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Personalbindung im regionalen Cluster

Eine theoretische und empirische Analyse der Embeddedness im regionalen Cluster als Determinante des Commitment und der Bleibeabsicht der Beschäftigten am Beispiel der Weinbauregionen in Deutschland

von Olga Waal (Autor:in)
©2015 Dissertation XIV, 294 Seiten

Zusammenfassung

Im Hinblick auf eine zukunftsorientierte und wettbewerbsfähige Wirtschaft sind die Personalbindung in Unternehmen sowie die Rolle der regionalen Cluster als Unternehmensstandort wichtige Themen. Die Autorin untersucht, welchen Herausforderungen die Akteure eines regionalen Clusters hinsichtlich der Mitarbeiterbindung unterliegen. Am Beispiel der Weinbaucluster in Deutschland überprüft sie, inwieweit sich theoretische Überlegungen als tatsächlich relevante Faktoren für die Personalbindung in der Praxis erweisen. Territorial, Network und Societal Embeddedness der Akteure kommen dabei in unterschiedlicher Ausprägung zum Tragen. Die Ergebnisse der Untersuchung geben Anlass zum Umdenken in der Personalbindungspraxis hin zur Verlagerung der Bindung auf eine kollektive (regionale Cluster-)Ebene.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Praxisbezogene Problemstellung
  • 1.1.1 Stellenwert der Personalbindung für Unternehmen
  • 1.1.2 Stellenwert regionaler Cluster für Unternehmen
  • 1.1.3 Rationalisierungsdefizit der Personalbindung in regionalen Clustern
  • 1.2 Forschungsbezogene Problemstellung
  • 1.2.1 Entwicklungsstand der Forschung zur Personalbindung in regionalen Clustern
  • 1.2.2 Forschungsdefizit der Personalbindung in regionalen Clustern
  • 1.3 Zielsetzung
  • 1.4 Wissenschaftstheoretische Einordnung
  • 1.5 Aufbau der Untersuchung
  • 2 Theoretische Grundlagen
  • 2.1 Personalbindung
  • 2.1.1 Begriffsverständnis
  • 2.1.2 Perspektiven
  • 2.1.3 Basiskonzepte der einstellungsbezogenen Personalbindung
  • 2.1.3.1 Arbeitszufriedenheit
  • 2.1.3.2 Commitment
  • 2.1.3.2.1 Commitment aufgrund emotionaler Empfindung
  • 2.1.3.2.2 Commitment aufgrund rationaler Kosten-/Nutzen-Abwägungen
  • 2.1.3.2.3 Commitment aufgrund normativer Überzeugungen
  • 2.1.3.3 Identifikation
  • 2.1.3.4 Involvement
  • 2.1.4 Antezedenzen der einstellungsbezogenen Personalbindung
  • 2.1.4.1 Merkmale der Person
  • 2.1.4.2 Merkmale der Arbeit
  • 2.1.4.3 Merkmale der Organisation und der Führung
  • 2.1.5 Konsequenzen der einstellungsbezogenen Personalbindung
  • 2.1.5.1 Retention, Fluktuation, Fluktuationsabsicht und Absentismus
  • 2.1.5.2 (Arbeits-)Leistung
  • 2.1.5.3 Organizational Citizenship Behavior (OCB)
  • 2.1.5.4 Gesundheitliches Wohlergehen und Stress
  • 2.1.6 Relevanz der Basiskonzepte für die weitere Analyse
  • 2.2 Regionale Cluster
  • 2.2.1 Begriffsverständnis
  • 2.2.2 Zentrale Betrachtungselemente regionaler Cluster
  • 2.2.2.1 Raum
  • 2.2.2.2 Akteure und ökonomische Aktivität
  • 2.2.2.3 Vernetzung und Interaktion
  • 2.2.2.4 Wissen, Lernen und Innovationen
  • 2.2.2.5 Cluster-Lebenszyklus und Lock-in
  • 3 Untersuchungsrahmen
  • 3.1 Mentales Modell der Personalbindung in regionalen Clustern
  • 3.1.1 Theoretische Herleitung
  • 3.1.1.1 Embeddedness-Ansatz als konzeptioneller Anker zur Abbildung der Charakteristika regionaler Cluster
  • 3.1.1.1.1 Definition und theoretischer Hintergrund
  • 3.1.1.1.2 Embeddedness-Dimensionen
  • 3.1.1.2 Bindung an den Arbeitgeber und an das regionale Cluster
  • 3.1.1.2.1 Commitment als Einstellung der Beschäftigten
  • 3.1.1.2.2 Bleibeabsicht als intendiertes Verhalten der Beschäftigten
  • 3.1.2 Zusammenführung zum mentalen Modell
  • 3.1.3 Hypothesenformulierung
  • 3.1.3.1 Personalbindung im regionalen Cluster
  • 3.1.3.1.1 Arbeitgeber- und Clustercommitment
  • 3.1.3.1.2 Bleibeabsicht beim Arbeitgeber und im regionalen Cluster
  • 3.1.3.1.3 Zusammenhang zwischen Commitment und Bleibeabsicht
  • 3.1.3.2 Einfluss der Embeddedness auf die Personalbindung
  • 3.1.3.2.1 Einfluss durch Territorial Embeddedness
  • 3.1.3.2.2 Einfluss durch Network Embeddedness
  • 3.1.3.2.3 Einfluss durch Societal Embeddedness
  • 3.2 Methodik
  • 3.2.1 Vorgehensweise bei der Untersuchung
  • 3.2.2 Vorgehensweise bei der Beurteilung des Testverfahrens und der Ergebnisse
  • 4 Empirische Untersuchung der Personalbindung im regionalen Cluster am Beispiel der Weinbauregionen
  • 4.1 Beurteilung des Testverfahrens
  • 4.1.1 Nebengütekriterien
  • 4.1.2 Objektivität
  • 4.1.3 Reliabilität und Validität
  • 4.1.3.1 Beurteilung der Konstrukte mittels Verfahren der ersten Generation
  • 4.1.3.2 Methodische Konsequenzen für die Untersuchung
  • 4.1.3.3 Beurteilung der Konstrukte mittels Verfahren der zweiten Generation
  • 4.1.3.3.1 Commitment
  • 4.1.3.3.2 Bleibeabsicht
  • 4.1.3.3.3 Kulturelle Werteorientierungen
  • 4.1.3.4 Methodische Konsequenzen für die Untersuchung
  • 4.2 Bindung an den Arbeitgeber und an die Weinbauregion
  • 4.2.1 Commitment gegenüber dem Arbeitgeber und der Weinbauregion
  • 4.2.2 Bleibeabsicht beim Arbeitgeber und in der Weinbauregion
  • 4.2.3 Zusammenhang zwischen Commitment und Bleibeabsicht
  • 4.3 Einfluss der Territorial Embeddedness auf Personalbindung
  • 4.4 Einfluss der Network Embeddedness auf Personalbindung
  • 4.5 Einfluss der Societal Embeddedness auf Personalbindung
  • 4.6 Zusammenführung der Befunde im Modell
  • 5 Ergebnisse
  • 5.1 Zusammenfassung
  • 5.2 Limitationen
  • 5.3 Implikationen für die Praxis
  • 5.4 Implikationen für die Forschung
  • 5.5 Implikationen für die Lehre
  • 5.6 Ausblick
  • Anhang
  • Anschreiben und Fragebogen
  • Literaturverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Bestandteile der Wissenschaftstheorie im Wirkungszusammenhang

Abbildung 2: Rahmenmodell der einstellungsbezogenen Personalbindung

Abbildung 3: Akteurs- und Beziehungsstruktur im regionalen Cluster

Abbildung 4: Mentales Modell der Personalbindung im regionalen Cluster

Abbildung 5: Hypothesen „Commitment bei unterschiedlichen Foci“

Abbildung 6: Hypothese „Bleibeabsicht bei unterschiedlichen Foci“

Abbildung 7: Hypothesen „Commitment als Prädiktor der Bleibeabsicht“

Abbildung 8: Hypothesen „Zusammenhang zwischen Territorial Embeddedness und Commitment“

Abbildung 9: Hypothesen „Einfluss der Network Embeddedness auf Commitment“

Abbildung 10: Hypothesen „Zusammenhang zwischen S
ocietal Embeddedness und Commitment“

Abbildung 11: Weinbaucluster

Abbildung 12: Verwendung von Quellen zur Datenerhebung in der vorliegenden Studie

Abbildung 13: Haupt- und Nebengütekriterien

Abbildung 14: Charakterisierung der Stichprobe nach Weinbauregionen

Abbildung 15: Charakterisierung der Probanden

Abbildung 16: Zusammenführung der Befunde im Modell

Abbildung 17: Humanressourcenmanagement

| XIII →

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Ausgewählte Definitionen des Begriffs „Bindung“25

Tabelle 2: Klassifikation der Personalbindung27

Tabelle 3: Allgemeines Verständnis des Begriffs „Commitment“39

Tabelle 4: Überblick über ausgewählte Definitionen des Commitment41

Tabelle 5: Commitmentkonzepte nach Dimensionen46

Tabelle 6: Ausgewählte Definitionen des Begriffs „regionales Cluster“65

Tabelle 7: Ergebnisse der Reliabilitätsanalyse der Konstrukte mittels Verfahren der 1. Generation

Tabelle 8: Ergebnisse der KFA für das Commitment der Beschäftigten gegenüber beiden Foci

Tabelle 9: Fit-Indizes für die Commitment-Modelle

Tabelle 10: Fit-Indizes für die Commitment-Modelle (paarweiser Vergleich)

Tabelle 11: Ergebnisse der KFA für die Bleibeabsicht der Beschäftigten für zwei Foci

Tabelle 12: Fit-Indizes für die Bleibeabsicht-Modelle

Tabelle 13: Ergebnisse der KFA für die kulturellen Werteorientierungen der Beschäftigten

Tabelle 14: Fit-Indizes für die kulturelle Werteorientierungen-Modelle

Tabelle 15: Kennwerte und Korrelationen der Commitment-Skalen

Tabelle 16: Kennwerte und Korrelationen der Bleibeabsicht-Skalen

Tabelle 17: Kennwerte und Korrelationen der Commitment- und Bleibeabsicht-Skalen

Tabelle 18: Hierarchische Regressionsanalyse „Einfluss des Commitment auf Bleibeabsicht“

Tabelle 19: Strukturdaten, Commitment und Bleibeabsicht nach Weinbauregionen

Tabelle 20: Kennwerte und Korrelationen der Skalen zu Commitment, Bleibeabsicht und Vernetzung

Tabelle 21: Regressionsanalyse „Einfluss der Vernetzung auf Personalbindung“ ← XIII | XIV →

Tabelle 22: Kennwerte und Korrelationen der Skalen zu Commitment, Bleibeabsicht, Vernetzung und kulturellen Werteorientierungen

Tabelle 23: Ergebnisse der Hypothesenprüfung im Überblick

Tabelle 24: Kollektive Integrationseffektivitätskriterien

| 1 →

1 Einleitung

1.1 Praxisbezogene Problemstellung

1.1.1 Stellenwert der Personalbindung für Unternehmen

Die Problematik des Fachkräftemangels beschäftigt die Unternehmen in Deutschland seit Jahren.1 Die High Potentials werden auf dem Arbeitsmarkt hart umkämpft. Eine einst gewonnene, für das Unternehmen wertvolle Fachkraft zu halten, stellt daher eine der personalwirtschaftlichen Schlüsselaufgaben zukunftsorientierter Unternehmen dar.2 Da der unternehmerische Erfolg auf den Kompetenzen und Motivationen ihres Personals beruht, sind die Unternehmen hochgradig von ihrem Personal abhängig.3 Vor diesem Hintergrund wird die Bindung von solchen Mitarbeitern, deren Fähigkeiten wettbewerbsstrategische Relevanz besitzen, unerlässlich. Mit „Bindung“ wird der dauerhafte Verbleib eines Mitarbeiters im Unternehmen angestrebt.4 Die Verhinderung der Fluktuation reicht allerdings nicht aus. „Nicht die Bindung der Mitarbeiter als Person ist das eigentliche Ziel der Bindung, sondern die Erhaltung ihrer Kompetenzen und Motivationen.“5 Denn selbst solche Unternehmen, deren Fluktuationsraten sehr gering sind, können Bindungsdefizite in Form von Demotivation und Absentismus aufweisen.6 Das Verständnis von Bindung als reine Fluktuationsverhinderung ist daher wenig zielführend. Einen ökonomischen Wert bekommt die Ressource Arbeitskraft erst über die Bleibemotivation hinaus durch die Bereitschaft des Mitarbeiters, Leistung zu erbringen.7 Es wird angenommen, dass Mitarbeiter, die sich „ihrem“ Unternehmen verbunden fühlen, mit höherer Wahrscheinlichkeit für dessen Interessen und Ziele eintreten8 und weniger zu opportunistischem Verhalten neigen9.

Eine fehlende Personalbindung stellt für Unternehmen in der Hinsicht ein Personalrisiko dar, als der Austritt oder auch nur die Reduktion des Engagements der Beschäftigten nicht kompensiert werden können.10 Insofern ist das Ergebnis einer Studie der Unternehmensberatung Kienbaum, der zufolge jeweils 32 % der Personalverantwortlichen aus Unternehmen im deutschsprachigen Raum angeben, ← 1 | 2 → verstärkt bis stark an der Arbeitgeberattraktivität nach innen zur Erhaltung ihrer Fachkräfte zu arbeiten,11 nicht überraschend.

Gleichzeitig wird allerdings auf die Bindung erschwerenden Entwicklungen in der aktuellen Unternehmenspraxis verwiesen. Ausgehend von

 der demografischen Entwicklung, die den erwerbstätigen Bevölkerungsanteil stark schrumpfen lässt und somit zur Verknappung der Ressource Arbeitskraft führt12,

 dem gesellschaftlichen Wertewandel, der zur Abkehr von alten Tugenden wie Kontinuität, Gehorsam und Tradition hin zur Forderung nach Individualisierung, Unabhängigkeit und Selbstentfaltung, Einbindung in Entscheidungsprozesse und Anonymität führt13 und eine neue Bindungsform fordert14, sowie

 der Internationalisierung, der Globalisierung und dem technologischen Fortschritt, die neue Anforderungen an die Innovationsfähigkeit der Unternehmen stellen und den Wettbewerbsdruck verstärken und in der Konsequenz die Kontinuität und Stabilität in der Arbeitgeber-Mitarbeiter-Beziehung determinieren15,

wird die Abhängigkeit der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung von unterschiedlichen Veränderungen im organisationalen Umfeld diskutiert. Aber auch ohne den demografischen und globalisierungsbedingten Wandel finden sich Unternehmen wie Arbeitskräfte in einen durch besondere Charakteristika definierten Kontext eingebettet, der die Ausprägungen hinsichtlich des Empfindens und Verhaltens im Unternehmen-Mitarbeiter-Verhältnis determiniert.16 Ein relevanter Kontext kann in diesem Sinne beispielsweise die Beschäftigungsform, der Organisationstyp oder die -größe sein. Unter Einbezug von Landeskulturen als Einflussvariablen wird in der Personalbindungsfrage auch die regionale Ebene als Kontext tangiert.17

1.1.2 Stellenwert regionaler Cluster für Unternehmen

Spätestens seit den Arbeiten von Porter in den 1990er Jahren hat sich der Begriff „Cluster“ in der Wissenschaft etabliert und in der Politik und Praxis zu einem viel zitierten Schlagwort entwickelt.18 Im Kern verstanden als räumliche Ballung von Betrieben derselben und verwandten Branchen, deren Kunden, Zulieferern und Zwischenproduktherstellern, Forschungs- und Bildungseinrichtungen sowie anderen unterstützenden Umweltorganisationen, die untereinander verbunden sind ← 2 | 3 → und synergetische Effekte generieren19, entstand das Interesse an regionalen Clustern mit der Beobachtung des herausragenden wirtschaftlichen Erfolgs räumlich konzentrierter Industrien.20

Seit der Diskussion um die Agglomeration wirtschaftlicher Aktivitäten werden regionale Cluster unter diversen Gesichtspunkten diskutiert. Als zentrale Argumente pro regionale Cluster werden höhere Produktivitäts- und Innovationseffekte, Motivations- sowie Transport- und Transaktionskosteneffekte angeführt.21 Prosperität und Wachstum regionaler Wirtschaften werden auf die Interaktionsmuster zwischen regional konzentrierten Akteuren zurückgeführt.22

Die Diskussion um die Vorteilhaftigkeit industrieller Ballungsgebiete warf die Frage nach den entscheidenden Faktoren für die räumliche Konzentration auf. Nachdem unzählige Kriterien in diesem Zusammenhang analysiert wurden, kristallisiert sich insbesondere in der Definition von Porter eine sehr weit verbreitete und akzeptierte Konzeption der entscheidenden Clusterfaktoren heraus. Demnach zeichnen sich regionale Cluster durch die Akteure selbst, deren räumliche Nähe zueinander und die Verflechtung untereinander aus; dabei können die Beziehungen sowohl kooperativer als auch kompetitiver Natur sein.23 Aus dieser Konstellation ergeben sich Vorteile für Unternehmen, wie sie bereits in unterschiedlichen industriellen Ballungsgebieten beobachtet und daher mehrfach thematisiert wurden. Seit Marshall werden oftmals in einer klassischen Dreiteilung

 Spillovereffekte,

 Entstehung spezifischer Zulieferindustrien und Infrastrukturen und

 Entstehung eines spezialisierten Arbeitsmarktes,

als Agglomerationsvorteile zusammengefasst, angesichts derer sich das regionale Cluster als Standort auszeichnet und lohnt.24

Nahezu ebenso häufig wird allerdings der Erfolg regionaler Cluster von Kritikern hinterfragt und auf deren Krisenanfälligkeit verwiesen.25 In Anbetracht der voranschreitenden Globalisierung und Technologisierung in den 1980er Jahren und der damit verbundenen Entgrenzung wird die Sinnhaftigkeit und Zukunftsfähigkeit der Agglomeration wirtschaftlicher Aktivitäten kontrovers diskutiert. Der technologische Fortschritt erlaubt es, räumliche Distanzen wirtschaftlicher Aktivität zu überwinden, sodass räumliche Nähe der Akteure zwecks effizienten Handelns einen Bedeutungsverlust erleidet.26 Sternberg/Kiese/Schätzl zufolge stellt ← 3 | 4 → die Existenz eines regionalen Clusters „weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für eine überdurchschnittlich positive“27 Entwicklung dar.

Nichtsdestotrotz wurde auch in den letzten Jahrzehnten eine erfolgreiche Entwicklung geballter Wirtschaftsbereiche verzeichnet.28 Vielfach wurde sogar die Entstehung neuer Agglomerationen spezialisierter Industrien wie die der IT-Industrie in ausgewählten Regionen beobachtet. So treten circa 25 % der Produktionsbranchen in Deutschland räumlich geclustert auf29 und das Bundesministerium für Bildung und Forschung betont das Potenzial regionaler Cluster im Rahmen des weltweiten Innovationswettbewerbs.30 Ausgehend davon sind zahlreiche clusterpolitische Maßnahmen sowohl auf Länder- als auch auf Bundesebene zu verzeichnen.31 In der aktuellen wirtschaftspolitischen Diskussion stößt die Bedeutung regionaler Cluster nach wie vor auf Zuspruch, wie seitens des Wirtschaftsministeriums betont wird: „Cluster bieten enorme Wettbewerbsvorteile, insbesondere durch verbesserte Arbeitsteilung und stärkeren Wissens- und Erfahrungsaustausch. Sie steigern die Innovationskraft der Akteure und sichern und stärken damit den Produktionsstandort (…).“32 Regionale Cluster erlangen vor diesem Hintergrund einen hohen Stellenwert als vorteilhafte Standorte für Unternehmen. Unter vielen anderen zählen das High-Tech-Cluster in Silicon Valley (USA), die Finanzdienstleistungs-Cluster in New York und London, das Lebensmittel-Cluster in der Emilia Romagna (Italien), das Textil- und Mode-Cluster in Norditalien, das Biotechnologie-Cluster in Bayern, die Automobil-Cluster in Süddeutschland, der österreichischen Steiermark und dem nordamerikanischen Detroit, die Telekommunikationscluster in Stockholm und Finnland oder die Film- und Medienbranche in Hollywood als Paradebeispiele erfolgreicher Wirtschaftsregionen mit internationaler Bedeutung und führenden Positionen auf dem Weltmarkt.33 Regionale Cluster gelten als Basis der Wettbewerbsfähigkeit von Regionen und werden als „a key mode of economic co-ordination“34 gehandelt. “Interest in innovation clusters has emerged from the recognition that competitive advantage derives not just from firm-based resources and capabilities, but also from resources and capabilities that are located in the firm’s geographically proximate business environment. Geographical proximity can produce significant positive effects on rates of new firm formation and firm productivity, innovation, profitability, and growth.”35 Daraus ← 4 | 5 → wird geschlossen, dass Unternehmen, die sich in regionalen Clustern ansiedeln, im globalen Wettbewerb die besten Zukunftsaussichten haben.36

1.1.3 Rationalisierungsdefizit der Personalbindung in regionalen Clustern

Ausgehend von den zahlreichen Äußerungen aus der Unternehmenspraxis, die im Zusammenhang mit der Personalbindungsfrage einerseits und der Vorteilhaftigkeit bestimmter Regionen als Standorte für Unternehmensniederlassungen andererseits geführt werden, kann von einem weitgehend fundierten Bewusstsein für den Umgang mit diesen Themenkomplexen in der Praxis gesprochen werden. Auch bieten Wissenschaft und Unternehmensberatungen zahlreiche Erkenntnisse und Vorschläge zum Umgang mit der Personalbindung einerseits und den Standortentscheidungen andererseits. Eine isolierte Auseinandersetzung mit diesen Betrachtungsobjekten hat daher bereits Einzug in die Wirtschaftspraxis gefunden.

Eine Debatte, die beide Themenkomplexe integriert, wird allerdings selten geführt. Entsprechend gering ist das Wissen um die Personalbindung vor einem wirtschaftsgeografischen Hintergrund – und das, obwohl Arbeitsmärkte in Anbetracht deren regionalen Bezugsfelds weiterhin an Aufmerksamkeit und Bedeutung gewinnen.37 Viele Unternehmen sowie deren Personalverantwortliche verweisen immer wieder auf deren besondere Ausgangslage in Anbetracht einer regionalen Dichte weiterer Akteure in deren unmittelbarem wirtschaftlichem Umfeld und berichten in dem Zusammenhang von Personalbindungsschwierigkeiten.38 Abgesehen von der verstärkten Niederlassung der Unternehmen wird noch im letzten Jahrzehnt auf das Heranwachsen der geografischen Beschäftigungsdichte in vielen Sektoren verwiesen.39 Porter beispielsweise rechnet damit, dass 30 % der Erwerbstätigen in Clustern beschäftigt werden.40 Andere Studien geben an, dass in circa 380 unterschiedlichen Clustern in den Vereinigten Staaten 57 % der erwerbstätigen Bevölkerung beschäftigt ist. In Italien und Holland wird der Beschäftigungsanteil in regionalen Clustern auf jeweils 30 % geschätzt.41 Vor diesem Hintergrund ist die Thematisierung und Rationalisierung der Beschäftigungseffekte im Allgemeinen und der Personalbindung im Besonderen in regionalen Clustern unerlässlich.

Diese spezifischen Umstände erkannte bereits Marshall für die industriellen Distrikte zu Anfang des 20. Jahrhunderts, indem er darauf hinwies, dass der positive Effekt der Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte in unmittelbarer räumlicher Nähe zugleich die Gefahr der Abwanderung wertvoller Humanressourcen ← 5 | 6 → zur Konkurrenz birgt.42 Darüber hinaus können die oftmals propagierten Flexibilitätsaspekte wie bedarfsgerechte Auswahl und Einsatz von Mitarbeitern negative Auswirkungen wie den Verlust von Sicherheit für die Beschäftigten bedeuten43 und zu verändertem Bindungsverhalten führen. Derartige Effekte sind ebenfalls aus der Unternehmenspraxis im Silicon Valley bekannt. Unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg der Region stehen die Unternehmen des Clusters vor einer erheblichen Personalbindungsproblematik.44 Es zeigt sich, dass eine herkömmliche Bindung von Mitarbeitern an ein Unternehmen offenbar nicht existiert oder zumindest durch das verbreitete „job hopping“45 erschwert wird. Dieses äußert sich darin, dass Beschäftigte ihren Arbeitgeber in regelmäßigen Abständen von etwa zwei bis drei Jahren wechseln. In diesem Zusammenhang werden die veränderte Einstellung der Mitarbeiter auf deren Drang nach Erfahrungsaustausch und diese wiederum auf die historische Entwicklung des Clusters und die veränderte regionale Beschäftigungskultur respektive -mentalität zurückgeführt.46 Insgesamt verdeutlicht dies eine veränderte Denkweise seitens der Beschäftigten, die grundsätzlich auch für andere regionale Cluster vorstellbar ist; denn andere regionale Cluster sind durchaus mit Silicon Valley vergleichbar.47

Dennoch finden diese besonderen Umstände nur wenig Beachtung in der Praxis. Dabei zeigt sich die Gefahr des Verlusts von Arbeitskräften an andere Unternehmen bereits aufgrund der zahlreichen Alternativen, aus denen die Beschäftigten wählen können. Die Arbeitskräfte verfügen schließlich über ähnliche Qualifikationen und die Unternehmen fragen ähnliche Qualifikationen nach.48 Die Wechselwahrscheinlichkeit wird zudem durch die unmittelbare räumliche Nähe erleichtert. Denn diese bedeutet für die Arbeitskräfte geringere finanzielle wie auch soziale Kosten im Falle eines Wechsels und begünstigt so die Mobilität zwischen den Unternehmen innerhalb einer Region.49

Weiterhin ist die Vernetzung charakteristischer Bestandteil regionaler Cluster. Diese steigert die Kontakthäufigkeit und -intensität der Akteure. Sie fördert den Informationsfluss und erhöht die Transparenz – beispielsweise hinsichtlich der Job- beziehungsweise Fachkräfteverfügbarkeit – für Unternehmen wie für Arbeitskräfte, während die Akteure in einem kooperativen und/oder kompetitiven Verhältnis zueinander stehen.50

Insgesamt zeigt die Praxis in Silicon Valley eine derart veränderte Bindung, dass Beschäftigte sich mehr noch dem regionalen wirtschaftlichen Gefüge als den ← 6 | 7 → einzelnen Unternehmen verbunden fühlen.51 Dennoch besteht scheinbar nach wie vor ein erhebliches Defizit bezüglich des Bewusstseins für derart spezifische Rahmenbedingungen in regionalen Clustern, sodass auch der adäquate Umgang mit den situativen Bedingungen im Sinne eines daran ausgerichteten Bindungsmanagements fehlt.

1.2 Forschungsbezogene Problemstellung

Details

Seiten
XIV, 294
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653056600
ISBN (ePUB)
9783653962581
ISBN (MOBI)
9783653962574
ISBN (Paperback)
9783631663288
DOI
10.3726/978-3-653-05660-0
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (März)
Schlagworte
Clustercommitment Cluster als Unternehmensstandort Mitarbeiterbindung Arbeitgebercommitment
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. XIV, 294 S., 17 s/w Abb., 14 Tab.

Biographische Angaben

Olga Waal (Autor:in)

Olga Waal studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Siegen. Sie war Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Personalmanagement und Organisation und Kommissarische Geschäftsführerin der Business School der Universität Siegen. Derzeit ist die promovierte Autorin für die Personalentwicklung eines europäischen Marktführers im Bereich Schadenmanagement verantwortlich.

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