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Die Gefäßchirurgie im Ersten Weltkrieg

von Sabine Eckhardt (Autor:in)
©2014 Dissertation 198 Seiten

Zusammenfassung

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatte man sich mit allen heute gängigen Methoden der Gefäßchirurgie auseinandergesetzt und in diesem Bereich der Chirurgie binnen weniger Jahre wichtige Erkenntnisse gewonnen. Gemäß der oftmals aufgestellten These, ein Krieg bringe für die Medizin, speziell die Chirurgie, Fortschritte, bot sich den Medizinern mit Beginn des Ersten Weltkrieges die Gelegenheit, dieses Wissen zu festigen und zu erweitern. Zeitgenössische Berichte damals tätiger Kriegschirurgen stellen jedoch deutlich die widrigen Bedingungen an der Front dar, die es nahezu unmöglich machten, die bisherigen Erkenntnisse erfolgreich umzusetzen, geschweige denn Fortschritte in diesem komplexen Bereich der Chirurgie zu erzielen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Widmung
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Zusammenfassung
  • Summary
  • 1. Die Gefäßchirurgie im Ersten Weltkrieg
  • 2. Der Sanitätsdienst des Ersten Weltkrieges im Hinblick auf die Möglichkeiten der Gefäßchirurgie
  • 2.1 Das Militärsanitätswesen
  • 2.2 Auftrag des Sanitätsdienstes
  • 2.3 Sanitätspersonal und Erste Hilfe
  • 2.4 Kranken- und Verwundententransport
  • 2.5 Die Transportfähigkeit
  • 2.6 Die Sanitätseinrichtungen
  • 2.6.1 Das Verwundetennest
  • 2.6.2 Der Leichtverwundetensammelplatz
  • 2.6.3 Der Truppenverbandplatz
  • 2.6.4 Der Hauptverbandplatz
  • 2.6.5 Das Feldlazarett
  • 2.6.6 Das Kriegslazarett
  • 2.7 Besondere Maßnahmen
  • 2.8 Nachschub und Spezialgerät
  • 3. Die Wirkung der Geschosse auf den menschlichen Körper
  • 3.1 Einführung
  • 3.2 Blanke Waffen
  • 3.3 Gewehrgeschosse
  • 3.3.1 Sprenggeschosse
  • 3.3.2 Wurfminengeschosse
  • 3.3.3 Bomben
  • 3.4 Die Auswirkungen großkalibriger Geschosse auf die Verwundungen der
  • 3.5 Die Wirkung der Geschosse im menschlichen Körper
  • 3.6 Abschließende Überlegungen
  • 4. Der wissenschaftliche Stand der Gefäßchirurgie im Vorfeld des Ersten Weltkrieges
  • 4.1 Voraussetzungen für erfolgreiche gefäßchirurgische Eingriffe
  • 4.1.1 Asepsis
  • 4.1.2 Kenntnis der Gerinnungsvorgänge
  • 4.1.3 Blutersatzverfahren
  • 4.1.4 Spezialinstrumente
  • 4.2 Gefäßchirurgische Eingriffe
  • 4.3 Gefäßprothesen
  • 4.4 Aneurysmen
  • 4.4.1 Die Endoaneurysmorrhaphie
  • 4.4.2 Weitere Methoden der Aneurysmaoperation
  • 4.5 Transplantationen
  • 4.6 Komplikationen in der Gefäßchirurgie
  • 4.7 Resultate der Gefäßchirurgie
  • 5. Die Gefäßchirurgie in der Praxis während der Zeit des Ersten Weltkrieges an der Front
  • 5.1 Die Häufigkeiten der Gefäßverletzungen
  • 5.2 Voraussetzungen für das Gelingen einer erfolgreichen Gefäßoperation
  • 5.2.1 Asepsis
  • 5.2.2 Narkose
  • 5.2.3 Blutersatzverfahren
  • 5.2.4 Spezialinstrumente
  • 5.3 Diagnostik
  • 5.4 Operieren in Blutleere
  • 5.5 Die primäre Blutstillung
  • 5.6 Die Ausbildung eines Kollateralkreislaufes
  • 5.7 Der Transport Verwundeter
  • 5.8 Die gefäßchirurgischen Eingriffe
  • 5.8.1 Die Ligatur
  • 5.8.2 Die Gefäßnaht
  • 5.9 Exkurs zu Jegers Veröffentlichungen über sein Wirken an der Front
  • 6. Exkurs zum Selbstverständnis der Ärzte an den Fronten des Ersten Weltkrieges
  • 7. Exkurs zur Münchener Medizinischen Wochenschrift
  • 8. Quellen- und Literaturverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis

← 10 | 11 → Zusammenfassung

„Der Krieg war ein beispielloser Triumph der Naturwissenschaften. Bacon hatte verheißen, daß Erkenntnis Macht bedeuten würde. Und Macht war es in der Tat, die Macht, Leib und Seele der Menschen schneller zu vernichten, als es jemals vorher geschehen war. Dieser Triumph bereitete den Weg für andere Triumphe: Fortschritte im Transport- und Gesundheitswesen, in der Chirurgie, Medizin und Psychiatrie, in Handel und Industrie und vor allem in den Vorbereitungen auf den nächsten Krieg.“1

Dieses Zitat charakterisiert die Bedeutung des Ersten Weltkrieges für die Gesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts sehr gut. Fortschritte konnten in zahlreichen Gebieten der Industrie und Wissenschaft verzeichnet werden, so dass dies der erste Krieg war, in dem nicht die Überzahl der Toten durch Lazarettbedingungen und Infektionen entstand. Eine Ausnahme bildete in dieser Hinsicht jedoch – wie in dieser Arbeit dargestellt – die Gefäßchirurgie.

Die Chirurgen an den Fronten des Ersten Weltkrieges sahen sich mit zahlreichen nicht vorhersehbaren Komplikationen konfrontiert. Zum einen erzeugten die neuen Artilleriegeschosse unregelmäßige und wenig überschaubare Verwundungen, die oftmals mit Hautverbrennungen und Infektionen einhergingen. Dementsprechend konnte man nicht allein aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes einer Verletzung die inneren Zerstörungen beurteilen und war auf weiterführende Diagnostik angewiesen, um den Patienten suffizient zu heilen. Die Diagnostik war jedoch schwierig, da es an Zeit für eine ausführliche Anamnese und an Ausstattung in Form von Röntgenkraftwagen mangelte.

Darüber hinaus gestaltete sich die zeitnahe Versorgung der Verwundeten, wie sie bei akut blutenden Gefäßverletzungen lebenswichtig war, schwierig. Gerade im Rahmen langer Stellungskriege wurde die Genfer Konvention nicht eingehalten und aufgrund tagelanger Kämpfe ohne Feuerpausen konnten Verwundete nicht geborgen werden, sodass schon die Erstversorgung mangelhaft war. Zwar muss festgehalten werden, dass die theoretischen Ideen in Bezug auf das ← 11 | 12 → Heeressanitätswesen im Vorfeld des Ersten Weltkrieges vor allem in Relation zu vorhergehenden Kriegen sehr fortschrittlich waren, jedoch aufgrund mangelnder äußerer Bedingungen oftmals nicht umgesetzt werden konnten. Gerade im Anschluss an Gefäßoperationen mussten die Verwundeten einige Tage unter genauer ärztlicher Beobachtung bleiben, die in Zeiten langer Stellungskriege aufgrund des enormen Verwundetenaufkommens oder beim Vorrücken der Truppe frontnah nicht gewährleistet werden konnte. Der Transport von Verwundeten in rückwärtig gelegene sanitäre Einrichtungen gestaltete sich jedoch auch sehr schwierig, da die Strecken teilweise sehr lang und die Straßenverhältnisse schlecht waren. Vor allem für Gefäßverletzte konnte ein solcher Transport wegen erhöhter Schockwirkung, Blutungsmöglichkeiten und Infektionsgefahr tödlich enden, wenn sie in Anbetracht der militärisch- taktischen Lage verlegt werden mussten, um Platz zu schaffen für frisch Verwundete. Die dargestellten Fallbeispiele verdeutlichen zudem, dass eine endgültige Versorgung vieler Verletzter erst mit einem langen Zeitaufschub in rückwärtigen Lazaretten erfolgte, obwohl schon damals klar war, dass ein Gefäßdurchschuss sofortiger chirurgischer Behandlung bedurfte.2

Die mangelnden äußeren Bedingungen des Ersten Weltkrieges waren Grund dafür, dass die im Vorfeld des Ersten Weltkrieges von Jeger statuierten Möglichkeiten in der Gefäßchirurgie im Kriegsverlauf nur vereinzelt eingesetzt wurden. Wichtige Voraussetzungen für das Gelingen einer erfolgreichen Gefäßnaht – wie die Asepsis -, konnten nicht gewährleistet werden. Außerdem war man sich der suffizienten Vorbeugung und Behandlung von postoperativen Komplikationen in Form von Thrombosen- und Emboliebildung nicht ausreichend bewusst. Für eine gefäßchirurgische Operation musste der Patient zudem kardio- pulmonal stabilisiert sein, doch die dafür notwendige Technik der Bluttransfusion erlangte erst im Verlauf des Weltkrieges größere Bekanntheit.

Neben den oftmals präoperativ nicht erfüllbaren Voraussetzungen für eine erfolgreiche Gefäßoperation an der Front musste in Betracht gezogen werden, dass derartige Eingriffe sehr zeitaufwändig waren. Gerade in Zeiten langer Stellungskriege mit großem Verwundetenaufkommen präferierte man es, weniger schwer verletzte Patienten mit besseren Aussichten zu operieren, um sich eines erfolgreichen Operationsverlaufes sicher zu sein.

Dementsprechend wurden die von Jeger beschriebenen Erkenntnisse Anfang des 20. Jahrhunderts im Verlauf des Ersten Weltkrieges nur vereinzelt eingesetzt. Primär beschränkte sich die Mehrheit der Frontchirurgen auf die Jahrhunderte alte ← 12 | 13 → Tradition der Gefäßligatur, die zwar die Amputation einer Extremität bedeuten konnte, dafür aber schnell durchführbar war und effizient Blutungen stillte. Dennoch plädierten einige wenige Chirurgen, wie zum Beispiel von Haberer3, immer wieder für die Gefäßnaht zur Behandlung zerstörter Gefäße und weiteten ihr Indikationsfeld aus, indem sie diese auch im infizierten Wundgebiet anwendeten. Auch Jeger blieb seinen Ansichten treu und führte die Gefäßnaht wiederholt an der Front aus. Ihm gelang es sogar, einen abgetrennten Arm wieder anzufügen. Fortschrittliche Verfahren, die im Vorfeld des Ersten Weltkrieges nur experimentell an Tieren erprobt worden waren, gelangten jedoch im Ersten Weltkrieg kaum zur Anwendung. So wurden Gefäßtransplantationen nur ganz vereinzelt durchgeführt und auch Gefäßprothesen gelangten nur selten zur Anwendung. In Bezug auf die Behandlung von Aneurysmen fiel es oftmals schon schwer, diese zeitgerecht und vor allem zutreffend zu diagnostizieren. Behandelt wurden sie dann seltener nach dem Verfahren der Endoaneurysmorrhaphie als durch die Ligatur des betreffenden Gefäßes.

Dementsprechend muss trotz des enormen Verwundetenaufkommens während des Ersten Weltkrieges festgestellt werden, dass auf dem Gebiet der Gefäßchirurgie keine Fortschritte gemacht wurden. Um die Jahrhundertwende dargestellte tierexperimentelle und theoretische Verfahren hatte man weder perfektionieren, noch in der Praxis etablieren können. Ganz im Gegenteil: das Groß der an der Front tätigen Chirurgen sprach sich für die im Vorfeld des Ersten Weltkrieges als veraltetes Verfahren deklarierte Gefäßligatur aus. In Bezug auf Gefäßeingriffe war der Krieg somit nicht „Lehrvater der Chirurgie“4, wie er es zum Beispiel für die Orthopädie oder die plastische Chirurgie war. Auch im Verlauf des Krieges lässt sich keine wesentliche Änderung der Meinungen zu gefäßchirurgischen Eingriffen bei den Chirurgen beobachten.

Sehr deutlich wird bei der Auswertung der ärztlichen Beiträge in der Münchener Medizinischen Wochenschrift von 1914–1918 jedoch, wie stark sich die Ärzteschaft vor allem zu Kriegsbeginn mit der Monarchie, dem Reich und dem Militär identifizierte. Die effiziente Kriegsmedizin verlangte von dem Militärmediziner, dass er als „Diener der Politik der Staatsmacht“5 das Wohl des Gesamtkörpers ← 13 | 14 → über das des Einzelnen stellte. In Anbetracht der ausgewerteten Beiträge handelten die Chirurgen auch dementsprechend, allerdings ohne den Konflikt zwischen traditionell ärztlicher Ethik und militärisch- strategischem Interesse wirklich zu diskutieren oder zu kritisieren:

„Darin liegt für die Ärzte der Segen des Krieges, dass sie in ihrer Ausbildung kräftig gefördert und an Erfahrung reich geworden sind, dass sie an Charakter, Mut und Tatkraft mächtig gewonnen haben. Kraftvoll entwickelt, nach allen Richtungen gefestigt und vertraut mit allen Leiden und Nöten des Krieges, kehren diese Ärzte aus dem Krieg heim, und alle diese Neuerwerbungen des Wissens bringen sie jetzt in ihre bürgerliche Tätigkeit hinein, zum Besten ihrer Mitbürger, deren Vertrauen sie gewonnen haben.“6

Als Vertreter der Humanität fanden sich vergleichsweise wenig Pazifisten unter den Ärzten, und sie alle rechtfertigten ihre Rolle im Weltkrieg damit, dass sie dem wissenschaftlichen Fortschritt und im Endeffekt dem Gesamtwohl des Volkes dienen würden. Im Hinblick auf die Gefäßchirurgie greift diese Rechtfertigung nicht, denn hier vollzog sich eher ein Rückschritt als ein Fortschritt von 1914–1918. Darüber hinaus muss noch beachtet werden, dass die Münchener Medizinische Wochenschrift durchaus Propagandafunktion innehatte und es somit wahrscheinlich ist, dass primär wissenschaftliche Erfolge veröffentlicht, Misserfolge jedoch nie bekannt wurden. In Bezug auf die Gefäßchirurgie kann man somit in der Realität davon ausgehen, dass sie sehr selten mit nur mäßigen, wenn nicht gar mit Misserfolgen an der Front ausgeführt wurde.

„Die Geschichte der Gefäßchirurgie ist vielumfassend. Sie beschränkt sich nicht auf die Entwicklung von Techniken, Methoden und Materialien. Viele andere Entwicklungen auf den verschiedensten Bereichen der Medizin haben die Entfaltung der Gefäßchirurgie ermöglicht.“7

Wirkliche Fortschritte in der Gefäßchirurgie vollzogen sich erst im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg. Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges wurden Bluttransfusionen und Antibiotikabehandlung zur Infektionsprophylaxe Standard. Außerdem erlangte man Kenntnis darüber, wie man die Blutgerinnung kontrollieren und postoperative Thromben- und Emboliebildung verhindern konnte.8 Dementsprechend ← 14 | 15 → waren die Grundvoraussetzungen für erfolgreiche gefäßchirurgische Eingriffe gegeben, so dass 1951 erstmalig die Resektion einer verschlossenen Aortengabel mit Ersatz des Defektes durch ein Homo- Transplantat durchgeführt werden konnte. 1953 fanden die ersten Kunststoffprothesen aus Dacron und Teflon Eingang in die Medizin und sind mit einigen Modifikationen seit den 60er Jahren heute Standard in der Medizin. Die von Jeger Anfang des 20. Jahrhunderts beschriebenen Erkenntnisse fanden somit erst knapp 50 Jahre später Eingang in die Praxis und konnten weiterentwickelt und perfektioniert werden.← 15 | 16 →

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1Collingwood, R.G.: Denken. Eine Autobiographie, Stuttgart 1955 (Orig.1939), S. 88, in: Eckart, W. U., Gradmann, C.: Die Medizin und der Erste Weltkrieg (Neuere Medizin- und Wissenschaftsgeschichte. Quellen und Studien, Bd. 3), Pfaffenweiler 1996, S. 109.

2Vgl. insbesondere Kapitel 5.9.

Details

Seiten
198
Erscheinungsjahr
2014
ISBN (PDF)
9783653040579
ISBN (MOBI)
9783653993561
ISBN (ePUB)
9783653993578
ISBN (Hardcover)
9783631646465
DOI
10.3726/978-3-653-04057-9
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Schlagworte
Münchener Medizinische Wochenschrift Sanitätsdienst Ärzte an der Front Feldärztliche Beilage
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 198 S., 37 s/w Abb.

Biographische Angaben

Sabine Eckhardt (Autor:in)

Sabine Eckhardt studierte Humanmedizin. Ihr Interesse gilt insbesondere der angewandten Chirurgie an den Fronten des Ersten Weltkrieges. In diesem Zusammenhang befasst sie sich auch mit der Einstellung der damaligen Ärzteschaft zum Thema Krieg.

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