«So ist er ein Weder-Noch, ein Sowohl-als-Auch…»
Beiträge zur Literatur und Kultur
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Herausgeberangaben
- Ãœber das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- Von den HerausgeberInnen
- Literarisches
- Hinrichtungen in Butowo
- Das Haus der Dichterin
- Die Einladung
- Wie die Katze
- Die Philosophin
- Erbauliche Gedanken in Nächtlicher Stille
- Gyges Übertragen aus dem Polnischen ins Deutsche von Karol Sauerland
- Beitrag zu Karol Sauerlands 80. Geburtstag
- Literatur und Kultur
- Lessingmotive in Karol Sauerlands Texten
- Überlegungen zu Adornos Interpretationen Stefan Georges, Eduard Mörikes, Friedrich Hölderlins in den Noten zur Literatur
- Frank Wedekinds Frühlings Erwachen als Wendlas gescheitertes Initiationsritual
- Aphorismen zu Karol Szymanowskis Konzeption einer Utopie: Król Roger
- Die Prometheus(e) der Moderne. (Ostap Ortwin – Karol Irzykowski – Karl Kraus)
- Tierisches in der Sprache.
- Das Problem Ehe in Arthur Schnitzlers Werk
- Literatur und Diktatur
- Was hätte man lassen können?
- Hunger im Vernichtungslager: Zu einem Thema der Holocaust-Literatur
- Überlebt die Dichtung?
- Das schwierige Erbe von Utopie, Illusion und Betrug in der postsowjetischen russländischen Gesellschaft1
- Das Fremde und das Andere
- Fremdphilologie verfremden?
- Orientalismus im Blick auf einen entstellten Orient
- Migration im 21. Jahrhundert. Postmigrantische Perspektive in der deutschsprachigen Literatur
- Anhang: Karol Sauerland
Von den HerausgeberInnen
Der vorliegende Band „So ist er ein Weder-Noch, ein Sowohl-als-Auch…“. Beiträge zur Literatur und Kultur. Hommage an Karol Sauerland ist Professor Karol Sauerland gewidmet. Er umfasst Beiträge seiner Freunde, Kollegen und Wegbegleiter, die in polnischsprachiger Version für die Sonderausgabe von „Przegląd Filozoficzno-Literacki“ (2018 Nr. 12: Sauerland) vorbereitet wurden, sowie Texte, die in der polnischsprachigen Sonderausgabe nicht erschienen sind.
Mit dieser Festschrift wollen wir das wissenschaftliche Wirken von Professor Karol Sauerland ehren und würdigen und ihm für seine motivierenden Impulse, kollegiale Zusammenarbeit, literarischen Konzeptionen danken.
Der Person des Jubilars und seinem Werk gerecht zu werden, ist außerordentlich schwierig. Dies lässt sich nicht zuletzt an seinen biographischen Daten feststellen: geboren in Moskau, Abitur in Halle abgelegt, danach Studium der Philosophie an der Humboldt-Universität, das er aus politischen Gründen abbrechen musste, Übersiedlung nach Polen, wo er Mathematik und Germanistik studierte, beginnt er danach seine germanistische Laufbahn.
Beeindruckend ist das Spektrum wissenschaftlicher Interessen des Jubilars auf dem Gebiet der Literatur, Philosophie, Kultur, Geschichte. In seiner ganzen wissenschaftlichen Laufbahn hat er, geschult im logischen Denken, stets klar argumentierend, wichtige Publikationen und Beiträge geleistet, und im Laufe der Jahre in einer Fülle von Publikationen ein erstaunlich breites Feld abgedeckt: vom Diltheys Erlebnisbegriff, Adornos Ästhetik, Kants und Friedrich Schlegels Auffassungen von Volk und Volksherrschaft, Wittgensteins Ästhetik, Gustav Landauers Mystik, Freuds Zeitkritik, Schopenhauers und Nietzsches Philosophie über die Literaturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts, deutsch-polnisch-jüdische Erinnerungskultur, Literatur- und Kulturtransferprozesse, materialistische Literaturbetrachtung, die Literatur im Dritten Reich, Expressionismus und Faschismus bis hin zu Einzelstudien über Franz Grillparzer, Thomas und Klaus Mann, Bertolt Brecht, Robert Musil, G.E. Lessing, Franz Kafka, Hannah Arendt, Heiner Müller, Gottfried Benn, Arnold Zweig, Horst Bienek, Max Frisch, Ingeborg Bachmann, Rainer Maria Rilke, Peter Handke, Heinrich Heine und vieles mehr.
Karol Sauerlands nationales und internationales Ansehen als Wissenschaftler und Wissenschaftsorganisator dokumentiert seine Mitarbeit in wissenschaftlichen Gesellschaften (Adamas-Stiftung, Komitee für die polnische Edition der Sämtlichen Werke von Friedrich Nietzsche, IVG, Philosophische Gesellschaft ←9 | 10→in Warschau, Polnische Akademie der Wissenschaften), Redaktionsbeiräten (Vierteljahresschrift przegląd filozoficzno-literacki [Philosophisch-literarische Rundschau], Deutsch-Polnisches Jahrbuchs der Germanistik „Convivium“, Internationales Jahrbuch für Germanistik) und Jurys (Jury für den Europäischen Literaturpreis, Jury des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken). Karol Sauerlands internationale Forschungs- und Lehrtätigkeit erstreckt sich über Länder und Kontinente. Er ist zugleich aber auch ein Gelehrter, der seit Jahrzehnten für die Entwicklung der polnischen Germanistik sorgt, den polnisch-deutschen Kulturdialog maßgeblich fördert und das Verständnis für aktuelle Probleme des Landes und des europäischen Kontinents aufbringt, sowie das Weltgeschehen kritisch-offen beobachtet.
Nicht nur in Polen weiß man die Verdienste von Prof. Karol Sauerland zu würdigen. Bereits 1995 erhielt er den Humboldt-Preis der Alexander von Humboldt-Stifung, 1996 die Medaille „Für Verdienste für die Entwicklung der Universität“, 2004 die Medaille der Kommission der Nationalen Bildung, 2015 den Petöfi-Preis.
Die Wissenschaft ist die „ewige Wahrheitssuche“ im Sinne W. von Humboldts, autonom im Dienst ihrer selbst. Diesem Bildungsideal huldigend, lässt Professor Karol Sauerland seine Studierenden, Promovierenden und Nachwuchswissenschaftler im kritischen Dialog an den eigenen Forschungen teilhaben und ermutigt so zu selbstständigem und eigenverantwortlichem Denken.
Neben der Würdigung seiner wissenschaftlichen Verdienste soll jene der menschlichen Qualitäten des Jubilars nicht zu kurz kommen: Wir schätzen ihn wegen seiner stets ruhigen und freundlichen Wesensart. Er versteht es, selbst in angespannten Situationen und Zeiten Gelassenheit auszustrahlen. Als Hochschullehrer zeichnet sich Professor Karol Sauerland durch einen ganz besonderen Stil aus, den die Studierenden besonders schätzen: Er ist ein ausgesprochen unterhaltsamer Vortragender, der den schwierigen Stoff nicht zuletzt mit einprägsamen Anekdoten aus dem (eigenen) Leben anschaulich vermittelt.
Der Titel der Festschrift weist auf indirekte Weise auf Professor Karol Sauerlands Vita hin und zeigt ihn als einen Weltbürger – weder hier noch da, sowohl hier als auch da -, der über eine ausgeprägt breite Weitsicht und Sensibilität für das Zeitgeschehen verfügt. Die darin zum Tragen kommende Themenvielfalt veranschaulicht die enorme Breite und Facetten von dessen akademischem und publizistischem Wirken.
Die Festschrift umfasst 15 Beiträge, denen im „literarischen“ Teil literarisches Schaffen (Erzählungen, Lyrik, Drama und Aphorismen) des Jubilars, sowie Aphorismen von Stanisław Gromadzki vorangestellt sind. Nachstehend folgt die Widmung von Joachim Rogall. Der zweite Teil besteht aus wissenschaftlichen ←10 | 11→sowie essayistischen Beiträgen zu Themen, die den Schwerpunkten der wissenschaftlichen Tätigkeit von Professor Karol Sauerland entsprechen, diese aber nicht ausschöpfen.
Im Teil „Literatur und Kultur“ werden in den Einzelfallstudien literatur- und kulturwissenschaftlich fundierte Dimensionen der interpretatorischen Perspektiven zu Karol Sauerlands Lessingmotiven (Bartosz Działoszyński), Adornos literarischen Überlegungen zu Stefan Georges, Eduard Mörikes und Friedrich Hölderlin (Bernhard Böschenstein) erweitert, das Latente und Manifeste in der ersten Szene F. Wedekinds Frühlings Erwachen hervorgehoben (Monika Tokarzewska), die Bedeutung der Prometheus-Gestalt für die Geisteshaltung literarischer Kritiker der Moderne (Ortwin, Irzykowski und Kraus) diskutiert (Katarzyna Sadkowska), Kafkas Tierfiguren in seiner letzten Erzählung (Marianne Schuller) und die Eheproblematik im Werk von A. Schnitzler motivgeschichtlich wie literaturtheoretisch analysiert.
Die Beiträge im Teil „Literatur und Diktatur“ fokussieren das Augenmerk auf die Problematik des nationalsozialistischen, kommunistischen und sowjetischen Machtregimes sowohl in der Literatur als auch in historischen Dokumentationen und Zeugnissen, unter anderem auf die Verantwortung des Einzelnen unter dem Einfluss der Vernichtungsideologie des Dritten Reiches (Thomas Schnabel), die Strategien des Überlebens gegen den Hunger im Konzentrationslager in der Holocaust-Literatur (Wolfgang Kissel), auf Gedächtnisorte der jüdischen Vernichtung in Polen im Sinne literarischer Geschichtsschreibung am Beispiel Michal M. Borwiczs Anthologie Pieśn ujdzie cało (Barbara Breysach), sowie auf die Auseinandersetzung mit dem Erbe des illusorischen Großmachtdenkens in der postsowjetischen Gesellschaft (Anna Schor-Tschudnowskaja).
Die Beiträge des letzten Teils des Bandes „Das Fremde und das Andere“ gehen auf globale Erscheinungen und Phänomene ein, denen sowohl in der Literaturwissenschaft als auch Kulturwissenschaft Rechnung getragen wird. In diesem Teil wird die Frage nach dem Fremden und dem Anderen als Perspektiven der philologischen Betrachtung erörtert (Andrzej Kopacki), auf die dichterisch komplexe Narration der orientalischen in Deutschland lebenden Autoren hingewiesen, die sich mit „dem“ und mit „ihrem“ Orient ebenso wie mit ihren Migrationserfahrungen literarisch auseinandersetzen (Gerhard Bauer), die Literatur der deutschsprachigen Autoren mit dem Migrationshintergrund „postmigrantisch“ als Ausdruck eines Paradigmenwechsels hinsichtlich der Heterogenität der Lebensentwürfe literarischer Figuren gedeutet (Joanna Flinik).
Das breite Spektrum der hier präsentierten Themen zeigt, wie umfangreich die Gebiete sind, auf welchen Professor Karol Sauerland erfolgreich agiert und sich verdienstvoll für den wissenschaftlichen Dialog macht.
←11 | 12→Gemeinsam mit den VerfasserInnen der Beiträge wünschen die HerausgeberInnen Herrn Professor Karol Sauerland zum 80. Geburtstag alles Gute.
Joanna Flinik
Stanisław Gromadzki
Maria Stolarzewicz
Anna Wołkowicz
Wojciech Zahaczewski
Lodzer Arbeiten zur Literatur- und Kulturwissenschaft
Herausgegeben von Joanna Jabłkowska, Kalina Kupczyńska und Artur Pełka
Volume 9
Karol Sauerland
Hinrichtungen in Butowo
1.
235 Männer verlassen den Transporter
wissend, daß es das Ende ist
schließlich hatte die Trojka das Urteil gefällt
doch jeder hörte es als Einzelperson
und jetzt dieser Platz,
diese Waldlichtung
und dieses sich gegenseitig ungläubige Anschauen
Befehle
Namensrufe
Identitätskontrollen
Schüsse, Schreie, Flüche
schließ die Augen
und hinter Dir
dawaj, dawaj,
nein,
ich bleib nicht auf den Beinen
sie sollen mich dahinschleifen
Schüsse, Schreie, Flüche
nein, nein, nein
jebatsch twaju mat‘
ach, könnte man die Ohren schließen
Schüsse, Schreie, Flüche
hoffentlich treffen sie
je schneller desto besser
2.
War es so?
Der Mann mit der Lederschürze sagt aus
←15 | 16→Blutbespritzt kamen wir am Ende zurück
jeder hatte bis zu zwanzig Mal geschossen
wir stanken
Blut hat einen furchtbaren Geruch
nur Kölnisch Wasser hilft
ja, so war es
schießt du daneben
quietschen sie wie die Schweine
jebatsch twaju mat‘
selbst mein Hund hielt es nicht aus
3.
Schnürt es Dir nicht die Kehle zu?
235 waren es am 22. März 1938
Mein Vater einer von ihnen
Es gab aber auch den Tag
wo 504 Männer aus den Transportern stiegen
Noch mehr
Schüsse, Schreie, Flüche, Schüsse
noch mehr Blut
noch mehr furchtbarer Geruch
jebatsch twaju mat‘
3.
Unfaßbar?
Sicher!
Aber so war es
Mach Dir kein Bild davon
Es wird Dich nicht verlassen
Schüsse, Schreie, Flüche
in vielen Sprachen
Kommunisten kennen keine Grenzen
und enden in Butowo
Karol Sauerland
Das Haus der Dichterin
Große Erwartung der Freunde der vor Kurzem verstorbenen deutsch-isländischen Dichterin. So wird sie in Wikipedia genannt, denn sie reiste mit einem isländischen Paß durch Europa. Die Sprache, die auf dieser Insel gesprochen wurde, verfluchte sie als „eine gottverdammte“, unerlernbare. Aber sie hatte nun einmal die isländische Staatsbürgerschaft angenommen, als sie aus der DDR fliehen mußte. Und als sie nach der Wende ihre deutsche zurückerhalten wollte, erwies sich dies als unmöglich. Im Zweiten Reich war beschlossen worden, vielleicht auf Anordnung des Kaisers, wer die deutsche Staatsangehörigkeit einmal aufgibt, kann diese nicht mehr wiedererlangen, es sei denn, er kommt zurück und verläßt das Land für die nächsten zehn Jahre nicht mehr, auch nicht urlaubsweise.
Die Erwartung der Gruppe betraf das Haus, das sich die Dichterin in der kaschubischen Tucheler Heide zur Jahrtausendwende mitten im Walde erbaut hatte. Sie wollte wieder ungestört mitten in der Natur leben, heißt es. Vielleicht verspürte sie als Anarchismusanhängerin Lust, es dem Amerikaner Thoreau nachzumachen, der in einer selbst erbauten Waldhütte gelebt hatte. Er bewies gleichsam am eigenen Leibe, wie er in seinem berühmt gewordenen Buch Walden or, Life in the Woods ausgeführt hatte, daß man nur sechs Wochen Lohnarbeit brauche, um die restliche Zeit des Jahres für Schreiben, Lesen und Erkundung der Natur nutzen zu können.
Zwei Busstunden mußten die Freunde und vor allem Freundinnen der Dichterin auf sich nehmen, um den Flecken mitten in der Natur zu erreichen. Doch niemand hatte damit gerechnet, daß das Haus auf der einen Seite von einem großen Hotel und Holzhütten, die als Ferienhäuser dienten, und auf der anderen von einer Riesenmulde umgeben sein wird, durch die ein Panzerwagen auf und ab raste. In der Mitte der Mulde stand zur Verwunderung aller eine Mühle auf erhöhtem Platz, als sei es ein Denkmal. „Ja“, sagte eine engere Freundin der Dichterin, „Helga habe schließlich immer gesagt, diese Gegend eigne sich glänzend für einen Ferienort, aber so“, fügte sie hinzu, „habe sie es sich gewiß nicht vorgestellt“.
Der Panzerwagen verschwand plötzlich im anliegenden Wald, doch nach kurzer Zeit fuhr er wieder mit großem Gedröhn die Mulde hinunter und hinauf. Was bedeutet das, war die Frage aller. Ist das ein militärischer Übungsplatz?
Details
- Seiten
- 306
- Erscheinungsjahr
- 2019
- ISBN (PDF)
- 9783631778869
- ISBN (ePUB)
- 9783631778876
- ISBN (MOBI)
- 9783631778883
- ISBN (Hardcover)
- 9783631746356
- DOI
- 10.3726/b15115
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2019 (März)
- Schlagworte
- Literaturwissenschaft Kulturwissenschaft Literaturgeschichte Migrantenliteratur Diktatur jüdische Literatur
- Erschienen
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien. 2019. 306 S.