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Völkerrechtliche Verpflichtungen von Staaten bei der Entscheidung über Rüstungsexporte

von Larissa Furtwengler (Autor:in)
©2021 Dissertation 336 Seiten

Zusammenfassung

Die Verfügbarkeit von Rüstungsgütern spielt eine zentrale Rolle in Konflikten und beeinflusst sie nachhaltig. Entscheidungen über Rüstungsexporte sind daher am Völkerrecht zu messen. Die Autorin schildert die geltenden völkerrechtlichen Vorgaben und setzt sich kritisch mit den widerstreitenden Interessen auseinander, die diesen Entscheidungen zu Grunde liegen. Im Anschluss an die Darstellung der nationalen, regionalen und internationalen Vorschriften, die Rüstungsexporte speziell regeln, geht sie der Frage nach, wann und unter welchen Voraussetzungen Rüstungsexporte im Lichte des Friedensicherungsrechts, der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts, sowie dem Recht der Staatenverantwortlichkeit zulässig sind.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Einleitung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Teil 1 Vorüberlegungen
  • Kapitel 1 Zum Forschungsgegenstand, seiner Eingrenzung und dem Gang der Bearbeitung
  • A. Der Forschungsgegenstand: Die völkerrechtlichen Anforderungen an Rüstungsexportentscheidungen
  • I. Rüstungskontrolle im Spannungsfeld von Recht und Politik
  • II. Gegenwärtiger Stand der Forschung
  • III. Forschungsfrage
  • IV. Die Herangehensweise
  • B. Eingrenzung des Themas
  • I. Rüstungsexportkontrolle: Eine Abgrenzung
  • II. Akteure
  • 1. Lieferungen eines Staates …
  • 2. … an einen anderen Staat oder einen nichtstaatlichen Akteur
  • III. Der Waffenbegriff
  • 1. Ein weiter Waffenbegriff
  • 2. Non-lethal assistance
  • IV. Innerstaatlicher bewaffneter Konflikt
  • V. Rechtliche Dimension
  • VI. Die Auswahl der Fallbeispiele
  • C. Gang der Bearbeitung
  • Kapitel 2 „A grim timeliness and a grimmer significance“ – historische Entwicklung und politische Aspekte von Rüstungsexportkontrollen
  • A. Die Entstehungsgeschichte der Rüstungsexportkontrolle
  • B. Ein Kaleidoskop politischer Interessen
  • I. Der internationale Waffenhandel, ein lukratives Geschäft?
  • II. Rüstungsexportkotrolle als Sicherheitsstrategie
  • 1. Politische Interessen: innere und äußere Sicherheit
  • 2. Menschenrechte im Zentrum staatlicher Reputationsüberlegungen
  • C. Ein Vietnamkrieg für Russland
  • D. Ergebnis
  • Kapitel 3 Rüstungsexportkontrolle im Überblick
  • A. Nationale, regionale und internationale Regulierung des Waffenhandels: „realizing utopia“ oder „organized hypocrisy”?
  • I. Embargos: Die Versagung von Waffen als Sanktion
  • II. Gemeinsamer Standpunkt in der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union 2008/944/GASP
  • a) Inhalt
  • (1) Kriterium 2: Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht
  • (2) Kriterium 3: Innere Lage im Endbestimmungsland
  • (3) Kriterium 7: Risiko der Abzweigung
  • b) Der Risikobegriff bei Rüstungsexportentscheidungen
  • c) Defizite und Errungenschaften
  • III. Ein Weihnachtsgeschenk für die Menschheit: Der Vertrag über den Waffenhandel der Vereinten Nationen
  • 1. Inhalt und Umfang
  • a. Art. 6 (3) ATT
  • b. Art. 7 (3) ATT
  • 2. Die Rolle des ATT bei der Regulierung des internationalen Waffenhandels
  • IV. Zwischenergebnis
  • V. Ausgewählte Exportkontrollsysteme im Überblick
  • 1. Vereinigte Staaten von Amerika
  • 2. Russland
  • 3. Frankreich
  • 4. Deutschland
  • 5. China
  • 6. Exportkontrollsysteme anderer relevanter Staaten
  • (1) Neutrale Staaten
  • (2) Italien und der ECCHR-Fall
  • (3) Das Vereinigte Königreich
  • 7. Uganda als Beispiel für die Rüstungskontrolle in einem reinen Empfangsland
  • 8. Endverbleibserklärungen als Mittel zum Risikomanagement
  • B. Ergebnis
  • Ergebnis Teil 1
  • Teil 2 Völkerrechtliche Verpflichtungen des liefernden Staates bei der Entscheidung über Rüstungsexporte
  • Kapitel 4 Waffenlieferungen als verbotene Intervention und Gewaltanwendung: ein Paradigmenwechsel?
  • A. Rechtsbruch, Rechtsänderung oder der Ausdruck einer abweichenden Rechtsauffassung: Die Rolle der Staatenpraxis im Völkerrecht
  • B. Von Nicaragua über das Ende des Kalten Krieges zum Arabischen Frühling – Ein Paradigmenwechsel?
  • I. Vom Grundsatzurteil zum buzzword: Das Nicaragua-Urteil des Internationalen Gerichtshofs aus dem Jahr 1986
  • II. Das Ende des Kalten Krieges
  • III. Der Arabische Frühling – ein Paradigmenwechsel?
  • 1. Libyen
  • 2. Syrien
  • 3. Jemen
  • 4. Zwischenergebnis
  • IV. Zwischenergebnis
  • C. Waffenlieferungen im Lichte des Interventions- und Gewaltverbots
  • I. Zwangselement und innere Angelegenheiten: Waffenlieferungen im Anwendungsbereich des Interventionsverbots
  • 1. Das Zwangselement
  • 2. Die „inneren Angelegenheiten“
  • 3. Zwischenergebnis
  • II. Intervention lite446 und das Gewaltverbot
  • III. Ausnahmen zum Interventions- und Gewaltverbot
  • 1. Waffenlieferungen in Wahrnehmung kollektiver oder individueller Selbstverteidigung
  • a. Anforderungen an einen bewaffneten Angriff
  • b. Unmittelbarkeit und Verhältnismäßigkeit der Selbstverteidigungshandlung
  • 2. Von Einladung, „negative equality“ und dem „principe de neutralité“
  • a. Dogmatische Grundlagen der Rechtsfigur
  • b. Neue Sichtweise
  • 3. Legitimate Representative of a People: zwischen Rhetorik und Wiederbelebung eines vergessenen Konzepts
  • 4. Von Aufständischen zu Kriegsführenden – Die Rolle des Neutralitätsrechts
  • 5. Humanitäre Intervention
  • IV. Zwischenergebnis
  • D. Ergebnis
  • Kapitel 5 Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht bei der Entscheidung über Rüstungsexporte
  • A. Menschenrechte
  • I. Besteht eine gewohnheitsrechtliche Verpflichtung zur Versagung von Rüstungsexporten an menschenrechtsverletzende Staaten?
  • II. Die Achtungsverpflichtung
  • 1. Welche Menschenrechte?
  • 2. Extraterritoriale Anwendbarkeit von Menschenrechtsverträgen
  • III. Von positiven Verpflichtungen und Schutzpflichten zu due diligence
  • 1. Menschenrechtliche Schutzpflichten
  • 2. Due diligence-Verpflichtungen
  • a. Völkerrechtliche due diligence
  • (1) Der Ursprung völkerrechtlicher due diligence
  • (2) Inhalt völkerrechtlicher due diligence
  • b. Bereiche des Völkerrechts, aus denen sich due diligence-Verpflichtungen ergeben könnten
  • c. Besonderheiten der due diligence im Bereich der Menschenrechte und dem humanitären Völkerrecht und ihr Verhältnis zu vertraglichen Regelungen wie dem ATT oder dem Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP
  • IV. Zwischenergebnis
  • V. Menschenrechtliche Verpflichtungen im Hinblick auf Lieferungen an nichtstaatliche Akteure
  • VI. Verantwortlichkeit für Menschenrechtsverletzungen des Empfangsstaates
  • VII. Zwischenergebnis
  • B. Humanitäres Völkerrecht als Begrenzung von Rüstungsexporten
  • I. Historische Verflechtungen des ius in bello und der Regulierung von Waffen
  • II. Die Verpflichtung to respect and to ensure respect
  • III. Zwischenergebnis
  • C. Der Konflikt im Jemen
  • I. Überblick
  • II. Waffenlieferungen und der Konflikt im Jemen
  • 1. Waffenlieferungen an Saudi-Arabien: Von risk assessments, Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht
  • a. Verifizierbare Fakten
  • b. Staatenpraxis
  • (1) Vereinigtes Königreich
  • i. Der Prozess
  • ii. Das Urteil
  • iii. Die Berufung
  • iv. Fazit
  • (2) Vereinigte Staaten von Amerika
  • (3) Deutschland
  • (4) Weitere Staatenpraxis
  • (5) Der Wandel durch den Fall Khashoggi: too little too late?
  • 2. Waffenlieferungen durch die Islamische Republik Iran an die Huthis
  • a. Verifizierbare Fakten
  • b. Briefwechsel der durch Saudi-Arabien geführten Koalition und der Islamischen Republik Iran im Sicherheitsrat und der Generalversammlung der Vereinten Nationen
  • c. Stellungnahmen außerhalb des Briefwechsels der Koalition und der Islamischen Republik Iran
  • (1) Islamische Republik Iran
  • (2) Staaten der durch Saudi-Arabien geführten Koalition
  • III. Zwischenergebnis
  • D. Zusammenführung der Erkenntnisse
  • E. Ergebnis
  • Kapitel 6 Staatenverantwortlichkeit in Situationen der Beteiligung
  • A. Gegenwärtige Diskussionen um Beteiligung und Sorgfaltspflichten: Überschneidungen, Verwechslungen und Ungenauigkeiten
  • B. Der „Tatbestand“ des Art. 16 ASR
  • I. Der Nexus von Hilfe und völkerrechtswidriger Handlung
  • II. Unterstützung „in view of“ und die Frage nach dem subjektiven Element
  • III. Gleichlauf der Verpflichtungen
  • IV. Zwischenergebnis
  • C. Der Tatbestand des Art. 41 (2) ASR
  • D. Staatenverantwortlichkeit für das Handeln von nichtstaatlichen Akteuren
  • E. Besonderheiten der Zurechnung im Bereich des humanitären Völkerrechts und dem Recht der Gewaltanwendung
  • I. Besonderheiten im Bereich der Gewaltanwendung
  • II. Besonderheiten im humanitären Völkerrecht
  • F. Das Völkermordverbot – Ein Plädoyer der Menschlichkeit an das Recht
  • G. Ergebnis
  • Ergebnis Teil 2
  • Teil 3 Zusammenfassung und Zukunftsaussichten
  • Kapitel 7 Zusammenfassung und Zusammenführung der Erkenntnisse
  • A. Zusammenfassung der Ergebnisse nach Kapiteln
  • B. „Timing matters“ – Der entscheidende Zeitpunkt
  • I. Frieden
  • II. Innerstaatlicher bewaffneter Konflikt
  • III. Völkermord
  • C. No Farewell to Arms
  • Literaturverzeichnis
  • Internetquellenverzeichnis
  • Annex
  • A. Eigene Grafiken
  • I. Waffenlieferungen an nichtstaatliche Akteure basierend auf SPRI-Daten
  • II. Völkerrechtliche Zulässigkeit von Waffenlieferungen
  • B. Beispiel für ein End-Use-Zertifikat für Kriegswaffen (Deutschland)
  • C. Grafiken des Stockholm International Peace Research Institutes
  • I. Die 10 größten Rüstungsexporteure von größeren konventionellen Waffen im Zeitraum 2014–2018
  • II. Die 10 größten Rüstungsimporteure von MCW im Zeitraum 2014–2018
  • III. Die 25 größten Exporteure von MCW und ihre Abnehmer, 2014–2018
  • IV. Die 25 größten Importeure von MCW und ihre Lieferanten, 2014–2018
  • V. Trend-indicator value Top 5 2018
  • D. Trade Register des Stockholm International Peace Research Institutes in TIV
  • I. Libyen
  • 1. Regierung
  • 2. House of Representatives
  • II. Syrien
  • 1. Regierung
  • 2. Rebellen
  • III. Jemen
  • 1. Regierung
  • 2. Nichtstaatlicher Akteur
  • IV. Myanmar
  • V. Lieferungen an Saudi-Arabien

←22 | 23→

Kapitel 1Zum Forschungsgegenstand, seiner Eingrenzung und dem Gang der Bearbeitung

Auf Sätze wie „Die Bundesregierung wird ab sofort keine Ausfuhren [von Rüstungsgütern] an Länder genehmigen, solange diese am Jemenkrieg beteiligt sind“,1 stößt man in den Nachrichten mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Dennoch sollten sie den Leser kurz innehalten lassen. Überraschender als das, was hier inhaltlich gesagt wird, ist die Tatsache, dass es überhaupt gesagt werden muss. Aus Sätzen wie diesem lässt sich zweifelsohne der Rückschluss ziehen, dass bis zu diesem Zeitpunkt – das obige Zitat stammt aus dem Jahr 2018 – Ausfuhren an Länder, die am Jemenkonflikt beteiligt sind, genehmigt wurden, der humanitären Katastrophe im Jemen zum Trotz. Dies überrascht nun vor allem, da die Bundesregierung ihre Genehmigungspraxis selbst regelmäßig als besonders restriktiv beschreibt.2 Man würde erwarten, dass bei einer restriktiven Genehmigungspraxis keine Waffen an Staaten geliefert werden, die aktiv an einem Konflikt beteiligt sind und die aufgrund ihrer innerstaatlichen Menschenrechtspraxis in der Kritik stehen. Tatsächlich waren 25 Prozent der gesamten deutschen Exporte von größeren konventionellen Waffen3 im Zeitraum von 2014 bis 2018 für den Mittleren Osten bestimmt.4 Alleine im Jahr 2018 wurden Genehmigungen für Exporte von Kriegswaffen im Wert von 147.070.952 Euro nach Saudi-Arabien erteilt.5 Dies scheint unvereinbar mit Aussagen der Bundesregierung, Rüstungsexporte nur unter Berücksichtigung der Menschenrechtssituation sowie der inneren und äußeren Lage im ←23 | 24→Empfangsstaat zu genehmigen.6 Das Königreich Saudi-Arabien ist seit Beginn des Konflikts im Jemen aufseiten der international anerkannten Regierung von Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi maßgeblich an dem Krieg beteiligt. Es führt eine Militärallianz an, die zur Unterstützung Hadis unter anderem mit Luftschlägen gegen die Opposition vorgeht, wie beispielsweise wohl auch noch Ende des Jahres 2020.7 In dieser Rolle sieht Saudi-Arabien sich vor allem in der jüngeren Vergangenheit verstärkt dem Vorwurf der Verletzung von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht ausgesetzt. Dokumentiert wurden diese sowohl durch anerkannte Nichtregierungsorganisationen8 und zuletzt auch durch ein Panel of Experts9 der Vereinten Nationen.10 Sowohl Medien also auch Nichtregierungsorganisationen befassen sich auch mehr und mehr mit der Rolle deutscher Waffen im jemenitischen Bürgerkrieg, vor allem vor dem Hintergrund einer potenziellen rechtlichen Verantwortlichkeit Deutschlands oder deutscher Firmen.11

Als es kurzzeitig zu einem Stopp der Rüstungsexporte an das Königreich Saudi-Arabien kommt, steht dies nicht im Zusammenhang mit dessen Rolle ←24 | 25→im Jemenkonflikt, sondern mit dem Fall des ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi, der im saudischen Konsulat in Istanbul durch Angehörige des saudischen Sicherheitsapparats getötet worden sein soll.12 Das Bundeswirtschaftsministerium gab infolgedessen am 19. November 2018 bekannt, „dass es derzeit keine Ausfuhren von Deutschland nach Saudi-Arabien gibt“13 (Hervorhebung durch die Verfasserin). Auch Mitte des Jahres 2019 wird aber über Rüstungsexporte in Milliardenhöhe an das Königreich berichtet.14 Im Jahr 2020 gelangen weiterhin Waffen in das Königreich, wenn nun auch über Umwege und in weitaus geringerem Umfang.15

Die Art und Weise, wie über Rüstungsexportentscheidungen gesprochen wird, sowohl von den handelnden Staatsorganen selbst als auch von der Presse, Nichtregierungsorganisationen oder von Gremien internationaler Organisationen, erweckt oft den Eindruck, es handle sich um Entscheidungen, die Regierungen nach eigenem Ermessen und frei von äußeren Einflüssen oder Vorgaben treffen können. Doch schon die oberflächliche Betrachtung dieses einen, pointiert und grob vereinfacht dargestellten grenzüberschreitenden Sachverhalts, wirft die Frage auf, ob Regierungen bei der Entscheidung über Rüstungsexporte wirklich alleine ihrem Gewissen unterworfen sind oder ob vielmehr nationale, regionale und gegebenenfalls auch internationale Verpflichtungen bestehen, an denen sich Rüstungsexportentscheidungen von Regierungen letztlich messen lassen müssen?

A.Der Forschungsgegenstand: Die völkerrechtlichen Anforderungen an Rüstungsexportentscheidungen

Die Arbeit befasst sich mit den rechtlichen, vor allem den völkerrechtlichen Verpflichtungen von Staaten, bei der Entscheidung über Rüstungsexporte an andere Staaten oder nichtstaatliche Akteure. Einen besonderen Schwerpunkt der Betrachtung bilden dabei innerstaatliche bewaffnete Konflikte16.←25 | 26→

I.Rüstungskontrolle im Spannungsfeld von Recht und Politik

Ihrer hohen politischen und militärisch-taktischen Bedeutung zum Trotz, wurde die Frage nach den völkerrechtlichen Verpflichtungen von Staaten bei der Entscheidung über Rüstungsexporte bisher noch nicht umfassend bearbeitet. Dies ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass diesen Entscheidungen ein weitverzweigtes Netz aus teils widerstreitenden Interessen unterliegt, das zu durchdringen nicht immer leicht ist. Waffenlieferungen haben von Natur aus eine hohe innen- und außenpolitische, wirtschaftliche und vor allem auch sicherheitspolitische Bedeutung. Infolgedessen tritt ihre rechtliche Natur, also ihre Rolle als Regelungsgegenstand internationalen, regionalen oder nationalen Rechts, oftmals in den Hintergrund. Es ist allen voran ihre sicherheitspolitische Bedeutung, in der die überwiegend geheimen Entscheidungsfindungsprozesse begründet sind, die Rüstungsexporten zumeist zugrunde liegen. In vielen Fällen können diese Entscheidungsprozesse keiner Rechtmäßigkeitsprüfung durch die Judikative zugeführt werden. Generell wird schon die Ermittlung der Fakten erheblich dadurch beeinflusst und erschwert, dass Staaten die fast vollständige Kontrolle über die Berichterstattung innehaben. Nur jene Informationen treten nach außen, die von den jeweiligen Regierungen dafür bestimmt wurden oder im Einzelfall durch investigativen Journalismus17 aufgedeckt werden konnten. Diese Schwierigkeiten bei der Suche nach belastbaren Fakten könnten dazu beigetragen haben, dass die konkreten nationalen, regionalen und auch internationalen rechtlichen Anforderungen an Waffenlieferungsentscheidungen bisher, wenn überhaupt, nur vereinzelt in der (völker-)rechtlichen Fachliteratur angesprochen wurden.

Dabei mangelt es dieser Fragestellung bis heute nicht an Aktualität: In den fünf Jahren von 2012 bis 2017 wurden weltweit mehr Major Conventional Weapons geliefert als in jeder anderen Fünfjahresperiode seit Ende des Kalten Krieges, wobei sich darüber hinaus kein Abflachen dieses seit Beginn der 2000er Jahre andauernden Aufwärtstrends abzeichnet.18 Mehr noch: Der ←26 | 27→konfliktbelastete Mittlere Osten erfuhr in diesem Zeitraum gar mehr als eine Verdopplung der Waffenimporte im Vergleich zum vorherigen Fünfjahreszeitraum:

„Most countries in the Middle East were directly involved in violent conflict in 2013–17, and arms imports by states in the region increased by 103 percent between 2008–12 and 2013–17. During 2013–17, 31 per cent of arms transfers to the region went to Saudi Arabia, 14 per cent to Egypt and 13 per cent to the UAE. Iran, the second most populous state in the Middle East, accounted for 1 per cent of arms imports to the region. The USA supplied 52 per cent of total arms transfers to the region, followed by the UK (9.4 per cent) and France (8.6 per cent).“19

Auch zwischen 2014 und 2018 zeichnet sich eine Zunahme der weltweiten Exporte um 7,8 Prozent ab, wobei Lieferungen in alle Regionen abnahmen, mit Ausnahme des Mittleren Ostens. Hier konnte ein Anstieg um 87 Prozent verzeichnet werden.20 Entsprechendes gilt für Waffenlieferungen an nichtstaatliche Akteure. So sehr diese auch wie ein Thema unserer Zeit anmuten, wurden sie jedenfalls seit Mitte der 1950er Jahre – zwar in variierendem Ausmaß, aber doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit – vorgenommen, wie die Grafik im Annex A. I verdeutlicht.

Seit 2014 steht all dies nun völkerrechtlich auch vor dem Hintergrund des Vertrages über den Waffenhandel, welcher gerade auch die menschenrechtliche Situation im Empfangsstaat und dessen Einhaltung von humanitärem Völkerrecht zum Gegenstand hat. Bisher wurde er von mehr als der Hälfte der Top 10 Exportnationen unterzeichnet,21 allesamt Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Mit den USA und Russland sind allerdings zwei zentrale Rüstungsexporteure unter den 56 Staaten, die dem Vertrag noch nicht beigetreten sind.22 Wie sich diese mangelnde Universalität des Vertrages und dessen vager Wortlaut in der Praxis niederschlagen, wird an späterer Stelle Gegenstand eingehender Betrachtung. Die weitreichende Unterstützung die der Arms Trade Treaty23 erfuhr, grenzt – trotzt aller Unzulänglichkeiten – an ein Wunder. Möglich wurde der ATT, nach fast jahrhundertelangen Bemühungen, den ←27 | 28→internationalen Waffenhandel zu regulieren nur, dank der mit dem Ende des Kalten Krieges beginnenden Periode der Humanisierung der Rüstungs(export)kontrolle. Ihre Perpetuierung ist nicht zuletzt auch der medialen Aufmerksamkeit geschuldet, die Waffenlieferungen in Konfliktzonen erfuhren und auch weiterhin erfahren. So beispielsweise bei den Konflikten in Libyen, Syrien und zuletzt im Jemen. Dies war vormals, zu Zeiten der Blockkonfrontation, noch undenkbar. Denn Waffenlieferungen sind trotz jüngster Fortschritte in staatlicher Transparenz bis heute das Paradebeispiel für sogenannte covert actions, also verdeckte Militäroperationen, die politische, wirtschaftliche oder militärische Veränderungen im Ausland herbeiführen sollen.24 Als solche wirken sie weitreichend und tiefgreifend auf den Ausbruch und die Dauer von Konflikten ein, während sie für den liefernden Staat selbst ein verhältnismäßig geringes Risiko bergen, vor allem im Vergleich zu Militäreinsätzen im Ausland. Der Zusammenhang von Waffenlieferungen und der potenziellen Beeinträchtigung von Menschenrechten und dem humanitären Völkerrecht ist daher naheliegend. Als Mittel der Außenpolitik kann ihnen darüber hinaus gegebenenfalls auch Eingriffscharakter innewohnen oder sie könnten gar verbotene Gewalt im Sinne des Gewaltverbotes darstellen. Wie im Folgenden dargestellt wird, ist die umfassende Einordung von Waffenlieferungen in das System des Völkerrechts angezeigt, die bisher aber noch weitgehend unterblieben ist. Dies wird durch den folgenden Überblick über den gegenwärtigen Stand der Forschung unterstrichen. Daran schließt sich die Formulierung der Forschungsfrage der Arbeit an.

II.Gegenwärtiger Stand der Forschung

Völkerrechtliche Pflichten bei der Entscheidung über Rüstungsexporte werden in der Völkerrechtsliteratur, wenn überhaupt, nur am Rande besprochen. Werke wie „Neutralität und Waffenhandel“ von Stefan Oeter aus dem Jahr 1992,25 die gezielt auf einzelne völkerrechtliche Aspekte des Handels mit Waffen eingehen, ←28 | 29→sind äußerst selten. „The Arms Trade and International Law“ titelt Zeray Yihdego 2007,26 schränkt jedoch den Umfang seiner Studie entscheidend auf sogenannte Small Arms and Light Weapons27 ein. Jörg Künzli befasst sich in seiner Habilitation „Vom Umgang des Rechtsstaates mit Unrechtsregimes“28 aus dem Jahr 2008 mit den „Grenzen des Verhaltensspielraums der Schweiz gegenüber Völkerrecht missachtenden Staaten“ und erarbeitet diese Problematik unter anderem am Beispiel von Kriegswaffenexporten.

In der Vergangenheit wurden Waffenlieferungen regelmäßig eher aus einer politischen Perspektive heraus betrachtet. Es wurde versucht, ihre Rolle in der Außenpolitik zu erklären und Entscheidungsfindungsprozesse nachzuzeichnen.29 Romain Yakemtchouk stellt daher im Jahr 1980 noch fest, dass

„[i]‌l n’y a pas de nos jours de règlementation normative à de tels transferts, ou plutôt il y en a peu, et il n‘y a pas beaucoup d’espoir qu‘il soit possible de réaliser en cette matière dans un proche avenir des progrès plus ou moins substantiels.“30

Er sollte Recht behalten mit seiner Annahme, dass eine Änderung in naher Zukunft nicht realisierbar sein würde: bis zum Vertrag über den Waffenhandel der Vereinten Nationen sollten noch 34 Jahre vergehen. Seine Einschätzung, dass es an normativer Regulierung von Waffenlieferungen fehlt, teilen auch später noch andere Bearbeiter.31 Stellt man „règlementation normative“ mit spezialgesetzlicher Regelung gleich, ist diese Erkenntnis schwer von der Hand zu weisen. Außerhalb spezialgesetzlicher Regelungen sind Waffenlieferungen aber im Rahmen des bestehenden Völkervertragsrechts seit jeher in gewissem Maße quasi mitgeregelt, beispielsweise als verbotene Intervention oder Menschenrechtsverletzung, sofern sie die jeweiligen Voraussetzungen erfüllen.←29 | 30→

Mit den Verhandlungen zum ATT nahmen auch wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Exportkontrolle als solcher zu. Diese waren vorwiegend mit der Notwendigkeit eines Vertrages befasst, berührten aber immer wieder auch völkerrechtliche Vorgaben, entweder allgemein32 oder auf bestimmte Problemstellungen wie nichtstaatliche Akteure bezogen.33 Nach dem Inkrafttreten des ATT im Jahr 2014 finden sich dann auch Kommentare,34 die, im Rahmen der Erläuterung der lex specialis-Rolle des ATT, auch Ausführungen zu den allgemeinen menschenrechtlichen Verpflichtungen und solchen des humanitären Völkerrechts machen.

Hinsichtlich der menschenrechtlichen Verpflichtungen bei der Entscheidung über Rüstungsexporte im Speziellen sind das von Stuart Casey Maslen herausgegebene Buch „Weapons Under International Human Rights Law“ aus dem Jahr 201435 und die Masterarbeit von Maya Brehm aus dem Jahr 200536 auch heute noch maßgeblich. Hin und wieder finden sich auch kurze Hinweise auf die mögliche Problematik von Menschenrechten und Waffenlieferungen im Rahmen der Bearbeitung von menschenrechtlichen Fragestellungen, darunter bei Marko Milanovic in „Extraterritorial Application of Human Rights Treaties“,37 Walter Kälin und Jörg Künzli in ihrem Menschenrechtslehrbuch38 und jüngst Anja Seibert-Fohr in ihrem Aufsatz zu due diligence mit einem Fokus auf Menschenrechte und Waffenlieferungen39.←30 | 31→

Im Bereich des humanitären Völkerrechts finden sich zahlreiche Arbeiten, die mit der Zulässigkeit bestimmter Waffenarten und deren Vereinbarkeit mit dem humanitären Völkerrecht befasst sind.40 Hier stehen jedoch regelmäßig nicht Lieferung oder Handel dieser Waffen im Vordergrund, sondern vielmehr die Art und Weise ihres Einsatzes.41 Auch im Bereich des humanitären Völkerrechts ist die Arbeit von Maya Brehm grundlegend.42 Vereinzelt finden sich Berichte über bestimmte Einzelfälle, wie beispielsweise Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien durch das Vereinigte Königreich, in denen deren Implikationen für das humanitäre Völkerrecht im Detail herausgearbeitet werden.43

Innerhalb des Friedenssicherungsrechts der Charta der Vereinten Nationen und im entsprechenden Völkergewohnheitsrecht werden Interventions- und Gewaltverbot regelmäßig im Zusammenhang mit Waffenlieferungen angesprochen. Leider erschöpft sich dies zumeist in einem kursorischen Verweis auf das Nicaragua-Urteil des Internationalen Gerichtshofes44 und dessen Feststellungen zur Verletzung des Interventions- und eventuell gar des Gewaltverbots. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den rechtlichen Einzelheiten des Friedenssicherungsrechts bleibt jedoch aus, auf ihr Fehlen wird bisweilen hingewiesen.45 Im Lichte gegenwärtiger Konflikte, die nicht unerheblich durch Waffenlieferungen geprägt sind, sind das Interventions- und Gewaltverbot und vor allem die Möglichkeit ihrer gewohnheitsrechtlichen Veränderung ←31 | 32→Gegenstand reger Diskussionen.46 Hier werden vor allem die Waffenlieferungen an nichtstaatliche Akteure betrachtet und die Schwierigkeiten, die sich aus deren ohnehin unklarer Rolle im Völkerrecht im Allgemeinen ergeben, angesprochen. Zum Inhalt und Umfang des Interventionsverbots im Bürgerkrieg ist die Dissertation von Christina Nowak derzeit wohl die umfassendste Bearbeitung. Sie ist auch ausführlich mit der Praxis der Staaten befasst.47 In einem Kapitel widmet sie sich auch der Frage, ob die Waffenlieferungspraxis der Staaten in den Konflikten in Libyen, Syrien, Irak und Jemen zu einem Wandel des Interventionsverbots in diesem Bereich geführt hat, was sie letztlich sowohl für Lieferungen an die Regierung als auch für Lieferungen an die Opposition verneint.48 Waffenlieferungen an Regierungen werden an sich nur sehr selten im Zusammenhang mit der Frage nach einem Verbot der Einmischung in Bürgerkriege diskutiert, da sie meist jedenfalls aufgrund einer wirksamen Einladung der Regierung49 als zulässig erachtet werden. Teils wird die Wahrung einer negativen Gleichheit, negative equality,50 als völkerrechtlich geboten erachtet, also eine Gleichbehandlung von Regierung und nichtstaatlichen Akteuren, sodass folglich von Lieferungen an die Regierung abzusehen wäre, soweit solche an die Opposition verwehrt wären.51 Wurden Regierungen hingegen in ←32 | 33→unzulässiger Weise mit Waffen beliefert, könnten als Konsequenz Lieferungen an nichtstaatliche Akteure im Rahmen einer sogenannten Gegenintervention – counterintervention – zulässig sein; wobei dann vice versa das Gleiche gelten muss.52 Diese Rechtsfigur ist allerdings umstritten und gegenwärtig noch de lege ferenda, also gerade nicht Teil des gegenwärtig geltenden Völkerrechts.

Neben der Frage nach der Vereinbarkeit von Waffenlieferungen mit den genannten Völkerrechtsbereichen und ihren Primärnormen kann auch das Sekundärrecht, namentlich das Recht der Staatenverantwortlichkeit, den Handlungsspielraum von Staaten beschränken. In Betracht kommt hier etwa eine derivative Haftung von liefernden Staaten für Handlungen, die mithilfe der gelieferten Waffen von einem Drittstaat oder einem nichtstaatlichen Akteur vorgenommen wurden. Dieser Problembereich wird unter der Überschrift complicity besprochen, wobei dabei nur vereinzelt auch auf Waffenlieferungen als ein möglicher Unterfall dieser Problematik eingegangen wird.53

Beiträge zur Regulierung von Rüstungsexporten sind, jedenfalls in Deutschland, schon einige Jahre alt54 oder erschöpfen sich weitestgehend in der ←33 | 34→Betrachtung des nationalen Rechts55. Der internationale Rahmen von Rüstungsexportregulierungen wird, wenn überhaupt, nur beschreibend dargestellt.56 Dabei erschöpft sich hier sodann auch die Darstellung von Exportkontrollsystemen meist in der Beschreibung der Systeme, eine kritische Auseinandersetzung mit einzelnen oder ein Vergleich mehrerer Systeme bleibt aus.

III.Forschungsfrage

Im Rahmen der Arbeit wird folgende Forschungsfrage aufgeworfen und beantwortet:

Welche völkerrechtlichen Verpflichtungen treffen einen exportierenden Staat bei der Entscheidung über Rüstungsexporte an eine Regierung oder einen nichtstaatlichen Akteur, insbesondere zu Zeiten des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Empfangsstaat?

IV.Die Herangehensweise

Zur Beantwortung der Forschungsfrage bedient sich die Arbeit eines vielschichtigen Ansatzes, in dessen Zentrum stets die Ermittlung des geltenden Rechts steht. Hierfür werden die Bereiche des Völkerrechts dargestellt, deren Anwendungsbereich durch Rüstungsexportentscheidungen in vielfältiger Weise besonders betroffen zu sein scheint. Unter Zuhilfenahme von Fallbeispielen soll nun für diese Bereiche erörtert werden, welche Voraussetzungen de ←34 | 35→lege lata Rüstungsexportentscheidungen erfüllen müssen. Dies geschieht unter Zuhilfenahme der Rechtsquellen des Art. 38 IGH-Statut sowie der üblichen Auslegungsmethoden. Eine besondere Rolle spielt dabei regelmäßig die Frage, ob eine einheitliche Staatenpraxis ein bisheriges Verständnis dieser Prinzipien und Normen gewohnheitsrechtlich verändern konnte oder ob eine eventuell abweichende Praxis einen bloßen Rechtsverstoß darstellt. Die Auswahl der Fallbeispiele ist hier vor allem dadurch bedingt, dass gewisse Konstellationen die zentralen Herausforderungen einzelner Bereiche besonders zutage treten lassen. Die Fallauswahl wird in Kapitel 1 unter B. IV. gesondert begründet.

In jedem Einzelfall muss stets ermittelt werden, ob, wann, an wen und in welchem Umfang Waffen geliefert wurden. Die Beantwortung dieser zentralen Fragestellung ist faktisch schwierig und die Bewältigung dieser empirischen Aufgabe gelang nur im Rückgriff auf die gängigen Datenbanken des Stockholm International Peace Research Institutes57, des Peace Research Institutes Oslo in Zusammenarbeit mit der Universität Uppsala und des Uppsala Conflict Data Programs58; wobei sich nicht alle aus den Datenbanken gewonnenen Erkenntnisse in der Arbeit niederschlagen. Diese Datenbanken bedienen sich nationalen und regionalen Rüstungsexportberichten sowie Notifikationen im Rahmen des Wassenaar-Übereinkommens und des UN-Waffenregisters. Aufgrund des jeweils individuell definierten Arbeitsbereichs dieser Institutionen – die SIPRI-Datenbanken sind beispielsweise auf sogenannte Major Conventional Weapons beschränkt59 – fallen jedoch regelmäßig Lieferungen durch das Raster und werden von den Datenbanken nicht erfasst. Auch die bisweilen hohen Anforderungen an die Nachweisbarkeit von Lieferungen zur Aufnahme in die Datenbanken führen oft dazu, dass Lieferungen an nichtstaatliche Akteure oder Regierungen in Konfliktzonen nicht erfasst werden. Die Arbeit greift daher in diesen Bereichen zusätzlich auf Berichte von internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen zurück. Fälle, in denen keine der genannten Quellen verfügbar sind, für die sich allerdings seriöse Zeitungsberichte finden, werden ebenfalls in die Bearbeitung aufgenommen. Dies rechtfertigt sich vor allem durch die Aufgabenstellung der Arbeit: Ziel ist es nicht, auf belastbare Weise den Nachweis zu führen, dass bestimmte Waffenlieferungen tatsächlich ←35 | 36→stattgefunden haben. Vielmehr soll das Völkerrecht im Lichte der Praxis der Staaten dargestellt und analysiert werden. Diese Praxis tritt auch in Fällen zutage, in denen sich Staaten lediglich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, Waffen geliefert zu haben und Waffenlieferungen so Teil der öffentlichen Diskussion werden, ohne dass es auf ihren eindeutigen Nachweis ankäme.

Im Verlauf der Erstellung der Arbeit hatte die Bearbeiterin Gelegenheit, im Rahmen eines mehrwöchigen Aufenthaltes Einblicke in die Rüstungskontrollpraxis des National Focal Point for Small Arms and Light Weapons in Uganda zu erlangen. Ferner lieferte ein weiterer mehrwöchiger Aufenthalt beim Stockholm International Peace Research Institute Einblicke in die Gewinnung der Daten für die Datenbank des Instituts. Diese Erfahrungen beeinflussten den Umgang mit und die Herangehensweise an die Fragestellung und finden dadurch Eingang in die Arbeit, ohne empirisch quantifizierbar zu sein.

B.Eingrenzung des Themas

Rüstungsexporte berühren, wie einleitend dargestellt, eine Vielzahl von staatlichen Kerninteressen, die ein weitverzweigtes Netz bilden, das der Fragestellung unterliegt. Die Einschränkung des Themas ist daher geboten, um eine nachvollziehbare Bearbeitung der zentralen Aspekte zu ermöglichen. Die vorgenommenen Einschränkungen dienen dazu, nach einem Überblick über das Thema als solches zentrale Einzelprobleme hervortreten zu lassen. Gegenstand der Arbeit sind demnach die völkerrechtlichen Anforderungen an Rüstungsexportentscheidungen von Staaten, wobei ein besonderer Fokus auf den Besonderheiten zu Zeiten des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Empfängerstaat liegt.

Im Fortgang wird nun eine Abgrenzung dieser Fragestellung zu Rüstungsexportkontrolle im Allgemeinen vorgenommen (I.) bevor sich den Akteuren (II.) und schließlich den notwendigen Arbeitsdefinitionen (III.) zugewandt wird. Nach einer Erläuterung der rechtlichen Dimension der Arbeit (IV.) wird der Umgang mit der Staatenpraxis erläutert (V.)

I.Rüstungsexportkontrolle: Eine Abgrenzung

Eine erste Einschränkung findet mit der Fokussierung auf Entscheidungen über Rüstungsexporte in Abgrenzung zu arms control (Rüstungskontrolle), disarmament (Abrüstung) und non-proliferation (Nichtweiterverbreitung) statt. Im Folgenden werden diese Begriffe und ihr Verhältnis zueinander kurz dargestellt. Dies erlaubt es, ihre inhärenten Unterschiede aufzuzeigen und sie gleichzeitig grob in den größeren rechtlichen und politischen Zusammenhang ←36 | 37→einzuordnen. Allen drei Begriffen, Rüstungskontrolle, Nichtweiterverbreitung und Abrüstung, liegt im Kern der Gedanke zugrunde, die Anzahl der in der Welt zirkulierenden Waffen und die mit ihnen ausgetragenen Konflikte zu reduzieren. Hinsichtlich des Verständnisses des Zusammenhangs von Waffen und Konflikten gehen die drei Konzepte jedoch von unterschiedlichen Grundannahmen aus.

Rüstungskontrolle ist hier der allgemeinere Begriff, der oft verwendet wird, um alle Unternehmungen zu beschreiben, die mit der Einschränkung und Beschränkung von Rüstungsgütern in einem irgendwie gearteten Zusammenhang stehen.60 Der Begriff der Rüstungskontrolle als solcher kann daher die beiden anderen Konzepte, Abrüstung und Nichtweiterverbreitung, begrifflich durchaus umfassen. Die Rüstungskontrolle ist darüber hinaus aber auch Selbstzweck. Eines der zentralen Ziele von Rüstungskontrolle ist die Verhütung von Konflikten durch die Schaffung von mehr Sicherheit und Stabilität.61 Staaten versuchen mit Rüstungskontrolle diese Sicherheit zu schaffen oder zu fördern, indem sie kooperativ vorgehen und ihr Rüstungsverhalten wechselseitig anpassen.62 Stabilität soll vor allem durch erhöhte Vorhersehbarkeit geschaffen werden, die das gegenseitige Wissen um die Verteidigungskapazitäten unter Staaten mit sich bringt.63 Konflikte, und mit ihnen die darin zum Einsatz kommenden Waffen, werden als gegeben angesehen und Rüstungskontrolle zielt, schon begrifflich, auf deren Regulierung, nicht aber auf deren Abschaffung. Dabei erkennt das Konzept der Rüstungskontrolle aber durchaus die destabilisierende Wirkung des Anhäufens von Waffen an und will dieser durch Kontrolle entgegenwirken.64←37 | 38→

Exportkontrollen werden im Rahmen der Rüstungskontrolle als Mittel eingesetzt, das Stabilität und Balance fördern soll. Ein vollständiges Absehen von Exporten ist auch hier schon rein begrifflich nicht das Ziel, vielmehr geht es darum, dem illegalen Handel mit Waffen beziehungsweise ihrer unvorhergesehenen Verbreitung vorzubeugen oder diese zu bekämpfen. Der Exportkontrolle obliegt es ferner regelmäßig, die teils widerstreitenden Interessen aller betroffenen Akteure angemessen in Ausgleich zu bringen: Denn Waffen sind, wie in der Folge noch dargestellt werden wird, nicht nur Mittel der Kriegsführung, sondern auch der Selbstverteidigung. Sie sind darüber hinaus ein Gut, mit dem über Grenzen hinweg gehandelt wird, wodurch staatliche Exportbeschränkungen und Regelungen gegebenenfalls auch mit den Rechten der produzierenden Unternehmen in Einklang gebracht werden müssen.

Non-Proliferation, ein Begriff, der vor allem im Zusammenhang mit Nuklearwaffen geläufig ist, stellt einen Teilbereich beziehungsweise einen besonderen Unterfall der Rüstungskontrolle dar. Dieser hat es sich zum Ziel gemacht, die Verbreitung bestimmter Waffen an Staaten, die diese noch nicht besitzen, zu verhindern. Der Atomwaffensperrvertrag, Non-Proliferation Treaty, ist ein prominentes Beispiel für einen solchen Vertrag, der gleichwohl allen Vertragsparteien Pflichten auferlegt. In Art. 1 verpflichten sich die Staaten, die Nuklearwaffen besitzen, diese nicht weiterzugeben, und in Art. 2 wird den Staaten, die keine Nuklearwaffen besitzen, die Pflicht auferlegt, solche nicht zu beschaffen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass es zur Stabilität beitrage, wenn weniger Staaten diese Waffen zu ihrer Verfügung haben.

Abrüstung steht nun insoweit im Gegensatz zu den vorgenannten Konzepten, als dass hier die Existenz und Verfügbarkeit von Waffen schon als Ursprung für Konflikte gesehen wird und daher ihre vollständige Abschaffung das Ziel ist, um Konflikte zu minimieren und zu verhindern.65 Dabei beschreibt der Begriff Abrüstung sowohl den Prozess als auch dessen Ziel.66 Während also alle drei der dargestellten Instrumente der Außen- und Sicherheitspolitik, die Eindämmung von Konflikten durch die Reduktion von Waffen anstreben, wird im Rahmen von Rüstungskontrolle und Nichtweiterverbreitung ausreichende Stabilität schon durch die Herbeiführung einer gewissen Balance und ←38 | 39→Vorhersehbarkeit erwartet. Verfechter von Abrüstung hingegen verlangen für das Erreichen dieses Zieles die vollständige Eliminierung aller Waffen.67

Seit einigen Jahren ist nun noch ein Teilbereich der Rüstungskontrolle auf dem Vormarsch, die sogenannte humanitäre Rüstungskontrolle.68 Dieser Begriff beschreibt eine Rüstungsexportkontrolle, die im Gegensatz zu wirtschaftlichen oder politischen Überlegungen humanitäre Betrachtungen in den Mittelpunkt rückt.69 Sie steht im natürlichen Fortgang des, mit dem Ende des Kalten Krieges beginnenden, zunehmenden Eingangs humanitärer Überlegungen in die Rüstungskontrolle und deren entsprechender Regelungswerke,70 der seinen vorläufigen Höhepunkt in der Unterzeichnung des ATT im Jahr 2014 fand.

Mit der Fokussierung auf Rüstungsexportentscheidungen von Staaten beschränkt sich diese Arbeit also maßgeblich auf einen bestimmten Bereich der Rüstungskontrolle, den der Exportkontrollen. Diese können durchaus als Rüstungskontrolle im engeren Sinne verstanden werden, wohingegen der Überbegriff Rüstungsexportkontrolle im weiteren Sinne auch Abrüstung und Nichtweiterverbreitung umfasst. Diese Einschränkung wurde bewusst gewählt, da es sich hier gerade um den Bereich handelt, den der exportierende Staat direkt kontrolliert: Ein legaler Transfer von Waffen ist in allen71 Staaten von der Genehmigung beziehungsweise Lizensierung durch die Regierung abhängig. Durch diesen Prozess der Autorisierung unterstehen die Lieferungen der Waffen, die überwiegend von privaten Unternehmen produziert und verkauft werden, so weit der Einflussnahme und mithin dem Verantwortungsbereich von Regierungen, dass sich gegebenenfalls auch Konsequenzen für sie ergeben können oder müssen.←39 | 40→

II.Akteure

1.Lieferungen eines Staates …

Die Begriffe Rüstungsexportentscheidungen oder Waffenlieferungen – die im Laufe der Arbeit synonym verwendet werden – bezeichnen die Autorisierung eines Transfers von Waffen durch eine Regierung an eine andere Regierung oder einen nichtstaatlichen Akteur. Durch die Entscheidung, sich auf die „Lieferung eines Staates“ zu beschränken, ist die Problematik der Waffenlieferungen durch private Unternehmen bewusst ausgeklammert, wohl wissend, dass auch diese durchaus Potenzial haben, völkerrechtlich problematisch zu sein.72 Begründet liegt diese Entscheidung darin, dass kein Staat bekannt ist, dessen Regierung sich nicht die letztendliche Entscheidungsgewalt über Waffenlieferungen von privaten Akteuren, über die Erteilung von Genehmigungen oder durch ähnliche Mechanismen, vorbehält. So wird das Problem der legalen Rüstungsexporte von privaten Unternehmen außerhalb staatlicher Kontrolle faktisch neutralisiert. Es ist nun gerade diese Verantwortung des Staates, die eine eventuelle (völker-)rechtliche Verantwortlichkeit nach sich ziehen könnte. Diese etwaige Verantwortlichkeit des Staates wiederum führt im Einzelfall keineswegs zur Befreiung des Herstellers von jeglicher Verantwortlichkeit, zumal sich diese Verantwortlichkeiten oftmals gerade nicht überschneiden werden: Eine menschenrechtliche Verpflichtung von Unternehmen73 ist im Völkerrecht gerade noch nicht anerkannt. Für Unternehmen kommt daher in erster Linie je nach Einzelfall eine Haftung nach Maßgabe der nationalen zivilrechtlichen, strafrechtlichen oder verwaltungsrechtlichen Vorgaben in Betracht. Ihnen allen ist für den Fall von Waffenlieferungen gemein, dass das Unternehmen für Handlungen in Haftung genommen wird, die staatliche Vorgaben umgehen oder aushebeln sollten.

Unterstützt wird diese Verantwortungszuschreibung zum Staat auch durch die Wahrnehmung von Waffenlieferungen auf dem internationalen Parkett, in der Presse und in der Bevölkerung: Forderungen, dass einzelne Unternehmen keine Waffen mehr an bestimmte Länder liefern sollten, sind selten, in ←40 | 41→der Regel wird stattdessen der Staat in die Verantwortung genommen. So wird beispielsweise berichtet, Deutschland,74 die USA,75 Russland76 oder Großbritannien77 hätten Waffen geliefert, beziehungsweise gefordert, sie sollten welche liefern oder eben von Lieferungen absehen.

Bisweilen lassen sich die Politik eines Staates und die Verhandlungen über Rüstungsexporte kaum trennen. Ein eindrucksvolles Beispiel für die Verstrickung einer Regierung in Rüstungsgeschäfte Privater ist hier der als „biggest arms deal of all time“ bezeichnete Al-Yamamah-Vertrag aus dem Jahr 1985.78 Dabei rettete ein Rüstungsexportvertrag der britischen Regierung mit Saudi-Arabien von beträchtlichem Ausmaß die gerade privatisierte britische Gesellschaft British Aerospace Electronic Systems79.80 Hierfür sollen wiederum hohe Bestechungsgelder an Mitglieder der saudischen Königsfamilie gezahlt worden sein sowie an Militär und Regierung des Königreiches, wie durch Whistleblower, investigativen Journalismus und einen Aktivisten aufgedeckt wurde.81 Man vermutet, dass der Vertrag bis zum Jahr 2007 Einnahmen ←41 | 42→in Höhe von 43 Milliarden US-Dollar für BAE Systems generierte.82 Bezahlt wurden die Lieferungen von Saudi-Arabien an das britische Verteidigungsministerium in Öl, wodurch die Einnahmen nicht Teil des britischen Staatshaushaltes wurden. Korruptionsvorwürfe begannen unmittelbar nach dem Vertragsschluss laut zu werden und hielten sich bis ins neue Jahrtausend. Auch zahlreiche Ermittlungen gegen die Beteiligten und BAE Systems konnten diese nicht vollends ausräumen. Der Grund: Eine Untersuchung des Serious Fraud Office wird im Jahr 2006 grundlos ausgesetzt, 2010 bekennt BAE sich des „false accounting“ für schuldig und bezahlte eine Strafe von 400 Millionen US-Dollar.83 Damit finden alle Ermittlungen ein Ende, zu Verhaftungen kommt es nicht.84 Dieser Fall zeigt, neben der eindrücklichen Größenordnung der infrage stehenden Exportverträge, dass, obwohl Waffen oft von privaten Unternehmen hergestellt und verkauft werden, die Rolle der Regierung bei den Verhandlungen über ihren Export und dessen Ausführung zentral ist. So zentral, dass sich dies schließlich auch im Sprachgebrauch internationaler Organisationen niederschlägt: Auch hier wird stets auf Staaten, nicht auf einzelne Unternehmen, Bezug genommen.85 Gleiches gilt für führende Forschungseinrichtungen wie SIPRI86 oder das Small Arms Survey87 sowie für NGOs wie Saferworld88, Campaign Against the Arms Trade89 oder Conflict Armament ←42 | 43→Research90, die allesamt in ihren Berichten durchweg von Lieferungen von Staaten sprechen.

Details

Seiten
336
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631867495
ISBN (ePUB)
9783631867501
ISBN (MOBI)
9783631867518
ISBN (Paperback)
9783631865637
DOI
10.3726/b19060
DOI
10.3726/b19125
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (November)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 336 S., 9 farb. Abb., 9 s/w Abb.

Biographische Angaben

Larissa Furtwengler (Autor:in)

Larissa Furtwengler studierte Rechtswissenschaften mit dem Schwerpunkt Völker- und Europarecht an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und der Université Catholique de Lille. Im Zuge ihrer Promotion an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, verbrachte sie Forschungsaufenthalte beim Stockholm International Peace Reasearch Insitute in Stockholm, Schweden und dem National Focal Point for Small Arms and Light Weapons in Kampala, Uganda.

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Titel: Völkerrechtliche Verpflichtungen von Staaten bei der Entscheidung über Rüstungsexporte
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