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Steuerbefreiungen im Investmentsteuerrecht

Kritische Bestandsaufnahme und Reformempfehlung

von Niels Michael Schneider (Autor:in)
Dissertation 346 Seiten

Zusammenfassung

Das seit 2018 geltende Investmentsteuerrecht baut auf einer Abkehr vom bislang herrschenden semi-transparenten Besteuerungssystem auf. Zur Vermeidung einer doppelten Besteuerung und dort, wo eine Besteuerung vollständig unterbleiben soll, sieht das Gesetz Steuerbefreiungen vor. Die Untersuchung behandelt diese neuen, bislang im Investmentsteuerrecht nicht erforderlichen Steuerbefreiungen. Es wird geprüft, wie das Zusammenspiel von Steuerpflicht und Steuerbefreiungen funktioniert, ob dabei grundlegende Prinzipien des Steuerrechts berücksichtigt werden, und es werden Inkonsistenzen adressiert. Dabei dienen die tragenden Motive für das InvStRefG als Orientierung, werden aber auch kritisch hinterfragt, um grundsätzliche Empfehlungen für eine Novellierung des InvStG zu geben

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • § 1 Gegenstand, Ziel und Methode der Untersuchung
  • I. Ausgangslage bei Inkrafttreten des Investmentsteuergesetzes 2018
  • II. Gang der Untersuchung
  • Kapitel I: Grundlagen der Untersuchung
  • § 2 Grundprinzipien und Grundlagen des Investmentrechts
  • I. Staatliche Aufsicht
  • II. Aufsichtsrechtliche Definition des Investmentvermögens
  • III. Arten von Investmentvermögen
  • 1. Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren
  • 2. Alternative (Publikums-)Investmentfonds
  • 3. Alternative (Spezial-)Investmentfonds
  • IV. Arten von Anlegern
  • V. Investmentdreieck
  • VI. Zusammenfassung zu § 2
  • § 3 Rückblick: Grundprinzipien des InvStG 2004
  • I. Lex Specialis
  • II. Eingeschränktes Transparenzprinzip und Steuerbefreiung des Investmentfonds
  • III. KapESt-Abzug und Quellensteuern
  • IV. Zusammenfassung zu § 3
  • § 4 Ziele und Hintergründe der Reform der Investmentbesteuerung
  • I. Vereinfachung
  • II. EU-rechtliche Risiken des InvStG 2004
  • 1. Das deutsche System der Dividendenbesteuerung bei ausländischen Investmentfonds
  • 2. Die Rechtsprechung des EuGH zur Dividendenbesteuerung
  • 3. Reaktion des Gesetzgebers
  • III. Vermeidung von Steuergestaltungen
  • 1. Cum/Ex-Geschäfte
  • 2. Cum/Cum-Geschäfte
  • 3. Kopplungsgeschäfte
  • 4. Ertragsausgleich
  • IV. Ausräumung bestimmter Systemfehler
  • V. Zusammenfassung zu § 4
  • Kapitel II: Die Besteuerung von Investmentfonds und ihren Anlegern
  • § 5 Definition des Investmentfonds nach dem InvStG
  • I. Definition durch Verweisung auf das KAGB
  • II. Relevante Erweiterung des Investmentfondsbegriffs
  • 1. Im Ausland ansässige steuerbefreite Gesellschaften
  • 2. Besteuerung der ausländischen Kapitalgesellschaft vor Geltung des InvStG
  • 3. Besteuerung der ausländischen Kapitalgesellschaft nach Geltung des InvStG
  • 4. Mögliche Alternativregelung: Einführung einer Quote für das Finanzanlagevermögen
  • III. Zusammenfassung zu § 5
  • § 6 Besteuerung von Investmentfonds
  • I. Inländische Beteiligungseinnahmen gem. § 6 Abs. 3 InvStG
  • 1. Inländische Dividendeneinkünfte als Grundtatbestand
  • 2. Inländische Dividendenkompensationszahlungen als Ergänzungstatbestand
  • 3. Stellungnahme
  • II. Inländische Immobilienerträge
  • III. Sonstige inländische Einkünfte
  • IV. Steuertarif und Steuererhebung
  • V. Ausländische Quellensteuern und Abkommensberechtigung von Investmentfonds
  • VI. Statusbescheinigung
  • VII. Steuerpflichtige Erträge bei Dach-Investmentfonds
  • VIII. Zusammenfassung zu § 6
  • § 7 Steuerbefreiungen auf Fondsebene
  • I. Vollständige Steuerfreiheit auf Fondsebene gem. § 10 InvStG
  • 1. Voraussetzungen und Umfang der Steuerbefreiung
  • a) Anlegerkreis und Nachweis der Steuerbefreiung
  • b) Dach-Investmentfonds als steuerbefreite Anleger i. S. d. § 8 Abs. 1 InvStG
  • c) Erfüllung der Voraussetzungen des § 36a EStG
  • aa) Exkurs: § 36a EStG und ergänzende Vorschriften im Rahmen der Direktanlage
  • (1) Wirtschaftliches Eigentum von mindestens 45 Tagen
  • (2) Wertveränderungsrisiko
  • (3) Vergütung an einen Dritten
  • (4) Steuerbefreite Anleger
  • bb) § 36a EStG im Rahmen der Investmentfondsanlage
  • (1) Wertveränderungsrisiko
  • (2) Nahe stehende Person
  • cc) Stellungnahme
  • d) Umfang der Steuerbefreiung
  • 2. Verstoß gegen § 10 InvStG und Haftung für zu Unrecht erlangte Vorteile aus der Steuerbefreiung gem. § 14 InvStG
  • 3. Zwischenerwerb durch nicht steuerbefreite Anleger
  • 4. Wirtschaftliche Bedeutung der Steuerbefreiung
  • 5. Missbrauch durch ausländische steuerbefreite Stiftungen möglich?
  • II. Anteilige Steuerbefreiung auf Fondsebene gem. § 8 InvStG
  • 1. Voraussetzungen der Steuerbefreiung
  • 2. Umfang der Steuerbefreiung
  • 3. Umsetzung des anteiligen Steuerabzugs
  • 4. Stellungnahme
  • III. Zusammenfassung zu § 7
  • § 8 Besteuerung der Anleger eines Investmentfonds
  • I. Ausschüttungen
  • 1. Erfasste Beträge
  • 2. Stellungnahme
  • II. Vorabpauschale
  • 1. Ermittlung der Vorabpauschale
  • 2. Erhebung der Vorabpauschale
  • 3. Anrechnung auf den Veräußerungsgewinn
  • 4. Stellungnahme
  • III. Veräußerungsgewinne
  • 1. Veräußerungsfiktion bei Verlust des Status als Investmentfonds
  • 2. Veräußerungsfiktion bei Beginn des Status als Investmentfonds?
  • 3. Veräußerungsfiktion zum 31.12.2017 und Freibetrag für sog. Altanteile
  • 4. Stellungnahme
  • IV. Zusammenfassung zu § 8
  • § 9 Steuerbefreiungen auf Anlegerebene
  • I. Voraussetzungen für die Gewährung der Teilfreistellung
  • 1. Maßgebliche Kapitalbeteiligungen
  • a) Beteiligungen an Kapitalgesellschaften
  • b) Indexfonds bzw. Exchange Traded Funds (ETFs)
  • c) Dach-Investmentfonds
  • d) Über Personengesellschaften gehaltene Kapitalbeteiligungen
  • e) Kapitalbeteiligungen von Zielfonds in Form einer Personengesellschaft
  • f) REITs als Kapitalbeteiligungen
  • g) Holdinggesellschaften
  • h) Andere Finanzinstrumente als Kapitalbeteiligungen i. S. v. § 2 Abs. 8 InvStG
  • aa) Einsatz von Derivaten
  • bb) Hinterlegungsscheine bzw. ADR, GDR, IDR etc.
  • cc) Eigenkapitalähnliche Genussscheine
  • dd) Wertpapierleihe
  • i) Stellungnahme
  • 2. Maßgebliche Immobilienbeteiligungen
  • 3. Festlegung der Quoten in den Anlagebedingungen
  • a) Fehlende Anlagebedingungen
  • b) Keine Mindestquoten für Aktien oder Immobilien
  • c) Form des Nachweises und Anspruch auf Auskunft gegenüber dem Investmentfonds
  • 4. Ermittlung der Kapitalbeteiligungsquote
  • II. Umfang der Teilfreistellung
  • 1. Anwendung der vollständigen Teilfreistellung für Zwecke der Einkommen- und Körperschaftsteuer
  • 2. Anteilige Befreiung für Zwecke der GewSt
  • 3. Belastungsvergleich
  • 4. Stellungnahme
  • III. Kostenabzugsverbot
  • IV. Änderung der Teilfreistellung
  • 1. Änderung der fonds- oder anlegerbezogenen Merkmale
  • 2. Wesentlicher Verstoß gegen die Anlagebedingungen
  • V. Unionsrechtliche Betrachtung
  • VI. Zusammenfassung zu § 9
  • Kapitel III: Die Besteuerung von Spezial-Investmentfonds und ihren Anlegern
  • § 10 Definition des Spezial-Investmentfonds nach dem InvStG
  • I. Eigene Definition des InvStG
  • II. Verhältnis von Investmentfonds zu Spezial-Investmentfonds
  • III. Die besonderen Anlagebestimmungen des § 26 InvStG
  • 1. Regelungsinhalt von § 26 Nr. 8 InvStG im Einzelnen
  • 2. Weiternutzung bestehender Strukturen während des Übergangszeitraums
  • 3. Stellungnahme
  • IV. Zusammenfassung zu § 10
  • § 11 Die Besteuerung von Spezial-Investmentfonds
  • I. Überblick
  • II. Besteuerung im Grundfall ohne Ausübung der Transparenzoption
  • 1. Umfang der Steuerpflicht
  • 2. Keine Ausnahmen von der grundsätzlichen Steuerpflicht
  • III. Besteuerung bei Ausübung der Transparenzoption
  • 1. Einkünfte mit Steuerabzug
  • a) Transparente Besteuerung und KapESt-Abzug bei im Übrigen steuerpflichtigen Anlegern
  • aa) Ausübung der Transparenzoption
  • bb) Unwiderruflichkeit der Transparenzoption
  • b) Unterbliebener KapESt-Abzug oder KapESt-Abzug bei steuerbefreiten Anlegern
  • c) Transparenzoption bei Dach-Spezial-Investmentfonds
  • 2. Einkünfte ohne Steuerabzug
  • a) Immobilienerträge des Spezial-Investmentfonds
  • b) Umqualifizierung von Immobilienerträgen bei Investmentfonds und Dach-Spezial-Investmentfonds
  • c) Stellungnahme
  • IV. Zusammenfassung zu § 11
  • § 12 Die Besteuerung der Anleger von Spezial-Investmentfonds
  • I. Überblick
  • II. Laufende und dem Anleger zuzurechnende Erträge
  • 1. Ausschüttungen
  • 2. Ausschüttungsgleiche Erträge
  • a) Umfang
  • b) Zurechnung der Erträge
  • 3. Steuerbefreiungen gem. § 42 InvStG für laufende Erträge
  • a) Überblick
  • b) Inländische Beteiligungseinnahmen
  • c) Ausländische Beteiligungseinnahmen und Veräußerungsgewinne
  • d) Mehrstufige Fondsstrukturen
  • e) Stellungnahme
  • f) Inländische Immobilienerträge und sonstige Einkünfte ohne Steuerabzug
  • 4. Steuerbefreiungen gem. § 43 InvStG für nach DBA freigestellte Erträge, Hinzurechnungsbeträge und Erträge aus Investmentfonds
  • a) Überblick
  • b) Nach einem DBA freigestellte Erträge
  • c) Hinzurechnungsbeträge
  • d) Teilfreistellung für Erträge aus Investmentfonds
  • III. Einmalige Erträge
  • 1. Überblick
  • 2. „Fonds-Gewinne“ gem. § 48 InvStG
  • a) Ermittlung und Bekanntmachung der Fonds-Gewinne
  • b) Umfang des Fonds-Aktiengewinns
  • c) Umfang des Fonds-Abkommensgewinns
  • d) Umfang des Fonds-Teilfreistellungsgewinns
  • 3. „Anleger-Gewinne“ gem. § 49 InvStG
  • a) Umfang und Ermittlung der Anlegergewinne
  • b) Stellungnahme
  • IV. Zusammenfassung zu § 12
  • Kapitel IV: Rechtspolitische Folgerungen
  • § 13 Reformbedürftigkeit des InvStG
  • I. Regelungsziele und ihre Verwirklichung
  • 1. Vereinfachung
  • a) Überwiegende Zielerreichung bei Investmentfonds
  • b) Keine Zielerreichung bei Spezial-Investmentfonds
  • c) Ist ein alternatives System denkbar?
  • 2. Vermeidung von Steuergestaltungen
  • 3. Ausräumung EU-rechtlicher Risiken
  • 4. Beseitigung bestimmter Systemfehler
  • 5. Bewertung der Steuerbefreiungen im Hinblick auf die Verwirklichung der Regelungsziele
  • II. Grundsätzliche Forderungen für eine Novellierung des InvStG
  • 1. Vereinfachung
  • 2. Gewährleistung der Nachprüfbarkeit und Nachvollziehbarkeit
  • 3. Nachweismöglichkeiten des Anlegers zulassen
  • 3. Beachtung grundlegender Prinzipien des Steuerrechts
  • 4. Beachtung der Wirtschaftlichkeit
  • 5. Vermeidung von Doppelspurigkeiten
  • 6. Schaffung eines verlässlichen Rechtsrahmens für den Rechtsanwender
  • 7. Reduzierung der Gestaltungsanfälligkeit ohne zusätzliche Komplexität
  • 8. Keine übermäßige Besteuerung
  • Schluss
  • § 14 Resümee
  • § 15 Konsolidierter Gesetzgebungs- und Erlassvorschlag zur Änderung des InvStG, des InvStE und des AStG
  • I. Investmentsteuergesetz
  • II. InvSt-Erlass
  • III. Außensteuergesetz
  • § 16 Vollständiger Belastungsvergleich
  • Verzeichnis der zitierten Literatur

←20 | 21→

§ 1 Gegenstand, Ziel und Methode der Untersuchung

I. Ausgangslage bei Inkrafttreten des Investmentsteuergesetzes 2018

Als am 1.1.2018 das Investmentsteuergesetz 2018 in Kraft trat,1 waren bereits fast eineinhalb Jahre seit dessen Verkündung im Bundesgesetzblatt am 26.7.2016 vergangen.2 Das neue Gesetz war seit seiner Verkündung und vor seinem Inkrafttreten bereits zwei Mal geändert worden.3 Trotzdem bestanden zu diesem Zeitpunkt noch eine Vielzahl ungeklärter Fragen, so dass sogar eine Verschiebung des Inkrafttretens des InvStG diskutiert wurde.4 Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, da schließlich für niemanden eine Gelegenheit bestanden hatte, praktischen Erfahrungen mit dem neuen, wesentlich umfangreicheren Gesetz zu sammeln. Der Gesetzgeber räumte den Beteiligten daher auch eine eineinhalbjährige Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des InvStG am 1.1.2018 ein.

Zu dem von 24 auf 56 Paragrafen angewachsenen Gesetz ergaben sich zahlreiche Unklarheiten sowohl auf Seiten der Finanzinstitute als auch auf Seiten der Beraterschaft sowie der Finanzverwaltung, welche das neue Gesetz umzusetzen hatten. In der Literatur wurden früh zahlreiche teils grundlegende Fragen diskutiert und diverse Anpassungen vorgeschlagen.5 Die Finanzverwaltung versuchte ←21 | 22→bis zum 31.12.2017 mit mehreren Erlassen, die ihr offenbar als besonders wichtig erschienen bzw. auf die die Branche besonders drängte, zumindest in einigen Bereichen für Anwendungssicherheit zu sorgen. So waren zu diesem Zeitpunkt folgende Erlasse bzw. Erlasse im Entwurfsstadium verfügbar:

  • Erster Entwurf eines Einführungsschreibens, insbesondere zu den allgemeinen Regelungen, steuerbegünstigten Anlegern, Teilfreistellung und Übergangsregelung,6
  • Finales Schreiben zu § 36a EStG im Zusammenhang mit Cum/Cum-Geschäften,7
  • Finales Schreiben zum anwendbaren Teilfreistellungssatz nach § 20 InvStG,8
  • Entwurf zu „Teilfreistellungen bei fondsgebundenen Lebensversicherungen nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 S. 9 EStG“,9
  • Finales Schreiben zu Formular InvSt 4B „Statusbescheinigung“,10
  • Zweiter Entwurf eines Einführungsschreibens mit weiteren Regelungen zu (Publikums-)Investmentfonds und den Übergangsvorschriften (§ 56 InvStG),11
  • Finales Schreiben zur Selbstdeklaration von Investmentfonds nach § 10 InvStG und von Spezial-Investmentfonds,12
  • Finales Schreiben zu dringlichen Fragen der Deutschen Kreditwirtschaft (DK) und des Bundesverbandes Investment und Asset Management e.V. (BVI),13
  • Finales Schreiben zur Steuerbescheinigung nach § 45a EStG,14
  • Finales Schreiben zu weiteren dringlichen Fragen der DK und des BVI.15

Ein umfassendes BMF-Schreiben, wie dies bspw. im Hinblick auf das Investmentsteuergesetz 200416 oder zu Einzelfragen im Zusammenhang mit der Abgeltungsteuer17 existiert, lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Lediglich die zweite (im Vergleich zur ersten Version wesentlich erweiterte) Entwurfsfassung des ←22 | 23→Einführungsschreibens zum InvStG18 zeigte auf, welche Meinungen sich auf Seiten der Finanzverwaltung zu verdichten schienen, sofern nicht bereits finale BMF-Schreiben zu Einzelfragen ergangen waren. Die Entwurfsfassung enthielt allerdings lediglich Ausführungen zu Investmentfonds, die in der Terminologie des InvStG den Begriff der Publikumsinvestmentfonds ersetzen. Der große und noch komplexer gewordene Bereich der Spezial-Investmentfonds hatte dort noch keinen Niederschlag gefunden. Es wurde lediglich in einer Art Präambel klargestellt, dass die Ausführungen für Investmentfonds auch für Spezial-Investmentfonds gelten sollten,19 auch wenn dieser Hinweis angesichts der völlig unterschiedlichen Besteuerungssysteme nicht mit großem praktischem Nutzen verbunden war.20

Die offenen Fragestellungen stellten die Marktteilnehmer vor große Herausforderungen, da der Gesetzgeber mit dem InvStG 2018 ein völlig neues System der Besteuerung von Investmentfonds und Spezial-Investmentfonds sowie deren Anlegern einführte. Statt mit einem Besteuerungssystem haben Anleger, Kapitalverwaltungsgesellschaften und Verwahrstellen seit dem 1.1.2018 mit drei Systemen umzugehen, je nachdem ob in einen Investmentfonds, einen Spezial-Investmentfonds ohne Transparenzoption oder einen Spezial-Investmentfonds mit ausgeübter Transparenzoption investiert wird.

Als Ausgleich für die in allen Bereichen bestehenden Unklarheiten nahm die Finanzverwaltung eine anwenderfreundliche Position ein und kam den Steuerpflichtigen mit zahlreichen Übergangsregelungen entgegen. Zu vielen Detailfragen ließen sich in den verfügbaren BMF-Schreiben Formulierungen wie „Es ist nicht zu beanstanden, wenn … bis zum …“ finden,21 die dem Normadressaten eigene Entscheidungsspielräume beließen, bis die Finanzverwaltung selbst eine Meinung hierzu veröffentlicht hatte.22 Dass viele offene Fragen bestanden, ist ←23 | 24→angesichts des Umfangs und der Bedeutung des InvStRefG auch nicht verwunderlich und es konnte zu diesem Zeitpunkt auch nur davon ausgegangen werden, dass mit zunehmender Praxiserfahrung aller Beteiligten die offenen Fragen schrittweise beantwortet werden würden.

Bei Fertigstellung dieser Arbeit im Frühjahr 2022 haben die Beteiligten bereits Praxiserfahrungen mit dem neuen Recht gesammelt. Es liegt ein finales BMF-Schreiben zu Anwendungsfragen des InvStG in Bezug auf Investmentfonds und vielen für die Spezial-Investmentfonds geltenden Normen vor, das fortlaufend ergänzt und geändert wird23, während insbesondere für die Spezial-Investmentfonds lange nur ein Erlassentwurf existierte.24 Das InvStG selbst wurde seit dem 1.1.2018 sechs weitere Male geändert, zuletzt mit Wirkung zum 2.8.2021 durch das Fondsstandortgesetz (FoStoG).25 Möglicherweise ist daher nun ein guter Zeitpunkt erreicht, den inzwischen etwas gefestigten Status Quo zum Gegenstand dieser Untersuchung zu machen – wohlwissend, dass auch künftig weitere Änderungen folgen.26←24 | 25→

II. Gang der Untersuchung

Zum 31.12.2020 verwalteten offene Publikumsfonds in Deutschland ein Vermögen von ca. 1.180 Mrd. Euro, wobei der Großteil mit 459 Mrd. Euro auf Aktien-, mit 215 Mrd. Euro auf Renten- und mit 327 Mrd. Euro auf Mischfonds entfällt. 118 Mrd. Euro sind in Immobilienfonds investiert.27 Das Volumen offener Spezialfonds belief sich sogar auf 1.990 Mrd. Euro, wobei 1.974 Mrd. Euro davon in Wertpapieren und Beteiligungen investiert war. Lediglich 115 Mrd. Euro davon waren in Immobilienfonds und 107 Mrd. Euro über Dachfonds investiert.28 Diese Zahlen belegen eindrücklich, welche Relevanz die Investmentbesteuerung hat, auch wenn es bei der überwiegenden Anzahl der Anleger nicht im Fokus der Aufmerksamkeit steht. Demnach hat die grundlegende Neuordnung des InvStG auch eine enorme wirtschaftliche Bedeutung.

Das seit dem 1.1.2018 geltende Investmentsteuerrecht für Investmentfonds, das nach der Vorstellung des Gesetzgebers künftig überwiegend für die Publikumsfonds gelten soll, ist in Kapitel 2 des InvStG kodifiziert und baut auf einer Abkehr vom bislang herrschenden semi-transparenten Besteuerungssystem von Investmentfonds und deren Anlegern auf.29 Der Grundgedanke des bis zum 31.12.2017 geltenden Rechts, den Anleger im Wesentlichen so zu stellen, als hätte er direkt in die von dem Fonds erworbenen Wertpapiere investiert,30 wurde aufgegeben. Die beabsichtigte steuerliche Gleichbehandlung mit einem Direktanleger wurde durch abschließend im InvStG 2004 geregelte „Transparenznormen“ erreicht. Enthielt das InvStG 2004 keine spezialgesetzliche Regelung, wurde keine vollständige Transparenz erzielt. Eine vollständige Gleichstellung mit dem Direktanleger bestand somit, auch wenn dies der Grundgedanke des InvStG 2004 war, ohnehin nicht.31

Stattdessen wurde zum 1.1.2018 ein intransparentes System eingeführt, bei dem der Investmentfonds mit bestimmten Erträgen selbst steuerpflichtig ist, nachdem bereits am 3.3.2011 die Finanzministerkonferenz die enorme Komplexität des Investmentsteuerrechtes festgehalten und daraufhin eine Arbeitsgruppe ←25 | 26→eingesetzt hatte, die ein vereinfachtes Besteuerungssystem entwickeln sollte. Der Entwurf der Arbeitsgruppe sah eine sog. transparente Besteuerung von Investmentvermögen nur noch für Spezialfonds vor, die keine natürlichen Personen als Anteilseigner haben. Publikumsinvestmentvermögen sollten hingegen grundsätzlich einer sog. intransparenten Besteuerung unterliegen.32

Inländische Investmentfonds gelten nun gem. § 6 Abs. 1 S. 1 InvStG als Zweckvermögen nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG, ausländische Investmentfonds gem. § 6 Abs. 1 S. 2 InvStG als Vermögensmassen nach § 2 Nr. 1 KStG. Zusätzlich zur Besteuerung auf Fondsebene erfolgt auch die Besteuerung aller Investmenterträge i. S. v. § 16 Abs. 1 InvStG nach dem neu eingeführten § 20 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 3a EStG auf Anlegerebene. Für diese doppelte Besteuerung der Erträge sieht das Gesetz beim Anleger eine Kompensation durch die neu eingeführte Steuerbefreiung (Teilfreistellung) gem. §§ 20 ff. InvStG vor.

Ferner will der Gesetzgeber bestimmte Anlegergruppen wie bspw. gemeinnützige Stiftungen oder bestimmte Formen der Altersvorsorge nicht belasten33 und hat Befreiungen von der Körperschaftsteuerpflicht auf Fondsebene durch die Regelungen der §§ 8 bis 14 InvStG geschaffen. Hier wird bereits auf Fondsebene entweder vollständig auf den Steuerabzug (§ 10 Abs. 1 InvStG) oder entsprechend dem Anteil der steuerbefreiten Anleger teilweise auf die Abführung der KSt verzichtet bzw. diese den Anlegern erstattet, §§ 8 Abs. 3, 11 Abs. 1 Nr. 3 InvStG.34

Bei Spezial-Investmentfonds i. S. v. § 26 InvStG stehen künftig zwei weitere Besteuerungssysteme zur Auswahl. Übt der Investmentfonds die sog. Transparenzoption nach § 30 Abs. 1 InvStG nicht aus, kommt es ebenso wie bei Investmentfonds zu einer Besteuerung bestimmter Erträge auf Fondsebene. Hier gilt jedoch das bis 31.12.2017 bestehende semi-transparente System mit der Maßgabe fort, dass bereits auf Fondsebene steuerlich belastete Erträge auf Anlegerebene teilweise von der Besteuerung befreit werden.35 Wird die Transparenzoption dagegen ausgeübt, werden dem Anleger die Erträge nach § 31 Abs. 1 S. 1 InvStG direkt zugerechnet. Eine Besteuerung auf Fondsebene erfolgt nicht. Es ist daher keine Kompensation erforderlich.

Der Gesetzgeber hat mit dem InvStG 2018 also nicht nur ein grundlegend neues System der Besteuerung von Investmentfonds und Spezial-Investmentfonds sowie deren Anlegern eingeführt, sondern zur Vermeidung übermäßiger Belastungen mit den §§ 8, 10, 20, 42, 43, 48 und 49 InvStG auch ein neues bislang nicht erforderliches, ausdifferenziertes System von Steuerbefreiungen, das teilweise ←26 | 27→die Regelungen der §§ 3 Nr. 40 EStG und 8b KStG nachempfindet bzw. diese auf Anlegerebene vermittelt.36

Diese Untersuchung behandelt insbesondere diese neuen Steuerbefreiungen im System des Investmentsteuerrechts. Es soll geprüft werden, wie das Zusammenspiel von Steuerpflicht und Steuerbefreiungen funktioniert. Es soll ferner geprüft werden, ob dabei grundlegende Prinzipien des Steuerrechts berücksichtigt wurden. Inkonsistenzen innerhalb des InvStG sollen adressiert und wo erforderlich versucht werden, einen Vorschlag zur Anpassung des InvStG zu formulieren. Dabei sollen insbesondere die tragenden Motive für das InvStRefG als Orientierung dienen, aber auch selbst kritisch hinterfragt werden. Ferner soll untersucht werden, wie sich einzelne Regelungen des InvStG mit höherrangigem Unionsrecht vereinbaren lassen. Abschließend soll eine Einschätzung erfolgen, inwieweit die Ziele des Gesetzgebers erreicht wurden und grundsätzliche Empfehlungen für eine Novellierung des InvStG aufgestellt werden.

Für die Untersuchung wird die Gesetzeslage anhand von Gesetzgebungsmaterialien, verfügbarer Literatur, Verwaltungsanweisungen und Rechtsprechung analysiert, die stetig umfangreicher wird. Die Untersuchung erhebt aufgrund des Umfangs und der Komplexität des InvStG keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern versteht sich lediglich als Beitrag zu einer möglichst konstruktiven Diskussion, bei der die Interessen von Steuerpflichtigen, Kapitalverwaltungsgesellschaften, Verwahrstellen und dem Fiskus miteinander so gut es geht in Einklang gebracht werden.

Details

Seiten
346
ISBN (PDF)
9783631893722
ISBN (ePUB)
9783631893739
ISBN (Hardcover)
9783631882849
DOI
10.3726/b20400
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Januar)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 346 S., 4 s/w Abb., 14 Tab.

Biographische Angaben

Niels Michael Schneider (Autor:in)

Niels Michael Schneider studierte Rechtswissenschaften in Münster und Frankfurt am Main und besitzt die Qualifikation zum Fachanwalt für Steuerrecht. Nach einem Masterstudiengang in London begann er seine berufliche Laufbahn in der steuerlichen Gestaltungsberatung von Unternehmerfamilien und vermögenden Privatpersonen in einer Frankfurter Wirtschaftskanzlei. Seit 2008 arbeitet er im Wealth Management verschiedener Banken und berät UHNWI - Kunden bei der Strukturierung ihres Vermögens. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt in der Beratung zu Spezialfondskonzepten.

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