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Fach- und Rechtsfragen des Bebauungsplans

von Stephan Mitschang (Band-Herausgeber:in)
©2016 Konferenzband 283 Seiten

Zusammenfassung

Dieser Sammelband vereint Beiträge der Tagung «Fach- und Rechtsfragen des Bebauungsplans», die am 21. und 22. September 2015 an der Technischen Universität in Berlin stattfand. Bebauungspläne, auch in ihrer Unterart der vorhabenbezogenen Bebauungspläne, stellen das wichtigste städtebaurechtliche Planungsinstrument zur Steuerung der städtebaulichen Entwicklung in den Städten und Gemeinden dar. Die einzelnen Beiträge behandeln planungspraktische Fragestellungen, wie sie bei der Erarbeitung von Bebauungsplänen auftreten, sowie die durch die aktuelle Rechtsprechung ausgelösten neuen Anforderungen an die Ausgestaltung von Konfliktlösungen. Nicht nur den Tagungsteilnehmern, sondern auch allen, die mit dem Instrument «Bebauungsplan» beruflich umgehen, bietet dieser Band eine Hilfestellung.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Wilhelm Söfker - Rechtliche Anforderungen an Festsetzungen des Bebauungsplans
  • Gerd Schmidt-Eichstaedt - Landwirtschaftliche Belange und Bebauungsplan
  • Alexander Schink - Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung in der Bauleitplanung – Arten von Kompensationsmaßnahmen und ihre Sicherung
  • Stefan Kobes - Zum Begriff des „Wohnens“
  • Sören Claus - Festsetzungen zur Steuerung der Wohnnutzung
  • Christian-W. Otto - Die zunehmende Bedeutung des Planungsrechts für das Abstandsflächenrecht
  • Guido Kohnen, Annette Leuckel - Geräuschkontingentierung in der Bauleitplanung – richtungsabhängige Schallemissionskontingente und flächenbezogene Schallleistungspegel in der praktischen Anwendung
  • Jörg Finkeldei - Instrumente der Freiraumsicherung im Außenbereich
  • Olaf Reidt - Festsetzungsersetzende und -flankierende städtebauliche Verträge
  • Tim Schwarz - Bebauungspläne zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden
  • Stephan Mitschang - Lärmschutzbezogene Festsetzungen
  • Bernhard Haaß - Eigentumsrechtliche Schranken bei der Festsetzung von Grünflächen
  • Autorenverzeichnis

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Vorwort

Bebauungspläne, auch in ihrer Unterart der vorhabenbezogenen Bebauungspläne, stellen das wichtigste städtebaurechtliche Planungsinstrument zur Steuerung der städtebaulichen Entwicklung in den Städten und Gemeinden dar. Insbesondere für die räumliche Entwicklung der Gemeinden nach außen haben sie seit dem Beginn der 1960er Jahre dafür gesorgt, dass diese planmäßig verlief. Inhaltlich orientieren sich die Bebauungspläne an den jeweils vorherrschenden Rahmenbedingungen für die städtebauliche Entwicklung und unterliegen insoweit auch einem gewissen „Zeitgeist“. Nachvollziehbar ist dies nicht nur am Festsetzungskatalog des § 9 BauGB und der Baunutzungsverordnung, sondern auch an der zunehmenden Bedeutung von – in erster Linie unionsrechtlich geprägten – Umweltschutzbelangen sowie der ebenfalls nahezu obligatorischen Flankierung städtebaulicher Planungen durch städtebauliche Verträge. Daneben ist schließlich noch die Rechtsprechung anzuführen, durch deren Entscheidungen sich für die Bebauungsplanung immer wieder sowohl neue Möglichkeiten als auch Schrankensetzungen ergeben. In diesem Kontext ist die am 21. und 22. September 2015 an der Technischen Universität Berlin durchgeführte wissenschaftliche Fachtagung unter der Überschrift „Fach- und Rechtsfragen des Bebauungsplans“, deren schriftlich ausgearbeitete Vorträge im vorliegenden Tagungsband zusammengestellt sind, angesiedelt. Thematische beziehen sich die einzelnen schriftlichen Beiträge in erster Linie auf planungspraktische Fragestellungen, wie sie bei der Erarbeitung von Bebauungsplänen entweder aufgrund einzelner Anforderungen auftreten oder durch die aktuelle Rechtsprechung ausgelöst, neue Anforderungen an die Ausgestaltung von Konfliktlösungen stellen. Nicht nur den Tagungsteilnehmern sondern auch allen, die mit dem Instrument „Bebauungsplan“ beruflich umgehen, soll dieser Tagungsband eine Hilfesstellung bieten.

Berlin, im März 2016

Universitätsprofessor Dr.-Ing. habil. Stephan Mitschang

am Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin

Fachgebiet Städtebau- und Siedlungswesen; – Orts-, Regional- und Landesplanung –

Hardenbergstraße 40a

10623 Berlin

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Wilhelm Söfker

Rechtliche Anforderungen an Festsetzungen des Bebauungsplans

Abstract Dieser Beitrag befasst sich, basierend auf dem Baugesetzbuch sowie der Baunutzungsverordnung, mit rechtlichen Anforderungen an die Festsetzungen im Bebauungsplan. Erörtert wird das Verhältnis beider Gesetzesgrundlagen zueinander. Der abschließende Charakter des Festsetzungskataloges sowie die Anwendung mit Bezug auf spezifische Themenfelder sind weitere Inhalte des Beitrages.

This Input – based on the Federal Building Code and the Federal Land Utilisation Ordiance – is primarily concerned with regulatory framework on the designations in binding land use plans. In discussion is also the relation of these two laws to each other, the question whether the designations are listed in full as well as if other specific themes are connected to the regulatory framework.

1 Einführung und Ausgangslage

Die rechtlichen Anforderungen an Festsetzungen des Bebauungsplans beziehen sich insbesondere auf die im Baugesetzbuch1 (vor allem in § 9 BauGB, vgl. aber auch §§ 22 Abs. 9, 34 Abs. 5 Satz 2 BauGB) und in der Baunutzungsverordnung2 geregelten Rechtsgrundlagen (Ermächtigungsgrundlagen) für die Festsetzungen im Bebauungsplan. Diese Funktion der Rechtsgrundlagen wirkt sich – zunächst – in zweierlei Hinsicht aus:

Zum einen bringen die Rechtsgrundlagen die städtebaurechtlichen Regelungsbefugnisse der Bebauungspläne, die die rechtsverbindlichen Festsetzungen für die städtebauliche Ordnung enthalten (§ 8 Abs. 1 BauGB), zum Ausdruck. Sie sind mögliche Gegenstände der Regelungen in den Bebauungsplänen. Die Gemeinden, die die Bebauungspläne in eigener Verantwortung ← 9 | 10 → aufstellen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB), sind grundsätzlich berechtigt, diese städtebaurechtlichen Regelungsbefugnisse zu nutzen und solche Festsetzungen in den Bebauungsplänen zu treffen. Dies kann z. B. auch Bedeutung für die sich aus § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ergebende Anforderung nach der Erforderlichkeit einer Festsetzung haben. Zumindest als Ausgangslage für die Beurteilung dieser Anforderung kann davon ausgegangen werden, dass ein Bebauungsplan, in dem von einer solchen Festsetzungsmöglichkeit Gebrauch gemacht wird, auch städtebaulich i. S. des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB grundsätzlich erforderlich ist. Diese Frage hat auch aktuelle praktische Bedeutung in den Fällen, in denen im Bebauungsplan spezielle Festsetzungen getroffen werden, mit denen abweichend von den allgemeinen Inhalten der Bauleitplanung spezifische städtebauliche Anliegen geregelt werden sollen. Beispiele sind von den Baugebietsvorschriften der §§ 2 ff. BauNVO oder dem § 34 Abs. 1 bis 3a BauGB abweichende, durch differenzierende Festsetzungen nach § 1 Abs. 4 bis 10 BauNVO oder nach § 9 Abs. 2a und 2b BauGB erreichbare Regelungen über die Zulässigkeit von Vorhaben treffen zu können. Indem der Gesetz- und Verordnungsgeber diese Befugnisse ausdrücklich eröffnet hat, bestimmt er zugleich, dass eine hierauf gerichtete Bebauungsplanung städtebaurechtlich erforderlich sein kann. Dies hat namentlich Bedeutung über die allgemeinen Zulässigkeitsregelungen der §§ 8, 11 Abs. 3 und 15 Abs. 1 BauNVO und des § 34 Abs. 1 und 3 BauGB hinaus, um gezielte Festsetzungen für die städtebauliche Steuerung des Einzelhandels3 und von Vergnügungsstätten oder die Sicherung der Zweckbestimmung von Gewerbegebieten4 treffen zu können.

Zum anderen enthalten die im Baugesetzbuch und in der Baunutzungsverordnung geregelten Festsetzungsmöglichkeiten Begrenzungen. Die inhaltliche Reichweite der Rechtsgrundlagen in ihrer Funktion als Ermächtigungsgrundlagen für die Festsetzungen in den Bebauungsplänen ist bestimmend für die überhaupt möglichen Festsetzungen. Die Rechtsgrundlagen enthalten einen abschließend geregelten Katalog von Festsetzungsmöglichkeiten. Darin unterscheidet sich die Rechtslage gegenüber den im ← 10 | 11 → Flächennutzungsplan möglichen Darstellungen, für die § 5 Abs. 2 BauGB und § 1 Abs. 1 und 2 BauNVO nur einen beispielhaften Katalog an Darstellungsmöglichkeiten enthalten.

Infolgedessen ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die jeweilige Festsetzung im Bebauungsplan, dass sie sich auf eine im Baugesetzbuch oder in der Baunutzungsverordnung geregelte Rechtsgrundlage (Ermächtigungsgrundlage) stützt. Im Fall der fehlenden Rechtsgrundlage oder der Überschreitung der Ermächtigungsgrundlage liegt ein zur Unwirksamkeit der Festsetzung führender Fehler vor. Das Baugesetzbuch enthält dazu in § 214 Abs. 1 bis 3 BauGB keine „Unbeachtlichkeitsklauseln“; ein solcher Fehler wird nach § 214 BauGB auch nicht bei rügelosem Fristablauf geheilt (Stichwort: Fehlende Rechtsgrundlage oder Überschreitung einer Rechtsgrundlage ist ein „Ewigkeitsfehler“).

Über diese sich aus den Rechtsgrundlagen ergebenden Anforderungen an die Festsetzungen in den Bebauungsplänen hinaus ergeben sich aus dem Baugesetzbuch und der Baunutzungsverordnung weitere rechtliche Anforderungen an die Festsetzungen daraus, dass sie aus städtebaulichen Gründen getroffen werden müssen (so ausdrücklich die Eingangsworte des § 9 Abs. 1 BauGB) und dass sie den Aufgaben und Grundsätzen der Bauleitplanung (§§ 1, 1a BauGB) entsprechen müssen, insbesondere dem Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7 BauGB, einschließlich § 2 Abs. 3 BauGB).

Diese Anforderungen stehen in Wechselbeziehungen zu den Rechtsgrundlagen für die Festsetzungen des Baugesetzbuchs und der Baunutzungsverordnung. Die insbesondere in § 1 Abs. 1 und 3 BauGB geregelte Planungsbefugnis, die in § 1 Abs. 5 und 6 sowie in § 1a BauGB geregelten Planungsgrundsätze, Abwägungsdirektiven und sonstigen städtebaulichen Belange haben bestimmende Bedeutung für die städtebaulichen Gründe für die Festsetzungen im Bebauungsplan. Die Variationsbreite der Vorschriften des § 1 Abs. 5 und 6 sowie des § 2a BauGB macht die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten der Ermächtigungsgrundlagen des Baugesetzbuchs und der Baunutzungsverordnung für die Festsetzungen in den Bebauungsplänen deutlich. Insofern können sich Änderungen und Ergänzungen des § 1 Abs. 5 und 6 und des § 2a BauGB, wie sie durch die BauGB-Änderungen der letzten Jahre vorgenommen wurden, auch auf die Anwendbarkeit des § 9 BauGB und der Baunutzungsverordnung als Erweiterungen der Festsetzungsmöglichkeiten auswirken. Hinzuweisen ist insbesondere auf die ← 11 | 12 → durch das BauGB-Änderungsgesetz von 20045 getroffenen Erweiterungen und Präzisierungen der Umweltbelange in § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB und die Erweiterungen der Aufgaben der Bauleitplanung in § 1 Abs. 5 BauGB durch die BauGB-Änderungsgesetze 2004, 20116 und 20137.

Wenn sich hieraus Erweiterungen der städtebaulichen Gründe ergeben, kann sich dies auf die Interpretation der Festsetzungsmöglichkeiten des § 9 Abs. 1 BauGB auswirken. Dies kann z. B. in Bezug auf Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 23 BauGB der Fall sein. Allerdings kann dies nicht zu einer Ausweitung der in § 9 Abs. 1 BauGB geregelten Festsetzungsbefugnisse entgegen deren Wortlaut führen.

Als aktuelles Beispiel hierfür kann die Aufnahme von „… den Klimaschutz und die Klimaanpassung, insbesondere in der Stadtentwicklung, zu fördern …“ in die Vorschrift über die Aufgaben der Bauleitplanung (§ 1 Abs. 5 Satz 2 BauGB) genannt werden. Sie kann als Erweiterung der Aufgaben der Bauleitplanung verstanden werden, die die für Festsetzungen geforderten „städtebaulichen Gründe“ (§ 9 Abs. 1 BauGB) stützen. Die dem dienenden Festsetzungen können jedoch nur getroffen werden, soweit hierfür Rechtsgrundlagen im Baugesetzbuch/ in der Baunutzungsverordnung vorhanden sind. So hat der VGH Mannheim8 ausgeführt, dass § 9 Abs. 1 Nr. 23a BauGB nicht zu der Festsetzung ermächtiget, nach der bei Feuerungsanlagen mit einer Nennwärmeleistung von mehr als 1 MW die Verwendung von fossilen Energieträgern nur zulässig ist, wenn die spezifische CO2-Emission einen Wert von 0,08 t CO2/GJ nicht überschreitet. Als Grund führt der VGH Mannheim an, dass die Festsetzung wie die Festsetzung anlagenbezogener Emissions- oder Immissionswerte wirke, § 9 Abs. 1 Nr. 23a BauGB aber Festsetzungen zur Beschränkung der Verwendung bestimmter Brennstoffe verlange. ← 12 | 13 →

In dem Maße, wie § 1 Abs. 5 und 6 und § 2a BauGB bestimmte Anliegen nicht aufgreift, können sich daraus wiederum Beschränkungen im Hinblick auf die Nutzung der Festsetzungsmöglichkeiten ergeben. Schließlich können sich aus den Anforderungen des Abwägungsgebots (§ 1 Abs. 7 BauGB) auch Verpflichtungen ergeben, im Bebauungsplan bestimmte Festsetzungen zu treffen oder von bestimmten Festsetzungen Abstand zu nehmen.

2 Zum Verhältnis des § 9 BauGB zur Baunutzungsverordnung

Die Art der baulichen und sonstigen Nutzung kann für bestimmte Nutzungen auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Nr. 4 bis 26 BauGB und für Baugebiete auf der Grundlage der Baunutzungsverordnung festgesetzt werden. Insofern hat die Verordnungsermächtigung des § 9a BauGB für den Erlass der Baunutzungsverordnung Bedeutung. Davon hat der Verordnungsgeber umfassend Gebrauch gemacht, jedoch mit einer Ausnahme:

Nach § 9a Nr. 3 BauGB umfasst die Ermächtigungsgrundlage auch den Erlass von Vorschriften über „die Zulässigkeit von Festsetzungen nach Maßgabe des § 9 Abs. 3 über verschiedene Baugebiete oder verschiedenartige in den Baugebieten zulässige bauliche und sonstige Anlagen“. Die Baunutzungsverordnung hat jedoch seit ihrem erstmaligen Erlass in 1962 davon abgesehen, die Möglichkeit einer geschossweisen Festsetzung von verschiedenen Baugebieten vorzusehen. Es ist daher z. B. nicht möglich, für das Erdgeschoss ein Sondergebiet Einzelhandel und für die Obergeschosse ein reines Wohngebiet festzusetzen. Für solche Aufgabenstellungen – bauplanungsrechtliche Grundlagen für einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb und für Wohnungen in Obergeschossen außerhalb von Kerngebieten – kann u. U. die Festsetzung eines sonstigen Sondergebiets in Betracht kommen, wobei sich allerdings die Grenzen solcher Festsetzungsmöglichkeiten nach § 11 Abs. 2 BauNVO zu beachten sind9. Ggf. kann ein vorhabenbezogener Bebauungsplan (§ 12 BauGB) in Betracht kommen. ← 13 | 14 →

Für das Verhältnis der Festsetzung von Baugebieten nach der Baunutzungsverordnung zu Festsetzungen für bestimmte Nutzungen nach § 9 Abs. 1 BauGB ist weiter von Bedeutung:

Mit der Festsetzung von Baugebieten können nach der jeweiligen Baugebietsvorschrift solche Nutzungen zulässig sein, die auch Gegenstand von gezielten Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 BauGB sein können. Beispielsweise kann durch Festsetzung eines Baugebiets und der dadurch gegebenen Anwendung der betreffenden Baugebietsvorschrift der Baunutzungsverordnung eine Anlage für kulturelle, soziale oder sportliche Zwecke zulässig sein (vgl. z. B. § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO). Für die bauplanungsrechtliche Absicherung solcher Anlagen kann aber auch nach § 9 Abs. 1 BauGB die Festsetzung von Flächen für solche Nutzungen vorgenommen werden (vgl. z. B. § 9 Abs. 1 Nr. 5, 12, 15, 22 BauGB), und zwar auch aus Anlass und im Zusammenhang mit der Festsetzung eines Baugebiets. Die allgemeinen Vorteile der Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 BauGB sind die eindeutige planungsrechtliche Absicherung der betreffenden Nutzungen an bestimmten Standorten, wobei regelmäßig der Bedarf für die betreffenden Nutzungen sowie die von solchen Nutzungen berührten öffentlichen und privaten Belange bei der Aufstellung des Bebauungsplans im Rahmen des Abwägungsgebots (§ 1 Abs. 7 BauGB) zu berücksichtigen sind und, etwa in Bezug auf das Gebot der Rücksichtnahme, der erforderlichen Klärung zugeführt werden. Die Beteiligten und Betroffenen können sich darauf einstellen. Demgegenüber kann die planungsrechtliche Zulässigkeit solcher Anlagen allein nach der betreffenden Baugebietsvorschrift nicht diese planungsrechtliche Sicherheit vermitteln. Denn in diesen Fällen kann – noch – die Frage Bedeutung haben, inwieweit durch solche Anlagen der Gebietscharakter des festgesetzten Baugebiets gewahrt bleibt, weiter inwieweit sich Beschränkungen der Zulässigkeit aus § 15 Abs. 1 BauNVO, auch in Bezug auf das Gebot der Rücksichtnahme, ergeben. Dazu können aktuelle Beispiele benannt werden:

Für Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge oder Asylbegehrende können nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB Flächen für den Gemeinbedarf festgesetzt werden, etwa als „Gemeinbedarf: Erstaufnahmeeinrichtung und darauf bezogene Verwaltung“10. In festgesetzten Baugebieten können solche ← 14 | 15 → Einrichtungen (nur) ggf. als Anlagen für soziale Zwecke allgemein zulässig sein oder im Wege der Ausnahme (§ 31 Abs. 1 BauGB) oder durch Befreiung (§ 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB 201411) zugelassen werden, ggf. auf der Grundlage der Sonderregelungen des § 246 Abs. 10 BauGB12, unter den dort geregelten Voraussetzungen und Beschränkungen.

Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Windenergieanlagen in Gewerbe- und Industriegebieten kann – zumindest im Grundsatz – dort gegeben sein, entweder als selbständige Gewerbebetriebe, weil in diesen Gebieten „Gewerbebetriebe aller Art“ vorgesehen sind, oder als Bestandsteile oder Nebenlagen von Gewerbebetrieben, wenn die in der Windenergieanlage gewonnene elektrische Energie im Wesentlichen in dem betreffenden oder zugeordneten Gewerbebetrieb Verwendung finden soll. Es kann jedoch im Einzelfall nach § 15 Abs. 1 BauNVO ein Widerspruch zur Zweckbestimmung/ Eigenart des Gewerbe- oder Industriegebiets gegeben sein, der zur Unzulässigkeit führt13 oder es werden Fragen zum Gebot der Rücksichtnahme aufgeworfen, die bei Festsetzung des Gewerbe- oder Industriegebiets nicht geprüft wurden. Eine eindeutige planungsrechtliche Absicherung von einzelnen Windenergieanlagen in Gewerbe- oder Industriegebieten kann aber grundsätzlich dadurch erreicht werden, dass aus Anlass und im Zusammenhang mit der Festsetzung solcher Gebiete nach § 9 Abs. 1 Nr. 12 BauGB („Versorgungsflächen, einschließlich der Flächen für Anlagen und Einrichtungen zur Erzeugung … von Strom … aus erneuerbare Energien …“) für jeweils einen bestimmten Standort gezielt Flächen für einzelne Windenergieanlagen getroffen werden.

3 Enumerativer Festsetzungskatalog – Ergänzungsbedarf?

Die Rechtsgrundlagen für Festsetzungen sind im Baugesetzbuch (§§ 9, 22 Abs. 9, § 34 Abs. 5 Satz 2 BauGB) und in der Baunutzungsverordnung abschließend („enumerativ“) geregelt. Hierfür sind verschiedene Gründe, auch grundsätzlicher Art, maßgeblich, auch in ihrer komplexen und ← 15 | 16 → vielschichtigen Wirkung. Dazu gehören: Eindeutige und rechtssicher handhabbare Bestimmungen der Regelungsbefugnisse im Bebauungsplan, die die rechtsverbindlichen Festsetzungen für die städtebauliche Ordnung und die Grundlage für weitere, zum Vollzug erforderliche Maßnahmen, enthält (§ 8 Abs. 1 BauGB). Dies hat gleichermaßen Bedeutung für die für die Bauleitplanung zuständigen Gemeinden und die von ihnen vorgesehene städtebauliche Entwicklung und Absicherung der Investitionen wie für die Grundstückseigentümer und die planungsrechtliche Absicherung ihrer Investitionen und die als sozialbindende Normen i. S. des Art 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG14 einzuordnenden Bindungen. Zugleich ergibt sich aus dem enumerativ geregelten Festsetzungskatalog das Verhältnis zu den Fachplanungen, deren Regelungsbefugnisse ebenfalls auf bestimmte Inhalte bezogen und dadurch zugleich beschränkt sind. Der Gesetzgeber des Bundesbaugesetzes von 196015 und des Baugesetzbuchs von 198616 hat daher die Reichweite der Regelungsbefugnisse durch Festsetzungen auch, um das Verhältnis zum Grundeigentum und zu den Fachplanungen nicht zu verändern, nicht offen gelassen.

Folge ist, dass z. B. der Gemeinde kein „Festsetzungsfindungsrecht“ zusteht, sowohl in Fällen des § 9 Abs. 1 BauGB als auch insbesondere nicht bezüglich der Festsetzung von Baugebieten. So können sonstige Sondergebiete nach § 11 Abs. 1 und 2 BauNVO nur unter den dort genannten Voraussetzungen festgesetzt werden. Ein „Baugebietsfindungsrecht“ steht der Gemeinde auch im Rahmen des § 11 Abs. 1 und 2 BauNVO nicht zu.17

Details

Seiten
283
Erscheinungsjahr
2016
ISBN (PDF)
9783653071115
ISBN (MOBI)
9783653955828
ISBN (ePUB)
9783653955835
ISBN (Paperback)
9783631679098
DOI
10.3726/978-3-653-07111-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (August)
Schlagworte
Festsetzungen im Bebauungsplan Abwägungsbelange Wohnen Abstandsflächen
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 283 S., 6 s/w Abb.

Biographische Angaben

Stephan Mitschang (Band-Herausgeber:in)

Stephan Mitschang ist Professor am Fachgebiet «Städtebau und Siedlungswesen – Orts-, Regional- und Landesplanung» am Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin. Daneben ist er Direktor des Instituts für Städtebau Berlin der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL).

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Titel: Fach- und Rechtsfragen des Bebauungsplans