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Gemeinsamkeit schaffen in der Interaktion

Diskursmarker und Lautelemente in zürichdeutschen Erzählsequenzen

von Fabienne Tissot (Autor:in)
©2015 Dissertation 368 Seiten

Zusammenfassung

Welche Funktionen haben «kleine Wörter» wie Diskursmarker und Lautelemente in der Interaktion? Wo und zu welchem Zweck verwenden sie junge Frauen in Gesprächen untereinander? Die empirische Studie untersucht an einem Korpus von Alltagsgesprächen Deutschschweizer Gymnasiastinnen diese genuin mündlichen Phänomene. Als minim referentielle Objekte befinden sie sich an gesprächsorganisatorisch unklaren Stellen und bewegen sich in Bezug auf ihren Status zwischen Laut, Floskel und grammatikalisiertem Element. Die detaillierte mikroanalytische Untersuchung zeigt, wie damit in Kombination mit interaktionalen und diskursiven Verfahren verstärkt und gezielt Gemeinsamkeit in der Interaktion geschaffen werden kann.
Theoretisch in der Soziolinguistik, methodisch in der Konversationsanalyse und der Interaktionalen Linguistik angesiedelt, findet die Arbeit Anschluss an interaktionale Forschungsrichtungen sowie an die internationale Jugendsprachforschung und zeigt neue Wege für dialektologische Fragestellungen auf.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einleitung
  • 1.1 Rahmen und Relevanz
  • 1.2 Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen
  • 1.3 Methodisches Vorgehen und Aufbau der Arbeit
  • 1.4 Gemeinsamkeit in der Interaktion
  • Teil I: Material und methodische Zugänge
  • 2. Kontext
  • 2.1 Die Sprachsituation in der Schweiz
  • 2.1.1 Mehrsprachigkeit
  • 2.1.2 Nutzen für eine Beschreibung der Variabilität des Deutschen
  • 2.2 Das Projekt Jugendsprache in der Deutschschweiz
  • 3. Korpus
  • 3.1 Datenerhebung
  • 3.2 Sprecherinnen und Gespräche
  • 3.3 Transkription
  • 3.3.1 Grundsatzbemerkungen zur Transkription
  • 3.3.2 Die segmentale Ebene: Dialekttranskription
  • 3.3.2.1 Vokale
  • 3.3.2.2 Konsonanten
  • 3.3.2.3 Wortgrenzen
  • 3.3.3 Die suprasegmentale Ebene
  • 3.3.4 Die sequentielle Struktur
  • 3.3.5 Zur Übersetzung der Transkriptionen
  • 4. Methodisches Instrumentarium
  • 4.1 Soziolinguistik und Ethnographie der Kommunikation
  • 4.2 Konversationsanalyse
  • 4.3 Interaktionale Linguistik
  • 5. Analyseschritte
  • 5.1 Grundsätzliches Vorgehen
  • 5.2 Materialsuche und Sampling
  • 5.3 Triangulation der Interpretation
  • 5.4 Gütekriterien
  • Teil II: Modellierung
  • 6. Variabilität in der Soziolinguistik
  • 6.1 Mehrsprachigkeit und sprachliche Variabilität im gesellschaftlichen Kontext
  • 6.2 Variation, Varietät und Stil
  • 6.3 Stil aus interaktionaler Perspektive
  • 6.3.1 Kommunikativer sozialer Stil
  • 6.3.2 Interaktionale Stilanalyse: Stil als Kontextualisierungshinweis
  • 7. Multiperspektivische Präzisierung der Phänomene
  • 7.1 Definitionen
  • 7.1.1 Der Diskursmarker weisch
  • 7.1.1.1 Zum Forschungsstand
  • 7.1.1.2 Schiffrin 1987: Der Diskursmarker you know
  • 7.1.1.3 Erman 2001: Die Verwendung von you know bei Jugendlichen
  • 7.1.1.4 Imo 2007: Das Vergewisserungssignal weisst Du
  • 7.1.2 Zusammenführung und Terminologie
  • 7.1.3 Lautelemente
  • 7.1.4 Die systemlinguistische Perspektive
  • 7.1.4.1 Interjektionen: eine Übersicht
  • 7.1.4.2 Interjektionen in Grammatiken und Handbüchern des Deutschen
  • 7.1.4.3 Nübling 2001, 2004
  • 7.1.4.4 Zwischenfazit
  • 7.1.5 Die interaktionale Perspektive
  • 7.1.5.1 Goffman: Response cries
  • 7.1.5.2 Reber/Couper-Kuhlen: Lautobjekte (Sound Objects)
  • 7.1.6 Zusammenführung
  • 7.2 Perspektive I: Kommunikative Dialektologie
  • 7.2.1 Herausbildung der Theorieansätze
  • 7.2.2 Zur kommunikativen Dialektologie in der Schweiz
  • 7.3 Perspektive II: Soziolinguistik
  • 7.3.1 Jugendsprachforschung
  • 7.3.1.1 Zur Entwicklung der Jugendsprachforschung
  • 7.3.1.2 Jugendsprache als Sprachstil: Henne 1986
  • 7.3.1.3 Jugendsprache und Dialekt: Ehmann 1992
  • 7.3.1.4 Korpusbasierte Jugendsprachforschung: Androutsopoulos 1998
  • 7.3.1.5 Sprechstile Jugendlicher als Abgrenzung gegen innen und aussen: Schwitalla 1986, 1988a, Schwitalla/Streeck 1989
  • 7.3.1.6 Sprechstile als Transformationsprozesse: Schlobinski 1989, Schlobinski et al. 1993
  • 7.3.1.7 Kommunikation in der Stadt: Bausch 1994, Schwitalla 1994
  • 7.3.1.8 Jugendsprachforschung in der Schweiz
  • 7.3.2 Korpusrelevante Aspekte der Kommunikation unter Frauen und Mädchen
  • 7.3.2.1 Women Talk: Coates 1996
  • 7.3.2.2 Scherzkommunikation in Mädchengruppen: Branner 2003
  • 7.3.2.3 Identitätskonstruktionen in einer Mädchengruppe: Spreckels 2006
  • 7.3.2.4 Girl’s Talk: Kotthoff 2010
  • 7.3.2.5 Junge Migrantinnen: Keim 2007
  • 7.3.3 Zusammenführung
  • 8. Auswahl und Konzeptualisierung der Untersuchungsgegenstände
  • 8.1 weisch
  • 8.2 Lautwörter: Definition und Terminologie
  • Teil III: Interpretationen
  • 9. Analyse der Erzählinteraktionen
  • 9.1 Theoretischer Rahmen: Die Erzählung in der Alltagsunterhaltung
  • 9.2 Auswahl der Erzählsequenzen und Analysevorgehen
  • 9.3 Verbrennung
  • 9.3.1 Situativer und inhaltlicher Kontext
  • 9.3.2 Sequentielle Struktur
  • 9.3.3 Zur Darstellung von Mitleid in Erzählungen
  • 9.3.4 Zentrale Segmente: Lautelemente und weisch
  • 9.3.5 Zusammenführung
  • 9.4 Groupie
  • 9.4.1 Situativer und inhaltlicher Kontext
  • 9.4.2 Sequentielle Struktur
  • 9.4.3 Besondere Eigenschaften
  • 9.4.3.1 Die Erzählung als Fiktionalisierung
  • 9.4.3.2 Bewertungen in der Interaktion
  • 9.4.3.3 Zusammenführung
  • 9.4.4 Auftreten der Lautelemente und von weisch
  • 9.4.4.1 Frage-Antwort-Sequenz
  • 9.4.4.2 Fiktionalisierungssequenz
  • 9.4.5 Zusammenfassung
  • 9.5 Streber
  • 9.5.1 Situativer und inhaltlicher Kontext
  • 9.5.2 Sequentielle Struktur
  • 9.5.3 Zentrale Aktivitäten: Bewerten und Positionieren im Gespräch
  • 9.5.4 Auftreten von Lautelementen und weisch
  • 9.5.4.1 Der erste Erzählhöhepunkt in der Orientierungsphase (Z39–53)
  • 9.5.4.2 Der zweite Erzählhöhepunkt (Z68–78)
  • 9.5.5 Zusammenfassung
  • 9.6 Engagement Ring
  • 9.6.1 Situativer und inhaltlicher Kontext
  • 9.6.2 Sequentielle Struktur
  • 9.6.3 Gemeinsame Konstruktion von Erzählungen
  • 9.6.4 Zentrale Segmente der Erzählung und ihre konstitutiven Merkmale
  • 9.6.5 Zusammenfassung
  • 9.7 Zusammenführung und Fazit
  • 10. Mikroanalyse
  • 10.1 Der Diskursmarker weisch
  • 10.1.1 Analysefokus
  • 10.1.2 Analysevorgehen
  • 10.1.3 Korpus und Transkription
  • 10.1.4 Funktionen von weisch
  • 10.1.4.1 Einleitung Parenthese
  • 10.1.4.1.1 Präzisierung
  • 10.1.4.1.2 Rückversicherung
  • 10.1.4.2 Turnerweiterungsstrategien
  • 10.1.4.2.1 Zusatzinformation
  • 10.1.4.2.2 Redefluss
  • 10.1.4.3 Zusammenfassung weisch
  • 10.1.5 Analyse weisch so
  • 10.1.5.1 Quotation Marker
  • 10.1.5.2 Hervorhebung einer Handlung
  • 10.1.5.3 Vergleichsstudien
  • 10.1.6 Zusammenfassung
  • 10.2 Die Lautelemente
  • 10.2.1 Analyseparameter
  • 10.2.2 hey [hei], hä [hæ] und he [he]
  • 10.2.3 ui näi [ui næi] als Reaktion auf eine Mitteilung
  • 10.2.4 jö [iœ]
  • 10.2.5 ah [a:]
  • 10.2.5.1 Überblick
  • 10.2.5.2 ah als Reaktion auf eine Mitteilung
  • 10.2.5.3 ah als verstärkendes Vorlaufelement
  • 10.2.5.4 Zusammenfassung
  • 10.2.6 ou [ou]
  • 10.2.6.1 Überblick
  • 10.2.6.2 ou als Reaktion auf eine Mitteilung
  • 10.2.6.3 ou als verstärkendes Vorlaufelement
  • 10.2.6.4 ou als disjunct marker
  • 10.2.6.5 ou in Kombinationen: [ou næi], [ou man:]
  • 10.2.6.6 Zusammenfassung
  • 10.2.7 ö: [ø] und [œ]
  • 10.2.8 Ikonische Wiedergaben
  • 10.2.8.1 Charakterisierung von Rede
  • 10.2.8.2 Redeersatz
  • 10.2.8.3 Husten
  • 10.2.8.4 Jubeln
  • 10.2.8.5 Wiedergabe von Geräuschen
  • 10.2.9 Darstellung komplexerer Verhaltensbündel
  • 10.2.9.1 [pf + Lautelement]
  • 10.2.9.2 [Klick + Lautelement]
  • 10.2.9.3 [Glottalstopp + Lautelement]
  • 10.2.10 Analysefazit
  • Teil IV: Fazit
  • 11. Ergebnisse und Diskussion
  • 11.1 Zusammenfassung der Analyseergebnisse
  • 11.1.1 Der Diskursmarker weisch
  • 11.1.2 Die Lautelemente
  • 11.1.3 Analyse der Erzählaktivitäten
  • 11.2 Gemeinsamkeit in der Interaktion
  • 11.3 Stil in der Interaktion
  • 11.4 Repräsentativität, Relevanz der Ergebnisse und Ausblick
  • 12. Literaturverzeichnis
  • Anhang: Transkriptionskonventionen
  • Reihenübersicht

1.        Einleitung

1.1      Rahmen und Relevanz

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Mädchen und junge Frauen untereinander oft einen kollaborativen Kommunikationsstil pflegen. Dies wurde festgemacht an interaktionalen Mustern und Verfahren wie Latching, Mirroring und Kokonstruktionen auf verschiedenen sprachlichen Ebenen.1 Ebenso sind im Kontext der Jugendsprachforschung in Gesprächen Jugendlicher auftretende diskursive sowie sprachliche Elemente beschrieben worden, so z. B. Gesprächspartikeln und „Lautwörter“ (die je nach Forschungsperspektive Interjektionen, response cries, sound objects, Onomatopoetika oder auch tags oder Diskurssignale bzw. -partikeln genannt werden2). Diese Elemente haben keine oder nur minimale referentielle Bedeutung, befinden sich manchmal an gesprächsorganisatorisch nicht eindeutig zu definierenden Stellen und bewegen sich in Bezug auf ihren Status zwischen Laut, Floskel und grammatikalisiertem Element. Vorliegende Studie will zeigen, wie zusätzlich zu den oben genannten interaktionalen und diskursiven Verfahren durch den Gebrauch dieser „kleinen Wörter“ (Schwitalla 2002) ebenso – bzw. zusätzlich – Gemeinsamkeit oder Common Ground in der Interaktion geschaffen werden kann. Exemplarisch wird dafür der in einem Korpus von Gesprächen jugendlicher Freundinnen sehr häufig auftretende Diskursmarker weisch (weisst Du) sowie eine Gruppe sprachlicher Mittel, die hier Lautelemente genannt werden,3 mikroanalytisch untersucht. In einer detaillierten Analyse von Erzählsequenzen sowie der einzelnen sprachlichen Elemente kann gezeigt werden, dass diese Partikeln unterschiedliche interaktionale Funktionen einnehmen. Wie der Vergleich mit Ergebnissen anderer Studien zeigt, sind diese Partikeln nicht per se spezifisch für Mädchen-, Frauen- oder Jugend ← 15 | 16 sprache, treten aber, bedingt durch ihre Funktionen, in diesen Gesprächen bzw. untersuchten Gesprächssequenzen gehäuft auf.

Die Studie will damit sowohl an Forschungen zu Gesprächen junger Frauen anschliessen als auch an die deutschsprachige Jugendsprachforschung.

„Sich mit dem Thema ‚Jugendsprache‘ oder ‚Sprache der Jugend‘ auseinandersetzen zu wollen, setzt trivialerweise zweierlei voraus: eine Definition dessen, was unter Jugend zu verstehen ist, und eine Definition von Jugend-Sprache“ (Schlobinski 1989: 2). Dass dies angesichts der Heterogenität von Gruppen, (Sub-)Kulturen und Kommunikationsweisen im Kontext von Sprachkontakt, Migration und Globalisierung je länger desto weniger zu leisten ist, hat die Jugendsprachforschung bzw. die Untersuchungen zur Kommunikation jugendlicher Sprecherinnen und Sprecher gezeigt. Ist in den früheren Arbeiten zur Sprache Jugendlicher in der Regel unter der Annahme einer homogenen Jugendkultur das Augenmerk auf lexikalische Besonderheiten ohne Berücksichtigung konversationeller Kontexte gelegt worden, hat sich die Forschung später umso mehr auf die ethnographische Untersuchung einzelner Jugendgruppen konzentriert.4 Und haben die frühen Arbeiten „Jugendsprache“5 als Variation oder zumindest als „Sekundärgefüge“ (Henne 1986: 211) im Varietätenraum aufgefasst, verzichten die ethnographisch orientierten Arbeiten zu Recht auf jegliche Verortung und stellen die Untersuchung sprachlicher Verfahren und Muster ins Zentrum. Dennoch ist das Interesse an „Jugendsprache“ von Medien, Schule und nicht zuletzt den Jugendlichen selbst ungebrochen, wie die nicht abreissende Berichterstattung,6 die in vielen Schulcurricula festgesetzte Thematisierung7 und nicht ← 16 | 17 zuletzt das Interesse von Jugendlichen selbst am Thema8 zeigt. Denn die Sprache Jugendlicher interessiert, sind Menschen gerade in dieser Zeit in einer Phase der Orientierung und Stabilisierung von identitären Rollen.9 Diese Suche manifestiert und reflektiert sich natürlich auch in der Sprache und dem Sprechen, und Sprecherinnen und Sprecher sind in der Jugendphase offen für neue Entwicklungen und Einflüsse. Sprachwandelphänomene zeigen sich oft erstmals in der Sprache Jugendlicher und können sich von da aus verfestigen (vgl. Neuland 1987). Genau an dieser Stelle möchte diese Arbeit ansetzen und bestimmte Sprach- und Kommunikationsphänomene in Gesprächen junger Frauen beschreiben.

Kurz zusammengefasst lassen sich für die untersuchten Gespräche folgende Parameter im Sinne eines soziolinguistischen Kontextes umreissen: Es sind wie erwähnt a) Gespräche Jugendlicher, und damit diaphasisch durch den Parameter Jugend definierte Daten, es handelt sich b) um junge Frauen, die die Gespräche führen, womit zusätzlich der Faktor Gender zum Tragen kommt, und c) die Unterhaltungen werden auf Zürichdeutsch geführt, es sind dialektale und damit diatopisch eingegrenzte Daten. Im Zentrum der Arbeit steht – in Bezug auf diese drei Forschungsfelder – das Interesse an gesprochener Sprache und an Phänomenen, die lautlich, performativ und interaktional relevant sind.

1.2      Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen

Bei der ersten Sichtung der im SNF-Projekt Jugendsprache in der Deutschschweiz10 erhobenen Daten, aus dem das hier untersuchte Korpus stammt, ist in vielen Gesprächen eine Sprechweise aufgefallen, wie sie in folgender kurzen Sequenz auftritt: ← 17 | 18

Queen vo de Wält (Mel 1; 02:24:20-02:59.50)

Sprecherinnen       Lara (Lar), Barbara (Bar)
Transkription       Fabienne Tissot, GAT2

img

Die Sequenz ist geprägt von lautlich auffallenden Elementen, die sich zum Teil als Interjektionen klassifizieren (Z114, Z12), zum Teil aber auch nicht klar einordnen lassen (Z122) und von Diskursmarkern wie weisch (weisst Du) (Z123). Alle diese Elemente haben zum einen keine oder nur minimale referentielle Bedeutung und sind auf lautlicher Ebene auffallend (hier insbesondere Z122), zum anderen scheinen sie manchmal bereits weitgehend grammatikalisierte Einheiten zu sein – und werden je nach Forschungsrichtung und/oder Erkenntnisinteresse unterschiedlich benannt und eingeordnet.11 ← 18 | 19

Die zentralen Fragestellungen dieser Studie, die anhand der Analyse eines Gesprächskorpus einer Gruppe junger Schweizer Gymnasiastinnen im Alter zwischen 17 und 18 Jahren aus dem Grossraum Zürich beantwortet werden sollen, lauten:

Wie lassen sich diese kleinen Elemente, die oft keiner bestimmten Wortart zuzuordnen sind, in der Interaktion beschreiben und konzeptionalisieren? Wie und warum werden sie in den Gesprächen verwendet, und handelt es sich bei diesem Gebrauch um einen besonderen Sprech- bzw. Interaktionsstil? Wo im Gespräch werden diese Elemente oder dieser Stil besonders oft benutzt und wozu?

Die Arbeit soll zwar die Erkenntnisse der Jugendsprachforschung aufgreifen, und beim Korpus handelt es sich wie erwähnt um Gespräche junger Frauen; die Studie möchte aber weder unmittelbar an die jugendsprachlichen lexikographischen Arbeiten der frühen 1980er anschliessen, noch kann und will sie eine dichte ethnographische Beschreibung von Gruppeninteraktion leisten. Im Zentrum des Interesses stehen die erwähnten, die Sequenzen dominierenden referentiell leeren/vagen, lautlich aber auffallenden sprachlichen Merkmale (Lautelemente) und der Diskursmarker weisch.

Wie sich nach der ersten Analyse gezeigt hat, sind viele dieser Marker bereits eingehend in der früheren Jugendsprachforschung beschrieben worden, allerdings methodisch etwas vage, wie bei Androutsopoulos formuliert: „Unterrepräsentiert ist hingegen die pragmatisch-diskursive Beschreibung des Jugendwortschatzes“ (Androutsopoulos 1998b: 11), auch wenn Mittel der „Lautwörterkommunikation“ (Henne 1986) etwas grössere Beachtung gefunden haben. In interaktionalen Studien zu Sprechstilen verschiedener Jugendgruppen sind Diskursmarker stärker in den Fokus gerückt, wie zum Beispiel die Gliederungspartikel ey (Deutsch), die Tag-Question innit (britisches Englisch) und die Zitatmarker like (amerikanisches und britisches Englisch), ba (Schwedisch) und so (Deutsch) (vgl. Androutsopoulos 1998b: 15).

Diese Studie will damit eine Brücke schlagen zwischen den frühen Arbeiten der Jugendsprachforschung – auch wenn sie natürlich deren An ← 19 | 20 nahme einer homogenen „Jugendsprache“ nicht teilt bzw. die Homogenität allenfalls auf einer Ebene der Muster, Verfahren und Strukturen sieht12 – und den äusserst vielfältigen Beschreibungen sprachlicher Gruppenkommunikation der jüngeren, ethnographischen Arbeiten zum Sprechen Jugendlicher: Es sollen damit sprachliche Elemente in der Interaktion, d. h. korpusbasiert und mit der Frage nach ihrer Funktion im Gespräch, untersucht werden. Dazu werden sie – um auf die Methodologie zu kommen – „eingekreist“, theoretisch, methodisch wie auch analytisch:13

1.3      Methodisches Vorgehen und Aufbau der Arbeit

Methodisch wie auch erkenntnistheoretisch wurde iterativ vorgegangen: Der bei der ersten Sichtung der Daten emergierte Untersuchungsgegenstand (die erwähnten „kleinen Wörter“) sollte zunächst formal und funktional beschrieben werden, wobei zur Analyse ein unterschiedliches theoretisches wie auch methodisches Instrumentarium benutzt wurde. Im Laufe der Arbeit sollte der Untersuchungsgegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden. Dabei wurde immer wieder zu den Daten zurückgekehrt und der Untersuchungsgegenstand soweit modifiziert und kontextualisiert, bis sich am Schluss die Essenz umreissen liess:14

(1) Darstellung des Materials und des methodischen Instrumentariums

Einsteigend in die Arbeit werden die unterschiedlichen Kontexte beschrieben: Zum einen die Sprachsituation in der Schweiz, zum andern das Projekt Jugendsprache in der Deutschschweiz, im dessen Rahmen die vorliegenden Daten erhoben worden sind (Kap. 2). Die Beschreibung der Datenerhebung, der Daten und der Sprecherinnen sowie der Datenaufbereitung werden in ← 20 | 21 Kap. 3 dargelegt, ebenso das Transkriptionsvorgehen. Transkribiert wurde gemäss den GAT2-Richtlinien (vgl. Selting et al. 2009) mit besonderem Augenmerk auf die Dialekttranskription im Hinblick auf eine Analyse der zürichdeutschen Daten in der Interaktion. In Kap. 4 werden die verwendeten methodischen Instrumente diskutiert: Unter soziolinguistischer Perspektive wird das Verständnis von Variabilität und Mehrsprachigkeit beschrieben (Kap. 4.1), die Konversationsanalyse wird dargestellt als grundlegende empirisch-methodische Zugangsweise (Kap. 4.2) bei der Analyse der Erzählsequenzen, mit den Methoden der interaktionalen Linguistik (Kap. 4.3) werden Lautelemente und der Diskursmarker weisch in den Äusserungen beschrieben. Abschliessend werden in Kap. 5 die Analyseschritte eingehend erörtert sowie die Gütekriterien diskutiert.

(2) Modellierung des Untersuchungsgegenstandes

Nach der Darlegung der unterschiedlichen Kontexte und Zugänge wird der Untersuchungsgegenstand theoretisch präzisiert, und zwar im Kontext einer Diskussion von Makro-, Meso- sowie Mikroebene: Die Makroebene umfasst Phänomene in einem weiten, soziolinguistischen Sinne, die Mesoebene solche auf Turnebene, die Mikroebene kleinste Strukturen lexikalischer, syntaktischer oder phonetisch/phonologischer Art. Ausgegangen wird von der Prämisse der Variabilität von Sprache, d. h. dass sich die Sprecherinnen und Sprecher durch Variabilität in einem mehrsprachigen Raum wie auch in der Interaktion positionieren. Diese Art von sprachlicher Variabilität wird in dieser Arbeit als sprachlicher Stil verstanden, in den untersuchten Daten realisiert in Erzählsequenzen (Kap. 6). Nach dieser allgemeinen theoretischen Verortung wird der induktiv aus den Daten erfasste Untersuchungsgegenstand in Kapitel 7 aus den oben erwähnten relevanten Forschungsperspektiven definiert, d. h. aus systemlinguistischer wie auch interaktionaler Perspektive (Kap. 7.1). Im Rahmen eines Forschungsüberblickes wird daraufhin dargestellt, welche Funktionen den nun als Interjektionen, Onomatopoetika, response cries, sound objects, Diskursmarker und anderen gesprächsorganisierenden Partikeln definierten Objekten zugeschrieben wurden, und zwar im Rahmen einer kommunikativen Dialektologie (Kap. 7.2) sowie der Soziolinguistik (Kap. 7.3), d. h. der Jugendsprachforschung und in Bezug auf die Gespräche junger Frauen (Kap. 7.3.1 bzw. 7.3.2). ← 21 | 22

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Abb. 1:  Präzisierung des Untersuchungsgegenstandes.

Darauf aufbauend wird der Untersuchungsgegenstand konzeptualisiert (Kap. 8).

(3) Interpretationen

Nach der Präzisierung der Untersuchungsgegenstände folgen die Analysen der Daten. Begonnen wird mit dem interaktionalen Kontext: Es hat sich gezeigt, dass die zentralen Untersuchungsgegenstände insbesondere in Erzählsequenzen auftreten. Vier Erzählsequenzen15 werden beispielhaft ausführlich analysiert und interpretiert (Kap. 9). Die Wahl dieser Sequenzen lässt sich wie folgt begründen:

(1)   Datengeleitete Wahl: Die zentralen Untersuchungsobjekte treten im vorliegenden Korpus gehäuft in Erzählsequenzen auf. Lautelemente und der Diskursmarker weisch treten natürlich auch in anderen Aktivitäten auf, wenn auch weniger oft.

(2)   Analysebezogene Wahl: Durch die klare Beschränkung auf den Kontext der Erzählsequenzen wird gewährleistet, dass der kommunikative Kontext gleichbleibend und damit vergleichbar ist.

(3)   Interpretationsbezogene Wahl: In „small stories“ (Günthner 2012: 66) werden „Ausschnitte der gesellschaftlichen Wirklichkeit, Erfahrun ← 22 | 23 gen und Handlungen in alltäglichen Situationen produziert und vergegenwärtigt“ (ebd.: 67), d. h. sie eignen sich besonders gut, um Ausschnitte aus der sozialen Welt der Sprecherinnen zu zeigen.16

Erst nach der Analyse der Erzählsequenzen folgt aufbauend auf diesen theoretischen, methodischen und analytisch erarbeiteten Kontexten die Analyse des Untersuchungsgegenstandes selbst, nämlich der „kleinen Wörter“ (Kap. 10).

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Abb. 2:  Der Untersuchungsgegenstand im Kontext.

Im abschliessenden Kapitel 11 werden die Resultate vor dem Hintergrund eines weiterführenden Erkenntnisinteresses diskutiert: Was lässt sich übergreifend und verallgemeinernd über die Verwendung von Lautelementen und Diskursmarkern aussagen, und welche Erkenntnisse lassen sich insbesondere aus der Analyse der dialektalen Daten gewinnen? ← 23 | 24

1.4      Gemeinsamkeit in der Interaktion

Wie bereits angedeutet, sind Lautelemente wie auch Diskursmarker in der Jugendsprachforschung unter unterschiedlichen Vorzeichen als typische Merkmale jugendlichen Sprechens beschrieben worden.17 Die Untersuchung dieser mündlichen Elemente aus der Perspektive der (Schweizer) Dialektologie wurde bisher jedoch vernachlässigt.18 Diese Studie will zeigen, wo und wie Lautelemente und der besonders oft verwendete Diskursmarker weisch (weisst Du) in zürichdeutschen Gesprächen junger Frauen auftreten und welche Funktionen sie einnehmen. Es hat sich gezeigt, dass diese sprachlichen Elemente sehr kontextsensitiv sind und an bestimmten Stellen im Gespräch gehäuft auftreten, wo sie – wie in der Datenanalyse zu zeigen sein wird – Funktionen einnehmen, die zur Herstellung von Gemeinsamkeit in der Interaktion wichtig sind.

Gemeinsamkeit wird hier als ein Oberbegriff verstanden, unter den unterschiedliche Konzepte fallen, wie sie insbesondere in der Pragmatik in der Tradition von Grice diskutiert worden sind. Dabei handelt es sich um unterschiedliche Konzepte von Wissen und geteilter Information oder auch Erwartungen in der Interaktion. Common Ground wird dabei als Voraussetzung für Kommunikation angesehen (vgl. insb. Clark 1996), also als ein a priori, das in der Interaktion zwischen den Sprechern transferiert wird. Wie Kecskes und Mey aufzeigen, werden diese pragmatisch-intentionalen, eher statischen Theorien in neueren Arbeiten von dynamischen Konzepten aus soziokulturell-interaktionalen Ansätzen ergänzt (vgl. Kecskes/Mey 2008: 2): Interaktionale Ansätze legen den Fokus verstärkt auf die Entstehung von Common Ground in der Interaktion selbst (vgl. ebd.: 3). Gemeinsamkeiten entstehen in der Interaktion als Produkt gemeinsamen Aushandelns und sind daher nicht ausschliesslich „pre-existing psychological entities“ (ebd.: 2), sondern ebenso „post factum elements“ (ebd.: 3).

Dass Common Ground und Gemeinsamkeiten in der Interaktion nicht nur auf der Informationsebene, sondern auch auf sozialer Ebene relevant werden, zeigt Enfield 2008 auf. Er beschreibt zwei Funktionen von Common Ground, die eng miteinander verbunden sind: ← 24 | 25

[…] mutual knowlegde, shared expectations, and other types of common ground (Clark 1996, Lewis 1996, Smith 1980) not only serves the mutual management of referential information, but has important consequences in the realm of social, interpersonal affiliation. The informational and the social-affiliational functions of common ground are closely interlinked. (Enfield 2008: 223)

Details

Seiten
368
Erscheinungsjahr
2015
ISBN (PDF)
9783035108910
ISBN (MOBI)
9783035197952
ISBN (ePUB)
9783035197969
ISBN (Paperback)
9783034320207
DOI
10.3726/978-3-0351-0891-0
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Oktober)
Schlagworte
Germanistische Linguistik Soziolinguistik Gesprächsanalyse Interaktionale Linguistik Dialektologie Jugendsprachforschung Schweizerdeutsch Zürichdeutsch Konversationsanalyse Gender, Mädchen-/Frauensprache
Erschienen
Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien, 2015. 368 S., 29 Tab., 4 Graf.

Biographische Angaben

Fabienne Tissot (Autor:in)

Fabienne Tissot studierte an der Universität Zürich Germanistik und promovierte an der Universität Wuppertal. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Universität Potsdam arbeitet sie derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften mit Schwerpunkt Angewandte Diskurs- und Gesprächsanalyse.

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Titel: Gemeinsamkeit schaffen in der Interaktion