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Die Reformbedürftigkeit des Lichtbildschutzes nach § 72 UrhG aus rechtsökonomischer Perspektive

von Julia Werner (Autor:in)
©2023 Dissertation 254 Seiten

Zusammenfassung

Infolge der Digitalisierung hat die Verbreitung einfacher Lichtbilder gravierend zugenommen. Damit einhergegangen ist eine Zunahme der Rechtsverfolgung unzulässiger Nutzungen durch Privatpersonen. Der urheberrechtliche Schutz einfacher Lichtbilder ist infolgedessen in die Kritik geraten. Seit Juni 2021 nimmt § 68 UrhG Vervielfältigungen gemeinfreier visueller Werke als Umsetzung von Art. 14 der Richtlinie (EU) 2019/790 (DSM-RL) vom Lichtbildschutz aus.
Die Autorin geht im Rahmen einer rechtsökonomischen Analyse der Frage nach, inwieweit der verbleibende Lichtbildschutz nach § 72 UrhG noch legitimiert ist und entwickelt einen Reformvorschlag. Sie beschäftigt sich zudem mit der Erforderlichkeit der Beschränkung des Lichtbildschutzes durch § 68 UrhG und analysiert die konkrete Umsetzung.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Inhalt
  • Einleitung
  • A. Legitimationskrise des Lichtbildschutzes
  • B. Erkenntnisinteresse der Arbeit und Gang der Untersuchung
  • Teil 1: Status quo – Der Lichtbildschutz nach § 72 UrhG
  • A. Grundlagen des Lichtbildschutzes
  • I. Technische Definition der Lichtbilder und Erzeugnisse, die ähnlich wie Lichtbilder hergestellt werden
  • 1. Analoge Fotografie
  • 2. Digitale Fotografie
  • II. Mindestanforderungen an den Lichtbildschutz
  • 1. Mindestmaß an persönlicher geistiger Leistung
  • 2. Abgrenzung schutzfähiger zu nicht schutzfähigen Reproduktionen
  • a) Schutzfähigkeit von fotografischen Reproduktionen dreidimensionaler Vorlagen
  • b) Schutzfähigkeit von fotografischen Reproduktionen zweidimensionaler Vorlagen
  • aa) Urbilderfordernis
  • bb) Erreichbarkeit des Mindestmaßes an persönlicher geistiger Leistung durch fotografische Reproduktionen zweidimensionaler Vorlagen
  • cc) Kein Schutz von Reproduktionsfotografien gemeinfreier visueller Werke
  • (1) Begriffsverständnis visueller Werke
  • (2) Erfasste Vervielfältigungshandlungen
  • (3) Begriffsverständnis der Gemeinfreiheit des vervielfältigten Werkes
  • (4) Übergangsregelung
  • c) Zusammenfassung
  • B. Anwendungsbereich des Lichtbildschutzes: Die verschiedenen Lichtbildkategorien
  • I. Schnappschussfotografie vs. Hobbyfotografie
  • 1. Schnappschussfotografie im privaten Bereich
  • 2. Hobbyfotografie
  • II. Reproduktionsfotografien musealer Vorlagen
  • III. Produktfotografie
  • IV. Reproduktionsfotografien wissenschaftlicher und technischer Befunde und Erkenntnisse
  • V. Stockfotografie
  • VI. Weitere Einzelfälle
  • Teil 2: Die rechtsökonomische Analyse als Bewertungsmaßstab
  • A. Rechtfertigungsansatz der Anreiz- und Nutzungsoptimierung
  • I. Anreizwirkung als Wohlfahrtsgewinn eines urheberrechtlichen Schutzrechtes
  • II. Unternutzung als Wohlfahrtsverlust eines urheberrechtlichen Schutzrechtes
  • III. Erfordernis eines Ausgleichs von Wohlfahrtsgewinn und Wohlfahrtsverlust
  • B. Eignung des Ansatzes der Anreiz- und Nutzungsoptimierung als Bewertungsmaßstab
  • I. Besondere Eignung für die Analyse der Rechtfertigung von Leistungsschutzrechten
  • II. Besondere Eignung für die Analyse der Rechtfertigung des Lichtbildschutzes nach § 72 UrhG
  • Teil 3: Die rechtsökonomische Legitimation des Lichtbildschutzes nach § 72 UrhG
  • A. Wohlfahrtsgewinn in Form einer Anreizwirkung
  • I. Anreizwirkung des Lichtbildschutzes für die Schaffung von Lichtbildwerken
  • 1. Schutzhöhe des Lichtbildwerkschutzes
  • 2. Auswirkung der Schutzhöhe des Lichtbildwerkschutzes auf die Anreizwirkung des Lichtbildschutzes
  • II. Anreizwirkung des Lichtbildschutzes für die Schaffung von Lichtbildern
  • 1. Historische Entwicklung der Legitimation des Lichtbildschutzes infolge einer Anreizwirkung
  • a) Fotografieschutz vor 1876
  • b) Fotografieschutz 1876 bis 1907
  • c) Fotografieschutz 1907 bis 1965
  • d) Fotografieschutz seit 1965
  • e) Zwischenfazit: Investitionsschutz als Anreiz insbesondere für Berufsfotografen
  • 2. Anreizwirkung des aktuellen Lichtbildschutzes durch Investitionsschutz
  • a) Bestimmung des Investitionsbegriffes
  • aa) Historische Perspektive
  • bb) Systematische Perspektive
  • cc) Zusammenfassung: Investitionsbegriff
  • b) Auswirkung der aktuellen Investitionshöhe und des aktuellen Amortisations- und kommerziellen Verwertungsinteresses auf die Anreizwirkung
  • aa) Schnappschussfotografie im privaten Bereich
  • (1) Investitionshöhe
  • (2) Amortisations- und kommerzielles Verwertungsinteresse
  • (3) Bedeutung des Lichtbildschutzes für die Verwirklichung der mit der Anfertigung verbundenen Interessen
  • (4) Keine Anreizwirkung des Lichtbildschutzes
  • bb) Reproduktionsfotografien urheberrechtlich geschützter musealer Vorlagen
  • (1) Investitionshöhe
  • (2) Amortisations- und kommerzielles Verwertungsinteresse
  • (3) Bedeutung des Lichtbildschutzes für die Verwirklichung der mit der Anfertigung verbundenen Interessen
  • (4) Anreizwirkung
  • cc) Produktfotografie
  • (1) Investitionshöhe
  • (2) Amortisations- und kommerzielles Verwertungsinteresse
  • (3) Bedeutung des Lichtbildschutzes für die Verwirklichung der mit der Anfertigung verbundenen Interessen
  • (4) Keine Anreizwirkung des Lichtbildschutzes
  • dd) Reproduktionsfotografien wissenschaftlicher und technischer Befunde und Erkenntnisse
  • (1) Investitionshöhe
  • (2) Amortisations- und kommerzielles Verwertungsinteresse
  • (3) Bedeutung des Lichtbildschutzes für die Verwirklichung der mit der Anfertigung verbundenen Interessen
  • (4) Keine Anreizwirkung
  • ee) Stockfotografie
  • (1) Investitionshöhe
  • (2) Amortisations- und kommerzielles Verwertungsinteresse
  • (3) Bedeutung des Lichtbildschutzes für die Verwirklichung der mit der Anfertigung verbundenen Interessen
  • (4) Anreizwirkung
  • ff) Weitere Einzelfälle
  • (1) Filmeinzelbilder
  • (2) Satellitenfotografien
  • (3) Luftbildaufnahmen
  • (4) Einfache Pressefotografien
  • (5) Automatenpassbilder und Karteifotografien
  • gg) Zusammenfassung
  • 3. Alternativer gesetzlicher Schutz über das Lauterkeitsrecht
  • a) Schutz vor der Kopie und kommerziellen Nutzung durch Wettbewerber
  • aa) Kein Schutz vor unmittelbarer Leistungsübernahme
  • bb) Schutz vor vermeidbarer Herkunftstäuschung
  • cc) Schutz vor gezielter Behinderung
  • b) Schutz vor der Kopie und anschließenden Entfernung eines Herkunftszeichens zur kommerziellen Nutzung durch Wettbewerber
  • aa) (Kein) Schutz vor unmittelbarer Leistungsübernahme
  • bb) Schutz vor vermeidbarer Herkunftstäuschung
  • cc) Schutz vor gezielter Behinderung
  • c) Ergebnis: Kein alternativer gesetzlicher Schutz über das Lauterkeitsrecht
  • 4. Kein alternativer Schutz über das Vertragsrecht
  • 5. Ergebnis: Teilweise Anreizwirkung des Lichtbildschutzes für die Schaffung von Lichtbildern
  • B. Wohlfahrtsverlust in Form einer Unternutzung
  • I. Besonderer Wohlfahrtsverlust durch den Lichtbildschutz von Schnappschüssen und einfachen Produktfotografien
  • II. Besonderer Wohlfahrtsverlust durch den Lichtbildschutz von Reproduktionsfotografien urheberrechtlich geschützter musealer Vorlagen
  • C. Abwägung von Wohlfahrtsgewinn und Wohlfahrtsverlust
  • I. Investitionsintensive Reproduktionsfotografien urheberrechtlich geschützter musealer Vorlagen
  • II. Stockfotografien, Satellitenfotografien und zu kommerziellen Zwecken erstellte Luftbildaufnahmen
  • III. Weitere Lichtbildkategorien
  • D. Ergebnis zur rechtsökonomischen Legitimation des Lichtbildschutzes nach § 72 UrhG: Legitimationsmangel
  • Teil 4: Die Reform des Lichtbildschutzes nach § 72 UrhG
  • A. Reformansätze
  • I. Abschaffung von § 72 UrhG
  • II. Einschränkung von § 72 UrhG durch das Erfordernis einer wesentlichen Investition
  • III. Bereichsspezifische Abschaffung für Lichtbilder, die nicht berufsmäßig oder im Rahmen wissenschaftlicher oder technischer Tätigkeit hergestellt werden
  • IV. Schranke für die Verwendung in sozialen Medien durch private Nutzer
  • B. Folgenabwägung
  • I. Folgen einer Abschaffung des Lichtbildschutzes nach § 72 UrhG
  • 1. Vorteile einer Abschaffung des Lichtbildschutzes nach § 72 UrhG
  • 2. Nachteile einer Abschaffung des Lichtbildschutzes nach § 72 UrhG
  • II. Folgen einer Einschränkung des Lichtbildschutzes nach § 72 UrhG durch das Erfordernis einer wesentlichen Investition
  • 1. Vorteile einer Einschränkung des Lichtbildschutzes nach § 72 UrhG durch das Erfordernis einer wesentlichen Investition
  • 2. Nachteile einer Einschränkung des Lichtbildschutzes nach § 72 UrhG durch das Erfordernis einer wesentlichen Investition
  • III. Folgen einer bereichsspezifischen Abschaffung für Lichtbilder, die nicht berufsmäßig oder im Rahmen wissenschaftlicher oder technischer Tätigkeit hergestellt werden
  • 1. Vorteile einer bereichsspezifischen Abschaffung für Lichtbilder, die nicht berufsmäßig oder im Rahmen wissenschaftlicher oder technischer Tätigkeit hergestellt werden
  • 2. Nachteile einer bereichsspezifischen Abschaffung für Lichtbilder, die nicht berufsmäßig oder im Rahmen wissenschaftlicher oder technischer Tätigkeit hergestellt werden
  • IV. Folgen einer Schranke für die Verwendung in sozialen Medien durch private Nutzer
  • 1. Vorteile einer Schranke für die Verwendung in sozialen Medien durch private Nutzer
  • 2. Nachteile einer Schranke für die Verwendung in sozialen Medien durch private Nutzer
  • C. Abwägung der Folgen
  • D. Reform des Anwendungsbereiches: Einschränkung durch die Erfordernisse einer Anfertigung durch einen Berufsfotografen und einer wesentlichen Investition sowie Einführung einer Schrankenbestimmung für die private und wissenschaftliche Nutzung
  • I. Einschränkung des Anwendungsbereiches von § 72 UrhG durch das Erfordernis einer wesentlichen Investition und der Anfertigung durch einen Berufsfotografen
  • 1. Definition einer wesentlichen Investition
  • a) Investition
  • b) Wesentlichkeit der Investition
  • 2. Kennzeichnungspflicht
  • 3. Rechteinhaberschaft
  • II. Einführung einer Schrankenbestimmung für die private und wissenschaftliche Nutzung
  • E. Reform auf urheberpersönlicher Ebene
  • I. Bisherige Kritik am Umfang des Namensnennungsrechts nach § 13 UrhG
  • II. Bisherige Kritik an der Höhe des Schadensersatzanspruches im Fall einer Verletzung des Namensnennungsrechts aus § 13 UrhG
  • III. Vergleich zum beschränkten Namensnennungsrecht von Lichtbildnern in Österreich
  • IV. Auswirkungen einer Einschränkung durch das Erfordernis einer Anfertigung durch einen Berufsfotografen und einer wesentlichen Investition
  • F. Reform der Schutzdauer
  • I. Kritik an der Schutzdauer für Lichtbilder
  • II. Rechtsökonomische Rechtfertigung der Begrenzung der urheberrechtlichen Schutzdauer
  • III. Rechtsökonomische Kriterien für die Bestimmung einer angemessenen Schutzdauer
  • IV. Angemessene Schutzdauer für den Schutz von Lichtbildern, deren Anfertigung durch Berufsfotografen mit einer wesentlichen Investition verbunden ist
  • Teil 5: Die rechtsökonomische Notwendigkeit der Einschränkung des Lichtbildschutzes durch Art. 14 DSM-RL und der Umsetzung in § 68 UrhG
  • A. Wohlfahrtsgewinn des Lichtbildschutzes von Reproduktionsfotografien gemeinfreier visueller Werke in Form einer Anreizwirkung
  • I. Investitionshöhe
  • II. Amortisations- und kommerzielles Verwertungsinteresse
  • III. Bedeutung des Lichtbildschutzes für die Verwirklichung der mit der Anfertigung verbundenen Interessen
  • IV. Anreizwirkung
  • 1. Ausgleich der etwaigen Produktionsverringerung durch Fotografien der Allgemeinheit
  • a) Entgegenstehendes Fotografierverbot in allgemeinen Geschäftsbedingungen
  • b) Entgegenstehender Unterlassungsanspruch der Museen aus Eigentum
  • c) Ergebnis: Kein Ausgleich der etwaigen Produktionsverringerung durch Fotografien der Allgemeinheit
  • 2. Rückgang der Produktion
  • B. Wohlfahrtsverlust des Lichtbildschutzes von Reproduktionsfotografien gemeinfreier visueller Werke in Form von Unternutzung
  • I. Beschränkung der Allgemeinheit in ihrer Nutzung
  • 1. Beschränkung der Allgemeinheit in ihrer Nutzung der Reproduktionsfotografien
  • 2. Beschränkung der Allgemeinheit in ihrer Nutzung der gemeinfreien Originalwerke durch den Schutz der Reproduktionsfotografien
  • II. Erleichterung der Nutzung für die Allgemeinheit durch die Abschaffung des Lichtbildschutzes für Reproduktionsfotografien gemeinfreier visueller Werke
  • 1. Erleichterter Zugang zu den Originalwerken und erleichterte Nutzung
  • 2. Erleichterte Nutzung der Reproduktionsfotografien
  • III. Keine ausreichende Erleichterung durch die erweiterte Zitierbefugnis nach § 51 Satz 3 UrhG
  • C. Abwägung von Wohlfahrtsgewinn und Wohlfahrtsverlust: Rechtsökonomische Notwendigkeit der Einschränkung des Lichtbildschutzes durch Art. 14 DSM-RL und der Umsetzung in § 68 UrhG
  • Teil 6: Zusammenfassung der Ergebnisse
  • A. Anwendungsbereich
  • B. Legitimation und Reformbedürftigkeit des aktuellen Lichtbildschutzes nach § 72 UrhG
  • C. Rechtsökonomische Notwendigkeit der Einschränkung des Lichtbildschutzes durch Art. 14 DSM-RL und die Umsetzung in § 68 UrhG
  • D. Reformvorschläge
  • Literaturverzeichnis

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Einleitung

A. Legitimationskrise des Lichtbildschutzes

Der Lichtbildschutz in Deutschland befindet sich in einer „Legitimationskrise“.1

Die Zahl einfacher Lichtbilder hat innerhalb der letzten Jahrzehnte drastisch zugenommen.2 Dies ist auf die Entwicklung der technischen Möglichkeiten infolge der Digitalisierung zurückzuführen.3 Es ist zu einem „pictorial turn4/„iconic turn5 gekommen, Bilder ersetzen zunehmend das Wort.6 Die Digitalfotografie ist zu einem Massenmedium geworden.7 Gleichzeitig bietet das Internet einen vereinfachten Zugang zu etlichen dieser Fotografien und erleichtert deren Kopie und Verbreitung.8 Dadurch hat auch die unzulässige Nutzung als Lichtbilder geschützter Fotografien zugenommen.9 Mit nur einem Mausklick oder einem Tippen ist die Verletzung des Leistungsschutzrechts begangen.10 Die Verbreitung der Lichtbilder kann eine Eigendynamik entwickeln,11 die zu zahlreichen Rechtsverletzungen führt. Ebenso leicht können derartige Rechtsverletzungen ermittelt und dokumentiert werden.12 Darauf folgen Abmahnungen und gerichtliche Streitigkeiten.13 Urheberrechtliche Streitigkeiten in der gerichtlichen und anwaltlichen Praxis beziehen sich häufig auf die Verwendung ←21 | 22→fremder Fotografien.14 Die Google-Bildersuche macht es den Rechteinhabern leicht, entsprechende Rechtsverletzungen zu recherchieren.15 Die Verfolgung solcher Rechtsverletzungen hat sich zu einem Geschäftsmodell entwickelt, dessen Grundlage letztlich nicht nur die Verpflichtung des Verletzers zu einer Schadensersatzzahlung an den Lichtbildner, sondern auch die Generierung von Abmahnkosten ist.16 Neben der zunehmenden Verunsicherung auf Nutzerseite fehlt vielen noch immer ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein.17

Gegenstand der Abmahnungen und gerichtlichen Streitigkeiten sind mittlerweile vielfach einfachste Lichtbilder, deren Anfertigung auf den ersten Blick weder mit einem hohen technischen noch mit einem hohen finanziellen Aufwand verbunden ist.18 Diese werden mithilfe von digitalen Kameras inzwischen täglich millionenfach erstellt.19 Gemeint sind vor allem einfache „Knipsbilder“.20 Smartphones ermöglichen die Anfertigung von Fotografien zu Zeiten und Orten der Wahl des Anwenders ohne wesentlichen Kostenaufwand.21 Ausreichend ist ein kurzes Betätigen.22 Die Geltendmachung von Ansprüchen wird vielfach auf die unzulässige Verwendung von einfachen Produktfotografien zur Illustration von Verkaufsangeboten gestützt.23

Es droht zunehmend ein Akzeptanzverlust des Urheberrechts seitens der Allgemeinheit.24 Der Lichtbildschutz in seiner aktuellen Form wird als Ausdruck dieser „Legitimationskrise25 des Urheberrechts bezeichnet.26 Teilweise wird daher für eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des Lichtbildschutzes ←22 | 23→plädiert.27 Einige Stimmen fordern gar eine Abschaffung des Lichtbildschutzes.28 Angeführt wird, dass sich die tatsächlichen Gegebenheiten, die einst die Grundlage der Rechtfertigung eines Lichtbildschutzes gewesen seien, geändert hätten.29 Der Gesetzgeber von 1965 habe einfachen Lichtbildern in einer Zeit, in der die Fotografien noch mit analogen Kameras aufgenommen worden seien und die Verbreitung noch von persönlichen Treffen oder der postalischen Versendung abhängig gewesen sei, einen urheberrechtlichen Leistungsschutz eingeräumt.30 Die Nutzungsmöglichkeiten und das Nutzungsinteresse seien geringer gewesen.31 Einfache Lichtbilder ließen sich mittlerweile ohne großen Aufwand und ohne nennenswerte Kosten anfertigen.32 Der Investitionsschutz könne nicht mehr zur Rechtfertigung eines urheberrechtlichen Schutzes einfacher Fotografien herangezogen und dadurch zur Grundlage für die Verfolgung von durch Privatpersonen begangenen Rechtsverletzungen gemacht werden.33 Es sei fraglich, ob ein Anreiz in Form des Lichtbildschutzes zur Anfertigung von einfachen Lichtbildern noch notwendig sei.34 Gleichzeitig sei mit dem aktuellen Lichtbildschutz eine zu reduzierende Rechtsunsicherheit verbunden.35

Im Juni 2021 ist der Anwendungsbereich des Lichtbildschutzes durch § 68 UrhG als Umsetzung von Art. 14 der Richtlinie (EU) 2019/790 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG (im Folgenden DSM-RL) bereits beschränkt worden.36 Danach sind

←23 | 24→

„Vervielfältigungen gemeinfreier visueller Werke […] nicht durch verwandte Schutzrechte […] geschützt“.

Bezüglich Reproduktionsfotografien gemeinfreier Vorlagen war bereits vorher von Teilen der Literatur eine teleologische Reduktion befürwortet worden.37 Der Bundesgerichtshof hatte allerdings zuletzt Ende 2018 die Erforderlichkeit einer solchen teleologischen Reduktion abgelehnt.38 In die Kritik geraten war der Schutz entsprechender Fotografien infolge der Annahme, dass dadurch die Gemeinfreiheit unterlaufen werde.39 So sei die kommerzielle Verwertung gemeinfreier Werke ermöglicht worden.40

In der Schweiz ist hingegen nach jahrelangen Verhandlungen erst vor kurzer Zeit ein Lichtbildschutz eingeführt worden.41 Von der Fotografenlobby gewollt war ein Schutz nach deutschem Vorbild,42 wenngleich die Umsetzung systematisch von dem zweigliedrigen Aufbau des Urheberrechtsgesetzes abweicht. Dort gelten fotografische Wiedergaben nun nach Art. 2 Abs. 3bis URG als Werke, „auch wenn sie keinen individuellen Charakter haben“. Verfechter des Lichtbildschutzes hatten angeführt, dass „nüchterne[…]“ Abbildungen teilweise „höher“ zu bewerten seien als künstlerische fotografische Gestaltungen.43 Kritisiert worden war, dass sowohl Anwälten als auch Richtern zu großer Interpretationsspielraum geboten worden und dadurch Rechtsunsicherheit entstanden sei.44 Begründet wurde die Einführung des Lichtbildschutzes letztlich damit, dass Fotografien „jeglichen Charakters“ das gesellschaftliche Leben dokumentierten und dadurch eine wichtige gesellschaftliche Funktion übernähmen.45 Auch ←24 | 25→diese Fotografien könnten über einen wirtschaftlichen Wert verfügen.46 Durch den Lichtbildschutz solle eine „value gap47 geschlossen werden.48 So würden Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit geschaffen.49 In Anbetracht der leichten Übernehmbarkeit von Fotografien infolge neuer technischer Möglichkeiten und der Möglichkeiten des Internets sei den Fotografen ein Einkommen zu sichern.50

Auch Teile der deutschen Literatur betonen, dass der Lichtbildschutz noch immer eine Rechtfertigung durch den Schutz derjenigen Lichtbilder erfahre, deren Anfertigung den Einsatz immenser finanzieller und technischer Mittel erfordere und mit großem Aufwand verbunden sei.51 Ein solcher Aufwand wird insbesondere noch für Lichtbilder angenommen, die von Berufsfotografen angefertigt werden.52 Für die Anfertigung einiger Lichtbilder könnte daher die Setzung eines gesetzlichen Anreizes weiterhin erforderlich und dadurch gerechtfertigt sein.53 Möglicherweise ist der gesetzliche Schutz dieser Lichtbilder gerade infolge des vereinfachten Zugangs und der vereinfachten Nutzung erforderlich.

B. Erkenntnisinteresse der Arbeit und Gang der Untersuchung

Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit besteht darin, die Legitimation des Lichtbildschutzes in seiner aktuellen Fassung zu überprüfen. Erarbeitet wird, ←25 | 26→inwieweit es dem Lichtbildschutz nach § 72 UrhG in seiner aktuellen Fassung an einer Rechtfertigung fehlt und in welchem Umfang der Lichtbildschutz noch gerechtfertigt ist. Anknüpfend an dieses Ergebnis werden verschiedene Reformmöglichkeiten abgewogen. Sofern sich eine Reform als erforderlich herausstellt, soll ein Reformvorschlag entwickelt werden, der dem mit Blick auf die Legitimation erarbeiteten Ergebnis angemessen Rechnung trägt und die Interessen von Lichtbildnern und Nutzern in einen bestmöglichen Ausgleich bringt.

Darüber hinaus ist Ziel der Arbeit, die Legitimation der Ausnahme von Fotografien gemeinfreier visueller Vorlagen aus dem Lichtbildschutz durch § 68 UrhG zu überprüfen. Untersucht wird die Erforderlichkeit der dadurch erfolgten Beschränkung des Anwendungsbereichs des Lichtbildschutzes. Zudem wird eine Analyse der konkreten Umsetzung des Art. 14 DSM-RL durch § 68 UrhG im Hinblick auf einen möglichst optimalen Ausgleich der Interessen der Betroffenen angestrebt.

Es erscheint zweckmäßig, dafür zunächst in Teil 1 die Voraussetzungen für den Lichtbildschutz zu erläutern, den Anwendungsbereich des Lichtbildschutzes einzugrenzen und einen Überblick über die verschiedenen Lichtbildkategorien zu geben. Im Anschluss daran wird in Teil 2 die rechtsökonomische Analyse als Bewertungsmaßstab für die Rechtfertigung eines urheberrechtlichen Schutzrechtes erläutert. Dargestellt wird der Ansatz der Anreiz- und Nutzungsoptimierung, nach dem die Rechtfertigung urheberrechtlichen Schutzes darin liegt, einen unmittelbaren Anreiz zur Schaffung neuer Werke zu setzen.54 Es folgt die Begründung der besonderen Eignung dieses Ansatzes für eine Analyse der Rechtfertigung des Lichtbildschutzes. In Teil 3 wird der Ansatz der Anreiz- und Nutzungsoptimierung auf den Lichtbildschutz nach § 72 UrhG angewandt und dessen Legitimation aus rechtsökonomischer Perspektive geprüft. Dafür werden zunächst der mit dem Lichtbildschutz nach § 72 UrhG verbundene Wohlfahrtsgewinn und der sich daraus ergebende Wohlfahrtsverlust erarbeitet. Ein Wohlfahrtsgewinn könnte sich aus einer mit dem Lichtbildschutz verbundenen Anreizwirkung ergeben. In einem ersten Schritt wird überprüft, ob von ←26 | 27→dem Lichtbildschutz ein Anreiz zur Anfertigung von Lichtbildwerken ausgeht. Nachfolgend wird die Anreizwirkung des Lichtbildschutzes hinsichtlich der Anfertigung von Lichtbildern untersucht. Dafür wird zunächst die historische Entwicklung der Legitimation des Lichtbildschutzes infolge einer Anreizwirkung als Vergleichsgrundlage erarbeitet. Insbesondere wird der Zusammenhang des Erfordernisses von Investitionen sowie der Möglichkeit einer Amortisation und kommerziellen Verwertung und der Anreizwirkung des urheberrechtlichen Schutzes von Fotografien dargestellt. Im Anschluss daran werden die Investitionshöhe und die mit der Anfertigung der einzelnen Lichtbildkategorien verbundenen Interessen als Grundlage für eine Prognose hinsichtlich des Anreizes des Lichtbildschutzes erarbeitet. Erwogen wird zudem ein alternativer gesetzlicher Schutz über das Lauterkeitsrecht. In Bezug auf den Wohlfahrtsverlust ist auf die Auswirkungen der Beschränkung der Allgemeinheit in der freien Nutzbarkeit der Lichtbilder einzugehen. Im Rahmen einer Abwägung des aktuell bestehenden Wohlfahrtsgewinns und Wohlfahrtsverlusts soll eine abschließende Aussage hinsichtlich des Ausmaßes der (fehlenden) Legitimation des aktuellen Lichtbildschutzes getroffen werden. In dem sich anschließenden Teil 4 werden verschiedene Reformvorschläge gegenübergestellt. Im Rahmen einer Folgenabwägung werden die Vor- und Nachteile der jeweiligen Reformvorschläge benannt. Durch eine Bewertung der Folgen wird ein Reformvorschlag entwickelt. Dieser ist nicht nur auf den Anwendungsbereich des Lichtbildschutzes beschränkt, sondern umfasst auch das Namensnennungsrecht sowie die Schutzdauer. In Teil 5 wird schließlich die Notwendigkeit der Beschränkung des Anwendungsbereiches des Lichtbildschutzes durch § 68 UrhG als Umsetzung von Art. 14 DSM-RL überprüft. Dafür werden der Wohlfahrtsgewinn und der Wohlfahrtsverlust des vorherigen lichtbildnerischen Schutzes von fotografischen Vervielfältigungen gemeinfreier visueller Werke erarbeitet und abgewogen. Analysiert wird zudem die konkrete Umsetzung des Art. 14 DSM-RL durch den deutschen Gesetzgeber. Die Zusammenfassung der Ergebnisse erfolgt in Teil 6.

←27 | 28→

1 Apel, in: FS Vogel, 205 (216 f.); ähnlich Schack, in: FS Wandtke, 9 (9 ff.).

2 Apel, in: FS Vogel, 205 (216); Overbeck, 65, 71.

3 Apel, in: FS Vogel, 205 (216); Overbeck, 65, 71.

4 Mitchell, Picture Theory, 11; Mitchell, Art Forum 1992, 89 (89 ff.); vgl. Boehm, in: Belting, Bilderfragen, 27 (27, 31, 34); vgl. Mitchell, in: Belting, Bilderfragen, 37 (39 ff.); vgl. Sachs-Hombach, 9. Weiterführend Maar/Burda.

5 Boehm, in: Boehm, Was ist ein Bild?, 11 (13); vgl. Boehm, in: Belting, Bilderfragen, 27 (27, 29, 32, 34, 36); vgl. Sachs-Hombach, 9. Weiterführend Maar/Burda.

6 Flechsig, in: VFF Verwertungsgesellschaft der Film- und Fernsehproduzenten mbH, Urheberrecht im Wandel der Zeit, 91 (106).

7 Apel, in: FS Vogel, 205 (205); Overbeck, 71.

8 Apel, in: FS Vogel, 205 (216); Hansen, 69; Lerach, in: DSRI-Tagungsband 2012, 175 (175); Overbeck, 1; Schiessel, 248, 253.

9 Lerach, in: DSRI-Tagungsband 2012, 175 (175); Overbeck, 1; Schiessel, 251; vgl. Ohly, 36.

10 Schiessel, 254.

11 Apel, in: FS Vogel, 205 (216).

12 Schiessel, 254.

13 Apel, in: FS Vogel, 205 (205); Schiessel, 252.

14 Forch, GRUR-Prax 2016, 142 (142); Fortmeyer, Anm. zu OLG Braunschweig – 2 U 7/11, MMR 2012, 332 (332); Lerach, in: DSRI-Tagungsband 2012, 175 (175); Schneider, CR 2016, 37 (37); vgl. Schneider, in: DSRI-Tagungsband 2015, 581 (581).

15 Schiessel, 251.

16 Bleich, c’t 1/2010, 154 (154); Schiessel, 249.

17 Lerach, in: DSRI-Tagungsband 2012, 175 (175 f.); Ohly, 36.

18 Lerach, in: DSRI-Tagungsband 2012, 175 (190); vgl. Klimpel/Rack, RuZ 2020, 243 (257).

19 Apel, in: FS Vogel, 205 (217); Overbeck, 65.

20 Apel, in: FS Vogel, 205 (221); Klimpel/Rack, RuZ 2020, 243 (257).

21 Klimpel/Rack, RuZ 2020, 243 (248).

22 Overbeck, 138; Schiessel, 253 f.

23 Apel, in: FS Vogel, 205 (216); Ohly, 36 f.; vgl. Schack, in: FS Wandtke, 9 (11); vgl. Schneider, in: DSRI-Tagungsband 2015, 581 (585).

24 Apel, in: FS Vogel, 205 (217); Hansen, 71; Metzger, GRUR Int. 2006, 171 (172); Raue, GRUR 2017, 11 (12); vgl. Leistner/Hansen, GRUR 2008, 479 (479).

25 Apel, in: FS Vogel, 205 (216); Hansen, 1; Leistner/Hansen, GRUR 2008, 479 (479); Schack, in: FS Wandtke, 9 (9).

26 Apel, in: FS Vogel, 205 (216 f.); Schack, in: FS Wandtke, 9 (9 ff.).

Details

Seiten
254
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631888704
ISBN (ePUB)
9783631888711
ISBN (MOBI)
9783631888728
ISBN (Hardcover)
9783631888551
DOI
10.3726/b20137
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Februar)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 254, S.

Biographische Angaben

Julia Werner (Autor:in)

Julia Werner studierte Rechtswissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit Schwerpunkt im Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht sowie an der Háskólinn á Akureyri. Im Anschluss war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht in Münster tätig. Ihr Referendariat absolviert sie im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm.

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256 Seiten