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Die assoziierte Diskriminierung

von Merve Sürücü (Autor:in)
Dissertation 284 Seiten

Zusammenfassung

Die assoziierte Diskriminierung stellt eine im AGG nicht explizit erwähnte Form der Diskriminierung dar, bei der eine Person wegen eines Differenzierungsmerkmals benachteiligt wird, welches nicht sie selbst, sondern eine andere Person aufweist. Die Verfasserin setzt sich mit der Zielrichtung des AGG auseinander und untersucht, ob sich die assoziierte Diskriminierung in den Schutzbereich des AGG integrieren lässt. Im Fokus steht die Frage, wer im Rahmen einer assoziierten Diskriminierung anspruchsberechtig ist. Ferner wird erörtert, ob zwischen dem Nicht-Merkmalsträger und Merkmalsträger eine Art Näheverhältnis erforderlich ist. Anschließend beschäftigt sich die Verfasserin mit der Reichweite des Schutzes vor einer assoziierten Diskriminierung und schlägt eine Gesetzesänderung vor

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • A. Anlass und Ziel der Dissertation
  • B. Gang der Untersuchung
  • 1. Kapitel Dogmatische Einordnung des AGG
  • A. Die zum AGG vertretenen Programmatiken
  • I. Prinzip des Persönlichkeitsschutzes
  • 1. Inhalt des Persönlichkeitsrechts
  • 2. Grundsatz des Prinzips des Persönlichkeitsschutzes
  • 3. Positionierung der Rechtsprechung
  • 4. Kritik der Literatur
  • II. Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit
  • 1. Begriff der Verteilungsgerechtigkeit
  • 2. Unterscheidung zwischen iustitia distributiva und iustitia commutativa
  • 3. Grundsatz des Prinzips der Verteilungsgerechtigkeit
  • 4. Kritik der Literatur
  • III. Prinzip der Volkserziehung
  • 1. Grundsatz des Prinzips der Volkserziehung
  • 2. Stellungnahme der Rechtsprechung
  • 3. Kritik der Literatur
  • IV. Prinzip der personalen Gleichheit
  • 1. Grundsatz des Prinzips der personalen Gleichheit
  • 2. Kritik der Literatur
  • B. Stellungnahme
  • I. Prinzip der Volkserziehung
  • II. Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit
  • III. Prinzip der personalen Gleichheit
  • IV. Prinzip des Persönlichkeitsschutzes
  • C. Fazit
  • 2. Kapitel Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche
  • A. Schadensersatzansprüche
  • I. Beschäftigungsverhältnis (§ 15 Abs. 1 AGG)
  • II. Zivilrechtsbereich (§ 21 Abs. 2 Satz 1 AGG)
  • B. Entschädigungsansprüche
  • I. Beschäftigungsverhältnis (§ 15 Abs. 2 Satz 1 AGG)
  • II. Zivilrechtsbereich (§ 21 Abs. 2 Satz 3 AGG)
  • C. Natur der Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche
  • 3. Kapitel Anspruchsberechtigung im Rahmen der assoziierten Diskriminierung
  • A. Assoziierte Diskriminierung in der bisherigen Rechtsprechung
  • I. Europäische Rechtsprechung zur assoziierten Diskriminierung
  • 1. Der Fall Coleman
  • a) Sachverhalt
  • b) Schlussanträge des Generalanwalts Maduro
  • c) Entscheidung des EuGH
  • 2. Der Fall Kulikauskas
  • 3. Der Fall CHEZ Razpredelenie Bulgaria
  • a) Sachverhalt
  • b) Schlussanträge der Generalanwältin Kokott
  • c) Entscheidung des EuGH
  • II. Nationale Rechtsprechung zur assoziierten Diskriminierung
  • 1. Sachverhalt
  • 2. Entscheidung des BAG
  • B. Assoziierte Diskriminierung in der bisherigen Literatur
  • I. Entwicklungen in der Literatur vor dem Coleman-Urteil des EuGH
  • II. Entwicklungen in der Literatur nach dem Coleman-Urteil des EuGH
  • 1. Anspruchsberechtigung
  • 2. Keine Anspruchsberechtigung
  • C. Stellungnahme
  • I. Anspruchsberechtigung des Nicht-Merkmalsträgers
  • 1. Beschäftigungsverhältnis
  • a) Kritikpunkt: Zweck der Antidiskriminierungsrichtlinien
  • b) Kritikpunkt: Unzulässige Rechtsfortbildung durch den EuGH
  • c) Kritikpunkt: Keine Umsetzungspflicht durch die Antidiskriminierungsrichtlinien und keine Anhaltspunkte im Wortlaut des AGG
  • d) Kritikpunkt: Keine Frage des Diskriminierungsschutzes
  • e) Kritikpunkt: Schwächen des Wortlautarguments und pauschaler Verweis auf den effet-utile- Grundsatz
  • aa) Wortlautargument
  • bb) effet-utile-Grundsatz
  • f) Vereinbarkeit der assoziierten Diskriminierung mit dem deutschen Privatrecht
  • g) Wertungen des Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
  • aa) Anwendungsbereich der EU-GRCharta
  • bb) Inhalt des Diskriminierungsverbots aus Art. 21 der EU-GRCharta
  • cc) Bedeutung der EU-GRCharta für die assoziierte Diskriminierung
  • h) Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
  • i) Einbeziehung der assoziierten Diskriminierung trotz der BAG-Entscheidung
  • 2. Zivilrechtsverkehr
  • a) Kritikpunkt: Pauschaler Verweis auf Systematik und Zielrichtung der Richtlinie
  • b) Kritikpunkt: Verzicht auf Persönlichkeitsrechtsverletzung
  • c) Vereinbarkeit der assoziierten Diskriminierung mit dem deutschen Privatrecht
  • d) Wertungen des Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
  • 3. Zwischenergebnis
  • II. Anspruchsberechtigung des Merkmalsträgers
  • 1. Beschäftigungsverhältnis
  • 2. Zivilrechtsverkehr
  • III. Ergebnis
  • D. Fazit
  • 4. Kapitel Näheverhältnis im Rahmen der assoziierten Diskriminierung
  • A. Erforderlichkeit eines Näheverhältnisses
  • I. Rechtsprechung
  • II. Literatur
  • 1. Näheverhältnis erforderlich
  • 2. Näheverhältnis irrelevant
  • 3. Nur subjektives Näheverhältnis erforderlich
  • III. Stellungnahme
  • IV. Ergebnis
  • B. Anforderungen an das Näheverhältnis
  • I. Entwicklung in der Rechtsprechung
  • II. Literatur
  • 1. Enge (familiäre) Beziehung
  • 2. Persönliches und emotionales Verhältnis
  • 3. Direkte oder gefühlsmäßige Beziehung
  • III. Stellungnahme
  • IV. Ergebnis
  • C. Konkretisierung des Begriffs Näheverhältnis
  • D. Darlegungs- und Beweislast
  • E. Fazit
  • 5. Kapitel Reichweite der assoziierten Diskriminierung
  • A. Reichweite hinsichtlich der Differenzierungsmerkmale i.S.d. § 1 AGG
  • I. Differenzierungsmerkmale des § 1 AGG
  • 1. Rasse oder ethnische Herkunft
  • 2. Geschlecht
  • 3. Religion oder Weltanschauung
  • 4. Behinderung
  • 5. Alter
  • 6. Sexuelle Identität
  • 7. Andere Differenzierungsmerkmale
  • II. Entwicklung in der Rechtsprechung
  • 1. Rechtsprechung des EuGH
  • 2. Rechtsprechung des BAG
  • III. Tendenzen der Literatur
  • 1. Alle Merkmale des § 1 AGG erfasst
  • 2. Differenzierende Ansicht
  • IV. Stellungnahme
  • V. Ergebnis
  • B. Reichweite hinsichtlich der Diskriminierungsformen
  • I. Unmittelbare Benachteiligung
  • 1. Begriff
  • 2. Unmittelbare assoziierte Diskriminierung
  • 3. Zwischenergebnis
  • II. Mittelbare Benachteiligung
  • 1. Begriff
  • 2. Voraussetzungen
  • 3. Mittelbare assoziierte Diskriminierung
  • a) Entwicklung in der Rechtsprechung
  • aa) Rechtsprechung des EuGH
  • bb) Nationale Rechtsprechung
  • b) Literatur
  • aa) Mittelbare assoziierte Diskriminierung vom AGG erfasst
  • bb) Mittelbare assoziierte Diskriminierung nicht vom AGG erfasst
  • cc) Fehlende Stellungnahme innerhalb der Literatur
  • c) Stellungnahme
  • 4. Zwischenergebnis
  • III. (Sexuelle) Belästigung
  • 1. Begriff
  • 2. Voraussetzungen der Belästigung
  • 3. Voraussetzungen der sexuellen Belästigung
  • 4. Nachweisschwierigkeiten
  • 5. Assoziierte Belästigung
  • a) Rechtsprechung
  • b) Literatur
  • c) Stellungnahme
  • 6. Assoziierte sexuelle Belästigung
  • 7. Zwischenergebnis
  • IV. Anweisung
  • 1. Begriff
  • 2. Assoziierte Anweisung
  • a) Anweisung kein Fall der assoziierten Diskriminierung
  • b) Anweisung als Sonderfall/Unterfall der assoziierten Diskriminierung
  • c) Stellungnahme
  • 3. Zwischenergebnis
  • V. Ergebnis
  • C. Schutz vor assoziierten Diskriminierungen außerhalb des AGG
  • I. Sozialversicherungsrecht
  • II. Teilzeit- und Befristungsgesetz sowie Pflegezeitgesetz
  • III. Ergebnis
  • D. Fazit
  • 6. Kapitel Gesetzesänderungsvorschlag
  • A. Das Österreichische Gleichbehandlungsgesetz (GlBG)
  • I. Gleichbehandlung in der Arbeitswelt
  • II. Gleichbehandlung in sonstigen Bereichen
  • III. Stellungnahme
  • B. Formulierungsbeispiel für das AGG
  • C. Fazit
  • Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Literaturverzeichnis

←16 | 17→

Einleitung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im Jahr 2008 in der Rechtssache Coleman über einen besonderen diskriminierungsrechtlichen Fall zu entscheiden.1 Frau Coleman, eine Anwaltssekretärin in einer Londoner Anwaltskanzlei, behauptete, wegen der Behinderung ihres Sohnes von ihrem Arbeitgeber benachteiligt und belästigt worden zu sein. Die Diskriminierung von Frau Coleman sei somit nicht aufgrund eines eigenen Differenzierungsmerkmals erfolgt. Vielmehr habe ihr Arbeitgeber sie mit der Behinderung ihres Sohnes assoziiert und sie deshalb benachteiligt und belästigt.

Bislang weist der Wortlaut des nur wenige Jahre vor der Coleman-Entscheidung in Kraft getretenen deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)2 keine konkrete Regelung zur Fallgruppe der assoziierten Diskriminierung auf. Die klassischen Benachteiligungsfälle des AGG betreffen in der Regel Zwei-Personen-Verhältnisse, also den Benachteiligenden und den benachteiligten Merkmalsträger3 und weniger Drei-Personen-Verhältnisse wie bei der assoziierten Diskriminierung. Somit fügt sich die Fallgruppe der assoziierten Diskriminierung in die Reihe zahlreicher dogmatischer Problemstellungen ein, die die Anwender des AGG auch nach dessen Inkrafttreten immer wieder beschäftigen und Ursache vieler rechtspolitischer Debatten sind.4

Unter einer assoziierten Diskriminierung versteht man die Benachteiligung einer Person wegen eines Differenzierungsmerkmals, welches nicht sie selbst, sondern eine andere (ihr nahestehende) Person aufweist.5 Eine solche Diskriminierung liegt z.B. vor, wenn ein Bewerber wegen der Homosexualität ←17 | 18→seines Sohnes von einem potentiellen Arbeitgeber nicht eingestellt wird6 oder ein Vermieter seine Wohnung nicht an eine Frau vermietet, weil ihr Freund dunkelhäutig ist.7

Teilweise wird die assoziierte Diskriminierung auch als „vermittelte Diskriminierung“8, „drittbezogene Diskriminierung“9, „Diskriminierung durch Zugehörigkeit“10 oder „transferred discrimination“11 bezeichnet. Der Begriff der assoziierten Diskriminierung ist jedoch der passendste: Assoziieren bedeutet zum einen Vorstellungen mit etwas verknüpfen, in Verbindung bringen und zum anderen sich zusammenschließen, vereinigen bzw. sich anschließen.12 Durch die Verbindung der Begriffe „Diskriminierung“ und „assoziieren“ sollen gerade die Fälle erfasst werden, in denen ein Nicht-Merkmalsträger aufgrund seiner Verbindung zu einem Merkmalsträger benachteiligt wird. Er wird demnach mit dem Differenzierungsmerkmal in Verbindung gebracht und in der Vorstellung des Benachteiligenden damit verknüpft.

Zur Veranschaulichung der besonderen Dreieckskonstellation im Rahmen der assoziierten Diskriminierung soll folgendes Schaubild dienen:

←18 | 19→

A. Anlass und Ziel der Dissertation

Durch die Rechtssache Coleman hatte der EuGH erstmals die Gelegenheit, in einem Fall der assoziierten Diskriminierung zu entscheiden und die Besonderheiten dieser Drei-Personen-Konstellation herauszuarbeiten. Sodann ergab sich im Jahr 2015 für den EuGH in der Rechtssache CHEZ Razpredelenie Bulgaria erneut die Möglichkeit, über diese Fallgruppe zu entscheiden.13 Diesmal ging es um eine assoziierte Diskriminierung im Zivilrechtsverkehr, nämlich um eine diskriminierende Stromzähleranbringungspraxis in einem Roma-Stadtviertel in Bulgarien. In diesem Roma-Stadtviertel wurden alle Stromzähler in einer Höhe von sechs bis sieben Metern angebracht. In anderen Stadtvierteln wurden die Zähler hingegen in einer Höhe von 1,70 Meter installiert. Die Benachteiligte definierte sich selbst jedoch nicht als Roma.

Dem Bundesarbeitsgericht (BAG) lag bisher nur ein Fall der assoziierten Diskriminierung wegen des Geschlechts zur Entscheidung vor.14 In dieser Rechtssache wandte sich ein Angestellter gegen eine tarifliche Übergangsregelung (§ 5 TVÜ-Länder), die einen Stichtag vorsah. Durch die Übergangsregelung verlor der Angestellte seinen familienbezogenen Ortszuschlag, weil sein Sohn an dem Stichtag seinen Grundwehrdienst leistete. Der Kläger behauptete, durch die Übergangsregelung gegenüber anderen Alleinerziehenden mit Töchtern oder ←19 | 20→Söhnen, die keinen Wehr- oder Zivildienst hätten leisten müssen, benachteiligt worden zu sein. Die Benachteiligung sei dabei wegen des Geschlechts seines Sohnes erfolgt.

Die recht überschaubare Zahl der Verfahren vor dem EuGH und BAG täuscht jedoch über die hohe Relevanz dieser besonderen Fallgruppe. Es sind – wie die Fälle in der Rechtsprechung und die Beispielsfälle zeigen – verschiedenste Konstellationen von assoziierten Diskriminierungen denkbar. Da diese Rechtsfigur gesetzlich nicht geregelt ist und auch weiterhin viele offene Rechtsfragen z.B. in Bezug auf die Anspruchsberechtigung bestehen, ist es besonders wichtig, die Aufmerksamkeit von Betroffenen und auch der Praxis auf die Fallgruppe der assoziierten Diskriminierung zu lenken.

Ziel der vorliegenden Dissertation ist es, einen Beitrag zur Klärung der rechtlichen Fragen im Rahmen der Fallgruppe der assoziierten Diskriminierung zu leisten und zu untersuchen, ob sich die Fallgruppe der assoziierten Diskriminierung in den Schutzbereich des AGG integrieren lässt. Rechtsanwendern soll für die Zukunft der Umgang mit solchen Diskriminierungsfällen erleichtert werden. Dabei liegt der Fokus der Arbeit auf den drei großen Problemfeldern der assoziierten Diskriminierung: der Anspruchsberechtigung, dem Näheverhältnis und der Reichweite der assoziierten Diskriminierung.

B. Gang der Untersuchung

Um die zahlreichen Rechtsfragen lösen zu können, ist zunächst eine Auseinandersetzung mit der Zielrichtung des Antidiskriminierungsschutzes erforderlich.15 Die dogmatische Einordnung des AGG ist für die weitere rechtliche Prüfung der Fallgruppe der assoziierten Diskriminierung deshalb von Bedeutung, weil hiervon vor allem die Bearbeitung der Anspruchsberechtigung und des Näheverhältnisses abhängt. Zum einen muss die Zielrichtung des AGG für die Erarbeitung der Voraussetzungen der Anspruchsberechtigung im Rahmen der assoziierten Diskriminierung beachtet werden, da ausgehend von dem konkreten dogmatischen Verständnis unterschiedliche Anforderungen an die Anspruchsvoraussetzungen zu stellen sind.16 Zum anderen ist auch beim Näheverhältnis die dogmatische Einordnung des AGG zu beachten, weil die Prüfung der Erforderlichkeit des Näheverhältnisses und der Anforderungen an das Näheverhältnis an die Zielrichtung des AGG gebunden ist.17 Vor allem muss dabei ←20 | 21→beachtet werden, dass das Ergebnis mit der dogmatischen Einordnung des AGG im Einklang steht. Des Weiteren hat die dogmatische Einordnung des AGG für die Reichweite der assoziierten Diskriminierung Relevanz, weil die Übertragung der geschützten Fälle der assoziierten Diskriminierung auf alle Differenzierungsmerkmale sowie auf alle Diskriminierungsformen davon abhängt, ob dies mit der Zielrichtung des AGG vereinbar ist.18

Im Anschluss an die dogmatische Untersuchung wird zunächst ein Überblick zu den Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen der §§ 15, 21 AGG gegeben.19 Die Ausgestaltung und der Haftungsumfang der Ansprüche sind insbesondere für das Problem der Anspruchsberechtigung von Bedeutung, weil es hier um Ansprüche des Nicht-Merkmalsträgers und Merkmalsträgers nach §§ 15, 21 AGG geht.

Anschließend beschäftigt sich die Dissertation mit dem ersten großen Problemfeld der assoziierten Diskrimininierung: der Anspruchsberechtigung.20 Hierfür wird die Frage der Anspruchsberechtigung des Nicht-Merkmalsträgers und Merkmalsträgers separat bearbeitet. Dabei setzt sich die Arbeit unter Berücksichtigung der Zielrichtung des AGG umfassend mit der Rechtsprechung des EuGH und des BAG sowie mit den vertretenen Literaturmeinungen auseinander.

Das zweite große Problemfeld stellt das Näheverhältnis dar.21 Damit ist die Beziehung zwischen Nicht-Merkmalsträger und Merkmalsträger gemeint. Bisher ist unklar, ob ein Näheverhältnis für eine assoziierte Diskriminierung erforderlich ist und wie bejahendenfalls die Anforderungen an das Näheverhältnis konkret ausgestaltet sein müssen. Die Arbeit untersucht, ob auf ein Näheverhältnis im Rahmen der assoziierten Diskriminierung verzichtet werden kann, und setzt sich auch hier mit der Zielrichtung des AGG auseinander. Im Anschluss werden die Anforderungen an ein Näheverhältnis unter Würdigung der Rechtsprechung und Literatur herausgearbeitet und eine Konkretisierung des Begriffs vorgeschlagen.

Die Reichweite des Schutzes vor einer assoziierten Diskriminierung stellt den letzten großen Problemkreis dar.22 Hierbei wird zunächst die assoziierte Diskriminierung im Hinblick auf die verschiedenen Differenzierungsmerkmale des § 1 AGG untersucht. Im Anschluss daran beschäftigt sich die Arbeit mit der ←21 | 22→assoziierten Diskriminierung in Bezug auf die verschiedenen Diskriminierungsformen. Zuletzt widmet sich die Arbeit der Frage, ob ein Schutz vor assoziierten Diskriminierungen auch außerhalb des AGG in Betracht kommt.

Der letzte Teil der Dissertation beschäftigt sich mit einem konkreten Gesetzesänderungsvorschlag.23 In der Arbeit wird untersucht, ob eine Kodifizierung der Fallgruppe der assoziierten Diskriminierung sinnvoll und erforderlich ist, damit mehr Rechtssicherheit für die Praxis geschaffen werden kann. Dabei zieht die Arbeit exemplarisch das Österreichische Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) heran, welches die assoziierte Diskriminierung als Antidiskriminierungsgesetz explizit enthält.24 Die Arbeit schließt mit einem konkreten Formulierungsvorschlag für eine Gesetzesnovelle ab.25


1 EuGH, Urt. v. 17.07.2008 – C-303/06, Coleman, NZA 2008, 932ff.

2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vom 14.08.2006, BGBl. I 2006, S. 1897.

3 Soweit im Folgenden Berufs-, Gruppen- und/oder Personenbezeichnungen verwendet werden, ist stets jedes Geschlecht gemeint. Aus diesem Grund sieht die Verfasserin für eine bessere Lesbarkeit bewusst von einer genderneutralen Ausdrucksweise ab.

4 Siehe für eine Übersicht zu den rechtspolitischen Debatten z.B. Bauer/Krieger/Günther, AGG, 5. Aufl. 2018, Einl. Rn. 32bff.

5 Alenfelder, Diskriminierungsschutz im Arbeitsrecht, Rn. 43; Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz als Privatrecht, S. 266; Däubler, in: Däubler/Bertzbach, NK-AGG, 4. Aufl. 2018, § 1 Rn. 109; Braunroth/Franke, NJ 2014, 187 (193) spricht hier von „Diskriminierung durch Assoziierung“.

6 Beispiel nach Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz als Privatrecht, S. 266.

7 Beispiel nach Waddington, Europäische Zeitschrift zum Antidiskriminierungsrecht, Ausgabe 5, Juli 2007, S. 13 (14), http://www.mittendrinundaussenvor.de/fileadmin/bilder/Europ-Zeitschr-5.pdf (letzter Abruf: 09.09.2021); ähnliches Beispiel auch bei Braunroth/Franke, NJ 2014, 187 (193).

8 Alenfelder, Diskriminierungsschutz im Arbeitsrecht, Rn. 43ff.

9 Bayreuther, NZA 2008, 986ff.; Schnabel, Diskriminierungsschutz ohne Grenzen?, S. 20; Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG, § 17 GlBG Rn. 9.

10 Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 14.

11 Honeyball, Web JCLI 2007, Iss. 4, http://www.bailii.org/uk/other/journals/WebJCLI/2007/issue4/honeyball4.html (letzter Abruf: 09.09.2021).

12 Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 8. Aufl. 2015, S. 187.

13 EuGH, Urt. v. 16.07.2015 – C-83/14, CHEZ Razpredelenie Bulgaria, Celex-Nr. 62014CJ0083.

14 BAG, Urt. v. 22.04.2010 – 6 AZR 966/08, NZA 2010, 947ff.

15 Siehe hierzu 1. Kap.

16 Siehe hierzu 3. Kap.

17 Siehe hierzu 4. Kap.

18 Siehe hierzu 5. Kap.

19 Siehe hierzu 2. Kap.

20 Siehe hierzu 3. Kap.

21 Siehe hierzu 4. Kap.

22 Siehe hierzu 5. Kap.

23 Siehe hierzu 6. Kap.

24 Bundesgesetz über die Gleichbehandlung (Gleichbehandlungsgesetz - GlBG) vom 23.06.2004, Österreichisches BGBl. I Nr. 66/2004.

25 Die in dieser Dissertation berücksichtigte Rechtsprechung und Literatur ist auf dem Stand vom 09.09.2021. Jedwede zitierte Quelle aus dem Internet wurde zuletzt am 09.09.2021 abgerufen.

←22 | 23→

1. Kapitel Dogmatische Einordnung des AGG

Der deutsche Gesetzgeber setzte mit dem am 18.08.200626 in Kraft getretenen AGG vier europäische Antidiskriminierungsrichtlinien27 um. Als einheitliches Gesetz soll das AGG mehr Rechtssicherheit und Transparenz im Umgang mit Diskriminierungen schaffen28 und umfassend vor Benachteiligungen wegen eines verbotenen Differenzierungsmerkmals i.Sd. § 1 AGG schützen.29 Dabei dient das AGG sowohl dem Schutz von Beschäftigten vor Benachteiligungen im Beschäftigungsverhältnis (§§ 6ff. AGG) als auch dem Schutz des Einzelnen vor Benachteiligungen im Zivilrechtsverkehr (§§ 19ff. AGG).

Die bisherigen zahlreichen Auseinandersetzungen rund um das AGG drehen sich überwiegend um die Frage, wie das AGG dogmatisch einzuordnen ist. Die Ursache für die dogmatischen Auseinandersetzungen liegt vorwiegend darin, ←23 | 24→dass das AGG das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit betrifft und versucht, dieses Spannungsverhältnis zu lösen.30

Für die wichtigsten Probleme der assoziierten Diskriminierung – insbesondere die Anspruchsberechtigung und das Näheverhältnis – ist die dogmatische Einordnung des AGG jedoch unverzichtbar, da erst hierdurch die Voraussetzungen für einen Anspruch aus dem AGG definiert werden können. Dafür sind die Vorschriften des AGG unter Berücksichtigung der dogmatischen Einordnung des Gesetzes und der mit dem Gesetz verfolgten Ziele auszulegen. Aus diesem Grund werden die zum AGG vertretenen Programmatiken dargestellt und untersucht.

A. Die zum AGG vertretenen Programmatiken

Im Rahmen des AGG werden bisher vier Programmatiken31 vertreten. Zunächst wird das AGG als Konkretisierung des Persönlichkeitsschutzes betrachtet (I.). Nach einer zweiten Position dient das AGG hingegen der Verteilungsgerechtigkeit (II.). Die dritte Position ordnet das AGG dogmatisch unter das Prinzip der Volkserziehung ein (III.). Als letzte und neuere Position ist das Prinzip der personalen Gleichheit zu nennen (IV.).

I. Prinzip des Persönlichkeitsschutzes

Überwiegend wird das AGG als eine Konkretisierung des Persönlichkeitsschutzes betrachtet und dem Zivilrecht zugeordnet.32

←24 | 25→
1. Inhalt des Persönlichkeitsrechts

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet33 und enthält einen unantastbaren Kern aufgrund des Bezugs zur Menschenwürde.34 Im öffentlichen Recht soll das allgemeine Persönlichkeitsrecht „einen umfassenden Schutz der persönlichen Integrität des Menschen gegen Eingriffe der Staatsgewalt“35 gewährleisten. Im Zivilrecht und damit auch im Arbeitsrecht wird die Persönlichkeit durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB sowie durch bestimmte besondere Persönlichkeitsrechte (z.B. § 12 BGB) geschützt.36 Der Unterschied zwischen dem Persönlichkeitsschutz im Zivilrecht und dem allgemeinen Persönlichkeitsschutz im öffentlichen Recht ist, dass der Persönlichkeitsschutz im Zivilrecht nicht auf dem Gedanken des Subordinationsverhältnisses beruht, sondern auf dem Prinzip der Gleichrangigkeit der Privatinteressen.37 Im Zivilrecht hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht einen „abwehrenden Charakter“38. Es ist ←25 | 26→deshalb regelmäßig eine umfassende Abwägung zwischen den konfligierenden Privatinteressen erforderlich.39 Das öffentlich-rechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht hat hingegen nicht nur einen abwehrenden Charakter, weil der Staat daneben auch im Rahmen seiner Möglichkeiten die „Entfaltungs- und Teilhabechancen“40 ermöglichen muss. Ein Eingriff in das öffentlich-rechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht kann durch die verfassungsmäßige Ordnung, die Rechte anderer oder durch das Sittengesetz gerechtfertigt werden.41 Es ist somit in der Regel eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und dem öffentlichen Interesse nötig.42

Details

Seiten
284
ISBN (PDF)
9783631890837
ISBN (ePUB)
9783631890844
ISBN (MOBI)
9783631890851
ISBN (Paperback)
9783631883563
DOI
10.3726/b20234
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Dezember)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 284 S., 3 s/w Abb.

Biographische Angaben

Merve Sürücü (Autor:in)

Merve Sürücü studierte Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Versicherungsrecht. Ihr Rechtsreferendariat schloss sie beim Kammergericht Berlin ab. Seit 2022 ist Merve Sürücü als Rechtsanwältin im Arbeitsrecht in Berlin tätig

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