Das Südamerikanische Integrationsrecht und seine Teilregime: Prinzipienstruktur und Entwicklungspotentiale
Zugleich ein Vergleich mit dem Integrationsmodell der Europäischen Union
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
- 1. Vorwort zur Dissertationsschrift
- 2. Einleitung
- 3. Methoden: Rechtsdogmatik im Kontext und die Rechtsvergleichung
- 4. Zum Kontext des südamerikanischen Integrationsrechts
- 4.1 Der historische Kontext
- 4.1.1 Die hispanoamerikanischen Kongresse
- 4.1.2 Die Spannungen zwischen dem Panamerikanismus und dem Lateinamerikanismus
- 4.2 Die Souveränität und die südamerikanische Integration
- 4.2.1 Veränderungen des Nationalstaates und der nationalen Souveränität
- 4.2.2 Die geteilte Souveränität: Das Beispiel der EU
- 4.2.3 Klassische und geteilte Souveränität bei der Konstruktion der südamerikanischen Integrationsprozesse
- 4.2.4 Supranationalität und Intergouvernementalismus in der südamerikanischen Integration
- 4.2.4.1 Die begrenzte Supranationalität in der AGN
- 4.2.4.2 Der reine Intergouvernementalismus des Mercosur
- 4.3 Die politischen Ansichten der südamerikanischen Länder zur Integration
- 4.3.1 Sozialismus des XXI. Jahrhunderts und die ALBA
- 4.3.2 Brasilien als Regionalmacht – Südamerikanismus und Unasur
- 4.3.3 Die Alianza del Pacífico und der Offene Regionalismus
- 5. Die Grundprinzipien der Teilregime des südamerikanischen Integrationsrechts
- 5.1 Das Beispiel von Europa: Die Konstitutionalisierung
- 5.1.1 Die Europa-Artikel in den mitgliedstaatlichen Verfassungstexten, das Beispiel des Grundgesetzes
- 5.1.2 Die Verfassungsprinzipien in der EU
- 5.2 Südamerikanischer Verfassungskontext und Südamerikanische-Artikel in nationalen Verfassungstexten
- 5.2.1 Die nationalen konstitutionellen Integrationsartikel in der AGN
- 5.2.2 Die nationalen konstitutionellen Integrationsartikel im Mercosur
- 5.3 Die Grundprinzipien des südamerikanischen Integrationsrechts
- 5.4 Eigenständigkeit in der EU
- 5.4.1 Eigenständigkeit in der AGN
- 5.4.2 Eigenständigkeit im Mercosur
- 5.5 Unmittelbare Wirkung und Anwendbarkeit in der EU
- 5.5.1 Unmittelbare Wirkung und Anwendbarkeit in der AGN
- 5.5.2 Umsetzungsbedarf im Mercosur
- 5.6 Der Anwendungsvorrang in der EU
- 5.6.1 Anwendungsvorrang in der AGN
- 5.6.2 Der Anwendungsvorrang im Mercosur ab der Umsetzung der Rechtsakte
- 5.7 Das Prinzip der loyalen Zusammenarbeit in der EU
- 5.7.1 Das Prinzip der loyalen Zusammenarbeit in der AGN
- 5.7.2 Das Prinzip der loyalen Zusammenarbeit im Mercosur
- 5.8 Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung in der EU
- 5.8.1 Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung in der AGN
- 5.8.2 Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung im Mercosur
- 5.9 Das demokratische Prinzip in der EU
- 5.9.1 Das demokratische Prinzip in der AGN
- 5.9.2 Das demokratische Prinzip im Mercosur
- 6. Die Weiterentwicklung der Teilregime des südamerikanischen Integrationsrechts
- 6.1 Das Ziel eines lateinamerikanischen Gemeinsamen Markts
- 6.1.1 Das Beispiel des Europäischen Binnenmarkts
- 6.1.2 Der Gemeinsame Markt in der AGN
- 6.1.2.1 Behinderung der rechtlichen Entwicklung der Zollunion und des Zolltarifs in der AGN
- 6.1.2.2 Die Zerschlagung der AGN durch die Freihandelszoneabkommen
- 6.1.3 Der Gemeinsame Markt im Mercosur
- 6.1.3.1 Supranationalität und Weiterentwicklung des Mercosurrechts
- 6.2 Die Perspektive der Vereinigung AGN-Mercosur
- 6.2.1 ALADI: die ursprüngliche Verbindung AGN-Mercosur
- 6.2.2 Die Freihandelszone AGN-Mercosur
- 6.2.3 Die Erweiterung des Mercosur
- 6.2.4 Die Förderung der Vereinigung AGN-Mercosur durch die Unasur
- 6.3 Die Weiterentwicklung der südamerikanischen Gerichtsbarkeit durch die Kooperation zwischen den nationalen und den gemeinsamen Gerichten
- 6.3.1 Das Beispiel des EuGH: der Motor der Integration
- 6.3.1.1 Das Kooperationsverhältnis zwischen den nationalen Gerichtshöfen und dem Europäischen Gerichtshof
- 6.3.2 Der Andengerichtshof: Antrieb der Integration
- 6.3.2.1 Die Kooperation zwischen den nationalen Gerichten und dem Andengerichtshof durch das Vorabentscheidungsverfahren
- 6.3.3 Das Ständige Revisionsgericht des Mercosur und seine Weiterentwicklung
- 6.3.3.1 Die Kooperation zwischen den nationalen Gerichten und dem Ständigen Revisionsgericht durch die Gutachten
- 7. Schlussfolgerungen
- 8. Zusammenfassung
- 9. Literaturverzeichnis
1. Vorwort zur Dissertationsschrift
Es mag die Leserinnen und Leser überraschen, wenn der Erstbetreuer eines Dissertationsprojekts der Publikation der erfolgreich abgeschlossenen Arbeit ein eigenes Vorwort voranstellt. Dies entspricht gewiss nicht der deutschen, wohl aber der ibero- und lateinamerikanischen Wissenschaftstradition. Da vorliegende Schrift von einem jungen kolumbianischen Wissenschaftler, Herrn Mario André Arroyave Quintero, während eines mehrjährigen Forschungsaufenthaltes an den Universitäten Leipzig und Hamburg erarbeitet wurde und ganz aus dem Geiste eines komparativen, auch wissenschaftskulturell in zwei Welten gleichermaßen beheimateten Zugriffs lebt, leiste ich der Bitte ihres Verfassers um einige einstimmende Gedanken nur allzu gerne Folge.
Die Arbeit folgt einer innovativen Leitidee respektive legt ein anleitendes Integrationsmodell zugrunde: das südamerikanische Integrationsrecht als eine primär rechtlich zu gestaltenden Integrationsordnung im Werden, in ihrer Finalität gewiss noch sehr viel offener als die europäische Integration. Und doch ist schon mit dem Begriff des „Integrationsrechts“ der sehr bewusste, keineswegs nur semantisch-terminologisch gemeinte Bezug zum europäischen Integrationsprozess hergestellt. Es geht um Integration durch Recht und damit immer auch um die Möglichkeiten bzw. Grenzen seiner Steuerungskraft. Für das südamerikanische soll das europäische Integrationsmodell den Reflexionsrahmen, allerdings kein schlichte Blaupause bilden. Nicht kulturblinde Rezeption, nicht bloße Aneignung, sondern – ganz im Sinne des von Peter Häberle entwickelten Rezeptionsmodells (Theorieelemente eines allgemeinen juristischen Rezeptionsmodells, in: JZ 1992, S. 1033 ff.; Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 464 ff.) – eigenständige, produktive und kultursensible Fortschreibung des Rezipierten ist das Anliegen. Die wissenschaftskulturellen Implikationen dieses Untersuchungsansatzes dürfen dabei nicht außer Acht bleiben. Traditionell besteht, vermittelt über Spanien und Portugal, ein großes Interesse der iberoamerikanischen Wissenschaftlergemeinschaft am deutschen respektive europäischen Verfassungsdenken, das seinerseits für die Konzeptualisierung des Integrationsprozesses seit Begründung der politischen Union durch den Vertrag von Maastricht eine immer größere Rolle spielt (nur einige ausgewählte Stichworte: Konstitutionalisierung der Europäischen Union, europäischer Verfassungsverbund, so I. Pernice, System interdependenter Teilverfassungen, so P. Häberle, verfassungsqualitative Strukturen des Unionsprimärrechts, so D. Th. Tsatos). ← 13 | 14 →
Umgekehrt arbeiten deutsche und europäische Rechtsgelehrte als Brückenbauer hin nach Iberoamerika, man denke von deutscher Seite etwa an Robert Alexys (Prinzipientheorie) oder Peter Häberle (Rechtsvergleichung, kulturwissenschaftlicher Ansatz), von spanischer Seite etwa a F. Balaguer Callejón oder aus Portugal G. Canotilho. So hat Häberle etwa in Anlehnung an die Idee des „gemeineuropäischen“ den Ansatz eines „gemein-amerikanischen Verfassungsrechts“ vorgeschlagen (México y los contornos de un derecho constitucional común americano: un ius commune americanum, in: P. Häberle/M. Kotzur, De La soberania al derecho constitucional común: para un diálogo europeo-latinoamericano, Mexiko 2003, S. 1 ff.), an dem heute etwa auch A. von Bogdandy arbeitet (Ius Constitutionale Commune en América Latina: Beobachtungen zu einem transformatorischen Ansatz demokratischer Verfassungsstaatlichkeit, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) 75 (2015), S. 354 ff.). Ein „Iberoamerikanischen Kolloquium“ am Heidelberger Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht setzt sich seit langem interdisziplinär und komparativ mit juristischen, politischen und sozialen Entwicklungen in Latein- respektive Ibero- und Südamerika auseinander. Der Verfasser selbst ist – wie bereits angedeutet – nach langjährigen, durch den DAAD geförderten Forschungsaufenthalten in Deutschland – zunächst in Leipzig, dann in Hamburg – mit diesen wissenschaftskulturellen Kontexten bestens vertraut und hat aus ihnen sein eigenes rezeptions- und kooperationstheoretisches Verständnis entwickelt, auf dessen Grundlage er wiederum den Untersuchungsansatz für vorliegende Dissertationsschrift schrittweise erarbeitet.
In Hamburg hat der Verfasser intensiv die Möglichkeiten des GIGA (German Institute of Global and Area Studies) genutzt und so gerade für die politikwissenschaftlich inspirierten Aspekte seiner interdisziplinär und vergleichend angelegten Untersuchung wichtige Ressourcen erschlossen. Die Arbeit reflektiert somit in ihrer Genese genau jenes wechselseitige „Lernen und Verstehen“, das ihr als rezeptionstheoretischer Ansatz zugrunde liegt. Sie ist spezifisch auch an ein südamerikanisches Publikum adressiert, was in Sachen Unionsrecht manch deskriptiv-erklärende Passage unentbehrlich macht. „Law in context“ ist ihr übergreifender, avancierter Diskurszusammenhang. Was die Arbeit in ihrem Kern erschließt, sind denkbare – und im positiven Recht ebenso wie in der gelebten Rechtspraxis greifbare – Grundprinzipien des südamerikanischen Integrationsrechts. Die Prinzipienstruktur respektive Integrationsdynamik des europäischen Integrationsrechts sind dafür Inspirationsquelle (S. 77 ff.). Die großen Konstitutionalisierungsdebatten werden ebenso aufgegriffen wie konkrete Fragen etwa nach den einschlägigen Integrationsartikel in den mitgliedstaatlichen Verfassungen, ← 14 | 15 → nach der Eigenständigkeit der jeweiligen Regime, nach der unmittelbaren Anwendbarkeit und nach dem Vorrang des Integrationsrechts, nach der loyalen Zusammenarbeit, nach der begrenzten Einzelermächtigung und, übergreifend, nach der demokratischen Legitimation. Für die Fortentwicklung des südamerikanischen Integrationsrechts in seinen Teilregimen geht es dabei vor allem um die Ziele eines lateinamerikanischen gemeinsamen Marktes, um die Perspektiven einer Vereinigung des gemeinsamen Marktes der Andengemeinschaft mit dem Mercosur sowie um die Kooperation von nationalen und Gemeinschaftsgerichten zur effektiven Sicherung der Integrationsleistungen einer Rechtsgemeinschaft. Die Arbeit macht „Integration durch Recht“ zu einem gemeinsamen Anliegen für die „Alte“ wie für die „Neue Welt“. Solchem interkulturellen Brückenbau in Sachen kooperativ-offener Verfassungsstaatlichkeit ist nur großer Erfolg, vorliegender Schrift eine ebenso reiche wie neugierige Leserschaft zu wünschen. Auf spannende Wanderungen zwischen zwei Welten!
Hamburg, im April 2016
Prof. Dr. Markus Kotzur, LL.M. (Duke Univ.) ← 15 | 16 →
Die vorliegende Dissertation arbeitet mit der Idee bzw. dem Modell eines Südamerikanischen Integrationsrechts (SIR). Sie stellt seine rechtlichen Grundprinzipien, seine bisherige Entwicklung und seine künftigen Entwicklungspotentiale dar. Es handelt sich um eine Analyse, die den historischen, politischen und konstitutionellen Kontext der verschiedenen Grundprinzipien sowie die rechtliche Weiterentwicklung des SIR erfasst. Darüber hinaus wird das SIR anhand einer Rechtsvergleichung mit dem Europäischen Unionsrecht (UR) erklärt und analysiert. Das Unionsrecht gilt dabei als kritisch zu reflektierendes Integrationsmodell, nicht etwa als schlichte Blaupause. Das SIR gliedert sich in zwei Teilordnungen bzw. Teilregime, welche die wirtschaftliche Integration zwischen den südamerikanischen Staaten normieren. Das Andengemeinschaftsrecht (AGR) und das Mercosurrecht (MR) sind eben diese Teilordnungen, welche in dieser Dissertation als SIR bezeichnet werden. Der Begriff „Teilordnung“ wird als regionale Form intensivierter Kooperation sowie aufgrund der konstitutionellen Qualität dieser Kooperation als Teilverfassung definiert.1 Die südamerikanischen Teilordnungen sind ungleichmäßig und unabhängig, weil beide ihre eigene Geltung und Rechtsnatur, sowie ihre eigenen Quellen und Verfahren besitzen.
Das SIR legt die Gestaltung, die Arbeitsweise und die Ziele der südamerikanischen Integration normativ fest. Der Begriff „Integration“ (von lat. integrare) bedeutet: „Wiederstellung eines Ganzen“; „(Wieder)herstellung einer Einheit“; „Einbeziehung, Eingliederung in ein größeres Ganzes“.2 Dementsprechend kann die südamerikanische Integration als ein politischer, wirtschaftlicher, kultureller, sozialer und rechtlicher Prozess für die Herstellung einer Einheit zwischen den südamerikanischen Staaten bezeichnet werden. Der südamerikanische bzw. lateinamerikanische Integrationsprozess hat eine lange Tradition. Bereits Anfang des XIX. Jahrhunderts, nämlich in der Epoche der Unabhängigkeit, existierten ← 17 | 18 → Bestrebungen, die entstandenen Republiken zu vereinigen.3 Trotzdem begann die wirtschaftliche Integration im engeren Sinne erst in den sechziger Jahren und sie wird aktuell durch die Andengemeinschaft der Nationen (AGN)4 und durch den Gemeinsamen Markt des Südens (Mercosur)5 weitergeführt. Beide südamerikanische Integrationsprozesse (AGN und Mercosur) stellen eine wichtige Strategie für die Zusammenarbeit der südamerikanischen Staaten untereinander sowie für die Entwicklung der Region dar.
Details
- Seiten
- 244
- Erscheinungsjahr
- 2016
- ISBN (ePUB)
- 9783631692455
- ISBN (MOBI)
- 9783631692462
- ISBN (PDF)
- 9783653067828
- ISBN (Paperback)
- 9783631674208
- DOI
- 10.3726/978-3-653-06782-8
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2016 (August)
- Erschienen
- Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 244 S.
- Produktsicherheit
- Peter Lang Group AG