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Roboter aus lese- und literaturdidaktischer Perspektive

von Wolfgang Jäger (Band-Herausgeber:in) Julia Sander (Band-Herausgeber:in)
©2024 Sammelband 310 Seiten

Zusammenfassung

Roboter finden sich zunehmend im Bildungsbereich, auch in der Leseförderung, und sie sind als Figuren in kinder- und jugendliterarischen Texten hochpräsent. Darauf reagiert dieser Band – er führt Analysen von Robotern in Literatur und weiteren Medien mit Beiträgen zu Projekten angewandter Robotik zusammen. Auf diese Weise ermöglicht er eine multiperspektivische Reflexion von Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Robotern in Lernkontexten. Es wird das Desiderat einer kritischen Roboterdidaktik deutlich, die auf eine ganzheitlichere Betrachtung von Robotern in Lernkontexten zielt. Der Band entwickelt Perspektiven dafür und betont dabei die Relevanz lese- und literaturdidaktischer Forschung zur Förderung von Critical Literacy im Umgang mit Robotern – inner- wie außerliterarisch.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Roboter aus lese- und literaturdidaktischer Perspektive. Ein Beitrag zu einer kritischen Roboterdidaktik
  • Rationalisierungsmaschine oder egalitärer Tutor? Zur Imaginationsgeschichte der ‚Teaching-Machine‘
  • Klara lernt. Aus den Aufzeichnungen eines humanoiden Roboterkindes: Ein Beitrag zu Deutungen von Mensch-Maschinen-Verhältnissen
  • Total (un)logisch! – Wissen und Lernen in Robotergeschichten für Kinder
  • Von Freundschaftsgeschichten und Alterität – Humanoide Roboter im Alltag der kindlichen Akteur:innen und ihre Chancen für den Literaturunterricht
  • „In früher Jugend war er ein paar Weihnachten hindurch ein Hampelmann gewesen“ – Zum Leben erwecktes mechanisches Spielzeug in E.T.A. Hoffmanns Nußknacker und Mausekönig (1816) und Disneys Der Nussknacker und die vier Reiche (2018)
  • Zwischen Descartes und Searle: Karl Olsbergs Jugendroman Boy in a White Room im Deutsch- und Ethikunterricht der oberen Mittelstufe
  • Jenseits der Norm oder wenn KI Nachteile zu Vorteilen macht: Diversitätsdiskurse in Daniel H. Wilsons Roman Das Implantat
  • Robo emoticus – Wie Kinder ihre eigenen Gefühle kennenlernen, indem sie Roboter als Gefühlslernende begleiten und von ihnen begleitet werden (in Literatur und Film)
  • Lesende Roboter im Film. Lese- und literaturdidaktische Potenziale am Beispiel von Der Gigant aus dem All (1999), Astro Boy – Der Film (2009) und Space Sweepers (2021)
  • „Input, mehr Input!“ – Potenziale von Robotern für die Leseförderung
  • Roboter hört mit – LautLesen 4.0: Neue Wege der Leseförderung und Medienbildung aus der Stadtbücherei Frankfurt
  • Humanoide Roboter in der Bildung. Ein Interview mit Prof. Dr. Jürgen Handke
  • How to – Einsatz humanoider Roboter in der Schulbildung
  • Autor:innen

Wolfgang Jäger / Julia Sander

Roboter aus lese- und literaturdidaktischer Perspektive. Ein Beitrag zu einer kritischen Roboterdidaktik

Abstract: The relationship between humans and robots is close, ambiguous and ambivalent – literary media as well as cultural studies and everyday discussions have long been evidence of this. In response to the high presence of robots in education, this article first compiles research on the use of robots in learning contexts with a focus on reading. It then develops perspectives for critical robot didactics based on research on critical robotics. On this basis, it suggests categories and questions for the literary didactic analysis of children’s and youth media about robots with regard to learning contexts that aim to promote critical literacy.

Keywords: educational robots, critical robotics, reading promotion, children’s and young adult fiction, critical literacy

1. Roboter im Bildungsbereich

Eine enge Beziehung zwischen Mensch und Roboter wird schon in Begriffen deutlich, wenn letztere als Humanoide, Androide oder „Robo Sapiens“ (C. Robert Cargill 2017) bezeichnet werden oder wenn mit Bezug auf das Lesenlernen davon gesprochen wird, dass im Anschluss an das Synthetisieren durch die Aneinanderreihung von Einzellauten zunächst eine „Robotersprache“ produziert werde (Rautenberg 2019, S. 63). So eng die Beziehung, so vieldeutig und ambivalent – davon zeugen seit langem literarische Medien ebenso wie kulturwissenschaftliche und alltägliche Diskussionen. Antwortend auf die hohe Präsenz von Robotern im Bildungsbereich, stellt dieser Beitrag zuerst Forschung zum Einsatz von Robotern in Lernkontexten (des Lesens) zusammen. Anschließend entwickelt er ausgehend von der Forschung zu critical robotics Perspektiven einer kritischen Roboterdidaktik. Auf dieser Basis schlägt er im Hinblick auf Lernkontexte, die auf die Förderung von critical literacy zielen, Perspektiven und Fragen für die literaturdidaktische Auseinandersetzung mit Kinder- und Jugendmedien über Roboter vor.

Roboter finden sich zunehmend in unterschiedlichen Lernkontexten: Die Vorleseeule Luka und der Lesebär SAMi werden als Produkte für die (private) Leseförderung verkauft (s. Vogel i.d.Bd.; vgl. Zhao/McEwen 2022). Die humanoiden Roboter NAO und Pepper kommen in Leseförderprojekten von Bibliotheken zum Einsatz (s. Prasch i.d.Bd.; vgl. Schmiederer 2019). In deutschen Schulen und außerschulischen Makerspaces finden sich mittlerweile neben NAOs häufig kleinere Roboter wie der Bee- und Blue-Bot, Dash, Dot, Ozobot sowie LEGO Mindstorms, die sich nach dem Baukastenprinzip zusammensetzen und individuell programmieren lassen. Diese Roboter werden häufig unter den Schlagwörtern Robotik und Coding, in der Schule im Fach Informatik oder verwandten Angeboten, wie Roboter-AGs, eingesetzt. In der Stadt Marburg und im Landkreis Marburg-Biedenkopf ist 2023 das Robotikum in Schulen curricular verankert worden (vgl. Jäger/Sander und Zeaiter i.d.Bd.). Auch in MINT-Fächern wird Robotik vermehrt eingesetzt.

Ausgehend von dieser kursorischen Umschau kann nicht nur zwischen verschiedenen Arten von Robotern unterschieden werden – von günstigen, einfachen Bildungsrobotern zum Einüben erster Programmierfähigkeiten bis zu teuren, humanoiden Robotern, die halbautonom oder autonom mit Menschen kommunizieren und physisch interagieren (vgl. Bendel 2021) –, sondern auch zwischen unterschiedlichen Rollen und Funktionen in Lernkontexten: Roboter können als Werkzeuge / Lernmittel genutzt werden oder als verkörperte soziale Akteure, als Lehrende / Wissensvermittler bzw. Assistent:innen, als Tutor:innen bzw. Tutanden / Novizen, die etwas von Schüler:innen lernen, oder als Peers für Lernende (vgl. Mubin et al. 2013, S. 3–4; Alnajjar et al. 2021, S. 73 f.; Jäger/Sander i.d.Bd.).

Im Hinblick auf die Ziele einer Bildung in der digitalen Welt (KMK 2017 und 2021) können durch das Lernen mit Robotern und über sie Kompetenzen vermittelt werden zur „Bewältigung und Gestaltung von Lebens- bzw. Arbeitsprozessen“ in der derzeitigen und zukünftigen Kultur der Digitalität (KMK 2021, S. 3; vgl. Zeaiter i.d.Bd.). Beim Einsatz von Robotern im Bildungsbereich wird zumeist auf die Bereiche „Kommunizieren und Kooperieren“ sowie „Problemlösen und Handeln“ verwiesen. Grundlegendes Ziel dabei sei der Erwerb informations- und computerbezogener Kompetenzen im Sinne einer sogenannten ICT-Literacy (vgl. JISC 2014)1 und damit die Teilhabe in einer technisierten Gesellschaft. Wie an Schulen bleibt auch an der Hochschule die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in der Robotik bisher meist auf die technischen Fachbereiche beschränkt. Im deutschsprachigen Raum findet eine intensive Auseinandersetzung mit Robotern in Lernkontexten bisher vereinzelt statt: An der TH Wildau im RoboticLab im Studiengang Telematik wie auch im Robo-Lab der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) werden in verschiedenen Projekten Potenziale des Einsatzes von Robotern im Bildungsbereich untersucht. 2017 wurden humanoide Roboter experimentell in der Lehre an der Universität Marburg eingesetzt und ihr Potenzial für verschiedene Rollen wurde reflektiert (vgl. Handke 2020; Jäger/Sander i.d.Bd.).

Die internationale Forschung zum Einsatz von Robotern in Lernkontexten nimmt stetig zu (vgl. van den Berghe et al. 2019; Pedersen/Larsen/Nielsen 2019; Belpaeme et al. 2018): Es wird breit vertreten, dass der Einsatz von Robotern sich positiv auf den Lernprozess auswirken und Motivation steigern könne. Mangels Langzeitstudien bleibt aber offen, ob dieser Effekt nachhaltig ist. Insbesondere soziale Roboter, die ein humanoides oder tierähnliches Aussehen haben, könnten Lernende physisch, emotional und sozial involvieren und dadurch Kommunikation / Interaktion anregen (vgl. Rohlfing et al. 2022; Park et al. 2019, S. 688).

Es lässt sich zeigen, dass sozialen Robotern Rollen wie die einer Lehrkraft, eines Tutors oder eines Peers eher zugeschrieben werden als animierten Figuren (vgl. van den Berghe et al. 2019, S. 260) und dass Lernsettings mit Robotern bessere Ergebnisse im Vergleich zu solchen mit rein digitalen Angeboten erzielen können (vgl. Belpaeme et al. 2018).

Neben den ausgemachten Potenzialen insbesondere sozialer Roboter wird aber auch deutlich, dass Einflussfaktoren auf die Interaktion differenziert betrachtet werden müssen. Studien deuten beispielsweise darauf hin, dass sehr ausgeprägtes Sprachvermögen und Feedback durch Roboter von Lernenden nicht durchgängig positiv aufgenommen werden: „[T]‌here is a thin line between the robot being social enough to sustain children’s interest and being too social, leading to children being distracted or even intimidated by the robot“ (van den Berghe et al. 2019, S. 285; vgl. Kennedy/Baxter/Belpaeme 2015).

Der Einsatz von sozialen Robotern im Bildungsbereich ist umstritten. Verfechter:innen von Bildungsrobotern betonen das Potenzial, durch den Einsatz „neue Freiräume für individuelle Beratung und Betreuung“ (Alnajjar et al. 2021, S. 5) durch Lehrende zu schaffen und Lernenden mit zunehmenden technischen Möglichkeiten eine individualisierte, anregende Lernumgebung anbieten zu können:

A social robot has the potential to deliver a learning experience tailored to the learner, supporting and challenging students in ways unavailable in current resource-limited educational environments. Robots can free up precious time for human teachers, allowing the teacher to focus on what people still do best: providing a comprehensive, empathic, and rewarding educational experience. (Belpaeme et al. 2018, S. 7)

Bildungsroboter sollen Lehrkräfte (bisher) nicht ersetzen, sondern den individualisierten Unterricht unterstützen (vgl. Raaflaub 2021). Denn „robots do not have the necessary moral and situational understanding to be able to adequately, or acceptably, fulfil this role.“ (Sharkey 2016, S. 293)

Es ist noch offen, was genau Roboter in welchen fachlichen Lernkontexten leisten können und sollen. Zu bedenken sind neben hohen Anforderungen an technische Ausstattung und Know-how (vgl. Alnajjar et al. 2021, S. 113 f.) u.a. rechtliche, pädagogische und ethische Fragen (vgl. Reimer/Flückiger 2021, S. 129 f.). Zudem herrscht ein Mangel an (lese- und literatur)didaktischer Forschung und didaktischen Konzepten zum Einsatz von Robotern in fachlichen Lernkontexten.

2. Roboter für die Leseförderung und für das literarische Lernen

Roboter werden in vielfältigen Settings genutzt, um das Lesen und das literarische Lernen zu fördern und damit die Teilhabechancen der Lernenden zu erhöhen. Die im Folgenden vorgestellten Projekte / Angebote zur Leseförderung zielen dabei auf unterschiedliche Ebenen von Lesekompetenz.

Roboter als Zuhörer:innen

Roboter werden als Zuhörer:innen – auch reading buddies oder reading companions genannt – eingesetzt, denen Kinder vorlesen. In Projekten von Büchereien, beispielsweise in denen, die mit der TH Wildau kooperieren, lesen Kinder in Kleingruppen einem NAO-Roboter eine Geschichte vor. Der Roboter stellt den Kindern an zuvor ausgewählten Stellen Fragen zu schwierigen Wörtern und im Anschluss Verständnisfragen zur Geschichte. Diese Interaktionen sind im Vorfeld ausgearbeitet und werden durch eine Begleitperson gesteuert. Die Bücherauswahl wird unter pädagogischen / didaktischen Kriterien getroffen. Bei den Veranstaltungen geht es in erster Linie um Lesemotivation und die Einladung zur Teilhabe am weiten kulturellen Angebot der Büchereien (vgl. Prasch i.d.Bd.; Schmiederer 2019, S. 32, 33).

Details

Seiten
310
Erscheinungsjahr
2024
ISBN (PDF)
9783631896426
ISBN (ePUB)
9783631896433
ISBN (Hardcover)
9783631896419
DOI
10.3726/b21944
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (August)
Schlagworte
Roboterdidaktik Critical robotics Leseförderung Literarisches Lernen Kinder- und Jugendmedien Künstliche Intelligenz Educational robotics Critical literacy
Erschienen
Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2024. 310 S., 8 farb. Abb., 24 S/W-Abb., 1 Tab.

Biographische Angaben

Wolfgang Jäger (Band-Herausgeber:in) Julia Sander (Band-Herausgeber:in)

Wolfgang Jäger ist Lehrkraft an einem Gymnasium in Frankfurt am Main. Seine aktuellen Forschungsinteressen sind Kinder- und Jugendmedien und ihre Didaktik, Demokratiebildung und Digitalisierung im Bildungsbereich. Julia Sander ist Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Lese- und Literaturdidaktik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Kinder- und Jugendmedien und ihre Didaktik, Critical Literacy und Leseförderung in der Ganztagsschule.

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Titel: Roboter aus lese- und literaturdidaktischer Perspektive