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Schattendorf 1938–1955

‚Volksgemeinschaft‘ und Besatzung am Beispiel einer burgenländischen Grenzgemeinde

von Peter Bierbaum (Autor:in)
©2022 Monographie 146 Seiten

Zusammenfassung

Im Zentrum dieser Untersuchung liegen die gesellschaftspolitischen Veränderungen des alltäglichen Lebens in Schattendorf in einem Zeitraum von 17 Jahren. Der «Anschluss» 1938, der Niedergang des Hitlerregimes mit anschließender Besatzung 1945 sowie die Unterzeichnung des Staatsvertrages 1955 kennzeichnen bedeutende Einschnitte der österreichischen Geschichtsschreibung. Unter Heranziehung des kontroversen Forschungskonzepts der nationalsozialistischen ‹Volksgemeinschaft› nimmt sich eine Geschichte des Alltags dieser politischen Zäsuren an. Insbesondere das Arbeits-, Schul- und Freizeitleben in Schattendorf stellen wichtige Teilaspekte der Studie dar, die die Etablierung, Inszenierung und Auflösung der ‹Volksgemeinschaft› inmitten der Dorfbevölkerung ins Auge fassen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort des Herausgebers
  • Vorwort und Danksagungen
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • I. Einleitung
  • 1. Ziel der Arbeit, Forschungszugang und -fragen
  • 2. Forschungsstand: Eine Übersicht
  • 2.1 Schattendorf
  • 2.2 Das Burgenland
  • 2.3 Nationalsozialismus und Alltag
  • 3. Quellenlage und methodische Überlegungen
  • 3.1 Primärquellen und Wissenswertes darüber
  • 3.2 Oral History: Grundlegendes und Ausführung
  • 4. Gliederung: Schwerpunkt Nationalsozialismus
  • II. Fachwissenschaftliche Diskurse
  • 5. Die ‚Volksgemeinschaft‘ als junges Forschungskonzept
  • 5.1 Begrifflichkeit und ihre Herkunft
  • 5.2 Die NS-Volksgemeinschaftsdebatte
  • 5.3 Die „fünf Dimensionen“ nach Steber und Gotto
  • 6. Rotarmisten im Burgenland: Befreier oder Besatzer?
  • III. Schattendorf im Burgenland
  • 7. Zur Geographie und Demographie
  • 8. Zur Zwischenkriegszeit – Kontextualisierung
  • 8.1 Wirtschaftliche Entwicklung
  • 8.2 Politische Entwicklung
  • 9. Der „Anschluss“ 1938
  • 9.1 Unspektakuläre Märztage im Dorf
  • 9.2 Kein Burgenland mehr
  • 10. NSDAP-Mitgliedschaft
  • 11. Das Leben in der ‚Volksgemeinschaft‘
  • 11.1 Volksabstimmung April 1938 – Der Fall Elisabeth Bierbaum
  • 11.2 Eine neue Identität?
  • 11.3 Ortspartei, Verwaltung und Infrastruktur
  • 11.4 Arbeit und Landwirtschaft
  • 11.5 Schulwesen
  • 11.5.1 Entkonfessionalisierung
  • 11.5.2 Unterrichtsinhalte
  • 11.5.3 „Glernt homa ned vü“
  • 11.6 Ehrenamt und „Freizeit“
  • 11.6.1 Vereinswesen
  • 11.6.2 Hitlerjugend
  • 11.6.3 NS-Frauenschaft
  • 11.7 Die katholische Kirche
  • 11.8 „Gemeinschaftsfremde“271 Dorfbewohner
  • 11.8.1 Juden
  • 11.8.2 Roma
  • 12. Das Bemühen, die ‚Volksgemeinschaft‘ zu retten
  • 12.1 Reichsarbeitsdienst (RAD)
  • 12.2 Kriegswenden, Gefallenenmeldungen und Durchhalteparolen
  • 12.3 Der Südostwall: Schanz- und Zwangsarbeiten
  • 13. Kriegsende 1945, Nachkriegsalltag und Wiederaufbau
  • 13.1 Ankunft und Durchmarsch der Rotarmisten
  • 13.2 Erste Gemeindeverwaltung und politische Aktivität
  • 13.3 Arbeitseinsatz, ziviler Polizeidienst und Flüchtlingswesen
  • 13.4 Einquartierungen und sowjetische Ortskommandantur
  • 13.5 Versorgungslage und Gesundheit
  • 13.6 Plünderung und Vergewaltigung
  • 13.7 Prozess der Entnazifizierung
  • 13.8 Heimkehrer und Heirat
  • 13.9 Schulwesen
  • 13.10 Staatsvertrag 1955
  • IV. Zusammenfassung, Ergebnis und Ausblick
  • Quellenverzeichnis
  • Literaturverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Anhang: Interviewleitfaden Oral History

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I. Einleitung

1. Ziel der Arbeit, Forschungszugang und -fragen

Die burgenländische Grenzgemeinde Schattendorf ist zweifellos ein geschichtsträchtiger Ort. Er wird auch immer ein solcher bleiben, denn Ende Jänner 1927 war das Dorf Schauplatz jener tödlichen Gewehrschüsse geworden, welche die weitere Entwicklung der politischen Landschaft in der Ersten Republik maßgeblich beeinflussen sollten. Tatsache ist aber auch, dass sich unzählige Historiker diesem ereignisreichen Jahr bereits gewidmet und keine Mühen gescheut haben, das von Gewalt gezeichnete Aufeinandertreffen in der Ortschaft sowie dessen tragisch weitreichenden Folgen sorgfältig aufzuarbeiten.3

Diese vorliegende Lokalstudie setzt ihren Schwerpunkt insofern auf einen späteren, aber ebenso aufschlussreichen Zeitraum, in welchem die Gefühle sozialer Hoffnung, der Schein allgemeiner Ungewissheit und Unsicherheit sowie ein gewisses Maß an politischer Skepsis und Furcht in der Luft lagen. Es handelt sich hierbei um das örtliche Alltagsleben der Schattendorfer, welches im Rahmen der politischen und soziokulturellen Veränderungen in der Zeit von 1938 bis 1955 untersucht werden soll. Sowohl der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich, das Ende des Zweiten Weltkrieges und die darauffolgende alliierte Besatzung 1945 als auch die Unterzeichnung des Staatsvertrages zehn Jahre später müssen mit Recht als einschneidende Zäsuren der österreichischen Geschichte gelten. Eine Alltags- beziehungsweise Erfahrungsgeschichte nimmt sich dieser politischen Einschnitte an.

Gleich zu Beginn mögen zwei zeitlich weit zurückliegende, aber höchstwahrscheinlich sehr erlebnisreiche Tage dies veranschaulichen: Hatte das Neue Burgenländische Volksblatt im Dezember 1937 noch von einem Ausflug der Volksschule Schattendorf in die Mattersburger Heimatdienstausstellung berichtet, um „in den Kinderherzen den Glauben an eine bessere Zukunft und an ein glückliches Österreich zu festigen“,4 so war nur ein ←17 | 18→halbes Jahr später in der nationalsozialistischen Presse zu lesen, dass die Sonnwendfeier beim Haidspitzwald im Sinne einer hoffnungsvollen und ambitionierten jungen Generation stattfand. Die Anwesenheit der Hitlerjugend und des Kraftfahrkorps sorgte für große Bewunderung, während der Oberamtmann den Gehalt der Feierlichkeit mitreißend in den Vordergrund stellte.5 Hier wäre es schon interessant zu eruieren, ob es sich bei der Schulexkursion und der Sonnwendfeier um ein und dieselben jungen Teilnehmer handelte. Noch erkenntnisreicher aber wären ihre überaus unterschiedlich ausfallenden Reaktionen auf die Frage, wie sie den Wandel 1938, also das Jahr der Eingliederung Österreichs in das Dritte Reich, gesellschaftspolitisch wahrgenommen und diesen beschrieben hätten.

Auf den deutschen Historiker Norbert Frei Bezug nehmend und somit im Rahmen einer Erfahrungs- und Alltagsgeschichte sucht diese Arbeit Antworten auf die Frage nach den so belangvollen und bestimmenden „kollektiven Befindlichkeiten und Erfahrungen“6 der Dorfbevölkerung. Deshalb erfolgt die ausführliche Beleuchtung des alltäglichen Handelns und Wirkens in Schattendorf und somit das Betreiben von Geschichte auf einem kleinen begrenzten Raum unter dem Gesichtspunkt der nationalsozialistischen ‚Volksgemeinschaft‘7, einem zwar überaus aktuellen, aber auch sehr kontrovers diskutierten Forschungskonzept. Doch immerhin ist man sich sicher: Die Verwendung dieses neuen Forschungsansatzes habe zu einer Vergrößerung des „analytische[n]‌ Repertoire[s] für das Verstehen und Erklären des Nationalsozialismus um eine wesentliche Komponente“8 geführt und trage daher „fraglos zur Horizonterweiterung für die Untersuchung von NS-Gesellschaft und NS-Herrschaft bei“9. Diese Anwendung ←18 | 19→erlaube es, die „Wirkungs- und Erfahrungsgeschichte nationalsozialistischer Gesellschaftspolitik [zu] erfassen“10. Außerdem seien kleinere und somit überschaubarere Räume vielversprechender, um die Bedeutung der ‚Volksgemeinschaft‘ strukturell und in ihren Aspekten klarer aufzuzeigen, insbesondere durch ihre Inklusions- und Exklusionsmechanismen.11

Details

Seiten
146
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631867464
ISBN (ePUB)
9783631867471
ISBN (Hardcover)
9783631867327
DOI
10.3726/b19059
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Dezember)
Schlagworte
Nationalsozialismus Sozialgeschichte Antisemitismus Nachkriegszeit Alltagsgeschichte Wiederaufbau
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 146 S., 12 s/w Abb.

Biographische Angaben

Peter Bierbaum (Autor:in)

Peter Bierbaum studierte Englisch, Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung auf Lehramt an der Universität Wien. Er ist derzeit Lehrer im österreichischen Schuldienst.

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