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Die Vision des Mönchs Johannes von Lüttich

Kritische Edition mit Übersetzung und Kommentar

von Rachel Gellert (Band-Herausgeber:in)
©2021 Andere 134 Seiten
Reihe: Beihefte zur Mediaevistik, Band 27

Zusammenfassung

Die Publikation präsentiert den kürzesten und kompaktesten Text der Vision einer Jenseitsreise des Hochmittelalters. Sie wurde im 12. Jahrhundert von einem Mönch aus Lüttich erstellt und zeichnet mit minimalistischen Mitteln ein eigenwilliges Bild von Himmel, Fegefeuer und Hölle. Der Text ist didaktisch angelegt zur Belehrung des Visionärs selbst, aber auch seiner Mitbrüder, und soll weiterhin in einer Schachtelvision die Bauern des Klostergutes ansprechen. Der Text ist in drei Handschriften aus dem 15. Jahrhundert aus Klöstern des heutigen Belgien erhalten geblieben. Dieses Buch beinhaltet die erstmalig erstellte kritische Edition mit einer Übersetzung und einem ausführlichen Kommentar.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung und in memoriam
  • Inhalt
  • I. Einführung
  • 1. Die Besonderheiten der Vision des Johannes im Hinblick auf die Jenseitsreisen des 12. Jhds.
  • 2. Der Visionär Johannes im Werk Reiners von Lüttich
  • 3. Reiners Autorenschaft am Visionsbericht
  • 4. Eine Auswahl weiterer Gestalten des Autorenkatalogs
  • 5. Das Kloster von St. Laurentius um die Zeit Reiners von Lüttich
  • 6. Die für Reiners Werke relevanten Bibliotheksbestände von St. Laurentius im 13. Jhd.
  • II. Der Visionsbericht und die Textzeugen
  • 1. Die Erstausgabe des Visionsberichtes
  • a) Die Entstehung der Erstausgabe
  • b) Das Zeugnis in den Acta Sanctorum
  • 2. Die Handschriften A, B und C
  • Beschreibung der Handschriften
  • III. Die Erstellung der kritischen Edition
  • 1. Die Beziehung der Handschriften zueinander
  • 2. Bemerkungen zur Orthografie und Interpunktion
  • IV. Die kritische Edition des Visionsberichtes
  • Der eingefügte Abschnitt in Hs. A
  • V. Die Übersetzung des Visionsberichtes
  • VI. Anmerkungen zum Visionstext, 1–90
  • Appendix: visitatio angelica und refrigerium
  • Anmerkungen zum Kapitel „Einführung“
  • Anmerkungen zum Kapitel „Der Visionsbericht und die Textzeugen“
  • Anmerkungen zum Kommentar, 1–90
  • Anmerkungenen zum Appendix „visitatio angelica“ und „refrigerium“
  • Abkürzungen
  • Bibliografie
  • Die herangezogenen Visionstexte
  • Quellen
  • Forschungsliteratur

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I. Einführung

Die vorliegende Arbeit beruht auf einer Dissertation und präsentiert den Text der Vision einer Jenseitsreise, die etwa Mitte des 12. Jhds. von dem Mönch und Priester Johannes von Lüttich geschaut und später von dem Schriftsteller Reiner von Lüttich zu einem Visionsbericht bearbeitet wurde. Dieser Text wird hier in einer kritischen Ausgabe, begleitet von einer Übersetzung und ausführlichen Anmerkungen vorgelegt.

Das 12. Jhd. ist das Jahrhundert der „großen“ Jenseitsreisen wie z. B. u. a. der Vision Alberichs, Gottschalks, Tundals. Dies sind in epischer Breite geschilderte Berichte von Wanderungen der Seele eines Visionärs durch die Räume der jenseitigen Welt, d. h. Fegefeuer, Himmel und Hölle, wie man sie sich in dieser Epoche vorstellte.

Außer in dem ebenfalls aus dem 12. Jhd. stammenden Bericht der Jenseitsreise des Ritters Owe[i];n, der aus eigener Initiative und bei klarem Bewusstsein die schmerzhaften Erlebnisse im Fegefeuer auf sich nehmen will, um sich schon zu Lebzeiten von seinen Sünden zu reinigen, sind die relevanten Visionen darauf angelegt, die Christgläubigen einschließlich des Visionärs selbst durch die äußerst anschaulichen, zur Warnung dienenden Schilderungen des Schicksals der Sünder im jenseitigen Leben zur Besserung ihres Lebenswandels zu bewegen.

Diesen „großen“ Visionen des 12. Jhds. nun steht die Vision des Mönchs Johannes aus dem Kloster St. Laurentius in Lüttich gegenüber, die hinsichtlich ihres geringen Umfanges und der sparsamen Verwendung von Stilmitteln im Vergleich zu den anderen Vertretern dieser Epoche leicht die Bezeichnung Miniatur verdiente.

In der Vision Johannes’ nimmt die Schilderung der Jenseitsorte nur den geringeren Teil des Visionsberichtes ein. Den insgesamt größten Anteil des Berichtes bildet die Vorstufe der Vision, die zum Besuch im Jenseits überleitet, des Weiteren eine Exempelgeschichte, die der Visionär von undefinierter Seite her vernimmt, eine Schachtelvision, die der Visionär als zweite Station der Jenseitsreise erlebt sowie die ausführliche Schilderung Johannes’ post-visionären Zustandes als Abschluss des vorliegenden Werkes.

Inhaltlich gliedert sich die Vision in zwei Hauptteile, von denen jeder jeweils von einem Heiligen dominiert wird, der den Visionär auf seinem Besuch führt. Während im ersten Visionsteil der Hl. Laurentius, Patron des Klosters gleichen Namens, die Rolle des himmlischen Begleiters innehat, wird sie im zweiten Teil vom Hl. Mauritius übernommen, zu dessen Ehren eine Kapelle auf dem Klostergut von St. Laurentius geweiht ist.

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Im ersten Teil der Vision findet der mit minimalistischen Mitteln geschilderte Besuch im Fegefeuer statt. Dieser wird mit einem Traktat abgeschlossen, in dem Johannes von nicht näher bezeichneter Stelle her ihm bisher unbekannte Dinge über das Schicksal der Seelen nach dem Tod erfährt – „Due sunt animarum distributiones“ (s. Text, S. 50), das abschließend durch eine Exempelgeschichte – „… frater … datum audivit exemplum …“ (s. Text, S. 52) ideologisch noch untermauert wird.

Im Exempel wird das unterschiedliche Los zweier Mönche im Jenseits beschrieben, von denen einer seinem Kloster sein Leben lang treu geblieben ist, das Gebot der stabilitas loci somit nicht verletzt hat, während der andere Mönch aus eigener Initiative in ein anderes Kloster überwechselte und sich daher der Verletzung dieses Gebotes schuldig machte.

Der zweite Teil des Jenseitsberichtes wird von einer Vision innerhalb einer Vision, d. h. einer Schachtelvision bestimmt, in der sich Johannes gemeinsam mit dem Hl. Mauritius in die Kirche des klostereigenen Gutes versetzt sieht, in der sich die Bauern des Gutes zum Gebet versammelt haben (s. Text, S. 56). Hier erfährt Johannes durch Rede und Gegenrede zwischen dem Heiligen und den Bauern von ihren Nöten und deren Ursachen sowie von ihrer Unzufriedenheit mit dem Hl. Mauritius als ihrem Beschützer. Während des Ablaufes der Geschehnisse gewinnt Johannes die Erkenntnis, dass diese Szene, deren Zeuge er wird, nur für ihn stattfindet, um ihm über die wahren Hintergründe der Notlage der Bauern, als deren Seelsorger er zeitweilig tätig ist, Aufklärung zu geben.

Diese beiden in ihrer Erscheinungsform ganz unterschiedlichen Teile des Visionsberichtes stehen für beide Gruppen des Publikums, das im jeweiligen Teil angesprochen werden soll.

Bilden im ersten Teil des Visionsberichtes die Mitbrüder Johannes’ die Zielgruppe der Botschaft, ist der zweite Teil an die Bauern des Klostergutes gerichtet. Wir haben es somit in beiden Teilen des Berichtes mit einer pro-domo-Vision zu tun, die in ihrer Gesamtheit klostereigenen Bedürfnissen, d. h. den spirituellen wie auch den materiellen Interessen des Klosters gleichermaßen dienen soll.

Mit dem Aspekt der pro-domo-Interessen allein ist jedoch die ganze Breite und Tiefe des Visionsberichtes nicht erfasst. Hier kommen noch die ganz persönlichen Elemente im Leben des Visionärs, sowohl in seiner Eigenschaft als Mönch wie auch in seiner Aufgabe als Priester (Anm. 5) ins Spiel.

Mit den persönlichen Elementen im Leben des Mönchs und Priesters Johannes nimmt die Vision auch ihren eigentlichen Anfang. Johannes sieht sich, kaum dass er in der mehr gefühlten als geschauten Gestalt den Hl. Laurentius vermutet, einer strengen Befragung durch ihn unterzogen (s. Text, S. 47). Johannes wird vorgehalten, seiner vornehmsten Aufgabe als Mönch, der tätigen Sorge für das Heil seiner eigenen Seele, nicht ausreichend ←12 | 13→nachgekommen zu sein sowie auch als Priester für das Seelenheil seiner Mitbrüder nicht genügend gesorgt zu haben.

Ein weiteres Versäumnis wird Johannes dann im zweiten Teil der Vision angelastet, für das er hier aber – im Gegensatz zum ersten Teil – einen Grund vorbringen kann. Der Vorwurf gegen Johannes wird hier vom Hl. Mauritius erhoben, der sich über die mangelnde Aufmerksamkeit Johannes’ in Form von Messen und Gebeten in der ihm geweihten Kapelle des Klostergutes beklagt: „Sed aliquid querele habeo adversum te“ (s. Text, S. 55). Dem kann Johannes zu seiner Verteidigung entgegenhalten, dass er auf dem Gut viel Verdruss zu erleiden hatte und seine Aufmerksamkeit und Gedanken daher nicht immer auf diese Pflichterfüllung gerichtet waren.

Als Ausgangspunkt für diesen zweiten Teil der Vision ließe sich daher eine Situation vorstellen, in der sich die Bauern des Klostergutes bei Johannes als Repräsentanten des Klosters, der in seiner Eigenschaft als Seelsorger gerade zur Stelle ist, über ihre desolate Situation beklagen; stellvertretend für die Verantwortlichen wird er vielleicht beschuldigt und eventuell verbal angegriffen, wobei Johannes, dem als Priester nur seelsorgerische Aufgaben obliegen, den Bauern in dieser Situation nichts entgegenzusetzen hat. Dieser unangenehme Vorfall mag dann die Ursache für seine Zerstreutheit gewesen sein, deretwegen er es versäumt hatte, Gebete und Messen in der Kapelle des Hl. Mauritius abzuhalten.

So sind im Gesamtbild dieses Visionsberichtes persönliche Elemente im Leben des Mönchs Johannes und die Angelegenheiten und Interessen seines Klosters aufs engste miteinander verknüpft. Zwar ist in seinen beiden Teilen der Aspekt der pro-domo-Interessen des Klosters (durch Einhaltung der Regel der stabilitas loci einerseits und die eingeforderte Treue der Bauern des Klostergutes andererseits) von entscheidender Gewichtigkeit, doch hat, wie schon oben erwähnt, auch das persönliche Element des Visionärs hier seinen gleichwertigen Platz.

Zusammenfassend ist daher die Existenz eines historischen Kerns des vorliegenden Visionsberichtes durchaus anzunehmen, der in den realen Umständen, wie oben geschildert, seinen Ursprung hat.

Um diesen historischen Kern herum, d. h. um eine Vision Johannes’ mit seiner Ermahnung durch die Heiligen Laurentius und Mauritius und deren offenbar reale Hintergründe, hat Reiner von Lüttich, Schüler, Mitbruder und strenger Kritiker Johannes’ (siehe Kapitel „Der Visionär Johannes im Werk Reiners von Lüttich“) und selbst Autor eigener wie fremder Visionsberichte, ein komplexes, didaktisch ausgerichtetes Werk über den Besuch seines Mitbruders Johannes in den Räumen des Jenseits geschaffen. Sein Bericht will, wie schon oben erwähnt, eine zweifache Botschaft vermitteln, die für die gesamte Klostergemeinschaft von St. Laurentius, d. h. für die Mitbrüder wie auch für die Angehörigen des Klostergutes gleichermaßen gilt.

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Dieser im Vergleich mit den „großen“ Visionen des 12. Jhds. kurze Visionsbericht hat bislang bei der Forschung vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit gefunden, so dass eine kritische Edition zu diesem Text bis dato noch aussteht. Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass seine Rezeption bisher auf den klösterlichen Rahmen innerhalb eines engen geografischen Raumes in einer definierten historischen Epoche begrenzt war. Mit der vorliegenden Arbeit soll nun diesem Visionsbericht sein Platz in der Reihe der Jenseitsvisionen des 12. Jhds. zugewiesen und ihm zu einer weiterreichenden Rezeption verholfen werden.

Das Ziel dieser Arbeit möchte aber über die Erstellung einer kritischen Edition hinausgehen. Durch einen ausführlichen Kommentar zum Text wird angestrebt, soweit eben möglich die äußere wie auch innere Lebenswelt des Visionärs bzw. Verfassers aufzuzeigen, vor deren Hintergrund die vorliegende Vision geschaut und literarisch bearbeitet werden konnte.

1. Die Besonderheiten der Vision des Johannes im Hinblick auf die Jenseitsreisen des 12. Jhds.

Details

Seiten
134
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631847893
ISBN (ePUB)
9783631847909
ISBN (MOBI)
9783631847916
ISBN (Hardcover)
9783631841297
DOI
10.3726/b18063
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (April)
Schlagworte
Jenseitsräume Priestermönche Klostergut Stabilitas loci Klosterkultur Wiedergänger
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 134 S.

Biographische Angaben

Rachel Gellert (Band-Herausgeber:in)

Rachel Gellert hat Altphilologie, Alte Geschichte und Mediävistik studiert. Sie wurde an der Universität Tel Aviv promoviert, an der sie auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Diasporaforschung mit dem Schwerpunkt Mittelalter tätig war. Sie lehrte an der School of History der Universität Tel Aviv Lese- und Übersetzungskurse für mittellateinische Texte sowie lateinische Paläografie.

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