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Werterziehung

Grundlagen und Handlungsorientierungen

by Thomas Mikhail (Volume editor)
©2022 Edited Collection 198 Pages
Series: Grundfragen der Pädagogik, Volume 24

Summary

Werte spielen in modernen Gesellschaften eine entscheidende Rolle. Sie geben Orientierung in einer pluralistischen und komplexen Lebenswelt, wie wir sie heute vorfinden. Vor allem Heranwachsende sind auf die Fähigkeit angewiesen, in der Vielfalt der Lebenssituationen die richtige Wertentscheidung zu treffen. Doch woher kommen diese Werte? Welche Werte sind die richtigen? Und wie kann man lernen, sich zu orientieren?
Die Beiträge des Bandes geben Antwort auf diese grundlegenden Fragen. Dabei eint sie die Auffassung, dass eine moderne Werterziehung aufgrund der lebensweltlichen Pluralität und Komplexität nicht mehr bestimmte Werte vorgeben kann, sondern Heranwachsende beim richtigen und verantwortlichen Wertenlernen unterstützen muss.

Table Of Contents

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Zur Einführung (Thomas Mikhail)
  • Grundlagen der Werterziehung
  • Werterziehung und Bildung (Jürgen Rekus)
  • Urteilsformen und Urteilsbildung im (wert-)erziehenden Unterricht (Volker Ladenthin)
  • Positionen der Wert(e)erziehung (Thomas Mikhail)
  • Geschichte, Problematik und Aktualität der Werttheorie (Armin G. Wildfeuer)
  • Empirische Werteforschung (Konrad Fees)
  • Reihenübersicht

Thomas Mikhail

Zur Einführung

Wertfragen sind in pluralistischen, multikulturellen und liberalen Gesellschaften quasi ein Dauerthema. Wenn religiöse oder politische Konzepte der Weltdeutung brüchig geworden sind oder an Verbindlichkeit verloren haben, sind ausnahmslos alle Individuen wie die Gesellschaft als Ganze permanent der Frage ausgesetzt, was wertvoll oder wertlos ist. Wertfragen gehen alle an. Die Vielfalt an unterschiedlichen Lebensentwürfen, die beinahe uneingeschränkten Möglichkeiten der sexuellen Orientierung, der Berufswahl und der Konsumgüter – kaum etwas in unserem Leben ist so festgelegt, dass man sich nicht gegen das eine und für das andere entscheiden könnte. Entscheidungen sind somit immer Wertentscheidungen. Stets entscheidet man sich für etwas, das man als wertvoller bewertet als etwas anderes. Unsere Werte bestimmen unsere Entscheidungen, und in unseren Entscheidungen bringen wir unsere Werte zum Ausdruck.

Freilich sind dem Menschen Werte nicht angeboren; sie werden entweder übernommen oder erlernt. Die Adaption von Werten erfolgt durch Sozialisation, deren Erlernen durch Erziehung. Sozialisationsprozesse der Wertadaption vollziehen sich (vom Lernenden aus betrachtet) weitgehend unreflektiert, unmerklich, eher beiläufig. Prozesse der Werterziehung dagegen sind explizit reflexiv, diskursiv und intentional. Weil Menschen in spezifische epochal und kulturell geprägte Kontexte hineingeboren werden und darin aufwachsen, ist die sozialisatorische Übernahme der darin herrschenden Wertstrukturen und -präferenzen quasi unvermeidlich und unumgänglich. Gerade junge Heranwachsende erachten meist das für wertvoll oder wertlos, was in ihrem Umfeld als so oder so bewertet wird. Sie entscheiden sich hierfür und dafür, weil ‚man das so macht‘. Mit Heidegger ließe sich diese Verwiesenheit auf das ‚man‘ als „uneigentliche Existenz“ interpretieren, sofern in der Entscheidung nicht der ‚eigentliche‘ Wert des Kindes, sondern ein heteronom gesetzter zum Ausdruck komme. Im Gegensatz dazu zielt Erziehung genau auf eine solche Authentizität der Werte. Sie unterstützt (nicht nur, aber vor allem) Heranwachsende dabei, eigene Wertstrukturen und -präferenzen auszubilden und in ←7 | 8→Entscheidungen zum Ausdruck kommen zu lassen. Vor diesem Hintergrund leistet Werterziehung etwas, das bei der sozialisatorischen Wertadaption aufgrund fehlender Reflexivität, Diskursivität und Intentionalität nicht möglich ist. In sozialisatorischen Prozessen sind Werte bereits (durch das Umfeld) als gültig gesetzt. Was nützlich, lebenswert und moralisch ist – d. h. wertvoll im Umgang mit Dingen, in Bezug auf die eigene Person und auf andere –, steht nicht zur Disposition, sondern zeigt sich als Ausdruck fremder Entscheidungen, die übernommen werden. Fragen nach richtigen, wichtigen und sogar höchsten Werten werden nicht aufgeworfen, ja, sie können gar nicht aufgeworfen werden, weil sie schon durch das Umfeld beantwortet sind. Erziehung aber ist nun genau jener Prozess, in dem die Werte infrage gestellt werden, bei dem sie im buchstäblichen Sinne fragwürdig werden, indem man sie reflektiert, analysiert und diskutiert.

Mit diesen knappen Hinweisen ist freilich noch sehr unzureichend umrissen, was Werterziehung näherhin bedeutet. Dies auszuführen, bleibt den in diesem Band enthaltenen Beiträgen vorbehalten. Entstanden sind sie im Rahmen einer Klausurtagung der Alfred-Petzelt-Stiftung, die im Herbst 2019 in Bonn stattfand. Anlass zur Thematisierung gaben sowohl die große Bedeutung in Petzelts pädagogischem Werk – insbesondere die Schrift „Grundlegung der Erziehung“ von 1954 – als auch die geringe Aufmerksamkeit, die der Werterziehung im erziehungswissenschaftlichen Diskurs der vergangenen zwei Dekaden geschenkt wurde. Letzteres muss insbesondere dann verwundern, wenn man die eingangs erwähnte Bedeutung von Wertfragen für das Leben in demokratischen Gesellschaften teilt. Über die Gründe der erziehungswissenschaftlichen und pädagogischen Vernachlässigung lassen sich nur Vermutungen anstellen. Manches spricht dafür, dass das der Wertethematik notwendig zukommende Moment des Normativen als unvereinbar mit dem Postulat der Wert- und Werturteilsfreiheit von Wissenschaft betrachtet wird. Bevor man sich also auf normatives Terrain begibt, bescheidet man sich – wenn man schon beim Thema Werte bleiben will – mit der Deskription jugendlicher Wertpräferenzen (siehe den Beitrag von Fees in diesem Band). Möglicherweise sind es auch kritische Stimmen postkolonialistischer Positionen, die jeglichen Versuch einer werterzieherischen Konzeptualisierung zum Verstummen bringen; angesichts der drohenden Gefahr, die Vielfalt an durch kulturelle Identitäten geprägten Werten zu wenig zu berücksichtigen oder gar zu ignorieren. Es ←8 | 9→kann auch sein, dass man meint, die Werterziehung bereits im Paradigma der Kompetenzorientierung integriert und implementiert zu haben, sodass eine separate erzieherische Auseinandersetzung mit Werten und deren Wertigkeiten nicht nötig sei. Schließlich werden Kompetenzen gemeinhin als kognitive Fähigkeiten und Bereitschaften zur lebensweltlichen, beruflichen oder gesellschaftlichen Problemlösung verstanden, wobei mit ‚Bereitschaft‘ auch das normative Moment von Wertungen gemeint sein könnte.

Was auch immer der wahre Grund sein mag, die hier versammelten Beiträge versuchen jedenfalls, das Thema ‚Werterziehung‘ bzw. ‚Werte und Erziehung‘ – erneut – grundlagentheoretisch sowie grundlegend zu beleuchten. Dabei gliedert sich der Band in zwei Teile: über die „Grundlagen der Werterziehung“ und über die „Grundlagen der Wertwissenschaft“. Im ersten Beitrag entfaltet Jürgen Rekus, ausgehend von einem neuzeitlichen Bildungsverständnis und anknüpfend an aktuelle gesellschaftliche Bedingtheiten, ein Konzept von Werterziehung, das die Selbstbestimmung der pädagogischen Adressaten fokussiert. Volker Ladenthin geht historisch-systematisch den zwei Fragen nach, was Werte überhaupt sind und daran anschließend, wie man Werte an nachfolgende Generationen vermitteln kann. Seine Überlegungen münden in einer elaborierten „Didaktik der Werterziehung“, die Orientierung für schulische Praxisgestaltung zu geben vermag. Im Beitrag von Thomas Mikhail werden drei prominente Positionen der Werterziehung einer kritischen Prüfung unterzogen. Diese Prüfung zeigt einerseits deren spezifische Potenziale sowie andererseits deren Problemüberhänge auf, was letztlich zur Markierung von Herausforderungen für zukünftige Konzeptionen der Werterziehung führt. Im Teil über die „Grundlagen der Wertwissenschaft“ entfaltet Armin G. Wildfeuer eine philosophische Theorie der Werte, die historisch-systematisch begründet wird. Werte werden darin als „Strebenskorrelate“ verstanden, die eine anthropologische Funktion erfüllen und für ein humanes (Zusammen-)Leben in einer globalisierten Welt unabdingbar erscheinen, indem sie wesentliche Orientierungen bieten. Konrad Fees stellt in seinem Beitrag die empirische Werteforschung auf den kritischen Prüfstand. Exemplarisch werden die Forschungsdesigns der Shell- und Sinus-Studie dargestellt, in ihren methodologischen sowie axiologischen Annahmen transparent gemacht und im Hinblick auf ihren Aussagewert untersucht, der – so das Ergebnis von Fees – stark zu relativieren sei.←9 | 10→

Dank gebührt den Verfassern für die Bereitstellung ihrer Texte und ihre Geduld sowie Herrn Benjamin Kloss vom Peter Lang Verlag für die unkomplizierte Zusammenarbeit bei der Drucklegung dieses Bandes.

Thomas Mikhail

Details

Pages
198
Year
2022
ISBN (PDF)
9783631871836
ISBN (ePUB)
9783631871843
ISBN (Hardcover)
9783631871959
DOI
10.3726/b19353
Language
German
Publication date
2022 (March)
Keywords
Axiologie Werteforschung Pädagogik Erziehungstheorie Bildungstheorie
Published
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 198 S., 1 s/w Abb.

Biographical notes

Thomas Mikhail (Volume editor)

Thomas Mikhail arbeitet als Privatdozent am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Stuttgart. Seit 2018 ist er Vorsitzender der Alfred-Petzelt-Stiftung.

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