Origenes’ tropologische Hermeneutik und die Wahrheit des biblischen Wortes
Ein Beitrag zu den Grundlagen der altchristlichen Bibelexegese
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Title
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Vorwort
- Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- a. Der Begriff der tropologischen Hermeneutik im Kontext der origenischen Bibelhermeneutik
- b. Einschlägige Forschung. Thematik der vorliegenden Untersuchung
- I. Origenes’ tropologische Terminologie
- a. Der Tropen-Bestand
- b. Definition und systematische Einordnung spezieller tropologischer Termini
- 1. Allegorie (ἀλληγορία), Rätsel (αἴνιγμα)
- 2. Parabel (παραβολή), Ähnlichkeitsrede (ὁμοιότης), Verähnlichung (ὁμοίωσις)
- 3. Sprichwort, Bildrede (παροιμία)
- 4. Dunkelrede (σκοτεινὸς λόγος)
- 5. Antiphrasis (ἀντίφρασις)
- 6. Katachrese (κατάχρησις)
- 7. Metonymie (μετωνυμία), Synekdoche (συνεκδοχή)
- c. Die generellen Termini der Wortfamilie τρόπο
- II. Methodologie der origenischen Hermeneutik
- a. Allgemeine methodische Prinzipien
- b. Methodische Prinzipien der tropologischen Hermeneutik
- c. Resümee
- III. Die Feststellung der Tropizität biblischer Ausdrücke und der Anwendungsbereich der tropologischen Hermeneutik
- a. Der Begriff der doppelten Bezugswelt
- 1. Die Bedeutungskonstitution des sprachlichen Zeichens in der Bezugswelt des Rezipienten
- 2. Die den Bezugswelten der
- b. Die Begriffe der Inkompatibilität und des Gottgeziemenden als Bestimmungskriterien der Tropizität
- c. Umfang und Notwendigkeit der tropologischen Exegese
- IV. Die Erschließung des τροπικ
- a. Das „Zwei-Welten“-Paradigma: Sinnenwelt und Geistwelt
- b. Seinsebene und Sprachebene
- c. Die Überbrückung der getrennten Seinsbereiche durch Analogie, Homonymie und Ähnlichkeit
- 1. Analogie
- α. Der terminologische Befund
- β. Onto-theologische Grundlegung und Struktur der Analogie
- γ. Analogie als Denkform
- 2. Homonymie
- α. Die Tradition des origenischen Homonymie-Begriffs
- β. Homonymie-Kenntnis und biblische Exegese
- γ. Homonymie und Tropologie
- 3. Ähnlichkeit
- α. Die onto-theologische Begründung der Ähnlichkeit als universales Seinsprinzip
- β. Ähnlichkeit und Erkenntnis
- d. Origenes’ Verbindung von Ähnlichkeit, Analogie, Homonymie, Übertragung und ihre Tradition
- V. Bezugsakt, Stimmigkeit, Erkenntnisgehalt und ihre philosophisch-theologische Prägung
- a. Bezugsakt und Stimmigkeit
- b. Art und Umfang der Erkenntnis
- Rückblick
- Verzeichnis der Abkürzungen
- Literaturverzeichnis
- Register
- a. Stellenregister
- b. Wort- und Sachregister
- Reihenübersicht
Einleitung
a. Der Begriff der tropologischen Hermeneutik im Kontext der origenischen Bibelhermeneutik
Die tropologische Hermeneutik1 ist ein Teilbereich der biblischen Hermeneutik. Als hermeneutische Techne (ars) umfasst sie den Wissensbestand der Lehre von den Tropen, die in der Praxis der Exegese instrumentalisiert wird2.
Origenes’ tropologische Hermeneutik geht jedoch nicht in ebendem Wissensbestand auf, den der antike grammatisch-rhetorische Schulunterricht vermittelt. Origenes eröffnet der Tropologie, indem er sie in seine biblische Hermeneutik integriert und mit deren Prinzipien verbindet, einen über die Kategorien des Schulunterrichts hinausreichenden Horizont und weist ihr damit eine exponierte Stellung und Funktion in seiner Schriftauslegung zu.
Werfen wir zunächst einen Blick auf jene Bestandteile der origenischen Bibelhermeneutik, die, mit der tropologischen Hermeneutik in engem Zusammenhang stehend, durch die ihnen eigenen Prinzipien, Denkformen, Methoden und Argumentationsfiguren dieselbe wesentlich mitbestimmen.
Gleich anderen christlichen Autoren hat auch Origenes die pagane Bildung rezipiert: die Lehrgegenstände des Grammatiklehrers (γραμματικός), zu denen die dominierende Bildung in Literatur (eru ← 15 | 16 → ditio litterarum) und Grammatik (eruditio artis grammaticae) gehören3, weiter die hiervon in der Praxis nicht immer klar abgegrenzte enkyklios Paideia und die Philosophie, die Origenes zum einen als Propädeutik für die christliche Lehre, die wahre Philosophie4, ansieht und zum anderen (im Verbund mit den Gegenständen des grammatisch-literarischen Unterrichts) als Instrumentarium zur Erschließung der heiligen Schriften verwendet5.
Origenes rezipiert die pagane Bildung nicht planlos und willkürlich, sondern diakritisch, indem er nach klaren Kriterien auswählt oder verwirft6. ← 16 | 17 →
Die bibelhermeneutische Instrumentalisierung dieses Traditions-Gutes ist für Origenes schon auf Grund seiner Überzeugung legitim, dass die griechischen Denker die Philosophie von Autoren des Alten Testaments, wie etwa Salomon, übernommen hätten7. Die Frage, ob und inwieweit die tropologischen Kategorien der paganen Grammatik und Rhetorik den Texten des Alten und des Neuen Testaments adäquat und auf diese als Instrumentarium der Interpretation anwendbar seien, wird von Origenes, wie seine hermeneutischen Prinzipien und seine exegetische Praxis zeigen, seinen Auswahlkriterien entsprechend bejaht.
Neben der paganen Bildung, doch von dieser geprägt, ist Philons und Klemens’ Hermeneutik für Origenes wichtig geworden, wobei Philon jedoch auf dem Gebiet der Auslegungstechnik und der Tradition des terminologischen Arsenals erheblich mehr als Klemens ins Gewicht fällt8. ← 17 | 18 →
Einen wesentlichen Bestandteil der origenischen Hermeneutik stellen sodann, als Interpretamente und transzendente Letztbegründungen dienend, biblische Exegetika dar9. Dieser Begriff „Exegetikon“10 ist von der gleichnamigen Ordnungskategorie des paganen Grammatikunterrichts11 abzugrenzen.
Der all dies transzendierende Weg, das Wort Gottes in seiner eigentlichen, d.h. wahren Bedeutung12 zu erschließen, ist jedoch die Inkarnation des Gottessohnes, des Gotteswortes13. In Christus, der bildhaft-sichtbaren Repräsentation des Unsichtbaren (Col. 1, 15), wird Gott geschaut14. Origenes erklärt im Johannes-Kommentar: θεωρεῖται γὰρ ἐν τῷ λόγῳ, ὄντι θεῷ καὶ εἰκόνι τοῦ θεοῦ τοῦ ἀοράτου, ὁ γεννήσας αὐτὸν πατήρ, τοῦ ἐνιδόντος τῇ εἰκόνι τοῦ ἀοράτου θεοῦ εὐθέως ἐνορᾶν δυναμένου καὶ τῷ πρωτοτύπῳ τῆς εἰκόνος τῷ πατρί – „Es wird nämlich im Logos, der ein Gott und ein Bild des unsichtbaren Gottes ist, der Vater geschaut, der ihn gezeugt, da jeder, der das Bild des unsichtbaren Gottes erblickt, sogleich auch das Urbild des Bildes, eben den Vater, zu sehen vermag“15. Der Gottessohn stellt alle dem Menschen verfügbaren Stufen (ἀναβαθμοί) dar, die zu Gott hinaufführen16. Erst mit dem Kommen des Heilands (post adventum salvatoris) und des ← 18 | 19 → Heiligen Geistes (spiritus sancti adventus ad homines) ist es, was zuvor nur wenigen gegeben war, unzählbaren Scharen von Gläubigen möglich geworden: das körperhafte, d.h. buchstäbliche Verständnis17 dessen, was bei den Propheten und im Gesetz des Moses geschrieben steht, zu überwinden (superare intellectum corporeum) und zu einem höheren Verständnis zu gelangen (maius aliquid sentire), d.h. etwas Geistiges im Gesetz und den Propheten zu erkennen (spiritale quid intellegere in lege vel prophetis), auch wenn nicht alle bis zu voller Klarheit (ad liquidum spiritalis intellegentiae) zu gelangen vermögen18. Mit dem Kommen Jesu leuchtete das Göttliche (τὸ ἔνθεον) in den Worten der Propheten und das Geistige (τὸ πνευματικόν) im Gesetz des Moses auf19, erglänzte das im Gesetz des Moses enthaltene, aber von einer Decke, die nun weggenommen, verborgene Licht (φῶς)20. Wer teilhat am Geist Christi dürfte deshalb wohl das, was Christus in Rätselreden und Gleichnissen (ἐν παροιμίαις καὶ παραβολαῖς) gesagt, erschauen. Als Weisheit Gottes ist Christus somit der Helfer (ὑπὸ Χριστοῦ βοηθούμενοι), um durch sorgfältige Auslegung (διήγησις καὶ ἑρμηνεία) das zu begreifen, was im Gleichnis offenbart wird (καταλαβεῖν τὰ ἐν τῇ παραβολῇ δηλούμενα)21. ← 19 | 20 → Am Ende seiner Vorbemerkungen zum Johannes-Kommentar etwa bittet Origenes deshalb Gott, bei der anstehenden Aufgabe mitzuwirken, und zwar durch Christus (διὰ Χριστοῦ) in der Gemeinschaft mit dem Heiligen Geist22.
Wo hat Origenes die Grundsätze seiner Hermeneutik niedergelegt?
Anders als etwa Augustinus mit seiner Schrift De doctrina christiana hat Origenes kein eigenständiges Werk zur biblischen Hermeneutik verfasst. Vielfach lassen sich die Prinzipien und Methoden seiner Hermeneutik, und dies gilt gerade für die bibelexegetische Bedeutung der Tropologie, nur aus verstreuten Einzelbemerkungen und aus der Praxis seiner Auslegung erschließen. Allerdings verdichten sich in einigen Schriften Origenes’ bibelexegetische Erläuterungen zu grundsätzlichen und tiefergreifenden methodologischen Ausführungen23.
In De principiis (4, 2, 1-4, 3, 15) hat Origenes sowohl die Schwierigkeiten, vor die sich die Exegese, unter anderem durch die tropischen Ausdrucksformen der biblischen „Prophezeiungen“ (προφητεῖαι), gestellt sieht, als auch die Methode, den genauen Sinn (ἀκριβὴϚ νοῦϚ) dieser Ausdrucksformen wie den der Evangelien zu erschließen24, umfassend und im Grundsätzlichen dargestellt.
In unmittelbarem Zusammenhang mit der exegetischen Praxis stehen die methodologischen Darlegungen im alexandrini ← 20 | 21 → schen Psalmen-Kommentar25, in den Vorbemerkungen zu der 20. und 39. Homilie der Jeremia-Homilien26, in dem Katenenfragment aus dem Prolog zum Canticum-Kommentar27 sowie in einem Exkurs (παρέκβασις) des Genesis-Kommentars28, in ← 21 | 22 → dem sich Origenes ausdrücklich auf einschlägige (an der stoischen Dialektik orientierte) grammatische Lehrschriften (τεχνολογίαι) bezieht29.
In seinen Vorbemerkungen zur 20. Jeremia-Homilie, in dem griechischen Fragment aus dem Prolog zum Canticum-Kommentar und in dem Exkurs aus dem Genesis-Kommentar nimmt Origenes auch vertieft die dialektischen Grundlagen der tropischen Ausdrucksweise in den Blick.
Der umfangreiche Vorspann des Johannes-Kommentars hingegen enthält so gut wie keine methodologischen Hinweise, die sich auf die sprachlichen, insbesondere die tropologischen Aspekte der biblischen Exegese beziehen. Gleichwohl bietet dieser Kommentar, wie zu zeigen sein wird, eine Fülle von Methodologica, vor allem im Hinblick auf die erkenntnistheoretische Bedeutung der Analogie.
In der praefatio zum Römerbrief-Kommentar hebt Origenes zwar die Bedeutung hervor, die der Auslegung gerade tropischer Ausdrücke zukommt. Auf eine einschlägige Methodologie aber wird verzichtet30.
Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang schließlich die von Basileios und Gregorios von Nazianz (wesentlich mit Blick auf Origenes’ Hermeneutik) erstellte Philokalie. Diese enthält wichtige Origenes-Texte, unter anderem zur Methode der Exegese, zur Sprachtheorie (triadischer Zei ← 22 | 23 → chenbegriff)31, zur sprachlichen Mehrdeutigkeit (ihren Arten und Ursachen) und zur Satztrennung32, zur Verbindung von Appellativum und Verbum (Prädikat), zur Priorität der Gegenstände gegenüber den Appellativa und der Appellativa gegenüber den Verben sowie zur derivatio verborum33.
Die biblische und mit ihr die tropologische Hermeneutik des Origenes stellt indes keine von den frühen bis zu den späten Werken konstante Größe dar. Auf der einen Seite stehen zwar über die Jahrzehnte hin festgehaltene Prinzipien, wie etwa das philosophischtheologische „Zwei-Welten“-Paradigma34 und, ← 23 | 24 → diesem entsprechend, die Unterscheidung zwischen dem körperhaften Schriftsinn einerseits und dem geistigen Schriftsinn als Ziel der Exegese andererseits, weiter das Gottgeziemende als Maßstab und Kriterium der Exegese35. Demgegenüber aber zeigen sich Unterschiede etwa im Hinblick auf die Differenzierung der biblischen Bedeutungsebenen36 wie im Hinblick auf den Gebrauch des zum Teil der tradierten grammatisch-rhetorischen Terminologie entnommenen und der Textanalyse dienenden tropologischen Begriffsinstrumentariums37.
b. Einschlägige Forschung. Thematik der vorliegenden Untersuchung
Was die einschlägige Forschung betrifft, so sind Hermeneutik und allegorische Exegese des Origenes, wie aus Bibliographien und Forschungsberichten zu ersehen ist, in zahlreichen Beiträgen untersucht worden38, und zwar mit unterschiedlichen Ergebnissen und Bewertungen39. Wichtige Arbeiten ha ← 24 | 25 → ben Origenes’ Verwendung der Philosophie und ἐγκύκλιος παιδεία als Instrumentarium seiner Schrifterklärung gezeigt40.
Die Lehrinhalte und die Unterrichtsorganisation des paganen Grammatikunterrichts sind im Hinblick auf ihren Status und ihre Funktion in der Hermeneutik und exegetischen Praxis des Origenes ebenfalls eingehend untersucht worden41. Der Kanon der Unterrichtseinheiten erstreckt sich, wie Neuschäfer zeigt42, vom Verlesen des zu erklärenden Textes (ἀναγνωστικόν) über die Textkritik durch Lesarten-Vergleich (διορθωτικόν) und die Sprach- und Sach-Erklärung (ἐξηγητικόν) ← 25 | 26 → – im Einzelnen unterteilt in die Worterklärung (γλωσσηματικόν), die Sacherklärung (ἱστορικόν), die grammatisch-rhetorische Erklärung (τεχνικόν), die Klärung metrischer Probleme (μετρικόν) – bis hin zur ästhetischen und ethischen Beurteilung des Textes (κρίσις ποιημάτων) als dem krönenden Abschluss.
Von den genannten Lehrgegenständen ist vor allem die grammatisch-rhetorische Erklärung für unsere Untersuchungen bedeutsam. Wenn Neuschäfer begründet feststellt, dass die Origenes-Forschung sich der Tradition der paganen Philologie im Werk des Alexandriners bislang nicht mit der gebotenen Intensität zugewandt habe und das „Wissen um Origenes als Philologen“ an der „Oberfläche gebliebe[n sei]“43, so trifft dieser Befund gerade für die Tropologie noch immer zu.
In der Tat sind bibelhermeneutisch wesentliche Teilbereiche der Tropologie: die pragmatische Bedingtheit der Tropen, ihre referenzsemantisch begründete Kategorisierung und ihre ontologisch-logischen Prinzipien, im Hinblick auf die Funktion als Hermeneutica der Schriftauslegung von der Forschung bislang, soweit ich sehe, kaum (im Gegensatz zum Tropengebrauch als einem Teil der origenischen Bildersprache44) ins ← 26 | 27 → Blickfeld gestellt worden45. Dieser Negativbefund gilt gerade im Hinblick auf die in Origenes’ Hermeneutik exponierten tropologischen Termini, vor allem jene, die sich als Wortfamilie um das Stammwort τρόπος gruppieren46. ← 27 | 28 →
Es geht im Folgenden deshalb zum einen darum, die der origenischen Exegese zugrundeliegende tropologische, insbesondere metaphertheoretische Konzeption zu erhellen und als eine wesentliche Komponente, ja geradezu als das „Wurzelwerk“ von Origenes’ Hermeneutik deutlich zu machen47. Im Weiteren gilt es, die Verbindungslinien, die von der Tropologie zur Philosophie und Theologie hinführen, nachzuziehen. Die Tropologie ist bei Origenes im Kontext seiner biblischen Hermeneutik, wie eingangs angedeutet, ja keine bloß grammatisch-rhetorische Kategorie des höheren Schulunterrichts, sondern reicht hinein in die sublimsten Sphären der philosophisch-theologischen Metaphysik48. Die Tropenlehre der Grammatiker beschränkt sich in der Frage nach den Grundlagen der verschiedenen Tropus-Arten und deren Klassifikation auf die einfache Feststellung von „Ähnlichkeit“ ← 28 | 29 → oder „Nachbarschaft“ oder „Gegensatz“49. Die ontologisch-logische Durchdringung und die präzise Bestimmung dieser Begriffe, insbesondere der „Ähnlichkeit“, sind Gegenstand und Leistung der Philosophie. Origenes verbindet die beiden Traditionen. Er macht damit die Tropologie zu einem brauchbaren Instrument, um den geistigen und nach seiner Ansicht wahren Schriftsinn zu erschließen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Aufgabe, neben der Tradition der platonischen, mittelplatonischen, neuplatonischen und stoischen Philosophie auch die bislang in der Forschung weniger beachtete Tradition der aristotelischen Philosophie, insbesondere der Dialektik, in ihrer Bedeutung für Origenes’ tropologische Hermeneutik herauszuarbeiten.
Wir werden schließlich unter dem Gesichtspunkt „Wahrheit und Methode“ auch zu untersuchen haben, was für eine Art von Wahrheit mit Hilfe der tropologischen Hermeneutik eigentlich erkennbar ist. Damit sind die weiteren Fragen verknüpft: „Was für eine Wirklichkeit ist es, in der diese Wahrheit gesucht und gefunden wird? Handelt es sich um die durch ← 29 | 30 → Sinneswahrnehmung erfassbare Wirklichkeit? Oder handelt es sich um eine jenseits der empirischen Welt liegende Wirklichkeit? Und ist diese wiederum geglaubt oder erdacht oder aber gedacht, d.h. durch Denken erkannt50?“ Es wird hierbei zu beleuchten sein, in welchem Maße der Blick auf das Wahre durch die in Origenes’ tropologischer Hermeneutik vollzogene Verbindung von biblischer Theologie mit Methoden und Prinzipien der Philosophie erweitert und vertieft wird. Wir werden andererseits aber auch zu verdeutlichen haben, ob und inwieweit die Schau des Wahren durch dessen System-Immanenz begrenzt ist. Haben also die Aussagen, die Origenes in seiner Exegese trifft, nur Bestand in der von ihm vorausgesetzten Wirklichkeit oder können sie über diese hinaus auch in anders konstituierten Wirklichkeiten, ja sogar in jener Wirklichkeit, die über die Bedingtheit durch Denken und Sinneserfahrung herausgehoben ist, Gültigkeit beanspruchen? Die Antwort auf die Frage nach den jeweils vorausgesetzten Wirklichkeitsbegriffen ist wesentlich für die Beurteilung der kontroversen Wertungen, welche der origenischen Exegese in der modernen Forschung zuteilwerden. ← 30 | 31 →
1 Abweichend von der antiken Bedeutung der Termini tropologia (τροπολογία) und tropologicus (τροπολογικός) meint „Tropologie“ als beschreibungssprachlicher Terminus hier und im Folgenden die „Lehre von den Tropen“, „tropologisch“ dementsprechend „die Lehre von den Tropen betreffend“, „zur Lehre von den Tropen gehörig“. Siehe hierzu u. Anm. 207.
2 Die Hermeneutik ist als formale Disziplin (τέχνη) von der Interpretation, der Texterklärung, abzugrenzen, was in der Forschung jedoch nicht immer beachtet wird. Hingewiesen sei hier lediglich auf den Artikel von Veraart/ Wimmer 2004, 85.
3 Zu den Ausdrücken siehe Rufin. Orig. in gen. 11, 2 (GCS Orig. 6 p. 103, 17f.). Zum Lehrprogramm auf dieser Ausbildungsstufe vgl. Marrou 1948/ 1977, 307-333. Zu den verschiedenen Ausbildungsstufen vom „Elementarunterricht“ bis zum „Hochschulunterricht“ vgl. Marrou 1948/1977, 288-407.
4 Vgl. zum Ausdruck vera philosophia etwa Rufin. Orig. in cant. prol. (GCS Orig. 8 p. 76, 16). Siehe auch den Ausdruck divina philosophia: Rufin. Orig. in cant. prol. (GCS Orig. 8 p. 77, 31).
5 Siehe hierzu Origenes’ grundsätzliche Bemerkungen in seinem Brief an Gregorios Thaumaturgos (epist. ad Greg. 1, 8-18 [SC 148 p. 186-188]) und in dem Abschnitt: Rufin. Orig. in gen. 11, 2 (GCS Orig. 6 p. 103, 15-27). Vgl. andererseits die kritische Einstellung gegenüber der Philosophie (Dialektik): sel. in psalm. 63, 6 (PG 12 p. 1492B): ἄνθρωποι δὲ ἑαυτοῖς τῇ καλουμένῃ διαλεκτικῇ φιλοσοφίᾳ, καὶ κενῇ ἀπάτῃ διηγήσαντο τοῦ κρύψαι παγίδα, οἱ πιθανοῖς σοφίσμασι καὶ λόγοις ἀπατηλοῖς ἀπατῶντες, ἐν οἷς λανθάνον κεκρυμμένον ἐστὶ τὸ παγιδεύειν. In der Auslegung von prov. 21, 22 (Rufin. Orig. in Ios. 18, 3 [GCS Orig. 7 p. 408, 18-21]) heißt es: an illud potius indicat [sc. Salomon] quod civitas et muri sint impiorum dogmata et syllogismi philosophorum, quibus adstruunt impia quaeque et divinae legi contraria, quae apud paganos vel barbaros observantur? Zur Stellung der paganen Bildung im Unterrichtsprogramm des Origenes vgl. die panegyrische Dankrede des Gregorios auf Origenes (pan. Or. 7-14 [SC 148 p. 134-168]); siehe auch Euseb. hist. eccl. 6, 18, 3f. Zur Tradition der Ansicht, dass die griechische Philosophie als „Vorbildung“ (προπαίδεια) für den christlichen Glauben nützlich sei, vgl. Klemens: strom. 1, 5, 28, 1-3 (GCS Clem. Alex. 2 p. 17f.). Zur einschlägigen Forschung: u. S. 25f.
Details
- Seiten
- 266
- Erscheinungsjahr
- 2016
- ISBN (PDF)
- 9783653067217
- ISBN (MOBI)
- 9783653950588
- ISBN (ePUB)
- 9783653950595
- ISBN (Hardcover)
- 9783631672112
- DOI
- 10.3726/978-3-653-06721-7
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2016 (Mai)
- Schlagworte
- Eschatologie Seinsprinzipien Literalsinn Metaphertheorie
- Erschienen
- Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 266 S.