Wortschatz, Wortschätze im Vergleich und Wörterbücher
Methoden, Instrumente und neue Perspektiven
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Metapher und Metonymie als Strategien der Bedeutungserweiterung am Beispiel des Deutschen und Französischen
- 1 Vorbemerkungen
- 2 Konfliktive Verwendungen von Verben: Konfliktstrukturen
- 3 Metaphorische und metonymische Bedeutungserweiterungen von Verben: zwei Modelle
- 4 Die metonymische Erweiterung: Kontinuität der Argumente
- 5 Die metaphorische Bedeutungserweiterung: Änderung der Argumente
- 6 Eine Strategie der kontingenten Anpassung: coercion
- 7 Schlussfolgerungen
- 8 Literaturverzeichnis
- Zur Problematik der korpusbasierten Äquivalenzermittlung in der zweisprachigen Lexikographie
- 1 Vorbemerkungen
- 2 Die Formulierung von Hypothesen hinsichtlich des zielsprachlichen Äquivalents
- 2.1 Die absolute Symmetrie
- abdurre – abduzieren
- digitalizzare – digitalisieren
- 2.2 Die diaphasische Symmetrie
- cristallizzare – kristallisieren
- fagocitare - phagozytieren
- attualizzare – aktualisieren
- concettualizzare – konzeptualisieren
- 2.3 Die nichtdiaphasische Symmetrie
- emancipare – emanzipieren
- 2.4 Die kontextuelle Symmetrie
- contaminare – kontaminieren
- 2.5 Formale Asymmetrien
- anastomizzare – anastomosieren
- armonizzare – harmonisieren, harmonieren
- 2.6 Das Fehlen eines etymologischen Äquivalents
- 3 Die Ermittlung des unbekannten Übersetzungsäquivalents
- 3.1 Syntagmatische Wortverbindungen
- 3.2 Die semantische Dimension
- 3.3 Die pragmatische Dimension
- 4 Fazit
- 5 Literaturverzeichnis
- 5.1 Wörterbücher
- 5.2 Korpora und elektronische Datenbanken
- 5.3 Sekundärliteratur
- „Schwierige“ Wörter in der Übersetzungspraxis und zweisprachige Wörterbücher
- 1 Einführung
- 2 Zweisprachige Wörterbücher und Übersetzung
- 3 „Schwierige Wörter“ und zweisprachige Wörterbücher Deutsch-Italienisch-Deutsch und Deutsch-Französisch-Deutsch
- 4 Beispiele
- a. Sprechen für/gegen
- b. Prägen
- c. Etablieren – etabliert
- d. Stiften
- e. Spannungsverhältnis
- f. Spannungsfeld
- g. Meinungsbildung
- h. Individuare/Declinare
- i. das Licht unter den Scheffel stellen
- 5 Schlussfolgerungen
- 6 Literaturverzeichnis
- Die Anmerkung „unpersönlich” in der Mikrostruktur für Verben in zweisprachigen Wörterbüchern Italienisch – Deutsch
- 1 Die Mikrostruktur der Verben in zweisprachigen Wörterbüchern oder wie die Syntax ins Wörterbuch kommt
- 2 Verbale Mikrostrukturen, die auf der Form basieren und verbale Mikrostrukturen, die auf dem Sinn basieren
- 3 Die Anmerkung „unpersönlich”: ein kurzer Exkurs in die Tradition italienischer Grammatiken
- 4 Unpersönliche Verben und unpersönliche Verwendungs-weisen von Verben in einigen einsprachigen Wörter-büchern des Italienischen
- 4.1 Das Wörterbuch Sabatini/Coletti
- 4.2 Zingarelli, De Mauro und Devoto/Oli
- 5 „Unpersönlich“ im Langenscheidt-Lernerwörterbuch
- 6 „Unpersönlich“ und „impersonale“ in zwei neueren zweisprachigen Wörterbüchern Italienisch-Deutsch
- 7 Eine erste Bilanz
- 8 Literaturverzeichnis
- 8.1 Wörterbücher
- 8.2 Sekundärliteratur
- Redewendungen als lexikographisches Problem: der Beitrag des Dizionario di Tedesco Giacoma/Kolb zur zweisprachigen Phraseographie
- 1 Redewendungen als lexikographisches Problem
- 2 Redewendungen in zweisprachigen Wörterbüchern: Benutzerbedürfnisse und die Arbeit des Lexikographen
- 2.1 Eine kontrastive Analyse Deutsch-Italienisch
- 2.2 Die Benutzerbedürfnisse
- 3 Zur Makrostruktur
- 3.1 Welche Redewendungen findet man im Wörterbuch?
- 3.2 Unter welchem Stichwort findet man die Redewendung?
- 3.3 Die Anordnung der Redewendungen innerhalb eines allgemeinen Wörterbuches
- 3.4 Die Symmetrie des deutsch-italienischen und des italienisch- -deutschen Teils
- 4 Zur Mikrostruktur
- 4.1 An welcher Stelle im Wörterbucheintrag findet man die Redewendung?
- 4.2 Der phraseologische Block
- 4.3 Die Anordnung der Redewendungen im lexikographischen Artikel: nur eine Frage der Form?
- 4.4 Woran erkennt man eine Redewendung?
- 4.4.1 Die Markierung fig
- 4.4.2 Die Bedeutungserläuterung
- 4.5 Wie ist die Nennform der Redewendung?
- 4.5.1 Externe Valenz
- 4.5.2 Varianten
- 4.5.3 In welchen Situationen und unter welchen Bedingungen kann man eine Redewendung (nicht) verwenden?
- 4.5.4 Morphosyntaktische Restriktionen
- 4.6 Diasystematische Markierungen
- 4.6.1 Sprachliches Register und diachronische Markierungen
- 4.7 Sprechereinstellungen
- 4.8 Illokutionen
- 5 Der Beitrag des Dizionario di Tedesco Giacoma/Kolb zur zweisprachigen Phraseographie
- 6 Schlussbemerkungen
- 7 Literaturverzeichnis
- 7.1 Wörterbücher
- 7.2 Korpora und elektronische Datenbanken
- 7.3 Sekundärliteratur
- Das Projekt eines neuen italienisch-deutschen Kollokationswörterbuches und sein innovativer Beitrag zur bilingualen Lernerlexikographie
- 1 Einleitung
- 2 Theoretische Grundlagen des Projektes
- 2.1 Dem Projekt zugrunde gelegter Kollokationsbegriff
- 2.2 Kollokationen als Ausdruck bestimmter sprach- und kulturspezifischer Konzeptualisierungen
- 2.3 Unterscheidung zwischen verschiedenen Kollokationstypen
- 3 Einsatz von Visualisierungen zur Verdeutlichung einzelsprachspezifischer Konzeptualisierungen
- 4 Methodische Vorgehensweise
- 4.1 Auswahl der Lemmata
- 4.2 Auffinden der Kollokationen zu einer gegebenen Basis
- 4.3 Mustereintrag zu einem Lemma: gamba
- 5 Schlussbemerkungen und Ausblick
- 6 Literaturverzeichnis
- 6.1 Wörterbücher und Lernwortschätze
- 6.2 Sekundärliteratur
- Phraseologie und Polysemie im (ein- und) zweisprachigen Wörterbuch
- 1 Phraseme in der Lexikologie und Lexikographie
- 2 Die lexikographischen Korpora für diese Untersuchung: Duden 11 und Dizionario idiomatico
- 3 Die Polysemie deutscher Phraseme: erste Daten anhand des Duden 11
- 4 Die Polysemie der Phraseme im Dizionario idiomatico
- 5 Die Bestimmung des Gebrauchsrahmens. Das Beispiel Blauer Brief
- 6 Schlussbemerkungen und Desiderata für weitere Forschungen
- 7 Literaturverzeichnis
- Das pragmatische Potential von Phrasemen – illustriert am Deutschen und Italienischen
- Literaturverzeichnis
- Wörterbücher
- Korpora und elektronische Datenbanken
- Sekundärliteratur
- Tendenzen, Potenzial und Grenzen der elektronischen Fachlexikographie
- 1 Einführung
- 2 Konzeptionelle Grundfragen und aktuelle Lösungen
- 2.1 Fachliche vs. sprachliche Wörterbuchinformation, Wortprofile und Begriffssysteme
- 2.2 Unterschiedliche Modelle von Wortprofilen
- 2.3 Onomasiologie vs. Semasiologie bzw. Wörterbuch vs. Terminologie-Datenbank
- 2.4 Integration von terminologischen Datenbanken und Korpora: Knowledge Base und Termontographie
- 3 Differenzierung und Integration
- 3.1 Wörterbücher als Instrument im Aufbau terminologischer Datenbestände
- 3.2 Kollokationen und Phraseologismen als Problem der Termextrahierung
- 3.3 Aktuelle Perspektiven der Integration: Arbeitsmittelportale
- 4 Literaturverzeichnis
- Multiple Beziehungen im Netzwerk: Wortverbindungen und ein-, zweisprachige und bilingualisierte elektronische Wörterbücher
- 1 Wortschatz als Netzwerk
- 2 Theorie der Profile auf lexikographischer Ebene
- 3 Der Wortschatz und seine Textualität
- 4 Wortschatz heute
- 5 Das elektronische Wörterbuch
- 5.1 Definitionen in Wörterbüchern
- 5.2 Das elektronische Wörterbuch als deskriptive Theorie
- 5.3 Wörterbuchtypen
- 5.4 Das bilingualisierte Wörterbuch
- 6 Ein Vergleich und die Zukunft
- Literaturverzeichnis
- Resümees /Abstracts
- Metapher und Metonymie als Strategien der Bedeutungserweiterung am Beispiel des Deutschen und Französischen
- Zur Problematik der korpusbasierten Äquivalenzermittlung in der zweisprachigen Lexikographie
- „Schwierige“ Wörter in der Übersetzungspraxis und zweisprachige Wörterbücher
- Die Anmerkung „unpersönlich” in der Mikrostruktur für Verben in zweisprachigen Wörterbüchern Italienisch – Deutsch
- Redewendungen als lexikographisches Problem: der Beitrag des Dizionario di Tedesco Giacoma/Kolb zur zweisprachigen Phraseographie
- Das Projekt eines neuen italienisch-deutschen Kollokations-wörterbuches und sein innovativer Beitrag zur bilingualen Lernerlexikographie
- Phraseologie und Polysemie im (ein- und) zweisprachigen Wörterbuch
- Das pragmatische Potential von Phrasemen – illustriert am Deutschen und Italienischen
- Tendenzen, Potenzial und Grenzen der elektronischen Fachlexikographie
- Multiple Beziehungen im Netzwerk: Wortverbindungen und ein-, zweisprachige und bilingualisierte elektronische Wörterbücher
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
- Reihenübersicht
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Unter dem Begriff ‚Wortschatz’ wird im Allgemeinen die Gesamtheit der Wörter und Phraseologismen einer Sprache verstanden, auf deren Grundlage die Sprecher einer Sprachgemeinschaft miteinander kommunizieren. Als ‚Ausdruck’ einer Sprachgemeinschaft repräsentiert der Wortschatz deren Kultur- und Geistesgeschichte, bildet die ständigen Änderungen und Wandlungen der Gesellschaft ab und spiegelt ihre Entwicklung wider. Aus diesen Gründen ist der Wortschatz die Sprachkomponente mit der am stärksten ausgeprägten Dynamik und ‚Variation’. In der heutigen multikulturellen und vielsprachigen Gesellschaft haben die kommunikativen Anforderungen der Sprecher dazu geführt, dass der Bedarf an zuverlässigen Instrumenten zur Unterstützung des Verständnisses, des Unterrichtens und Lernens der Sprachen sowie der Übersetzung von einer Sprache in die andere in den letzten Jahren exponentiell gestiegen ist. Auch aufgrund dieser Faktoren nahm die Wortschatzforschung ab den Sechzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts allmählich eine immer grundlegendere Rolle im Bereich der theoretischen Sprachwissenschaft an, wo der Wortschatz bislang keine prioritäre Rolle innehatte. Man bedenke nur, dass sowohl die allgemeinen Arbeiten der verschiedensten theoretischen und methodologischen Ansätze als auch die zahlreichen syntaktischen und satzsemantischen Problemen gewidmeten Bände lange Zeit die langwierige und mühevolle Detailanalyse des Wortschatzes als mehr oder weniger geleistet vorausgesetzt haben. In den letzten Jahrzehnten hat das Literaturangebot zu den in diesem Sammelband behandelten Themenkreisen in einem solchen Maß zugenommen, dass sie im vorliegenden Band nicht umfassend behandelt werden können. Dies gilt umso mehr, da die jüngsten, im zwanzigsten Jahrhundert entwickelten Grammatiktheorien, wie zum Beispiel die als Gegenpol zur Generativen Grammatik entstandene und entwickelte, im Unterschied zur ersteren Kontinuität zwischen Syntax und Lexikon theorisierende Konstruktionsgrammatik, schließlich verschiedene theoretische Ansätze hervorbrachten, die jeweils gesondert zu behandeln wären. Das Ziel dieses Sammelbands ist demnach die Beschreibung und Untersuchung einiger Aspekte, die den Wortschatz und seine Wiedergabe in Wörterbüchern charakterisieren. Dabei werden - auch dank der umfangreichen und detaillierten Bibliographien in den Beiträgen der einzelnen Autoren – Anregungen zu einigen grundlegenden Thematiken in den Bereichen ← 9 | 10 → der Semantik, der lexikalischen Semantik, der Lexikologie, der Lexikographie, der Metalexikographie und der Terminologie gegeben, wobei dazu natürlich auch die Untersuchung zu den phraseologischen Einheiten gehört.
Der Sammelband richtet sich in erster Linie an Wissenschaftler der deutschen Sprache und Spezialisten in den soeben genannten Disziplinen. Durch die Klarheit in der Darstellung und die prägnante Ausdrucksform der Autoren sowie die Natur der behandelten Themen wird aber eine breitere Leserschaft angesprochen, wie zum Beispiel Literaturwissenschaftler, Sprachphilosophen sowie allgemein an der deutschen Sprache und/oder an den beschriebenen Problematiken interessierte Wissenschaftler ebenso wie Studierende, die im Lauf ihres Studiengangs Deutsch lernen und vertiefen.
Dieser Band enthält Studien zum deutschen Wortschatz, aus einer kontrastiven und hauptsächlich angewandten Perspektive, vor allem mit Bezug auf Wörterbücher. Zunächst finden die oben erwähnten Disziplinen in den Wörterbüchern ein gemeinsames Terrain. Wörterbücher sind das Ergebnis lexikographischer Sammel- und Beschreibungsarbeit, aber Wörterbucharbeit baut ihrerseits auf semantischer, lexikologischer und metalexikographischer Arbeit auf. Mit anderen Worten, die semantische, lexikologische und metalexikographische Forschung beeinflusst die lexikographische Praxis und umgekehrt. Die vorrangige Behandlung des Wortschatzes in den Wörterbüchern ist heutzutage offenbar von grundlegender Bedeutung. Man denke nur an die von den heutigen und künftigen Sprechern geforderte kommunikative Kompetenz: Das Wörterbuch stellt, insbesondere in elektronischer Form, für sie ein fundamentales ‚Lerninstrument’ dar und wird deshalb von einem sehr breiten Publikum benutzt, das in vielen Fällen morphologische, syntaktische oder aber auch pragmatische und textuelle/argumentationstheoretische Kenntnisse mit Bezug auf Wörter und Phraseologismen benötigt.
Im Sammelband werden verschiedene Themen angesprochen1. Michele Prandi und Sibilla Cantarini behandeln die Metapher und die Metonymie als Strategien der Bedeutungserweiterungen. Es folgt der Beitrag von Giovanni Rovere, in dem die methodologischen Probleme bei der Bestimmung der Äquivalente in der zweisprachigen Lexikographie ← 10 | 11 → erörtert werden. Lorenza Rega untersucht die ,Wörter’, die sich in der Übersetzungspraxis als schwierig herausstellen und Carla Marello die Verwendung der Anmerkung ‚unpersönlich‘ sowohl in der einsprachigen Lexikographie für die italienische Sprache als auch in jüngsten Ergebnissen der zweisprachigen Lexikographie für das Sprachenpaar Italienisch–Deutsch. Luisa Giacoma setzt sich mit der lexikographischen Behandlung der Redewendungen im Dizionario di Tedesco (Giacoma/Kolb, Zanichelli/Klett 22009) auseinander und Christine Konecny stellt in ihrem Beitrag ein lexikographisches Forschungsprojekt vor, das die Erstellung eines bilingualen Wörterbuchs lexikalischer Kollokationen des Sprachenpaares Italienisch-Deutsch zum Ziel hat. Thema des Beitrags von Sabine Koesters Gensini ist die Polysemie deutscher Phraseme und Elmar Schafroth befasst sich mit dem Thema der Phraseologie als sprachliche Strategie zwischen Rhetorik und Pragmatik und schlägt das innovative Modell eines ‚Phraseoframe‘ zur lexikographischen Beschreibung der phraseologischen Einheiten vor. Der Beitrag von Marcello Soffritti untersucht, wie sich innovative lexikographische Konzepte gegenwärtig entwickeln und wie sie sich auf die Fachlexikographie auswirken. Zum Schluss zeigt Vincenzo Lo Cascio auf, dass der Wortschatz kein einfaches Wörterverzeichnis ist, sondern aus lexikalischen Vernetzungen sowie komplexen und phraseologischen Einheiten besteht.
Die Beiträge des Sammelbands stellen sich auf mehr oder weniger direkte Weise einigen relevanten Aspekten unterschiedlicher Natur und Ordnung, die sich auch heute noch als Problembereiche mit Bezug auf den Wortschatz und seine Behandlung in Wörterbüchern, vor allem in Printwörterbüchern, erweisen. Der erste problematische Aspekt bezieht sich auf die Definition von ‚Wortbedeutung’, die der Lexikograph mehr oder weniger zur Grundlage des Wörterbuchs macht. In der lexikographischen Praxis ist im Hinblick auf das Verfassen der Mikrostrukturen der Stichwörter zu erkennen, wie der Lexikograph die in der Mikrostruktur vorhandenen Informationen einerseits auf die Bedeutung des Wortes im System, andererseits auf die Bedeutung zurückführt, die ich hier vereinfachend ‚aktualisiert’ nenne, wobei die Bedeutung des Wortes im Kontext gemeint ist. Die Aufgabe des Lexikographen, der sich ständig zwischen der Bedeutung der Wörter im System und der Bedeutung der Wörter im Kontext zu bewegen hat, zum Teil zurückführbar auf die logisch-philosophische Gegenüberstellung allgemein-individuell sowie auf die Dichotomie langue-parole von Ferdinand de Saussure, erweist sich aus einer Reihe praktischer Gründe als mühsam und schwierig. Wenn es nicht so ← 11 | 12 → wäre, hätte sich die Frage der Polysemie der Wörter in Wörterbüchern abweichend auch von den Feststellungen in diesem Buch endgültig geklärt. Wenn das Hypostasieren der Bedeutung für den Lexikographen nützlich und unverzichtbar ist, wie viele Bedeutungen hat demnach ein Wort und nach welchen Kriterien sind diese zu ermitteln? Wie sind zum Beispiel die der ,Variation’ des Kontextes zuzuschreibenden Bedeutungsnuancen, die keine Aufnahme ins Wörterbuch rechtfertigen, von den Bedeutungen zu unterscheiden, die, um die Franz Josef Hausmann so wichtige Differenzierung von Eugeniu Coşeriu wiederaufzunehmen, auf die ,Norm’ zurückzuführen sind? Es lässt sich feststellen, dass Wortbedeutungen, die ein Lexikograph trennt, indem er zwei oder mehr Definitionen verwendet, von einem anderen mit einer einzigen allgemeineren Definition dargestellt werden. Und aus dieser mehr oder weniger gegebenen Allgemeinheit hängt unvermeidlich die Anzahl der Homonyme einer Sprache ab. Die lexikographische Praxis spiegelt in vielen Fällen eine Lücke der theoretischen Sprachwissenschaft wider, der es nicht gelingt, präzise Bedeutungsunterscheidungskriterien zu liefern.
Ein weiterer problematischer Aspekt des Wortschatzes, der sich gleichermaßen aus verschiedenen Beiträgen in diesem Buch ergibt, besteht aus den Phraseologismen im weitesten Sinne und deren Behandlung in Wörterbüchern. Trotz der hohen Anzahl sprachlicher Ausdrücke, die keine kompositionelle Bedeutung haben, haben das generative und davor noch das strukturalistische Paradigma dazu beigetragen, die semantisch nicht wohlgeformten und aufgrund der wörtlichen Bedeutung nicht interpretierbaren Strukturen oder die semantisch wohlgeformten, aber festen Strukturen als anomale und als solche theoretisch nicht beschreibbare Strukturen zu liquidieren. In den letzten zwanzig Jahren erschien eine Vielzahl von Publikationen, insbesondere zur deutschen Phraseologie. Die vorgeschlagenen Lösungen, auch in den auf die Konstruktionsgrammatik zurückzuführenden Studien, lassen sich jedoch nur teilweise lexikographisch umsetzen, da sie nicht auf eine umfassende Klassifikation der Phraseologismen aufgrund präziser Kriterien zur Bewertung in erster Linie ihrer Fixiertheit in einem gegebenen Kontext abzielen. In Anbetracht der Schwierigkeiten der theoretischen Sprachwissenschaft, Lösungen zu den oben dargestellten Problemen zu finden, ist, wenn weder auf das Kompositionalitätsprinzip noch auf die theoretischen Annahmen der Berechenbarkeit und der Autonomie der Bedeutung verzichtet wird und gleichzeitig zumindest eine Teillösung der oben genannten Probleme geliefert werden soll, der erste in einem theoretischen ← 12 | 13 → Ansatz zu definierende Begriff der ‚Kontext’. Viele bei der Ermittlung der Bedeutung eines Wortes oder der Behandlung der phraseologischen Einheiten auftretenden Schwierigkeiten sind in der Praxis auf das Fehlen einer präzisen und operativen Definition des Begriffs ‚Kontext‘ zurückzuführen. Ohne eine solche Definition kann der Lexikograph noch nicht einmal den Einfluss des Kontextes auf die Bedeutung des Wortes exakt bewerten, dessen Bedeutungen er bestimmen will. Die Folge ist, dass sogar innerhalb desselben Wörterbuchs die Behandlung polysemer Wörter nicht homogen sein kann. Ohne eine präzise und operative Definition von Kontext wird es unmöglich, eine tendenziell begrenzte Anzahl von Verwendungen zu ermitteln, in denen sich die Masse der Kontexte gegliedert zeigt und in denen die Bedeutung der gegebenen lexikalischen Einheit aktualisiert auftritt. Darüber hinaus ist eine operative Definition von Kontext auch grundlegend zur Ermittlung und Beschreibung all jener allgemein als ‚phraseologische Einheiten‘ etikettierbarer, in relevanter Anzahl vorkommender Phänomene, welche sozusagen die andere Seite des Wortschatzes bilden und deren theoretische Untersuchung, auch zu Anwendungszwecken, nie als ‚sekundär‘ bezüglich der auf das Kompositionalitätsprinzip zurückzuführenden Phänomene bewertet werden dürfte. Da die Nicht-Kompositionalität das andere die natürlichen Sprachen bestimmende Prinzip ist, wie auch Gaston Gross hervorhebt, folgt, dass der Wortschatz nur als Ganzes Gegenstand der Forschung sein kann. Als weniger nützlich erscheinen heute jene Beschreibungsansätze, die nur einen Teil des Wortschatzes oder sogar mehr oder weniger begrenzte Mengen lexikalischer Phänomene zum Gegenstand haben.
Im Hinblick auf die angestellten Überlegungen besteht kein Zweifel, dass die Vorteile der elektronischen Lexikographie und der Korpuslinguistik beträchtlich sind, da riesige für sprachwissenschaftliche Zwecke angelegte Datenbanken zur Verfügung stehen, womit man zum Beispiel die Häufigkeit eines bestimmten phraseologischen Ausdrucks oder die Kollokatoren lexikalischer Einheiten ermitteln kann. Die elektronische Lexikographie bringt entscheidende Vorteile vor allem deshalb, weil sie eine nahezu umfassende Beschreibung des Wortschatzes ermöglicht. Dies stellt einen Aspekt von grundlegender Bedeutung für das Unterrichten/Lernen von Fremdsprachen sowie für die Übersetzungsarbeit dar. Bei Betrachtung des Aufbaus der Printwörterbücher und der Mikrostrukturen der Stichwörter zeigt sich, dass die Methodologie, auf die sich die elektronische Lexikographie stützt, neue und entschieden wirksamere Lösungen für die Behandlung der phraseologischen Einheiten und der Polysemie ← 13 | 14 → hervorbringt. Im elektronischen Wörterbuch können die Einträge aus einfachen Sätzen oder, wie Vincenzo Lo Cascio im Beitrag am Ende dieses Sammelbands aufzeigt, aus Netzwerken von Wörtern bestehen. Die einfachen Sätze oder Netzwerke von Wörtern sind die operativen Kontexte, aufgrund deren die aktualisierten Bedeutungen der Wörter bestimmt werden können. Im Ergebnis erweist sich das Problem der Polysemie zumindest teilweise als ‚zugunsten‘ der Homonymie gelöst. Wenn elektronische Wörterbücher nicht die bloße elektronische Ausgabe des Printwörterbuchs sind und die beinahe umfassende Beschreibung des Wortschatzes ermöglichen, bilden sie das mächtigste deskriptive Mittel sowohl des ‚Systems‘ als auch der ‚Norm‘.
Abschließend möchte ich mit Bezug auf die von der elektronischen Lexikographie dargelegten Perspektiven anmerken, dass die Frage der Rolle der Pragmatik in den Wörterbüchern weiter offen bleibt. Obwohl bedeutende Fortschritte auf dem Weg vom ‚sprachlichen Zeichen‘ zum ‚Sprachgebrauch‘ gemacht wurden, kann man in den Mikrostrukturen von Wörterbüchern oft die individuellen Schwächen von Lexikographen erkennen. Meiner Meinung nach fehlt bis heute in den Wörterbüchern, sowohl in Printwörterbüchern als auch in elektronischen Wörterbüchern, eine ‚angemessene Methodologie’, die, wie Franz Hundsnurscher unterstreicht, systematisch die Verwendungsweisen der Wörter im ‚Dialog’ beschreibt, wobei er diesen Begriff im weitesten Sinne als ‚Text’ jeglicher schriftlicher oder gesprochener Art auslegt, eine Methodologie, die gleichzeitig als Bestandteil der Methodologie zur Beschreibung des Sprachgebrauchs betrachtet werden kann.
Besonders bedanken möchte ich mich beim Verlag Peter Lang – Internationaler Verlag der Wissenschaften, der mir das Buch ermöglicht hat. Des Weiteren danke ich Prof. Dr. Elmar Schafroth für die Aufnahme dieses Sammelbandes in die Reihe Kontrastive Linguistik Linguistica Contrastiva, der mir wertvolle und hilfreiche Hinweise gegeben hat. Dr. Luisa Giacoma war mir eine große, unverzichtbare Hilfe bei der redaktionellen Arbeit, meinem Kollegen, dem Romanisten Prof. Pierluigi Ligas, schulde ich herzlichen Dank für das sorgfältige Korrekturlesen des Französischen und Veronika Mariaux und Dr. Beate Makowiec für das Korrekturlesen des Deutschen. Die Beiträge in diesem Band weisen einige Ungereimtheiten beim Zitieren der Sekundärliteratur auf, die nicht behoben wurden, um den Entscheidungen der einzelnen Autoren gerecht zu werden. Das Projekt, das zur Veröffentlichung des vorliegenden Bandes geführt hat, die ← 14 | 15 → wissenschaftliche Revision aller Beiträge, ein Teil der redaktionellen Arbeit und ein Teil des Übersetzens ins Deutsche einiger auf Italienisch verfassten Beiträge, sind der Herausgeberin zuzuschreiben, die für alle Ungenauigkeiten der Arbeit allein verantwortlich ist.
Sibilla Cantarini
Universität Verona
Details
- Seiten
- 278
- Erscheinungsjahr
- 2014
- ISBN (PDF)
- 9783653041934
- ISBN (MOBI)
- 9783653993202
- ISBN (ePUB)
- 9783653993219
- ISBN (Hardcover)
- 9783631646663
- DOI
- 10.3726/978-3-653-04193-4
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2014 (April)
- Schlagworte
- Wortschatz Lexikographie lexikalische Semantik Phraseologie
- Erschienen
- Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2013. 278 S., 15 s/w Abb., 5 Tab.