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Der «Alexandreis»-Kommentar Gaufrids von Vitry

Überlieferung – Fassungen – Inhalte

von Dörthe Führer (Autor:in)
©2023 Dissertation 564 Seiten

Zusammenfassung

Die Alexandreis Walters von Châtillon war einer der großen literarischen Erfolge des 12. Jahrhunderts und wurde bald auch im Unterricht gelesen. Dort diente sie nicht nur als sprachliches und stilistisches Vorbild, sondern darüber hinaus als Quelle für Sachinformationen aus ganz verschiedenen Bereichen. Wie man mit dem Text arbeitete, lässt sich an vielen kommentierten Handschriften ablesen. Die vorliegende Studie stellt zunächst die Überlieferungslage dar, um dann Entstehung und Variabilität der verbreitetsten Kommentartradition nachzuzeichnen. Ein Vergleich von ihrem Ausgangstext, um 1200 in Orléans verfasst durch Gaufrid von Vitry, mit einer etwa 50 Jahre späteren Pariser Überarbeitung erlaubt es, die Vorgehensweisen und Interessen von zwei Lehrerpersönlichkeiten herauszuarbeiten.
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Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhalt
  • 1. Einleitung
  • 1.1 Die Kommentierung der Alexandreis ‒ Forschungsgeschichte
  • 1.2 Ziele und Aufbau dieser Arbeit
  • 2. Überlieferungssituation
  • 2.1 Die Handschriftenlage
  • 2.2 Der Text und seine Variabilität
  • 2.2.1 Vorüberlegungen und Vorgehensweise
  • 2.2.2 Zum Vorgehen der Schreiber
  • 2.3 Analyse der Scholienkombinationen
  • 2.3.1 Vorüberlegungen und Vorgehensweise
  • 2.3.2 Gruppe A ‒ Hauptgruppe
  • 2.3.3 Gruppe B
  • 2.3.4 Gruppe C
  • 2.4 Zur Textgrundlage für die weiteren Untersuchungen
  • 2.5 Handschriften
  • 2.5.1 Leiden, Universiteitsbibliotheek, Gron. 19 –– Lei
  • 2.5.2 Montpellier, Bibliothèque universitaire Historique de Médecine, H 342 –– Mon
  • 2.5.3 Paris, Bibliothèque nationale de France, lat. 8118 –– Par1
  • 2.5.4 Paris, Bibliothèque nationale de France, lat. 8351 –– Par2
  • 2.5.5 Zürich, Zentralbibliothek, Rh 98 –– Zür
  • 2.5.6 London, British Library, Add. MS 30071 –– Lon
  • 2.5.7 Budapest, Országos Széchényi Könyvtár, Clmae 41 –– Bud
  • 3. Entstehungsgeschichte des Alexandreis-Kommentars
  • 3.1 Verfasser und Entstehungszeit
  • 3.2 Zum Zusammenhang zwischen Überlieferungsgruppe B und der Hauptgruppe: Gaufrids Kommentar und dessen Neufassung
  • 3.3 Zur Entstehungszeit der Neufassung
  • 3.4 Zur Autorfrage
  • 4. Von Gaufrids Kommentar zur Pariser Fassung: Zitate
  • 4.1 Vorbilder der Alexander-Darstellung
  • 4.1.1 Lucan und Quintus Curtius Rufus in Gaufrids Kommentar
  • 4.1.2 Lucan und Quintus Curtius Rufus in der Pariser Fassung
  • 4.2 Gaufrid als Claudian-Kommentator
  • 4.3 Nützliches Zitiergut: Ovid, Disticha Catonis und Sprichwörter
  • 4.4 Zum literarischen Horizont
  • 4.5 Die Aurora
  • 5. Sprachliche Aspekte der Alexandreis-Kommentierung
  • 5.1 Formeln und Signalwörter
  • 5.1.1 Die häufigsten Formeln und ihre Funktionsweise
  • 5.1.2 Formeln zur Kennzeichnung von Zitaten
  • 5.1.3 Formeln zu sprachlichen Aspekten der Alexandreis
  • 5.1.4 Der selbsterklärende Dichter
  • 5.1.5 Formeln zur Textgliederung
  • 5.1.6 Der persönliche Bezug
  • 5.1.7 Formeln im Vergleich
  • 5.2 Verwendung des Altfranzösischen
  • 6. Inhalte der Alexandreis-Kommentierung
  • 6.1 Sprachliches
  • 6.1.1 Grammatik
  • 6.1.2 Rhetorik: Stilmittel
  • 6.1.3 Rhetorik: Analyse von Reden
  • 6.2 Die Rolle des Dichters
  • 6.2.1 Die Einleitung des Kommentars
  • 6.2.2 Gaufrids Blick auf den Dichter
  • 6.2.3 Die Rolle des Dichters in der Pariser Fassung
  • 6.3 Geschichte und Geschichten
  • 6.3.1 Biblische Geschichte
  • 6.3.2 Mythische Geschichte
  • 6.3.3 Antike Geschichte
  • 6.3.4 Zeitgeschichte
  • 6.4 Natur und Raum
  • 6.4.1 Geographie
  • 6.4.2 Naturwissenschaften und Medizin
  • 7. Schluss
  • Editionen und Literatur
  • Anhang
  • I. Textbestand der Stichproben
  • I.1 Stichprobe I (zu Gvalt. Cast. Alex. 2,104–119
  • I.1.1 Überlieferungsgruppe A
  • I.1.2 Überlieferungsgruppe B
  • I.1.3 Überlieferungsgruppe C
  • I.1.4 Weitere mehrfach vertretene Glossen aus Stichprobe I
  • I.2 Stichprobe II (zu Gvalt. Cast. Alex. 10,457–469
  • I.2.1 Überlieferungsgruppe A
  • I.2.2 Überlieferungsgruppe B
  • I.2.3 Überlieferungsgruppe C
  • I.2.4 Weitere mehrfach vertretene Glossen aus Stichprobe II
  • II. Verzeichnis von im Kommentar zitierten Stellen
  • III. Handschriftenverzeichnis
  • III.1 Mehrfach zitierte Literatur zu den Handschriften
  • III.2 Alexandreis-Handschriften
  • III.3 Handschriften mit separatem Alexandreis-Kommentar
  • Register
  • A. Alexandreis-Stellen
  • B. Handschriften
  • Reihenübersicht

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1. Einleitung

Seit den 1970er Jahren hat die Forschung zum mittelalterlichen Schulkommentar eine dynamische Entwicklung durchgemacht. Dazu war es zunächst nötig, eine etwas dünkelhafte, normativ-klassizistische Einstellung gegenüber der Tätigkeit der mittelalterlichen Lehrer zu überwinden, deren Echo in manchen Arbeiten zu diesem Thema noch lange nachklang. Zugleich ist die Frustration der Forscher im 19. und frühen 20. Jahrhundert bis zu einem gewissen Maße nachvollziehbar, suchten sie doch in den mittelalterlichen Kommentaren vor allem nach Spuren von älteren Vorläufern mit zeitgenössischen Informationen über die antiken Werke, weniger nach einem Zugang zur Rezeption der Klassiker während des Mittelalters. Manche von ihnen scheinen sich von den sinnstiftenden, aber linguistisch unhaltbaren Etymologien,1 die ein beliebtes Werkzeug mittelalterlicher Lehrer zur Welterklärung waren, oder von den Einzelwortglossen, die in erster Linie dem Textverständnis zu dienen scheinen, regelrecht provoziert gefühlt zu haben. Es ist ein großes Verdienst Gernot Rudolf Wielands, dass er die vielfältigen Funktionen gerade dieser scheinbar so anspruchslosen Glossen näher untersucht und systematisch dargestellt hat.2 Durch seine Arbeit ist die didaktische Bedeutung dieser Kommentierungsform erst wirklich deutlich geworden.

←11 | 12→Heute herrscht allgemein Konsens darüber, dass die Schulkommentare ein einzigartiges Zeugnis einerseits für die mittelalterliche Didaktik und Wissenschaftsgeschichte und andererseits für die Rezeptionsgeschichte der Texte, die darin behandelt werden, darstellen. Wie zutreffend die Erklärungen eines Kommentators zu einzelnen Fragen der antiken Kultur und des klassisch-lateinischen Sprachgebrauchs sind, ist zwar durchaus von kulturgeschichtlichem Interesse, darf aber nicht der einzige Maßstab für eine Bewertung seiner Leistung sein.3 Für die meisten Lehrer dieser Zeit standen bei ihrer lectio andere Fragen im Vordergrund: Die Schüler sollten zunächst die Grammatik der lateinischen Sprache, dann aber auch ein breites, differenziertes Vokabular, stilistische und rhetorische Kompetenz, Grundkenntnisse in den verschiedensten Bildungsbereichen (Geschichte, Geographie, antike Mythologie, Theologie, Philosophie, Medizin usw.) und nicht zuletzt moralische Grundwerte vermittelt bekommen.4

Wenn nun ein mittelalterlicher Lehrer ein Werk seiner eigenen Zeit kommentierte, sind seine Anmerkungen für uns darüber hinaus unter weiteren Aspekten bedeutsam. Da er den Bildungs- und Erfahrungshintergrund des behandelten Autors teilt, kann er mit seinen Erklärungen Bedeutungsebenen und Anspielungen erschließen, die uns heute nicht mehr intuitiv zugänglich sind. Es ist deshalb sehr erfreulich, dass seit 1985 mehrere zeitgenössische Kommentare zu mittelalterlichen ←12 | 13→Werken vollständig ediert und teils auch eingehende Untersuchungen dazu publiziert wurden.5 Noch günstiger war die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten für die Klassikerkommentare. Die Zahl der Editionen ist stark angestiegen, so dass heute eine breite Quellenbasis zu Verfügung steht – auch wenn nach wie vor nur ein Bruchteil des handschriftlichen Materials ausgewertet wurde. Für die Forschung zur Kommentierung antiker Literatur im Mittelalter wurde zudem durch zwei Großprojekte eine ganz neue Grundlage bereitgestellt. Es handelt sich um den 1945 von Paul Oskar Kristeller ins Leben gerufenen „Catalogus translationum et commentariorum“ und um Birger Munk Olsens monumentales Werk „L’Étude des auteurs classiques latins aux XIe et XIIe siècles“.6 Im ersten Teil von dessen viertem Band, der sich mit den philologischen Arbeiten beschäftigt, stellt Munk Olsen die Ergebnisse der Kommentarforschung übersichtlich und fundiert zusammen.7 Er betrachtet dabei die mittelalterliche Terminologie ebenso wie die formale Gestaltung der Kommentare, die Frage nach ihrer Autorschaft und Einordnung sowie nach den Themen, die sie behandelten. Seine Feststellungen betreffen nicht nur die Kommentierung der klassischen Texte, sondern gelten im Wesentlichen für alle mittelalterlichen Literaturkommentare. Wichtige neuere Überlegungen zu dieser Textgattung, besonders zur Variabilität der Texte in ihrer Überlieferung und zur Frage der Urheberschaft, finden sich in den Studien von Anne Grondeux über die Kommentierung des Graecismus Eberhards von Béthune.8

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1.1 Die Kommentierung der Alexandreis ‒ Forschungsgeschichte

Die Kommentierung der Alexandreis hat schon recht früh das Interesse von verschiedenen Forschern geweckt. Der erste in dieser Reihe war Leo Bellanger, der im Jahr 1877 seine Dissertation De M. Gualthero ab Insulis, dicto de Castellione an der Universität von Paris einreichte.9 Im Anhang dieser Arbeit druckte er Auszüge aus der Glossierung von acht Pariser Alexandreis-Handschriften ab,10 die er verschiedenen Themenbereichen zuordnete. Dabei unterschied er zwischen Interlinearglossen, die er als reine Worterklärungen betrachtete, und Marginalscholien de omni re scibili: poetologischen Fragen, literarischen Vorbildern, Etymologien, biblischen Geschichten, Mythologie, Historiographie, Geographie, den Inhalten des Quadriviums und Medizin. Sein Fazit aus der Untersuchung der Scholien lautete schließlich: Jam satis patet illud, quod dixi: clericos, Medio Ævo, Alexandreida pervolutavisse, ut in scientiis et pietate, non in litteris, proficerent.11

Eine weitere Pariser Handschrift, BnF lat. 18522, beschrieb Barthélemy Hauréau im sechsten Band seiner Notices et extraits.12 ←14 | 15→Sie enthält neben einem Gedicht über ein Hochwasser der Seine in Paris und einer dicht kommentierten Abschrift der Alexandreis auch den Graecismus Eberhards von Béthune, der ebenfalls mit zahlreichen Erläuterungen versehen wurde. Beide Texte und ihr Kommentar stammen von der Hand desselben Schreibers; Hauréau vermutete aus stilistischen und inhaltlichen Gründen (die er allerdings nicht näher ausführte), sie hätten auch denselben Verfasser.13 Die enge Verbindung zwischen Alexandreis und Graecismus in der mittelalterlichen Rezeption bestätigten über ein Jahrhundert später Untersuchungen von Anne Grondeux.14 Sie betrachtete im Kontext ihrer Forschungen zur Kommentierung des Graecismus auch die Verwendung der Alexandreis im mittelalterlichen Grammatikunterricht. Dabei stellte sie fest, dass beide Texte häufig in den gleichen Zusammenhängen erscheinen: Ihr Einsatz und ihre Kommentierung ähneln einander stark, die Kommentatoren zitieren auch das jeweils andere Werk häufig in ihren Erläuterungen. Die frühesten Zitate aus der Alexandreis finden sich dabei in eben der Fassung des Graecismus-Kommentars, die in der Pariser Handschrift BnF lat. 18522 wohl unikal überliefert ist.15

Auf einer ganz anderen Ebene als seine Vorgänger Bellanger und Hauréau beschäftigte sich der italienische Romanist Raffaele de Cesare mit der mittelalterlichen Kommentierung der Alexandreis. Er publizierte im Jahr 1951 eine Untersuchung zu den altfranzösischen Glossen einer Abschrift dieses Werks, die sich im Archivio Capitolare ←15 | 16→von Novara befindet.16 Dabei arbeitete er auch intensiv zu der lateinischen Kommentierung, in die diese Glossen eingebettet sind. Sie beginnt mit einer umfangreichen Einleitung über das Leben Alexanders des Großen und seines Dichters Walter von Châtillon, in der unter anderem auch die Textgliederung und die Frage nach der utilitas behandelt werden.17 Aus der Seitenaufteilung der Handschrift schloss de Cesare, dass ein bereits existierender Kommentar bei ihrer Anlage von Anfang an mit eingeplant wurde. Dabei mussten vor allem drei Abschnitte – Beschreibungen der Waffen des Großkönigs Darius (2,494–539), des Sehers Zoroas (3,140–157) und des Grabmals der persischen Königin Stateira (4,176–274)18 – besonders berücksichtigt werden, da die Kommentierung hier weit umfangreicher ist, als dass sie wie sonst auf den Seitenrändern hätte Platz finden können. Der Text der Alexandreis wurde deshalb an den betreffenden Stellen in kurze Blöcke aufgebrochen, die rundum von (teils zu geometrischen Mustern arrangierten) Erläuterungen umgeben sind.

Die ungewöhnlich intensive Kommentierung der drei genannten Abschnitte erklärt sich daraus, dass diese jeweils aus Aneinanderreihungen von Anspielungen auf einen umfangreichen Bildungskanon bestehen: Zoroas beherrscht nicht nur die Magie, sondern auch die Künste des Quadriviums, und in den beiden Ekphraseis wird eine Vielzahl von Geschichten aus dem Alten Testament angerissen. Daher konnten die betreffenden Passagen der Alexandreis im Schulunterricht gut als Ausgangspunkt für die Vermittlung von Wissen aus den unterschiedlichsten Bereichen, vor allem aber von Bibelkenntnis, verwendet werden. Das wirkt sich besonders auf die fast hundert Verse umfassende Beschreibung von Stateiras Grabmal aus, deren Erläuterungen aufgrund ihres großen Umfangs teilweise auch separat überliefert ←16 | 17→wurden.19 Ein solcher Kommentar zur Grabekphrasis wurde im Jahr 2008 von David Townsend nach einer Handschrift der British Library aus der Mitte des 14. Jahrhunderts ediert.20

Zusätzlich zu der Handschrift aus Novara sah de Cesare eine Vielzahl von weiteren Textzeugen in italienischen und französischen Bibliotheken ein. Der Anhang seiner Studie enthält Beschreibungen von nicht weniger als 101 Handschriften aus ganz Europa, teils nach Katalogdaten und teils auf Grundlage von de Cesares eigenen Beobachtungen, immer mit Hinblick auf deren Kommentierung. Bei diesen umfangreichen Studien stellte de Cesare fest, dass die Kommentierung einer großen Zahl von Handschriften sich in vielen Punkten ähnelt und teilweise sogar wörtlich übereinstimmt.21 Die Übereinstimmungen betreffen die Einleitung, die vorangestellte Kapitelgliederung,22 die drei besonders ausführlichen Kommentarabschnitte, die Einleitungen der einzelnen Bücher, den größeren Teil der Marginalscholien zu geographischen, historiographischen, literarischen und philosophischen Fragen sowie einen großen Teil der Interlinearglossen.

De Cesare schloss aus seinen Beobachtungen, dass den Erläuterungen der verschiedenen Abschriften ein einziger Kommentar zugrunde liegen müsse, der jeweils um eine kleinere Zahl von individuellen Zusätzen erweitert wurde. Er hielt es für möglich, den ursprünglichen Kommentar durch einen Vergleich der bekannten Alexandreis-Handschriften von diesen Zusätzen zu isolieren und gewissermaßen wieder herauszuschälen.23 Eine namentliche Nennung ←17 | 18→Walters von Châtillon mit dem Zusatz felicis memorie, die sich in der Einleitung vieler Handschriften findet, veranlasste De Cesare zu der Vermutung, der Kommentar könnte bereits kurz nach dem Epos selbst verfasst worden sein, obwohl fast alle der ihm bekannten kommentierten Handschriften aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammten.24 In den darauffolgenden Jahren veröffentlichte er noch zwei Aufsätze zur Kommentierung der Alexandreis, in denen er seine Ergebnisse durch einen Abgleich mit weiteren Handschriften in der Schweiz (Bern) und in Belgien vertiefen und bestätigen konnte.25

In der Folge wurde die Forschung von Marvin L. Colker entscheidend vorangebracht, der 1978 Scholienapparate aus vier verschiedenen Handschriften teils vollständig und teils auszugsweise in seine Neuedition der Alexandreis aufnahm. Colker war im Jahr 1951 an der Universität von Virginia mit seiner kritischen Edition des Epos promoviert worden. Acht Jahre später veröffentlichte er einen kurzen Artikel, in dem er erstmals auf Gaufrid von Vitry als Autor des Alexandreis-Kommentars verwies und einen Bezug nach Orléans herstellte.26 Dabei berief er sich auf drei Handschriften aus Oxford und Zürich, die de Cesare nicht gekannt hatte. In der Handschrift 211 des Oxforder Corpus Christi College und in der Rheinauer Handschrift 98 der Zentralbibliothek Zürich wird Galfridus bzw. Gaufridus Vitriacensis als Verfasser des Kommentars an zwei Stellen namentlich genannt: Ein längeres Scholion zu Buch 10,457 stellt ihn als Dritten an die Seite von Quintus Curtius, dem Geschichtsschreiber des Alexanderstoffes, ←18 | 19→und Walter von Châtillon, seinem Dichter.27 Ganz am Ende des Kommentars wird diesem Text in einem sphragisartigen Distichon ewiger Nachruhm zusammen mit dem Epos selbst versprochen – Text und Kommentar sind in dieser Darstellung zu einer untrennbaren Einheit verschmolzen:

Sicut Alexandri28 superabit gloria tempus,

Viuet Gaufridi Vitriacensis opus.

Der Bezug nach Orléans geht aus der Schreibernotiz eines Petrus heremita in MS 69 des Exeter College in Oxford hervor: Die separat angehängten Scholien werden dort als maiores glosule ut dicuntur Aurelianenses bezeichnet.29

Gaufrid wurde in der Folge vor allem als Verfasser eines Kommentars zu Claudians De raptu Proserpinae bekannt,30 der mit einer vergleichbaren Sphragis endet. Sie besteht wieder aus zwei Versen, hier zwei Hexametern, und macht deutlich, dass es sich bei den Erklärungen zu Claudians Kurzepos nur um einen Teil eines umfassenden Werkkommentars zu diesem Autor handeln dürfte. Die Verse lauten:

Protulit in lumen actoris utrumque uolumen

Quodlibet intactum ducens Gaufridus in actum.31

Details

Seiten
564
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783034346269
ISBN (ePUB)
9783034346276
ISBN (Hardcover)
9783034345903
DOI
10.3726/b20336
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Mai)
Schlagworte
Lateinunterricht Mittelalter Orléans Paris Handschriften Überlieferung Textvariabilität
Erschienen
Bern, Berlin, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 564 S., 6 farb. Abb., 15 s/w Abb., 12 Tab.

Biographische Angaben

Dörthe Führer (Autor:in)

Dörthe Führer studierte Mittellateinische Philologie in Göttingen und in Zürich, wo sie als Assistentin und Dozentin tätig war. Aktuell beschreibt sie in einem Katalogisierungsprojekt mittelalterliche Handschriften kleinerer Schweizer Sammlungen.

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