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Das Verbot der monetären Staatsfinanzierung (Art. 123 AEUV )

Disparitäten beim Normativitätsverständnis in der Europäischen Währungsunion

von Tim Schöffski (Autor:in)
©2020 Dissertation 562 Seiten

Zusammenfassung

Die vorliegende Dissertation knüpft an eine Thematik an, die insbesondere die deutsche Rechtswissenschaft seit der Euro-Staatsschuldenkrise, die mit dem Jahr 2010 begonnen hat, umtreibt. Es geht um das Verbot der monetären Staatsfinanzierung, das in Art. 123 AEUV als eine der Kernvorschriften über die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion niedergelegt ist. Am Beispiel des Verbots der monetären Staatsfinanzierung untersucht der Verfasser, ob hinsichtlich der Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion Disparitäten beim Verständnis von Normativität auszumachen sind. Anknüpfungspunkt dafür sind die intensiven Diskussionen über die geldpolitischen Maßnahmen der EZB im Zuge ihrer Euro-Rettungspolitik.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • A) Die Währungsunion als Schicksalsgemeinschaft
  • I.) Das Staats- und Rechtsverständnis in der Währungsunion als thematischer Ausgangspunkt
  • II.) Die rechtswissenschaftliche Relevanz der Arbeit
  • 1.) Die Ausgangssituation des Verbots der monetären Staatsfinanzierung
  • 2.) Gründe für die Themenwahl und Ausgestaltung
  • a) Die veränderte Rolle des Art. 123 Abs. 1 AEUV
  • b) Eine relevante rechtstheoretische Komponente
  • c) Die signifikante ökonomische Dimension
  • d) Die Notwendigkeit einer Evaluation der Architektur der WWU
  • III.) Die rechtswissenschaftliche Rezeption der „Eurokrise“
  • a) Von der „Eurokrise“ zur „Eurorettungspolitik“
  • b) Die Bedeutung des OMT-Urteils des BVerfG vom 21. Juni 2016
  • c) Dissertationen mit vergleichbarem thematischem Bezug
  • IV.) Die gewählte Ausrichtung der Untersuchung
  • 1.) Die Entscheidung für einen induktiven Ansatz
  • a) Die Thematisierung von grundsätzlichen Fragestellungen
  • b) Einordnung in die laufenden Reformdiskussionen
  • 2.) Formulierung von Thesen für den weiteren Verlauf der Arbeit
  • 3.) Der gewählte Gang der Untersuchung
  • V.) Die Strukturen und Funktionen der Europäischen Währungsunion
  • 1.) Zusammensetzung und Aufgaben des ESZB
  • 2.) Die Europäische Zentralbank – Strukturen und Kompetenzen
  • a) Die Organe der Europäischen Zentralbank
  • b) Die Kompetenzen der Europäischen Zentralbank
  • c) Die Rolle der EZB bei der Bekämpfung der „Eurokrise“
  • d) Die Ergänzung der EZB-Strukturen durch die Europäische Bankenunion
  • B) Die monetäre Staatsfinanzierung – Erscheinungsformen, Auswirkungen, rechtliche Behandlung und Erfahrungswerte
  • I.) Die grundlegenden Charakteristika der monetären Staatsfinanzierung
  • 1.) Eine Definition der monetären Staatsfinanzierung
  • a) Der mögliche Einfluss auf die Zentralbank
  • b) Die nähere Bestimmung der Tatbestandsvoraussetzungen
  • 2.) Die potenziellen Auswirkungen von monetärer Staatsfinanzierung
  • a) Anstieg der Inflation
  • aa) Die mögliche Entwicklung zur Hyperinflation
  • bb) Die allgemeinen Auswirkungen von Inflation
  • b) Das Verhältnis zur staatlichen Haushaltsdisziplin
  • aa) Eine systemische Einordnung der monetären Staatsfinanzierung
  • bb) Die Folgen übermäßiger Staatsverschuldung
  • cc) Die Herausforderung eines etwaigen Ausstiegs aus der monetären Staatsfinanzierung
  • c) Der Einfluss auf die Zentralbankunabhängigkeit
  • aa) Die vorzufindende Gefährdungslage von Zentralbanken
  • bb) Die existierende Beziehung zwischen Demokratie und Geldwertstabilität
  • 3.) Die bestehenden Ausnahmen von der Verbotsnorm
  • a) Die normierten Ausnahmen nach der VO (EG) Nr. 3603/93
  • aa) Die Verwaltung von Währungsreserven
  • bb) Die Gewährung von Tageskrediten an den öffentlichen Sektor
  • cc) Die zulässige Tätigkeit als Fiskalagent
  • dd) Das Inverkehrbringen von Münzbeständen
  • ee) Die Finanzierung von Beitragsverpflichtungen gegenüber dem IWF
  • b) Eine Einschätzung der rechtlich normierten Ausnahmen
  • 4.) Die bisherigen Erkenntnisse zum Ansatz der monetären Staatsfinanzierung
  • II.) Mögliche praktische Anwendungsfälle von monetärer Staatsfinanzierung
  • 1.) Die Grundfälle der monetären Staatsfinanzierung
  • a) Die Kreditgewährung durch eine Zentralbank an den Staat
  • b) Der Ankauf von staatlichen Schuldtiteln durch eine Zentralbank
  • aa) Der Erwerb staatlicher Schuldtitel auf dem Primärmarkt
  • bb) Der Erwerb von staatlichen Schuldtiteln auf dem Sekundärmarkt
  • cc) Der rechtliche und geldpolitische Sonderfall des QE
  • dd) Die Subsumtion unter die Kriterien zur Konformität mit Art. 123 Abs. 1 AEUV
  • ee) Eine mögliche Weiterentwicklung des „QE“ zum „Permanent Easing“
  • ff) Der Ansatz des „Qualitative Easing“
  • 2.) Die Anwendungsfälle mit Bezug zur gesamten Eurozone
  • a) Das „Helikoptergeld“ als unkonventionelles geldpolitisches Konzept
  • aa) Die Rezeption als unkonventionelles geldpolitisches Instrument
  • bb) Die konzeptionelle Ausgestaltung des „Helikoptergeldes“
  • cc) Die Relevanz im Kontext der monetären Staatsfinanzierung
  • b) Die Frage nach der Zulässigkeit einer „Banklizenz“ für den ESM
  • aa) Die potenziellen Folgen einer solchen „Banklizenz“
  • bb) Der ESM als Kreditinstitut im öffentlichen Eigentum?
  • c) Die Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen durch die EIB
  • aa) Die EIB als Kreditinstitut im öffentlichen Eigentum?
  • bb) Die bestehenden Anforderungen an ein Kreditinstitut im öffentlichen Eigentum
  • d) Der Vorschlag eines „Quantitative Easing for the People“
  • aa) Die Charakteristika des „Quantitative Easing for the People“
  • bb) Die Vereinbarkeit des Konzepts mit Art. 123 Abs. 1 AEUV
  • e) Durch eine Zentralbank erklärte Ankaufgarantie zum Emissionspreis
  • 3.) Die Anwendungsfälle mit Auswirkungen auf die nationale Rechtsordnung
  • a) Die Vorgaben zur Gewinnverteilung der Zentralbank / Neubewertung von Goldreserven
  • aa) Die Anforderungen der EZB an die Verteilung von Zentralbankgewinnen
  • bb) Die Verwaltung von Goldreserven durch die Zentralbank
  • cc) Die Relevanz hinsichtlich des Verbots der monetären Staatsfinanzierung
  • dd) Die Zulässigkeit einer versuchten Neubewertung der deutschen Goldreserven
  • b) Die Vornahme von Veränderungen in der Zentralbankstruktur
  • aa) Der bestehende Bezug zum Verbot der monetären Staatsfinanzierung
  • bb) Die notwendige „Besitzstandswahrung“ hinsichtlich der Zentralbankstruktur
  • c) Die Möglichkeiten zur Finanzierung von nationalen Fonds zur Sicherung von Bankeinlagen
  • aa) Die Anforderungen der EZB an Einlagensicherungssysteme
  • bb) Die Anforderungen der EZB an die Finanzierung von Abwicklungsfonds
  • d) Die Übertragung von neuen Aufgaben an die Zentralbank
  • aa) Die einschlägige demokratietheoretische Perspektive
  • bb) Die Voraussetzungen der Übertragung neuer Aufgaben an eine NZB
  • cc) Beispiele für staatliche Aufgaben und Zentralbankaufgaben
  • dd) Die Erfüllung einer Finanzierungsverpflichtung für eine Aufgabe des öffentlichen Sektors
  • e) Die Möglichkeiten der Zentralbankunterstützung an private Finanz- und Kreditinstitute
  • aa) Die bezweckte Wiederherstellung der Solvenz
  • bb) Die Rolle von „Liquiditätshilfen in Notfällen“
  • 4.) Die gebotenen Schlussfolgerungen aus den Anwendungsfällen zu Art. 123 AEUV
  • a) Der erkennbare Einfluss auf die staatlichen Strukturen
  • b) Die nötige Systematisierung der Beispielsfälle
  • c) Die vom Verbot der monetären Staatsfinanzierung eingenommene Scharnierfunktion
  • III.) Die rechtliche Behandlung der monetären Staatsfinanzierung in Art. 123 AEUV
  • 1.) Der Regelungsgehalt und primärrechtliche Gesamtkontext der Norm
  • a) Der Regelungsgehalt des Art. 123 AEUV
  • b) Die Einordnung in den primärrechtlichen Gesamtkontext
  • aa) Die intendierte Funktion des Art. 123 Abs. 1 AEUV in der WWU
  • bb) Die Möglichkeiten zur Durchsetzung des Verbots der monetären Staatsfinanzierung
  • c) Die ersten Einschätzungen hinsichtlich des Art. 123 Abs. 1 AEUV
  • 2.) Die historische Genese, Wortlaut und Telos des Art. 123 AEUV
  • a) Die Entwicklung hin zum heutigen Art. 123 AEUV
  • b) Der Inhalt und die Rolle des Telos von Art. 123 AEUV
  • aa) Die bezweckte Sicherung der Haushaltsdisziplin
  • bb) Die notwendige Sicherung der Preisstabilität
  • cc) Die verfolgte Sicherung der Zentralbankunabhängigkeit
  • 3.) Auftretende spezielle Fragestellungen im Kontext von Art. 123 Abs. 1 AEUV
  • a) Das Problem des Moral Hazard und dessen Vermeidung
  • aa) Eine Definition von Moral Hazard
  • bb) Der Art. 123 Abs. 1 AEUV und die intendierte Vermeidung von Moral Hazard
  • b) Das Verhältnis von Art. 123 AEUV zur Giralgeldschöpfung
  • aa) Das System der Giralgeldschöpfung durch Geschäftsbanken
  • bb) Das Verhältnis der Giralgeldschöpfung zu Art. 123 Abs. 1 AEUV
  • cc) Die Bewertung der Giralgeldschöpfung im Kontext des Art. 123 AEUV
  • 4.) Das Verhältnis zu normativen Pfeilern der WWU und die Bedeutung für die EZB
  • a) Das Verhältnis zur Regelung aus Art. 122 AEUV
  • b) Das Verhältnis zum Inhalt des Art. 124 AEUV
  • c) Das Verhältnis zur Regelung des Art. 125 AEUV
  • d) Das Verhältnis zum Inhalt des Art. 126 AEUV
  • e) Die gebotene Einschätzung der Bedeutung für die Funktionsweise der EZB
  • 5.) Die erfolgte Rezeption des Art. 123 AEUV in Rechtsprechung und Literatur
  • a) Die Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 123 AEUV
  • aa) Die Bedeutung der Rechtssache „Pringle“
  • bb) Die Konsequenzen der Rechtssache „Gauweiler“
  • cc) Die Ausführungen des EuGH zum Art. 123 AEUV in der Rechtssache „Weiss“
  • dd) Die relevanten Aussagen der Rechtssache „Accorinti u.a./EZB“
  • b) Die Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG mit Bezug zu Art. 123 AEUV
  • aa) Die relevanten Aussagen der Entscheidung des BVerfG zum ESM
  • bb) Der Inhalt des Urteils des BVerfG im OMT-Verfahren
  • cc) Der Vorlagebeschluss des BVerfG zum PSPP
  • c) Die bisherige Behandlung des Art. 123 AEUV in der juristischen Literatur
  • aa) Die Rezeption in Kommentierungen und Monografien
  • bb) Die bisherige Rezeption in Aufsätzen und sonstigen Materialien
  • 6.) Die bisherigen Erkenntnisse sowie mögliche Reformansätze zum Art. 123 AEUV
  • IV.) Das Verhältnis diverser Zentralbanken zur monetären Staatsfinanzierung
  • 1.) Die zu betrachtenden Zentralbanken außerhalb Europas
  • a) Das amerikanische Federal Reserve System
  • aa) Die Charakteristika des geldpolitischen Mandats der FED
  • bb) Das Verhältnis der FED zur monetären Staatsfinanzierung
  • b) Die Bank of Japan
  • aa) Die prägenden Kennzeichen des geldpolitischen Mandats der BoJ
  • bb) Das Verhältnis der BoJ zur monetären Staatsfinanzierung
  • c) Die Bank of Canada
  • aa) Die Ausprägungen des geldpolitischen Mandats der BoC
  • bb) Das Verhältnis der BoC zur monetären Staatsfinanzierung
  • 2.) Die Zentralbanken innerhalb Europas
  • a) Die Bank of England
  • aa) Die Charakteristika des geldpolitischen Mandats der BoE
  • bb) Das Verhältnis der BoE zur monetären Staatsfinanzierung
  • b) Die Banca d’Italia
  • aa) Die Kennzeichen des geldpolitischen Mandats der BdI
  • bb) Das Verhältnis der BdI zur monetären Staatsfinanzierung
  • c) Die Deutsche Bundesbank
  • aa) Die Kennzeichen des geldpolitischen Mandats der Deutschen Bundesbank
  • bb) Das Verhältnis zur monetären Staatsfinanzierung
  • 3.) Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse und mögliche Rückschlüsse für die EZB
  • a) Die Erkenntnisse für die Betrachtung des Art. 123 Abs. 1 AEUV
  • b) Die möglichen Rückschlüsse für die Bewertung der Rolle der EZB
  • aa) Die Bedeutung und Funktion des Zentralbankmandats
  • bb) Die Rolle der supranationalen Konzeption der EZB
  • C) Der Ansatz der monetären Staatsfinanzierung in der historischen Genese der Währungsunion und die Entwicklungen im Zusammenhang mit der „Eurokrise“
  • I.) Die Entwicklung hin zur Europäischen Währungsunion
  • 1.) Der Delors-Bericht als Ausgangspunkt der Währungsunion
  • a) Der mögliche Rückgriff auf die Vorarbeiten aus dem Werner-Plan
  • b) Die grundsätzliche Ausgestaltung der Währungsunion
  • 2.) Die institutionelle Realisierung der Wirtschafts- und Währungsunion
  • a) Die Entwicklungen auf der ersten Stufe der Währungsunion
  • b) Die fortschreitende Kooperation in der zweiten Stufe der Währungsunion
  • c) Der Abschluss mit dem Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion
  • d) Die prägenden Merkmale der Realisierung der Währungsunion
  • II.) Die Rolle des Vertrags von Maastricht
  • 1.) Die Konzeption in Bezug auf die Wirtschafts- und Währungsunion
  • a) Die Rolle der asymmetrischen Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion
  • b) Die erkennbaren ökonomistischen Charakteristika
  • c) Die relevanten monetaristischen Kennzeichen
  • d) Die strategischen Ansätze zur Realisierung der WWU
  • 2.) Der Inhalt und die Bedeutung des Maastricht-Urteils des BVerfG
  • a) Die faktischen Hintergründe des Maastricht-Verfahrens
  • b) Die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Urteils für die Beteiligung an der WWU
  • c) Die relevanten Aussagen des Urteils zur WWU
  • 3.) Die „Euro-Klage“ und ihre Auswirkungen auf die WWU
  • a) Die relevanten Passagen der Beschwerdebegründung
  • b) Die vorgebrachten Argumente für eine staatlich veranlasste Inflationsgefahr
  • c) Die verfassungsrechtliche Bewertung durch das Bundesverfassungsgericht
  • d) Die Einordnung der Entscheidung des BVerfG
  • III.) Die zu erfüllenden Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der Eurozone
  • 1.) Die materielle Dimension der Konvergenzkriterien
  • a) Rechtlicher Charakter der Konvergenzkriterien
  • b) Der Ablauf und die Vorgehensweise bei der Konvergenzprüfung
  • 2.) Die Betrachtung der WWU mit der Theorie der optimalen Währungsräume
  • a) Das theoretische Konzept hinter der Theorie der optimalen Währungsräume
  • b) Die Anwendung der theoretischen Überlegungen auf die WWU
  • c) Die Kritik an der Theorie im Zusammenhang mit der WWU
  • 3.) Die Entwicklungen hin zur Ausgangskonstellation sowie die sukzessiven Erweiterungen der Eurozone
  • a) Die Haushaltsstabilität als Mitgliedschaftshindernis
  • b) Die Entscheidung über den Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion
  • c) Die sukzessiven Erweiterungen der Eurozone
  • 4.) Die Einschätzung der Rolle der Konvergenzkriterien
  • a) Die Diskussionen um den rechtlichen Status der Konvergenzkriterien
  • b) Ihre Bedeutung für die gegenwärtige Situation im Nachgang zur „Eurokrise“
  • IV.) Der Begriff „Eurokrise“ und dessen konkreter Inhalt
  • 1.) Die Geschehnisse rund um die „Subprime-Krise“ in den USA
  • 2.) Die Voraussetzungen für die Entwicklung hin zu einer Weltwirtschaftskrise
  • 3.) Die Fortentwicklung hin zur Staatsschuldenkrise in Europa
  • a) Der signifikante Anstieg der Staatsverschuldung in Europa
  • b) Die Relevanz von „Geburtsfehlern“ der Währungsunion
  • aa) Die Auswirkungen der verringerten Zinsaufschläge in der WWU
  • bb) Die Mängel in den Strukturen der Währungsunion
  • 4.) Die gewählten legislativen Reaktionen auf die Krise
  • a) Der Aufbau und die anschließenden Reformen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes
  • b) Der Entstehungsprozess, Inhalt und vereinbarte Umsetzung des SKS-Vertrags
  • c) Die Maßnahmen des Twopacks, das Europäische Semester und der Euro-Plus-Pakt
  • d) Die umfassende Ergänzung der WWU durch die Bankenunion
  • aa) Die Hintergründe der Konzeption einer europäischen Bankenunion
  • bb) Die einheitliche Bankenaufsicht als erste Säule der Bankenunion
  • cc) Der einheitliche Abwicklungsmechanismus als zweite Säule der Bankenunion
  • dd) Das geplante gemeinsame europäische Einlagensicherungssystem
  • e) Mögliche Schlussfolgerungen und Ausblick hinsichtlich der legislativen Krisenreaktionen
  • 5.) Die institutionellen Antworten auf die Krise
  • a) Die Gewährung von bilateralen Hilfskrediten durch die Mitgliedstaaten der Eurozone
  • aa) Der Inhalt des ersten Rettungspakets für Griechenland
  • bb) Zweifel an der unionsrechtlichen Zulässigkeit
  • b) Die Bildung und Nutzung des EFSM
  • c) Die Vervollständigung des Rettungsschirms durch die EFSF
  • d) Die Entstehung und Ausstattung des ESM
  • aa) Die Ausgestaltung des Aufgabenprofils des ESM
  • bb) Die Bedeutung der Konditionalität von Hilfsmaßnahmen
  • cc) Die nachträgliche primärrechtliche Legitimierung durch Art. 136 Abs. 3 AEUV
  • dd) Die perspektivische Ausrichtung und Rolle des ESM
  • e) Eine Bewertung der institutionellen Antworten auf die „Eurokrise“
  • aa) Die vermittelnde Rolle der Konditionalität
  • bb) Das Spannungsverhältnis von Solidarität und Recht in der WWU
  • cc) Die Bedeutung der Vorgänge für die europäische Rechtsgemeinschaft
  • 6.) Die Formulierung einer abschließenden Definition der „Eurokrise“
  • a) Der Inhalt und die Reichweite des Begriffs „Eurokrise“
  • b) Die erkennbaren Auswirkungen der Eurokrise auf die Institution des Rechts
  • D) Normativität
  • I.) Die Europäische Währungsunion als Rechtsgemeinschaft
  • 1.) Die Konzeption der Rechtsgemeinschaft
  • 2.) Die Bedeutung der Idee von der Rechtsgemeinschaft
  • a) Die Rolle des Rechts im Prozess der europäischen Integration
  • b) Die anzutreffenden Ausprägungen der begrenzenden Wirkung von Recht
  • 3.) Die bestehenden Herausforderungen für das Konzept der Rechtsgemeinschaft
  • a) Das Verständnis vom Inhalt der Rechtsgemeinschaft
  • b) Die relevanten rechtstheoretischen Erwägungen zur Rechtsgemeinschaft
  • 4.) Eine Einschätzung des Konzepts der Rechtsgemeinschaft und möglicher Konsequenzen
  • II.) Normativität als Rechtsbegriff
  • 1.) Notwendige Vorüberlegungen zur Normativität
  • 2.) Eine Übersicht der Geltungsformen des Rechts
  • a) Die Kennzeichen der juristischen Geltung
  • b) Die Dimension der faktischen Geltung
  • c) Der Bezugspunkt einer moralisch-ethischen Geltung
  • d) Schlussfolgerungen zu den Formen der Rechtsgeltung
  • aa) Die möglichen Konsequenzen aus den verschiedenen Formen der Rechtsgeltung
  • bb) Der Funktionszusammenhang von verschiedenen Arten der Rechtsgeltung
  • cc) Die Relevanz der Akzeptanz für das Recht
  • dd) Die damit verbundenen möglichen Auswirkungen für die europäische Rechtsgemeinschaft
  • 3.) Eine Definition für den Rechtsbegriff der Normativität
  • III.) Die Möglichkeiten von Rechtsnormen in wirtschaftlichen Kontexten
  • 1.) Der thematische Anlass und Aufhänger
  • a) Ein notwendiges Primat der Politik?
  • b) Die Vorzüge des Rechts bei der Strukturierung wirtschaftlicher Sachverhalte
  • 2.) Die Möglichkeiten und Funktionen von Recht
  • a) Mögliche Formen der Verhaltenssteuerung
  • aa) Erscheinungsformen der Steuerung durch Recht
  • bb) Die Ansätze einer Wirtschaftssteuerung durch Recht
  • b) Formen des Konfliktausgleichs durch Recht
  • c) Die Intention der Erwartungsstabilisierung durch Recht
  • d) Die Legitimationsfunktion von Recht
  • e) Die Dimension der Garantiefunktion von Recht
  • 3.) Auftretende Herausforderungen für Rechtsnormen
  • a) Die spezielle Rolle von technokratischen Einschätzungsprärogativen
  • b) Die Bedeutung der Glaubwürdigkeit der Rechtsordnung
  • aa) Die einschlägige Aufgabe des Primärrechts
  • bb) Das Gebot einer differenzierten Analyse
  • c) Die Beschränkung der ökonomischen Autonomie durch das Recht
  • d) Die Formulierung von ökonomischer Kritik im rechtlichen Gewand
  • e) Das Phänomen der Zeitinkonsistenz als Problem für Rechtsnormen
  • aa) Die rechtliche Dimension der Zeitinkonsistenz
  • bb) Die Relevanz der Zeitinkonsistenz in der Europäischen Währungsunion
  • 4.) Mögliche Schlussfolgerungen zur Rolle von Rechtsnormen in wirtschaftlichen Kontexten
  • IV.) Das Normativitätsverständnis in der Europäischen Währungsunion
  • 1.) Inhalt, Ausrichtung und mögliche Anwendungsmöglichkeiten der Kulturtheorie des Rechts
  • a) Die zugrundeliegende methodische Konzeption
  • aa) Die theoretische Ausgangslage
  • bb) Die relevanten Spezifika des Europarechts in der Kulturtheorie des Rechts
  • b) Eine Zusammenfassung hinsichtlich der methodischen Grundlage
  • 2.) Die Rolle des Rechts in der Europäischen Währungsunion
  • a) Der Umgang mit dem Unionsrecht
  • b) Die Wechselwirkung zwischen Recht und Finanzmärkten
  • c) Die Auswertung der Ergebnisse des FIDE-Kongresses 2014
  • aa) Die allgemeinen Erwägungen mit Bezug zu Art. 123 Abs. 1 AEUV
  • bb) Die Antworten der einzelnen Mitgliedstaaten mit Bezug zu Art. 123 Abs. 1 AEUV
  • cc) Eine Zusammenfassung der Antworten und mögliche Schlussfolgerungen
  • 3.) Die Herausforderungen für supranationale Regeln
  • a) Das bestehende „Nord-Süd-Gefälle“ in der Europäischen Währungsunion
  • aa) Die Rolle des wirtschaftskulturellen Vorverständnisses
  • bb) Die erkennbaren rechtskulturellen Differenzen
  • cc) Die Relevanz für die Geldpolitik in der WWU
  • b) Die anzutreffenden konträren Vorstellungen in Deutschland und Frankreich („Kampf der Ideen“)
  • c) Das bestehende wirtschaftskulturelle Vorverständnis in Deutschland
  • aa) Die Einstellungen zu Inflation und Staatsverschuldung
  • bb) Die Bedeutung eines regelgebundenen Zentralbankwesens
  • d) Das bestehende wirtschaftskulturelle Vorverständnis in Frankreich
  • aa) Die französischen geldpolitischen Präferenzen
  • bb) Die dominierende Vorstellung von der Rolle des Staates in Frankreich
  • e) Die prägenden Charakteristika der jeweiligen Rechtskultur
  • aa) Das rechtskulturelle Vorverständnis in Deutschland
  • bb) Das rechtskulturelle Vorverständnis in Frankreich
  • cc) Ihre Relevanz für das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion
  • 4.) Die Schlussfolgerungen zur Normativität in der Wirtschafts- und Währungsunion
  • a) Die Erkenntnisse zum Normativitätsverständnis
  • b) Die Existenz von erkennbaren Disparitäten
  • aa) Die Auswirkungen der lokalisierbaren kulturellen Kontraste
  • bb) Die Hintergründe der bestehenden Disparitäten
  • cc) Das Spannungsverhältnis von Politik und Recht
  • c) Die Einschätzung zum Verständnis von Normativität
  • aa) Die möglichen Konsequenzen für das Recht
  • bb) Die mögliche Interpretation der Disparitäten
  • cc) Die Bedeutung des „Krisennarrativs“
  • V.) Bedeutung für das Verbot der monetären Staatsfinanzierung (Art. 123 AEUV)
  • 1.) Die anzutreffenden Disparitäten beim Verständnis des Art. 123 Abs. 1 AEUV
  • 2.) Die einschlägige geldpolitische Dimension
  • a) Der inhärente Ausschluss geldpolitischer Maßnahmen
  • b) Die Begrenzungs- und Bereitstellungsfunktion des Rechts
  • 3.) Die methodische Dimension beim Verständnis von Art. 123 AEUV
  • 4.) Das Ergebnis zu den Disparitäten beim Normativitätsverständnis von Art. 123 AEUV
  • a) Die Wurzeln der erkannten Disparitäten
  • b) Das Szász-Axiom als überzeugender Erklärungsansatz
  • E) Fazit und Auswertung der Arbeitsthesen
  • I.) Zusammenfassung der Ergebnisse und Bezugnahme auf den Erwartungshorizont
  • 1.) Die abschließende Einschätzung zum Verbot der monetären Staatsfinanzierung
  • 2.) Die bestehenden Disparitäten beim Normativitätsverständnis in der Währungsunion
  • a) Die nötige Rückkehr zum Recht
  • b) Der gebotene Umgang mit der „Krise“
  • II.) Auswertung der Ausgangsfragestellung und der aufgestellten Thesen
  • 1.) Die Konzeption der EZB und die Rolle des Art. 123 Abs. 1 AEUV
  • a) Die bedeutsamen Charakteristika der EZB
  • b) Eine zukünftige Währungsunion ohne Art. 123 Abs. 1 AEUV?
  • c) Der Art. 123 Abs. 1 AEUV als Ausdruck der „Stabilitätsgemeinschaft“?
  • 2.) Das Verhältnis von europäischer Rechtsgemeinschaft und kulturellem Vorverständnis
  • III.) Schlussfolgerungen und Ansätze für gebotene Reformen der Währungsunion
  • 1.) Das Schicksal des Verbots der monetären Staatsfinanzierung
  • 2.) Die Rolle und Kompetenzen der EZB
  • 3.) Die gebotene Absicherung des Selbstbestands des Rechts
  • 4.) Die notwendige Emanzipation von den nationalen Vorverständnissen
  • a) Die nötige Sicherstellung der Glaubwürdigkeit des Rechts
  • b) Die notwendige Durchführung von Strukturreformen in den Mitgliedstaaten
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Literaturverzeichnis

A) Die Währungsunion als Schicksalsgemeinschaft

„L’Europe se fera par la monnaie ou ne se fera pas – Europa entsteht über das Geld oder es entsteht gar nicht“.1

Diese fast schon düstere Vorhersage aus dem Jahr 1949 stammt vom früheren französischen Finanzminister und Richter am Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Jacques Rueff. Sie beschreibt sehr drastisch und zugleich klar, welche entscheidende Rolle die monetären Beziehungen zwischen den europäischen Staaten für das Projekt der europäischen Integration einnehmen. Aber auch heute, 70 Jahre später, erscheint diese von ihm formulierte Bedingung weiterhin hochaktuell, da man innerhalb der Europäischen Währungsunion immer noch über die richtigen Schlüsse aus der europäischen Staatsschuldenkrise und zukünftige Lösungsansätze für solche Krisen diskutiert. Allerdings erscheint die überragende Bedeutung der gemeinsamen europäischen Währung sowohl für die Europäische Union an sich als auch für die Zukunft der dahinterstehenden grundsätzlichen „europäischen Idee“ den involvierten Akteuren durchaus bewusst zu sein. Als exemplarischen Beleg für diese Einschätzung können die Worte von Bundeskanzlerin Angela Merkel herangezogen werden, die sie im Rahmen einer Regierungserklärung zu den Stabilisierungsmaßnahmen für den Euro am 19. Mai 2010 wählte. Die Bundeskanzlerin erklärte diesbezüglich im Deutschen Bundestag:

„Die Währungsunion ist eine Schicksalsgemeinschaft. Es geht deshalb um nicht mehr und nicht weniger als um die Bewahrung und Bewährung der europäischen Idee. Das ist unsere historische Aufgabe; denn scheitert der Euro, dann scheitert Europa. Wenden wir diese Gefahr aber ab, dann werden der Euro und Europa stärker als zuvor sein.“2 Angela Merkel verdeutlichte in dieser ←27 | 28→Regierungserklärung noch einmal, dass es in ihren Augen keine Alternative zur gemeinsamen europäischen Währung gibt und dass die Währungsunion nicht als ein in sich separiertes System innerhalb der größeren Strukturen der Europäischen Union verstanden werden kann. Die Europäische Union ist vielmehr existenziell mit der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) verbunden. Die grundsätzliche politische Marschrichtung für die Bekämpfung der Krisenphänomene war damit formuliert und vorgegeben. Allerdings war damit auch die politische, wirtschaftliche und vor allem auch rechtliche Polarisierung dieser in der europäischen Geschichte einzigartigen Entwicklung determiniert.

Die „Eurorettungspolitik“ war und ist äußerst facettenreich hinsichtlich ihrer Akteure und der angeschobenen Rettungsmaßnahmen. Diese Vielschichtigkeit macht es besonders schwierig, die mit ihr verbundenen Vorgänge zu strukturieren, zu analysieren und dann letztlich auch zu evaluieren. In der Komplexität der Entwicklungen in der „Finanzkrise“ und der anschließenden „Eurokrise“ liegt eine besondere Herausforderung für die Frage nach den letztlichen Auslösern der „Krise“. Diese Arbeit möchte einen dieser möglichen Gründe näher untersuchen. Sie wendet sich dafür dem Normativitätsverständnis in der Europäischen Währungsunion zu. Vor dem Hintergrund der angesprochenen Komplexität der Vorgänge wird das Verständnis von Normativität am Beispiel einer bestimmten primärrechtlichen Norm des Unionsrechts untersucht. Diese Arbeit wirft dabei die Frage auf, ob sich dabei Disparitäten beim Normativitätsverständnis in der Europäischen Währungsunion erkennen und auch belegen lassen.

Die Fokussierung auf eine konkrete Norm des Primärrechts dient der Ermöglichung einer thematischen Begrenzung. Gleichzeitig soll so die spezielle Rolle des Rechts als Organisationsmedium hinsichtlich des Zentralbankwesens der WWU im Allgemeinen sowie der Geldpolitik im Speziellen in den Vordergrund gerückt werden. Bei der konkret zu untersuchenden Norm handelt es sich um das Verbot der monetären Staatsfinanzierung aus Art. 123 Abs. 1 AEUV3, das in der normativen Struktur der Währungsunion und für die Kompetenzen der Europäischen Zentralbank eine zentrale Rolle einnimmt. Die vorliegende Arbeit baut insofern mit dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung sowie der Europäischen Währungsunion und dem Verständnis von Normativität auf drei großen thematischen Säulen auf. Sie werden dann in einem letzten Schritt zusammengeführt, um die Frage nach den etwaigen Disparitäten zu beantworten.

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I.) Das Staats- und Rechtsverständnis in der Währungsunion als thematischer Ausgangspunkt

Das jeweils prägende Staats- und Rechtsverständnis in den Staaten der Währungsunion entwickelte sich in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht einheitlich oder gleichartig. Dieser Prozess verlief so unterschiedlich und vielschichtig wie die Geschichte Europas an sich. Als eine Begleiterscheinung der Finanzkrise kann nun erkannt werden, welche Auswirkungen diese unterschiedlichen Rechtskulturen innerhalb Europas haben können, wenn sie aufeinandertreffen.4 Eine Konsequenz aus der Entscheidung für die Kooperation in der EU bestand in der Zusammenführung dieser verschiedenen Rechtskulturen, was gegebenenfalls zur Herausbildung einer gemeinsamen europäischen Rechtskultur hätte führen können.5 Gleichzeitig besteht jedoch spätestens seit dem Vertrag von Lissabon6, der am 1. Dezember 2009 in Kraft trat, mit dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ein gemeinsames Regelwerk, das die Kompetenzen und die Formen der Kooperation innerhalb der Währungsunion verbindlich normiert. Die praktische Anwendung und Auslegung dieses Regelwerkes führt aber nicht erst seit der Finanz- und Staatsschuldenkrise zu intensiven und emotionalen Diskussionen in Europa.7 Gerade Sachverhalte oder Problemstellungen mit Bezug zur ←29 | 30→Währungsunion werden dabei nicht nur im juristischen Kontext diskutiert. Sie sind meist auch zutiefst politisch, ökonomisch und sozial geprägt.8

Die fortschreitende europäische Integration wurde gerade in Deutschland jedoch auch stets juristisch thematisiert und hinterfragt. Neben dem allgemeinen intensiven europarechtlichen Diskurs geschah dies maßgeblich durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs. In Deutschland existiert im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten der Eurozone die umfassendste und detaillierteste verfassungsrechtliche Rechtsprechung zur Wirtschafts- und Währungsunion.9 Sie reicht bis zum Maastricht-Urteil des BVerfG zurück. Das BVerfG sowie der EuGH hatten in der jüngeren Vergangenheit mehrfach über Maßnahmen im Kontext der sogenannten Eurorettung zu entscheiden.10 Dabei spielten die institutionelle Ausgestaltung und die Kompetenzen der Europäischen Zentralbank innerhalb des Europäischen Systems der Zentralbanken eine maßgebliche Rolle. Im Zuge der Eurorettungspolitik sorgte die Auslegung und Anwendung des Art. 123 AEUV nicht nur in der juristischen Öffentlichkeit für intensive Diskussionen.11 Neben den materiell-rechtlichen Aspekten zur Abgrenzung von Währungs- und Wirtschaftspolitik wurde dabei auch die Frage aufgeworfen, wie weit die Funktion von rechtlichen Normen in einer Wirtschafts- oder Staatsschuldenkrise reichen kann.12 Einige der in der ←30 | 31→Eurokrise beschlossenen „Rettungsmaßnahmen“ wiesen nicht selten aufgrund ihres hochpolitischen Charakters eine nur begrenzte Bindungswirkung auf.13

Speziell im Kontext der Wirtschafts- und Währungsunion lässt sich dabei die grundsätzliche Frage aufwerfen, ob es sich hier um so eine hochpolitische Thematik handelt, die schon deshalb einer Strukturierung und Organisation durch das Recht entgegensteht. Einer der Nebeneffekte der Eurokrise kann mithin darin gesehen werden, dass das Rechtsverständnis der zentralen Akteure auf der europäischen Ebene sowie die geografische und kulturelle Zersplitterung beim Verständnis von der Rolle des Rechts an verschiedenen Stellen deutlich erkennbar wird.14

Die unterschiedlichen Auffassungen zu dieser Thematik rufen oftmals starken Dissens in der Währungsunion hervor.15 Im Zuge der Eurokrise wurde zudem stets ein weiteres Auseinanderdriften der „südlichen“ und „nördlichen“ Staaten der Eurozone bezüglich der anzutreffenden Konvergenz befürchtet.16 Diese Befürchtung bezog sich auf den Fall, dass sich das allgemein vorherrschende Verständnis von öffentlichen Finanzen in den Peripheriestaaten auf lange Sicht nicht an die strengeren Maßstäbe der Nordländer angleichen ließe.17 In den nördlichen Mitgliedstaaten wird weiterhin ein als äußerst problematisch bewertetes ←31 | 32→Szenario in der befürchteten schrittweisen Entwicklung der Währungsunion hin zu einer Haftungs- und Transferunion gesehen.18 Vor diesem Hintergrund spielt das Verständnis von Normativität in der Eurokrise eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die juristische Aufarbeitung der Eurokrise wirft neben den konkreten Analysen von Hilfsmaßnahmen oder der Vorgehensweise einzelner Institutionen eben auch sehr grundsätzliche Fragestellungen auf.19

Dabei wird unter anderem die Frage diskutiert, was das Recht in Bezug auf hoch komplexe technokratische Fragestellungen, wie sie sich beispielsweise im Kontext des OMT-Verfahrens gestellt haben, leisten kann und wie es anzuwenden ist.20 Solche Überlegungen sind beispielsweise erkennbar, wenn in konkreten Fragestellungen über die Reichweite von Einschätzungsprärogativen eines technokratisch geprägten Expertengremiums wie des EZB-Direktoriums gestritten wird.21

Neben der Frage einer demokratischen oder gerichtlichen Kontrolle solcher Einschätzungen spielt in solchen Situationen auch die Normativität des Rechts eine Rolle, weil sich in ihr das Verständnis von Regeln und Normen determiniert. Im Verständnis von Normativität liegt ein nicht zu vernachlässigendes Konfliktpotenzial innerhalb der Europäischen Währungsunion. Das Vorhandensein möglicher Disparitäten beim Normativitätsverständnis wurde bereits in der Verhandlung zum OMT-Programm vor dem Bundesverfassungsgericht vom damaligen EZB-Direktor Jörg Asmussen angedeutet. Er gab dort zu Protokoll, dass Notenbanken regelgebundenen Systemen zwar zugeneigt seien, aber nur ←32 | 33→wenige Mitgliedstaaten in der Eurozone dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung eine so hohe Anerkennung entgegenbringen würden.22 In dieser Aussage klingt bereits an, dass der Art. 123 Abs. 1 AEUV sowie insbesondere dessen normativer Gehalt eine besondere Rolle für das deutsche Verständnis der WWU spielt. Der dieser Aussage Asmussens zu entnehmenden These wird im Rahmen dieser Untersuchung nachgegangen.

Die Stoßrichtung der Arbeit geht deshalb nicht dahin, die einzelnen Maßnahmen der EZB zur Eurorettung auf ihre Sinnhaftigkeit hin zu untersuchen und zu bewerten. Der Ansatz ist vielmehr zu versuchen, eine Erklärung dafür zu finden, warum der Umgang mit dem Regelwerk der Europäischen Währungsunion so kontrovers geführt wird. Die Frage, wie man es innerhalb der Währungsunion in Zukunft mit der Befolgung von Regeln und Normen halten möchte, wird von existenzieller Bedeutung sein. Eine etwaige Nichtbefolgung von demokratisch geschaffenen Normen kann die Gefahr enthalten, dass die Währungsunion schrittweise zu einer Haftungsunion transformiert wird und die Grundpfeiler der europäischen Integration schrittweise erodieren.23 Gleichzeitig ist die ausgemachte Missachtung von bestehenden Regeln in verschiedenen Bereichen der Währungsunion bereits als einer der Gründe für die Eurokrise an sich lokalisiert worden.24

II.) Die rechtswissenschaftliche Relevanz der Arbeit

In der Europäischen Währungsunion ist monetäre Staatsfinanzierung nach Art. 123 AEUV verboten. Der genaue Wortlaut der Regelung lautet dabei:

„Art. 123 (ex-Artikel 101 EGV)

Die Lektüre der Norm zeigt bereits auf, dass in der WWU direkte Kredite der Zentralbank ebenso verboten sind wie der unmittelbare Ankauf von staatlichen Schuldtiteln. Der typische Anwendungsfall dafür sind hauptsächlich Staatsanleihen und diesbezügliche Substitute. Unter einer Staatsanleihe ist eine verbriefte Forderung gegenüber dem jeweiligen emittierenden Staat zu verstehen, die wiederum der Staatsfinanzierung dient und so eine alternative Finanzierungsform zur Aufnahme von Krediten darstellt.25 Exemplarisch kann der Prozess so beschrieben werden, dass der ausgebende Staat bei der Emission den jeweiligen Nennbetrag der Anleihe vom Erstanleiheerwerber erhält und sich im gleichen Zug verpflichtet, den erhaltenen Betrag verzinst zum festgelegten Fälligkeitszeitpunkt zurückzuzahlen.26

1.) Die Ausgangssituation des Verbots der monetären Staatsfinanzierung

Eine solche Regelung für die Europäische Währungsunion ist erst einmal kein Alleinstellungsmerkmal. Sie stellt auch keine besonders überraschende Regelung dar. Seit den 1990er Jahren haben vielmehr eine Vielzahl von Staaten, nicht nur in der EU, die gesetzlichen Grundlagen ihrer Zentralbanken reformiert und in diesem Zuge die Finanzierung des Staates durch die Notenbank beschnitten.27 Auf der anderen Seite gehörte diese Vorgehensweise rückblickend über viele Jahre zur gängigen Praxis von relevanten Zentralbanken.28 Dies ←34 | 35→wird im Verlauf dieser Arbeit noch näher aufgezeigt. Als Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2007 und die sich anschließende europäische Staatsschuldenkrise ist nicht nur die Bedeutung des Art. 123 AEUV in der rechtswissenschaftlichen Diskussion deutlich angewachsen. Das Konzept einer monetären Staatsfinanzierung gewann im Zusammenhang mit den „unkonventionellen Vorgehensweisen“ vieler Zentralbanken wieder an Unterstützern. Sie sehen darin einen politisch erstrebenswerten und ökonomisch sinnvollen Ansatz.29 Der Bedeutungszuwachs dieses ökonomischen Konzepts ist auch damit erklärbar, dass unter monetärer Staatsfinanzierung eben nicht nur ein profanes „Gelddrucken mit der Notenpresse“ durch die jeweilige Zentralbank zu verstehen ist. Dahinter können sich vielmehr anspruchsvolle makroökonomische und auch politische Konzepte verstecken.30 Ein aktuell besonders prominentes Beispiel dafür ist der Ansatz der „Modern Monetary Theory“.31 Dieses theoretische ←35 | 36→Konzept ist dem Postkeynesianismus zuzuordnen und zielt darauf ab, die Geldpolitik maßgeblich an bestimmten öffentlichen und sozial erwünschten Zielen zu orientieren. Sie soll beispielsweise für Vollbeschäftigung sorgen und empfundene soziale Ungleichheiten bekämpfen.32 Die gesamte Bandbreite möglicher Anwendungsfälle wird im weiteren Verlauf der Arbeit detailliert erarbeitet und analysiert.

Im Zusammenhang mit der monetären Staatsfinanzierung werden heute diverse unkonventionelle Vorgehensweisen von Zentralbanken diskutiert. Dazu gehören beispielsweise das „Quantitative Easing“, das „Qualitative Easing“ oder auch das wiederentdeckte Konzept des „Helikoptergeldes“.33 In einer breit angelegten Untersuchung des Internationalen Währungsfonds aus dem Jahr 2012 hatten mehr als zwei Drittel der weltweit untersuchten Staaten gesetzliche Restriktionen hinsichtlich einer Kreditvergabe an staatliche Institutionen durch ihre Zentralbank erlassen.34 Dieser Befund zeigt bereits, dass es sich bei Maßnahmen zur Unterbindung von monetärer Staatsfinanzierung bis hin zu einem Verbot nicht um ein europäisches Spezifikum handelt, was unter Umständen lediglich mit den Strukturen der Europäischen Währungsunion oder der wirtschaftshistorischen Prägung einiger ihrer Mitgliedstaaten zu erklären wäre. Diese Restriktionen sind vielmehr Ausdruck eines weltweit verbreiteten ökonomischen Paradigmenwechsels. Gleichzeitig ist es jedoch denkbar, dass die konkrete formelle und materielle Ausgestaltung des Verbots der monetären Staatsfinanzierung im Sinne von Art. 123 Abs. 1 AEUV wiederum als ein Spezifikum der Europäischen Währungsunion zu verstehen ist.

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2.) Gründe für die Themenwahl und Ausgestaltung

Ausschlaggebend für die letztliche Ausgestaltung des Themas dieser Arbeit war das große Interesse an der darin enthaltenen vitalen Querschnittsmaterie aus dem Recht der Europäischen Währungsunion, den tatsächlichen Ereignissen der „Eurokrise“ und den gleichzeitig davon betroffenen rechtstheoretischen Hintergründen. Aus dem Zusammenspiel dieser Komponenten resultierte eine ungewöhnliche und reizvolle rechtswissenschaftliche Perspektive. Die Europäische Währungsunion im Allgemeinen und der Euro als gemeinsame europäische Währung im Besonderen sind schon seit dem Vertrag von Maastricht35 ein zentraler Forschungsbereich der Europarechtswissenschaft. Dies resultiert nicht zuletzt daraus, dass der Vertrag von Maastricht einen Meilenstein der europäischen Integration verkörpert.36 Die EWU führte zu unterschiedlichen Formen der Kooperation ihrer Mitgliedstaaten in staatsrechtlich höchst sensiblen Bereichen, wie der Wirtschafts- und Währungspolitik. Die Teilnahme Deutschlands an der Währungsunion ist nach der Rechtsprechung des BVerfG darauf gemünzt, dass sie als eine „Stabilitätsgemeinschaft“ ausgestaltet ist.37 Für eine solche Stabilitätsgemeinschaft soll das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung, neben dem Gebot der primären Sicherung der Preisstabilität oder der Eigenständigkeit der nationalen Haushalte, ein konstitutives Element sein.38

a) Die veränderte Rolle des Art. 123 Abs. 1 AEUV

Das bereits genannte Verbot der monetären Staatsfinanzierung hat im Zuge der Eurorettungspolitik erhöhte Aufmerksamkeit in Gerichtsverfahren, aber auch in der Literatur bekommen. Die normative Verankerung des Verbots der monetären Staatsfinanzierung erfolgte auf supranationaler Ebene wiederum mit ←37 | 38→dem Vertrag von Maastricht, der am 7. Februar 1992 unterzeichnet wurde und am 1. November 1993 in Kraft trat.39 Die Regelung zur monetären Staatsfinanzierung spielte in den rechtswissenschaftlichen Diskussionen lange kaum eine sichtbare Rolle, was aber wiederum auch weitgehend für die Wirtschaftswissenschaften gelten kann.40 Insofern finden sich auch nur wenige Untersuchungen, die das Verhältnis von monetärer Staatsfinanzierung und unkonventionellen Maßnahmen der Geldpolitik zum Inhalt haben. Diese Nichtbefassung lässt sich größtenteils damit erklären, dass die Erscheinungsformen der monetären Staatsfinanzierung als nicht mandatskonform im modernen Zentralbankwesen galten und daher kaum Aufmerksamkeit fanden.41 Diverse unkonventionelle Ansätze der Geldpolitik werfen jedoch Fragen hinsichtlich ihres Verhältnisses zum Art. 123 Abs. 1 AEUV auf.42 Mehr als 25 Jahre nach seiner Einführung soll diese Arbeit auch eine Bestandsaufnahme dahingehend sein, ob und wie sich das Verbot der monetären Staatsfinanzierung bewährt hat. Darüber hinaus wird die Frage bearbeitet, ob sich im Rahmen der historischen Betrachtung eine Bedeutungsveränderung beim Verbot der monetären Staatsfinanzierung ausmachen lässt.

b) Eine relevante rechtstheoretische Komponente

Im Rahmen der „Eurorettung“ ließ sich immer wieder beobachten, wie innerhalb der Währungsunion über Fragen der Regelbindung, der Ahndung von Regelverstößen und die Notwendigkeit von politischem Ermessensspielraum gestritten wurde.43 So konnte der Eindruck entstehen, dass in verschiedenen Stadien der Staatsschuldenkrise Vorgaben und Regeln immer weiter an Bedeutung ←38 | 39→verloren.44 Dies geschah stets in Situationen mit erheblichem zeitlichem Druck, um letztlich zu einer notwendigen Regelung zu kommen.45

Die Maßnahmen zur „Eurorettung“ verfügen stets auch über eine originär politische Dimension. So war schon zu Beginn der EWU zu beobachten, dass gerade stabilitätsorientierte Vertragsregelungen immer wieder flexibel interpretiert wurden.46 Damit ging ein Verlust an Normativität dieser Regelungen einher.47 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und wie das primäre Unionsrecht dazu in der Lage ist, seine Normativität zu bewahren.48 Es schließt sich die Folgefrage an, ob die als Reaktion auf die Eurokrise erfolgten Änderungen des Unionsrechts normatives Vertrauen für sich beanspruchen können.49 Aus diesem Anlass erscheint es notwendig zu untersuchen, woraus die divergierenden Ansätze bei diesen Themen resultieren.

c) Die signifikante ökonomische Dimension

Die Eurorettungspolitik der EZB beeinflusst darüber hinaus die Unionsbürger und die Unternehmen auch in ihrer privaten finanziellen Situation. Als Folge des historischen Tiefstandes des durch die Zentralbank festgelegten Leitzinses sind auch die Zinsen der Geschäftsbanken für Sparanlagen seit Jahren auf einem verschwindend geringen Niveau.50 Als Folge dessen werden wiederum für Sparguthaben kaum noch Zinsen gezahlt. In den letzten Jahren sind daher allein den Sparern in Deutschland sehr viele Milliarden an Zinserträgen verloren gegangen.51 Diese Situation erfordert wiederum eine Neuorientierung bei den privaten ←39 | 40→Anlegemöglichkeiten. Dies geschieht nur bedingt freiwillig, da dies meist mit einem höheren Investmentrisiko verbunden ist. Aktien, Investmentfonds und Immobilien erleben so einen besonders starken Zulauf. Gerade im Bereich der Immobilien geht dies mit einem signifikanten Preisanstieg einher.52 Ein zentrales Ziel der Anleihekaufprogramme der EZB ist die Anhebung der Inflationsrate durch gezielte Marktstimulierungen. Die Inflation in der Eurozone soll so wieder auf das Zielniveau von unter, aber nahe 2 % gehoben werden. Dieser kurze Überblick hinsichtlich der tatsächlichen Vorgänge macht bereits deutlich, dass die Eurorettungspolitik über klare politische und ökonomische Facetten verfügt. Diese Dimensionen dürfen auch bei einer juristischen Analyse nicht außen vor bleiben.

d) Die Notwendigkeit einer Evaluation der Architektur der WWU

Vor dem geschilderten Hintergrund lässt sich feststellen, dass eine intensive und objektive Aufarbeitung der Defizite in der Architektur der Währungsunion unerlässlich ist, denn diese bildet die Grundlage, um die richtigen Schlussfolgerungen und Konsequenzen für etwaige Reformen zu ziehen. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass Debatten mit einer „technischen Perspektive“ oftmals letztlich als politische Meinungsverschiedenheiten dechiffriert werden können.53 Die Diskussionen im Zuge der Eurokrise über juristische Lösungsansätze und die jeweiligen ökonomischen Interpretationen lassen sich als Beispiel dafür anführen.54 Ein solcher Umstand hat zur Konsequenz, dass im juristischen und ökonomischen Diskurs politische Standpunkte, argumentativ getarnt, untergebracht werden können. So lässt sich doch im Kontext der Integrationsgeschichte der WWU festhalten, dass ihre treibende Kraft, auch bezüglich der rechtlichen Ausgestaltung, letztlich immer die Politik war.55 Sie orientierte sich eben oftmals nicht an der Logik und Klarheit ökonomischer Sachverhalte.56

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III.) Die rechtswissenschaftliche Rezeption der „Eurokrise“

Der Forschungsstand zum hier bearbeiteten Arbeitsthema muss im Gesamtkontext des großen europarechtlichen Themenfeldes der „Eurokrise“ und der „Eurorettung“ gesehen werden. Die „Eurorettungspolitik“ schuf ein neues und sehr breit gefächertes Forschungsgebiet in der Europarechtswissenschaft. Es lässt sich aus verschiedenen Perspektiven heraus bearbeiten. So ähnlich verhält es sich auch mit dem Phänomen der Eurokrise. Es wirft wiederum exemplarisch Fragen nach den Gründen der Krise, den adäquaten Antworten darauf, aber auch nach der Bedeutung für das Recht an sich auf.57

a) Von der „Eurokrise“ zur „Eurorettungspolitik“

Die Europarechtswissenschaft begleitete und rezipierte die Eurokrise sowie die darauffolgende Eurorettung schon seit ihrem Beginn wissenschaftlich. Dabei lassen sich verschiedene Stoßrichtungen zur Herangehensweise an die Thematik ausmachen. Es bietet sich zum einen an, einen rechts- und wirtschaftshistorischen Ansatz zu wählen. Im Rahmen dieses Ansatzes wäre zu hinterfragen, ob die aktuellen Phänomene bereits in der Konstruktion der Währungsunion und der gemeinsamen Währung angelegt sind. Zudem würden die Rettungsmaßnahmen auf ihre Sinnhaftigkeit und Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht und dem nationalen Verfassungsrecht hinterfragt.

Demgegenüber richten viele Autoren ihren Blick bereits in die Zukunft. Viele Veröffentlichungen beschäftigen sich deshalb bereits mit den nötigen Lehren aus der Euro- oder Staatsschuldenkrise. Dabei steht zum einen im Mittelpunkt, wie zukünftig solche systemischen Krisen vermieden werden können und ob die aktuellen Strukturen der Währungsunion zukunftsfähig sind. Damit gehen vonseiten der Rechtswissenschaft auch Reformvorschläge für Veränderungen an der Struktur der Währungsunion und etwaige weitere Schritte in der Europäischen Union einher.58 Zu den gerade angesprochenen Themenbereichen erschienen bereits diverse Monografien, die für diese Arbeit in unterschiedlicher Intensität relevant sind.59

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Die akademischen Diskussionen zu dieser Thematik bekamen fortlaufend neue Impulse. Dies geschah zum einen durch diverse Gerichtsentscheidungen, wie zum Beispiel die einschlägigen Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs.60 Allerdings wurde auch mit diversen Rechtsetzungsakten versucht, die Krise und ihre Folgen unter Kontrolle zu bekommen. Als Beispiel auf der Ebene des intergouvernementalen Rechts kann hier der Fiskalvertrag genannt werden.61

Aber auch die Primärrechtsebene erfuhr Korrekturen, indem der Art. 136 Abs. 3 AEUV im Zusammenhang mit der Schaffung des ESM eingefügt wurde.62 Dieser kurze Abriss verdeutlicht, dass der Gesamtkontext der Eurokrise sowie der Eurorettung ein Themenfeld ist, das in der Europarechtswissenschaft in den letzten Jahren schon eine intensive Behandlung erfuhr und noch immer erfährt. Es ist auch heute noch ein sehr vitales Themenfeld. Viele der Diskussionen sind noch nicht abschließend geklärt. Aufgeworfene Fragen erfuhren keine zufriedenstellende Beantwortung. Es besteht insofern genügend Anlass und Bedarf, um aus diesem Bereich ein Thema für eine Arbeit wie diese zu wählen.

b) Die Bedeutung des OMT-Urteils des BVerfG vom 21. Juni 2016

Die juristische Aufarbeitung der Eurorettung fand mit dem OMT-Programm und den damit verbundenen Gerichtsverfahren ihren vorläufigen Höhepunkt, was jedenfalls schon die quantitative Betrachtung der Veröffentlichungen zu dieser Thematik zeigt. Die Veröffentlichungsintensität lässt sich sowohl auf die inhaltliche Ausgestaltung des Programms und die daraus resultierenden ←42 | 43→Zulässigkeitsfragen als auch auf die verfahrensrechtlichen Fragestellungen zur Ultra-Vires-Kontrolle und der Identitätskontrolle des Bundesverfassungsgerichts zurückführen. Das OMT-Programm veranlasste das Bundesverfassungsgericht jedoch auch zu seiner ersten Vorlage im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens an den Europäischen Gerichtshof. Dieser Umstand belegt bereits die spezielle Bedeutung dieses Verfahrens.63 Aber unabhängig von der Zulässigkeit der Kontrollvorbehalte und dem Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverfassungsgerichts spielte das Verfahren für die materielle Auslegung des Verbots der monetären Staatsfinanzierung eine überragende Rolle. Der Art. 123 AEUV wurde vorher noch nie in dieser Intensität thematisiert und juristisch analysiert.64 Insofern spielen das OMT-Urteil des BVerfG und das Urteil des EuGH in der Rechtssache Gauweiler in dieser Arbeit eine bedeutende Rolle. Eine ebenso große Bedeutung kommt dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Weiss zu.65 Diese Entscheidung hatte einen noch größeren Fokus auf der Auslegung des Art. 123 AEUV sowie den daraus resultierenden Vorgaben für die Anleihekaufprogramme der EZB.66

Im Vorfeld der angesprochenen Entscheidung erschienen sehr viele analytische Artikel und das German Law Journal initiierte sogar eine Spezialausgabe dazu.67 Zudem wurden auch im Nachgang zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts einige Monografien mit Bezug zur Eurokrise veröffentlicht.68 Diese Werke verknüpfen die Geschehnisse der Krise jedoch meist nicht mit den dahinterstehenden rechtstheoretischen Erwägungen, wofür das Verständnis von Normativität ein exemplarischer Anwendungsfall sein kann.69 Sie legen ihren Fokus auf ←43 | 44→bestimmte abgrenzbare Ausschnitte der Eurorettungspolitik, wie beispielsweise die Rolle der Verfassungsgerichte, die Verknüpfung von Recht und Finanzwirtschaft oder die veränderte Rolle der EZB seit der Krise. Die Fülle der Veröffentlichungen ermöglicht insofern den Rückgriff auf einen stabilen Fundus an Materialien und eine gesicherte Abbildung der verschiedenen Meinungsströmungen in der Rechtswissenschaft.

Eine weitere Spezialausgabe des German Law Journal setzte sich im Jahr 2016 mit dem Verhältnis von Demokratie und der Finanzordnung auseinander, was als erste große Reaktion und Rezeption des OMT-Urteils im Speziellen gesehen werden kann.70 Insofern lässt sich erkennen, dass die Rolle des Rechts als Ordnungsmedium für die Finanz- und Wirtschaftsordnung wissenschaftliche Erörterung findet. Dabei wird oftmals die sehr grundsätzliche Frage aufgeworfen, was das Recht in diesem hoch technokratischen Bereich überhaupt leisten kann und ob es gegebenenfalls Bereiche gibt, die sich einer Organisation durch Recht von vornherein entziehen. Das Handeln von Zentralbanken im Rahmen ihrer Geldpolitik ist exakt so ein höchst kompliziertes und technokratisches Gebiet. Die angesprochenen Fragestellungen entfalten genau dort ihre praktische Bedeutung. Dahinter steht letztlich das rechtskulturelle Spannungsfeld von „Regeln“ und „Vorschriften“ gegenüber politischem Ermessen.71

Bei der Analyse der rechtswissenschaftlichen Literatur zur Eurokrise ist weiterhin auffällig, dass die rechtstheoretische Ebene hinsichtlich der Hintergründe und Auswirkungen bisher nicht so intensiv beleuchtet worden ist wie die einzelnen Rettungsmaßnahmen an sich. Dies meint vor allem die Frage, was die jeweiligen Rettungsmaßnahmen für die rechtstheoretische Konzeption der WWU bedeuten. Die vorliegende Arbeit fokussiert sich daher auf die Verknüpfung der einzelnen Themenbereiche, indem sie die Eurorettungspolitik der EZB anhand des Verbots der monetären Staatsfinanzierung analysiert und dies mit rechtstheoretischen Erwägungen zur Bindungswirkung von „Normen“ oder „Recht“ im Allgemeinen verbindet.

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c) Dissertationen mit vergleichbarem thematischem Bezug

Im weit zu verstehenden Themenkomplex der „Eurokrise“ erschienen in den letzten Jahren bereits einige Dissertationen. Viele dieser Arbeiten verfügen über eine charakteristische Gemeinsamkeit. Sie zielen mit verschiedenen Ansätzen auf eine Analyse der Rechtmäßigkeit von diversen seit dem Beginn der „Eurokrise“ implementierten Rettungsmaßnahmen.72 Sie behandeln dabei sowohl unionsrechtliche Fragestellungen als auch solche des nationalen Rechts.

Es existieren zudem bereits Arbeiten, die das Verhältnis von Recht gegenüber Geld und Zentralbankwesen untersuchen. Sie legen insofern einen größeren Fokus auf die rechtstheoretischen Implikationen sowie auf die Funktion des Rechts.73 Einer dritten Kategorie lassen sich solche Dissertationen zuordnen, die sich mit der institutionellen Rolle der EZB und ihren Kompetenzen beschäftigen.74 Es existiert allerdings bisher, soweit ersichtlich, keine Arbeit mit einem konkreten Schwerpunkt auf dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung.

Aus der Betrachtung der bereits veröffentlichten Dissertationen ergibt sich außerdem, dass die Währungsunion, der Euro und die Europäische Zentralbank mit ihrer Geldpolitik schon seit mehr als 20 Jahren thematisch in Dissertationen bearbeitet werden. Dieser Umstand ist aber kein Ausschlusskriterium für eine Arbeit mit thematischen Ähnlichkeiten. Es handelt sich vielmehr um ←45 | 46→ein Themengebiet, das immer wieder neue Rezeptionswellen bekommt. Die Geschehnisse der Finanz- und Eurokrise sorgten hier für einen deutlichen Impuls. Die Entwicklungen im Kontext des OMT-Verfahrens sorgten dafür, dass neue Diskussionen eröffnet und andere Fragestellungen aufgeworfen wurden.75 Der Themenkomplex ist sowohl im rechtswissenschaftlichen Diskurs als auch in den allgemeinen politischen und ökonomischen Diskussionen sehr präsent. Insofern verfügt dieser wenn auch schon oftmals erörterte Themenbereich noch immer über eine hohe Aktualität und Relevanz.

Die vorliegende Arbeit unterscheidet sich jedoch von den angesprochenen bereits existenten Dissertationen. Der Unterschied liegt vor allem in der eingenommenen Perspektive bei der Themenbearbeitung. Im Rahmen dieser Dissertation sind die Fragestellungen nicht primär darauf ausgerichtet, was unter welchen Umständen passierte und ob es rechtmäßig ist. Vielmehr wird gefragt, warum etwas passiert ist und worauf bestimmte Reaktionen auf Geschehnisse zurückzuführen sind. Nach der ersten Rezeptionswelle der „Eurokrise“ mit ihrem Fokus auf der Ausgestaltung der Rettungsmaßnahmen sowie deren unions- und verfassungsrechtlicher Konformität liegt der Fokus hier nun stärker auf den Hintergründen. Diese Arbeit enthält deshalb eine erkennbar rechtstheoretische Komponente. Die Frage nach der Legalität der von der EZB betriebenen Rettungspolitik wird zwar den tatsächlichen Sachverhalt, aber nicht das Ziel der Arbeit bilden. Das Verbot der monetären Staatsfinanzierung als eine der zentralen Normen für die Negativkompetenzen der EZB ist hier der Ausgangspunkt der juristischen Analyse. Sie bildet die Grundlage, um anschließend hinterfragen zu können, ob am Verständnis dieser Norm Disparitäten beim Normativitätsverständnis in der Europäischen Währungsunion zu erkennen sind. Vor diesem Hintergrund lässt sich zusammenfassen, dass die Fokussierung auf das Verbot der monetären Staatsfinanzierung in Verbindung mit der rechtstheoretischen Frage nach dem Verständnis von Normativität dieser Arbeit eine Perspektive und Ausrichtung verschaffen, die so von bereits vorhandenen Dissertationen noch nicht abgedeckt ist.

IV.) Die gewählte Ausrichtung der Untersuchung

Die Stoßrichtung dieser Arbeit ist nicht nur auf die rechtliche Analyse und Bewertung von einzelnen Rettungsmaßnahmen ausgerichtet. Sie entfernt ←46 | 47→sich von dieser „primären Ebene“ bewusst ein Stück, um auf einer „sekundären Ebene“ die grundsätzlichen juristischen Standpunkte aufzuzeigen und zu hinterfragen. Gleichzeitig können die angesprochenen Rettungsmaßnahmen jedoch nicht vollkommen außer Acht gelassen werden, da sie die tatsächlichen Geschehnisse verkörpern, die in dieser Abhandlung bearbeitet sind. Insofern sind gerade die Teile der Eurorettungspolitik für die Arbeit relevant, die einen Bezug zum Verbot der monetären Staatsfinanzierung aufweisen. In diesem Kontext wird daher auf die Geschehnisse rund um die EZB-Rettungspolitik gebührend eingegangen. Allerdings erfolgt die Untersuchung des Art. 123 Abs. 1 AEUV so umfassend, dass die gesamte Bandbreite der monetären Staatsfinanzierung abgedeckt wird. Auf diese Weise soll aufgezeigt werden, dass die Bedeutung des Verbots der monetären Staatsfinanzierung nicht nur auf die Anleihekaufprogramme der EZB zu reduzieren ist. Die Norm beeinflusst vielmehr auch die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Die Vorgehensweise lässt sich so zusammenfassen, dass die Eurorettungspolitik für diese Arbeit den zugrunde liegenden thematischen Anknüpfungspunkt bildet, jedoch eben nicht die hauptsächliche juristische Analyse. Sie ist nämlich darauf ausgerichtet zu hinterfragen, ob sich anhand der Interpretation des Verbots der monetären Staatsfinanzierung Disparitäten beim Verständnis von Normativität innerhalb der Mitgliedstaaten der Währungsunion ausmachen lassen.

1.) Die Entscheidung für einen induktiven Ansatz

Der wissenschaftliche Mehrwert einer Arbeit, die versucht, die Euro- oder Staatsschuldenkrise an sich in ihren Ursachen und Auswirkungen zu analysieren, wäre jedenfalls zweifelhaft. Eine inhaltliche Begrenzung und prägnante Formulierung ist in diesem Zusammenhang obligatorisch. Nur so kann eine Analyse mit der erhofften Schärfe und Tiefe stattfinden. Dem Themenkomplex der Eurokrise ist die Gefahr immanent, dass eine Vermischung verschiedener Fragestellungen und Themenbereiche stattfindet. Insofern bietet sich für die Bearbeitung der hier betroffenen Fragestellungen ein vornehmlich induktiver Ansatz an. Mit dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung (Art. 123 AEUV) wurde bewusst eine ganz bestimmte Norm als Ausgangspunkt gewählt. Dieser gewählte Ansatz soll es ermöglichen, von dem zugrunde liegenden Sachverhalt bewusst eine gewisse Distanz zu schaffen. Aus dieser Perspektive wird anschließend versucht zu verstehen, warum die beschriebenen Maßnahmen innerhalb der Währungsunion in juristischer, ökonomischer und auch politischer Hinsicht so umstritten sind. Der bisherige rechtswissenschaftliche Fokus liegt, wie bereits oben beschrieben, sehr stark auf der Analyse der Legalität von in der Eurokrise ←47 | 48→gewählten Rettungsmaßnahmen. Es wird jedoch weniger hinterfragt, wo das große Konfliktpotenzial der Eurorettung und die sich teilweise unversöhnlich gegenüberstehenden Standpunkte herrühren.

a) Die Thematisierung von grundsätzlichen Fragestellungen

Die gewählte Vorgehensweise ermöglicht es, sich im Verlauf der Arbeit vom Speziellen in das Grundsätzliche fortzubewegen. Die gewonnenen Erkenntnisse zum Verständnis von Normativität anhand des Verbots der monetären Staatsfinanzierung werden am Ende der Arbeit in den Gesamtkontext der Währungsunion eingeordnet. Dabei lässt sich dann exemplarisch die Frage aufwerfen, was für ein Normativitätsverständnis im supranationalen Kontext einer Währungsunion sinnvoll oder notwendig erscheint. Zudem könnte ebenfalls thematisiert werden, wie sich die Kooperation in supranationalen Institutionen auf das Spannungsverhältnis zwischen Regelbindung und politischen Ermessensentscheidungen auswirkt.76

Insgesamt soll die Arbeit in der Gesamtbetrachtung mithin eine gewisse Evolution aufweisen. Sie manifestiert sich darin, dass der Versuch unternommen wird, aus dem Verständnis von Normativität hinsichtlich der EZB-Kompetenzen Rückschlüsse auf die Gesamtsituation in der Währungsunion zu ziehen. So kann die Frage aufgeworfen werden, ob und wie die Rolle von vorherrschenden Rechts- und Wirtschaftskulturen in der Europäischen Währungsunion bedacht wurde.77 Für diesen Teil der Untersuchung wird der methodische Ansatz einer „Kulturtheorie des Rechts“ genutzt.78 Der Ansatz ermöglicht die Berücksichtigung eines kulturellen Vorverständnisses bei der Betrachtung rechtlicher ←48 | 49→Phänomene.79 Die „Kulturtheorie des Rechts“ bildet die methodische Plattform zur Beantwortung der hier aufgeworfenen Fragen. Die genaue Konzeption dieser Theorie ist detailliert im Abschnitt zur Normativität erläutert. Die bewusste Entfernung von den tatsächlichen und juristischen Entwicklungen dient letztlich dazu, einen geschärften Blick für die relevanten rechtstheoretischen Zusammenhänge erhalten zu können.

b) Einordnung in die laufenden Reformdiskussionen

In den aktuellen politischen Diskussionen um die Zukunft der Währungsunion mangelt es nicht an Reformvorschlägen, um die Zukunftsfähigkeit der gemeinsamen Währung zu sichern. Oftmals wird dabei die Gründung eines europäischen Währungsfonds, der wohl aus dem schon bestehenden ESM heraus entwickelt werden soll, oder auch die Einführung einer sogenannten Wirtschaftsregierung der Eurozone gefordert.80 In eine ähnliche Richtung geht der Ansatz der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments zur Schaffung eines europäischen Schatzamtes.81 Ein solches Schatzamt soll dann zukünftig für eine bisher noch nicht existente Fiskalkapazität zuständig sein.82 Dies entspräche einem zentralen Haushalt der Eurozone, der die Auswirkungen von etwaigen ökonomischen Schocks dämpfen könnte.83 Zudem wird schon seit geraumer Zeit über die Zulässigkeit und Sinnhaftigkeit von Eurobonds gestritten.84 Eine andere, insbesondere in Deutschland oft artikulierte Forderung ist die Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes mit einer Ergänzung von automatisch angeordneten Strafen für Defizitsünder.85

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Wenn solche Forderungen jedoch als seriöse politische Reaktionsmöglichkeiten wahrgenommen werden sollen, ist erst einmal eine vollständige Analyse etwaiger struktureller Mängel des normativen Status quo geboten. Diese Arbeit möchte dazu ihren wenn auch kleinen Beitrag leisten.

2.) Formulierung von Thesen für den weiteren Verlauf der Arbeit

Für diese Arbeit gilt es einige Thesen vorab zu formulieren. Sie dienen zur Orientierung bei der Bearbeitung der bereits aufgeworfenen thematischen Fragestellungen. Folgende Thesen sollen dieser Arbeit zugrunde liegen:

1. Das Verbot der monetären Staatsfinanzierung hat so großes Konfliktpotenzial, weil die damit verbundenen Verhaltensweisen von Zentralbanken in anderen Staaten im Rahmen ihrer „Offenmarktpolitiken“ ganz selbstverständlich praktiziert werden. Die EZB unterscheidet sich sowohl in ihren Kompetenzen als auch in ihrer Zielsetzung jedoch von anderen großen Zentralbanken wie der Federal Reserve in den USA oder der Bank of Japan. Die Differenzen resultieren aus der Tatsache, dass die EZB die Zentralbank eines europäischen Staatenverbundes und gerade nicht die Zentralbank eines souveränen einzelnen Staates oder eines föderalen Bundesstaates ist.

2. Vor dem Hintergrund der asymmetrischen Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion ist es der EZB daher untersagt, eine monetäre Staatsfinanzierung zu betreiben. Sie würde die Verpflichtung der EZB zur vorrangigen Sicherung von Preisstabilität gefährden, da ihr ein erhebliches Inflationsrisiko innewohnt. Zudem würde eine monetäre Staatsfinanzierung die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Wahrung von Haushaltsdisziplin entwerten.

3. Das Verbot der monetären Staatsfinanzierung ist aber nötig, um das Konzept der WWU als „Stabilitätsgemeinschaft“ zu verwirklichen. Nur so können die disziplinierenden Kräfte der Finanzmärkte ihre Wirkung entfalten und eine politische sowie faktische Unabhängigkeit der EZB sichergestellt werden.

4. Die unterschiedlichen Auffassungen zum Verbot der monetären Staatsfinanzierung rühren bereits bis in die Verhandlungen zur Schaffung der WWU zurück. Eine gemeinsame „Geschäftsgrundlage“ hinsichtlich einer einheitlichen Interpretation zum heutigen Art. 123 AEUV wurde dort nicht erarbeitet.

5. Am Beispiel des Art. 123 AEUV lässt sich erkennen, dass es innerhalb der Europäischen Währungsunion keinen einheitlichen Standpunkt zur einheitlichen Anwendung von Regeln im Sinne einer „unionsrechtlichen Compliance“ gibt. In der juristischen und politischen Diskussion über die Legitimität der Rettungspolitik der EZB in der Eurokrise manifestiert sich diese Disparität. ←50 | 51→Insbesondere bei der Frage, ob das Verbot der monetären Staatsfinanzierung durch die Einrichtung des ESM und die Anleihekaufprogramme der EZB in unzulässiger Weise umgangen wird, lässt sich die Existenz dieser nicht einheitlichen Auffassung registrieren.

6. Die einheitliche Anwendung der selbst auferlegten Regeln ist jedoch für die als Rechtsgemeinschaft konzipierte EU existenziell. Eine Rechtsstaatsunion, wie sie Art. 2 Satz 1 EUV fordert, kann allerdings nur gewährleistet werden, wenn es eine konsequente und glaubwürdige Bindung an das Unionsrecht gibt.

7. Die divergierenden Auffassungen zur Rolle des Rechts und der Einhaltung von selbst auferlegten Regeln in den Mitgliedstaaten der WWU kann auf unterschiedliche Wirtschafts- und Staatsorganisationskulturen zurückgeführt werden. Das Verhältnis zu Regeln und Normen als Organisationsinstrument des Wirtschaftssystems ist Ausfluss einer wirtschaftskulturellen Vorprägung und fußt insofern auf einem bestimmten Vorverständnis von Recht.

3.) Der gewählte Gang der Untersuchung

In einem ersten Schritt erfolgt eine detaillierte Erläuterung des Phänomens der monetären Staatsfinanzierung. Zur umfassenden Illustrierung des Phänomens der monetären Staatsfinanzierung dient dabei auch eine exemplarische Darstellung einiger denkbarer Maßnahmen einer Zentralbank. Diese werden auch hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit Art. 123 Abs. 1 AEUV untersucht. Der nächste große Themenblock besteht aus einer vollumfänglichen Analyse des Verbots der monetären Staatsfinanzierung. Die oben bereits zitierte Norm wird dabei umfassend hinsichtlich ihrer Tatbestandsmerkmale, ihres Verhältnisses zu anderen primärrechtlichen Regelungen der Währungsunion sowie ihrer Rezeption in Rechtsprechung und Literatur analysiert. Die besondere Rolle der Regelung innerhalb der Strukturen der Wirtschafts- und Währungsunion wird dabei speziell erläutert. Dies ist insofern angebracht, als der Art. 123 Abs. 1 AEUV eine zentrale Rolle in der juristischen Diskussion hinsichtlich der Bekämpfung der Eurokrise einnahm und dadurch erstmals in diesem Ausmaß in den rechtswissenschaftlichen Fokus rückte.86

Darauf folgen Vergleiche mit anderen relevanten Zentralbanken hinsichtlich der Ausgestaltung ihres Zentralbankmandats und etwaiger Erfahrungen mit ←51 | 52→dem Institut der monetären Staatsfinanzierung. Sie sollen beleuchten, inwiefern sich die Kompetenzen, Ziele und Handlungsmöglichkeiten der Zentralbanken unterscheiden können, sowie einige Spezifika der Europäischen Zentralbank herausarbeiten.

Im weiteren Verlauf der Arbeit folgt anschließend eine Einbettung des Themas in die größeren tatsächlichen Zusammenhänge sowie in die Historie und Struktur der Europäischen Währungsunion. Das Prozedere und die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der Eurozone sind im Rahmen der historischen Entwicklung der Währungsunion besonders zu thematisieren. Dieser Themenkomplex kann nämlich als passendes Beispiel für die Rolle des Rechts als Organisationsmedium in der Wirtschafts- und Währungsunion sowie die Umgangsweise mit Recht an sich dienen.87 Auf die relevante höchstrichterliche Rechtsprechung zu den jeweiligen inhaltlichen Abschnitten wird im Verlauf dieser Arbeit stets detailliert eingegangen.

Die Ausführungen zur Normativität im Allgemeinen und dem Normativitätsverständnis in der Europäischen Währungsunion im Speziellen bilden dann den nächsten thematischen Schwerpunkt. In diesem Abschnitt ist den Fragen nachzugehen, wie Normen überhaupt zu verstehen sind und welche Funktion sie erfüllen können. Die Rolle des Rechts in der Währungsunion wird vor dem Hintergrund des für die europäische Integration prägenden Konzepts der Rechtsgemeinschaft beleuchtet. Neben Aspekten der Rechtsgeltung liegt hier die besondere Aufmerksamkeit auf der möglichen Wirkungsweise sowie den Aufgaben des Rechts in einer supranational organisierten Währungsunion. Dies geschieht vor dem Hintergrund der anschließenden grundsätzlicheren Frage dieser Arbeit, ob sich etwaige Disparitäten beim Normativitätsverständnis in der Europäischen Währungsunion ausfindig machen lassen. Falls sich solche Disparitäten tatsächlich methodisch sauber identifizieren lassen, wäre anschließend die Frage nach ihrer Herkunft und Bedeutung zu thematisieren.

Details

Seiten
562
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631820926
ISBN (ePUB)
9783631820933
ISBN (MOBI)
9783631820940
ISBN (Paperback)
9783631810453
DOI
10.3726/b16911
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (April)
Schlagworte
Eurokrise Rechtsgemeinschaft Rechtskultur Vorverständnis Staatsverschuldung Wirtschaftskulturen Konvergenz Zentralbanken Geldschöpfung
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 562 S.

Biographische Angaben

Tim Schöffski (Autor:in)

Nach dem Abitur am Gymnasium Lehrte studierte Tim Schöffski Rechtswissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen und der Yeditepe Universität Istanbul. Im Juni 2016 legte er die Erste Juristische Prüfung ab und begann anschließend mit den Arbeiten an seiner Dissertation. Seit Dezember 2018 ist er Rechtsreferendar im Zuständigkeitsbereich des OLG Celle, eingesetzt am LG Lüneburg.

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Titel: Das Verbot der monetären Staatsfinanzierung  (Art. 123 AEUV )
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