Deutsch-Ostafrika
Dynamiken europäischer Kulturkontakte und Erfahrungshorizonte im kolonialen Raum
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Title
- Copyright
- Autoren
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhalt
- Vorwort
- Zur Abbildung auf dem Umschlag
- Wo liegt Mpala? Versuch einer kolonialen Ortsbestimmung (Marie Sophie Hingst)
- Pangani. Auf den Spuren einer deutschen Kolonialstadt (Cornelia Pieroth)
- Alles Theater? Die Inszenierung deutscher Herrschaft im ostafrikanischen „Schutzgebiet“ in den Texten Frieda von Bülows (Katja Kaiser)
- Wahehe-Kriege, Farmerleben und koloniale Gewalt. Magdalene von Prince in Deutsch-Ostafrika. 1896-1919 (Christine de Gemeaux)
- Weißes Gold am Malagarasi. Otto Schloifer (1867-1941), die Centralafrikanische Seen-Gesellschaft und die Saline Gottorp in Uvinza (Stefan Noack)
- „Im deutschen Boden Afrikas“. Wilhelm Branca, die Tendaguru-Expedition und die Kolonialpolitik (Winfried Mogge)
- Perspektivenwechsel: Hans Paasches „Forschungsreise … ins Innerste Deutschland“ (Uwe Puschner)
- Un regard postcolonial avant l’heure? Les Mémoires d’Emily Ruete née Salme bint Said al-Busaid (1844-1924), princesse d’Oman et de Zanzibar (Catherine Repussard)
- Religion, Rasse und Recht. Der ostafrikanische Islam in der deutschen Fiktion vom „Eingeborenenrecht“ (Jörg Haustein)
- „[W]ir haben mit ihnen als einem vorhandenem Element zu rechnen“. Araber‘ im deutschen Ostafrika-Diskurs: Konkurrenz, Komplizenschaft, Verschattung (Florian Krobb)
- Das Afrikabild im Brockhaus und anderen deutschen Lexika (1830-1930) (Martin Renghart)
- East Africa in Postcolonial Fiction: History and Stories in Abdulrazak Gurnah’s Paradise (Philip Whyte)
- Index
- Series index
Die Kolonie Deutsch-Ostafrika war mit einer Fläche von 995.000 km2 das weitläufigste Überseegebiet des Deutschen Reiches. Noch vor seiner offiziellen Inbesitznahme im Jahr 1885 hatte der Forscher Franz Stuhlmann (1863-1928) im letzten Kapitel seines Reiseberichts Mit Emin Pascha ins Herz von Afrika dargelegt, wie ein Areal von solch immenser Größe zu erschließen sei. Ein wesentliches Element bildeten für ihn Stationen im Inneren, die als „Kulturcentren“ zugleich Verkehrsknotenpunkte, Militärforts, Handelsbasen, Missionsposten, Forschungsstandorte und Bildungsstätten sein sollten.1 Der Historiker Michael Pesek beschreibt diese Orte als „Inseln der Herrschaft“, die die fragile deutsche Kontrolle über das noch weitgehend imaginierte Kolonialterritorium durch punktuelle Machtdemonstrationen verfestigen und dabei gleichzeitig die Grundlage für weiterführende Kolonisierungsbemühungen schaffen sollten.2
Die verschiedenen Instanzen des kolonialen Herrschafts- und Verwaltungsapparats waren angehalten im Dialog miteinander verbindliche Strategien, Verfahrensweisen und Regularien für Deutsch-Ostafrika zu entwickeln. Dazu galt es die Konzeptionen der Verantwortlichen an den Grünen Tischen in Deutschland mit den Erfahrungswerten der Männer und Frauen vor Ort auf einen Nenner zu bringen. Erschwerende Faktoren waren dabei nicht nur die langen Kommunikationswege zwischen Metropole und Peripherie, sondern vor allem der heterogene Charakter des Kolonialgebiets und seiner Bevölkerung.3 Insbesondere der Umgang mit lokalen machtpolitischen Kräften und den soziokulturellen Strukturen der einheimischen Gesellschaften stellte die kolonialen Akteure wiederholt vor Herausforderungen. Abhängig von lokalen Gegebenheiten, verfügbaren Ressourcen sowie individuellen Handlungsspielräumen und -präferenzen bedienten sie sich deshalb eines breiten Spektrums von Praktiken direkter und indirekter Herrschaft.4
Werke von Kolonialmalern der Jahrhundertwende zeigen häufig menschenleere Szenarien und vermitteln damit das zeittypische Bild einer spärlich bevölkerten, weitgehend herrenlosen und damit der Inbesitznahme durch europäische Nationen ← 9 | 10 → offenstehenden Region.5 Nach offiziellen Erhebungen lebten in Deutsch-Ostafrika Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch nicht nur 955 Deutsche und 291 weitere Europäer, sondern „auch“ 6.232 nicht-europäische Einwanderer und über 6 Millionen Indigene.6 Die Schwerpunkte deutsch-europäischer Präsenz im Kolonialgebiet müssen daher als Kulturkontaktzonen verstanden werden, in denen Menschen aus einer Vielzahl unterschiedlich geprägter Gesellschaften aufeinandertrafen. Die dabei entstehenden Beziehungen waren imperialer Natur und somit zu großen Teilen von asymmetrischen Machtverhältnissen geprägt, die sich im Alltag in Form von Fremdbestimmung, Zwang und Gewalt manifestierten.7 Als legitimatorische Grundlage diente dabei von europäischer Seite das Paradigma einer grundsätzlichen Überlegenheit der „Weißen“ gegenüber den „Schwarzen“ und die davon abgeleitete, mit christlich-charitativen Zuschreibungen aufgeladene Mission einer „Zivilisierung“ und „kulturellen Aufwertung“ des afrikanischen Kontinents und seiner Bewohner. 8
Die koloniale Realität ging jedoch keinesfalls in einem klar strukturierten System von Tätern und Opfern auf. Viele nichteuropäische Akteure verfolgten ihre eigenen Agenden und versuchten innerhalb der ihnen auferlegten Handlungsrahmen von den veränderten Gegebenheiten in größtmöglichem Umfang zu profitieren. Gleichzeitig waren die Europäer trotz ihrer selbst gewählten Sonderrolle äußeren Einflüssen gegenüber nicht immun. Die Interaktion mit anderen Kulturen löste auch bei ihnen Prozesse der Neuorientierung und Transformation aus, deren Wirkungen zum Teil bis in die Gesellschaften ihrer jeweiligen Herkunftsländer zu spüren waren.9
Das Ostafrika der Kolonialzeit glich einem alten, eilig umgebauten und ständig in Veränderung befindlichen Webstuhl auf dem Fäden unterschiedlicher Couleur miteinander verwoben wurden. Die Farbenpracht des dabei entstandenen Stoffes fand in der von europäischen Denkstrukturen und politisierten Narrativen ← 10 | 11 → durchzogenen Geschichtsschreibung lange Zeit keinen Niederschlag. Auch heute lässt sie sich auf Grund eines akuten Mangels an alternativen, subalternen Quellen nur in Bruchstücken rekonstruieren.10
Der vorliegende Sammelband soll mit Blick auf eine kleine Auswahl von Orten, Personen und Perspektiven einen Eindruck von der Vielgestalt der Lebenswelten des historischen Raums „Deutsch-Ostafrika“ vermitteln. Ausgangspunkt dieses Projekts war eine internationale, kolonialhistorische Tagung, die im September 2016 an der Freien Universität Berlin stattgefunden hat. Sowohl den damaligen TeilnehmerInnen als auch den später dazugestoßenen BeiträgerInnen danken wir sehr herzlich für ihr großes Engagement und die angenehme Zusammenarbeit. Unsere besondere Verbundenheit gilt der Forschungsgruppe Interactions Culturelles et Discursives (ICD) der Université de Tours, die das Projekt mit einem großzügigen Druckkostenzuschuss unterstützt hat.
Berlin und Tours, im Dezember 2018
Christine de Gemeaux | Stefan Noack | Uwe Puschner |
1 Vgl. Franz STUHLMANN: Mit Emin Pascha ins Herz von Afrika, Berlin 1894, S. 857ff.
2 Vgl. Michael PESEK: Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika: Expeditionen, Militär und Verwaltung seit 1880, Frankfurt a. M. 2005, S. 190ff.
3 Vgl. u. a. Hartmut POGGE VON STRANDMANN: Imperialismus vom Grünen Tisch. Deutsche Kolonialpolitik zwischen wirtschaftlicher Ausbeutung und „zivilisatorischen“ Bemühungen, Berlin 2009; Dirk van LAAK: Imperiale Infrastruktur: deutsche Planungen für eine Erschließung Afrikas. 1880 bis 1960, Paderborn 2004; Dierk WALTER: Organisierte Gewalt in der europäischen Expansion. Gestalt und Logik des Imperialkrieges, Hamburg 2014, S. 62ff.
4 Vgl. PESEK: Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika, passim; Winfried SPEITKAMP: Deutsche Kolonialgeschichte, 3. Bibliogr. erg. Aufl., Stuttgart 2014, S. 52ff.
5 Vgl. u.a. Philipp DEMANDT u. Ilka VOERMANN (Hrsg.): König der Tiere: Wilhelm Kuhnert und das Bild von Afrika, München 2018.
6 Vgl. Rudolf FITZNER (Bearb.): Deutsches Kolonialhandbuch, Ergänzungsband, Berlin 1902, S. 27f.
7 Vgl. Marie Louise PRATT: Imperial Eyes. Travel Writing and Transculturation, 2. Aufl., London u. New York 2008 [1992], S. 8.
8 Vgl. Ulrike LINDNER: Koloniale Begegnungen. Deutschland und Großbritannien als Imperialmächte in Afrika. 1880-1914 (Globalgeschichte, Bd. 10), Frankfurt a. M. u. New York 2011, 297ff.
9 Vgl. Birthe KUNDRUS: Moderne Imperialisten. Das Kaiserreich im Spiegel seiner Kolonien, Wien 2003; Ulrich VAN DER HEYDEN u. Joachim ZELLER (Hrsg.): Kolonialismus hierzulande. Eine Spurensuche in Deutschland, Erfurt 2007; Marianne BECHHAUS-GERST u. Anne-Kathrin HORSTMANN (Hrsg.): Köln und der deutsche Kolonialismus. Eine Spurensuche, Köln 2013; Nina BERMAN, Klaus MÜHLHAHN u. Patrice NGANANG (Hrsg.): German Colonialism Revisited: African, Asian and Oceanic Experiences, Ann Arbor 2014; SPEITKAMP: Deutsche Kolonialgeschichte, S. 52ff, 138ff.
10 Zu den verschiedenen Facetten des Umgangs mit der kolonialen Vergangenheit in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg vgl. u. a. Florian KROBB u. Elaine MARTIN (Hrsg.): Weimar Colonialism. Discourses and Legacies of Post-Imperialism in Germany after 1918 (Postkoloniale Studien in der Germanistik, Bd. 6), Bielefeld 2014; Birthe KUNDRUS (Hrsg.): Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus, Frankfurt a. M. 2003; SPEITKAMP: Deutsche Kolonialgeschichte, 155ff.
Zur Abbildung auf dem Umschlag
Auf der Reise vom walisischen Port Talbot zum nordchilenischen Salpeterhafen Iquique geriet der Dreimaster Susanna im Südwinter 1905 bei der Umsegelung von Kap Hoorn in wochenlange schwere Stürme. Die neunundneunzigtägige Irrfahrt zwischen August und November zeigt das erhaltene meteorologische Schiffstagebuch. 189 Tage nach ihrem Aufbruch von Europa erreichten Schiff, Mannschaft und Kapitän Christian Simon Jürgens (1875-1959) ihr Ziel in Chile, und dreißig Monate nach dem Aufbruch wieder im Winter 1907/08 den Heimathafen Hamburg. Der 32jährige Kapitän Jürgens, der einer Seefahrerfamilie entstammte, kehrte zu Frau und Sohn nach Dunsum, einem Dorf auf der nordfriesischen Insel Föhr, zurück und beendete seine maritime Laufbahn, um fortan eine kleine Landwirtschaft zu betreiben.
Abb.: mappa mundi © 2018 Susanne Kessler; Aufnahme der Gesamtinstallation im Museum der Westküste in Alkersum auf Föhr.
Die dramatische Odyssee der Susanna inspirierte die international renommierte, in Berlin und Rom lebende Künstlerin Susanne Kessler zu dem Homers Opus zitie ← 13 | 14 → rendes Kunstprojekt Odissea. Susanne Kessler schuf es als Artist in Residence des Museums der Westküste in Alkersum auf Föhr 2016/17; zusammen mit dem faszinierend dokumentierten Entstehungsprozess, der in Objekten (Niederschriften, Skizzen, Zeichnungen, Installationen, Filmen) dokumentiert wurde, begeisterte die Ausstellung Odissea 2018 die Museumsbesucherinnen und -besucher. Die aus vierzehn filigranen Teilen bestehende mappa mundi zeigt die von der Künstlerin auf Baumwollgaze gestickten Kontinente. Mit ihnen verweist Susanne Kessler auf die von den Meeren umschlossenen und sie verbindenden Kontinente, wie sie mit ihrer akribischen Handarbeit die daheimgebliebenen Frauen der Seefahrer, die oft monate-, gar jahrelang fern ihrer Heimat waren und von denen viele nie zurückkehrten, ins Gedächtnis ruft und ihrem von Ungewissheit über das Schicksal ihrer Männer, Väter und Söhne begleitetem Warten auf Nachrichten und Rückkehr Ausdruck gibt.
Wir danken Susanne Kessler sehr herzlich für ihre spontane Zustimmung, die Afrika abbildende Fahne der mappa mundi für den Umschlag des vorliegenden Sammelbandes verwenden zu dürfen.
Berlin und Tours, im Dezember 2018
Christine de Gemeaux | Stefan Noack | Uwe Puschner |
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Wo liegt Mpala? Versuch einer kolonialen Ortsbestimmung
Abstract
Recent years have seen in upsurge in scholarly interest linking colonialism, violence and religion to understand more in depth and detail the multi-fold entanglements between various actors and their respective interests within colonial settings. However, despite the impact of debates regarding global history and new approaches towards colonial rule much of the existing historiography remains tied to a paradigm that contrasts colonisers and colonized as separate entities. Just recently developments have begun to look beyond a framework that counters the classic narrative of conquest and rule. This article takes up the issue and explores the ways in which we gain deepened insights when interpreting colonial rule as both complex and multi-layered, focusing on power relations and various interactions instead of adopting the lense of the coloniser as our interpretative mode. As a case study it looks at Mpala, as a place and a space where various forces and actors have contributed to establish and undermine power, to form networks, to encounter entanglements, aiming to complicate our understanding of colonial early at the onset of the twentieth century instead of simplifying its intent and impact on a community on the western shore of lake Tanganyika.
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Die Kolonialgeschichte des Kongo ist eine Geschichte der Gewaltbeziehungen, Verstrickungen und Verschachtelungen. Der Kongo war koloniales Traumland des belgischen Königs Leopold II. (1835-1909), wurde Land imperialer, europäischer Auseinandersetzungen um politischen Einfluss und ökonomische Ressourcen und spätestens seit Joseph Conrads (1857-1924) wirkmächtiger Metapher vom „heart of darkness“ zu einem Phantasma europäischer Kolonialvisionen.1 Immer wieder wurde der Kongo als beispielhaft für Grenzerfahrungen und ihre Überschreitung charakterisiert. Henry Morton Stanley (1841-1904), der zwischen Kartographie, Expansion und Mission oszillierende Frontiersman entwickelte sich hier zum Parade ← 15 | 16 → beispiel europäischer Eroberungsmechanismen.2 Die Narrative changierten zwischen großen Männern und leeren Ländern, die es zu unterwerfen, kolonialisieren und ökonomisch nutzbar machen galt.
Der vorliegende Aufsatz will die Vorgeschichte und den Beginn des Engagements des Missionsordens der „Weißen Väter“ analysieren, die in Folge verstärkter belgischer und europäischer Expansionsbestrebungen im Kongo aktiver Teil der Kolonialisierung wurden. Dabei sollen die Prozesse der Verdichtung und Verflechtung kolonialer Begegnungssituationen begrifflich und konzeptionell neu gefasst werden. Die Möglichkeiten der Perspektiverweiterung zielen verstärkt darauf ab, den Aktivitätsradius der einzelnen Akteure – der Missionare, semi-selbstständiger Kolonialunternehmer und Dorfbewohner – neu auszumessen. Der Schwerpunkt der Analyse liegt dabei nicht auf der Identifizierung von Gewinnern und Verlierern, sondern auf der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Sichtweisen, Perspektiven und Optionen. Ein zentrales Anliegen ist dabei nicht „Marginalisierungen“ festzuschreiben, sondern die Geschehnisse räumlich wie zeitlich genau zu kontextualisieren.
Methodisch orientiert sich der Aufsatz an der stärkeren Hinwendung kolonialgeschichtlicher Theoreme zu globalhistorischen Forschungsperspektiven. Ausgangspunkt der vertiefenden Beschäftigung mit kolonialer Verflechtungsgeschichte im Kongo ist dabei die Notwendigkeit eines erweiterten Paradigmenwechsels, denn Kolonialgeschichte als historische Disziplin ist schon längst nicht mehr allein auf die Aufarbeitung europäischer Expansion und Herrschaft in außereuropäischen Kontexten fokussiert. Vielmehr bietet der breite Begriff der Kolonialgeschichte eine Vielzahl narrativer Möglichkeiten, das „Wie“ und „Warum“ des Kolonialismus aus verschiedenen Perspektiven zu ergründen.3
Vornehmlich in den letzten zehn Jahren geriet eine Grundgewissheit ins Wanken, die das Themenfeld der Kolonialgeschichte maßgeblich geprägt hatte: die scheinbar so eindeutige Polarität zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten. In diesem Schema, das die starke Differenz zum Alleinstellungsmerkmal kolonialer Beziehungsgeflechte erklärte, trafen die Kolonialherren als die überlegenen Protagonisten auf indigene Akteure, die nicht nur fremd, sondern auch zwangsläufig unterlegen waren. Empirisch wie analytisch vorgehende Untersuchungen führten von diesem durchaus nicht nur im übertragenen Sinne zu verstehenden „Schwarz ← 16 | 17 → -Weiß“-Schema kolonialer Beziehungsgefüge fort und veränderten das Feld nachhaltig um Begriffe und Methoden, die in den Teildisziplinen des Postkolonialismus und der Globalgeschichte zu aufregenden Debatten und herausragenden Einzelstudien führten.4 Dazu zählen die Arbeiten von Shalini Randeria, der grande dame der postcolonial studies, die in ihren Überlegungen zur Handlungsvollmacht der Subalternen wesentlich dazu beitrug, die teleologischen Denkmuster, die zwischen Fortschritt und Rückständigkeit operierten, aufzubrechen.5 Die Arbeiten von Frederick Cooper,6 Andreas Eckert7 und Sebastian Conrad8 hinterfragten insbesondere das Konzept der Modernisierung als kolonialen Topoi von Entwicklung und erweiterten das Feld um seine globale Komponente.9 Und dennoch allen perspektivischen Erweiterungen und einem stärkeren Fokus auf „agency“ der kolonialen Subjekte zum Trotz führte die Umkehrung des Betrachtungsschwerpunktes häufig zu einer ebenso starken Zentrierung auf binäre Konstellationen – nun eben von der anderen Seite aus. Insbesondere dem Themenfeld Religion und Mission haftet in diesem Zusammenhang etwas Statisches an. Christopher Baylys Postulat der „globalen Gleichförmigkeit“ als Folge europäischer Missionsbestrebungen greift dabei zu kurz.10 Vor allem das weite Themenfeld ‚Religion‘ und der Missionsbegriff lassen sich nicht allein als Vermittlung von Religion deuten, sondern müssen auch als ein Prisma begriffen werden, durch das verschiedene Interaktionsebenen und Handlungsspielräume sicht- und analysierbar werden. Dabei gilt es die Dichotomie von aktiven christlichen, europäischen Missionaren und passiven, indigenen Rezipienten kritisch zu hinterfragen. 11 ← 17 | 18 →
Es sind insbesondere Forschungen zu Widerständigkeit und Emanzipation innerhalb kolonialer Kontexte, die binären Denkmodellen folgen und die Deutungshoheit westlicher Interpretationen zementieren. Während die Hochphase des europäischen Kolonialismus und auch die komplexen Prozesse der Dekolonialisierung Schwerpunkt konzentrierter historiographischer Auseinandersetzung waren, ist der in vielerlei Hinsicht dramatische Übergang zwischen dem Kolonialismus der Vormoderne und seiner späteren Verlaufsform im 20. Jahrhundert weniger gut erforscht. Insbesondere die Zeitspanne zwischen 1800 und 1885, die mit der Berliner Afrikakonferenz einen ersten dramatischen Höhepunkt findet und richtungsweisend für Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent steht, kann erhellende Einsichten in die komplexen und keineswegs eindeutigen Prozesse intensivierter europäischer Kolonialisierungsbestrebungen und indigener Reaktionen auf diese bieten. Die oft fließend verlaufende Übergangszeit fordert die Konventionen der Periodisierung heraus und erlaubt eine Betrachtung historischer Entwicklung jenseits der Paradigmen von Modernisierung und Konvergenz europäischer Kolonialisierungsversuche. Die Vielfalt der Räume und die Divergenz zeitlicher Entwicklungen hinterfragen die monolithischen Gebilde „Europa“ und „Afrika.“
Quellenmethodik als Differenzierungsmodus
Unter der Notwendigkeit, über möglichst differenzierte Deutungen der komplexen und komplizierten Wechselbeziehungen kolonialer Kontexte nachzudenken untersucht dieser Beitrag die Aufzeichnungen des Ordens „Société des Missionaires d’Afrique“, kurz les „Pères Blancs“, zu Deutsch: die „Weißen Väter“. Der vorliegende Quellenkorpus umfasst circa 7.000 unveröffentlichte Druck- und weitere 1000 handgeschriebene Seiten und konzentriert sich räumlich wie zeitlich auf die Anfänge der Missionstätigkeit des Ordens im Dreiländereck zwischen den heutigen Staaten Kongo, Tansania und Ruanda.
Details
- Seiten
- 280
- Erscheinungsjahr
- 2019
- ISBN (PDF)
- 9783631786109
- ISBN (ePUB)
- 9783631786116
- ISBN (MOBI)
- 9783631786123
- ISBN (Hardcover)
- 9783631774977
- DOI
- 10.3726/b15457
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2019 (September)
- Schlagworte
- Kolonialismus Kolonialherrschaft Deutsche Kolonien Afrika Tansania
- Erschienen
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019., 280 S., 1 farb. Abb., 60 s/w Abb.