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Strafverfolgung nationalsozialistischer Verbrechen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West)

Die Protokolle der Staatsanwaltstagungen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg (1964-1970, 1988-1995) und der Tagungen der Sonderkommissionen der Landeskriminalämter (1961-1966)

von Werner Schubert (Band-Herausgeber:in)
©2022 Monographie 736 Seiten
Reihe: Rechtshistorische Reihe, Band 497

Zusammenfassung

Der Band dokumentiert die Niederschriften der von der Zentralen Stelle ausgerichteten Tagungen der in der Bundesrepublik mit der Strafverfolgung von NS-Verbrechen befassten Staatsanwälte von 1964-1970 und von 1988-1995. Die Zentrale Stelle (zunächst unter der Leitung von Erwin Schüle und anschließend von Adalbert Rückerl) wurde auf Initiative Baden-Württembergs 1958 begründet und hat die Aufgabe, die Vorermittlungen zu führen wegen solcher Verbrechen, die während der nationalsozialistischen Herrschaft von den Gewalthabern des Dritten Reichs außerhalb der eigentlichen Kriegshandlungen begangen worden sind (seit Ende 1964 nicht mehr auf die Verbrechen im Ausland beschränkt). Wichtige Themen der über 60 Referate und der Diskussionen sind: Zusammenarbeit der Zentr. Stelle mit den Staatsanwaltschaften, Befehlsnotstand, Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, Strafmaß in NS-Verbrechen, Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland, Zeugenvernehmungen in Israel und den USA, Zeugenbefragung vor Schwurgerichten, Analyse eines großen NS-Prozesses, archivalische Quellen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Einleitung
  • Erster Teil: Niederschriften über die Arbeitstagungen der in der Bundesrepublik mit der Strafverfolgung von NS-Gewaltverbrechen befassten Staatsanwälte von 1964-1971
  • I. 1. Arbeitstagung in der staatlichen Akademie in Calw vom 7.-9.4.1964
  • II. Niederschrift über die 2. Arbeitstagung in Stuttgart vom 31.5.-4.7.1965
  • III. Niederschrift über die 3. Arbeitstagung in Konstanz vom 27.-30.9.1966
  • IV. 4. Arbeitstagung vom 18.-21.6.1968 in Freiburg i. B.
  • V. 5. Arbeitstagung vom 21.-24.4.1970 in Mannheim
  • VI. Arbeitstagung vom 24./25.11.1988 in Ludwigsburg (UNWCC-Fahndungslisten und deren Überprüfung)
  • VII. Arbeitstagung vom 5./6.7.1990 (Überprüfung der CROWCASS- und UNWCC-Listen – Ermittlungsschwierigkeiten und Ermittlungsergebnisse)
  • VIII. Tagesordnung der Arbeitstagung vom 3./4.9.1992 in Ludwigswurg
  • IX. Protokoll der Arbeitstagung vom 5.-7.7.1995 in Ludwigsburg (Vorermittlungen – Stasi-Unterlagen – Stand der derzeitigen Ermittlungen)
  • X. Anhang: Bericht über die Dienstreise nach Brüssel zum Justizministerium des Königreiches Belgien, Auditoriat Général beim Cour Militaire, vom 8.-13.7.1990 (Unterlagen zu NS-Verbrechen in Belgien)
  • XI. Anhang: Beratungen der Justizministerkonferenz über die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen
  • I. Justizministerkonferenz vom 1.-4.10.1958 in Bad Harzburg (Beschluss über die Errichtung der Zentralen Stelle in Ludwigsburg)
  • II. Verwaltungsvereinbarung über die Errichtung einer Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen (1958/65; letzte Fassung von 1967)
  • III. Justizministerkonferenz vom 25.10.1964 (u.a. Verlängerung der Strafverfolgungsverjährung)
  • IV. Justizministerkonferenz vom 22.-28.4.1964 in Bonn (weitere Beschlüsse zur Tätigkeit der Zentralen Stelle)
  • Zweiter Teil: Protokolle der Arbeitstagungen der Leiter der Sonderkommissionen der Kriminalpolizei zur Bearbeitung von NS-Gewaltverbrechen
  • I. 1. Arbeitstagung von 16./17.3.1961 in Stuttgart (Stärke der Sonderkommissionen und deren spezielle Sachkenntnisse - Strafanzeigenkonserven – Austausch über Ermittlungen)
  • II. 2. Arbeitstagung vom 7./8.11.1961 in München (kriminelle Verbrechen anlässlich der Kriegsereignisse – Wichtigkeit der Sonderkommissionen – Zentrale Staatsanwaltschaften – Stärke der Sonderkommissionen – Zahl der Ermittlungsfälle - Einsatzkommandos – Eichmann-Prozess)
  • III. 3. Arbeitstagung der Leiter der Sonderkommissionen zur Bearbeitung von NS- Gewaltverbrechen in der Zeit vom 28.- 30.5.1962 in Berlin (Einsatzkommandos in den einzelnen Ländern – Befehlsnotstand)
  • IV. 4. Arbeitstagung vom 9./10.10.1963 in Wiesbaden (Ermittlungen der einzelnen Sonderkommissionen – Referate von Schüle und GStA Bauer)
  • V. 5. Arbeitstagung vom 11.-13.5.1965 in Hannover (Referat von Schüle – Berichte der Leiter der Sonderkommissionen)
  • VI. 6. Arbeitstagung vom 23.-25.5.1966 in Hamburg (Referat von Schüle – Vernehmungen im Ausland [USA, Kanada, Israel] – Strafanzeigen der „Oststaaten“ gegen Persönlichkeiten der Bundesrepublik – kriminalpolizeiliche Probleme der Haftverschonung bei Mordverdacht – Berichte der Sonderkommissionen)
  • Register
  • Quellennachweis

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Einleitung

Die vorliegende Quellensammlung enthält zunächst die Niederschriften der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg (ZSt.) von 1958–1965 sowie die hierzu getroffene Verwaltungsvereinbarung und die Niederschriften der von der ZSt. ausgerichteten Arbeitstagungen von 1988, 1990 und 1995 – die Niederschrift von 1992 war nicht auffindbar. Es folgen im Anhang die Protokolle der Justizministerkonferenz über die Einrichtung der Zentralen Stelle. Den Abschluss bilden die Protokolle der Leiter der Sonderkommissionen der Kriminalpolizei der Länder (1961–1966). Auf eine Darstellung der Entstehung und der Arbeiten der ZSt. konnte verzichtet werden, da hierzu außer mehreren Abhandlungen, die allerdings nicht primär rechtshistorischen Monografien von Annette Weinke, Eine Gesellschaft ermittelt gegen sich selbst. Die Geschichte der Zentralen Stelle in Ludwigsburg 1958–2008, Darmstadt 2008, und von Kerstin Hofmann, „Ein Versuch nur – immerhin ein Versuch“. Die Zentrale Stelle in Ludwigsburg unter der Leitung von Erwin Schüle und Adalbert Rückerl (1958–1984), Berlin 2018, vorliegen. Sehr informativ sind auch die Darstellungen von Adalbert Rückerl, NS-Verbrechen vor Gericht. Versuch einer Vergangenheitsbewältigung, Heidelberg 1982, S. 139 ff., und von Michael Greve, Der justizielle Umgang mit den NS-Gewaltverbrechen in den 60er Jahren, Frankfurt/Main 2001, S. 43 ff. sowie von Mark von Miquel, Ahnden oder Amnestieren? Westdeutsche Justiz und Vergangenheitspolitik in den 60er Jahren, Göttingen 2004, S. 146 ff., 265 ff. (vgl. auch Thomas Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, 4. Aufl. 2019, S. 221).

Nach der Verwaltungsvereinbarung der Landesjustizverwaltungen vom 6.11.1958 sollte sich die Tätigkeit der (auf einen Antrag Baden-Württembergs beruhenden) ZSt. erstrecken „vorwiegend auf solche Verbrechen, für die im Bundesgebiet ein Gerichtsstand des Tatorts nicht gegeben ist, und zwar auf die Verbrechen, die a) im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen gegenüber Zivilpersonen außerhalb der eigentlichen Kriegshandlungen, insbesondere bei der Tätigkeit der so genannten Einsatzkommandos, b) außerhalb des Bundesgebiets in Konzentrationslagern und ähnlichen Lagern begangen worden sind“. Nicht zuständig war die ZSt. zunächst für die „Aufklärung echter Kriegsverbrechen, soweit diese nicht in untrennbarem Zusammenhang mit den aus nationalsozialistischer Gesinnung begangenen Verbrechen standen“ (Rückerl, S. 143). Alle Verfahren gegen Angehörige des Reichssicherheitshauptamts fielen in den Zuständigkeitsbereich der Berliner StA. Ab Dezember 1964 war die ZSt. auch zuständig für die „Vorermittlungen wegen solcher Verbrechen, die im Bundesgebiet während der nationalsozialistischen Herrschaft von den Gewalthabern des Dritten Reiches oder in deren Auftrag außerhalb der eigentlichen Kriegshandlungen begangen worden sind“. Zu den Aufgaben der ZSt. gehörte es, das erreichbare Material zu sammeln, sichten und auszuwerten. Waren für einen Tatkomplex die „verfolgbaren Täter und die zuständige StA festgestellt“, so hatte ←13 | 14→die ZSt. den Vorgang dem jeweils zuständigen GStA zuzuleiten. Ausführliche Richtlinien für die Weiterarbeit der ZSt. für die Zeit nach dem 8.5.1965 beschloss die Justizministerkonferenz am 27./28.4.1965 (vgl. unten S. 636 ff.)

Leiter der ZSt. war zunächst Erwin Schüle (1913–1993): Nach Ablegung des 2. Staatsexamens im Januar 1941 Kriegsdienst zunächst an der West-, seit Ende 1941 an der Ostfront, 1943 erneut in Frankreich. 1944 Ernennung zum AG-Rat. 1945–1950 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. 1950 AG-Rat in Ulm, dort ab Dez. 1950 bei der dortigen StA; Nov. 1951 StA in Stuttgart, 1955 Erster StA in Ulm. Plädoyer im Ulmer Prozess gegen das Einsatzkommando Tilsit am 1.8.1958 (bei K. Hofmann, S. 449 ff. abgedruckt). Vom 1.12.1958 bis Sommer 1966 Leiter der ZSt. Im Febr. 1965 gab die Ost-Berliner Nachrichtenagentur ADN die NS- und SS-Mitgliedschaft Schüles bekannt (zumindest ersteres war 1958 allen Justizministern und dem BMJ vom Stuttgarter Justizministerium mitgeteilt worden). Sept. 1965 unterrichtete das Moskauer Außenministerium die Bundesregierung in einer Note, in der schwere Beschuldigungen gegen Schüle erhoben wurden (Teilnahme an der Ermordung „friedlicher Sowjetbürger“ sowie an Plünderungen; Hofmann, S. 270 ff.). Sept. 1966 Leiter der Stuttgarter StA. Sept. 1967 Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Schüle. April 1970 Verleihung des „Ehrentitels“ Generalstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft am LG Stuttgart (vgl. A. Weinke, S. 13 ff., 86 ff.; K. Hofmann, S. 270 ff.). – Nachfolger Schüles war Adalbert Rückerl (1925–1986) mit folgender Dienstlaufbahn: 1943 Abitur, anschl. Kriegsdienst. 1946–1949 Studium der Rechtswissenschaft (1952 2. jur. Staatsprüfung). 1951 Promotion bei Heinrich Mitteis. 1957 StA in Bielefeld (1965 Erster StA). Mai 1961 nach Ludwigsburg abgeordnet. 1.9.1966–1984 Leiter der ZSt. Ludwigsburg (vgl. K. Hofmann, S. 301 ff.).

Ein wichtiges Thema der Tagungen der Staatsanwälte war die Frage der Verjährung der NS-Gewalttaten. Am 8.5.1960 waren Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge und Raub verjährt. Bis zu diesem Zeitpunkt war allerdings in vielen Fällen die Verjährung entsprechend § 69 StGB [1953] unterbrochen worden. Ein Antrag der SPD-Fraktion, die Verjährung mit dem 9.5.1945 erst mit dem 16.9.1949 eintreten zu lassen, war im Rechtsausschuss und im Bundestag gescheitert. Am 25.3.1965 verabschiedete der Bundestag nach einer grundlegenden Debatte das Gesetz über die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen (BGBl. I 315), nach dem die Verjährungsfrist für die Verfolgung von mit lebenslangem Zuchthaus bedrohten Verbrechen erst am 31.12.1969 verjähren sollte. Anträge der SPD-Fraktion, Mord und Völkermord nicht verjähren zu lassen, hatten keine Mehrheit gefunden. Am 26.7.1969 beschloss der Bundestag mit mehr als zwei Dritteln der Stimmen die Strafverfolgung von Verbrechen nach § 220 a StGB (Völkermord) von der Strafverfolgungsverjährung auszunehmen. Die Strafverfolgung von Verbrechen, die lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht waren, sollte in 30 Jahren verjähren (§ 67 Abs. 1). Erst durch das 16. Strafrechtsänderungsgesetz wurde nach eingehenden Beratungen im Bundestag die Verjährung für Verbrechen des Mordes aufgehoben (BGBl. I, 1979, 1046).

Hinzuweisen ist noch auf die sog. „kalte Verjährung“ entspr. § 50 Abs. 2 StGB, der im Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz von 1968 enthalten ←14 | 15→ist. Nach der Neufassung des § 50 Abs. 2 war die Strafe des Gehilfen (u.a. Schreibtischtätern) zu mildern, wenn bei ihnen „besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale)“, fehlten, „welche die Strafbarkeit des Täters begründen“. Dieses führte dazu, dass mit der Änderung § 50 Abs. 2 StGB „rückwirkend“ zum 8.5.1960 die Verjährung eintrat, falls diese nicht bereits vorher unterbrochen worden war (zu dieser „irreparablen Fehlleistung des Gesetzgebers“ ausführlich Greve, S. 358 ff.; vgl. BGH 5 StR 658/68 vom 20.5.1969, NJW 1969, 1182).

In den Arbeitstagungen von 1964–1970 wurden außer den Verjährungsfragen besprochen: Befehlsnotstand, Strafmaß in NS-Verbrechen, Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, Zusammenarbeit mit den Sonderkommissionen, Verjährung bei Exzessivtätern, Rechtshilfe-Verkehr mit dem Ausland, insbes. mit Israel und den Ostblockstaaten, Zeugenvernehmungen in Israel, den USA und in Kanada, Berichte über die Tagungen der Arbeitsgruppen (1965, 1968), Probleme des Überleitungsvertrags von 1950, Zeugenbefragungen vor Schwurgerichten in Verfahren wegen NS-Verbrechen, Auswertung von archivalischen Quellen und Erfahrungen eines Anklagevertreters in einem großen NS-Prozess. Über die Besprechungen in den ad hoc gebildeten Arbeitsgruppen liegen bis auf eine Ausnahme (vgl. unten S. 422 f.) keine separaten Aufzeichnungen vor, sondern nur kurze Berichte eines Mitglieds der jeweiligen Arbeitsgruppe.

In den Besprechungen der ZSt. von 1988, 1990 und 1995 kamen zur Sprache die Überprüfung der Fahndungslisten der UNWCC, Ermittlungsergebnisse und Ermittlungsschwierigkeiten sowie die Überprüfung der Unterlagen der Stasi anhand ihres NS-Archivs.

Über die Arbeit der ZSt. ab Mitte der 1980er Jahre unterrichtet eine Abhandlung von Kurt Schremm/Joachim Riedl in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte 2008, S. 525 ff. – Die ZSt. wurde von 1984 bis 1996 geleitet von Alfred Streim (1932–1996), der von der Hamburger StA 1963 nach Ludwigsburg gekommen war. Sein Nachfolger von 1996–2000 war Willi Dreßen (geb. 1935 in Eschweiler, seit 1967 bei der ZSt.; 1985 Stellvertreter des Behördenchefs). Alfred Schrimm (geb. 1949 in Stuttgart) der 1979 in den Justizdienst Baden-Württembergs eingetreten (1982 StA in Stuttgart, 1998 OStA) war, war von Sept. 2000 bis Ende Sept. 2015 Leiter der ZSt. (2009 als Ltd. OStA). Der Co-Autor des genannten Beitrags, Joachim Riedl, kam ebenfalls aus dem baden-württembergischen Justizdienst und war von 1991 bis 1996 tätig bei der Arbeitsgruppe „Regierungskriminalität der DDR“ (1999–2009 stellv. Leiter der ZSt.). 2015 erhielt Jens Rommel und anschließend im Okt. 2020 Thomas Will (seit 17 Jahren bei der ZSt.) die Leitung der ZSt.

In ihrer Abhandlung erläutern Schrimm/Riedl zunächst die Zentralkartei der ZSt., deren Geschäftsentwicklung bis Ende 2007 (bis dahin 7617 Vorermittlungen) sowie die neuen Aufgaben der Stelle seit Mitte der 1980er Jahre. Von 1987 bis 1992 ging es um die Auswertung der UNWCC-Unterlagen (30.000 Namen) und ab 1990 um die Durcharbeitung des NS-Archivs der DDR (6500 Meter laufende Akten; heute im BA; teilweise an die Länder abgegeben). Ab 1994 befasste sich die ZSt. mit NS-Verbrechen in Italien (mit Ausnahme der Kriegsverbrechen). Seit 1998 erteilte ←15 | 16→die ZSt. über 20.000 Auskünfte an die Versorgungsämter, die über eine Überprüfung der Versorgungsrenten aus der NS-Zeit entspr. § 1 a des Bundesversorgungsgesetzes (Fassung v. 14.1.1998, BGBl. I 1998, 66) zu entscheiden hatten entspr. folgender Regelung: „Leistungen sind zu versagen, wenn der Berechtigte oder derjenige, von dem sich die Berechtigung ableitet, während der Herrschaft des Nationalsozialismus gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat … Anhaltspunkte für eine besonders intensive Prüfung erforderlich machen, ob ein Berechtigter durch sein individuelles Verhalten gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, können sich insbesondere aus einer freiwilligen Mitgliedschaft des Berechtigten in der SS …“.

Über die Tätigkeit der Sonderkommissionen der Landeskriminalpolizeiämter zur Bearbeitung von NS-Gewaltverbrechen (die wohl 1959/60 begründet worden waren), ist in der Literatur bisher kaum berichtet worden. Die Protokolle über die Tagungen der Leiter der Sonderkommissionen, die von den jeweiligen gastgebenden Landeskriminalämtern angefertigt wurden, stammen von der ZSt. in Ludwigsburg. Die letzte Tagung hat im Mai 1966 stattgefunden. Nicht wiedergegeben wurden die Teile der Protokolle, die sich mit der Beschaffung von Informationen und Materialien (Aufenthaltsermittlungen, Fernsprechverkehr, Fahndungsausschreiben, Document Center, Aufgaben der Archive) befassen. Wichtig erschienen vor allem die Angaben über die Stärke der jeweiligen Sonderkommissionen und die von ihnen bearbeiteten Verbrechenskomplexe. Hingewiesen sei auch auf die jeweiligen Berichte von Schüle sowie die Referate über Einsatzkommandos, den Eichmann-Prozess, den Befehlsnotstand (hierzu umfangreicher Aktenbestand im Bundesarchiv Außenstelle Ludwigsburg, B 162), Vernehmungen im Ausland (USA, Kanada, Israel), Strafanzeigen der Oststaaten und über die kriminalpolitischen Probleme der Haftverschonung auch bei Mordverdacht. Der Frankfurter GStA Bauer sprach 1963 über grundsätzliche Fragen zu den laufenden NSG-Verfahren, der Mittäterschaft in Abgrenzung zur Beihilfe, die NSG-Vernehmungen und den Befehlsnotstand. Wegen weiterer Einzelheiten sei auf das Inhaltsverzeichnis und das Sachregister verwiesen.

Der Frage, inwieweit die Landesarchive eigene Aktenbestände der NSG-Sonderkommissionen verwahren, müsste noch im Einzelnen nachgegangen werden. Dies gilt auch für die Biografien der Leiter und wichtigsten Mitarbeiter der Sonderkommissionen.

Zwei „Zentralstellen“ zur Bearbeitung von Ermittlungsverfahren wegen NS-Gewaltverbrechen wurden von Nordrhein-Westfalen in Dortmund und Köln im September/Oktober 1961 eingerichtet. Die Zentralstelle in Köln bearbeitete die „Massenverbrechen“ in nationalsozialistischen Konzentrationslagern; hinzu kamen 1978/83 sämtliche Verfahren wegen nationalsozialistischer Gewalttaten aus den OLG-Bezirken Köln und Düsseldorf wegen NS-Gewalttaten, soweit sie „im Zusammenhang mit in KZ begangenen Massenverbrechen entstanden“. Die seit dem 31.8.1997 anhängig gewordenen Ermittlungsverfahren wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen wurden, soweit diese nach den bisherigen Verfügungen der Kölner Zentralstelle übertragen waren, der Zentralstelle Dortmund ←16 | 17→übertragen, die bis heute noch besteht. Ferner war bereits 1956 bei der StA Bochum eine Zentralstelle für die Bearbeitung der in Griechenland begangenen Kriegsverbrechen begründet worden. Über die Zentralstellen in Nordrhein-Westfalen unterrichtet ausführlich Bd. 9 „Juristische Zeitgeschichte NRW“: Die Zentralstelle zur Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen – Versuch einer Bilanz, hrsg. vom Justizministerium des Landes NRW, 2001 (mit einem Überblick über die Tätigkeit und die Verfahrensgegenstände). Der Band enthält ferner Beiträge zur ZSt. in Ludwigsburg (G. Pauli), über Probleme bei der Beurteilung von Zeugenaussagen in Verfahren wegen NS-Verbrechen (K. Schacht) und von H.-E. Niermann über den Kölner GStA Werner Pfromm und die Arbeit der Zentralstelle Köln.

Keine Zentralstelle bestand in Hamburg, obwohl die dortige StA „zu den bedeutendsten auf dem Gebiet der Verfahren wegen NS-Gewaltverbrechen“ gehört hat (Helge Grabitz/Justizbehörde Hamburg [Hrsg.], Täter und Gehilfen des Erlösungswahns. Hamburger Verfahren wegen NS-Gewaltverbrechen 1946–1996, Hamburg 1999, S. 25). Noch im Juni 1968 hatte die Hamburger Bürgerschaft 26 neue Planstellen für StA für die Ermittlungen in NS-Sachen geschaffen. Ähnlich umfangreich war auch die Zahl der in Bayern mit der Ermittlung in NS-Strafsachen befassten StA. Für Hessen vgl. die Darstellung von Friedrich Hoffmann, Die Verfolgung der nationalsozialistischen Verbrechen, Baden-Baden 2001.

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I. 1 Arbeitstagung in der Staatlichen Akademie in Calw vom 7.-9.4.1964

An der Tagung (Beginn: 7.4.1964, vormittags 10 Uhr) nahmen teil:

BMJ:ORR Dr. Schätzler

Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen: OStA Schüle, EStA Dr. Artzt, StA Dr. Rückerl, StA Hinrichsen, StA Zeug, StA Engelhard, Gerichtsass. Streim, StA Blank, JR Dr. Noack

Bayern:
OStA Dr. Heermann, StA b. LG Weiden; OStA Dr. Nolten, StA b. LG Regensburg; OStA Lossos, StA b. OLG München; OStA Schrenk, StA b. LG Hof; EStA Dr. Berger, StA b. LG Amberg; EStA Dr. Grethlein, StA b. LG Ansbach; EStA Dr. Lehmair, StA b. LG München I; EStA Rupp, StA b. LG Bamberg; EStA Ruppert, StA b. LG Würzburg; StA Amberg, StA b. LG Aschaffenburg; StA Huber, StA b. LG München II
Berlin:
OStA Neumann, StA u. EStA Radtke, EStA Severin, EStA Selle, StAin Bilstein, b. KG bzw. LG Berlin; LG-Rat Krüger, LG Berlin
Bremen:
EStA Dr. Höffler, StA b. LG Bremen
Hamburg:
Gerichtsass. Kraemer, StA b. LG Hamburg
Hessen:
OStA Metzner, StA b. OLG Frankfurt; OStA Wentzke, EStA Dr. Großmann, StA b. LG Frankfurt; EStA Hoppmann, StA b. LG Darmstadt; StA Dr. Wagner, StA b. LG Wiesbaden
Niedersachsen:
EStA Dr. Goetz, StA b. LG Hannover; StA Hoffmann, StA b. LG Aurich; StA Retemeyer, StA b. LG Braunschweig
Nordrhein-Westfalen:
OStA Pottgiesser, StA b. LG Hamm; OStA Feld, StA b. OLG Köln; OStA Dr. Nachtweh, StA Barbrock, StA Rauschendorf, StA Obluda, Zentralstelle b. d. Ltd. OStA in Dortmund; OStA Dr. Gierlich, StA Jäger, StA Dr. Korsch, Ass. Hartmann, Zentralstelle b. d. Ltd. OStA in Köln
Rheinland-Pfalz:
StA Bornscheuer, StA Hinzmann, StA b. LG Mainz; StA Born, StA b. LG Koblenz; EStA Dr. Fischer, StA b. LG Frankenthal
Saarland:
StA Kapf, StA Wagner, StA b. LG Saarbrücken
Schleswig-Holstein:
StA Plath, StA b. LG Flensburg; StA Bauer, StA b. LG Kiel; StA Böttcher, StA b. LG Lübeck; StA Thiemke, StA b. OLG Schleswig
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Baden-Württemberg:
MinRat Roth, JMin., ORR Maier, ORR Weidner, JMin. Baden-Württemberg, Stuttgart; EStA Rive, StA b. LG Waldshut; EStA Dr. Trips, StA b. LG Karlsruhe; Gerichtsass. Dr. Klass, StA b. LG Mannheim; EStA Dr. Schneider, StA Dr. Gauss, StA EStA Dr. Koch, StA b. LG Stuttgart

MinRat Roth eröffnete mit Begrüßungsworten an die Teilnehmer die Tagung und bat den Leiter der Staatlichen Akademie Calw, Herrn Dr. Bran, das Wort zu ergreifen.

Dr. Bran gab seiner besonderen Freude über die Wahl Calws als Tagungsort Ausdruck und machte die Tagungsteilnehmer mit der Geschichte und der Landschaft von Calw vertraut. Er wies besonders darauf hin, dass bei der Staatlichen Akademie Calw im Rahmen der Lehrerfortbildung besonderer Wert auf die Erörterung der Zeitgeschichte auch hinsichtlich der sogenannten Bewältigung der Vergangenheit gelegt werde, und wünschte der Tagung einen erfolgreichen Verlauf.

MinRat Roth sprach Herrn Dr. Brun zugleich im Rahmen der Tagungsteilnehmer seinen Dank aus und wandte sich dann an die Teilnehmer. Er dankte ihnen dafür, dass sie zum ersten Male aus dem Bundesgebiet zusammengekommen seien, um aus gemeinsamen Erfahrungen neue Erkenntnisse zu erarbeiten. – Er wies darauf hin, dass die Tagung von dem Herrn Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen angeregt worden sei und dass sie dem Erfahrungsaustausch der Intensivierung der Zusammenarbeit, der Beseitigung von Mängeln und der gemeinsamen Besprechung von Rechtsproblemen diene. Ziel dieser gemeinsamen Tagung sei aber vor allem, eine beschleunigte Abwicklung dieser Verfahren zu ermöglichen.

Hierauf erteilte MinRat Roth Herrn EStA Dr. Artzt das Wort.

EStA Dr. Artzt referierte über das Thema: „Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaften und Zentraler Stelle“: Wenn die ZSt. gebeten hat, das Thema Zusammenarbeit auf die Tagesordnung zu setzen, so nicht nur deshalb, weil eine gute Zusammenarbeit zwischen uns die Voraussetzung für eine erfolgreiche und sachlich fundierte gemeinsame Arbeit ist, sondern weil eine reibungslose funktionierende Zusammenarbeit für die vor uns liegende Zeit, die uns dem Ende unserer Tätigkeit näher bringen soll, besonders wichtig ist. Deshalb scheint es nötig und zweckmäßig, dass wir uns einmal über unsere bisherigen Erfahrungen in dieser Richtung miteinander aussprechen und klarstellen, was gut oder weniger gut war, was man besser machen kann oder was nicht hätte sein sollen.

Allen Ausführungen voran darf ich aber die grundsätzliche Bemerkung stellen, dass die Zusammenarbeit im Ganzen von uns aus gesehen als erfreulich, gut und harmonisch bezeichnet werden darf. Wir freuen uns z.B., wenn selbst ein Vertreter einer großen StA, die längt in der Verfolgung der NS-Gewaltverbrechen auf eigenen Füßen steht, meint, dass die ZSt. für sie so etwas wie ein „Mutterhaus“ wäre, in das man gerne komme und das man doch auch nicht entbehren könne, solange draußen diese Prozesse geführt werden müssten. – Für das gute Verhältnis spricht auch der rege Besuch von Kollegen – seien es Staatsanwälte oder Untersuchungsrichter -. In manchen Fällen wurde aufgrund des persönlichen Kontaktes ←22 | 23→an gegenseitiger Hilfeleistung von beiden Seiten mehr getan und geleistet, als das Gesetz es befahl. – Ein Gesetz ist es allerdings nicht, dass unsere gegenseitigen Beziehungen regelt, aber die Verwaltungsvereinbarung enthält nicht nur die Vorschriften über die Errichtung, Organisation, Zuständigkeit und Aufgaben der ZSt., sondern auch Richtlinien und Hinweise für die StA darüber, wann und wie sie mit uns verkehren sollen.

Erlauben Sie mir, diese Stellen der Verwaltungsvereinbarung, die Ihnen ja alle bekannt sind, doch einmal zu zitieren. So heißt es im Abschnitt III Ziff. 6: „Die Staatsanwaltschaften unterrichten die Zentrale Stelle über die abgeschlossenen, anhängigen und anhängig werdenden Verfahren, unabhängig davon, ob der Tatort im Bundesgebiet liegt. Die Zentrale Stelle ist berechtigt, ergänzende Auskünfte oder die Vorlage der Akten zu verlangen. Die Staatsanwaltschaften können die Zentrale Stelle ersuchen, ihre Ermittlungen zu unterstützen.“ Es heißt: Die StA unterrichten … Also unterrichten und nicht: können, sollen oder dürfen unterrichten, allerdings auch nicht müssen oder sind verpflichtet oder Ähnliches. Doch meine ich, wenn in einer Vereinbarung der Landesjustizminister diese Formulierung gewählt ist, so ist darin eine klare Weisung an die StA zu sehen, die eine Mitteilungspflicht an die ZSt. begründet, mit anderen Worten, die ZSt. hat ihrerseits ein Recht darauf, unterrichtet zu werden. Dies ergibt sich auch aus der klaren anschließenden Feststellung, dass die ZSt. berechtigt ist, ergänzende Auskünfte oder die Vorlage der Akten zu verlangen. – Über den Inhalt dieser Mitteilungspflicht ist in demselben Satz gesagt, dass sie sich auf die abgeschlossenen, anhängigen und anhängig werdenden Verfahren erstreckt, und zwar unabhängig davon, ob der Tatort im Bundesgebiet liegt, das heißt also: auch dann, wenn der Tatort im Bundesgebiet liegt. Dieser Zusatz war nötig, da in Abschnitt VI ausdrücklich bestimmt wurde, dass die Tätigkeit der ZSt. sich vorwiegend auf die Verbrechen erstreckt, für die im Bundesgebiet der Gerichtsstand des Tatortes nicht gegeben ist. – Das bedeutet, dass die ZSt. auch über Verfahren zu unterrichten ist, die bei den StA ohne Mitwirkung der ZSt. anhängig werden oder bei denen der Tatort auch im Bundesgebiet liegt.

Diese Ausdehnung der Mitteilungspflicht auch auf diese Verfahren wird zuweilen übersehen. Sie findet aber ihre gute Begründung in der Aufgabe der ZSt., eine koordinierende Tätigkeit auszuüben. Ohne dieses Fundament einer vollständigen Unterrichtung ist die ZSt. nicht in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen und z.B. eine aktuelle Übersicht der Verfahren zu erstellen. Im Laufe der Jahre ist darüber hinaus heute der ZSt. noch eine Aufgabe zugefallen, die einen immer größeren Umfang annimmt und unsere Zeit und Kräfte strapaziert: Das ist die Erteilung von Auskünften an andere Behörden und Dienststellen wie z.B. Innenministerien, Verfassungsschutzämter, Justizbehörden, da es heute zur Gepflogenheit geworden ist, bei bestimmten Anlässen hinsichtlich bestimmter Beamter (Beförderung) bei uns anzufragen, ob der Beamte oder seine Einheit bei uns in Erscheinung getreten ist. Eine Rückfrage bei der ZSt. ist zu einer gewissen Rückendeckung und Rückversicherung geworden. Diese Anfragen, die in der Regel als AR-Sachen bei uns geführt ←23 | 24→werden, haben sich heute – gegenüber derselben Zeit des vorigen Jahres – bereits um das Doppelte, nämlich von ca. 300 auf 600 erhöht.

Wie und worüber ist die ZSt. zu unterrichten? Hierzu gibt Ziff. 7 des Abschnitts III der Verwaltungsvereinbarung die Anweisung: „Die Staatsanwaltschaften übersenden der Zentralen Stelle Abschriften ihrer Abschlussverfügungen und der gerichtlichen Entscheidungen.“ Somit müsste die ZSt. in jedem Falle mindestens von der Einleitung eines Verfahrens und seiner Beendigung Nachricht erhalten.

Eine koordinierende Auswertung der Verfahren in der Bundesrepublik ist aber nur dann möglich, wenn wir auch von den bei den StA anfallenden Erkenntnissen Mitteilung erhalten. So hat es sich seit Jahren eingebürgert und in der Hauptsache auch bewährt, dass wir bei Abgabe einer Sache mit Abschlussbericht in jedem Begleitschreiben die Bitte hinzufügen, dass wir von den weiteren Vernehmungen und sonstigen wesentlichen Erkenntnissen Abschriften erhalten. So geschieht es auch in der Regel und nur so ist es möglich, dass wir Zeugen oder auch Beschuldigte, die in einem Komplex ausführlich vernommen werden und nach ihrem Einsatz im Kriege auch für andere Verfahren in Betracht kommen, anderen StA zur Kenntnis bringen können.

Ausnahmen bestätigen zwar die Regel, aber in diesem Falle reißen sie in die zu erstrebende Vollständigkeit der Aufklärung von NS-Gewaltverbrechen empfindliche Lücken. Wenn ich nun an einigen Beispielen darlegen möchte, welche Schwierigkeiten durch die Unterlassung oder Vernachlässigung der Mitteilungspflicht auftreten können, so geschieht es nicht, um anhand einiger herausgesuchter Fälle zu kritisieren, sondern um unsere Bitte zu begründen und anschaulich zu machen, dass Sie diese Mitteilungspflichten trotz aller Arbeitsüberlastung gerade für die kommende Zeit nicht übersehen möchten.

Zunächst ein Beispiel für die Unterlassung einer Mitteilung, dass überhaupt ein Ermittlungsverfahren geführt wird: Das Bundesamt für Verfassungsschutz teilt uns mit, dass ein Herr G. im Rahmen seines zukünftigen Aufgabengebietes in der Industrie zum Umgang mit Verschlusssachen ermächtigt werden soll. Angeblich sei er 1962 im Zusammenhang mit seinem Einsatz in Dänemark in Untersuchungshaft gewesen. Es wird um Mitteilung gebeten, ob G. strafrechtlich belastet ist. – Das Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Polizeirat G. ist uns zufällig 1962 aus einer fernschriftlichen Anfrage der zuständigen Sonderkommission bekannt geworden. Die StA selbst machte niemals eine Mitteilung über die Einleitung des Verfahrens gegen den Polizeirat, nicht über die Haft, auch nicht über die – vermutliche – Beendigung des Verfahrens, so dass wir hinsichtlich dieses Mannes und der ihm vorgeworfenen Straftaten ohne jede Nachricht geblieben sind. – Hätten wir nicht aus der Anfrage der Sonderkommission entnehmen können, dass gegen G. ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren läuft oder lief, so hätten wir die Anfrage des Bundesamtes für Verfassungsschutz absolut negativ beantworten müssen. Dieses hätte sich wohl damit begnügt.

Ebenso wichtig ist es, uns mitzuteilen, dass ein Beschuldigter ermittelt und festgenommen wurde, wie folgendes Beispiel zeigt: Im Rahmen von Vorermittlungen ←24 | 25→werden von uns umfangreiche und zeitraubende Ermittlungen angestellt, um den Aufenthalt eines SS-Standartenführers zu ermitteln. Nach DC-Anfrage und anschließender Anfrage bei der Bundesversicherungsanstalt wurde schließlich die Anschrift eines der Kinder des Beschuldigten ermittelt. Dies führte dann zur Feststellung des Wohnsitzes des Beschuldigten. Als nun die Sonderkommission von uns mit der Vernehmung des Beschuldigten beauftragt wurde, stellte sich heraus, dass sich dieser nicht mehr an seinem Wohnsitz aufhielt, sondern bereits in anderer Sache – ebenfalls wegen NS-Gewaltverbrechen – in Haft saß. Diese andere Sache war zuvor an eine StA abgegeben worden. Ihr konnte der Name des Beschuldigten nur unzureichend angegeben werden, trotzdem hatte diese StA ihn schließlich gefunden und verhaftet. Leider hatte sie die ZSt. über die richtige Schreibweise des Namens des Beschuldigten, über seine genauen Personalien und über seine Verhaftung ebenso wenig unterrichtet, wie auch sonst seit Abgabe des Verfahrens irgendetwas von sich hören lassen. Eine im Übrigen sehr lückenhafte Unterrichtung erfolgte erst auf eine dringende Anfrage.

Oder: Eine StA führte z.B. ein Verfahren gegen einen Beschuldigten A. und eine andere StA gegen den Beschuldigten B., wobei der Tatkomplex beider Verfahren genau derselbe ist. Zur Aufklärung der in diesem Ort begangenen Verbrechen leitete aber auch die ZSt. Vorermittlungen ein. Im Rahmen dieser Vorermittlungen werden diese staatsanwaltschaftlichen Verfahren schließlich bekannt. – Wären diese Verfahren uns gemeldet worden, wären unsere Vorermittlungen zumindest teilweise entbehrlich und eine Koordinierung der Verfahren möglich gewesen.

Ein anderes Beispiel: Eine Sonderkommission übersendet Durchschriften von Vernehmungen aus einem Ermittlungsverfahren der StA, das uns bis dahin ebenfalls unbekannt war, weil wir Ermittlungen und Vernehmungen in Österreich vermitteln sollen. – Einige Wochen später kommt eine Anfrage einer ganz anderen StA hinsichtlich dieses Beschuldigten. Bei ihr lief ein Ermittlungsverfahren wegen eines Teiles der strafbaren Handlungen dieses Beschuldigten, auf die sich jedoch schon das andere Verfahren erstreckte. Lediglich durch die Inanspruchnahme der ZSt. durch die Sonderkommission war es möglich, unsere Kenntnis von diesem Verfahren der anfragenden StA mitzuteilen, so dass diese ihr Verfahren einstellen konnte, da insoweit bereits ein Verfahren anhängig war.

Bei der Aufstellung der Übersicht fiel mir auf, dass manche Vorfahren, in denen wir längere Zeit keine Nachricht erhalten hatten, doch irgendwie abgeschlossen sein müssten. Bei der großen Anzahl der Verfahren ist es für uns eine nicht durchführbare Arbeit, in jedem solcher Verfahren nach dem Sachstand anzufragen. Die Tatsache, dass sie in den uns übersandten Gesamtübersichten nicht enthalten sind, lässt noch keinen Schluss zu, auf welche Weise sie sich erledigt haben. So kommt es, dass jetzt nach Verbreitung der Übersicht Mitteilungen einlaufen, dass dieses oder jenes von uns angeführte Verfahren z.B. schon im April oder im November 1962 eingestellt worden ist. Wäre damals eine Mitteilung ergangen, würde das Verfahren in der Übersicht nicht mehr aufgeführt worden sein. In einem Falle wird dabei darauf hingewiesen, dass die Einstellung des Verfahrens mit Bericht vom selben Tage dem BMJ auf dem Dienstwege mitgeteilt worden sei. Das ersetzt aber ←25 | 26→die Mitteilung an die ZSt. nicht, da schließlich der BMJ seinerseits keine Veranlassung hat, die Einstellung uns mitzuteilen.

Diese Beispiele stellen, wie ich schon sagte, Ausnahmen von der Regel dar, aber sie können im Einzelfall doch erheblich in ihren Folgen ins Gewicht fallen, sie verursachen bei uns und bei Ihnen unnütze Mehrarbeit, die wir gern entbehren können. Schließlich führen sie auch objektiv zu falschen Ergebnissen und Auskünften, die ihrerseits bei den Anfragen der Behörden unerfreuliche Konsequenzen haben können. – Zu dem Satz: „Die Staatsanwaltschaften können die Zentrale Stelle ersuchen, ihre Ermittlungen zu unterstützen,“ hat es sich in der nunmehr jahrelangen Praxis ergeben, dass wir unsere abgegebenen Sachen auch von uns aus weiterhin unterstützen, ohne dass wir darum ausdrücklich gebeten wurden. Das Auftauchen neuen Dokumentenmaterials oder neuer Quellen zur Ermittlung und Aufklärung sowohl für den einzelnen Komplex als auch allgemein wird von uns weitergegeben.

Wir haben seit 1.1. dieses Jahres zu diesem Zweck die Rundschreiben eingerichtet, die Mitteilungen von allgemeinen Interessen für ihre Ermittlungstätigkeit in NSG-Verfahren allen Beteiligten zugänglich machen sollen, um diese Dinge nicht in jedem Einzelverfahren an die verschiedenen StA jeweils mitteilen zu müssen. – Wir wären aber dankbar, wenn auch Sie an diesem Rundschreiben dadurch mitarbeiten würden, dass Sie die Erfahrungen und Kenntnisse, die Sie in der Durchführung ihrer Prozesse gesammelt haben und die für uns alle von Interesse sind, uns mitteilen würden, damit wir sie auf diesem Wege allen zugänglich machen können. Ebenso nehmen wir gern Anregungen und Wünsche entgegen, welche Fragen für Sie von allgemeinem Interesse sein könnten, die eine Beantwortung und Klärung in diesem Rundschreiben finden könnten.

Diese Rundschreiben bieten praktisch die Gelegenheit zu einer Zusammenarbeit aller Staatsanwälte, die sich mit NSG-Verfahren beschäftigen müssen. Sie können zu einem Mittel der gegenseitigen Unterrichtung über alle Fragen gemeinsamen Interesses werden und sie können vor allem dem einzelnen Sachbearbeiter Arbeit und Zeit ersparen helfen, wenn er auf diese Weise von den Erfahrungen der anderen Kollegen Kenntnis erhält, die diese bereits gesammelt haben. Letzten Endes sollen sie aber auf längere Sicht gesehen dazu dienen, die ZSt. eines Tages auch als Auskunftsquelle entbehrlich zu machen. Deshalb darf ich meine Bitte wiederholen: Behalten Sie Erfahrungen und Kenntnisse, die auch für Ihre Kollegen von allgemeinem Interesse und Wert sein könnten, nicht für sich, sondern stellen Sie sie auf diesem Wege allen zur Verfügung.

Was nun die Ersuchen um Ermittlungsunterstützung im Einzelfalle anbetrifft, so habe ich auch hier eine Bitte: Kommen Sie bitte mit Fragen um Material zu bestimmten Komplexen im Rahmen Ihres Ermittlungsverfahrens möglichst frühzeitig zu uns und nicht erst – wie wir es hin und wieder erleben -, wenn die Hauptverhandlung beginnt oder bereits im Laufen ist. Dieses gilt natürlich nicht für Dinge, die erst in der Hauptverhandlung neu vorgebracht oder aufgetreten sind. Es kommt aber auch vor, dass nach Beginn der Hauptverhandlung von uns Dokumente und Material verlangt werden, deren Vorhandensein ←26 | 27→schon bei den Ermittlungen bekannt gewesen ist und die sich mit Zeit und Ruhe hätten zusammenstellen, finden und fotokopieren lassen, als dass sie nun von einem Tag zum anderen zusammengerafft mit Eilboten in die Hauptverhandlung gejagt werden müssen. Dies ist für uns dann eine besondere Belastung, wenn der jeweilige Sachbearbeiter dieses Gebiets gerade auf Dienstreise oder aus anderen Gründen nicht anwesend ist und nun ein anderer die hier vorhandenen Vorgänge und Unterlagen durchlesen und durchstöbern muss, um irgendeine Angabe oder Aussage zu der gewünschten Frage zu finden. – Oft haben wir ein Urteil des BGH oder eines Schwurgerichts, das in den Fragen der Rechtsprechung noch angefordert wird, nur in einer Ausfertigung, die dann oftmals in der Kürze der Zeit nicht wieder herangeschafft werden kann, weil sie bereits anderwärts vergeben ist.

Schließlich darf ich mir noch den Hinweis gestatten, dass es in Ziff. 6 des Abschnitts III der Verwaltungsvereinbarung heißt, dass die StA die ZSt. um Unterstützung ihrer Ermittlungen ersuchen können. Ich betone hierbei das Wort Unterstützung, das man meines Erachtens nicht im Sinne von Rückübernahme zu weiteren Ermittlungen auslegen kann. Zu dieser Bemerkung besteht Anlass, weil es in letzter Zeit wiederholt vorgekommen ist, dass StA, die in einem von uns vor Jahren abgegebenen Komplex nun nach Durchführung verschiedener Ermittlungen die Akten wieder an uns zur Vornahme weiterer Vorermittlungen gegen einen bestimmten Beschuldigten, für dessen Verfolgung sie sich nicht für zuständig halten, zurückgeben.

Hier werden wir offenbar mit einer StA verwechselt, die wir doch, wie jeder weiß, nicht sind.

Hierzu folgende Beispiele: Am 20.4.1961 übersandte die ZSt. eine Strafanzeige wegen Tötung von russischen Kriegsgefangenen gegen einen Lagerarzt, der an den russischen Kriegsgefangenen medizinische Versuche, an denen sie sterben mussten, vorgenommen haben sollte, an eine StA. Die Abgabe erfolgte, da die ZSt. im Rahmen der Verwaltungsvereinbarung für eine weitere Ermittlungstätigkeit nicht zuständig war. In den folgenden Jahren wird nun zunächst durch eine StA ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Mitbeschuldigte geführt und schließlich eingestellt. Anschließend führt eine andere StA gegen den Anzeigeerstatter als Mitbeschuldigten ein Ermittlungsverfahren durch, das ebenfalls eingestellt wird. Der Hauptbeschuldigte soll nach einer vertraulichen Mitteilung in der Ostzone wohnhaft sein. Die letzte StA sendet deshalb 1964 die Akten an die ZSt. zurück, da sie nunmehr zur Verfolgung dieses Arztes nicht mehr zuständig sei. Sie übersieht hierbei, dass wir im April 1961 abgegeben haben, weil wir nach der Verwaltungsvereinbarung schon damals nicht zuständig waren. Sie übersieht hierbei aber auch, dass wir keine StA sind, die diesen Vorgang nunmehr etwa wegen Abwesenheit des Beschuldigten durch Verfügung vorläufig einstellen kann. – Sie übersieht hierbei nach unserer Meinung, dass sie wegen Sachzusammenhangs mit den von den Mitbeschuldigten begangenen strafbaren Handlungen auch zu einer Entschließung gegen den Hauptbeschuldigten zuständig gewesen wäre. Schließlich hätte sie, falls sie ihre Zuständigkeit keinesfalls für gegeben hielt, von sich aus dem ←27 | 28→Generalbundesanwalt die Akten mit der Anregung vorlegen können, das zuständige Gericht durch den BGH bestimmen zu lassen, denn für eine Vorlage an den Generalbundesanwalt durch die ZSt. nach Ziff. 3 Abschnitt III der Verwaltungsvereinbarung besteht für uns keine Zuständigkeit, da es sich eben nicht um die Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen handelte.

Ein anderes Beispiel: Im November 1959 übernahm eine StA die Ermittlungen gegen den Leiter eines großen Einsatzkommandos. Im März 1960 erlaubten wir uns, darauf hinzuweisen, dass die ZSt. aufgrund der Verwaltungsvereinbarung davon ausgehe, dass die StA sämtliche Angehörige des EK verfolgen und auch gegen alle bisher bekannten Angehörigen dieses Kommandos die Verjährung unterbrechen lassen werde. – Die StA teilte uns umgehend mit, dass sie die Ermittlungen auf weitere Beschuldigte ausdehnen werde, sobald anzunehmen sei, dass gegen den Leiter des EK eingeschritten werden könne. Im Mai 1960 erlässt das AG Haftbefehle gegen die Leiter dieses Einsatzkommandos und vier weitere Führer. Gleichzeitig wurde gegen 28 weitere Angehörige, die namentlich bekannt waren, die Verjährung unterbrochen. Im April 1961 gibt diese StA das Verfahren an eine andere StA zuständigkeitshalber ab, da dieses Verfahren entgegen der bisherigen Absicht einer Verbindung mit einer bereits anhängigen Voruntersuchungssache gegen den Hauptbeschuldigten nicht verbunden werden kann. Nunmehr werden die Ermittlungen gegen den Leiter des Einsatzkommandos und gegen die weiteren Angehörigen durch die zweite StA geführt und im August 1963 werden der Leiter des EK und drei weitere Beschuldigte durch das Schwurgericht verurteilt. Da jedoch in diese Ermittlungen offenbar nicht sämtliche Angehörige des EK, die als Beschuldigte in Frage kommen, einbezogen worden waren, so wird anschließend ein weiteres Ermittlungsverfahren durchgeführt, dessen Hauptbeschuldigter jedoch nach Inhaftnahme durch Selbstmord ausscheidet. Jetzt – 1964 – werden die Akten der ZSt. in Ludwigsburg zurückgegeben und wird gebeten, gegen die noch nicht erfassten Angehörigen des EK Vorermittlungen durchzuführen.

Wir werden die Vorgänge, nachdem wir sie ausgewertet haben, wieder zurückgeben müssen, da es meines Erachtens nicht die Aufgabe der ZSt. sein kann, nach nahezu fünf Jahren wieder Vorermittlungen in einem Komplex aufzunehmen, der bereits bei drei StA anhängig war und dort als ein geschlossener Tatkomplex ausermittelt werden musste. Selbst wenn die letzte StA für die Verfolgung der weiteren Beschuldigten sich nicht für zuständig hält, so ist sie heute nach Einarbeitung der Sonderkommission und aufgrund der in diesen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse und der allen StA bekannten Grundlage dieser Komplexe ohne weiteres in der Lage, die Ermittlungen nach den bisher nicht erfassten Tätern und ihrer Beteiligung mindestens soweit zu betreiben, bis sie einen Beschuldigten ermittelt hat, dessen Wohnsitz die Zuständigkeit einer anderen StA begründen kann.

Die ZSt. könnte aber nie zu Ende kommen, wenn sie nach Durchführung von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren hinsichtlich übrig gebliebener Beschuldigter wieder von neuem Vorermittlungen führen müsste. Eine Rücknahme von Verfahren nach fünf Jahren bedeutet eine so starke Behinderung unserer Tätigkeit, dass wir bei der sparsamen personellen Besetzung unserer Dienststelle nicht ←28 | 29→in der Lage sein würden, die noch anhängigen Vorermittlungskomplexe rechtzeitig abzuschließen. Wir sind gern bereit, die weiteren Ermittlungen, so gut wir können zu unterstützen, aber wir können nicht nach dem Motto: „Aus alt mach neu“ nun plötzlich wieder ein größeres Vorermittlungsverfahren aufziehen.

In diesem Zusammenhang darf ich mir erlauben, auch noch auf eine andere Bestimmung der Verwaltungsvereinbarung hinzuweisen, die für die StA bestimmt ist. In Ziff. 2 des Abschnitts III heißt es: „Die Staatsanwaltschaft soll das Verfahren grundsätzlich weder ganz noch teilweise an eine andere Staatsanwaltschaft abgeben. Hält sie eine Abgabe gleichwohl für erforderlich, so berichtet sie zuvor der Landesjustizverwaltung.“ NS-Gewaltverbrechen stellen in der Regel größere und kleinere Tatkomplexe dar, zu denen mehrere Beschuldigte gehören. Es ist selbstverständlich, dass dem Umfang eines großen Tatkomplexes äußere Grenzen der technischen Möglichkeiten der Anklage aller Beschuldigter in einem Verfahren gesetzt sind. – Wenn aber z.B. ein Verfahren bei einer StA gegen einen KdS als Hauptbeschuldigten anhängig ist und in diesem umfangreiche Ermittlungen auch gegen die ihm unterstellten Führer geführt werden, so sollte dann letzten Endes das Verfahren nicht so laufen, dass nach Beendigung des Verfahrens gegen acht Hauptbeschuldigte nunmehr die Verfahren gegen die weiteren Beschuldigten an die nach dem Wohnsitz zuständigen StA einzeln abgegeben werden. – Auch hier wäre es zweckmäßig gewesen, wenn die ZSt. von der Einleitung und sofortigen Abgabe dieser Ermittlungsverfahren wenigstens eine Mitteilung erhalten hätte.

Die Folge davon war, dass die Mehrzahl der betroffenen StA bei der ZSt. anfragt, ob und wie viel Verfahren aus diesem Ermittlungsverfahren entstanden sind und bei welchen StA sie anhängig sind. Diesen Anfragen wurde dann u.a. noch folgende Bemerkung hinzugefügt: „Da zwischen den Nachfolgeverfahren aus dem Verfahren gegen A. – jedenfalls teilweise – Sachzusammenhang gegeben erscheint, und um nicht vertretbare Mehrarbeit und mehrfache Inanspruchnahme von Zeugen zu vermeiden, wird unter Bezugnahme auf die in dem Bezugschreiben als geboten erklärte Zusammenfassung von einschlägigen Komplexen gebeten, zu erwägen, ob nicht im Interesse einer Vereinfachung der Verfahren die Nachfolgeverfahren aus dem Verfahren gegen A. bei einer StA geführt werden sollten.“

Die ZSt. hat hierauf nur Folgendes antworten können: „Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen ist nicht darüber unterrichtet worden, gegen welche Personen, die in dem Verfahren gegen A. bekannt geworden waren, von der StA Ermittlungsverfahren eingeleitet und dann anschließend sofort an andere StA abgegeben wurden. Ich kann mich deshalb auch nicht dazu äußern, welche dieser Nachfolgeverfahren u.U. gemeinsam bearbeitet werden können und bei welchen nach Herausnahme der Haupttäter kein Zusammenhang mehr besteht. – Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen hat keine Befugnis, eine solche Aufsplitterung in Einzelverfahren zu verhindern. Es besteht lediglich die Möglichkeit, dass Sie unter Hinweis auf die in Ihrem Schreiben zitierten Entschließungen sowie auf Abschnitt III Ziff. 2 der Verwaltungsvereinbarungen der Landesjustizverwaltungen vom Okt. 1958 bei dem Herrn Generalstaatsanwalt oder beim Justizministerium Baden-Württemberg in Stuttgart vorstellig werden oder eine Entscheidung des ←29 | 30→Herrn Generalbundesanwalts gemäß § 143 GVG herbeizuführen versuchen. Zu Ihrer Unterrichtung füge ich die Fotokopie eines Schreibens des Herrn Generalstaatsanwalts bei dem Landgericht B. bei, dem ich im gleichen Sinne geantwortet habe.“

Ergänzend darf ich hierzu noch bemerken, dass die an die StA abgegebenen neuen Ermittlungsakten nach unserer Kenntnis nicht das Material enthielten, das den neuen Sachbearbeiter über das Geschehen, das dem einzelnen Beschuldigten zum Vorwurf gemacht wurde, ausreichend informiert hätte. So mussten sich die Sachbearbeiter der StA entweder die Akten des Hauptverfahrens, die aber infolge Revision nicht entbehrlich waren, kommen lassen oder wiederum die ZSt. um entsprechende Unterstützung bitten. – Dieses Beispiel sollte zeigen, dass eine Aufsplitterung der Verfahren nach Möglichkeit vermieden werden muss.

So scheint mir nicht unbegründet, wenn ich am Schluss meiner Ausführungen in Erinnerung bringen darf, dass die ZSt. als eine vorübergehende Einrichtung gedacht war und es auch sein will. Der Erfolg und das Ziel unserer guten Zusammenarbeit soll und muss doch schließlich der sein, dass die ZSt. ihre Aufgabe nicht nur im Rahmen der Aufklärung von NS-Gewaltverbrechen erfüllt hat, sondern auch von Ihnen als Mittler von Erkenntnissen und Auskunftsquellen nicht mehr benötigt wird, weil Sie selbst inzwischen im Besitz aller Erkenntnisse und aller Werkzeuge sind, die zur Verfolgung der NSG-Verbrechen benötigt werden. Je weniger aber hierbei Missverständnisse oder Pannen auftreten, umso zügiger wird sich das Ziel, dass nämlich aus der Zusammenarbeit zwischen StA und ZSt. eine gut funktionierende Zusammenarbeit aller StA ohne ZSt. geworden ist, erreichen lassen.

In der anschließenden Diskussion ergriff zunächst OStA Schüle das Wort und führte u.a. aus, dass er jetzt nicht als Leiter der ZSt., sondern als Leiter der größten StA des Landes Baden-Württemberg spreche, bei der die Strafverfolgung von NS-Gewaltverbrechen für den gesamten OLG-Bezirk Stuttgart konzentriert sei. Er nahm zur Frage der Aufsplitterung der Verfahren durch die StA Stellung und lehnte für die von ihm geleitete Stuttgarter StA eine Aufteilung in Splitterverfahren ab. Er führte hierzu das bei der StA Stuttgart anhängige Galizien-Verfahren als Beispiel an. In diesem Verfahren würden etwa 50 Beschuldigte verfolgt. In einem so umfangreichen Verfahren, das von einem Schwurgericht nicht als Ganzes verhandelt werden kann, empfahl Herr OStA Schüle die Bildung von Teilkomplexen mit je einem Hauptbeschuldigten. So habe man das Galizien-Verfahren in drei Verfahren aufgeteilt, die aber alle bei der StA Stuttgart verblieben seien. Bei der Prüfung, ob und wie man einige Teilverfahren bilde, habe sich wohl ergeben, dass diese auch von anderen StA durchgeführt werden könnten. Wenn die Verfahren aber aufgesplittert würden, würde die Justiz mit der ihr gestellten Aufgabe niemals fertig werden. Die Verwaltungsvereinbarung, in der die Bildung von Gesamtkomplexen grundsätzlich vorgesehen sei, müsse für alle StA als „magna charta“ Geltung haben.

Er weise hierbei auch auf das Beispiel der StA München I hin, die dazu bestimmt worden sei, die Tätigkeit der gesamten Einsatzgruppe D einschließlich ←30 | 31→der Sonderkommandos und Teilkommandos zu untersuchen. Dieser Komplex sei noch größer als das Galizien-Verfahren. Auch der Auschwitz-Prozess in Frankfurt/M. zeige, dass das gesamte Geschehen zusammengefasst werden müsse, ganz gleich, ob im Jahre 1941, 1943 oder 1944 die Leitung des KZ Auschwitz gewechselt habe.

Wenn er nunmehr in seiner Eigenschaft als Leiter der ZSt. spreche, so müsse er mit Bezug auf das soeben gehaltene Referat darauf hinweisen, dass eine Zurückgabe von Teilverfahren an die ZSt. nicht möglich sei. Er empfehle den StA, die nach Erhebung der Anklage gegen einige Beschuldigte eine eigene Zuständigkeit für das restliche Verfahren verneinten, eine Entscheidung des BGH herbeizuführen, falls nicht die Zuständigkeit einer anderen StA offenkundig sei. Der ZSt. sei eine Anrufung des BGH nur im Umfange des Abschnitts III, Ziff. 3 der Verwaltungsvereinbarung gestattet. Es müsse immer wieder herausgestellt werden, dass grundsätzlich das gesamte historische Geschehen erfasst werden müsse und eine Abgabe von Teilverfahren gegen einzelne Beschuldigte nach Möglichkeit vermieden werden müsse. – Als Leiter der ZSt. spreche er den Tagungsteilnehmern der StA seinen herzlichen Dank für die bisherige gute Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren aus. Auf dieser Tagung solle versucht werden, die gegenseitigen Sorgen und Nöte zu bereinigen; er bitte, auch den Ludwigsburgern zu sagen, was sie besser machen könnten.

OStA Dr. Nolten (Regensburg) warf die Frage auf, wie verfahren werden solle, wenn der Beschuldigte in mehreren Konzentrationslagern Straftaten begangen habe.

OStA Schüle antwortete hierauf, dass jede StA die Vorgänge aus dem KZ bearbeiten solle, für das sie nach dem Tatort zuständig sei, weil anderenfalls der Schuldnachweis gegen den Beschuldigten viel schwieriger sei.

Details

Seiten
736
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631879214
ISBN (ePUB)
9783631879221
ISBN (Hardcover)
9783631869499
DOI
10.3726/b19881
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (August)
Schlagworte
Israel Nationalsozialistische Gewaltverbrechen Erwin Schüle Zentrale Stelle Ludwigsburg Justizministerkonferenz Verjährung von NS-Straftaten Sonderkommissionen der Kriminalpolizei der Bundesländer Adalbert Rückerl Erich Nellmann Wolfgang Haußmann Bundesrepublik Deutschland Polen Tschechoslowakei
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 736 S.

Biographische Angaben

Werner Schubert (Band-Herausgeber:in)

Die Niederschriften der Arbeitstagungen der Zentralen Stelle Ludwigsburg und die Tagungen der Sonderkommissionen der Landeskriminalämter hatten die Aufgabe, Vorermittlungen (mit Ausnahme von Kriegshandlungen) wegen NS-Gewaltverbrechen zu führen. Themen waren u.a. Zeugenvernehmungen in Israel und den USA, große NS-Prozesse, Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, Befehlsnotstand, Rechtshilfeverfahren mit dem Ausland.

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Titel: Strafverfolgung nationalsozialistischer Verbrechen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West)
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