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Die Rückforderung übermäßig abgeführter Gewinne nach Beendigung eines Gewinnabführungsvertrages i.S.v. § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG (analog)

und daraus resultierende weitere Fragestellungen

von Simona Geuer (Autor:in)
©2022 Dissertation 206 Seiten

Zusammenfassung

Die Autorin beschäftigt sich mit der de lege lata fehlenden Regelung zur Rückforderung übermäßig abgeführter Gewinne nach der Beendigung eines Gewinnabführungsvertrages. Sie geht der Frage nach, ob und aufgrund welcher Anspruchsgrundlage die ehemals abhängige Gesellschaft während der Vertragslaufzeit aufgrund eines Bilanzierungsfehlers zu viel abgeführte Gewinne zurückverlangen kann. Die Frage ist überaus praxisrelevant, gerade wenn eine vormals abhängige Gesellschaft aus einem Konzern ausscheidet: Hier besteht das Risiko, dass der Käufer der Gesellschaft über den Nachweis einer Zuviel-Abführung versucht, einen Teil des Kaufpreises zurück zu erlangen. Zudem beleuchtet die Autorin Gestaltungsmöglichkeiten, inwieweit die diskutierten Probleme durch Vertragsgestaltung vermieden werden können.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einführung und Fragestellung
  • B. Der Vertragskonzern –​ die Unternehmensverträge des § 291 Abs. 1 S. 1 AktG
  • I. Der Beherrschungsvertrag, § 291 Abs. 1 S. 1, 1. Alt AktG
  • II. Der Gewinnabführungsvertrag, die Gewinnermittlung und die Gewinnabführung
  • III. Der isolierte Gewinnabführungsvertrag
  • C. Die Rechtsnatur des Unternehmensvertrages i. S. v. § 291 Abs. 1 AktG
  • I. Der Meinungsstand
  • 1. Körperschaftsrechtlicher Organisationsvertrag
  • 2. Strukturändernder einseitiger Schuldvertrag
  • II. Auswirkungen des Organisationsvertrages auf die Satzung
  • 1. E. A.: Organisationsvertrag ist keine Satzungsänderung
  • 2. H. M.: Abschluss eines Organisationsvertrages hat satzungsändernden Charakter
  • 3. Auswirkungen des Meinungsstreits, Ergebnis
  • III. Normative Wirkung der Organisationsverträge
  • IV. Rechtliche Behandlung der Organisationsverträge
  • 1. Strikte Lösung nach Gesellschaftsrecht
  • 2. Organisationsvertrag mit schuldvertraglichen Elementen
  • V. Folgerungen aus der Rechtsnatur des Beherrschungs-​ und Gewinnabführungsvertrages nach § 291 Abs. 1 S. 1 AktG
  • 1. Auslegungsbedürftigkeit
  • 2. Vertragsfreiheit
  • 3. Klagbarkeit
  • D. Die GmbH im Vertragskonzern
  • I. Rechtsgrundlage für das GmbH-​Konzernrecht
  • 1. Erforderlichkeit eines Beherrschungsvertrages mit der GmbH
  • 2. Gewinnabführungsvertrag, § 291 ff. AktG analog?
  • II. Anwendbare Vorschriften des AktG
  • 1. GmbH als herrschende Gesellschaft
  • 2. GmbH als beherrschte Gesellschaft
  • III. Bedeutung und Vorteile der GmbH im Vertragskonzern
  • E. Die Beendigung von Beherrschungs-​ und Gewinnabführungsverträgen
  • I. Die Aufhebung des Unternehmensvertrages
  • 1. Schriftform
  • 2. Zuständigkeit
  • 3. Rechtsfolgen
  • II. Kündigung
  • 1. Die ordentliche Kündigung
  • 2. Die außerordentliche Kündigung
  • 3. Besonderheiten bei der körperschaftssteuerlichen Organschaft
  • III. Weitere Beendigungstatbestände beim Unternehmensvertrag
  • 1. Automatische Vertragsbeendigung zur Sicherung außenstehender Aktionäre
  • 2. Zeitablauf
  • 3. Eingliederung
  • 4. Umwandlung
  • 5. Auflösung eines Vertragspartners
  • 6. Rücktritt
  • IV. Besonderheiten bei der Beendigung von Beherrschungs-​ und Gewinnabführungsverträgen mit einer GmbH als abhängiger Gesellschaft
  • V. Wirkungen der Beendigung
  • 1. Allgemeine Beendigungsfolgen
  • 2. Folgen der Vertragsbeendigung bei der abhängigen GmbH
  • 3. Nachvertragliche Treuepflichten
  • F. Problemaufriss: Entstehung und Fälligkeit wechselseitiger Ansprüche aufgrund fehlerhafter Bilanzen nach Beendigung eines Gewinnabführungsvertrages
  • I. Ausgangssituation: Aufdecken von Bilanzierungsfehlern nach Beendigung eines Gewinnabführungsvertrages
  • II. Ausgangsfragen
  • III. Höhe, Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Ausgleichszahlungen im Konzern –​ zunächst zum Verlustausgleich
  • 1. Höhe des Verlustausgleichs nach §§ 301, 302 AktG
  • 2. Entstehung und Fälligkeit der Forderung
  • 3. Weitere BGH-​Rechtsprechung
  • 4. Fazit zu den Vorteilen der Rechtsprechung des BGH zur Entstehung, Höhe und Fälligkeit des Verlustausgleichsanspruchs
  • IV. Kritik an der Rechtsprechung des BGH zur Entstehung und Fälligkeit des Verlustausgleichsanspruchs
  • V. Stellungnahme
  • VI. Übertragbarkeit der BGH-​Rechtsprechung zur Entstehung und Fälligkeit des Verlustausgleichsanspruchs auf die AG
  • VII. Übertragbarkeit der BGH-​Rechtsprechung zur Maßgeblichkeit, Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Verlustausgleich auf den Gewinnabführungsanspruch
  • 1. Gleichbehandlung mit dem Verlustausgleichsanspruch
  • 2. Keine Übertragbarkeit auf den Gewinnabführungsanspruch
  • 3. Stellungnahme
  • VIII. Folge
  • G. Ausgleich zu wenig übernommener Verluste
  • H. Nachforderung zu wenig abgeführten Gewinns
  • I. Rückforderung überzahlten Verlustausgleichs
  • J. Rückforderung übermäßig abgeführter Gewinne
  • I. Anspruch aus dem Unternehmensvertrag gem. § 291 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 301 S. 1 AktG
  • 1. Anspruchsentstehung
  • 2. Verjährung
  • 3. Stellungnahme zum Unternehmensvertrag gem. § 291 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 301 AktG als Anspruchsgrundlage
  • 4. Fazit
  • II. Anspruch aus § 280 Abs. 1 i. V. m. § 278 BGB bzw. § 309 Abs. 2, Abs. 1 AktG i. V. m. § 31 BGB analog
  • 1. Anspruchsgrundlage
  • 2. Beherrschungsvertrag gem. § 309 Abs. 1 AktG
  • 3. Sorgfaltspflichtverletzung gem. § 309 Abs. 2, Abs. 1 AktG
  • 4. Schaden gem. § 309 Abs. 2 AktG
  • 5. Verzicht, Vergleich gem. § 309 Abs. 3 AktG
  • 6. Verjährung gem. § 309 Abs. 5 AktG
  • 7. Rechtsfolge
  • 8. Anspruchsverfolgung durch die GmbH
  • 9. Fazit
  • III. Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 276 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB
  • 1. Anspruchsentstehung
  • 2. Verjährung
  • 3. Fazit
  • IV. Schadensersatzanspruch der abhängigen Gesellschaft gegen die herrschende Gesellschaft gem. § 317 Abs. 1 S. 1 AktG
  • 1. Anspruchsentstehung
  • 2. Verjährung
  • 3. Anspruchsverfolgung durch die GmbH
  • 4. § 317 Abs. 3 AktG
  • 5. Rechtsfolge
  • 6. Fazit
  • V. Deliktischer Schadensersatzanspruch aus § 117 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 31 BGB analog –​ missbräuchliche Ausnutzung der Einflussnahme auf die abhängige Gesellschaft
  • 1. Anspruchsentstehung
  • 2. Verzicht, Vergleich
  • 3. Verjährung
  • 4. Rechtsfolge
  • 5. Beweislast
  • 6. Anspruchsverfolgung durch die GmbH
  • 7. Konkurrenzen
  • 8. Fazit
  • VI. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung, §§ 812 ff. BGB
  • 1. Anspruch aus § 812 Abs. 1 BGB
  • 2. Herausgabe der Bereicherung
  • 3. Entreicherung, § 818 Abs. 3 BGB
  • 4. Kenntnis der Nichtschuld (§ 814 BGB)
  • 5. Verjährung
  • 6. Fazit
  • VII. Anspruch aus § 62 AktG
  • 1. Anwendbarkeit der Norm –​ Verdrängung durch das Konzernrecht?
  • 2. Empfang von Leistungen
  • 3. Entgegen den Vorschriften des Aktiengesetzes
  • 4. Gläubiger des Anspruchs
  • 5. Schuldner des Anspruchs
  • 6. Ausschluss: Gutgläubiger Bezug von Gewinnanteilen
  • 7. Anspruchsdurchsetzung, Einschränkungen der Erfüllbarkeit
  • 8. Verjährung
  • 9. Auswirkung der Heilung des Jahresabschlusses gem. § 256 Abs. 6 AktG
  • 10. Fazit
  • VIII. Anspruch aus § 302 Abs. 1 AktG analog
  • 1. Voraussetzungen einer Analogie
  • 2. Besonderheiten des § 302 AktG
  • 3. Verjährung des Rückzahlungsanspruchs gem. § 302 Abs. 4 AktG analog
  • 4. Besonderheit: § 302 AktG analog analog für die GmbH
  • 5. Fazit
  • IX. Kein Anspruch auf Rückforderung
  • X. Konkurrenzen
  • 1. Vertraglicher Anspruch
  • 2. Bereicherungsrecht
  • 3. § 62 AktG
  • 4. § 302 AktG analog
  • XI. Abschließende Stellungnahme zu den möglichen Anspruchsgrundlagen
  • 1. § 62 Abs. 1 AktG als Rückforderungsnorm für übermäßig abgeführte Gewinne
  • 2. Für eine Heranziehung des § 302 Abs. 1 AktG analog (analog)
  • 3. De lege ferenda
  • XII. Auflösen von Rücklagen
  • 1. Gesellschaftsrechtliche Treuepflicht
  • 2. Die nachvertragliche Treuepflicht
  • 3. Rechtsfolgen bei Verletzung nachvertraglicher Treuepflichten
  • 4. Nachvertragliches Weisungsrecht –​ nachvertragliche Entscheidungshoheit
  • 5. Zeitliche Begrenzung der nachvertraglichen Rechte und Pflichten
  • 6. Fazit
  • K. Weitere Rechtsfolgen bei einer gegen § 301 AktG verstoßenden Gewinnabführung
  • L. Zinsansprüche und die Rückforderung gezahlter Zinsen
  • I. Verzinsung des Rückzahlungsanspruchs übermäßig abgeführter Gewinne
  • 1. Fälligkeitszinsen
  • 2. Verzugszinsen
  • II. Rückerstattung zu viel gezahlter Zinsen wegen überhöhter Gewinnabführung
  • III. Zinsanspruch der herrschenden Gesellschaft
  • M. Gestaltungsmöglichkeiten
  • I. Kein Verzicht
  • II. Freistellung, Garantien
  • III. Keine Gefährdung der steuerlichen Organschaft durch Verkauf
  • N. Resümee
  • Literaturverzeichnis

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A. Einführung und Fragestellung

Diese Arbeit untersucht die Unternehmensverträge des § 291 Abs. 1 S. 1 AktG, die Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge. Die Dissertation beschäftigt sich nicht mit dem in der Praxis unbedeutsamen1 sog. Vertrag über die Abführung des ganzen Gewinns gemäß § 291 Abs. 1 S. 2 AktG. Dies ist ein Vertrag, durch den eine Gesellschaft es übernimmt, ihr Unternehmen für Rechnung eines anderen Unternehmens zu führen, faktisch ein Geschäftsführungsvertrag.2 Es steht die Frage im Fokus, ob und wie bei einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag die ehemals abhängige Gesellschaft nach Beendigung des Gewinnabführungsvertrages i. S. v. § 291 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. AktG übermäßig abgeführte Gewinne von der ehemals herrschenden Gesellschaft zurückverlangen kann.

Die Arbeit befasst sich dabei sowohl mit der Aktiengesellschaft (im Folgenden: „AG“) als Partei des Unternehmensvertrages als auch mit der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (im Folgenden: „GmbH“) im Vertragskonzern in analoger Anwendung des § 291 Abs. 1 S. 1 AktG.

Im Vertragskonzern bestehen zumeist kombinierte Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge. Beherrschungsverträge3 sind Verträge, in denen ein Unternehmen die Leitung der Gesellschaft einem anderen Unternehmen unterstellt. In Gewinnabführungsverträgen4 verpflichten sich Gesellschaften, ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen abzuführen. Nach Beendigung eines solchen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages kann sich folgende Problematik ergeben: Zwischen zwei durch Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag verbundenen Unternehmen stellt sich nach Vertragsbeendigung heraus, dass ein oder mehrere Jahresabschlüsse der abhängigen Gesellschaft während der Laufzeit des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages aufgrund eines Bilanzierungsfehlers fehlerhaft waren. Der Bilanzierungsfehler führte dazu, dass der Jahresüberschluss der abhängigen Gesellschaft in den Jahresabschlüssen zu hoch ausgewiesen wurde und die abhängige Gesellschaft infolgedessen zu viel Gewinn an die herrschende Gesellschaft abgeführt ←15 | 16→hat. Es stellt sich nun zum einen die Frage, ob die Gewinnabführung auf der Grundlage des zwar fehlerhaften, aber festgestellten Jahresabschlusses ebenfalls fehlerhaft war und ob die abhängige Gesellschaft den zu viel abgeführten Gewinn von der herrschenden Gesellschaft zurückverlangen kann.

Zur ersten Frage hat der Bundesgerichtshof (BGH) zumindest zum Verlustausgleich nach § 302 AktG entschieden, dass nicht der festgestellte Jahresabschluss, sondern die objektiv richtige Bilanz maßgeblich ist (vgl. eingehende Darstellung und Auseinandersetzung unter F.III.).5 Zu untersuchen ist, ob danach auch eine Gewinnabführung, die auf der Grundlage eines fehlerhaften Jahresabschlusses den in § 301 AktG vorgesehenen Höchstbetrag überstiegen hat, ebenfalls fehlerhaft ist.

Es stellt sich zudem die Folgefrage, ob und aufgrund welcher Anspruchsgrundlage die ehemals abhängige Gesellschaft nach Beendigung des Gewinnabführungsvertrages zu viel abgeführte Gewinne zurückverlangen kann. Dies ist bislang nicht höchstrichterlich geklärt. Die Arbeit widmet sich vornehmlich dieses Problems und setzt sich zudem sowohl mit vorgeschalteten, grundsätzlichen Fragestellungen wie der Rechtsnatur des Unternehmensvertrages sowie der Rolle der GmbH im Vertragskonzern auseinander, die im Hinblick auf die Prüfung der tauglichen Rückforderungsnorm zunächst klärungsbedürftig sind. Auch werden die vielfältigen Beendigungsgründe beleuchtet. Im Anschluss an die Prüfung des Kernthemas setzt sich die Arbeit mit Folgefragen und -problemen auseinander, die sich bei dessen Bearbeitung gestellt haben, z. B. mit der Verzinsung des Rückzahlungsanspruchs und den Gestaltungsmöglichkeiten.


1 Krieger, in: MünchHdb GesR, Bd. 4, 12. Kap., 4. Aufl. 2015, § 72 Rn. 1.

2 Krieger, in: MünchHdb GesR, Bd. 4, 12. Kap, 4. Aufl. 2015, § 72 Rn. 1; Deilmann, in: Hölters, Komm. z. AktG, 3. Aufl. 2017, § 291 Rn. 42.

3 § 291 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. AktG

4 § 291 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. AktG

5 BGH, Urteil vom 11.10.1999, Az.: II Z120/98 = BGH NJW 2000, 210; bestätigt durch BGH NZG 2005, 481.

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B. Der Vertragskonzern – die Unternehmensverträge des § 291 Abs. 1 S. 1 AktG

I. Der Beherrschungsvertrag, § 291 Abs. 1 S. 1, 1. Alt AktG

Ein Vertragskonzern kommt dadurch zustande, dass zwei Unternehmen ihre Beziehungen zueinander in einem Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrag gem. § 291 AktG regeln. Im Beherrschungsvertrag wird bestimmt, wer herrschendes und wer abhängiges Unternehmen ist. Nach § 291 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. AktG unterstellt eine Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien die Leitung ihrer Gesellschaft einem anderen Unternehmen. Reine Beherrschungsverträge sind zwar allgemein anerkannt und auch gesetzlich vorgesehen (vgl. bspw. § 300 Nr. 3 AktG: „… wenn ein Beherrschungsvertrag besteht, ohne daß die Gesellschaft auch zur Abführung ihres ganzen Gewinns verpflichtet ist“, und § 304 Abs. 1 S. 2 AktG), finden sich in der Praxis jedoch kaum.6 Ein isolierter Beherrschungsvertrag ist beispielsweise dann denkbar, wenn aufgrund einer Beherrschung durch ein ausländisches Unternehmen eine Gewinnabführung der abhängigen deutschen Gesellschaft steuerlich nicht anerkannt wird.7 In dieser Konstellation hingegen kommt der isolierte Beherrschungsvertrag in der Praxis häufiger vor.

Da das deutsche Konzernrecht nicht den Schutz ausländischer Gesellschaften gewährleisten kann, musste bislang bei direkter Anwendung des Aktiengesetzes8 zwingend eine nach deutschem Recht gegründete AG oder KGaA Untergesellschaft des Beherrschungsvertrages sein.9 Nunmehr – nach Änderung des § 5 AktG – kann eine AG mit ausländischem Verwaltungssitz und inländischem Satzungssitz ebenfalls beherrschte Gesellschaft sein, sofern der Zuzugsstaat der ←17 | 18→Gründungstheorie folgt.10 Die Rechtsform des herrschenden Unternehmens hingegen ist nicht entscheidend.11 Der Gesetzgeber hat das herrschende Unternehmen nicht weiter definiert. Nach allgemeiner Auffassung kann somit jede Gesellschaft oder Person jeder Rechtsform und Nationalität herrschender Vertragspartner sein. Jedoch muss der Rechtsträger zumindest unternehmerisch tätig sein.

Der Mindestinhalt jedes Beherrschungsvertrages ist zum einen die Unterstellung der abhängigen Gesellschaft unter die fremde Leitung der herrschenden Gesellschaft, mithin das Weisungsrecht (§ 308 AktG), und zum anderen eine Regelung, die im Fall des Vorhandenseins außenstehender Aktionäre eine Ausgleichs- sowie eine Abfindungsmöglichkeit (§ 304 bzw. § 305 AktG) schafft.

Denklogisch richtig verneint die überwiegende Ansicht beim Beherrschungsvertrag, im Gegensatz zum Gewinnabführungsvertrag,12 die Möglichkeit, einen Beherrschungsvertrag rückwirkend für das bei Abschluss des Vertrages laufende Geschäftsjahr abschließen zu können. Die Beherrschung kann faktisch nicht rückwirkend ausgeübt werden, falls sie bislang nicht erfolgt ist. Sollte eine Beherrschung vor Abschluss eines solchen Vertrages bereits tatsächlich ausgeübt worden sein, würde eine Rückwirkung bis dahin bereits entstandene Ansprüche auf Nachteilsausgleich nach §§ 311 und 317 AktG zunichtemachen.13 Eine dennoch getroffene rückwirkende Abrede führt dann zu einer abtrennbaren (Teil-)Nichtigkeit eines solchen Unternehmensvertrages gem. §§ 134, 139 BGB für die Vergangenheit, nicht jedoch zur Unwirksamkeit der Beherrschungsvereinbarung oder des gesamten Unternehmensvertrages.14

§ 308 AktG bestimmt die Leitungsmacht der herrschenden Gesellschaft bei Bestehen eines Beherrschungsvertrages. Der Beherrschungsvertrag i. S. v. § 291 Abs. 1 S. 1 AktG räumt dem herrschenden Unternehmen das Recht ein, dem Vorstand der beherrschten Gesellschaft Weisungen zu erteilen, zu deren ←18 | 19→Befolgung dieser verpflichtet ist. Dies gilt auch bei für die Gesellschaft nachteiligen Weisungen, wenn das Konzerninteresse dies erfordert. Nach herrschender Ansicht liegen solche Weisungen nicht im Konzerninteresse, die zu einer unverhältnismäßigen Schädigung, einer Existenzgefährdung oder -vernichtung der abhängigen Gesellschaft führen.15 Auch wenn das Konzerninteresse dem nicht entspricht, muss der Vorstand sie entsprechend § 308 Abs. 2 S. 1 AktG dennoch befolgen. Nur bei Weisungen, die offensichtlich nicht den Belangen des herrschenden Unternehmens oder der mit ihm oder der Gesellschaft konzernverbundenen Unternehmen dienen (vgl. § 308 Abs. 2 S. 2 a. E.), hat der Vorstand ein Weigerungsrecht. Liegen diese Voraussetzungen vor, verdichtet sich diese Berechtigung zur Weigerung zu einer Pflicht, die sich aus §§ 76 Abs. 1, 310 Abs. 1 AktG ergibt.16 Ein Weigerungsrecht besteht ferner bei Vertrags-, Satzungs- und Gesetzesverstößen.17 Daraus ergibt sich, dass der Vorstand der abhängigen Gesellschaft einer zweistufigen Prüfungspflicht nachgehen muss: zum einen, ob die Weisung gesetzmäßig ist, und zum anderen, ob sie die Voraussetzungen des § 308 Abs. 2 S. 2 AktG erfüllt,18 da er ansonsten einer Haftung aus § 310 Abs. 1, Abs. 3 AktG unterliegt. Danach haftet der Vorstand (und auch der Aufsichtsrat, wenn er einer entsprechenden Maßnahme des Vorstandes zustimmt oder diesen nicht ausreichend überwacht), wenn er in Ausführung einer Weisung sorgfaltswidrig gegenüber der Gesellschaft handelt und dieser dadurch ein Schaden entsteht.

←19 | 20→

Fraglich ist auch, ob Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrates dem Vorstand ein Weigerungsrecht geben. Der Abschluss eines Beherrschungsvertrages setzt zwar grundsätzlich nicht die Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrates nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG außer Kraft. Gemäß § 308 Abs. 3 S. 2 AktG kann das herrschende Unternehmen jedoch die etwaigen Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrates aus § 111 Abs. 4 S. 2 AktG i. V. m. § 308 Abs. 3 S. 1 AktG bei Weigerung des Vorstandes durch erneute Weisung überwinden. Dabei darf die erneute Weisung, wenn das herrschende Unternehmen einen Aufsichtsrat hat, nur mit dessen Zustimmung erfolgen, vgl. § 308 Abs. 3 S. 2 a. E. AktG.

Aus dem Beherrschungsvertrag ergibt sich über das beschriebene Weisungsrecht sowie die daraus resultierende Befolgungspflicht hinaus für beide Vertragsparteien die Pflicht zum sogenannten konzernfreundlichen Verhalten. So sind die Vorstände gehalten, sich gegenseitig rechtzeitig über wichtige und einschneidende bevorstehende Maßnahmen sowie mögliche Nachteile zu informieren.19

Schließlich gibt es in engen Grenzen ein nachvertragliches Weisungsrecht zwischen ehemals vertraglich verbundenen Unternehmen. Darauf wird an späterer Stelle unter J.XII.4. näher eingegangen.

II. Der Gewinnabführungsvertrag, die Gewinnermittlung und die Gewinnabführung

Ein Gewinnabführungsvertrag liegt gemäß § 291 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. AktG vor, wenn eine AG oder KGaA sich verpflichtet, ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen (im Folgenden „herrschende Gesellschaft“ abzuführen. Gleichbedeutend bezeichnet man den Gewinnabführungsvertrag auch als Ergebnisabführungsvertrag. Diese Bezeichnung wird überwiegend dann gewählt, wenn auch eine steuerliche Organschaft i. S. d. §§ 14, 17 KStG vorliegt.

Mindestvertragsinhalt ist die Verpflichtung zur Abführung des ganzen Gewinns (vgl. § 291 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. AktG) sowie, bei Vorhandensein außenstehender Aktionäre, ein angemessener Ausgleich für diese (vgl. § 304 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 S. 1 AktG). Das muss eine auf die Anteile am Grundkapital bezogene wiederkehrende Geldleistung (fester Ausgleich, § 304 Abs. 1 S. 1) oder kann auch – wenn es sich bei der herrschenden Gesellschaft um eine AG oder KGaA handelt – die Zusicherung der Zahlung des Betrages, der auf Aktien der anderen ←20 | 21→Gesellschaft jeweils als Gewinnbetrag entfällt (variabler Ausgleich, § 304 Abs. 2 S. 2), sein.

Die mit dem Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages verbundene Verlustausgleichspflicht der herrschenden Gesellschaft gegenüber der mit ihr verbundenen Untergesellschaft (im Folgenden: „abhängige Gesellschaft“) aus § 302 AktG führt dazu, dass die herrschende Gesellschaft faktisch das Jahresergebnis der abhängigen Gesellschaft übernimmt, weshalb der Gewinnabführungsvertrag auch als Ergebnisübernahmevertrag bezeichnet wird (im Folgenden wird einheitlich die Bezeichnung „Gewinnabführungsvertrag“ verwendet).20 Gesetzlich geregelt ist nur der Gewinnabführungsvertrag, der dazu korrespondierende21 Verlustausgleich ist nur ein Reflex der Gewinnabführung. Bei der Gewinnabführung spricht man von dem fiktiven Bilanzgewinn. Dies deshalb, weil der Gewinn bei einem Gewinnabführungsvertrag in der Handelsbilanz auf der Passivseite zunächst gemäß § 277 Abs. 3 S. 2 HGB als Aufwendung in der Gewinn- und Verlustrechnung verbucht und dann gemäß § 266 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 C 6 HGB als Verbindlichkeit gegenüber dem verbundenen Unternehmen im Jahresabschluss ausgewiesen wird und nicht als Gewinn.22 Dieser fiktive Bilanzgewinn ergibt sich, um den abzuführenden Gewinn nach § 301 AktG exakt ausweisen zu können, folgendermaßen: Er ist um solche Verlustvorträge zu kürzen, die nach § 301 S. 1 AktG in die gesetzliche Rücklage einzustellen sind, sowie um gem. § 268 Abs. 8 HGB ausschüttungsgesperrte Beträge. Der fiktive Bilanzgewinn erhöht sich, wenn während der Vertragsdauer gebildete Rücklagen aufgelöst wurden, § 301 S. 2 AktG. Auch können vom Gesetz abweichende bilanzielle Entscheidungen vertraglich vorgesehen werden,23 z. B., dass über die nach § 300 Nr. 1 AktG gebildeten Rücklagen hinaus ein weiterer Jahresüberschuss in Gewinnrücklagen einzustellen ist.24 Eine Ansicht geht noch weiter und gesteht der herrschenden Gesellschaft allein durch den Abschluss des Gewinnabführungsvertrages bereits ein Weisungsrecht bezüglich bilanzieller ←21 | 22→Entscheidungen und der Rücklagenbildung gegenüber dem Vorstand der abhängigen Gesellschaft zu.25 Jedenfalls trifft die abhängige Gesellschaft während der Vertragsdauer eine Rücksichtnahmepflicht26 gegenüber der herrschenden Gesellschaft, die sie auch bei der Ausübung von Ansatz- und Bewertungswahlrechten bei der Bilanzierung beachten muss.27

Details

Seiten
206
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631873762
ISBN (ePUB)
9783631873779
ISBN (MOBI)
9783631873786
ISBN (Paperback)
9783631867457
DOI
10.3726/b19450
DOI
10.3726/b19545
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Februar)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 206 S.

Biographische Angaben

Simona Geuer (Autor:in)

Simona Geuer ist Rechtsanwältin. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf, wo sie im Anschluss auch promovierte.

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