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Bild und Idol

Perspektiven aus Philosophie und jüdischem Denken

von Beniamino Fortis (Band-Herausgeber:in)
©2022 Sammelband 214 Seiten

Zusammenfassung

Das angebliche Bilderverbot, das im Zweiten Gebot des Dekalogs enthalten sein soll, ist eigentlich ein Idolatrieverbot. Das heißt, dass das jüdische Gesetz nicht Bilder an sich, sondern Idole verbietet. Gewiss: Manche Bilder werden als Idole verehrt. Es gibt aber auch Bilder, die keine idolatrische Bedeutung haben, und umgekehrt Idole, die keinen bildlichen Charakter aufweisen.
Die Untersuchung dieser komplexen Zusammenhänge ist das Hauptziel des vorliegenden Sammelbandes. Von unterschiedlichen theoretischen Standpunkten ausgehend, eröffnen die hier versammelten Aufsätze neue Perspektiven auf das Verhältnis zwischen Bild und Idol.
Mit Beiträgen von Beniamino Fortis, Asher D. Biemann, Ellen Rinner, Mario C. Schmidt, Lars Tittmar, Johannes Bennke und Agata Bielik-Robson.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltverzeichnis
  • Einleitung (Beniamino Fortis)
  • Jüdischer Anikonismus. Kritische Rekonstruktion eines Missverständnisses von Kant und Hegel bis zum 20. Jahrhundert (Beniamino Fortis)
  • Bildersturz und Bilderliebe bei Hermann Cohen (Asher D. Biemann)
  • Von der „kultlich erheischten Hingabe an das geschaffene Idolon“. Aby Warburgs Kulturwissenschaft als Idolatriekritik (Ellen Rinner)
  • Die Adaption des jüdischen Bilderverbots in der Dialektik der Aufklärung.Zum Verhältnis von Sprache, Aufklärung und Offenbarung (Mario Cosimo Schmidt)
  • Sturm in der Erscheinung. Zum Bilderverbot in Ernst Blochs Ästhetik des Vorscheins (Lars Tittmar)
  • Das Bilderverbot in der Ästhetik von Emmanuel Levinas (Johannes Bennke)
  • Secret Followers of the Hidden God. Derrida’s Marrano Iconoclasm (Agata Bielik-Robson)
  • Autorinnen und Autoren
  • Reihenübersicht

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Beniamino Fortis

Einleitung

„Das seltsamste Gebot der Bibel“. Und eine Zeile danach: „das seltsamste Verbot des Dekalogs“1 – mit diesen Worten äußert sich Jan Assmann zu den Thoraversen Ex. 20: 4 und Dt. 5: 8, die viele immer noch hartnäckig als ‚Bilderverbot‘ interpretieren. In der Tat erscheint die in den zwei Passus enthaltene Vorschrift im Vergleich zu anderen selbstverständlicheren, gelinde gesagt, rätselhaft, und sorgt auf den ersten Blick für eine gewisse Ratlosigkeit. Die Diskussion dazu droht aber, zu vage zu bleiben, solange sie mit keiner soliden textlichen Basis versehen wird. Es lohnt sich daher, den hier infrage stehenden Text vollständig zu zitieren, welcher lautet: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist.“2

Der Wortlaut ist klar und eindeutig, und lässt denken, alle Bilder seien verboten. Die oben genannte Ratlosigkeit stellt sich dann wegen der offensichtlichsten Frage ein, die wahrscheinlich jedem beim Lesen einfällt: Warum? Während andere biblische Gebote – wie z.B. das Verbot von Mord und Diebstahl – leicht verständlich sind und sich auch in nicht-biblischen Kulturen wiederfinden lassen, könnte man dagegen in Bezug auf ein anscheinend so umfassendes ‚Bilderverbot‘ mit Assmann fragen: Was ist so schlimm an den Bildern?←7 | 8→

1. Bild und Idol

Ein Großteil der Schwierigkeiten, denen man beim Versuch, Ex. 20: 4 und Dt. 5: 8 zu verstehen, begegnet, ist einerseits auf Ebene der Textübersetzung verortet und geht andererseits aus der geschichtlichen Natur der menschlichen Bildauffassung hervor. Zum ersten Punkt muss hier die Bemerkung genügen, dass das Objekt des Verbotes im Originaltext mit einem Wort – פסל (pesel) – bezeichnet wird, das nicht ‚das Bild‘ im Allgemeinen bedeutet, sondern nur dasjenige, das im Bereich des Kultes verwendet wird und daher sich am besten mit ‚Kultbild‘ wiedergeben lässt.3

Was die Bildauffassung und ihre geschichtliche Natur angeht, findet man einen möglichen Ansatzpunkt zu einer so komplexen Problematik beispielsweise in Karl-Heinz Bernhardts Werk Gott und Bild, in dem man liest:

[…] bei einem ‚Bilde‘ denken wir modernen Menschen doch immer zunächst an eine Darstellung, deren Zweck es ist, dem Betrachter einen Vorgang, eine Person oder einen Gegenstand in naturgetreuer Wiedergabe zu veranschaulichen. Diese Aufgabe aber ist dem Götterbild des Altertums fremd. Das Kultbild im Tempel ist immer ein Körper, häufig aber kein ‚Bild‘ im Sinne einer Darstellung. Das Götterbild im alten Orient – und darüber hinaus im Altertum überhaupt – ist ein Körper, den das Fluidum des betreffenden Gottes beseelt.4

Ein Grundunterschied taucht also aus Bernhardts Worten auf: Eine moderne Bildauffassung, der zufolge Bilder als Darstellungen auf etwas – eventuell auch auf eine Gottheit – verweisen, unterscheidet sich radikal von einer antiken Auffassung, in welcher ein Bild eine Gottheit so beherbergt, wie ein Körper eine Seele. Ein und dasselbe Bild kann anders gesagt unterschiedliche Funktionen annehmen, je nach der geschichtlich bedingten Perspektive, von der aus es angesehen wird: nämlich, eine verweisende Funktion in der Moderne, eine verkörpernde in der Antike.5

Bernhardts Ansicht findet dann eine Parallele – und wohl auch eine Zuspitzung – in Régis Debrays Buch Vie et mort de l’image: Une histoire du regard en Occident, dessen Grundbegriff, ‚le regard‘ – auf Deutsch ‚Blick‘ oder ‚Bildbetrachtung‘ – als ‚die Art und Weise, wie Bilder angesehen sind‘ definierbar ist. Für Debray zeichnet sich le regard durch seine aktive und geschichtliche Natur aus. Anders als man denken könnte, besteht er in keiner passiven Aufnahme von sichtbaren Elementen, sondern in deren aktiver Einrichtung, welche immer in einem geschichtlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Kontext eingeschrieben ist. Wie Debray sagt: „Sehen heißt nicht, das Sichtbare passiv zu erhalten, sondern es ←8 | 9→aktiv einzuordnen und Erfahrung zu organisieren. Das Bild bezieht seinen Sinn aus der Betrachtung […] und dieser Sinn ist nicht spekulativ, sondern praktisch ausgerichtet.“6

Debrays Leitthese ist, dass le regard eine Geschichte hat, die sich dann als solche konventionell in Zeitaltern aufteilen lässt, denen unterschiedliche Bildfunktionen entsprechen.7 Genauer gesagt: In einem ersten Zeitalter wendet sich ein magisch-religiöser Blick dem Bild so zu, wie dem Schwerpunkt einer Verkörperungsdynamik, die das etabliert, was Debray ‚Regime des Idols‘ nennt. Im Übergang vom ersten zu einem zweiten Zeitalter kommt es dann bei den Modi der Bildbetrachtung zu einer radikalen Veränderung: Der magisch-religiöse Blick weicht einem ästhetischen; die Dynamik der Verkörperung einer der Verweisung und schließlich das Regime des Idols dem sogenannten ‚Regime der (künstlerischen) Darstellung‘.8

Die Theorien von Bernhardt und Debray haben den Vorzug, den Unterschied zwischen dem Bild und seinen Funktionen zu markieren – zwischen dem, was beobachtet wird, und den Formen, wie es betrachtet wird. In dieser Hinsicht bleibt nur das Bild gewissermaßen konstant, während seine Funktionen jeweils von der Art des Blicks abhängen, die sich in jedem Zeitalter als tonangebend erweist. Das Begriffspaar, das diesem Sammelband seinen Titel gibt, zeichnet sich dann als ein heterogenes ab, denn während das Bild als eine Entität aufgefasst werden kann, entspricht das Idol nur einer der möglichen Bildfunktionen, nämlich der verkörpernden.9

Die letzte Bemerkung erlaubt schließlich, auf Assmanns Frage zurückzukommen, die noch offengeblieben war: Was ist so schlimm an den Bildern? – fragte er emphatisch. Es ist nichts Schlimmes an den Bildern – könnte man erwidern. Viel Schlimmes ist jedoch an den Idolen. Hochproblematisch ist also nicht das Bild an sich, sondern die idolatrische (d.h. verkörpernde) Funktion, die ihm durch einen geschichtlich, gesellschaftlich und kulturell geprägten Blick beigemessen werden ←9 | 10→kann. In der Thora – so kann man aus dem Gesagten schließen – sind nur Idole verboten, und das vermeintliche Bilderverbot in Ex. 20: 4 und Dt. 5: 8 erweist sich dann eher als ein Idolatrieverbot.

2. Zwei Beispiele

Obwohl nicht explizit thematisiert, wie es bei einer theologischen oder medienwissenschaftlichen Studie der Fall wäre, ist der Unterschied zwischen Bild und Idol auch in den Quellen des Judentums10 auffindbar. Zwei Beispiele – unter vielen anderen möglichen – sind meiner Meinung nach besonders geeignet, um zum einen zu illustrieren, dass nicht jedes Bild unbedingt als Idol gilt, aber zum anderen auch, dass jedes Bild zum Idol werden kann.

Details

Seiten
214
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631881101
ISBN (ePUB)
9783631881118
ISBN (MOBI)
9783631881125
ISBN (Hardcover)
9783631879085
DOI
10.3726/b19836
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (August)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 214 S.

Biographische Angaben

Beniamino Fortis (Band-Herausgeber:in)

Beniamino Fortis ist Philosoph und Postdoktorand des Selma Stern Zentrums für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg an der Freien Universität Berlin. Er hat in Venedig und Florenz studiert und wurde an der Universität Florenz promoviert. In seinen Forschungen befasst er sich mit Fragen der Ästhetik und Bildwissenschaft sowie mit Themen aus dem Bereich des jüdischen Denkens. Zuletzt erschien seine Studie über Franz Rosenzweig: Tertium Datur. A Reading of Rosenzweig’s ‚New Thinking‘ (Peter Lang, 2019).

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Titel: Bild und Idol
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