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Selbstinszenierung und Gedächtnisbildung

Rosa Maria Assing in Briefen und Lebenszeugnissen aus der Sammlung Varnhagen. Edition und Kommentar. Teil I. 1783–1823

von Paweł Zarychta (Band-Herausgeber:in)
©2021 Andere 454 Seiten

Zusammenfassung

«Das Assing’sche Haus war für Hamburg, was Gustav Schwab’s für Stuttgart war, so lange dieser noch dort wohnte. Was nur irgend eine literarische Berühmtheit erlangt hatte, suchte sich Empfehlung an Rosa Maria zu verschaffen und fand freundliche Aufnahme» – schrieb Amalia Schoppe in einem Nachruf auf ihre 1840 verstorbene Freundin. Rosa Maria Assing, Schwester Karl Augusts und Schwägerin Rahel Varnhagens, gehört heute zu den weitgehend vergessenen Autorinnen. Zu Lebzeiten war sie literarisch tätig, in Hamburg führte sie einen literarischen Salon und pflegte einen intensiven Briefwechsel mit zeitgenössischen Schriftstellern und Intellektuellen. Die vorliegende Publikation dokumentiert ihr Leben und Wirken anhand der bislang größtenteils unveröffentlichten Handschriften aus der Sammlung Varnhagen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Zu dieser Edition
  • Einführung
  • „Sprung in die Positivität“ – methodologische Perspektive
  • Briefe um und nach 1800 als Mittel der Selbstinszenierung und Gedächtnisbildung
  • Geschichte und Überlieferung des Nachlasses Assing
  • Forschungsstand
  • Textkorpus dieser Edition
  • Transkriptions- und Kommentierungsgrundsätze
  • Danksagung
  • Zeittafel
  • Editorischer Teil
  • Teil I „Aus dem Pflanzenleben in die Weltverhältnisse und das Weltgewirre“ (1783–1823)
  • Abbildungsverzeichnis
  • Personenregister
  • Reihenübersicht

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Einführung

Im Leichen-Register der Kirche St. Catharinen des Staatsarchivs Hamburg findet sich unter Anno 1840, Nr. 26, der Eintrag: „Frau Rosa Maria Antoinetta Paulina Aßing, gebürtig Düsseldorf, Alter 56 Jahre 8 Monate, Wohnung Poolstraße No. 15. Tag und Stunde des Todes: der 22te Januar, Abends 6 Uhr. Die Beisetzung fand im Stillen auf dem Friedhof der St. Katharinen-Gemeinde vor dem Dammtor, Sandgrab No 16 statt.“1 In einem Nachruf umschrieb der Dichter Karl Gutzkow (1811–1878) poetisch den Tod der Hamburger Salonière, bei der er oft zu Gast gewesen war: „Rosa Maria starb […] im Winter. In einer wilden Sturmesnacht, wo der Donner des Geschützes die Gefahren der anschwellenden Elbfluthen verkündete, hauchte sie ihre schöne Seele aus“, und endete: „Nun ist dem Freundeskreis der Mittelpunkt genommen.“2 Auch der verwitwete Ehemann Rosa Marias, David Assing, geb. Assur (1787–1842), versuchte, das vorzeitige Ableben seiner Gattin literarisch zu verarbeiten, und schrieb neben einer Reihe von Nenien, in denen er den Verlust beweinte, ein elegisches Gedicht über ihre letzte Ruhestätte, das mit den Zeilen schließt:

Jüngst legte man dich in das Grab

Bei Donner, Blitz und Schnee;

In Nebel steh’ ich weinend drauf,

Der ich vor Schmerz vergeh’! […]

Wann nimmt mich hier dein Bettchen auf?

Wann ist mein Leiden aus?3

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Für den Autor sollten sich diese Worte bald als eine selbstverwirklichende Prophezeiung erweisen. David Assur Assing starb nämlich kurz nach seiner Gattin am 25. April 1842 und wurde in demselben Sandgrab beigesetzt, das er noch vor Kurzem in seinen Trauerliedern besang.4 Der schon genannte Karl Gutzkow, mit dem Ehepaar in dessen letzten Lebensjahren eng befreundet, schrieb in seinem Nachruf: „Assing hätte, Religion oder Philosophie zu Hilfe nehmend, sicher noch manches Jahr leben können, wenn er nicht vorgezogen hätte, sich in seiner Trauer, in seinem Schmerze zu vergraben. Er erwies dem Andenken seiner Gattin noch einige Liebesdienste und zog sich dann von der Welt, vorahnend, wie auf immer zurück“.5

Abb. 1: Mutmaßliches Porträt Rosa Maria Assings von der Hand Ottilie oder Ludmilla Assings, o. D. (nach 1835), BJK SV 18

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Das Grab des Dichterpaars existiert nicht mehr. Nach der Entstehung des Hamburger Zentralfriedhofs in Ohlsdorf 1877 wurden die Dammtorfriedhöfe allmählich aufgegeben, bis das Gelände in der nationalsozialistischen Zeit eingeebnet und zu einem Aufmarschplatz umgestaltet wurde.6 Kurz nach dem Tod David Assings ging auch die Geschichte des Familienhauses in der Hamburger Poolstraße zu Ende. Zwar wurden dessen Gemäuer von dem Großen Brand im Mai 18427 verschont, die beiden Töchter des verstorbenen Ehepaars, Ottilie (1819–1884) und Ludmilla (1821–1880) zogen aber kurz danach mit dem ganzen Hab und Gut zu ihrem verwitweten Onkel Karl August Varnhagen von Ense nach Berlin. In Hamburg sind daher kaum noch Spuren von Leben und Wirken der Assings zu finden. Lediglich eine Gedenktafel an dem modernen Gebäude, das nach dem Zweiten Weltkrieg an der Stelle des alten Hauses entstand, erinnert stichwortartig an Rosa Maria Assing und ihre Rolle im kulturellen und geistigen Leben der Hansestadt und Deutschlands in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Und diese war nicht gering. Die langjährige Freundin Amalia Schoppe, geb. Weise (1791–1858), führt in ihrem Nachruf auf Rosa Maria dazu aus:

Selten ist wohl eine geistig-bedeutende Persönlichkeit nach Hamburg gekommen, ohne in das kleine, ziemlich düstere und unscheinbare Haus in der Polstraße zu treten, in dem Rosa Maria Assing, die Schwester Varnhagen’s, eine Reihe von Jahren hindurch in den zugleich schönsten und würdigsten Verhältnissen lebte; selten ist auch wohl ein wahrhaft guter und gebildeter Mensch von ihr geschieden, ohne ihr den Tribut der höchsten Achtung und Verehrung darzubringen und die Erinnerungen an sie für die Folgezeit seines Lebens, gleich einem köstlichen Schatze, in den Schrein seines Herzens zu schließen. Das Assing’sche Haus war für Hamburg, was Gustav Schwab’s für Stuttgart war, so lange dieser noch dort wohnte. Was nur irgend eine literarische Berühmtheit erlangt hatte, suchte sich Empfehlung an Rosa Maria und ihren trefflichen Gatten zu verschaffen und fand freundliche Aufnahme.8

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Abb. 2: Gedenktafel am Gebäude in der Hamburger Poolstraße 15

Auch in Altona, wo Rosa Maria bis 1815 gewohnt hat, wird sich nur sehr wenig finden, was an sie nur andeutungsweise erinnert. In der Hamburger Staatsbibliothek sind nur einige wenige Handschriften von ihr überliefert.9 Wenn wir mehr über diese Hamburger Autorin und Salonière erfahren, wenn wir ihr Lebensbild anhand von Quellen rekonstruieren wollen, führt uns der Weg unweigerlich ins südliche Polen, nach Krakau, zu der Biblioteka Jagiellońska (Jagiellonen-Bibliothek), wo der größte Teil ihres Nachlasses infolge von Kriegswirren als Teil der Sammlung Varnhagen aufbewahrt wird. Die meisten Dokumente davon blieben über zwei Jahrhunderte ungedruckt, was eine Beschäftigung mit Leben und Wirken der genannten Schriftstellerin nicht nur wesentlich erschwert, sondern es auch grundsätzlich unmöglich macht, fundierte und ins Detail gehende Aussagen darüber zu machen.

Mit der vorliegenden Publikation wird daher das Ziel verfolgt, diesen Missstand im Rahmen des Möglichen zu beheben und durch eine kommentierte Auswahl und Edition der größtenteils unveröffentlichten Briefe und Tageblätter Rosa Maria Assings, geb. Varnhagen, aus den Jahren 1783–1840 eine fundierte Grundlage für weitere Forschungen und Analysen zu liefern.


1 Angaben nach: Leichen-Register der Kirche St. Catharinen. Anno 1840, S. 235, Pos. 26. Staatsarchiv Hamburg.

2 K[arl] G[utzkow]: Rosa Maria Assing, geb. Varnhagen von Ense, in: Telegraph für Deutschland. Hamburg. Nr. 27, [14.] Februar 1840, S. 105 und Nr. 28, [15.] Februar 1840, S. 111.

3 David A[ssur] Assing: Am Grabe, in: ders.: Nenien nach dem Tode Rosa Maria’s. Als Handschrift für Freunde, Hamburg 1840, S. 13. Handschriften dazu, vgl. Biblioteka Jagiellońska w Krakowie (Jagiellonen-Bibliothek Krakau), Sammlung Varnhagen, Kasten 13. Nachstehend wird für die Kennzeichnung des sog. Berliner Bestandes die Sigle BJK SV mit der jeweiligen Kasten-Nr. und ggf. ergänzenden Informationen verwendet. Zur Systematik und Nummerierung der Kästen vgl. Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin, Berlin 1911 (nachstehend wird für diese Publikation verkürzt der Name Stern mit Seitenangabe verwendet).

4 Leichen-Register der Kirche St. Catharinen. Anno 1840, S. 235, Pos. 26. Staatsarchiv Hamburg.

5 Karl Gutzkow: J. [!]‌ D. Assing, in: ders.: Gesammelte Werke, Bd. 6, Frankfurt am Main 1845, S. 315.

6 Mehr dazu vgl. Gertrud Bunsen: Über die alten Hamburger Friedhöfe vor dem Dammtor, in: OHLSDORF – Zeitschrift für Trauerkultur, Nr. 104, I, 2009, online: https://www.fof-ohlsdorf.de/kulturgeschichte/2009/104s36_dammtor.htm, sowie Barbara Leisner: Erinnerungen an die Anfänge, ebd. Nr. 66 / 67, III / IV, 1999, https://www.fof-ohlsdorf.de/thema/1999/66s07_anfang.htm [17.10.2021].

Details

Seiten
454
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631860021
ISBN (ePUB)
9783631862414
ISBN (Hardcover)
9783631852057
DOI
10.3726/b19004
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Dezember)
Schlagworte
Rosa Maria Assing, geb. Varnhagen Sammlung Varnhagen Briefkultur nach 1800 Edition von Handschriften Salonkultur Kulturelles Leben Hamburgs
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 454 S., 10 s/w Abb.

Biographische Angaben

Paweł Zarychta (Band-Herausgeber:in)

Paweł Zarychta studierte Germanistik in Krakau und Erlangen und promovierte über Lessings Rhetorik im antiquarischen Streit. Derzeit ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Germanische Philologie an der Jagellonen-Universität Krakau tätig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Briefkultur im 19. Jahrhundert, Editionsphilologie, Sammlung Varnhagen sowie Übersetzungstheorie und -praxis.

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