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Fokus auf Lernerstrategien

Perspektiven auf die Grundbausteine eines diversitätssensiblen Englischunterrichts im wechselseitigen Vergleich

von Jana Oldendörp (Autor:in)
©2022 Dissertation 700 Seiten

Zusammenfassung

Lernerstrategien bilden als individuelle Begleiter des Sprachenlernens die elementaren Grundbausteine eines diversitätssensiblen Englischunterrichts. Theoretisch gerahmt vom fachdidaktischen Untersuchungsplan der Didaktischen Rekonstruktion, richtet das Buch daher einen multiperspektivischen Fokus auf Lernerstrategien. Dabei wird die Schüler:innenperspektive in den Mittelpunkt gestellt. Im wechselseitigen Vergleich mit den Fachperspektiven werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgestellt, die zu vielfältigen Didaktischen Leitlinien der Strategievermittlung führen. Die diversitätssensible Perspektive nimmt mögliche Zusammenhänge zwischen Vorstellungen und Lernerstrategien von Lernenden und mehreren Differenzkategorien in den Blick. Abschließend wird die Rolle der Lehrkraft betrachtet.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • 1. Einleitung
  • 2. Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion – ein Untersuchungsplan für die fachdidaktische Lehr-Lernforschung
  • 3. Individualisierung im diversitäts- und heterogenitätssensiblen Englischunterricht – ein Überblick
  • 3.1 Begriffserklärung – Diversität, Heterogenität, Inklusion und Individualisierung
  • 3.2 Differenzkategorien – von Alter, Leistungsunterschieden und Mehrsprachigkeit über Geschlecht zum sonderpädagogischen Förderbedarf
  • 3.3 Möglichkeiten der äußeren und inneren Differenzierung
  • 3.4 Lernerstrategien im diversitätssensiblen Englischunterricht
  • 4. Theoretische und fachdidaktische Einordnung I – Fachperspektiven auf Lernerstrategien im Englischunterricht
  • 4.1 Theoretische Einordnung I: Definition und Abgrenzung von Lernerstrategien
  • 4.1.1 Historischer Überblick und Definition
  • 4.1.2 Alles das Gleiche? – Lernerstrategien, Lerntechniken, Lernstile und Lerntypen im Vergleich
  • 4.1.3 Lernerstrategien und Strategiewissen
  • 4.1.4 Lernerstrategien (nicht nur) im Englischunterricht – eine Übersicht der Klassifikationen
  • 4.1.5 Der Faktor Mehrsprachigkeit – Transfer als bedeutsame Strategie im Fremdsprachenunterricht
  • 4.2 Fachdidaktische Einordnung I – die Bedeutung von Lernerstrategien im Englischunterricht
  • 4.2.1 Lernerstrategien und Lernerautonomie
  • 4.2.2 Lernerstrategien und Sprach(lern)bewusstheit
  • 5. Theoretische und fachdidaktische Einordnung II – Fachperspektiven auf die kommunikativen Teilkompetenzen im Englischunterricht
  • 5.1 Lesen und Leseverstehen
  • 5.1.1 Leseverstehensprozesse – vom Buchstaben zum bedeutungstragenden Inhalt
  • 5.1.2 Das Handwerkszeug des guten Lesenden – Lesestrategien
  • 5.2 Schreiben
  • 5.2.1 Prozesse des Schreibens – von der Idee zum Text
  • 5.2.2 Von der Planung zur Überarbeitung mit den richtigen Strategien – Schreibstrategien
  • 5.3 Hören und Hörverstehen
  • 5.3.1 Hörverstehensprozesse – von der Wahrnehmung zur Interpretation
  • 5.3.2 Erfolgreich Hören und Verstehen – Hörstrategien
  • 5.4 Sprechen
  • 5.4.1 Prozesse des Sprechens – von der Formulierung zur Artikulation
  • 5.4.2 Flüssiger und selbstbewusster sprechen mit den richtigen Sprechstrategien
  • 6. Die empirische Untersuchung
  • 6.1 Forschungsüberblick
  • 6.2 Forschungsfragen und Ziele
  • 6.3 Wahl des Forschungsansatzes und der Erhebungsmethode
  • 6.4 Auswahl und Beschreibung der teilnehmenden Lernenden und Lehrenden
  • 6.4.1 Beschreibung der teilnehmenden Lernenden
  • 6.4.2 Beschreibung der teilnehmenden Lehrkräfte
  • 6.5 Konzeption der empirischen Untersuchung
  • 6.5.1 Pilotierung
  • 6.5.2 Untersuchungsplan
  • 6.5.3 Interviewleitfaden für die Schüler:innen
  • 6.5.4 Interviewleitfaden für die Englischlehrkräfte
  • 6.6 Durchführung der empirischen Untersuchung
  • 6.6.1 Interviewsituation
  • 6.6.2 Datenaufbereitung
  • 6.6.3 Datenauswertung – die Qualitative Inhaltsanalyse nach Gropengießer
  • 6.6.4 Methodologie der (Differenzkategorien-)Analyse – von fallübergreifender zur Einzelfallbetrachtung
  • 7. Schüler:innenperspektiven auf Lernerstrategien im Englischunterricht – Fokus auf die Differenzkategorie Alter
  • 7.1 Vorstellungen der Lernenden vom Sprachenlernen und von Lernstrategien
  • 7.1.1 Vorstellungen vom Sprachenlernen und von Lernstrategien – 5. Klasse
  • 7.1.2 Vorstellungen vom Sprachenlernen und von Lernstrategien – 8. Klasse
  • 7.1.3 Vorstellungen vom Sprachenlernen und von Lernstrategien – 11. Klasse
  • 7.1.4 Jahrgangsübergreifender Vergleich der Vorstellungen vom Sprachenlernen und von Lernstrategien
  • 7.1.5 Zwischenfazit
  • 7.2 Lernerstrategien der rezeptiven Teilkompetenzen – Lese- und Hörverstehen
  • 7.2.1 Lernerstrategien der rezeptiven Teilkompetenzen – 5. Klasse
  • 7.2.2 Lernerstrategien der rezeptiven Teilkompetenzen – 8. Klasse
  • 7.2.3 Lernerstrategien der rezeptiven Teilkompetenzen – 11. Klasse
  • 7.2.4 Jahrgangsübergreifender Vergleich der Lernerstrategien der rezeptiven Teilkompetenzen
  • 7.3 Lernerstrategien der produktiven Teilkompetenzen – Schreiben und Sprechen
  • 7.3.1 Lernerstrategien der produktiven Teilkompetenzen – 5. Klasse
  • 7.3.2 Lernerstrategien der produktiven Teilkompetenzen – 8. Klasse
  • 7.3.3 Lernerstrategien der produktiven Teilkompetenzen – 11. Klasse
  • 7.3.4 Jahrgangsübergreifender Vergleich der Lernerstrategien der produktiven Teilkompetenzen
  • 7.4 Gesamtüberblick und Fazit
  • 8. Didaktische Strukturierung I – Fach- und Schüler:innenperspektiven im wechselseitigen Vergleich
  • 8.1 Wechselseitiger Vergleich der Vorstellungen von Lern(er)strategien
  • 8.2 Wechselseitiger Vergleich der Strategien in Bezug auf die rezeptiven Teilkompetenzen
  • 8.3 Wechselseitiger Vergleich der Strategien in Bezug auf die produktiven Teilkompetenzen
  • 8.4 Fazit
  • 9. Fokus auf den individuellen Lernenden: Strategieanwendung und die Differenzkategorien Leistung, Mehrsprachigkeit, Geschlecht und sonderpädagogischer Förderbedarf
  • 9.1 Lernerstrategien und Leistung
  • 9.2 Lernerstrategien und Mehrsprachigkeit
  • 9.3 Lernerstrategien und Geschlecht
  • 9.4 Lernerstrategien und sonderpädagogischer Förderbedarf
  • 10. Lehrkräfteperspektiven auf Lernerstrategien im Englischunterricht
  • 11. Didaktische Strukturierung II: Didaktische Leitlinien für einen strategiefördernden Englischunterricht
  • 12. Reflexion der Untersuchung
  • 13. Abschließende Bemerkungen: Resümee und Desiderata
  • 14. Literaturverzeichnis
  • Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
  • Abbildungen
  • Tabellen
  • Anhang (digital zur Verfügung gestellt)
  • Reihenübersicht

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1. Einleitung

Nr. 1114, S. 35:

I: Ok, und was würdest du sagen, welche Rolle spielen solche Lernstrategien beim Lernen einer Fremdsprache? #00:44:37-2#

S: Eigentlich die Wichtigste, weil wie gesagt, früher konnte ich halt kein Englisch, dann habe ich angefangen es zu lernen und, wenn du englische Wörter weißt, dann kann es auch mal sein, dass du irgendwas ableiten kannst von dem Wort und so hast du keine Ahnung, du lernst hundert Vokabeln und kannst dann trotzdem hundertfünfzig mehr obwohl du nur hundert gelernt hast. Ja, deswegen ist das eigentlich das A und O. #00:45:02-5#

Nicht nur aus Schüler:innenperspektive sind Lernerstrategien „das A und O“ auf dem individuellen Weg zum erfolgreichen Fremdsprachenlernen. Wenngleich es seit den Anfängen der Lernerstrategieforschung in den 1970er-Jahren immer noch Diskontinuitäten in der Begriffsdefinition und divergierende Klassifikationsansätze gibt, wird aus fachlicher Perspektive konsensual stets die Bedeutsamkeit der Lernerstrategien beim Sprachenlernen und/oder beim Sprachgebrauch hervorgehoben. Unabhängig davon, ob Lern(er)strategien1 als beobachtbare Handlungen oder mentale Pläne, als potentiell bewusst oder auch automatisiert konzeptualisiert werden, sie machen das Lernen leichter, schneller, angenehmer, selbstbestimmter und effektiver (Oxford, 1990), verbessern den Sprachgebrauch (Wolff, 1998) und unterstützen die Lernenden dabei unterschiedlichste Aufgaben auszuführen (Cohen, 2011a). Indem Lernerstrategien die Selbststeuerung und Selbstorganisation der Lernenden fordern und erleichtern, unterstützen sie das Bildungsziel des selbstständigen und lebenslangen Lernens (Lernerautonomie). Durch das bewusste Auseinandersetzen mit sich selbst und den eigenen Sprachlern- und Sprachgebrauchsprozessen fördern Lernerstrategien zudem die Sprachlernbewusstheit der Schüler:innen. Angesichts zunehmender Diversität sind Lernerstrategien insbesondere im differenzierten und individualisierten Englischunterricht fundamental, denn ←15 | 16→„wenn Lernende zunehmend selbstständig an … Lerngegenständen arbeiten sollen, dann setzt das eine ausgeprägte Methodenkompetenz voraus“ (Haß, 2017, S. 45). So müssen die Schüler:innen das selbstständige Planen, Gestalten, Reflektieren, Regulieren und Bewerten des eigenen Lernprozesses mithilfe geeigneter Strategien im Unterricht lernen. Die tragende Bedeutung der Lernerstrategien zeigt sich auch im Bereich der kommunikativen Kompetenz als „Schlüsselkompetenz“ (Suter, 2019, S. 51) des Englischunterrichts, denn „Lernerstrategien leisten [nicht nur] einen erheblichen Beitrag zur kommunikativen Kompetenz“ (Kieweg, 2004, S. 20), sie sind auch unentbehrlich im Hinblick auf die Komplexität der rezeptiven und produktiven Prozesse des Hör- und Leseverstehens, des Schreibens und des Sprechens.

Obwohl es heute, zumindest in der Theorie, eine fremdsprachendidaktische Selbstverständlichkeit ist, Lernerstrategien eine Unumgänglichkeit zuzuschreiben (Riemer, 2009, S. 18) und auch Lehrkräfte die Bedeutsamkeit der Methodenkompetenzen insbesondere im diversitätssensiblen, differenzierenden Englischunterricht (Dose, 2019, S. 228) wiederkehrend betonen, werden sie im alltäglichen Englischunterricht (wenn überhaupt) überwiegend nur beiläufig – bspw. durch Infokästen und Skill-Boxen in Lehrbüchern – thematisiert, ohne wirklich nachhaltige Effekte zu erzielen oder bei den Vorstellungen und Konzepten der Lernenden anzusetzen (Bimmel, 2012b). Dabei fordern Schüler:innen das Lernen zu lernen immer wieder ein. Auf einer Bildungskonferenz des Bildungsbüros der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover zum Thema „Schule der Zukunft“ (2019) bspw., interessierten sich viele Lernende unterschiedlicher Altersstufen und Schulformen für das ‚Lernen lernen‘, da es ihrer Meinung nach im schulischen Unterricht zu sehr vernachlässigt würde (siehe „Dokumentation Schule der Zukunft,“ 25.03.2019).

Wurzelnd in dem von Rubin (1975) und Stern (1975) entwickeltem Idealbild des Good Language Learners sowie der stärkeren Lernerorientierung, setzte am Ende der 1980er-Jahre die Lernerstrategieforschung in einem umfänglichen Maße ein (Riemer, 2009, S. 18). Im Bereich des Zweit- und Fremdsprachenlernens erreichte die Strategiediskussion mit vielen, einschlägigen Publikationen bspw. von O’Malley und Chamot (1990), Oxford (1990) oder Rampillon und Zimmermann (1997) daran anschließend ihren Höhepunkt in den 1990er-Jahren. Im Laufe der darauffolgenden Jahre rückte das Interesse an Lernerstrategien jedoch trotz ihrer Bedeutsamkeit sukzessiv in den Hintergrund, weshalb in den 2000ern nur noch vereinzelnd dazu publiziert und geforscht wurde, z.B. Cohen und Macaro (2007), Ender (2007), Griffiths (2008) und Haudeck (2008). Im Kontext der vieldiskutierten diversitätssensiblen und individualisierenden Ansätze beim Sprachenlernen sind Lernerstrategien, zumindest im ←16 | 17→englischsprachigen Raum, mit Veröffentlichungen von Oxford und Amerstorfer (2018) sowie von Chamot und Harris (2019) in den letzten Jahren wieder populärer in den wissenschaftlichen Diskurs eingetreten.

Zur Erhebung vorhandener Lernerstrategien sind in den letzten 40 Jahren zwar fortwährend verschiedenste Verfahren, von Verhaltensbeobachtung bis Lerntagebücher, entwickelt und getestet worden, der Schwerpunkt der Lernerstrategieforschung liegt allerdings seit ihren Anfängen auf quantitativ orientierten Fragebogenuntersuchungen (Mizumoto & Takeuchi, 2018). Sofern dabei nicht die Deskription vorhandener Lernerstrategien und/oder die Häufigkeit ihrer Anwendung in den unterschiedlichen Teilbereichen des Sprachenlernens – von Hörverstehen bis Wortschatzerwerb – im Vordergrund stehen, liegt der Fokus entweder auf signifikanten Interrelationen von Lernerstrategieanwendung und individuellen und/oder gruppenbezogenen Variablen (z.B. Leistung, Geschlecht, Alter, Lernstile, Kultur) oder auf der Effektivität des Lernerstrategietrainings (Interventionsstudien). Qualitativ-rekonstruktive Ansätze sind daher ebenso selten in der Lernerstrategieforschung, wie die Vorstellungen der Lernenden von Lernerstrategien, zu erheben und nach ihrem Potential und/oder daraus resultierenden Schwierigkeiten in Bezug auf die Vermittlung und das Training von Lernerstrategien zu fragen. Dabei stellen die individuellen Schüler:innenperspektiven einen gewichtigen Ausgangspunkt für die Vermittlung fachlicher Kompetenzen dar (Gropengießer, 2008, S. 174).

Demzufolge sollen im Rahmen der vorliegenden Arbeit das Modell der Didaktischen Rekonstruktion als auch die damit verbundenen Untersuchungsaufgaben und die dahinterstehenden theoretischen Annahmen herangezogen werden, um Lernerstrategien multiperspektivisch, d.h. aus Schüler:innen- und Fachperspektive zu betrachten, diesbezügliche Vorstellungen zu rekonstruieren und Didaktische Leitlinien2 zu entwerfen, die zukünftig einen strategiefördernden Englischunterricht etablieren sollen.

Neben den Vorstellungen der Schüler:innen von Lernerstrategien sollen ihre bereits vorhandenen Lernerstrategien zur Bewältigung rezeptiver und produktiver Kompetenzen mithilfe eines leitfadengestützten Interviews erhoben werden. Diese werden sodann vor dem Hintergrund des theoretischen Modells der Didaktischen Rekonstruktion mit einer für fachdidaktische Zwecke adaptierten ←17 | 18→Methode der Qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet (Gropengießer, 2008, S. 172). Diese Herangehensweise stellt nicht nur einen innovativen Ansatz dar, weil bisher lediglich Astrid Dahnken (2005) im Rahmen ihrer Studie Englisch an der Hauptschule diese Methode verwendete, sondern insbesondere auch, weil das Modell der Didaktischen Rekonstruktion als Rahmen der Untersuchung die individuellen Bedeutungszuschreibungen der Lernenden ins Zentrum des Interesses stellt (De Florio Hansen, 1998, S. 4). Erst die Erforschung der Innensicht von Fremdsprachenlernenden ermöglicht tiefergehende Einsichten in den Forschungsgegenstand (ebd.). Die für fachdidaktische Zwecke adaptierte Auswertungsmethode nach Gropengießer und das sich anschließende wechselseitige in Beziehung setzen von Lernenden- und Fachperspektiven (Didaktische Strukturierung) ermöglicht der Forschenden, vorhandene Lernerstrategien und diesbezügliche Vorstellungen abseits von quantitativen Häufigkeitsanalysen durch qualitativ-interpretierende Verfahren gründlicher zu betrachten.

Dem explorativen Dissertationsprojekt liegen zusammenfassend u.a. die übergeordneten Forschungsfragen zugrunde: (1) welche (differenten) fachlichen Vorstellungen bzw. Fachkonzepte im Hinblick auf den Themenkomplex Lern(er)strategien existieren, (2) welche Vorstellungen Schüler:innen von Lern(er)strategien haben und welche sie bereits, mit welchem Ziel anwenden sowie, (3) ob sich im wechselseitigen Vergleich der Schüler:innen- und Fachperspektiven Gemeinsamkeiten, Verschiedenheiten, Eigenheiten und/oder Begrenztheiten finden lassen.

Da der Fokus im Besonderen auf dem diversitätssensiblen Englischunterricht liegt und das Konzept der Lernerstrategien aus vielseitigen Perspektiven in den Blick genommen werden soll, ist weiterhin von Interesse, (4) welche Zusammenhänge sich zwischen der Lernerstrategieanwendung der Schüler:innen und den Variablen Alter, Leistung, Geschlecht, Mehrsprachigkeit und sonderpädagogischer Förderbedarf ermitteln lassen sowie, (5) welche Vorstellungen die Lehrkräfte der befragten Schüler:innen von Lern(er)strategien haben.

Zur Beantwortung der Forschungsfragen werden insgesamt 33 bewusst ausgewählte Schüler:innen eines Gymnasiums aus den Jahrgängen fünf, acht und elf sowie die jeweiligen Lehrkräfte der Lernenden mittels eines leitfadengestützten Interviews befragt. Die rekonstruierten Schüler:innenkonzepte werden im Sinne des Modells der Didaktischen Rekonstruktion nicht nur untereinander, sondern auch mit den vorherrschenden Fachkonzepten verglichen und auf Gemeinsamkeiten, Verschiedenheiten, Eigenheiten und Begrenztheiten hin untersucht. Dieser Vergleich ermöglicht die Konstruktion von Didaktischen Leitlinien für einen, auf die kommunikativen Teilkompetenzen bezogenen, strategiefördernden Englischunterricht.←18 | 19→

Da das Vorgehen der vorliegenden Arbeit nur in ihrem theoretischen Rahmen Sinn macht (Gropengießer, 2008, S. 172), wird im Folgenden zunächst das Modell der Didaktischen Rekonstruktion als theoretisch fundierter Untersuchungsplan vorgestellt, um das gewählte methodologische Vorgehen von Beginn an zu präzisieren sowie transparent und nachvollziehbar zu gestalten. Daran schließt sich die Zielklärung, in welcher die Bedeutsamkeit der Lernerstrategien im Kontext von Heterogenität, Diversität und Inklusion sowie von Individualisierung und Differenzierung herausgestellt wird, an. Für die spätere fundierte Weiterarbeit mit den Schüler:innenvorstellungen ist es anschließend zunächst unabdingbar, sich detailliert mit den fachlichen Perspektiven in den fokussierten Bereichen der Lernerstrategien und der kommunikativen Teilkompetenzen auseinanderzusetzen. Mit Blick auf das Konzept der Lernerstrategien werden dazu verschiedenste Definitions- und Klassifikationsansätze in den Blick genommen. Außerdem erfolgt eine Einordnung und Abgrenzung von Lernerstrategien zu den nahestehenden Konzepten der Lerntypen, -stile und -techniken sowie zum Bereich des Strategiewissens. Die fachdidaktische Einordnung dient schließlich der weitergehenden Legitimierung der Themenschwerpunktsetzung und illustriert den wertvollen Zusammenhang zwischen Lernerstrategien und Lernerautonomie sowie der Sprachlernbewusstheit.

Den zweiten Schwerpunkt der Fachlichen Klärung bildet die theoretische und fachdidaktische Einordnung der kommunikativen Teilkompetenzen Lese- und Hörverstehen sowie Schreiben und Sprechen. Dieser Einordnung folgt die Explikation der empirischen Untersuchung, welche zuerst den Forschungsstand skizziert, um fundiert Forschungslücken zu identifizieren. Anschließend werden die Forschungsfragen dieser Arbeit in den derzeitigen Diskurs eingeordnet und das genaue Vorgehen, d.h. Forschungsansatz, Teilnehmendenauswahl, Leitfadenkonstruktion, Auswertungsmethode und Vorgehen bei der Darstellung der Ergebnisse, erläutert.

Daran schließen sich die Ergebnisdarstellung und -diskussion an. Die identifizierten Lernerstrategien und rekonstruierten Vorstellungen der befragten Lernenden werden kategorisch zunächst jahrgangsintern präsentiert und dann jahrgangsübergreifend sowie wechselseitig mit den herausgestellten Fachkonzepten verglichen. Identifizierte Gemeinsamkeiten, Verschiedenheiten, Eigenheiten und Begrenztheiten werden vor dem Hintergrund theoretischer Überlegungen und empirischer Forschungsergebnisse vorheriger Studien diskutiert. Der Fokus auf den individuellen Lernenden, welcher sowohl fallübergreifend als auch einzelfallorientiert die Strategieanwendung der Schüler:innen im Kontext verschiedener Differenzkategorien analysiert, ergänzt die vorherigen Untersuchungsergebnisse aus einer diversitätssensiblen Perspektive. ←19 | 20→Abschließend wird die Lehrkräfteperspektive dargestellt, bevor alle Erkenntnisse subsumierend in Didaktische Leitlinien fließen, welche in ihrer Relevanz vor der Folie bereits existierender Strategietrainingsmodelle präsentiert und diskutiert werden.

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2. Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion – ein Untersuchungsplan für die fachdidaktische Lehr-Lernforschung

In den letzten Jahren hat die Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen eine ‚subjektive Wende‘ genommen. Während intro- und retrospektive Daten in früheren Untersuchungen eine untergeordnete Rolle spielten, stehen die Kognitionen von Fremdsprachenlernern und –lehrern inzwischen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. (De Florio-Hansen, 1998, S. 4)

Mit dem „… Wechsel von der Außensicht des Forschers zur Innensicht des Erforschten …“ (S. 7) bezieht sich De Florio-Hansen (1998) auf die sogenannten ‚Subjektiven Theorien‘, welche sich seit den 1980er-Jahren im Einklang mit der Lernerorientierung auf die Alltagstheorien von Fremdsprachenlernenden fokussieren.3 Die Erhebung dieser Subjektiven Theorien stellt eine Möglichkeit dar, „… Aufschluss darüber zu erhalten, … was in den Köpfen von Lernenden steckt“ (Kallenbach, 1996, S. 16). Dabei lassen sich die Subjektiven Theorien auf die Einzigartigkeit und Komplexität der individuellen Sichtweisen ein (Kallenbach, 1996, S. 13). Diesem Forschungsansatz liegen die Annahmen zugrunde, dass die soziale Realität dem Menschen etwas bedeutet und gesellschaftliche Wirklichkeit nicht ‚objektiv‘ vorgegeben ist. Deshalb sind die individuellen Bedeutungszuschreibungen der interaktiv Handelnden auch von großer Wichtigkeit (De Florio-Hansen, 1998, S. 4). Außerdem wird oft argumentiert, dass erst die Erforschung der Innensicht von Fremdsprachenlernenden und -lehrkräften tiefergehende Einsichten in den Forschungsgegenstand des Lehrens und Lernens von Sprachen ermöglichen (Grotjahn, 1998a, S. 33). Daher wird insbesondere im Zusammenhang mit der Vermittlung von Lernerstrategien, die Didaktisierung der Lernertheorien immer wieder diskutiert (De Florio-Hansen, 1998, S. 4). Nicht zuletzt auch, weil die Kenntnis von Lernerstrategien ←21 | 22→nicht automatisch zur Anwendung dieser im eigenen (Lern-)Handeln führt (Scheele & Groeben, 1998, S. 26).

Zur Begriffsbestimmung lehnen sich die meisten Forscher:innen an die weite Definition von Forschungsprogrammgründer Norbert Groeben an, nach welcher Subjektive Theorien die Gesamtheit der Kognitionen der Welt- und Selbstsicht der Schüler:innen repräsentieren (Trautmann, 2012, S. 229). Diese sind komplex und weisen zumindest implizit eine Argumentationsstruktur auf, welche teilweise analog zu Eigenschaften wissenschaftlicher Theorien ist. Während diese Alltagstheorien zum einen bereits erfolgte Handlungen erklären, dienen sie zum anderen auch der Prognose von Ereignissen sowie der Genese von Handlungsentwürfen (Trautmann, 2012, S. 229). In Bezug auf das Fremdsprachenlernen konkretisiert Kallenbach (1996) diese Definition, indem sie Subjektive Theorien über das Fremdsprachenlernen als komplexe Wissenskonstrukte beschreibt, die jeder Einzelne aus der persönlichen Erfahrung im Umgang mit Fremdsprachen in und außerhalb der Schule aufbaut. „Sie stellen subjektiv wahrgenommene und relevante Aspekte des Fremdsprachenlernens in einen individuellen Zusammenhang. Sie sind spezifisch im Hinblick auf das Fremdsprachenlernen, aber nicht losgelöst von Lebens- und Lernererfahrungen in anderen Kontexten“ (Kallenbach, 1996, S. 49). Die Theorien entstehen dabei erst, indem sie expliziert werden, weshalb das zugrunde liegende Wissen vom Lernenden auch verbalisierbar sein muss (ebd.: S. 50). Damit einhergeht, dass die Reflexivität des Lernenden in den Mittelpunkt gestellt wird (Scheele & Groeben, 1998, S. 13). „Dabei wird diese Reflexivität als zentrales Merkmal des bewussten, geplanten, willkürlichen Handelns angesetzt …“ (ebd.). Die Handlungsfähigkeit, d.h. auch die Sprach- und Kommunikationsfähigkeit, steht dementsprechend im Zentrum der Subjektiven Theorien. Dies hat auch Konsequenzen für die empirische Methodologie, weil es aufgrund der Sprach-, Kommunikations- und Handlungsfähigkeit des menschlichen Subjekts geradezu notwendig ist, die Innensicht des reflexiven Subjekts miteinzubeziehen, in dem man es z.B. nach dem Sinn, den es mit seinen Handlungen in Verbindung bringt, fragt (ebd.). Zur Erhebung dieser komplexen Innensicht werden überwiegend qualitative Interviews verwendet (Trautmann, 2012, S. 229). Die daraus rekonstruierten Konzepte werden anschließend in einer Dialog-Konsens-Sitzung mit dem beforschten Subjekt noch einmal diskutiert und validiert.4 Vereinzelt finden nach der Darstellung der rekonstruierten Subjektiven Theorien ←22 | 23→sowohl Überlegungen zur Didaktisierung der Forschungsmethode (für und im Fremdsprachenunterricht) als auch ein Austausch zwischen subjektiver und objektiver Realität statt (siehe z.B. Kallenbach, 1996), d.h. dass die Subjektiven Theorien der Schüler:innen werden nicht nur durch wissenschaftliche Theorien erweitert oder relativiert, sondern diese geben vice versa auch durchaus Implikationen für die Forschung (Kallenbach, 1996, S. 249).

Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion (MDR), als theoretischer Rahmen und Untersuchungsplan der vorliegenden Arbeit, beruht auf ähnlichen Annahmen, Vorstellungen und Vorgangsweisen. Sowohl in der Begriffsverwendung als auch in der Datenerhebung gibt es Übereinstimmungen – im MDR wird auf der höchsten Stufe ebenfalls von Subjektiven Theorien gesprochen und es werden überwiegend Interviews zur Erhebung der Schüler:innenperspektiven geführt. Das MDR grenzt sich zu dem Forschungsprogramm der Subjektiven Theorien (FST) allerdings in der Hinsicht ab, dass neben den Vorstellungen der Lernenden, die fachlichen Vorstellungen durchgängig eine gleichgewichtige Rolle spielen. Beide Perspektiven werden gleichwertig miteinander verglichen und als Quelle zur Konstruktion von Unterricht genutzt (Gropengießer, 2008, S. 174). Dabei stellen die lebensweltlichen Schüler:innenvorstellungen nützliche Ausgangspunkte auf dem Weg zu den fachlich geklärten Vorstellungen dar (ebd.). Während das FST nur vereinzelt und nachrangig über den fachdidaktischen Wert der Subjektiven Theorien der Lernenden nachgedacht hat, stellt das MDR eben jenen theoretisch fundierten Untersuchungsplan für die fachdidaktische Lehr-Lernforschung zur Verfügung. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass die Didaktische Rekonstruktion der Unterrichtsgegenstände mehr ist, als „… effektives methodisches Umsetzen oder motivierendes Einkleiden von wissenschaftlicher Erkenntnis, eine didaktische Reduktion …, eine didaktische Transformation …“ (Kattmann et al., 1997, S. 4).

Grundlagen der Didaktischen Rekonstruktion

Jeder hat und macht sich seine Vorstellungen über die Welt und sich selbst. Die Welt der Vorstellungen beeinflusst ganz entscheidend das Lernen, Lehren und Verstehen, sei es in alltäglichen, schulischen, beruflichen oder wissenschaftlichen Zusammenhängen. (Gropengießer, 2007, S. 19)

Ursprünglich aus den Fachdidaktiken der Naturwissenschaften stammend, stellt das MDR seit rund 20 Jahren sowohl einen theoretisch fundierten Untersuchungsplan für die fachdidaktische Lehr-/Lernforschung als auch für die ←23 | 24→Planung und Entwicklung von Lernangeboten dar. Das MDR basiert dabei auf einem konstruktivistischen Ansatz vom Lernen (siehe hierzu auch Kapitel 4) und greift auf bildungstheoretische, allgemeindidaktische sowie fachdidaktische Traditionen der Unterrichtsplanung und Curriculumsentwicklung zurück (z.B. Kattmann et al., 1997, S. 6 ff.).5

Das Modell supponiert, dass bei der Vermittlung fachlichen Wissens drei Aspekte zu berücksichtigen sind: (1) das lebensweltliche Wissen der Lernenden, (2) das fachliche Wissen und (3) das zu vermittelnde unterrichtliche Wissen (Gropengießer, 2008, S. 172). Während von dem lebensweltlichen Wissen auszugehen ist, orientieren sich die Ziele der Vermittlung überwiegend an fachlichem Wissen. Für eine sinnvolle und effektive Vermittlung müssen allerdings beide Bereiche in Beziehung zum unterrichtlichen Wissen mittels Didaktischer Strukturierung gesetzt werden (Gropengießer, 2008, S. 172).

Bisher fokussierten viele Arbeiten, in denen das MDR für die Entwicklung von Lernangeboten genutzt wird, fachinhaltliche Kompetenzen zu einem bestimmten Themenbereich, d.h. vorwiegend deklaratives Wissen. Allerdings kann das MDR auch als theoretischer Rahmen und Untersuchungsplan für die Entwicklung und Erforschung von prozessbezogenen Kompetenzen herangezogen werden (Vorholzer, 2021, S. 68). Lernen meint schließlich nicht nur, fachinhaltliches Wissen aufzubauen, sondern auch, (prozedurale) Fertigkeiten und Fähigkeiten zu entwickeln. An dieser Stelle setzt auch die vorliegende Arbeit an: Lernerstrategien sind sowohl Bestandteil des deklarativen Strategiewissens als auch der Methoden- und Sprachlernkompetenz, d.h. Teil des konditionalen und prozeduralen Strategiegewissens (siehe dazu Kapitel 4). Beispielsweise sollen Lernende unter Rückgriff auf fachspezifische Lernerstrategien dazu befähigt werden, das Sprachenlernen insgesamt sowie die Aufgabenbewältigung in den Bereichen der kommunikativen Teilkompetenzen (Lese- und Hörverstehen, Schreiben und Sprechen) selbstständig und effektiv zu gestalten (Niedersächsisches Kultusministerium [NK], 2015, S. 7). Diesbezüglich notwendige Adaptionen der Untersuchungsaufgaben werden im Folgenden präsentiert. Dabei ist zu beachten, dass das im Rahmen der vorliegenden Arbeit angewendete Verfahren eine potentielle Umsetzungsmöglichkeit des MDR darstellt, sodass stets auch andere Vorgehensweisen annehmbar und möglich sind.←24 | 25→

Das Modell umfasst insgesamt drei Untersuchungsaufgaben, die erst in ihren wechselseitigen Bezügen und Abhängigkeiten ihre Funktionen erfüllen, weshalb auch kein streng lineares Vorgehen möglich ist (Gropengießer, 2008, S. 172). Alles in allem sind jedoch drei Aufgaben zu erfüllen (siehe Abb. 1): (1) die Fachliche Klärung (hermeneutisch-analytische Untersuchungsaufgabe), (2) das Erfassen von Schüler:innenperspektiven (empirische Untersuchungsaufgabe) und (3) die Didaktische Strukturierung (konstruktive Untersuchungsaufgabe).

Abb. 1:Untersuchungsaufgaben im Modell der Didaktischen Rekonstruktion (Anmerkung. Nachbildung in Anlehnung an „Qualitative Inhaltsanalyse in der fachdidaktischen Lehr-Lernforschung“ von H. Gropengießer, in P. Mayring, M. Gläser-Zikuda (Hrsg.), Die Praxis der qualitativen Inhaltsanalyse (S. 173), 2008, Beltz.)

Sowohl bei der Fachlichen Klärung als auch beim Erfassen der Schüler:innenperspektiven handelt es sich um inhaltsanalytische Aufgaben, deren Ergebnisse dann in der Didaktischen Strukturierung in Einklang gebracht werden (Gropengießer, 2008, S. 174).

(1)In der Fachlichen Klärung (siehe Kapitel 4 und 5) werden zunächst, wissenschaftliche Vorstellungen, also Konzepte der Wissenschaftler:innen, gesucht und aufbereitet (Gropengießer, 2008, S. 184 f.). Typische und ←25 | 26→obligatorische Fragen sind bspw., welche fachwissenschaftlichen Aussagen zu einem Thema vorliegen und wo ihre Grenzen sind sowie welche Genese, Funktion und Bedeutung die fachlichen Begriffe haben und in welchem Kontext diese stehen (Kattmann et al., 1997, S. 11). Gegenstand der Fachlichen Klärung sind einerseits der gegenwärtige Stand (der theoretischen und/oder empirisch geprüften fachwissenschaftlichen Annahmen) und andererseits auch historisch relevante, jedoch eventuell bereits überholte Theorien, welche dennoch der Präzisierung oder Abgrenzung bzw. dem Verständnis von Schüler:innenvorstellungen dienlich sind (ebd.). „Die Auswahl [der Literatur] wird so getroffen, daß [sic] bedeutsame historische und gegenwärtig herrschenden Anschauungen durch herausragende Texte vertreten sind.“ (ebd.) Die Erkenntnisse müssen dann strukturiert und adäquat dargestellt werden (ebd.).

In Bezug auf den vorliegenden Gegenstand der Lernerstrategien ist zu beachten, dass dieser sowohl eine fachinhaltliche (das deklarative Wissen über Lernerstrategien als Konzept) als auch eine prozessbezogene Komponente (das prozedurale und konditionale Wissen über die (Bedingungen der) Ausführung bzw. Anwendung in Bezug auf bestimmte kommunikative Teilkompetenzen) beinhaltet. Die Methoden- bzw. Sprachlernkompetenz (siehe NK, 2015; NK, 2017) (zuweilen auch strategische Kompetenz; siehe dazu Kapitel 4.1.3) beinhaltet im Sinne des allgemeinen Kompetenzbegriffes nach Weinert (2001) sowohl prozedurale (Fertigkeiten) als auch deklarative (Wissen) Aspekte. So wird auch in fremdsprachenspezifischen Diskursen der Kompetenzbegriff als „… die Summe des (deklarativen) Wissens, der (prozeduralen) Fertigkeiten und der persönlichkeitsbezogenen Kompetenzen und allgemeinen kognitiven Fähigkeiten, die es einem Menschen erlauben, Handlungen auszuführen“ (Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen [GER], 2001, S. 21) beschrieben. Daher ist die Fachliche Klärung zweigeteilt: Zum einen wird das Konzept der Lern(er)strategien aus fachwissenschaftlicher Perspektive auf der Ebene der Begriffsbestimmung, der Klassifizierung und der Abgrenzung zu verwandten Konzepten betrachtet (siehe Kapitel 4.1). Zum anderen erfolgen Beschreibungen der Prozesse und Aufgaben im spezifischen Kontext der kommunikativen Teilkompetenzen, welche durch die Anwendung von Lese-/Hör-/Schreib- und Sprechstrategien erleichtert bzw. effektiver und selbstständiger gestaltet werden sollen (siehe Kapitel 5).

(2)Das Erfassen von Schüler:innenperspektiven (siehe Kapitel 7) stellt die empirische Untersuchungsaufgabe dar und beinhaltet, bereits vorhandene Vorstellungen der Lernenden zu einem (prozessbezogenen) Gegenstand ←26 | 27→zu erheben. Typische Fragen sind daher: Welche Vorstellungen haben die Schüler:innen zu einem bestimmten Thema? Woher stammen diese Vorstellungen? Welche Bedeutungen werden zentralen Fachwörtern zugewiesen? (Kattmann et al., 1997, S. 12)

Dabei sind alle Vorstellungen und nicht nur das Wissen der Schüler:innen, im Sinne fachlicher Kenntnisse, von Relevanz (Kattmann et al., 1997, S. 11). Vorstellungen sind daher subjektive, kognitive Konstrukte. Sie existieren im gedanklichen Bereich und können durch Sprache vermittelt bzw. mit anderen geteilt werden (Gropengießer, 2007, S. 31). Sie werden von Gropengießer in die Ebenen (1) Begriffe (einfache Vorstellungen), (2) Konzepte (Verknüpfung von mehreren Begriffen), (3) Denkfiguren (Zusammenfügung von Begriffen und Konzepten) und (4) Theorien (mehrere Denkfiguren) unterteilt (ebd.). Im naturwissenschaftlichen Bereich, in welchem das MDR bereits vielfach Anwendung gefunden hat (siehe Beiträge zur Didaktischen Rekonstruktion6), sind bereits unzählige Vorstellungen von Schüler:innen zu nahezu allen Bereichen aufgrund der Nähe zum Alltäglichen erhoben und untersucht worden. Im Bereich der Fremdsprachen(didaktik) hat sich dieses Vorgehen hingegen noch nicht etabliert, da sich die Erhebung von Schüler:innenvorstellungen zur Sprache bzw. zu Sprachen (Fremdsprachen) schwieriger gestaltet.7 Diese wird zwar alltäglich verwendet, aber nur selten bewusst reflektiert. In dieser Arbeit wird daher nicht vordergründig angestrebt, komplexe Schüler:innentheorien, sondern bereits angewendete Lernerstrategien in den Bereichen der kommunikativen Teilkompetenzen sowie Vorstellungen vom Sprachenlernen und von Lernstrategien auf der Ebene von Begriffen und Konzepten (ggf. Denkfiguren) zu erheben. Dabei lassen sich bereits angewendete Lernerstrategien der befragten Schüler:innen aus ihren Vorstellungen von einer angemessenen Aufgabenbearbeitung (Lese- und Hörverstehen) bzw. Handlung in verschiedensten Kommunikationssituationen (Schreiben und Sprechen) ←27 | 28→rekonstruieren, d.h. der Fokus liegt in diesem Bereich auf den Vorstellungen der Schüler:innen von Vorgehensweisen in spezifischen Bereichen der kommunikativen Teilkompetenzen Leseverstehen, Hörverstehen, Schreiben und Sprechen, um der Prozesshaftigkeit der Lernerstrategien im Kontext einer auszubildenden Methoden- und Sprachlernkompetenz adäquat Rechnung zu tragen.

Bei der Interpretation der Lernendenperspektiven ist vorauszusetzen, dass die Vorstellungen und Lernerstrategien für die Schüler:innen selbst, in ihrem jeweiligen Rahmen und Kontext, sinnvoll und stimmig sind (Gropengießer, 2007, S. 17). Außerdem sind diese in bestimmten Situationen durchaus erfolgreich. Daher können die Vorstellungen der Lernenden auch keine Fehlvorstellungen (misconceptions) sein (ebd.). Sie sind stattdessen vor allem der unabdingbare Ausgangs- und Anknüpfungspunkt des Lernens und werden als Ergebnis der bisherigen Lerngeschichte wertgeschätzt (Kattmann et al., 1997, S. 12). Nicht erfasste Vorstellungen können analog auch nicht als fehlend charakterisiert werden, weil sich die Nichtexistenz nicht belegen lässt (Gropengießer, 2007, S. 17). Ebenso wie die fachlichen Vorstellungen werden die Schüler:innenvorstellungen und -strategien herausgearbeitet und in Form von Kategorien verallgemeinert, um sie anschließend wechselseitig vergleichen zu können (Gropengießer, 2007, S. 18). Die Quantitäten der vorkommenden Vorstellungen und Lernerstrategien sind weniger von Interesse, da es vordergründig um die Identifizierung von spezifischen Denkweisen geht (ebd.). Der Untersuchungsplan der Didaktischen Rekonstruktion liefert insbesondere qualitativ den Mehrwert, die Vorstellungen und Strategien detaillierter analysieren und interpretieren zu können, um daraus in Kategorien unterteilte Konzepte zu bilden und passgenaue Leitlinien für einen, in Bezug auf die vier grundlegenden kommunikativen Teilkompetenzen, strategiefördernden Englischunterricht zu entwickeln.

(3)Dieser Schritt erfolgt im Rahmen der Didaktischen Strukturierung, d.h. der wechselseitige und kontrastierende Vergleich der Ergebnisse von Lernendenvorstellungen einerseits und der Fachlichen Klärung andererseits (Gropengießer, 2008, S. 186). Die fachlichen Aspekte sind dabei weder allein leitend noch normsetzend, da Schüler:innenvorstellungen und fachliche Theorien als gleich wichtige und gleichwertige Quellen gesehen und genutzt werden (Gropengießer, 2008, S. 174). Der Vergleich dient sowohl der Darstellung der Charakteristika beider Perspektiven als auch der Herausstellung lernförderlicher Korrespondenzen und voraussehbarer Lernschwierigkeiten (Kattmann et al., 1997, S. 12). Dabei werden in Bezug auf die ←28 | 29→Fragestellung(en) systematisch und strukturiert Beziehungen hergestellt. Die Kategorien (a) Eigenheiten, (b) Gemeinsamkeiten, (c) Verschiedenheiten und (d) Begrenztheiten dienen dabei als Strukturierungsparameter des Vergleichs. Während (a) Eigenheiten Konzepte darstellen, die entweder charakteristisch für die Schüler:innenvorstellungen oder für die fachwissenschaftlichen Theorien sind, repräsentieren (b) Gemeinsamkeiten kongruente Vorstellungen beider Seiten zu bestimmten Bereichen, die als Lernhilfe genutzt werden können. (c) Verschiedenheiten beschreiben indes unterschiedliche Vorstellungen. (d) Begrenztheiten dienen abschließend dazu, aufgrund von Eigenheiten der Sicht der Schüler:innen oder der Fachwissenschaften die Grenzen der jeweils anderen Theorie zu erkennen (Gropengießer, 2008, S. 188). Die Didaktische Strukturierung ist damit einerseits an die Fachliche Klärung rückgebunden, weil die fachlichen Vorstellungen als im Unterricht anzustrebender Zielbereich gesehen werden. Andererseits erfolgt eine Rückbindung an die Schüler:innenvorstellungen, da diese als Ausgangspunkt für wahr genommen werden (Kattmann et al., 1997, S. 13).

In Ergänzung zum wechselseitigen Vergleich stehen vor dem Hintergrund des hier fokussierten diversitätssensiblen Englischunterrichts ausgewählte Differenzkategorien (d.h. Alter, Leistung, Geschlecht, Mehrsprachigkeit und sonderpädagogischer Förderbedarf) und deren (mögliche) Zusammenhänge zur Strategieanwendung der Lernenden im Mittelpunkt der Auswertung. Die Ergebnisse dessen werden sowohl allgemein beschrieben als auch durch Einzelfallanalysen, im Sinne der Individualisierung, näher betrachtet (siehe Kapitel 9). Im zweiten Schritt der Didaktischen Strukturierung werden auf der Basis des wechselseitigen Vergleichs und der Ergebnisse der fokussierten Differenzkategorien, Entscheidungen darüber getroffen, „… was von einem Thema in welchem Umfang, mit welchem Schwierigkeitsgrad, mit welchen Bezügen und Einbettungen vermittelt werden soll.“ (Gropengießer, 2008, S. 174) Folgende Fragen sind dahin gehend leitend: Welche sind die wichtigsten Elemente der Vorstellungen von Schüler:innen, die im Unterricht besonders bei der Vermittlung zu beachten sind? Welche Vorstellungen korrespondieren, und können demnach für das Lernen genutzt werden? Wie können Brüche und Widersprüche didaktisch genutzt werden? (Lange, 2007, S. 64). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit erfolgen die Arbeitsschritte der Didaktischen Strukturierung in Kapitel 8 und 11, wobei letzterer anhand der Formulierung von Didaktischen Leitlinien realisiert wird.

Details

Seiten
700
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631874561
ISBN (ePUB)
9783631874578
ISBN (Hardcover)
9783631865095
DOI
10.3726/b19499
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Juni)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 700 S., 8 farb. Abb., 68 s/w Abb., 16 Tab.

Biographische Angaben

Jana Oldendörp (Autor:in)

Jana Oldendörp hat die Fächer Englisch und Politik-Wirtschaft für das gymnasiale Lehramt studiert, in der Didaktik des Englischen an der Leibniz Universität Hannover als wissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitet und im Rahmen des Leibniz Prinzips der Qualitätsoffensive Lehrerbildung promoviert. Sie ist nun als Lehrerin tätig.

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Titel: Fokus auf Lernerstrategien
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