen Union/ der Europäischen Gemeinschaft)

EWS

Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht

f.

folgende

ff.

fortfolgende

FRAND

Fair, reasonable and non-discriminatory

Geo. Mason L. Rev.

George Mason Law Review

grds.

grundsätzlich

GRUR

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht

GRUR Int

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil

GRUR-Prax

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht

GRUR-RR

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Rechtsprechungs-Report

Hrsg.

Herausgeber

i.d.R.

in der Regel

IEC

International Electrotechnical Commission

IIC

International Review of Industrial Property and Copyright Law

insb.

insbesondere

ISO

International Organization for Standardization

i.S.v.

im Sinne von

ITU

International Telecommunication Union

JCLE

Journal of Competition Law & Economics

LG

Landgericht

Minn. L. Rev.

Minnesota Law Review

MR-Int

Medien und Recht International

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NZKart

Neue Zeitschrift für Kartellrecht

OECD

Organisation for Economic Co-operation and Development

OFT

Office of Fair Trading

OLG

Oberlandesgericht

RAND

Reasonable and non-discriminatory

Rev. Law Econ.

Review of Law & Economics

SCCHITLJ

Santa Clara Computer & High Technologie Law Journal

Slg.

Sammlung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen Gerichts Erster Instanz

s.o.

siehe oben

sog.

sogennante(r)

SEP

Standardessentielles Patent

SSO

Standardisierungsorganisation

Urt.

Urteil

vgl.

vergleiche

WRP

Wettbewerb in Recht und Praxis

WuW

Wirtschaft und Wettbewerb

ZWeR

Zeitschrift für Wettbewerbsrecht

Im Übrigen wird auf das Abkürzungsverzeichnis der Rechtsprache, begr. v. Kirchner, Hilbert, bearb. v. Böttcher, Eike, 8. Aufl., Berlin/Boston 2015 verwiesen.

Kapitel 1 Einleitung

A. Problemstellung

Die Festlegung und Verwendung einheitlicher Standards bzw. Normen1 ist aus der heutigen Wirtschaft nicht mehr wegzudenken. Insbesondere im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) gewährleisten Standards die aufgrund der wachsenden digitalen Konvergenz benötigte Kompatibilität und Interoperabilität. Sie ermöglichen so den Informationsaustausch und die Datennutzung zwischen den Netzwerken, Systemen sowie Geräten verschiedenster Hersteller.2 Als Beispiele für Mobilfunkstandards können der UMTS (3G) oder LTE-A (4G) Standard genannt werden.3 Aktuell wird an der Entwicklung der nächsten Standardgeneration 5G gearbeitet.4

Immer größere Bedeutung im Bereich der technischen Normierung kommt der Beteiligung patentrechtlich geschützter Lehren an Standards zu. Als Folge einer solchen Inkorporation ist die Patentnutzung Grundvoraussetzung für die Erfüllung der Standardvoraussetzungen. Normnutzer müssen somit zwingend das als wesentlich oder standardessentiell bezeichnete Patent (SEP) verwenden.5 Dabei können mittlerweile an einer Norm nicht nur eines oder mehrere, sondern Schutzrechte in vier- bis fünfstelliger Höhe beteiligt sein.6 So kann zum ←19 | 20→Beispiel die Herstellung eines Mobiltelefons die Nutzung über 1.000 wesentlicher Patente erfordern.7

Den Inhabern dieser standardessentiellen Patente kommt aufgrund ihres wesentlichen Schutzrechts eine enorme Bedeutung für den jeweiligen Markt zu. Denn wollen die Standardnutzer keine Patentverletzung begehen, sind sie auf die Lizenzerteilung des SEP-Inhabers angewiesen.8

Um den Zugang der Marktteilnehmer zu den zwingend benötigten Schutzrechten zu gewährleisten, werden die Inhaber potenziell wesentlicher Patente vor Festlegung der Norm von der jeweiligen Standardisierungsorganisation aufgefordert, eine sog. FRAND-Lizenzbereitschaftserklärung9 abzugeben. In dieser erklärt der Patentinhaber, jedem Lizenzsucher ein Nutzungsrecht für sein Schutzrecht zu fairen, angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen einzuräumen.10

In der Praxis hat sich allerdings gezeigt, dass die FRAND-Erklärung (noch) nicht zur gewünschten Rechtssicherheit geführt hat. Vielmehr ist die Bedeutung dessen, was im Kontext standardessentieller Patente als fair, angemessen und nicht-diskriminierend verstanden wird, hoch umstritten. Denn eine Konkretisierung oder Definition, was unter diesen abstrakten Begriffen zu verstehen ist, ist bislang nicht erfolgt.11

Dabei ist die wirtschaftliche Bedeutung der Kernfrage, wann eine Lizenzgebühr für eines oder mehrere Patente im FRAND-Kontext angemessen ist, gerade für die betroffenen Parteien enorm. In den diesbezüglich geführten Patentverletzungsprozessen streiten die Beteiligten zum Teil um Millionen- bzw. Milliardenbeträge.12

←20 | 21→

Ebenso sind grundlegende Fragen nach der rechtlichen Verbindlichkeit einer abgegebenen FRAND-Lizenzerklärung oder ihrer kartellrechtlichen Bedeutung Gegenstand der Diskussion in Rechtsprechung und Literatur.13

B. Fragestellungen und Ziele der Arbeit/ Themenabgrenzung

In der vorliegenden Arbeit erfolgt eine umfassende Darstellung und Analyse der Lizenzbereitschaftserklärungen zu FRAND-Bedingungen bei standardessentiellen Patenten aus zivil- und kartellrechtlicher Perspektive.

Dabei soll zunächst zur Klärung der grundsätzlichen Fragen beigetragen werden, was genau unter einer FRAND-Lizenzbereitschaftserklärung zu verstehen ist und was die Abgabe einer solchen Erklärung eigentlich für die beteiligten Parteien bedeutet. Dies umfasst insbesondere die Problematik der Rechtsnatur der Erklärung, ihren inhaltlichen Umfang sowie ihre Auswirkungen auf kartellrechtlicher Ebene. Auf immaterialgüterrechtliche Aspekte wie die patentrechtliche Zwangslizenz wird in diesem Rahmen nicht eingegangen.

Im weiteren Verlauf wird die Problematik behandelt, wie im speziellen der Begriff der angemessenen Lizenzgebühr umrissen werden kann. Dabei soll allerdings keine konkrete ökonomische Berechnungsmethode für FRAND-Lizenzgebühren entwickelt werden. Diese Aufgabe fällt in den Bereich der Wirtschaftswissenschaften und bleibt diesen vorbehalten.

Vielmehr ist das Ziel der vorliegenden Untersuchung die Beantwortung der Frage, ob anhand der in der Rechtsprechung und Literatur diskutierten Modelle ein Beurteilungsrahmen für FRAND-Lizenzgebühren geschaffen werden kann, der die Möglichkeit lässt, den individuellen Gegebenheiten und einzelfallbezogenen Konstellationen Rechnung zu tragen.14 Einen solchen Maßstab könnten die Parteien als Basis für ihre bilateralen Verhandlungen heranziehen bzw. er könnte im Falle des Scheiterns der Verhandlungen Dritten bei der Festsetzung der Lizenzgebühr behilflich sein.15

←21 | 22→

C. Gang der Untersuchung

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel. Nach der Einleitung im ersten Teil werden zunächst im folgenden zweiten Kapitel die (begrifflichen) Grundlagen erläutert. Neben den verschiedenen Standardformen werden die mit einer Standardisierung verfolgten Ziele sowie das, formellen Standards zugrundeliegende Festsetzungsverfahren dargestellt. Im weiteren Verlauf wird die besondere Konstellation der Beteiligung von Patenten an Standards erläutert. Neben dem Spannungsverhältnis zwischen Immaterialgüterrechten und Normierung wird auch das Verhältnis zwischen Rechten des Geistigen Eigentums und dem Kartellrecht besprochen. Abschließend werden im zweiten Kapitel die kartellrechtlichen Vorgaben für Standardisierungsvereinbarungen ausgeführt.

Nachdem die FRAND-Erklärung im zweiten Kapitel in den Kontext von Standardisierung und Immaterialgüter- und Kartellrecht gesetzt wurde, ist Schwerpunkt des folgenden dritten Kapitels die FRAND-Erklärung selbst in zivil- und kartellrechtlicher Hinsicht. Zunächst werden ihre Funktion, ihr Zustandekommen sowie ihr Inhalt untersucht. Daran schließt sich eine Diskussion des anwendbaren Rechts sowie der Rechtsnatur der Erklärung an. Ausführlich wird im weiteren Verlauf die kartellrechtliche Bedeutung einer FRAND-Erklärung im Kontext des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV/ § 19 GWB, dargestellt. Darüber hinaus werden die zivilrechtlichen Auswirkungen von abgegebenen FRAND-Erklärungen und Verstößen gegen diese aufgeführt.

Das vierte Kapitel widmet sich nach einer Einführung in die grundsätzlichen kartellrechtlichen Regelungen zur Preismissbrauchsaufsicht im europäischen und nationalen Recht den Besonderheiten bei standard-essentiellen Patenten. Daran anschließend werden ausgewählte Konzepte zur Bestimmung von FRAND-Lizenzgebühren vorgestellt. Das Kapitel endet mit einer Bewertung der Methoden zur Festlegung konkretisierender FRAND-Lizenzbedingungen sowie einem Vorschlag zweier diesbezüglicher Kriterienkataloge. Diese werden aus den vorgestellten Methoden heraus entwickelt und sollen idealerweise ihre Vorzüge vereinen und eventuelle Nachteile der einzelnen Methoden entsprechend verringern.

Abschließend erfolgt in Kapitel 5 eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse.

←22 | 23→

1 Die Begriffe werden in der vorliegenden Arbeit synonym verwendet. Für eine ausführliche Begriffsdefinition und -abgrenzung siehe Kapitel 2 A I.

2 Fröhlich, GRUR 2008, 205 f.; Müller, Kollektive Normung, 2015, S. 1; Fuchs, in: Lange/Klippel/Ohly (Hrsg.), Geistiges Eigentum und Wettbewerb, 2009, S. 147 (147 f.).

3 Dorn, Technische Standardisierung, 2014, S. 76 Fn. 204 und Körber, Standardessentielle Patente, 2013, S. 95; vgl. zu Mobilfunkstandards auch Homepage der Bundesnetzagentur: https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Sachgebiete/Telekommunikation/Unternehmen_Institutionen/Technik/Standardisierung/Funkanwendungen/funkanwendungen-node.html.

4 Vgl. zur aktuellen Entwicklung des 5G-Standards Homepage der Bundesnetzagentur: https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Sachgebiete/Telekommunikation/Unternehmen_Institutionen/Technik/Standardisierung/Funkanwendungen/5G/5G-node.html.

5 Picht, GRUR Int 2014, 1; ders., Strategisches Verhalten, 2013, S. 2 f.; Fröhlich, GRUR 2008, 205 (206).

6 Fuchs, in FS Ahrens, 2016, S. 79 (82); vgl. für Beispiele Dorn, Technische Standardisierung, 2014, S. 76 Fn. 204 und Körber, Standardessentielle Patente, 2013, S. 95.

7 Bodewig, GRUR Int 2015, 626; Körber hält einen fünfstelligen Bereich für möglich, Körber, Standardessentielle Patente, 2013, S. 96.

Details

Seiten
276
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631804322
ISBN (ePUB)
9783631822739
ISBN (MOBI)
9783631822746
ISBN (Hardcover)
9783631804315
DOI
10.3726/b16995
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (August)
Schlagworte
Preismissbrauch Standardessentielle Patente Standardisierung Patentverletzungsklage Kartellrecht
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 276 S.

Biographische Angaben

Sara Isabell Heitkamp (Autor:in)

Sara Isabell Heitkamp studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Würzburg, Freiburg und Osnabrück. Anschließend promovierte sie extern an der Universität Osnabrück.

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