Die Kolmarer Liederhandschrift und ihr Umfeld
Forschungsimpulse
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhalt
- Vorwort
- Einleitung (Judith Lange, Eva Rothenberger und Martin Schubert)
- Leich, Hort, Parat, Reihen, Tanz. Artifizielle Lieder in der Kolmarer Liederhandschrift (Horst Brunner)
- Reyen in der Kolmarer Liederhandschrift. Gattungscharakteristika und Kontext in musikhistorischer Perspektive (Lorenz Welker)
- Die Töne der Kolmarer Liederhandschrift. Versuch zu den melodischen Formen, Strophenstrukturen und der Schichtung des Bestands (Stefan Rosmer)
- nachsenger und Fremdtext-Verwertung. Barauffüllung und Wiederverwendung alter Sangspruchstrophen im neuen Meisterlied (Michael Baldzuhn)
- Kopieren – Kompilieren – Kreieren. Aspekte der Überlieferung und Textualität am Beispiel des Frauenlobcorpus der Kolmarer Liederhandschrift (Sophie Knapp und Holger Runow)
- „gräulich verderbt“ und „übel zugerichtet“? Überlieferungstreue und Bearbeitungstendenzen der Kolmarer Liederhandschrift am Beispiel von Liedern in Tönen Konrads von Würzburg (Nils Hansen)
- Der Cgm 1019 im Kontext der rheinisch-schwäbischen Meisterliederhandschriften. Mit einer Analyse der Konkordanzen zur Kolmarer Liederhandschrift (Anabel Recker)
- Die Meisterschaft des Laien? Zum ästhetischen und theologischen Anspruch im Meistergesang (Felix Prautzsch)
- Die Bibelversifikationen in der Kolmarer Liederhandschrift (Johannes Janota)
- neyn, da zweyent sich die mer ‒ Zum Zusammenhang von Antijudaismus, christologischer Schriftauslegung und Allegorese in Regenbogens Der juden krieg (Simone Loleit)
- Ist imandt hie der mit mir singen welle? Überblick über die Elemente metapoetischer Meisterlieder 1430 bis 1520 (Johannes Rettelbach)
- Register
- Abbildungsnachweis
- Reihenübersicht
Vorwort
Dieser Band, der die aktuelle Forschung zu einer der wichtigsten mittelalterlichen Handschriften zusammenzubringen versucht, geht zurück auf einen Workshop, der am 3. und 4. September 2018 an der Universität Duisburg-Essen veranstaltet wurde. Die Veranstaltung, die federführend von Eva Rothenberger und Judith Lange organisiert und konzipiert wurde, widmete sich, wie die Ausschreibung besagte, unter interdisziplinärer Perspektive „der überlieferungs- und kulturgeschichtlichen Stellung der Kolmarer Liederhandschrift sowie ihrem Verhältnis zu anderen großen Meisterliederhandschriften“. Die facettenreichen Vorträge beleuchteten verschiedene Aspekte aus den Bereichen der Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte, der Philologie und Editionswissenschaft, der Musikwissenschaft und der Kulturgeschichte des Meistergesangs.
Zu danken ist der Deutschen Forschungsgemeinschaft, welche den besagten Workshop im Rahmen des DFG-Projekts „Edition der in Regenbogens Langem Ton überlieferten Lieder“ finanzierte. Die frei zugängliche Open-Access-Publikation des vorliegenden Titels wurde mit Mitteln des Publikationsfonds der Universitätsbibliothek Duisburg-Essen ermöglicht. Vor allem danken wir den Beiträgerinnen und Beiträgern für ihre Referate und Diskussionen sowie für die Ausarbeitung der Druckfassungen für diesen Sammelband. Für die nächsten Jahre, in denen sich die Erforschung der Kolmarer Liederhandschrift sicher noch immens vertiefen wird, hoffen wir, einen nützlichen Baustein beigetragen zu haben.
Essen, im Januar 2021 J. L., E. R., M. S.
Einleitung
I. Zu diesem Band
Die in diesem Band versammelten Beiträge widmen sich weitestgehend drei großen Themenbereichen:* den Kunstformen in der Kolmarer Liederhandschrift (1), der Überlieferung und Textualität (2) sowie dem geistlichem Liedgut (3). Hinzu gesellt sich der Beitrag Johannes Rettelbachs, der versucht, das metapoetische Liedgut der Meistersinger zu analysieren und zu klassifizieren (4).
1. Textuelle und melodische Kunstformen in der Kolmarer Liederhandschrift
Die Autoren Horst Brunner, Lorenz Welker und Stefan Rosmer widmen sich jeweils den textuellen und/oder melodischen Kunstformen der Kolmarer Liederhandschrift. Dabei bleibt Brunner ganz fokussiert auf die Texte der zweiten Lage der Handschrift, während Welker und Rosmer für ihre Überlegungen die Parallelüberlieferung der analysierten Töne (Rosmer/Welker) sowie zeitnahe form- und/oder namensgleiche Lieder und Melodien aus Frankreich und Großbritannien (Welker) mit einbeziehen.
Horst Brunners Beitrag reflektiert über diejenigen Lieder, die sich zu Beginn der Handschrift versammelt finden und sich vom übrigen Liedgut der Handschrift ihrer Form nach unterscheiden. Nach einer ausführlichen Beschreibung der unter dem Schlagwort „artifiziell“ versammelten Liedtypen Leich, Hort, Parat, Reihen und Tanz untersucht Brunner dieses ‚Sondergut‘ auf seine kunstfertige ‚Gemachtheit‘ hin. Neben Liedern, die allein durch ihren großen Umfang schon eine Sonderstellung einnehmen, werden unter den Bezeichnungen Parat, Reihen, Tanz und Leich besonders jene Lieder versammelt, deren Produktion das Kunstvermögen der Autoren sowohl hinsichtlich ihrer metrischen als auch ihrer sprachlichen Gestalt auf besondere Weise herausforderte.
Lorenz Welker befasst sich in seinem Beitrag mit einem spezifischen der von Brunner als „artifiziell“ bezeichneten Liedtypen, dem Reihen, und geht der Frage nach deren gattungstypischer (melodischer und textueller) Gestalt ←9 | 10→nach. Welker rückt die Reihen aufgrund ihrer Texte in die Nähe des ‚Tanzes‘, da sowohl Reihen als auch Tanz von einem Anführer, der die Bewegung vorgibt, geleitet werden. Ein Vergleich der musikalischen Form der fünf in der zweiten Lage aufgezeichneten Reihen mit ihren Parallelüberlieferungen zeigt, dass die Melodieführung der k-Versionen sich im Vergleich zur Parallelüberlieferung konsequent als schlichter erweist. In einem zweiten Schritt nimmt Welker, nach einer vorangehenden Definition des Reihenbegriffs unter Einbezug der gängigen Musiklexika und mhd. Wörterbücher, den Gattungskontext und mögliche Charakteristika des Liedtypus in den Blick. Im Vergleich mit Quellen aus dem englisch- und französischsprachigen Raum weist Welker nach, dass es spezifische Gattungscharakteristika des „deutschen Reihen“ gegeben haben muss, die sich unserem heutigen Blick in weiten Teilen entziehen.
Stefan Rosmer widmet sich – in der Rolle eines Impulsgebers für weitere Forschung – den Melodien in k, die bis in die jüngere Forschung zur Musik hinein kaum eine Rolle einnahmen. Auf eine Skizze der bisherigen Forschung über die Musik mittelalterlicher deutschsprachiger Musiktexte folgt eine eingehende Betrachtung der in k überlieferten Töne (d. h. hier Notationen), um diese hinsichtlich einer möglichen zeitlichen Schichtung miteinander zu vergleichen. Rosmer kommt zu dem Schluss, dass die Töne in k keineswegs so homogen sind wie bisher angenommen. Er erarbeitet anhand zweier Beispielanalysen die Arbeitshypothese zweier „Typen oder Modelle der musikalischen Gestaltung eines Tons, denen sich der Großteil der untersuchten Töne zuordnen lässt“ (S. 128). Dabei kommt Rosmer zu dem Ergebnis, dass die beiden Gruppen (A. und B. genannt) zeitliche Schichtung markieren: Während sich in Gruppe A. (von einer Ausnahme abgesehen) nur unechte Töne und Töne von Autoren versammeln, die nach 1350 produktiv waren, finden sich unter B. alle anderen altüberlieferten Töne sowie unechte Töne und ein „sicher junger Ton von Albrecht Lesch“ (S. 129).
2. Überlieferung und Textualität
Der Überlieferung einzelner Texte und Korpora sowie dem produktiven Umgang mit bereits vorhandenem Liedmaterial durch Fremdtext- und Fremdtonverwender oder durch die k-Schreiber A und B widmen sich die Beiträge Michael Baldzuhns, des Autorenduos Sophie Knapp und Holger Runow sowie Nils Hansens. Anhand des Frauenlob-Korpus (Knapp/Runow) und anhand des Konrad von Würzburg-Korpus (Hansen) wird zum einen der generellen Qualität der in k überlieferten Lieder und zum anderen den vorhandenen Formen und Ausprägungen redaktioneller Eingriffe nachgespürt. Anabel Recker ←10 | 11→beschäftigt sich mit ähnlichen Fragestellungen, indem sie die Überlieferungszusammenhänge der Gruppe der sog. rheinisch-schwäbischen Liederhandschriften beleuchtet. Besonderes Augenmerk legt die Autorin dabei auf die etwas ältere fränkische Meisterliedersammlung Cgm 1019 und ihre Konkordanzen zu k.
Den Reigen der Beiträge, die sich mit der Textüberlieferung innerhalb der Kolmarer Liederhandschrift beschäftigen, eröffnet die umfangreiche Materialsammlung Michael Baldzuhns. Baldzuhn befasst sich mit jenen Strophenkonglomeraten, die sich aus ‚unechten‘ und ‚echten‘ Strophen zusammensetzen, und geht der Frage nach, welche Überlieferungsreflexe hinter den Ergänzungen junger Strophen stehen. Unterteilte die Forschung bislang in ‚Auffüllung‘ und ‚Zusammenstellung‘ und folgte einem produktionsästhetischen, auf die Konvention ungerader Strophenzahlen der Bare fokussierten Erklärungsansatz, versucht Baldzuhn, die Zusammenstellung prozessorientiert (im Rahmen einer „Übergangsphase obligater Mehrstrophigkeit“ [S. 138]) und „um seiner selbst willen“ (S. 139) zu untersuchen. Auf Basis des Kolmarer Liedmaterials erarbeitet Baldzuhn vier Grundtypen der Wiederverwendung/Fremdtext-Verwertung durch meisterliche nachsenger.
Auch Sophie Knapp und Holger Runow widmen sich den Formen des produktiven Umgangs mit bereits vorhandenen Strophen und Liedern und analysieren diese anhand der Lieddubletten innerhalb des Frauenlob-Korpus in k. Neben Fällen von Dubletten, hinter denen mit hoher Wahrscheinlichkeit Versehen im Abschreibeprozess stecken, weisen Runow und Knapp nach, dass einzelne Strophen durchaus kreativ in neue Barzusammenhänge (z. T. in Verbindung mit altüberlieferten und/oder ‚echten‘ Einzelstrophen) eingefügt sind und sich „eine spezifische Art produktiv gestaltender Redaktion, nämlich [eine] punktuelle Anpassung an [das neue] Umfeld beobachten lässt“ (S. 213). Dabei ist, so die Autoren, nie pauschal zu urteilen, sondern jeder mehrfach überlieferte Bar, jede mehrfach abgeschriebene Strophe oder Strophenteile bedürfen einer separaten Untersuchung und Bewertung.
Nils Hansen beschäftigt sich, ausgehend von älteren kritischen Stimmen dazu, mit Fragen der Überlieferungstreue der in k überlieferten Lieder und Strophen Konrads von Würzburg; im besonderen Fokus stehen auch hier Lieder, die in k als Dubletten vorliegen. Akribisch vergleicht Hansen die in k überlieferten Texte mit der heute noch auf uns gekommenen Altüberlieferung vor allem im Cpg 350 (D) sowie in der Großen Heidelberger Liederhandschrift C. Neben der Frage, wie altüberliefertes Material in k präsentiert wird, möchte Hansen Hinweisen darauf nachspüren, „welche Art von Vorlagen die Redaktoren der Handschrift verarbeiteten und wie sie mit diesen umgingen“ (S. 222). ←11 | 12→Er kommt zu dem Schluss, dass das Korpus durchaus unterschiedliche Formen und Ausprägungen der Bearbeitung aufweist, es sich bei einem Großteil der vorgenommenen Änderungen allerdings um Eingriffe handelt, die den Auftakt herstellen oder das Versmaß in meistersingerischer Manier ‚bessern‘. Hansen stellt eine Spannbreite von Bearbeitungstendenzen fest, zu der auch die recht getreue Übernahme alter Quellen zählt.
In einen größeren Überlieferungskontext wird die Kolmarer Liederhandschrift durch Anabel Recker gestellt. Sie untersucht den Cgm 1019 (Sigly y) und seine Konkordanzen zu k im Kontext der Gruppe der rheinisch-schwäbischen Liederhandschriften, zu welchen beide Handschriften zählen. Recker spürt den Verwandtschaftsverhältnissen der Handschriften untereinander nach, um Aufschluss darüber zu erhalten, woher die Schreiber von k das Material für ihre Kollektion bezogen und ob möglicherweise Kontaktpunkte zwischen einzelnen meistersingerischen Produktionszentren bestanden. Für den Cgm 1019 hält Recker nach ihrer Analyse fest, dass dieser ein dezidiert meisterliches Profil aufweist: „Die Datierung, die Verortung in Franken, die weltliche inhaltliche Ausrichtung, das spezifisch meistersingerliche Sondergut – all diese Merkmale machen ein Entstehungsumfeld, in dem meisterlicher Gesang produktiv ausgeübt wurde, plausibel“ (S. 273). Zudem kann Recker anhand der festgestellten Konkordanzen das Vorhandensein gemeinsamer Vorlagen für k und y zumindest sehr wahrscheinlich machen.
3. Geistliches Lied und theologische Reflexion in k
Ganz unterschiedlichen Schwerpunkten widmen sich die drei Aufsätze zum geistlichen Liedgut in k. Während Felix Prautzsch geistliche Lieder der Kolmarer Liederhandschrift auf diesen inhärente Ausformungen einer Laientheologie hin untersucht, entwickelt Johannes Janota ein Klassifikationsmodell für vorreformatorische, quasi prototypische Bibelversifikationen. Simone Loleit wiederum nimmt mit dem ‚Judenkrieg‘ ein Lied in den Blick, in dem sich ein starker Antijudaismus manifestiert, und spürt textimmanenten Gründen hierfür nach.
Von Karl Stackmanns Diktum von der ‚Meisterschaft der Laien‘ ausgehend, widmet sich Felix Prautzsch dem ästhetischen und theologischen Anspruch im Meistergesang und speziell dessen Repräsentation in der Kolmarer Liederhandschrift. Prautzsch geht der Frage nach, worin sich der laientheologische Anspruch der meister des 14. und 15. Jahrhunderts in den Texten selbst niederschlägt und wie sich die institutionellen Rahmenbedingungen und inhaltlichen Aspekte zum spezifischen literarisch-ästhetischen Medium gesungener ←12 | 13→Dichtung verhalten. Herausgestellt wird die Bedeutung der Meister des 14. und 15. Jahrhunderts und ihrer vorreformatorischen Laienbildung als Wegbereiter des späteren reformatorischen Meistergesangs und dessen theologischen Anspruchs. Prautzsch attestiert schon dem frühen Meistergesang eine „gleichermaßen ästhetische wie theologische“ (S. 311) Meisterschaft, die sich auf der Suche nach eigenen Formen und literarisch-künstlerischen Ausdrucksmitteln befindet (S. 311). Als zentrales Motiv führen auch die Texte der Kolmarer Liederhandschrift dabei immer wieder eine göttliche Inspiration für ihre Kunst an, die im Selbstlegitimierungsprozess der frühen Meister die höchste Stellung einnimmt.
Johannes Janota bietet eine systematische Sichtung der vorreformatorischen Bibelversifikationen; einer Gattung, die sich im Eigentlichen erst nach der Reformation und durch Hans Sachs zu einem eigenen Typus formiert. Janota analysiert die quasi prototypischen Bibelversifikationen der Kolmarer Liederhandschrift hinsichtlich ihrer poetischen Faktur und spürt vorhandenen Ansätzen zur Gruppenbildung nach. Maßgebende Faktoren der vergleichenden Analyse sind zum einen die verwendeten Töne, zum anderen die Nähe zum Bibeltext, denn „zwischen intendierter Textnähe und raffender Paraphrase [eröffnet sich] ein breites Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten […], die vielleicht Ansätze für typische Textmuster zeigen“ (S. 316). Anhand der sieben Versifikationen der Kolmarer Liederhandschrift gelingt es Janota, zu zeigen, dass schon die vorreformatorischen Bibelversifikationen als feste Größe beschrieben werden können, die einem Prototypen gleich die Basis für den späteren ‚festen Typus‘ der Reformationszeit begründen.
Simone Loleit geht dem Zusammenhang von Antijudaismus, christologischer Schriftauslegung und Allegorese im ‚Judenkrieg‘ in Regenbogens Langem Ton nach. Die Textgrundlage der Analyse bildet dabei die strophenreiche k-Fassung des häufig und bis in die Strophenebene hinein extrem variantenreich überlieferten Liedes. Loleit erarbeitet dabei in Form zweier Leitfragen die Gründe für die abgebildete Aggressivität sowie die Gründe für die (Un-)Verzichtbarkeit der Figur des Juden als Adressat.
4. Die Metapoetik der Meisterlieder bis 1520
Den Abschluss des Sammelbandes bildet Johannes Rettelbachs äußerst umfangreiche überblicksartige Sichtung der metapoetischen Meisterlieder der Liederhandschriften bis 1520 und ihrer poetologisch-selbstreflexiven Elemente. Als metapoetisch versteht Rettelbach dabei all solche Lieder, „die sich mit Voraussetzungen, Regeln, Geschichte und Wirkungen des Gesanges ←13 | 14→auseinandersetzen, ferner Aufschluss über den Ablauf von Veranstaltungen geben, bei denen mehrere Singer zugegen sind und nacheinander singen“ (S. 373). Systematisch ordnet Rettelbach das gesichtete Material nach inhaltlichen und thematischen Gesichtspunkten.
II. Forschungsüberblick zur Handschrift
Die langjährige Forschung zur Kolmarer Liederhandschrift (München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 4997; Sigle k [vormals t]), die im Folgenden in wichtigen Etappen chronologisch nachgezeichnet werden soll,1 bezeugt zum einen den außergewöhnlichen Stellenwert der besagten Meisterliedersammlung – hier ist etwa an das systematische und bis dahin nicht belegte Ordnungsprinzip der Texte nach Tonautoren zu denken,2 an den Einbezug von Autoren, die nicht der Meisterliedtradition zuzurechnen sind, sowie an die regelmäßige Melodieaufzeichnung3 und die Bedeutung der Kolmarer Liederhandschrift als „die wichtigste Quelle für die Melodieüberlieferung zur ←14 | 15→deutschen Dichtung des Mittelalters.“4 Zum anderen zeigt sich, dass nach wie vor grundlegende Forschungsfragen, insbesondere hinsichtlich der Entstehungszusammenhänge von k, der frühen Geschichte der Handschrift bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts5 sowie ihrer Vorlagenbindung nach wie vor weitgehend offen sind. Ein Meilenstein bei der Texterschließung der Kolmarer Liederhandschrift ist das von Horst Brunner und Burghart Wachinger herausgegebene ‚Repertorium der Sangsprüche und Meisterlieder des 12. bis 18. Jahrhunderts‘, das den Textbestand der gesamten Handschrift liedweise, nach Tönen und Tonautoren geordnet (samt Initien, Strophenbestand, Parallelüberlieferung) erschließt.6 Lagen Abbildungen der Handschrift lange Zeit lediglich als Schwarz-weiß-Faksimiles vor, ist die Handschrift seit 2018 als farbiges Volldigitalisat frei zugänglich.7
Die Erforschung der Kolmarer Liederhandschrift, die sich seit dem Jahr 1857 im Besitz der Bayerischen Staatsbibliothek München befindet, setzt im 19. Jahrhundert mit ersten Beschreibungen8 und einem Vergleich mit der verwandten ‚Donaueschinger Liederhandschrift‘ (Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Donaueschingen 120) ein.9 Bereits Friedrich von der Hagen erwägt aufgrund ←15 | 16→des – seiner Form nach jedoch fingierten – Provenienzeintrags im Register (fol. 3r) eine Herkunft aus Mainz10 und formuliert die Hypothese eines möglichen Entstehungszusammenhangs mit einer dort ansässigen, freilich historisch nicht greifbaren Meistersingergesellschaft.11
Eine erste eingehendere formale Beschreibung der Kolmarer Liederhandschrift liefert Karl Bartsch im Jahr 1862: diese umfasst eine kurze Vorstellung von k und den damals beiden im selben Band zusammengebundenen Handschriften,12 ein Liedverzeichnis in Auszügen sowie den Abdruck ausgewählter Lieder. Außerdem schließt sich die Beobachtung an, dass die Handschrift von mehreren Händen stamme, wobei bereits Bartsch von einem „ursprüngliche[n] schreiber“13 spricht und damit ggf. bereits von einem Hauptschreiber ausgeht.
Details
- Seiten
- 430
- Erscheinungsjahr
- 2021
- ISBN (PDF)
- 9783631856130
- ISBN (ePUB)
- 9783631856147
- ISBN (Hardcover)
- 9783631778425
- DOI
- 10.3726/b18479
- Open Access
- CC-BY
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2021 (September)
- Schlagworte
- Meistergesang Kodikologie Meisterlieder-handschrift Lyrik (um 1450) Wirkungsgeschichte Überlieferung
- Erschienen
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 430 S., 3 farb. Abb., 9 s/w Abb., 6 Tab.