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Späte Schriften zur Literatur. Teil 2: Zur Lyrik und Experimentellen Literatur

Herausgegeben von Nikolas Buck

von Helmut Heißenbüttel (Autor:in) Nikolas Buck (Band-Herausgeber:in)
©2021 Andere 506 Seiten

Zusammenfassung

Mit der dreibändigen Jubiläumsedition zum 100. Geburtstag liegen erstmals Helmut Heißenbüttels späte Schriften zur Literatur in gesammelter Form vor. Sie enthält bislang nur verstreut veröffentlichte Texte und zeichnet wesentliche Entwicklungslinien des essayistischen Werks nach.
Der zweite Teil beinhaltet Schriften zur Lyrik und Experimentellen Literatur, die eng verbunden sind mit Neuansätzen im eigenen Schaffen Heißenbüttels. Auf Texte zu übergreifenden Problemstellungen und zur Lyrikszene seit den 1970er Jahren folgen Rückblicke auf die von ihm zunehmend als historisch begriffene Konkrete Poesie. Die Schriften im dritten Abschnitt beschäftigen sich schließlich mit Versuchen der avantgardistischen Selbsterneuerung sowie dem Aufkommen neuer Buchtypen im Spannungsfeld von Dokumentarismus und Postmoderne.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Abschnitt I: Schriften zur Lyrik
  • Übergreifende Problemstellungen
  • Text oder Gedicht?
  • Zum Gelegenheitsgedicht
  • Grenzformen der Dichtung
  • Landschaft im Gedicht
  • Hölderlin oder die Schwierigkeit, Poesie zu vertonen
  • 1. Hölderlin ohne Musik
  • 2. Hölderlin mit Musik
  • Von der Verwendung unpoetischer Wörter im Text
  • Zur Lyrik der 1970er und 1980er Jahre
  • Neue Gedichtbände
  • [Neue Bücher, 19.1.1974]
  • [Neue Bücher, 15.6.1974]
  • [Neue Bücher, 21.9.1974]
  • [Neue Bücher, 4.1.1975]
  • [Neue Bücher, 18.10.1975]
  • Sich neu entdecken
  • Neue Lyrik
  • [Journal 3 für Literatur, 29.3.1977]
  • Moral und Vergnügen
  • Eisenzeit. Gedichte von Karl Mickel. Kommentiert von Helmut Heißenbüttel
  • Was 1978 Poesie heißen kann
  • Neue Lyrik-Bände Herbst 78
  • Neue Gedichtbände aus diesem Herbst
  • Gedichte wiederlesen
  • Lyrik 80
  • Gruß für Erich Fried
  • [Alfred Kolleritsch: Im Vorfeld der Augen]
  • Lyrik 1982
  • Nachwort von Helmut Heißenbüttel [zu Wolfgang Weyrauch: Dreimal geköpft]
  • [Sarah Kirsch: Katzenleben]
  • Hinweis auf einen Dichter?
  • Abschnitt II: Schriften zur Konkreten Poesie und Experimentellen Literatur
  • Rückblicke und Revisionen
  • Feststellung zur konkreten Poesie
  • Tendenzen deutscher Literatursprache der Gegenwart
  • Luzider Widerspruchsgeist
  • Persönliche Anmerkung zum Begriff einer Minimal-Poesie
  • These zum Kolloquium Literaturentwicklung und Literaturanalyse
  • Konkrete Poesie als Alternative?
  • „Meine“ oder „die“ fünfziger Jahre
  • Literarische Archäologie der fünfziger Jahre
  • Das Lautgedicht und das teleologische Kriterium
  • „Heute kann jeder nur auf eigene Faust schreiben“
  • Ernst Jandls Rolle
  • herzzero oder die Fortbewegung von Textmengen
  • 13 Thesen über ästhetische Grenzüberschreitung
  • Es ist zu verstehn, glaubt es mir
  • [Franz Mon: Es liegt noch näher]
  • Konkrete Poesie heute?
  • Nachwort [zu Siegfried J. Schmidt: volumina I]
  • Konkrete Poesie heute?
  • Konkret aus dem Geist des Sozialismus
  • Der Triumph des Texts
  • Typografische Poesie aus typografischer Praxis
  • Abschnitt III: Auf der Suche nach der ‚neuen Literatur‘
  • Offene Literatur: Zur Aktualität der Kategorie des Risikos
  • Vorwort [zum Band Offene Literatur]
  • Konvention und Innovation
  • Pro Domo
  • Klappentext 1985
  • Projekte avantgardistischer Selbsterneuerung
  • Ein Votum für Neue Literatur
  • Laudatio von Helmut Heißenbüttel auf Paul Wühr
  • [Paul Wühr: Das falsche Buch]
  • Rennt die Schildkröte eigentlich schneller als Achill?
  • Der Wald im Theater als einzige Möglichkeit
  • „Einmal dem Knarren der Dielen gefolgt …“
  • Das materialisierte Buch
  • Wie dichte ich heute?
  • [Friederike Mayröcker: Die Abschiede]
  • Wie weit eine Methode nicht trägt
  • Rückführung und Rückbesinnung der Sprache auf sich selbst
  • Reinhard Priessnitz’ zetterlinterview mit Arnulf Rainer am 23. februar 1969 vormittags
  • Neue ‚Buchtypen‘
  • Einführung [zu Alexander Kluge: Unheimlichkeit der Zeit. Neue Geschichten]
  • Der Text ist die Wahrheit
  • Rede auf Alexander Kluge zur Verleihung des Kleist-Preises
  • [Alexander Kluge: Theodor Fontane, Heinrich von Kleist und Anna Wilde]
  • Nachwort [zu Jochen Gerz: Die Zeit der Beschreibung]
  • Nachwort [zu Jochen Gerz: Die Zeit der Beschreibung. Das zweite Buch]
  • Nachwort [zu Jochen Gerz: Die Zeit der Beschreibung. Das dritte Buch]
  • Nachwort [zu Jochen Gerz: Die Zeit der Beschreibung. Das vierte Buch]
  • Wien aus Wörtern
  • [John Berger/Jean Mohr: Eine andere Art zu erzählen]
  • Nachwort [zu Hajo Antpöhler: 3 x täglich]
  • Abschließende Anmerkung [zu Hajo Antpöhler: auf Ostern zu]
  • [Michel Leiris: Das Band am Hals der Olympia]
  • Was Literatur sein kann
  • Literarisierung der Philosophie?
  • Zeitschriften-Rundschau, 11.2.1984
  • Verzeichnis der Druckvorlagen
  • Auf der Suche nach neuen Risiken – Nachwort von Nikolas Buck
  • Register
  • Reihenübersicht

Übergreifende Problemstellungen

Text oder Gedicht?

Anmerkungen zur theoretischen und praktischen Aktualität dieser Frage – eine Abschweifung

Wollte man, falls soetwas überhaupt noch vorstellbar ist, eine Poetik des 20. Jahrhunderts entwerfen, das heißt, insbesondere eine, die noch die Erfahrungen der 70er Jahre in aller Konsequenz mit verarbeitete, so würden darin möglicherweise zwei Wörter, zwei Begriffe eine vergleichbare, wenn auch verschieden ausgerichtete Rolle spielen, ja man käme auch dann, wenn man das mit diesen Wörtern, diesen Begriffen Gemeinte als nicht entscheidend verstehen würde für diese Poetik, nicht um diese Wörter, diese Begriffe herum. Es sind die Wörter, die Begriffe, Experiment und Text. Beide sind zuerst nicht im wissenschaftlichen Bereich verwendet worden, sondern tauchten auf in literarischen Absichtserklärungen und in programmatischen und kritischen Zusammenhängen. Die Spur ihres Auftauchens läßt sich kaum bis vor die dreißiger Jahre zurückverfolgen. In den theoretischen und programmatischen Äußerungen etwa des Expressionismus, des Futurismus, des Dadaismus und des Surrealismus spielen andere Wörter und Begriffe eine Rolle. Es würde zu weit abseits führen, wollte ich hier im einzelnen darauf eingehen. Feststellen läßt sich, daß Begriffe wie Programme vor 1930 eher an traditionellen Begriffen und Programmen orientiert sind, in der Regel als deren Überspitzung und als deren Negation. Auch die Kritik läßt sich noch ganz aus dem Raum traditioneller kritischer Verhaltensweise verstehen. Erst von den dreißiger Jahren an läßt sich, was grundsätzliche Vorstellungen und Begriffe angeht, aber auch der Gegensatz zwischen progressiv gerichteter und restaurativ gerichteter Kritik und Theorie klarer unterscheiden. Das gilt übrigens für alle ästhetischen Bereiche. Die Schärfe mancher Äußerungen und die Utopik mancher Entwürfe aus den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts darf nicht darüber hinweg täuschen, daß der entscheidende Schnitt erst später die ästhetische Landschaft durchschneidet.

Experiment und Experimentelles als Kategorie literarischen und poetischen Verhaltens ist wahrscheinlich zuerst im Untertitel der Zeitschrift Transition verwendet worden und meint Arbeiten von James Joyce, Samuel Beckett, Gertrude Stein, Ezra Pound, Kurt Schwitters, Carl Einstein und anderen. Ausdrücklich programmatisch wird der Begriff des Experimentellen dann von Gottfried Benn und Max Bense ab 1949 eingesetzt. Von daher ist er in den allgemeinen ←13 | 14→Sprachgebrauch übergegangen. Er wird im Deutschen heute meist synonym mit dem Begriff der konkreten Poesie verwendet. Über die internationale Bewegung des Konkreten ist er auch in anderen Sprachgebieten geläufig. Diese Verbreitung und Wanderung müßte jedoch erst noch genau untersucht werden. Es kommt aber hier nicht darauf an, sondern wichtig ist, daß überhaupt ein solcher Begriff in den literarischen Raum eindringt und was er dort zu erfassen versucht. Denn er will nicht, wie Enzensberger einst meinte, als er die Aporien der Avantgarde zu beschreiben versuchte, naturwissenschaftliche Unbezweifelbarkeit als definitives und positives Ziel literarischer, poetischer Versuche einsetzen. Das meinte in einer völlig anderen literaturgeschichtlichen Situation weit eher Émile Zola, als er seine Form des politisch-gesellschaftlich-kritischen Romans als experimentell bezeichnete. Auch Arno Holz schwebte offenbar in dem monströsen Dramenentwurf Ignorabimus etwas wie eine naturwissenschaftliche Versuchsanordnung im Medium des Theaters vor. Sondern Experiment und experimentell im 20. Jahrhundert meinen gerade eine Literatur und Poesie, die ausprobiert, ohne sich ihrer Ergebnisse sicher zu sein. Ihr Grundverständnis steht den Versuchen Bertolt Brechts ebenso nahe wie der Opposition des Konkreten gegen das Abstrakte in der bildenden Kunst. Max Bill, der zuerst den Begriff konkrete Kunst verwendete, versucht heute geradezu, deren antifaschistischen Gehalt herauszuinterpretieren. Das aber bleibt spekulativ. Denn die Offenheit, der Charakter des Ausprobierenden, auf die der Begriff des Experiments und des Experimentellen in der Literatur gerichtet ist, hat zugleich nichts, was sich inhaltlich deuten ließe, er ist in Bezug auf Inhalte, Gehalte und Ideologien neutral und neutralisierend.

In dieser neutralen und neutralisierenden Funktion zeigt sich nun eigentlich das, was den Begriff des Experiments in der Literatur des 20. Jahrhunderts so charakteristisch macht. Experimentell meint ja nicht erneuernd, aufbrechend oder revolutionär, sondern setzt an die Stelle des zusammengesetzten Vorgangs, der sich, der Überlieferung gemäß, aus dem Ineinander von Methode und Qualität herstellt, etwas Unteilbares, Einziges. Man kann, wie es die Apologeten tun, sagen, experimentell dichten heißt schon Qualität einschließen. Oder man kann, kritisch, sagen, der Begriff kann sinnvoll nur verwendet werden, wenn man annimmt, daß in dem unteilbaren Vorgang soetwas wie die Frage nach Qualität außer Kraft gesetzt oder beiseite gelassen wird. Darin könnte ich einmal soetwas wie einen unbewußten Rückgriff auf eine alte, normative Gattungslehre sehen, in der ja die korrekte Beachtung der Gattungsmerkmale, des Sonetts oder der Ode, auch schon Qualität garantierte, aber ebenso das Gegenteil davon, die absolute Verdinglichung und Objektivierung des poetischen Herstellungsprozesses. In der Reduzierung des konkreten Gedichts auf eine einzige Vokabel, wie sie Eugen ←14 | 15→Gomringer einmal vertreten hat, wäre dann das Wörterbuch die vollkommenste und unübertreffbarste Anthologie, die sich denken ließe.

Es geht nicht, das möchte ich hier noch einmal ausdrücklich betonen, darum, wie weit ein solcher Begriff verbreitet ist, wieviel Einfluß er gewonnen hat, ob er bestimmend für die Entwicklung der Literatur geworden ist, ob er sich gegen andere Begriffe, an denen diese Entwicklung gemessen worden ist und gemessen wird, durchzusetzen vermag usw., es geht darum, daß er überhaupt vorkommt. Darum, daß innerhalb des literarischen Prozesses eine solche Neutralisierung und Objektivierung möglich ist. Darum, daß der Poesie der Glanz des Höheren verkehrt wird in die Normalität der Sprache selbst. Darum, daß in einem Begriff wie dem des Experimentellen Sprache nicht mehr verstanden wird als etwas, das der höheren Vorstellung, dem höheren Gehalt, der höheren Idee dienend nachspricht, sondern daß sie inspiriert erscheint aus sich selbst, der Poet experimentell nur den Akt zu vollziehen braucht, in dem er Sprache öffnet oder sich und seinen Zuhörer in den Zustand zu versetzen vermag, in dem Sprechen selbst als Poesie erscheint.

Man könnte sagen, daß das, was Herder einst in den Ursprung der Sprache versetzt hatte, nun beim Wort genommen als möglicher endgültiger Zustand der Sprache deklariert wird. Aber Herder hatte natürlich etwas ganz anderes gemeint. Er wollte, romantisch, wie man sagt, die Wiege der Menschheit im Poetischen stehend angesehen wissen. Eben darum geht es jedoch im 20. Jahrhundert am allerwenigsten. Wenn überhaupt soetwas wie eine uralte Wunschvorstellung darin verborgen ist, so bedeutet die Deklarierung schon des zufälligen Sprechsatzes als Poesie nur die distanzlose, punktuelle und bruchstückhafte, dabei ganz und gar fragwürdige und widerrufbare momentane Identifizierung mit zufällig Artikuliertem. Wenn ich im Sinne einer experimentellen Poetik Schlagzeilen der Bild-Zeitung sammle, um ein oft gebrauchtes Beispiel zu zitieren, so deklariere ich geradezu einen Sprachzustand, den ich in seinem subjektiven Ausdrucksvermögen und in seinem gesellschaftlichen Wahrheitsgehalt nur ganz und gar negativ sehen kann, zur poetischen Exterritorialität.

Oder finde ich nur, daß das, was der anonyme oder kollektive Erfinder solcher Schlagzeilen an Wörtern und Bildern zusammengestellt hat, mehr über den Zustand zu sagen vermag, in dem wir leben, als es der noch so inspirierte Dichter vermöchte?

Dem Begriff des Experiments entspricht der des Textes insofern, als auch er neutralisiert und objektiviert. Man kann von ihm wie von dem des Experiments sagen, daß es zunächst nicht darauf ankommt, ob er andere Begriffe verdrängt, ob er eine neue Perspektive angezeigt oder gar das Wesen des Poetischen als etwas völlig Verändertes erkennbar gemacht hat, sondern darum, daß es ihn überhaupt gibt, daß er überhaupt verwendet wird, daß er eine symptomatische Funktion erfüllt. Er bezieht sich jedoch nicht unmittelbar auf den Herstellungsprozeß eines literarischen Werks, sondern erst auf dessen fertigen Zustand. Während der Begriff des Experiments eingesetzt worden ist für den aktiven Vorgang selbst, bleibt der des Textes zuerst einmal im Bereich des Beurteilens. Er hat daher auch mehr Verbreitung in Kritik und Wissenschaft als in programmatischer Theorie. Beide Begriffe haben allerdings, und nur deshalb habe ich beide hier ins Gespräch gebracht, soetwas wie einen Koppelungseffekt. Man kann zwar von experimenteller Poesie sprechen, besser verbindet sich jedoch der Begriff Experiment mit dem Begriff Text. Wer experimentell schreibt, könnte ich etwas oberflächlich sagen, der schreibt eben Texte.

Dabei stehe ich, was das Wort Text betrifft, vor anderen und anders gerichteten Schwierigkeiten wie bei dem Wort Experiment. Der Begriff Experiment hat seinen exakten Bedeutungsraum in der Naturwissenschaft. Übertragen auf ästhetische Fragen, wird er analog gebraucht, dies, wie zu sehen war, in durchaus mißverständlicher Weise. Die bloß analoge Anwendung bewirkt, daß der Anschein des Präzisen sich verflüchtigt in die bloß gewohnheitsmäßige und von Zufällen abhängige Bedeutungsannahme. Auch der Begriff Text wird in der heutigen Ästhetik und Theorie nicht exakt verwendet, wenn auch mit einem höheren Grad an Exaktheit als der Begriff Experiment, sondern in Analogie. Aber die Ableitung ist eine völlig andere. Ursprünglich nur ein Sammelbegriff, der aber in dieser Sammelfunktion ästhetisch nicht verwendet wurde, hatte der Begriff des Textes seine spezifische Bedeutung in der Abgrenzung zu etwas anderem. So in der Verwendung der Zusammensetzung Textkritik, in der es nicht um Ästhetik ←16 | 17→geht, sondern um die literar-archäologische Wiederherstellung eines Urtextes, auch dieser nicht ästhetisch gemeint, sondern als etwas, das vor jeder Ästhetik anzusetzen ist. Man spricht vom Text der Bibel oder vom Text des Gesetzes. Oder im Wort Textbuch ist im herkömmlichen Sprachgebrauch Text gemeint im Gegensatz zu Musik, es gibt Textbücher zu Opern oder Liedern. Mit Einschränkung kann man auch den englisch-amerikanischen Sprachgebrauch anführen: Textbook bedeutet nicht ein Buch mit Texten, sondern einen Leitfaden, in dem „texts“ die Lehrstücke bedeuten.

Hätte man nicht auch vom Text von Goethes Faust sprechen können? Offenbar ist das nur im strikt philologischen Sinne der Textkritik sinnvoll, nicht aber, um das Werk als solches zu kennzeichnen. Goethes Faust ist eben ein Drama, allenfalls, wenn man erweitern will, eine Oper aus Sprache. Ziehen wir historische Parallelen zwischen dem, was heute Text heißt und dem, was diesem Begriff in der Vergangenheit entsprach, so kommen wir auf den Begriff der Gattung. Dieses Wort, dieser Begriff der Gattung ist nun allerdings heute ebenfalls in eine Zone der Unschärfe und einer gewissen Beliebigkeit geraten. Und wenn man sagen kann, daß Experiment und Text zwar im ursprünglichen Wortgebrauch exakt zu definieren wären, heute jedoch auf eine Weise verwendet werden, die sich gerade durch Unschärfe auszeichnet, in der die Vagheit der Randzonen charakteristischer ist als der Versuch einer Definition, so muß man hinzufügen, daß auch der Begriff der Gattung weitgehend die ursprüngliche und historisch bestimmbare Schärfe der Abgrenzbarkeit verloren hat. Gerade die Versuche, soetwas wie das Epische, das Dramatische, das Lyrische oder gar das Episch-Lyrische oder das Lyrisch-Dramatisch-Epische phänomenologisch zu erfassen, haben diesen Begriff vollends aufgeweicht.

Es ist daher, so meine ich, notwendig, daran zu erinnern, was natürlich jeder speziell mit dieser Frage Befaßte besser weiß als ich, daß die Gattungen einmal den gesamten Bereich der Poesie abgrenzten und konstituierten. Bis hin zu Gottsched, dessen Zusammenfassung daher noch einmal das Bild des historisch Vergangenen widerspiegelte, war Poesie nur das, was in den Regelungen von Gattungen begreifbar und definierbar war. Prosa dagegen unterlag den Regeln der Rhetorik. Tragödie, Komödie, Ode, Elegie, Sonett, Lied, Epos usw. waren nicht nur formal, sondern auch ihrem Stoffgebiet nach bestimmbar. Die Gattung stellte geradezu den geometrischen Ort, an dem sich Form und Inhalt zur untrennbaren Einheit fanden. Diese Einheit war das letzte Kriterium für das einzelne Werk. Das Verlassen dieser eindeutigen Kriterien bezeichnet die Grenze zur neueren Literatur. Erst nach dem Überschreiten dieser Grenze gibt es den Sammelbegriff des Gedichts, kann auch Prosa, Roman, Novelle, als Gattung begriffen werden.←17 | 18→

Im Überschreiten der Grenze war nun, so kann man sagen, wie analog in der Musik mit der Begründung der modernen Harmonielehre durch Rameau, der Keim gelegt für eine immer weiter ausgreifende Verallgemeinerung. Altväterische Altphilologen haben noch 1978 zu belegen versucht, daß das Prosagedicht überhaupt kein Gedicht sein kann. Aber gerade das kennzeichnet die heutige Auffassung vom Gedicht, daß es das ist, was es der historischen Definition nach nicht sein kann. Definitionen wurden abgeleitet nicht nur aus normativen Abgrenzungen, sondern aus speziellen historischen Epochenbegriffen. Es wurde und wird vom expressionistischen, vom surrealistischen, vom dadaistischen Gedicht gesprochen, von der Prosa der Neuen Sachlichkeit, vom naturalistischen, expressionistischen, existenzialistischen Drama usw. usw. Rückblendend gab es dann auch das barocke Gedicht, das Gedicht des Sturm und Drang, der Romantik, der Neoromantik, des Naturalismus usw. Das entsprach den Versuchen, Gattungsmäßiges phänomenologisch, existenzialistisch und neuerdings strukturalistisch zu erfassen, zu beschreiben und zu definieren. Wer je in die Irrgänge dieser Definitionsversuche eingedrungen ist, weiß, wie rasch Verwechslungen möglich sind.

Eben an dieser Stelle wurde es, zuerst fast unmerklich, dann in zunehmendem Maße, üblich, das Wort, den Begriff Text einzusetzen. Im Verlauf der fünfziger Jahre setzte sich der allgemeine Gebrauch durch. Einer der Verfechter dieses Gebrauchs war Max Bense. Ich erinnere mich an die Tagung der Gruppe 47 im Jahr 1960, auf der die eher konservativen Kritiker plötzlich die Nützlichkeit dieses Begriffs entdeckten. Waren davor eher Mischbegriffe wie lyrische Prosa oder prosaisches Gedicht gebräuchlich gewesen, so wurde nun fast ausschließlich von Texten gesprochen. Einem allgemeinen begrifflichen Auflösungszustand stellte sich dieses Wort entgegen. Und war das nicht folgerichtig? Mußte ich nicht, wenn ich die Übergänge von lyrischer Prosa zum Prosagedicht nicht mehr zu fassen vermochte, konsequenterweise nach etwas suchen, das weit genug war, alles zu umfassen.

Text, das war eben nicht nur alles, was literarisch aktuell hergestellt wurde, das erfaßte überhaupt alles, auch den journalistischen Kommentar oder das Interview mit dem Politiker. In der Vorstellung, daß die historisch überlieferten und allmählich durchlässig oder unhandlich gewordenen Differenzierungen aufgenommen werden konnten von etwas Umfassenderem, eben dem Textbegriff, steckte auch eine gute Portion Optimismus. Jener Optimismus nämlich, der im Übergang von den 50er in die 60er Jahre glaubte, es sei möglich, an bestimmten Stellen bestimmte Probleme zu lösen. Ich selber, als schreibender Autor, bin nicht unberührt geblieben von diesem Optimismus, ich begann, die Bücher, die ich zusammenstellte, einfach Textbücher zu nennen, ein Entschluß, ←18 | 19→der nicht unbeeinflußt war von Ratschlägen, die mir 1959 Alfred Andersch gab. Die optimistische Vorstellung von der Verwendbarkeit des Begriffs Text erschien als soetwas wie eine praktikable allgemeine Lösung. Text war alles, was sich als Sprache abgrenzen ließ von Musik oder bildender Kunst. Die Übergange von Sprache zu Musik und umgekehrt, die Verwendung von Buchstaben, Wörtern und Sätzen in der Malerei, das Eindringen von Bildelementen in die Literatur, all das schien nun als etwas faßbar, das mit dem Begriff der Grenzüberschreitung zu benennen war. Der umgreifenden Verwendung des Begriffs Text schien der andere der Grenzüberschreitung zu korrespondieren.

Schien? War es nicht so? Ist es nicht so? Ist das, was ich angesprochen habe, nicht etwas, das unverändert Gültigkeit hat, Wirkungen zeigt, sich weiter und weiter durchzusetzen versucht? Ja und nein. Ja insofern, als inzwischen von Theorie und Wissenschaft Ansätze geliefert worden sind, nach denen das, was unter dem Deckmantel des Generalbegriffs der Differenzierung entzogen schien, doch erneut differenziert werden kann. Wenn die phänomenologische Durchdringung des Gattungsbegriffs nicht mehr zieht, muß man, so scheint es, die Disziplin wechseln. Man muß nicht mehr philosophisch-ästhetisch-philologisch argumentieren, sondern linguistisch. Der Begriff des Textes wurde erst in dem Augenblick wirklich benutzbar, in dem erkannt wurde, daß es nicht länger möglich war, poetologische Unterscheidungen auf herkömmliche Weise zu treffen, in dem erkannt wurde, daß es darauf ankam, auch den literarischen und poetischen Text den Differenzierungsmöglichkeiten einer allgemeinen Sprachwissenschaft zu unterstellen. Auch die Versuche einer strukturalistischen Poetik kommen nicht aus ohne linguistisches Begriffsvokabular. Merkwürdigerweise ist es dabei leichter gewesen, Literatur historisch vergangener Epochen linguistisch zu erfassen als das, was doch unter dem Einfluß linguistischer Unterscheidungen entstanden ist.

Ich erinnere mich, auf welche Schwierigkeiten ich stieß, als ich 1958 Max Bense zu erklären versuchte, daß es mir bei bestimmten Texten lediglich darauf ankam, einen Supersatz zu konstruieren mit multiplen und wechselnd bezüglichen Satzteilen:

Leitlokomotive Erfahrung welche sich wie Erfahrung sich wie
Erwartung Leitmotivlokomotive Erfahrung zu scheuen zu machen
sich wie Erwartung benehmen zu machen scheuen und wenn wenn
Lust wenn Lust aufhört lustig sein gehen wenn gehen wenn Lust
aufhört gängig sein oder einfach was dem was vorgeht vorangeht
analoggeht und immer zu sehr präpariert perplexiert persifliert
wenn Lust aufhört immerzu Leitmotiv Kaufmotiv falls fallend
Falsett und schuf noch viel außer Suchen

←19 | 20→

Dieser Supersatz aus der Gruppe Einsätze, entstanden zwischen 1956 und 1960, ist für mich bis heute ein Beispiel dafür geblieben, was sich praktisch und aktuell aus dem Primat des Textbegriffs über den der Gattungen machen, herstellen ließ.

Aber hier entstand kaum ein Einklang zwischen Theorie, Wissenschaft und Produktion. Daß etwa das Sonett oder der romantische Vierzeiler oder noch das rhetorische Überborden mancher expressionistischer Erzeugnisse linguistisch erfaßbar ist, liegt daran, daß die Regelungen der Gattungen auch als syntaktische Sonderformen erkannt werden können. Daß Gedichte oder Dramen auch eine besondere Form von Sprechakten darstellen, läßt sich an historischen Beispielen vielleicht eindeutiger festlegen als an aktuellen. Zwei Schimpfszenen von Kurt Schwitters aus den frühen 20er Jahren etwa, Kümmernisspiele genannt, wären nicht als besondere Formen des Sprechakts zu beschreiben, sondern als vorweggenommene Persiflagen des Begriffs Sprechakt überhaupt. Wenn ich, wie in extremen Versuchen der konkreten Poesie, die Reduzierung des Textes auf die Vokabel propagiere, kann ich linguistisch nur das Faktum dieser Reduktion bestätigen. Textlinguistik kann nur eine allgemeine Theorie der Texte aufstellen und in deren Rahmen differenzieren. Vermag sie auch zu erfassen, was spezifisch und im Einflußbereich linguistischer Theorie poetisch-literarisch entstanden ist?

Anders gesagt: die Verwendung des Begriffs Text, wie sie sich im Verlauf der 60er Jahre herausbildete und in die 70er Jahre hinein fortsetzte, wurde in der literarischen Praxis anders gehandhabt als in Theorie und Wissenschaft. Die aktuelle Literaturkritik der Feuilletons bewegt sich, oft unentschlossen oder oberflächlich, zwischen Praxis und Theorie hin und her. Für die literarische Praxis war und ist zum Teil heute noch der Begriff Text eine Hilfe, um aus der lästigen Klemme der Gattungsbezeichnungen herauszukommen. Wenn ich einen Text schreibe, kann ich sogar wieder unterscheiden: etwa zwischen offenem oder geschlossenem Text, ich kann neue Formen erfinden wie Leertext, Lochtext, Textfeld, Textstruktur oder Dokumentartext, Agitationstext, Protesttext usw.

Von Theorie und Wissenschaft her läßt sich dieser Schritt nicht einfach vollziehn. Denn die Anwendung des Begriffs Text ist dort nur möglich, wenn dieser Begriff auch auf das Gesamtgebiet anzuwenden ist, mit dem sich Theorie und Wissenschaft beschäftigen. Aktuelle literarische Praxis ist sowieso nur am Rande Gegenstand der Wissenschaft. Das heißt, eine generelle Texttheorie, auf deren Grundlage wissenschaftliche Forschung ansetzen kann, muß zunächst einmal eine zureichende Definition des Begriffs liefern.

Text ist dann, wie gesagt, tatsächlich die Bezeichnung für jede herstellbare Einheit im gesamten sprachlichen Raum. Dabei lassen sich vielerlei Textsorten feststellen und noch mehr vorstellen. Auf Literatur und Poesie eingeengt müßte der Begriff Text unter anderem Gattungsnamen ersetzen. Aber nicht nur ersetzen, denn dann ←20 | 21→könnte man ja auch bei den Gattungsnamen bleiben, sondern ebenso präzisieren. Was heißt das? Gattungsnamen entstammen einer historischen Entwicklung. Ihre korrekte Bezeichnung hing ursprünglich ein einer bestimmten historischen Situation, in der Mythologie und später Metaphysik noch bestimmende Kraft hatten.

Wenn sich das, was diese Namen bezeichneten, mit den allgemeinen Veränderungen der Geschichte wandelte und dies durch den Textbegriff korrigiert werden sollte, mußte Text, auf historisch vergangene Epochen angewendet, diese nicht einfach überspielen und so tun, als gäbe es am Grunde eine Konstante, die eben in diesem Begriff Text entdeckt worden wäre, sondern der Begriff Text müßte so elastisch einsetzbar sein, daß gerade die permanente Relation erfaßbar wäre. Ist das möglich?

Es ist nicht meine Sache, diese Frage zu beantworten. Ich kann sie stellen und wiederum nur auf die Praxis verweisen. Wenn ich Text als das verstehe, was die grammatischen Sonderformen, als die ich die Gattungen formal beschreiben kann, in die Grammatik selbst zurückzieht, setze ich strukturelle Kriterien, die aus der Grammatik stammen, an die Stelle von Vers, Strophe, Metrum, Reim. Ich muß Vers, Strophe, Metrum, Reim usw., etwa im Sonett von Gryphius oder im vierzeiligen Gedicht von Eichendorff, in der Form von Sätzen, Satzteilen, Deklinationen, Konjugationen usw. definieren, ich muß in die strophische oder metrische Struktur die grammatische hineinlesen oder aus ihr herauslesen. Das Entscheidende dabei ist, daß ich in dieser doppelten Lesung nicht die gleichen Ergebnisse erhalte wie in der jeweils einfachen. Und die Frage bleibt, auf welche Prioritäten man sich in den entstehenden hin und her verweisenden Relationen stellen will. Wenn Roman Jakobson und Grete Lübbe-Grothues in ihrer Analyse Ein Blick auf Die Aussicht von Hölderlin das gesamte Arsenal sowohl der linguistischen wie auch der poetologischen, wie zusätzlich noch der biographischen und psychologischen Argumentation aufbieten, so bleibt das vorerst ein Einzelfall, aus dem sehr schwer allgemeine Schlüsse zu ziehn sind, es sei denn der, daß man von Fall zu Fall anders verfahren müsse. Etwas anderes ist, wenn ich von vornherein den Text aus grammatischen Bedingungen aufbaue: Satz, Einschränkung des Satzes, Einschränkung der Einschränkung, Einschränkung der Einschränkung der Einschränkung usw., dabei wechselweise Verschränkung der Satzteile und Auffüllung des Ausgangssatzes bis zu einer Satzmasse, die die Grenze der Durchschaubarkeit erreicht.

der Mann der lesbisch wurde
ich wäre gern eine Frau
angenommen ich wäre die Frau die ich gern wäre wäre ich dann
nicht gern ein Mann
Frau wäre die ich gern wäre wäre ich dann nicht gern eine Frau
angenommen ich wäre die Frau die ich gern wäre wenn ich der
Mann wäre der ich gern wäre wenn ich die Frau wäre die ich
gern wäre wäre ich dann nicht gern ein Mann
angenommen ich wäre der Mann der ich gern wäre wenn ich die
Frau wäre die ich gern wäre wenn ich der Mann wäre der ich
gern wäre wenn ich die Frau wäre die ich gern wäre wäre ich
dann nicht gern eine Frau
angenommen ich wäre die Frau die ich gern wäre wenn ich der
Mann wäre der ich gern wäre wenn ich die Frau wäre die ich
gern wäre wenn ich der Mann wäre der ich gern wäre wenn ich
die Frau wäre die ich gern wäre wäre ich dann nicht gern ein
Mannangenommen ich wäre der Mann der ich gern wäre wenn ich die
Frau wäre die ich gern wäre wenn ich der Mann wäre der ich
gern wäre wenn ich die Frau wäre die ich gern wäre wenn ich
der Mann wäre der ich gern wäre wenn ich die Frau wäre die
ich gern wäre wäre ich dann nicht gern eine Frau
angenommen ich wäre die Frau die ich gern wäre wenn ich der
Mann wäre der ich gern wäre wenn ich die Frau wäre die ich
gern wäre wenn ich der Mann wäre der ich gern wäre wenn ich
die Frau wäre die ich gern wäre wenn ich der Mann wäre der
ich gern wäre wenn ich die Frau wäre die ich gern wäre wäre
ich dann nicht gern ein Mann

Eine Anmerkung: wenn ich hier eigene Texte zitiere, so nicht, weil diese besonders charakteristisch wären für meine Argumentation, sondern weil ich demonstrieren möchte, wie sehr ich als produzierender Literat in die Fragestellung einbezogen bin oder mich einbezogen fühle, aber auch, weil mir diese Beispiele leichter zur Hand sind und weil sie sich, so meine ich, leichter in den Text des Arguments einfügen. Und da ich dies ausdrücklich erwähne, nehme ich mir die Freiheit, unmittelbar ein zweites Beispiel anzuschließen, in dem die grammatische Struktur sich mit einer semantischen Struktur verbindet, deren Thematik, obwohl sie 15 Jahre alt ist, doch von ferne an das Thema anschließt, das ich hier zu behandeln versuche. Grammatische Struktur: manipuliertes Zitat, semantische Struktur: Argumente der Literaturkritik.

Gruppenkritik

von 25 Autoren lasen 16 zum erstenmal 10 wurden positiv 9 negativ und 6 verschieden beurteilt in der Kritik fielen von ca 200 Wortmeldungen je 20 auf Walter Jens und Joachim Kaiser 17 auf Walter Höllerer 16 auf Erich Fried 12 auf Günter Graß 11 auf Hans Mayer 9 auf Marcel Reich-Ranicki je 7 auf Heinz von Cramer Fritz J. Raddatz und Peter ←22 | 23→Weiß 6 auf Erich Kuby je 5 auf Hans Magnus Enzensberger Alexander Kluge Jacov Lind und Hermann Piwitt 13 Kritiker sprachen je 4 mal und weniger

Hermann Piwitt glaubt eine wirklich positive Geschichte gehört zu haben Günter Graß ist mit dieser Geschichte nicht so einverstanden Peter Rühmkorf unterscheidet einen blassen Erzähler Marcel Reich-Ranicki ist nur nicht im geringsten dafür daß die Grenze zwischen fiction und nonfiction verwischt wird Fritz J. Raddatz muß sich fragen was dem Thema nun Neues abgezwungen wird Walter Jens fragt sich in welcher Weise ein bestimmtes Milieu angemessen dargestellt werden kann Heinz von Cramer findet das eine ganz besonders saubere Arbeit

Joachim Kaiser sieht sich als Zeugen eines Manövers bei dem am Schluß das Gelände beinah leer ist Walter Höllerer sieht eine Metapher aus einem Familienbild heraustreten dann Pantomime werden und schließlich Kabinettstück Dieter Wellershoff erscheint das als Analogie zum Fertighausbau Roland H. Wiegenstein riecht eher eine schweißtreibende Modernität Reinhart Baumgart sieht eine furchtbare Art von Demokratie im Stil Günter Graß sieht reines Papier Hans Mayer geht die moralité daneben Walter Jens glaubt daß es gelungen ist

Walter Höllerer fragt nach der Bezugsfigur und entdeckt die Relativität der Relationen als Prinzip es geht ihm um Daseinsformen und Bewußtseinsmöglichkeiten Walter Jens hat von Walter Höllerers Rede nichts verstanden Hans Magnus Enzensberger gesteht daß er beim Zuhören etwas geschwankt hat Marcel Reich-Ranicki kann nicht recht verstehn was Hans Magnus Enzensberger gesagt hat und befürchtet durchaus den Schritt vom Asketischen zum Sterilen er hat wenig dagegen nichts dafür zu sagen Hans Mayer hat Walter Höllerer eigentlich durchaus verstanden und beim Hören die merkwürdigsten Evolutionen durchgemacht Joachim Kaiser wendet sich gegen das Wort steckenbleiben von Walter Höllerer

Walter Mannzen weiß nicht ob Günter Graß weiß ob Brecht wissen konnte was Graß weiß und Siegfried Unseld wissen kann was Brecht wußte und Graß weiß ob Brecht wissen konnte ob Unseld weiß was Graß nicht weiß aber er sagts auch nicht

Walter Höllerer findet sehr viel an subtiler Substanz Walter Jens findet weder Theologie noch Libretto Alexander Kluge findet eine sehr interessante Abkehr von der Rhetorik Günter Graß findet das nun einmal eine pausbäckige Angelegenheit Hans Mayer findet den Text sehr schön Günter Graß kommt es auf den langen Atem an Marcel Reich-Ranicki will nur nicht gleich aufhören zu kritisieren wenn es sich nicht um avantgardistische Kunststücke handelt Hans Mayer findet es schwer etwas zu sagen er ist sehr bewegt und findets wunderschön Joachim Kaiser hat keinen Kunstfehler entdeckt

Details

Seiten
506
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631856161
ISBN (ePUB)
9783631856178
ISBN (MOBI)
9783631856185
ISBN (Hardcover)
9783631817759
DOI
10.3726/b18480
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Juni)
Schlagworte
Postmoderne Offene Literatur Neue Subjektivität Konkrete Poesie Poetik Literaturkritik Literaturtheorie Literatur nach 1945 Avantgardeliteratur
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 506 S.

Biographische Angaben

Helmut Heißenbüttel (Autor:in) Nikolas Buck (Band-Herausgeber:in)

Der Autor Helmut Heißenbüttel (1921–1996) war einer der wichtigsten Vertreter der Neoavantgarde nach 1945. Er wurde ausgezeichnet u.a. mit dem Georg-Büchner-Preis und dem Hörspielpreis der Kriegsblinden und war als Kritiker, Essayist sowie Redakteur und Leiter der Redaktion «Radio-Essay» im Süddeutschen Rundfunk einer der einflussreichsten Beobachter des Literaturbetriebs der Bundesrepublik. Heißenbüttel lebte seit Anfang der 1980er Jahre bis zu seinem Tod bei Glückstadt an der Elbe. Der Herausgeber Nikolas Buck studierte Deutsch, Geschichte und Wirtschaft/Politik für das Lehramt an Gymnasien in Kiel und war danach Stipendiat des Promotionskollegs «Literaturtheorie als Theorie der Gesellschaft» in Münster. Er ist seit 2015 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. 2020 wurde er mit einer Arbeit zum Prozess literaturgeschichtlicher Epochenbildung promoviert. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Avantgarde- und Gegenwartsliteratur sowie Literaturtheorie.

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Titel: Späte Schriften zur Literatur. Teil 2: Zur Lyrik und Experimentellen Literatur
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508 Seiten