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Kartellrecht & digitale Plattformen

Bieten die analogen Kartellvorschriften Lösungen für die digitale Ökonomie auf zweiseitigen Märkten?

von Alexander Kurgan (Autor:in)
©2020 Dissertation 250 Seiten

Zusammenfassung

Digitale Plattformen haben zu ungeahnten Verschiebungen der bisher bekannten Märkte und Dienstleistungen geführt. Die Verarbeitung ungeahnter Mengen personenbezogener Daten ermöglichen neue, bessere Dienstleistungen. Die Kehrseite dieser Entwicklung liegt in der Konzentration großer Datenmengen in der Hand einiger weniger Akteure, die ein Bestehen am Markt für Newcomer ganz wesentlich erschweren. Der Verfasser untersucht anhand des Instruments der kartellrechtlichen Zugangsansprüche nach der «Essential-Facilities-Doktrin», ob die dem analogen Zeitalter entspringenden Kartellvorschriften mit dieser Entwicklung Schritt halten können. Außerdem zeigt er Möglichkeiten auf, in datenschutzkonformer Weise Zugangsansprüche für Wettbewerber zu personenbezogenen Daten auszugestalten.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Wettbewerbsrecht im Kontext digitaler Plattformen und Big Data
  • I. Die Plattformökonomie
  • 1. Wirtschaftliche Bedeutung
  • 2. Gründe für den Siegeszug der Plattformen
  • 3. Die Nutzbarmachung der Digitalisierung
  • a) Relevante Geschäftsmodelle
  • aa) Online-Marktplätze
  • bb) Mobile Ökosysteme und Anwendungsvertriebsplattformen (App Stores)
  • cc) Internetsuchdienste
  • dd) Soziale Netzwerke und Content-Plattformen
  • ee) Werbeplattformen
  • b) Vorteile für die Unternehmen
  • c) Die Wertschöpfungskette der Daten
  • II. Big Data im Fokus des Wettbewerbsrechts
  • 1. Der Datenbegriff
  • a) Allgemeines
  • b) Personenbezogene Daten
  • 2. Die Dimensionen von „Big Data“
  • 3. Abbau des digitalen Rohstoffs oder: Wege der Datenakquise
  • 4. Daten als Machtfaktor im Wettbewerb
  • a) Daten als Infrastrukturressource
  • b) Big Data als Markteintrittsbarriere
  • c) PeopleBrowsr v. Twitter
  • III. Die wettbewerbsrechtliche Relevanz digitaler Plattformen bei der Datennutzung
  • 1. Schnittstellen sozialer Netzwerke als Essential-Facility
  • 2. Charakteristika digitaler Märkte und Plattformen
  • a) Mehrseitige Marktbeziehungen
  • aa) Wettbewerbsrechtliche Relevanz der Netzwerk- und Lock-in-Effekte
  • (1) Wirkungsweise
  • (2) Untersuchung der Auswirkungen auf den Wettbewerb im Einzelfall
  • (3) Bewertung
  • bb) Interaktion mit verschiedenen Nutzergruppen
  • b) Notwendigkeit des Zugangs zu großen Datenpools
  • IV. Bestimmung des sachlich relevanten Marktes
  • 1. Grundsätze
  • 2. Abgrenzung von Plattformmärkten
  • a) Annahme eines Marktes trotz unentgeltlicher Leistung
  • b) Alternative Parameter für einen modifizierten SSNIP-Test
  • aa) Ersetzung der monetären Gegenleistung
  • bb) Ermittlung der Substitutionsbeziehung durch qualitative Parameter
  • cc) Zwischenergebnis
  • c) Plattformspezifische Adaptionen der Marktabgrenzung
  • aa) Differenzierte Abgrenzung der verschiedenen Marktseiten
  • bb) Einbeziehung des Inputs in die Marktabgrenzung
  • cc) Anwendung eines plattformmarktspezifischen Bedarfsmarktkonzepts
  • (1) Onlinesuche
  • (2) Soziale Netzwerke
  • (3) Stärkere Berücksichtigung der Marktentwicklung
  • (4) Alternativen zur Marktabgrenzung
  • d) Fazit
  • V. Marktmacht auf Plattformmärkten
  • 1. Ermittlung der marktbeherrschenden Stellung auf einseitigen Märkten
  • 2. Ermittlung der marktbeherrschenden Stellung auf Plattformmärkten
  • a) Plattformökonomische Grundsätze
  • b) Marktbeherrschung auf Suchmaschinenmärkten
  • c) Marktbeherrschung im Bereich Social Media
  • d) Weitere relevante Kriterien
  • e) Fazit
  • B. Digitale Plattformen als Essential-Facilities des 21. Jahrhunderts
  • I. Möglichkeiten der Zugangsverschaffung
  • II. Die Essential-Facilities-Doktrin als Ausdruck eines Spannungsverhältnisses
  • III. Rechtsentwicklung
  • 1. Ursprünge
  • 2. Rechtsprechung des EuGH
  • a) Magill
  • b) Bronner
  • c) IMS Health
  • d) Microsoft
  • aa) Unerlässlichkeit
  • bb) Ausschluss des wirksamen Wettbewerbs
  • cc) Objektive Rechtfertigung
  • dd) Zwischenfazit
  • 3. Digitale Plattformen als Essential-Facilities
  • a) Gegenstand eines Zugangsrechts
  • b) Kriterium der Unerlässlichkeit
  • aa) Intermediäre des Internets
  • (1) Der Google-Suchmaschinenindex
  • (2) Google Shopping
  • (3) Der Query-Prozessor
  • (4) Amazon
  • bb) Zugang zu Datenbeständen
  • cc) hiQ Labs, Inc. v. LinkedIn Corp.
  • dd) Maschinengenerierte Daten
  • (1) Wirtschaftliche Nutzbarmachung
  • (2) Zuordnung der Daten
  • (a) Maschinengenerierte Daten als Gegenstand eines Schutzrechts
  • (b) Keine Notwendigkeit der Schaffung eines Datenerzeugerrechts
  • (3) Konzeption eines Zugangsanspruchs
  • ee) App Stores für mobile Ökosysteme
  • ff) Neue Beurteilungsansätze
  • (1) Analyse der begehrten Datensätze
  • (2) Missbrauch relativer Marktmacht
  • gg) Zwischenergebnis
  • c) Erfordernis eines neuen Produktes
  • aa) Bisherige Linie der Rechtsprechung
  • bb) Folgen für die Plattformökonomie
  • d) Objektive Rechtfertigung
  • aa) Stand der Rechtsentwicklung
  • (1) Allgemeines
  • (2) Bedeutung des Kriteriums der Effizienzvorteile
  • bb) Objektive Rechtfertigung für digitale Plattformen
  • (1) Feststellung schützenswerter Investitionsanreize
  • (2) Prüfung der Erforderlichkeit und Angemessenheit der Zugangsverweigerung zum Schutz der Investition
  • (3)   Prognose der Auswirkungen der Zugangsverweigerung auf die Konsumentenwohlfahrt
  • (4) Berücksichtigung der Dynamik des Marktgeschehens
  • (a) Rolle des Erfordernisses eines neuen Produktes
  • (b) Untersuchung der Geschäftsstrategie insgesamt
  • (5) Zwischenergebnis
  • e) Beweislast
  • 4. Rechtsfolge
  • a) Allgemeines
  • b) Gewährleistung des Zugangs
  • c) Der Zeitfaktor in der Kartellrechtsdurchsetzung
  • aa) Vorzüge des einstweiligen Rechtsschutzes
  • bb) Einstweilige Maßnahmen
  • cc) Einsatzmöglichkeiten für Überwachungstreuhänder
  • C. Abstimmung des Datenschutzrechts und Kartellrechts für digitale Sachverhalte
  • I. Stand der Diskussion
  • II. Notwendigkeit einer stärkeren Verzahnung
  • III. Recht auf Datenübertragbarkeit, Art. 20 DSGVO
  • 1. Zielrichtung
  • 2. Tatbestand
  • a) Problematik der „bereitgestellten“ personenbezogenen Daten
  • b) Erfassung von Daten mit Drittbezug
  • c) Einschränkungen
  • d) Rechtsfolgen
  • 3. Einordnung
  • IV. Datenschutzrechtliche Implikationen für die Datenzugangsgewährung
  • 1. Anwendbarkeit
  • a) Anonymisierung
  • b) Pseudonymisierung
  • 2. Rechtfertigung der Zugangsgewährung zu personenbezogenen Daten
  • a) Berücksichtigung der Datenschutzgrundsätze
  • aa) Grundsatz der Zweckbindung
  • bb) Grundsatz der Datenminimierung
  • cc) Kritik
  • b) Rechtfertigungstatbestände im Einzelnen
  • aa) Einwilligung
  • bb) Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung
  • cc) Zweckänderung
  • (1) Rechtsnatur des Art. 6 Absatz 4 DSGVO
  • (2) Notwendigkeit der primärrechtskonformen Auslegung
  • (3) Rechtsrahmen des Artikel 6 Absatz 4 DSGVO
  • (4) Zweckverbindung und Kontext der Weiterverarbeitung
  • (5) Beurteilung nach der Art der Daten
  • (6) Analyse der Folgen für die Betroffenen
  • (7) Analyse am Beispiel der Rechtssache hiQ Labs, Inc. v. LinkedIn Corp.
  • (8) Das Vorhandensein geeigneter Garantien
  • (9) Grundentscheidung zugunsten der Souveränität der Betroffenen
  • (a) Maßstab für die Beurteilung der Zweckänderung
  • (b) Wahrung der Nutzersouveränität bei der Umsetzung von Zugangsansprüchen
  • c) Schlussfolgerungen für die datenschutzrechtliche Zulässigkeit einer Zugangsgewährung
  • D. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick
  • 1. Zu den plattformökonomischen Rahmenbedingungen
  • 2. Zur Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes
  • 3. Zur Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung
  • 4. Zum Tatbestand der Essential-Facilities-Doktrin
  • 5. Zur Möglichkeit der objektiven Rechtfertigung
  • 6. Zur Anpassung der Abhilfemaßnahmen/Rechtsfolgen
  • 7. Zum Verhältnis des Datenschutzrechts und des Kartellrechts bei digitalen Sachverhalten
  • 8. Ausblick
  • E. Kartellrecht und digitale Plattformen – bieten die analogen Kartellvorschriften Lösungen für die digitale Ökonomie auf zweiseitigen Märkten?
  • Literaturverzeichnis

A. Wettbewerbsrecht im Kontext digitaler Plattformen und Big Data

Die digitale Ökonomie lässt sich als Gegenstand dieser Untersuchung mit zwei Begriffen beschreiben: „Plattformen“ und „Big Data“. Digitale Plattformen dienen als Mittler zum Austausch von Waren und Dienstleistungen, aber auf Unternehmensseite auch immer häufiger als Schlüssel zur für sie elementaren Ressource, den Daten. Möglich macht dies eine Entwicklung, die heutzutage mit dem schillernden Begriff „Big Data“ umschrieben wird – eine derartig komplexe Entwicklung, die sich folgerichtig einer allgemeinen, allumfassenden Definition entzieht. Kurz gesagt umschreibt Big Data die Möglichkeit der Unternehmen, auf Datensätze zuzugreifen, „deren Größe die Kapazität und Fähigkeit klassischer DatenbankSoftwaretools zur Erfassung, Speicherung, Verarbeitung und Analyse übersteigt“.1 Ganz gleich ob im Kontext digitaler Plattformen oder dem thematisch nahestehenden „Internet der Dinge“: In der Literatur kann man einen gewissen Zwang ausmachen, die passende Metapher für die Ressource „Daten“ zu finden, zu widerlegen oder gar Sinn oder Unsinn der Metaphernsuche insgesamt zu erörtern. So schwierig sich nämlich die Suche nach dem passenden Vergleichsmodell darstellt, so schwierig ist auch die Einordnung des Datums aus wettbewerbsrechtlicher Sicht, denn die Eigenschaften und Wirkweisen in Bezug auf den Wettbewerb sind gänzlich neu und kaum erforscht. Die ‚Mutter aller Metaphern‘ ist wohl dem britischen Mathematiker Clive Humby zuzuschreiben,2 der Daten als „the new oil“ adelte, eine Betrachtungsweise, die in der Folge auch im deutschen Sprachraum nutzbar gemacht wurde, um die tiefgreifenden Veränderungen, die mit der ‚Erfindung‘ der digitalen Ökonomie einhergehen, einordnen zu können.3 Dem wird entgegen gehalten, dass Daten regelmäßig nicht rival oder homogen seien, mithin nicht von einem einzigen Nutzer verbraucht werden können.4 Ferner handelt es sich bei personenbezogenen Daten nicht um eine leblose dickflüssige Masse, sondern um die Abbildung ←13 | 14→der Persönlichkeit real existenter Menschen. Somit ist der ‚Stoff‘ Datum nicht wertneutral, sondern von erheblicher persönlichkeits- und datenschutzrechtlicher Relevanz.5 Aufgrund der angeblichen Unverbrauchbarkeit und nichtausschließlichen Nutzbarkeit werden deshalb Parallelen zu Sonnenstrahlen gezogen.6 Dennoch benötigen Daten – ähnlich wie Rohöl – eine aufwändige Aufbereitung zur Wertschöpfung7 und ebenso enthalten Daten soziales und politisches Konfliktpotenzial – ähnlich wie fossile Brennstoffe. Für die folgenden Überlegungen sollte es aber genügen, sich der enormen Bedeutung der Daten für die heutige Wirtschaft bewusst zu werden: Die wirksame Sammlung und Aufbereitung gewaltiger Mengen an Daten erlaubt die zielgerichtete Schaltung von Werbung, die Verbesserung der Produktpalette oder die Erschließung völlig neuer Märkte, sodass sich das Verhältnis zwischen Anbietern und Kunden dank Big Data und Big Analytics grundlegend wandelt.8 Digitale Plattformen sammeln ihrem Geschäftsmodell, ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen und ihrer ökonomischen Idee entsprechend eine Vielzahl von Daten aller Art. Aus wettbewerbsrechtlicher Perspektive sind diese somit in zweierlei Hinsicht von enormer Bedeutung: Zum einen fungieren sie als ‚digitaler Wochenmarkt‘ mit ungeahnten Konzentrationspotenzialen, auf dem ihr Betreiber selbst einen Stand eröffnen und gleichzeitig Konkurrenten ausschließen kann, sodass marktmächtige Unternehmen ihre Stellung durch missbräuchliche Praktiken konsolidieren können. Zum anderen verfügen sie über einen beträchtlichen Datenschatz, der in Rohform oder aufbereitet einen schier uneinholbaren Wettbewerbsvorsprung begründen kann. Diese neuartigen Marktstrukturen vermögen durch Konzentration beachtliche Innovationen und Effizienzsteigerungen zu ermöglichen, doch drohen diese dynamischen Wettbewerbsstrukturen alsbald zu erlahmen. In besonderen Fällen ist zur Reinitialisierung des Wettbewerbs oder der Ermöglichung neuer Waren bzw. Dienstleistungen der einschneidende Weg der wettbewerbsrechtlichen Intervention eine denkbare Alternative – so zum Beispiel in Gestalt eines Zugangsrechts zu Datensätzen oder eines Aufnahmeanspruchs in einen Suchmaschinenindex. Im größeren Kontext soll diese Untersuchung einen Beitrag zur Beantwortung der Frage leisten, ob die Kartellvorschriften Lösungen ←14 | 15→für die digitale Ökonomie auf zweiseitigen Märkten bieten. Die Diskussionen hierzu sind facettenreich und kontrovers. Das Bundeskartellamt hält die kartellrechtlichen Vorschriften im Grundsatz dafür geeignet, im digitalen Umfeld zu bestehen und fordert lediglich einige Anpassungen.9 Körber zweifelt wiederum an der Tragfähigkeit althergebrachter wettbewerbsrechtlicher Instrumente und Analysemethoden, sieht indes momentan keine veritablen Alternativen.10 Er mahnt ferner an, nicht die Kernaufgabe des Kartellrechts – den Schutz des Wettbewerbs – aus den Augen zu verlieren, indem die scharfen Schwerte der Kartellbehörden für die Lösung digitaler Problemstellungen im Anwendungsbereich anderer Rechtsmaterien gezogen werden.11

Unter Berücksichtigung dieser Diskussionen und der besonderen Mechanismen der digitalen Ökonomie sollen anhand dieser Leitfragen die Voraussetzungen und Grenzen einer Intervention ermittelt werden:

Gibt es einen wettbewerbsrechtlichen Zugangsanspruch zu den Plattformen oder Datenbeständen?

In welchem Verhältnis steht das Wettbewerbsrecht zum Datenschutzrecht unter der Berücksichtigung der Berechtigungs- und Interessenlage an den verschiedenen Datenformen?

Hierzu muss zunächst ein Blick auf die Spezifika digitaler Plattformen und die Rolle von Daten für den Erfolg ihrer zugrunde liegenden Geschäftsmodele geworfen werden. Wie lassen sich die verschiedenen Datenformen systematisieren, wie werden diese wirtschaftlich verwertet und welche Rolle spielen sie in der Kartellrechtspraxis?

Das Spannungsverhältnis zwischen der rechtmäßigen Ausübung eines ausschließlichen Rechts, welches in Gestalt von Zugangs- bzw. Lizenzverweigerung zu einem Ausschluss von einem nachgelagerten Markt führt, und dem Interesse an einem frei zugänglichen Markt wird im EU-Kartellrecht seit den Hafenentscheidungen der Kommission durch Anwendung der Essential-Facilities-Doktrin aufgelöst. Diese dem amerikanischen antitrust law entnommene Rechtsfigur ist seit jeher in ihren Voraussetzungen umstritten, im US-Fallrecht nicht durchgängig anerkannt und auch der Europäischen Gerichtshof erkennt sie zwar in der Sache an, nennt sie allerdings nicht beim Namen.12 Diese Erwägungen ←15 | 16→werden im Recht der Europäischen Union im Verbot des marktmissbräuchlichen Verhaltens, Art. 102 AEUV verankert, sodass zunächst darauf einzugehen sein wird, inwieweit die Konzepte der Marktabgrenzung und der Identifikation einer marktbeherrschenden Stellung à jour sind. Kern der Untersuchung ist die Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen den Rechten und Interessen des Plattforminhabers und dem freien Wettbewerb. Ein ähnliches Spannungsverhältnis ist aus dem Immaterialgüterrecht bekannt: Weist der Zugangspetent ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Lizensierung eines Schutzrechts nach, kann er gemäß § 24 PatG eine Zwangslizenz erstreiten. Das öffentliche Interesse ist begrifflich viel weitreichender als das rein wettbewerblich orientierte Kartellrecht: So kann eine Zwangslizenz auch auf gesundheitspolitischen Erwägungen beruhen.13 Liegt jedoch ein öffentliches Interesse wirtschaftlicher Natur vor, so sind die Vorschriften auch parallel anwendbar.14

Die Anwendung der Essential-Facilities-Doktrin wird jedoch, so umstritten sie seit jeher ist, fortlaufend für neue Anwendungsbereiche diskutiert. Entsprechend dem in § 19 Absatz 2 Nr. 4 GWB kodifizierten Leitbild waren zunächst Infrastruktureinrichtungen aller Art als Zugangsobjekte diskutiert worden. Seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Sache Magill15 gilt dies jedoch auch für Immaterialgüterrechte. Untersucht wurde exemplarisch auch ein hypothetischer Missbrauch der Befugnisse der Domainvergabestelle DENIC.16 Somit erscheint es nur folgerichtig, die Marktkonzentrationspunkte der digitalen Ökonomie unter diesen Aspekten näher zu untersuchen. In diesem Zusammenhang wurde bereits diskutiert, den Google-Suchindex als eine solche Einrichtung zu qualifizieren.17

Nach der Überprüfung und Adaption der Tatbestandsvoraussetzungen ist zu untersuchen, welche Gründe eine Zugangsverweigerung rechtfertigen können. Hieran schließen sich Fragen der praktischen Ausgestaltung eines solchen Zugangsrechts in Abhängigkeit von der im Einzelfall begehrten Einrichtung unter Berücksichtigung des Eilrechtsschutzes an.

←16 | 17→

Meist gehören zum Datenbestand viele Arten personenbezogener Daten, sodass das Datenschutzrecht zu beachten ist, welches die Übermittlung personenbezogener Daten strikt reglementiert. Das Verhältnis der zwei bisher isoliert voneinander betrachteten Regelungsrahmen ist dabei auf den Prüfstand zu stellen, um eine datenschutzfreundliche Umsetzung wettbewerbsrechtlich initiierter Datenübertragungen zu gewährleisten.

Die Arbeit soll einen Beitrag zur Beantwortung der Frage leisten:

„Kartellrecht und digitale Plattformen – bieten die analogen Kartellvorschriften Lösungen für die digitale Ökonomie auf Plattformmärkten?“

I. Die Plattformökonomie

1. Wirtschaftliche Bedeutung

Der Aufstieg des chinesischen Internetunternehmens Tencent in den Kreis der – gemessen an dem Börsenwert – zehn wertvollsten Unternehmen weltweit stellt einen weiteren Markstein in dem rasanten Aufstieg der durch Big Data vorangetriebenen Plattformökonomie dar. Nunmehr etabliert sich nach Apple, Alphabet (als Mutterkonzern von Google), Microsoft, Amazon und Facebook bereits der sechste Betreiber einer digitalen Plattform an der Spitze der Weltwirtschaft.18 Das Konzept der digitalen Plattformen zeichnet sich durch die Mehrseitigkeit der Marktbeziehungen aus, also die Bereitstellung verschiedener Leistungsangebote für unterschiedliche Kundengruppen.19 Diese Idee ist allerdings nicht neu. Aus der Ära vor Big Data bestens bekannt sind die Plattformen „Einkaufszentren“, die Inhaber von Geschäften und Besucher zusammenbringen, „Sportvereine“, die Sponsoren, Merchandisinghändler und Caterer mit Stadionbesuchern verknüpfen oder auch „Zeitungen“, die Inserenten und Lesern eine Plattform zum Geschäftsabschluss boten und immer noch bieten.20 Plattformmärkte sind aufgrund ihrer mehrseitigen Marktbeziehungen wettbewerbsrechtlich von Interesse, da die für sie typischen Netzwerk- und Skaleneffekte einerseits Produktentwicklungen begünstigen, aber andererseits auch ←17 | 18→zu einer bedenklichen Marktkonzentration führen.21 Die Implementierung von „Big Data“-Geschäftsmodellen hat dem althergebrachten Plattformkonzept neue Dynamiken verliehen, disruptive Entwicklungen haben traditionelle Waren- und Dienstleistungssegmente auf den Kopf gestellt: Der Plattformbetreiber Amazon revolutionierte den Versandhandel in Bezug auf Produktpalette, Lieferzeiten und Benutzerfreundlichkeit und verdrängte traditionelle Katalogversandhandelsunternehmen, wie z.B. Neckermann, welcher 2012 Insolvenz anmeldete.22 Märkte wurden vermehrt der Gegenstand disruptiver Entwicklungen.

2. Gründe für den Siegeszug der Plattformen

Aufgrund ihrer zahlreichen Vorteile verdrängen Plattformen und Big Data-Konzepte die klassischen Geschäftsmodelle.

Einen wesentlichen Aspekt stellen zunächst die zahlreichen Dienste dar, die Plattformbetreiber zur Gewinnung von Reichweite und besonders zur Erhebung von Daten über den Nutzer und seine Verhaltensweisen kostenlos zur Verfügung stellen, wie zum Beispiel Mailing-Dienste, Chatprogramme, Internetsuchmaschinen, Nutzerkonten für die Teilnahme in E-Commerce-Platt-formen, Smartphone-Apps usw. Den Geldwert dieser Leistungen auf dem Gebiet des Binnenmarktes schätzte der Europäische Datenschutzbeauftragte auf 300 Mio. Euro und prognostizierte, dass sich dieser Wert bis 2020 verdoppeln würde.23 Die durch die Plattformen erbrachten Leistungen sind für den Verbraucher deutlich bequemer, da sie jederzeit verfügbar, individualisiert und mit verschiedenen Bezahlsystemen ausgestattet sind. Dienstleister liefern Waren zudem zeitnah nach Hause. Durch Vergleichsportale oder Bereitstellung einer Ware von verschiedenen Anbietern auf einer Plattform und der Möglichkeit zur Abgabe von Bewertungen oder Rezensionen verringert sich die Informationsasymmetrie drastisch. Als Folge der hohen Menge an gespeicherten Daten sticht die Bereitstellung präziser Suchergebnisse (sog. Matching) hervor, sodass die dem ←18 | 19→Verbraucher normalerweise anfallenden Informationskosten bedeutend gesenkt werden.24 Standardisierte Verträge und Allgemeine Geschäftsbedingungen sowie Schutzmechanismen senken ferner Verhandlungs-, Vertrags- und Kontrollkosten25, was – man denke nur an ‚das Schnäppchen auf Ebay‘ – für äußerst konkurrenzfähige Preise sorgt. Für neue Kaufanreize sorgen zudem die relativ bequem auszuübenden Rückgabe- und Widerrufsrechte. Durch die (zielgerichtete) Platzierung von Werbung wird dem Benutzer eine vorher unbekannte Palette an Waren und Dienstleistungen bewusstgemacht. Über Online-Marktplätze und Sharing-Modelle eröffnen sich insbesondere auch neue Einnahmequellen für den Verbraucher.26

Dies ermöglichte Amazon sogar, neue Dynamik in den Wettbewerb im Buchhandel zu bringen, welcher durch das Buchpreisbindungsgesetz relativ statisch geworden war, sodass bereits 5 % der Bücher über den Online-Handel vertrieben werden; die Verbreitung von E-Books und die Erweiterung des digital verfügbaren Angebots sprechen langfristig für ein Obsiegen der digitalen Anbieter.27

3. Die Nutzbarmachung der Digitalisierung

a) Relevante Geschäftsmodelle

Digitale Plattformen lassen sich zunächst nach dem Schwerpunkt ihrer Leistung differenzieren:28 So steht bei transaktionszentrierten Plattformen die Vermittlung eines Leistungsaustauschs im Vordergrund, während bei datenzentrierten Plattformen die Schaffung eines sogenannten digitalen Ökosystems (digital ecosystem) im Vordergrund steht. Ein digitales Ökosystem verbindet Hardware, Software, Daten und Dienstleistungen zu einer untereinander kompatiblen Einheit, welche ihrerseits die Kommunikation mit anderen Nutzern – ggf. auch ←19 | 20→Nutzern anderer Systeme für geschäftliche oder private Zwecke ermöglicht. Beispielsweise erfolgt dies durch Download von Applikationen in einem App Store.

Die Europäische Kommission benennt fünf besonders relevante Geschäftsmodelle im Rahmen der Plattformökonomie, die hier kurz skizziert werden sollen: Online-Marktplätze, Mobile Ökosysteme und Anwendungsvertriebsplattformen (App Stores), Internetsuchdienste, Soziale Netzwerke und Content-Plattformen sowie Werbeplattformen.29

aa) Online-Marktplätze

Online-Marktplätze sind Transaktionsplattformen, auf denen der Plattformbetreiber oftmals auch selbst als Anbieter von Waren und Dienstleistungen in Erscheinung tritt, was einen wesentlichen Unterschied zu vielen analogen Plattformkonzepten ausmacht. Neben den hierdurch erzielten Verkaufserlösen erwirtschaften Online-Marktplätze Gewinne durch Gebühren für auf der Plattform von den jeweiligen Anbietern getätigte Vertragsabschlüsse. So berechnet Ebay für ein auf der Plattform eingestelltes Angebot eine Angebotsgebühr, eine Verkaufsprovision in Höhe von 10 %30 und ggf. eine Gebühr für Zusatzleistungen.31 Zudem finanzieren sich die Plattformbetreiber durch Zurverfügungstellung von Online-Werbeflächen.32 Insbesondere die Betreiber von E-Com-merce-Plattformen erlangen durch die Anmeldedaten, Suchverläufe und die Bestellhistorie einen wertvollen Datenschatz, vermöge dessen sie Informationen über die Kaufkraft und Kaufgewohnheiten des einzelnen Kunden sowie allgemeine Marktentwicklungen erlangen können.33

Für das Gelingen eines solchen Geschäftsmodells sind insbesondere Netzwerkeffekte vonnöten. Auf derartigen Märkten sind daher in besonderem Maße Konzentrationstendenzen zu verzeichnen, sodass Amazon.de, Otto und Zalando ←20 | 21→im deutschen E-Commerce produktübergreifend bereits Marktanteile von 45 % innehaben.34

Wettbewerbsrechtlich brisant sind zudem die verschiedenen Spielarten des Dynamic Algorithmic Pricing, welche durch Beobachtung des Preissetzungsverhaltens der Konkurrenz, der aktuellen Nachfragesituation oder auch der Preiselastizität die Maximierung der Gewinnerwartungen versprechen.35 Neben der Möglichkeit, die Einhaltung von (kartellverdächtigen) Absprachen zu überwachen, können Konkurrenten Datensätze und Preisalgorithmen von demselben Drittanbieter beziehen oder auch eigenständig auf den marktführenden Algorithmus zurückgreifen, sodass im Zusammenspiel mit einer Homogenität der angebotenen Waren ein signifikantes Wettbewerbshemmnis entstünde.36 In diesem Zusammenhang erwähnenswert sind ferner personalisierte Preisgestaltungen, bei denen ein Plattformbetreiber nach Auswertung seiner Daten, die ihm für den jeweiligen Kunden zur Verfügung stehen, einen an seinen subjektiven Produktanforderungen, Kaufkraft und Investitionsbereitschaft orientierten Preis bietet.37 Diesbezüglich wird vertreten, dass diese Form der Preisgestaltung nur bei hierüber völlig uninformierten Verbrauchern und auf Monopolmärkten funktionieren könne, da andererseits der Wettbewerb unter den Plattformbetreibern durch derartige Praktiken eher verschärft würde.38 Der über diese Praktiken informierte Verbraucher würde mehr auf die Geheimhaltung seiner Kaufabsichten oder Budgetierung achten und somit Unternehmen zwingen, mehr in die Erlangung eines Informationsvorsprungs zu investieren, sodass letztlich höhere Preise und geringere Profite die Folge wären.39 In diesem Falle wären ausnahmsweise weniger Informationen mehr. Die Anwendung der personalisierten Preisgestaltung wird wohlfahrtsökonomisch kritisch hinterfragt und wirft verbraucher-, persönlichkeits- und datenschutzrechtliche Folgefragen auf.40 Freilich zeigt die Thematik noch einmal den besonderen Stellenwert und die Exklusivität der Datenbestände auf, den die Plattformbetreiber zu akkumulieren in der ←21 | 22→Lage sind, welche vielfältige Handlungsmöglichkeiten am Markt bieten – und bei Nichtvorhandensein, verschließen.

bb) Mobile Ökosysteme und Anwendungsvertriebsplattformen (App Stores)

Das Nutzerverhalten und damit die digitale Ökonomie insgesamt verlagern sich aufgrund des technischen Fortschritts vom stationären Personal Computer auf mobile Smartphones oder Tablets. Um dieses zu ermöglichen, bedarf es eines sogenannten Ökosystems bestehend aus dem Gerät, auf dem Hardwarekomponenten, wie zum Beispiel Prozessoren, Speicherkarten und Kameras und die hierfür notwendige Software (u.a. das Betriebssystem) installiert sind sowie die Bereitstellung von Applikationen, wie beispielsweise Social Media Apps, welche in App Stores häufig kostenlos heruntergeladen werden können.41 Besonders anschaulich kann bei dieser Plattformart die Notwendigkeit der Interoperabilität mit anderen mobilen Ökosystemen und die Bedeutsamkeit der Netzwerkeffekte für Nutzer, aber auch für die Entwickler der Applikationen nachvollzogen werden.42 Ein Smartphone eines bestimmten Anbieters erfüllt nur seinen Zweck, wenn die Kommunikation mit den Nutzern verschiedener Smartphonehersteller möglich ist, ebenso wird ein Betriebssystem für die Entwickler von Applikationen nur attraktiv, wenn es genug Nutzer und damit potenzielle Kunden gibt. Viele Apps gewinnen erst durch steigende Nutzerzahlen für die Nutzer an Attraktivität.

cc) Internetsuchdienste

Die Bibliothek von Alexandria beherbergte schätzungsweise 54 000 bis 700 000 Schriftrollen und wird aufgrund ihrer Größe, Vielfalt und ihrem Personalaufwand zur Verwaltung des Bestandes als die bedeutendste Bibliothek des Altertums angesehen. Der griechische Gelehrte und Dichter Kallimachos von Kyrene verfasste ein aus 120 Rollen bestehendes bibliografisches Werk, das mutmaßlich auf den tatsächlichen Katalogen der Bibliothek von Alexandria beruhte und demzufolge heute vielfach als erster, historisch belegter Katalog angesehen wird.43 Die Informationsquelle der Gegenwart, das Internet, umfasst (Stand ←22 | 23→19.7.2017) rund 1,2 Mrd. Websites, welche von 3,7 Mrd. Internetnutzern aufgerufen werden können.44 Die universelle Verfügbarkeit der Information führt aufgrund ihrer Fülle zunächst zu völliger Unerreichbarkeit – ein Bruchteil dieser Websites hat sich eine ausreichende Reputation erarbeitet, sodass sie von den Nutzern zielgerichtet gesucht und aufgerufen werden. Das für den Nutzer Relevante vom Irrelevanten zu trennen ist der Zugangsschlüssel zur Information und somit die Schlüsselaufgabe der Internetsuchdienste, so wie es vor der Zeit des Internets beispielsweise das Studium der Bibliothekskata-loge und der Enzyklopädien war.

Internetsuchdienste, allen voran der omnipräsente Klassenprimus Google, arbeiten bei der ‚Aufbereitung des Internets‘ für den Nutzer mit einem dreistufigen Prozess: Zunächst durchsucht ein algorithmusbasiertes Programm täglich Milliarden von neuen oder aktuellen Websites, um diese in den Suchindex aufzunehmen (sog. Crawling), anschließend wird ein Index der auf den gecrawlten Websites aufgebaut und schließlich wird ein Suchindex erstellt, der nach Bewertung der Algorithmen die für die jeweilige Suchanfrage eines Nutzers relevantesten Ergebnisse darstellt.45

In Anbetracht der Tatsache, dass Nutzer häufig nur die obersten Suchergebnisse berücksichtigen, ist für die Website und dem ggf. dahinterstehenden Unternehmen eine optimale Platzierung von überragender Bedeutung, um nicht in den Untiefen des Internets zu verschwinden. Mit einem Marktanteil von ca.

Details

Seiten
250
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631824856
ISBN (ePUB)
9783631824863
ISBN (MOBI)
9783631824870
ISBN (Paperback)
9783631820032
DOI
10.3726/b16900
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Mai)
Schlagworte
Essential Facilities Datenschutz Spannungsfeld Market Tipping Netzwerkeffekte Innovationsanreize Plattformökonomie Kartellrecht DSGVO Lock-In-Effekte
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 250 S.

Biographische Angaben

Alexander Kurgan (Autor:in)

Alexander Kurgan studierte Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo er auch promovierte. Außerdem war er als studentischer Mitarbeiter an der Forschungsplattform Recht tätig.

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Titel: Kartellrecht & digitale Plattformen