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Implizite Kollusion im Lichte der Tankstellenmärkte - Defizite im europäischen und deutschen Kartellrecht?

von Franziska Peters (Autor:in)
Dissertation 258 Seiten

Zusammenfassung

Seit einiger Zeit besteht der Vorwurf, dass die Mineralölkonzerne bei der Preissetzung an den deutschen Tankstellen gegen das Kartellrecht verstoßen, indem sie die Preissetzung abstimmen und überhöhte Preise fordern. Allerdings wurde ihr gleichförmiges Verhalten bisher mit dem Phänomen der impliziten Kollusion erklärt und ein Verstoß abgelehnt. Die Autorin untersucht, anhand des deutschen Tankstellenmarktes als Referenzgebiet, ob hinsichtlich einer impliziten Kollusion Defizite im Kartellrecht bestehen. Dazu untersucht sie insbesondere, unter welchen Umständen und denkbaren Modifizierungen das Kartell- und Missbrauchsverbot die implizite Kollusion erfassen könnten. Darüber hinaus findet eine Auseinandersetzung mit der Fusionskontrolle, Entflechtungsmöglichkeiten, sektorspezifischer Regulierung sowie Regelungen zum Preissetzungsverhalten sowie zur Erhöhung der Markttransparenz statt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Erstes Kapitel Vorbemerkungen und Einführung
  • A. Anlass und Relevanz der Untersuchung
  • B. Ziel und Untersuchungsgegenstand
  • Zweites Kapitel Implizite Kollusion auf Oligopolmärkten - die deutschen Tankstellenmärkte als Referenzgebiet
  • A. Grundlagen
  • I. Der Oligopolbegriff
  • II. Die Reaktionsverbundenheit auf oligopolistischen Märkten
  • III. Auswirkungen der Reaktionsverbundenheit auf das Markverhalten - implizite Kollusion
  • 1. Ursprüngliche Oligopolmodelle
  • 2. Spieltheoretische Untermauerung
  • 3. Begriffsbestimmung
  • IV. Folgen impliziter Kollusion für die Marktverhältnisse
  • V. Voraussetzungen impliziter Kollusion und begünstigende Faktoren
  • 1. Oligopolmärkte
  • 2. Auswirkungen von Preissetzungsalgorithmen auf relevante Faktoren für eine implizite Kollusion
  • VI. Möglichkeiten der Beschränkung impliziter Kollusion
  • VII. Zusammenhang mit den Tankstellenmärkten in Deutschland
  • 1. Marktumstände
  • a) Marktabgrenzung
  • b) Vertriebsstruktur
  • c) Die verschiedenen Betreibermodelle sowie die vertraglichen Verhältnisse
  • d) Preishoheit der Mineralölkonzerne
  • e) Machtstrukturen auf den deutschen Tankstellenmärkten
  • 2. Die Preissetzungsmechanismen
  • a) Die Sektoruntersuchung des Bundeskartellamts
  • aa) Allgemeines zur Sektoruntersuchung
  • bb) Die faktische Preispolitik
  • cc) Die Deutung der faktischen Preispolitik durch das Bundeskartellamt
  • dd) Lösungsansätze des Bundeskartellamts für ein überhöhtes Preisniveau
  • b) Neuere Entwicklungen und Erkenntnisse zur Preissetzung
  • VIII. Schutzgegenstand des Kartellrechts
  • 1. Freiburger Schule und Chicago School
  • 2. Ein stärker auswirkungsbasierter Ansatz der Europäischen Kommission und der Gerichte
  • B. Wettbewerbsrechtliche Bewertung und Analyse
  • I. Fusionskontrolle
  • 1. Gemeinsame marktbeherrschende Stellung als Wettbewerbsbeschränkung
  • a) Marktbeherrschung im Allgemeinen
  • b) Die gemeinsame Marktbeherrschung
  • aa) Die gemeinsame Marktbeherrschung im Unionsrecht
  • (1) Gesetzliche Regelung
  • (2) Rechtsprechung
  • (a) 1. Phase: Die Rechtsprechung vor der Entscheidung Flachglas
  • (b) 2. Phase: Die Rechtsprechung im Fall Flachglas und Folgeentscheidungen
  • (c) Die Rechtsprechung in der Sache Airtours
  • (d) Die Rechtsprechung in der Sache Impala
  • bb) Die gemeinsame Marktbeherrschung im deutschen Recht
  • cc) Zusammenfassende Stellungnahme
  • 2. Unzulänglichkeit der Fusionskontrolle
  • II. Kartellverbot
  • 1. Implizite Kollusion als Kartellverstoß
  • a) Abgestimmte Verhaltensweise
  • aa) Allgemeine Definition der abgestimmten Verhaltensweise
  • bb) Implizite Kollusion als abgestimmte Verhaltensweise in der Rechtsprechung
  • (1) Entwicklung in den USA
  • (2) Europarechtliche und nationale Entwicklung
  • (a) Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union
  • (b) Indizwirkung und Plusfaktoren
  • (c) Fazit
  • cc) Stellungnahme zur Rechtsprechung
  • (1) Kein Verbot rationalen Verhaltens
  • (2) Fühlungnahme der Unternehmen
  • (a) Erforderlichkeit einer Fühlungnahme
  • (b) Fühlungnahme im Falle impliziter Kollusion
  • (c) Zusammenfassung
  • (3) Zweistufigkeit der Abstimmung
  • b) Wettbewerbsbeschränkung
  • aa) Allgemeines zur Wettbewerbsbeschränkung
  • bb) Wettbewerbsbeschränkung durch implizite Kollusion
  • c) Potentielle Abhilfemaßnahme im Rahmen des Kartellverbots
  • d) Zusammenfassende Stellungnahme
  • 2. Die Indizwirkung des parallelen Verhaltens und Beweisprobleme
  • a) Allgemeine Ausführungen zu engen Oligopolmärkten
  • b) Indizienbeweis auf einem engen Oligopolmarkt schwer möglich
  • c) Mögliche Erweiterung der Beweislastumkehr
  • aa) Zivilverfahren
  • (1) Grundsätzliche Anwendung auf das Kartellverbot
  • (2) Anwendung bei Vorliegen oligopolistischer Märkte
  • bb) Verwaltungsverfahren
  • cc) Bußgeldverfahren
  • dd) Zusammenfassende Stellungnahme
  • d) Beweisschwierigkeiten bei Parallelverhalten auf Tankstellenmärkten
  • 3. Austausch und Bereitstellen von Informationen als facilitating practice
  • a) Allgemeine Grundlagen
  • b) Bereitstellen von Informationen durch Tankstellenbetreiber und Mineralölunternehmen
  • 4. Zusammenfassende Stellungnahme
  • III. Implizite Kollusion als unlautere geschäftliche Handlung
  • 1. Erfassung durch den FTCA
  • 2. Mögliche Erfassung durch das UWG
  • a) Verhältnis von Lauterkeitsrecht und Kartellrecht im deutschen Recht
  • b) Erfüllung der Generalklausel
  • 3. Zusammenfassende Stellungnahme
  • IV. Missbrauchsverbot nach Art. 102 AEUV bzw. § 19 GWB
  • 1. Gemeinsame marktbeherrschende Stellung
  • a) Gemeinsame Marktbeherrschung im Rahmen des Missbrauchsverbots basierend auf Reaktionsverbundenheit
  • b) Modifikation der Airtours-Kriterien zur gemeinsamen Marktbeherrschung
  • aa) Notwendigkeit der Anpassung der Kriterien
  • bb) Darstellung der angepassten Kriterien
  • c) Notwendigkeit des Nachweises impliziter Kollusion - fehlender Binnenwettbewerb
  • aa) Abgrenzung von bewusstem und wettbewerbsbedingtem Parallelverhalten
  • bb) Nachweisbarkeit fehlenden Binnenwettbewerbs
  • (1) Vertretene Lösungsansätze
  • (2) Stellungnahme
  • 2. Nachweisschwierigkeiten am Beispiel der Tankstellenmärkte
  • a) Vermutung der Marktbeherrschung gemäß § 18 Abs. 6 GWB
  • b) Tatsächliches Vorliegen eines impliziten Parallelverhaltens
  • aa) Marktstrukturtest
  • (1) Gegen eine Reaktionsverbundenheit sprechende Strukturen
  • (2) Für eine Reaktionsverbundenheit sprechende Strukturen
  • (a) Markttransparenz
  • (b) Produkthomogenität
  • bb) Marktverhaltenstest
  • (1) Parallele Preissetzung
  • (a) Mangel an Binnenwettbewerb
  • (b) Abweichendes Verhalten durch Jet
  • (c) Preissenkungen als Ausdruck von Wettbewerb?
  • (d) Bedeutung der Preiszyklen
  • (e) Stellungnahme
  • (2) Wirksamer Abschreckungs- und Sanktionsmechanismus
  • cc) Marktbeherrschung in Form mangelnden Außenwettbewerbs
  • (1) Einschätzung des Bundeskartellamts
  • (2) Stellungnahme
  • c) Zusammenfassende Stellungnahme
  • 3. Missbrauch
  • a) Allgemeines zum Missbrauch einer gemeinsamen marktbeherrschenden Stellung
  • b) Missbrauch aufgrund impliziter Kollusion per se
  • aa) Im Grundsatz nicht ausgeschlossen
  • (1) Rationalität und fehlende Anwendbarkeit des Kartellverbots sprechen nicht gegen einen Missbrauch
  • (2) Gefahr der Fehleinschätzung spricht nicht gegen einen Missbrauch
  • (3) Gleichlauf mit der Fusionskontrolle spricht für einen Missbrauch
  • (4) Fazit
  • bb) Implizite Kollusion als Marktstrukturmissbrauch
  • cc) Implizite Kollusion als Ausbeutungsmissbrauch
  • c) Preishöhenmissbrauch
  • aa) Allgemeines
  • bb) Gesetzliche Regelungen einer ex post-Preishöhenaufsicht
  • cc) Sinnhaftigkeit und Anwendung der ex post-Preishöhenaufsicht
  • (1) Sinnhaftigkeit einer ex post-Preishöhenkontrolle
  • (a) Mögliche negative Effekte einer Preishöhenkontrolle
  • (b) Mögliche positive Effekte einer Preishöhenkontrolle
  • (c) Stellungnahme
  • (2) Sinnhaftigkeit einer Preishöhenkontrolle bei sich häufig ändernden Preisen
  • (3) Kriterien einer ex post- Preishöhenkontrolle
  • (a) Schutzziele des Verbots des Ausbeutungsmissbrauchs
  • (b) Notwendigkeit konkreter Kriterien
  • (c) Bisher aufgestellte relevante Kriterien
  • (d) Stellungnahme
  • dd) Die Bestimmung überhöhter Preise
  • (1) Allgemeines zur Bestimmung überhöhter Preise
  • (2) Anwendungsschwierigkeiten beim Gewinnbegrenzungskonzept
  • (3) Anwendungsschwierigkeiten beim Vergleichsmarktkonzept
  • (4) Anwendungsschwierigkeiten beim Gewinnvergleichskonzept
  • d) Exemplarische Untersuchung eines möglichen Preishöhenmissbrauchs auf den Tankstellenmärkten zu Ferienzeiten
  • aa) Sinnhaftigkeit einer Preishöhenkontrolle auf den Tankstellenmärkten
  • bb) Bewertung anhand des zeitlichen Vergleichsmarktkonzepts
  • (1) Bewertung anhand des ursprünglichen zeitlichen Vergleichsmarktkonzepts
  • (2) Kritik am ursprünglichen Modell
  • (a) Gefahr eines missbräuchlich überhöhten Ausgangspreises
  • (b) Gefahr eines zu niedrigen Ausgangspreises
  • (c) Außerachtlassung preisbildender Faktoren
  • (d) Einschränkung der dynamischen Entwicklung
  • (3) Bewertung unter Berücksichtigung dieser Kritik
  • (a) Erfordernis eines ursprünglichen Wettbewerbsmarkts
  • (b) Berücksichtigung von preisbildenden Faktoren
  • (c) Zusammenfassende Stellungnahme
  • (4) Mögliche Preisspaltung nach § 19 Abs. 2 Nr. 3 GWB
  • e) Missbrauch durch eine hinzutretende Verhaltensweise in Form der facilitating practices
  • aa) Facilitating practices im Allgemeinen
  • (1) Begriffsbestimmung
  • (2) Keine Notwendigkeit eines einheitlichen Verhaltens
  • (3) Keine doppelte Verwendbarkeit der facilitating practice
  • bb) Erhöhung der Transparenz als facilitating practice
  • (1) Allgemeine Überlegungen zur Erhöhung der Transparenz
  • (2) Transparenzverstärkung auf den Tankstellenmärkten
  • (a) Mögliche Verhaltensweisen als facilitating practice
  • (b) Mögliche Kausalität der Verhaltensweise für die Marktbeherrschung
  • (c) Fazit
  • (3) Facilitating Practice durch den Einsatz von Preissetzungsalgorithmen
  • f) Behinderungsmissbrauch
  • aa) Kampfpreisunterbietung
  • bb) Weitere Formen des Behinderungsmissbrauchs
  • 4. Möglichkeit strengerer Missbrauchsvorschriften im Sinne des § 29 GWB
  • a) Allgemeines zu § 29 GWB
  • aa) § 29 S. 1 Nr. 1 GWB
  • bb) § 29 S. 1 Nr. 2 GWB
  • b) Bewertung und mögliche Übertragbarkeit
  • aa) Bewertung der Regelung des § 29 GWB
  • (1) Verstoß gegen Prinzip der freien Preisbildung und Warenverkehrsfreiheit
  • (2) Mögliche negative Auswirkungen auf den Wettbewerb
  • bb) Sinnhaftigkeit des Erlasses einer entsprechenden Regelung für andere Bereiche
  • (1) Gründe für eine Einführung im Gas- und Stromsektor
  • (2) Übertragbarkeit auf andere Bereiche
  • 5. Zusammenfassende Stellungnahme
  • V. Verwaltungsrechtliche Instrumente bei festgestelltem oder vermutetem Verstoß
  • 1. Mögliche Maßnahmen zum Abstellen der Zuwiderhandlung
  • a) Verhaltensbedingte Entflechtung nach Art. 7 VO 1/2003 und § 32 Abs. 2 GWB
  • aa) Allgemeines zur verhaltensbedingten Entflechtung
  • bb) Anforderungen an eine verhaltensbedingte Entflechtung in Folge eines Ausbeutungsmissbrauchs
  • (1) Grundsätzliches Erfordernis der Konnexität
  • (2) Keine Entflechtung bei zulässigem Verhalten
  • (3) Risiko anhaltender oder wiederholter Zuwiderhandlung
  • (4) Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität
  • cc) Mögliche Entflechtung von Mineralölkonzernen
  • (1) Grundsätzliche Möglichkeit einer Entflechtung
  • (2) Besonderheit aufgrund der gemeinsamen Marktbeherrschung
  • (3) Konkrete Ausgestaltung
  • b) Verbot von facilitating practices
  • c) Einschränkung der Preissetzungsfreiheit
  • 2. Bußgeld
  • 3. Verpflichtungszusagen
  • 4. Einstweilige Maßnahmen
  • VI. Gesonderte Instrumente der verstoßunabhängigen Regulierung
  • 1. Sinnhaftigkeit einer verstoßunabhängigen Entflechtung
  • a) Mögliche positive sowie negative Auswirkungen
  • b) Gestaltungsansätze
  • c) Stellungnahme
  • 2. Sektorspezifische Regulierung
  • a) Grundsätzliche Überlegungen zur Sinnhaftigkeit einer sektorspezifischen Regulierung
  • b) Sinnhaftigkeit einer sektorspezifischen Regulierung auf anderen Märkten, insbesondere auf Tankstellenmärkten
  • 3. Regelungen zum Preissetzungsverhalten und zur Erhöhung der Markttransparenz
  • a) Regulierung der Preissetzungsfrequenz
  • b) Bessere Information der Kartellbehörden und Konsumenten über das Marktverhalten der Oligopolisten
  • aa) Erhöhung der Transparenz durch staatliche Anordnung im Allgemeinen
  • bb) Erhöhung der Transparenz durch Einführung der Markttransparenzstelle für Kraftstoffe
  • (1) Einführung der Markttransparenzstelle
  • (2) Mögliche Auswirkungen auf den Wettbewerb
  • (3) Zweifel an der Nutzung durch die Verbraucher
  • (4) Weitere Bedenken hinsichtlich der Wirkung
  • c) Vereinbarkeit der Maßnahmen mit den Grundfreiheiten und der Selbstbelastungsfreiheit
  • d) Ad hoc-Maßnahmen als weiterer Ansatz
  • Drittes Kapitel Zusammenfassung
  • A. Grundsätzliche Erkenntnisse zur Bewertung impliziter Kollusion
  • B. Erkenntnisse hinsichtlich der Tankstellenmärkte
  • I. Interpretation der Beobachtungen über den Markt und das Preissetzungsverhalten im Zusammenhang mit der Frage nach einer gemeinsamen Marktbeherrschung
  • II. Rechtliche Fragen und Probleme bezüglich der Anwendung des Kartellrechts
  • III. Ausblick
  • Literaturverzeichnis

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Erstes Kapitel Vorbemerkungen und Einführung

A. Anlass und Relevanz der Untersuchung

Das europäische und deutsche Kartellrecht, welches grundsätzlich den effektiven Wettbewerb schützen und garantieren soll, stößt bei einem gleichförmigen Marktverhalten von Wettbewerbern, das nicht auf expliziter Kommunikation, sondern auf einer hohen Reaktionsverbundenheit der Unternehmen beruht und stillschweigend geschieht (implizite Kollusion)1, an seine Grenzen. Nach bisheriger Rechtsprechung und Behördenpraxis sowie der Mehrheit der Stimmen in der Literatur stellt ein solches gleichförmiges Verhalten keinen Verstoß gegen das Kartellverbot dar2, obwohl dieses typischerweise zu Marktergebnissen führt wie sie auch bei einer expliziten Kollusion, die vom Kartellverbot umfasst ist, entstehen3. Bisherige Ansätze, diesem Phänomen mit dem Missbrauchsverbot4 oder der Fusionskontrolle5 zu begegnen, lassen die Frage offen, ob das Kartellrecht Defizite im Hinblick auf Marktverhalten beruhend auf impliziter Kollusion aufweist.

Typischerweise kommt es auf Oligopolmärkten häufig zu einem stillschweigenden gleichförmigen Verhalten, weil auf diesen vielfach Marktbedingungen herrschen, die Verhaltenskoordinierungen ohne Kommunikation begünstigen, wie insbesondere eine hohe Transparenz oder eine hohe Produkthomogenität.6 ←21 | 22→Daher behandelt diese Arbeit im Schwerpunkt die implizite Kollusion auf Oligopolmärkten und entwickelt Lösungsansätze für deren Regulierung.

Anlass für die Auseinandersetzung mit der kartellrechtlichen Bewertung von impliziter Kollusion war die Sektoruntersuchung Kraftstoffe des Bundeskartellamts im Jahr 2008 („Sektoruntersuchung“), welche im Jahr 2011 abgeschlossen wurde. Diese befasst sich mit dem Preissetzungsverhalten auf den deutschen Tankstellenmärkten, insbesondere mit der Parallelität des Preissetzungsverhaltens, und geht detailliert auf einzelne kartellrechtliche Aspekte ein. Sie bildet außerdem bislang die Blaupause für Überlegungen einer kartellrechtlichen Regulierung des dort auftretenden, speziellen Wettbewerbsverhaltens.

Die an den deutschen Tankstellen verlangten Kraftstoffpreise sind schon seit vielen Jahrzehnten Gegenstand von öffentlichen, wirtschaftswissenschaftlichen und rechtswissenschaftlichen Diskussionen. Diesen liegt insbesondere die Behauptung zugrunde, die verlangten Preise seien mangels eines funktionierenden Wettbewerbs auf den Tankstellenmärkten überhöht und die Unternehmen würden kartellrechtswidrige Verhaltensweisen in Bezug auf die Preissetzung zeigen.7

Die Preissetzung auf den deutschen Tankstellenmärkten soll deshalb an geeigneten Stellen dazu dienen, allgemeine Überlegungen zu impliziter Kollusion anhand eines Referenzgebiets zu vertiefen. Denn die deutschen Tankstellenmärkte sind ein ideales Referenzgebiet, um die Schwierigkeiten aufzuzeigen, welche sich bei der Erfassung impliziter Kollusion durch das Kartellrecht stellen. Die erwähnte Sektoruntersuchung dient dabei vielfach als Ausgangspunkt.

Doch nicht nur auf Oligopolmärkten kann implizite Kollusion auftreten und zum Thema kartellrechtlicher Diskussionen werden. Die in den letzten Jahren zunehmend verwendeten Preissetzungsalgorithmen können ebenfalls zu einer stillschweigenden (automatisierten) Koordinierung bei der Preissetzung führen.8 Insbesondere könnten Preissetzungsalgorithmen dazu führen, dass sich die kartellrechtlichen Probleme im Zusammenhang mit impliziter Kollusion nun auch auf Märkte ausdehnen, die keine oligopolistischen Strukturen aufweisen.9 ←22 | 23→Dies verstärkt die Notwendigkeit, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen, gegen Marktergebnisse vorzugehen, die auf implizite Kollusion zurückzuführen sind und die nicht den Marktergebnissen bei funktionierendem Wettbewerb entsprechen. So wird die implizite Kollusion weiterhin im Fokus der kartellrechtlichen Auseinandersetzung stehen.

B. Ziel und Untersuchungsgegenstand

Diese Arbeit möchte zunächst Schwierigkeiten und eventuelle Defizite beleuchten, die für das Kartellrecht im Hinblick auf implizite Kollusion durch Unternehmen bestehen, und davon ausgehend mögliche Lösungswege aufzeigen.

Dabei sollen sowohl das Unionsrecht als auch die Rechtsprechung und Behördenpraxis auf EU-Ebene im Mittelpunkt stehen, da nationale Kartellrechte sich diesen zunehmend annähern und eine weitestgehende Konformität bereits besteht. So findet auch eine immer stärkere Anpassung des deutschen Kartellrechts an das Unionsrecht statt. Mit der 7. GWB-Novelle 2005 wurde das deutsche Kartellverbot dem Wortlaut des Art. 101 AEUV angeglichen, sodass nun bis auf die Zwischenstaatlichkeitsklausel Textidentität herrscht.10 Ebenso führten die 6. und 7. GWB-Novellen zu einer gezielten Harmonisierung des Missbrauchsverbots aus § 19 GWB mit Art. 82 EGV (jetzt Art. 102 AEUV).11 Mit der Angleichung geht zwangsläufig auch eine unionsrechtsorientierte Auslegung der Normen einher12, welche jedoch auch Abweichungen nicht gänzlich ausschließt. Für die Auslegung der Regelungen sind neben der Rechtsprechung der Unionsgerichte auch die Verwaltungspraxis der Europäischen Kommission und die von ihr erlassenen Bekanntmachungen und Leitlinien zu berücksichtigen.13 Eine solche unionsrechtsorientierte Auslegung folgt sowohl aus dem Unionsrecht als auch aus dem deutschen Recht selbst.14 Zumindest für das Missbrauchsverbot ←23 | 24→ergibt sich aber aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 VO 1/2003, dass keine vollkommene identische Auslegung angezeigt ist.15 Ob dies auch für das Kartellverbot gilt, ist nicht abschließend geklärt.16

Das deutsche Recht soll dennoch ebenfalls Gegenstand dieser Arbeit sein. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Verhalten auf den deutschen Tankstellenmärkten mangels einer zu erwartenden Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels im Sinne des AEUV nach nationalem Recht zu bewerten ist, da von jeweils regionalen Märkten für Ottokraftstoffe und Dieselkraftstoffe ausgegangen wird.17

Soweit es im Rahmen dieser Arbeit möglich ist, sollen zu diesem Zweck jeweils die nationalen und europäischen Tatbestände zugleich erörtert werden. Bei Unterschieden zwischen beiden werden diese klar herausgearbeitet und der Sachverhalt wird nach beiden Rechtsordnungen getrennt bewertet werden. Bislang möglicherweise noch bestehende Unterschiede zwischen den beiden Rechtssystem sollen so hervorgehoben werden.

Schwerpunkt der Ausführungen ist die implizite Kollusion auf Oligopolmärkten und insbesondere die parallele Preissetzung auf den deutschen Tankstellenmärkten. Es soll hinterfragt werden, ob die Aussage des Bundeskartellamts zutrifft, dass zwar aufgrund des parallelen Preissetzungsverhaltens Schädigungen der Konsumentenwohlfahrt entstünden, aber auf dem klassischen wettbewerbsrechtlichen Weg nur versucht werden könne, mit Hilfe der Fusionskontrolle eine Stärkung der Strukturen ex ante zu vermeiden, die ein solches Verhalten begünstigen, und vertikale Marktmachtmissbräuche strenger zu ahnden18. Dazu soll insbesondere auf das Kartell- und Missbrauchsverbot eingegangen und anhand dessen untersucht werden, unter welchen Umständen und denkbaren Modifizierungen diese Verbote die implizite Kollusion erfassen könnten. Darüber hinaus ←24 | 25→wird eine Auseinandersetzung mit der Fusionskontrolle, dem Lauterkeitsrecht, Entflechtungsmöglichkeiten, sektorspezifischer Regulierung sowie Regelungen zum Preissetzungsverhalten sowie zur Erhöhung der Markttransparenz stattfinden.

Im Rahmen dieser Ausführungen sollen auch die Schlussfolgerungen, die das Bundeskartellamt hinsichtlich des Tankstellenkraftstoffsektors gezogen hat, sowie insbesondere die rechtliche Wertung des Preissetzungsverhaltens durch das Bundeskartellamt hinterfragt werden. Ebenso soll untersucht werden, ob Bemühungen, die Markttransparenz für die Verbraucher zu erhöhen und im umfassenderen Maße Daten durch staatliche Behörden zu sammeln, tatsächlich ein wirksames Instrument darstellen, um Schädigungen der Konsumentenwohlfahrt zu verhindern. Auch hier sollen die in den letzten Jahren entwickelten Maßnahmen hinsichtlich des Tankstellenkraftstoffsektors Erwähnung finden. Seit der Eskalation des Ukrainekrieges Ende Februar 2022 und eines damit verbundenen Anstiegs der Kraftstoffpreise19 sind die Preissetzung an den Tankstellen und mögliche Maßnahmen zur Entlastung der Kunden wieder verstärkt im Fokus der Öffentlichkeit und Politik. Allerdings konnte diese Arbeit die aktuellen Entwicklungen dazu nicht mehr berücksichtigen.

←25 | 26→

1 Siehe zur Begriffsbestimmung und allgemeine Ausführungen zur impliziten Kollusion S. 27ff.

2 z.B. EuGH, Urt. v. 16.12.1975, verb. Rs. 40-48, 50/73 u.a. - Slg 1975, 1663, 1965 - Suiker Unie; EuGH, Urt. v. 14.7.1981, Rs. 172/80 - Slg 1981, 2021, Rn 14 - Züchner; EuGH, Urt. v. 28.5.1998, Rs. C-7/95P - Slg 1998, I-3111, Rn 86-92 - John Deere; EuGH, Urt. v. 14.7.1972, Rs. 48/69 - Slg. 1972, 619 - ICI; Schröter/ Voet van Vormizeele in: Groeben, von der /Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 101 AEUV, Rn. 60, 66; Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, Art. 101 AEUV, Rn. 93; Bechtold/Bosch/Brinker in: Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, Art. 101 AEUV, Rn. 54.

3 Chamberlin, Quarterly Journal of Economics 1929, 63, 66; Petit in: Liannos/Geradin, The Oligopoly Problem in EU Competition Law, S. 4; Enchelmaier, Europäische Wettbewerbspolitik im Oligopol, S. 74.

4 Siehe S. 143ff.

5 Siehe S. 55ff.

6 Siehe S. 28ff.

7 Siehe dazu Bundeskartellamt, Sektoruntersuchung Kraftstoffe - Abschlussbericht Mai 2011, S. 12.

8 Monopolkommission, Hauptgutachten XXII: Wettbewerb 2018, 3.07.2018, Rn. 230; Gal, Competition Policy International, 2017, S. 3f.; Organisation for Economic Co-operation and Development (im Folgenden: „OECD“), Algorithms and Collusion, S. 24; Bundeskartellamt und Autorité de la Concurrence, Papier „Competition Law and Data“, 2016, S. 15.

9 OECD, Algorithms and Collusion, S. 33ff.; Roman, E.C.L.R. 2018, 37, 40.

10 Roth/Ackermann in: Frankfurter Kommentar Band IV, (Lfg. 73), § 1 GWB Rn. 2.

11 Weyer in: Frankfurter Kommentar Band IV, (Lfg. 58), § 19 GWB, Rn. 817; Begr. RegE zur 6. GWB-Novelle, BT-Drs. 13/9720, 1, 30, 36f., 51f.

12 Für § 1 GWB: Roth/Ackermann in: Frankfurter Kommentar Band IV, (Lfg. 73), § 1 GWB, Rn. 2, 17ff.; Bechtold/Bosch in: Bechtold/Bosch, GWB - Kommentar, § 1, Rn. 4; Zimmer in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 1 GWB, Rn. 10; Bundesrat, Stellungnahme v. 9.7.2004, BR-Drs. 441/04, S. 5; für § 19 GWB: Weyer in: Frankfurter Kommentar Band IV, (Lfg. 58), § 19 GWB, Rn. 815ff.

13 Roth/Ackermann in: Frankfurter Kommentar Band IV, (Lfg. 73), § 1 GWB, Rn. 2.

14 Siehe hierzu ausführlich: Roth/Ackermann in: Frankfurter Kommentar Band IV, (Lfg. 73), § 1 GWB Rn. 18-36.

15 Weyer in: Frankfurter Kommentar Band IV, (Lfg. 58), § 19 GWB, Rn. 816.

16 Dafür: Roth/Ackermann in: Frankfurter Kommentar Band IV, (Lfg. 73), § 1 GWB Rn. 36; Dagegen: Fuchs in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 1 GWB, Rn. 18; Bechtold/Bosch in: Bechtold/Bosch, GWB - Kommentar, § 1, Rn. 4.

17 Für eine regionale Abgrenzung: z.B. Bundeskartellamt, Sektoruntersuchung Kraftstoffe - Abschlussbericht Mai 2011, S. S. 46ff.; BKartA, Beschl. v. 29.4.2009, Az. B8-175/08, Rn. 28f. - Total/OMV; BGH, Beschl. v. 6.12.2011, KVR 95/10 - WM 2012, 2111, Rn. 36 - Total/OMV; für eine sachlich getrennte Abgrenzung: Vgl. BKartA, Beschl. v. 7.3.2008, Az. B8-134/07 - Shell/HPV; Vgl. BKartA, Beschl. v. 29.4.2009, Az. B8-175/08, Rn. 21 - Total/OMV; Vgl. Komm., Entsch. v. 9.2.2000, COMP/M. 162, ABl. 2001 L 143/1, Rn. 27 - TotalFina/Elf.

18 Bundeskartellamt, Sektoruntersuchung Kraftstoffe - Abschlussbericht Mai 2011, S. 139.

19 Markttransparenzstelle für Kraftstoffe (MTS-K), Jahresbericht 2021, 12.04.2022 („Jahresbericht 2021“).

Details

Seiten
258
ISBN (PDF)
9783631894002
ISBN (ePUB)
9783631894019
ISBN (Paperback)
9783631885420
DOI
10.3726/b20416
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Dezember)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 258 S.

Biographische Angaben

Franziska Peters (Autor:in)

Franziska Peters studierte Rechtswissenschaften an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, an der auch ihre Promotion erfolgte. Seit dem Abschluss ihres Referendariats am Kammergericht Berlin ist sie als Rechtsanwältin im Kartell- und Wirtschaftsrecht tätig.

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