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Die Konstruktion stärken: Ein Handlungsfeld der Deutschdidaktik neu betrachtet

von Martina von Heynitz (Band-Herausgeber:in) Michael Steinmetz (Band-Herausgeber:in)
©2023 Konferenzband 256 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch stellt die Konstruktion als deutschdidaktisches Tätigkeitsfeld neu vor. Mit Konstruktion sind all jene Tätigkeitsbereiche gemeint, in denen die Fachdidaktik produktiv auf Lehr- und Lernprozesse einwirkt – in denen sie also Lehren und Lernen nicht nur forschend beobachtet und reflektiert, sondern auch aktiv mitgestaltet und entwickelt. Autorinnen und Autoren aus Deutschdidaktik und Schule diskutieren und reflektieren die Konstruktion aus unterschiedlichen Perspektiven. Das Buch plädiert für eine Stärkung der Konstruktion in der Didaktik im Sine einer Aufwertung wie einer Professionalisierung.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Gliederung des Bandes:
  • Die Konstruktion stärken: Ein Handlungsfeld der Deutschdidaktik neu betrachtet
  • Die Konstruktion stärken – Einführung
  • Konstruktion und Forschung
  • Schritte auf dem Weg zur Entwicklungskonstruktion (Juliane Köster)
  • Perspektivverstehen als Aufgabe der Konstruktion – Einblicke in das Entwicklungsforschungsprojekt PAuLi (Ricarda Freudenberg, Martina von Heynitz, Birgit Schlachter, Michael Steinmetz)
  • Konstruktionen in der prozedurenorientierten Schreibdidaktik (Sara Rezat)
  • Konstruktionen für Lehrerinnen und Lehrer
  • Konstruktionsarbeit für Lehrerinnen und Lehrer aus der Praxisperspektive (Andrea Stadter)
  • Curriculumkonstruktion. Eine Aufgabe der Deutschdidaktik (Jakob Ossner)
  • Wissenschaftstransfer durch fachdidaktische Konstruktionstätigkeit? Gedanken zu ihrer Verbindung mit Fortbildungsintentionen (Thomas Zabka)
  • Wie sollten Unterrichtsmodelle gestaltet sein? Überlegungen im Spannungsfeld von Nutzbarkeit und Professionalisierung (Marie Lessing-Sattari, Dorothee Wieser)
  • Reflektierte Praxis – Aufgabenkonstruktion als zentrales Forschungsdesiderat der Deutschdidaktik (Thomas Berger)
  • Zur Heterogenität von Lerngruppen und konstruktiver Fachdidaktik – Oder: Konstruieren wir an der Wirklichkeit vorbei? (Marco Magirius)
  • Konstruktionen in der Hochschullehre
  • Hochschullehre im Blick der Deutschdidaktik: Bildungsmedien an der Schnittstelle von Konstruktion, Rekonstruktion, Kasuistik und Forschendem Lernen (Björn Rothstein)
  • Fachdidaktische (Re-)Konstruktionen für die Lehrkräftebildung. Bedingungen, Beispiele, offene Fragen (Iris Winkler, Christiane Kirmse)
  • Guten Deutschunterricht konstruieren: Ein Statement zur Güte (Tilman von Brand)
  • Transitorische Konstruktionen in der Professionalisierung: Übergangsformate von der intuitiven Komposition zur ko-konstruktiven Improvisation (Christoph Bräuer)
  • Reihenübersicht

Michael Steinmetz, Martina von Heynitz

Die Konstruktion stärken – Einführung

In the following article we define und differentiate important forms of construction in the field of german didactics. We reason from a didactical point of view why we see it as essential to sustain construction. Furthermore we present an introduction in this miscellany by giving an overview of the various articles contributing to this book.

1 Stellenwert der Konstruktion

Während Rekonstruktion in den letzten Jahren zu einem zentralen Forschungsbegriff und Handlungsfeld der deutschdidaktischen Disziplin avanciert ist, gewinnt der Begriff der Konstruktion erst nach und nach wieder an Bedeutung. Prägten Erwägungen rund um die Konstruktion noch vor der empirischen Wende das Handlungsfeld der Disziplin wie selbstverständlich mit, sind sie im Zuge der empirischen Wende immer seltener geworden. Noch im 20. Jahrhundert gehörte es zum guten Ton, durchaus elaborierte theoretische Konzeptionen im Großen wie im Kleinen in praktische Verfahren, Modelle und Methoden zu übersetzen und an die Lehrperson zu adressieren. Zu denken ist – um prominente Beispiele zu nennen – an die zahlreichen literaturdidaktischen Konstruktionen zum handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht von Gerhard Haas, Kaspar Spinner oder Günter Waldmann, an Karlheinz Fingerhuts Lehrbuchengagement rund um die Begriffe des Epochenumbruchs oder auch an Wolfgang Menzels Konzept der Grammatikwerkstatt (vgl. Köster in diesem Band, S. 29f.). Spätestens mit der in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts einsetzenden empirischen Wende geraten Umsetzungs- und Anwendungsansprüche, die der Deutschdidaktik mindestens bis in die 80er Jahre inhärent waren (vgl. Rupp 2016, S. 49–54), in den Hintergrund. Statt Lernwege „hoffnungsfroh zu modellieren“ (vgl. Winkler 2012, S. 24), ist die wohl wichtigste Frage seither, wie sich Lern- und Lehrprozesse tatsächlich, d. h. empirisch nachweisbar, vollziehen. Dem korrespondiert eine dominant rekonstruktive Perspektive auf Erwerbs- und Vermittlungsprozesse sowie – trotz gewichtiger Ausnahmen (wie z. B. der Zeitschrift „Praxis Deutsch“ im Friedrich Verlag oder der gleichnamigen Buchreihe bei Klett Kallmeyer) – eine gewisse Vorsicht gegenüber konstruktiven Erwägungen in der Disziplin.

←9 | 10→Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um die Vermittlung von Professionswissen in der Lehrerausbildung (vgl. z. B. Schlachter 2020) erfährt die konstruktive Perspektive wieder Aufwind. So sorgen die zum Teil „ernüchternden“ (Lessing-Sattari/Wieser 2018, S. 58) Forschungsergebnisse über Aufbau und Wirksamkeit von akademisch vermitteltem Professionswissen (vgl. z. B. Bremerich-Vos et al. 2019) für eine kontroverse Debatte über die Möglichkeit und Notwendigkeit der akademischen Vermittlung von handlungsrelevantem Wissen oder gar Rezepten (vgl. z. B. Pohl 2020), also wie auch immer gearteten Handlungsanweisungen für das Professionsfeld. Ernüchternd sind die Ergebnisse in zwei Bereichen professioneller Kompetenzen (vgl. Kunter et al. 2011, S. 32) angehender Lehrkräfte: Wissen und Überzeugungen. Im Bereich der Kategorie Wissen herrscht einerseits Uneinigkeit in der Disziplin selbst, welches und wieviel Wissen aus der Bezugsdisziplin Germanistik angehende Lehrpersonen benötigen (Wieser/Winkler 2017), andererseits zeigen die quantitativen Studien TEDS-LT, FALKO und auch Planvoll-L, dass Studierende im Kontext von Unterrichtsplanung im Praktikum weniger (bis gar nicht) auf hochschulisch vermitteltes Wissen, sondern auf Erfahrungen aus dem schulischen Handlungsfeld zurückgreifen (vgl. Bremerich-Vos 2019, S. 58–60). Auch die Studien zu Überzeugungen verweisen häufig auf die fehlende Relevanz hochschulischer Lehrinhalte für Orientierungsmuster im Kontext schulischer Vermittlungspraktiken von (angehenden) Lehrpersonen (vgl. Lessing-Sattari 2018; von Heynitz/Scherf 2020) und nicht zuletzt auf fehlende oder nur in Ansätzen vorliegende hochschuldidaktische Konzepte (vgl. Winkler 2019, S. 64) zum Umgang mit den z. T. durchaus problematischen Überzeugungen der Deutschstudierenden z. B. im Bereich des Interpretierens (vgl. Magirius 2018, S. 284–286). Insgesamt zeigt sich in bisherigen Studien ein geringer Einfluss hochschulischer Vermittlung fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Wissens auf die (spätere) Unterrichtspraxis (vgl. z. B. auch Winkler 2019, S. 64).

An welcher Stelle und auf welchen Ebenen die Deutschdidaktik im Rahmen ihrer Lehre-, Forschungs- und Beratungsaktivitäten konstruktiv tätig wird, hängt stark vom Selbstverständnis der Disziplin ab, das einem kontinuierlichen Aktualisierungsprozess unterliegt. Das deutschdidaktische Selbstverständnis changiert – in seiner Dynamik und Heterogenität – zwischen den Polen Deutschdidaktik als Reflexionswissenschaft und Deutschdidaktik als Anwendungswissenschaft (vgl. Winkler 2016). Wer die Deutschdidaktik tendenziell als „Praktische Wissenschaft“ (vgl. Ossner 1993, S. 190 und S. 192) versteht, wird die Entwicklung von Rezepten oder die Konstruktion von konkreten Unterrichtsmodellen als Möglichkeit sehen, Unterrichtsprozesse in einem ←10 | 11→normativ wünschenswerten Sinne zu beeinflussen. Die leitende Frage ist dann, wie fachwissenschaftliches und fachdidaktisches Wissen zu vermitteln und zu implementieren ist, dass es sich in der Unterrichtspraxis als wirksam erweist und – vielleicht in Form innovativer Konzepte – unerwünschte unterrichtspraktische Routinen durchbricht (vgl. Pohl 2020; Steinhoff 2020). Wer dagegen Deutschdidaktik vordergründig als Reflexionswissenschaft begreift, steht der Entwicklung von Rezepten oder der Konstruktion von Unterrichtsmodellen und praktischen Verfahren als deutschdidaktische Tätigkeit eher skeptisch gegenüber. Zentral für diese Position ist die Prämisse, dass erst die Reflexion dazu befähigt, Handlungsroutinen der schulischen Praxis zu analysieren und zu hinterfragen (vgl. Rautenberg 2020, S. 31), um im Sinne einer wünschenswerten Praxis konstruktiv tätig zu werden. Betrachtet man beide Ausrichtungen – Reflexion vs. Anwendung –, so lassen sich aber durchaus Schnittmengen erkennen. So spricht Steinhoff von „Grundrezeptwissen“ (Steinhoff 2020, S. 9), das sich erst „im Zuge der fortlaufenden Diskursivierung und Applizierung“ (ebd., S. 11), also vor dem Hintergrund von reflexiver Anwendung, als Professionswissen entfaltet. Umgekehrt ist auch bei den Verteter*innen des Reflexionsgedankens der Transfer in die Praxis immer schon (theoretisch) mit angelegt, wenn beispielsweise Studierende vor dem Hintergrund der Reflexion des erworbenen Wissens „Beispiele aus der Unterrichtspraxis analysieren und reflektieren“ (Winkler 2019, S. 66) sollen.

Unabhängig von jeweiligen Positionierungen innerhalb der Deutschdidaktik lässt sich dennoch beobachten, dass im Grunde alle Deutschdidaktiker*innen mehr oder weniger konstruktiv tätig werden. Diese Tätigkeiten beziehen sich auf unterschiedliche Felder und Bereiche der Konstruktion, die mit je eigenen Herausforderungen verbunden sind.

2 Formen und Problemfelder der Konstruktion

Nach Wieser (2016) sind mit Konstruktion „all die Aspekte verbunden, in denen Fachdidaktik direkt oder indirekt auf Lehr- und Lernprozesse einwirkt und damit den Modus der distanzierten Beobachtung verlässt“ (ebd., S. 131). Fragt man danach, wo genau Akteure der Deutschdidaktik konstruktiv tätig sind, fällt die Antwort vielfältig aus: Zum Beispiel konstruieren Deutschdidaktiker*innen Unterrichtsmodelle oder im Fachunterricht anwendbare Materialien für Lehrpersonen im Rahmen praxisbezogener Publikationen. Ebenso betreiben Deutschdidaktiker*innen Konstruktion, wenn sie in Lehrezusammenhängen mit Studierenden Aufgaben und Lernmaterialien auswählen, entwickeln und erproben oder im Rahmen der zweiten und dritten Lehrerbildungsphase ←11 | 12→Fort- und Weiterbildungen durchführen. Und auch wenn Deutschdidaktiker*innen wissenschaftlich-beratende Tätigkeiten ausführen, etwa als wissenschaftliche Begleitung der zentralen Abschlussprüfungen, handelt es sich um Konstruktionstätigkeiten. Auf der Suche nach Ordnung auf diesem unübersichtlichen Feld bietet es sich an, zunächst systemische Ebenen zu unterscheiden, auf denen Konstruktionsarbeit angesiedelt sein kann.

In Anlehnung an McKenney et al. (2006, S. 68–70) lassen sich drei systemische Ebenen konstruktiver Aktivitäten unterscheiden: Auf der Makro-Ebene geht es weitgehend um bildungsadministrative Entwicklungen. Hierhin gehören einerseits internationale Prozesse, z. B. die Konstruktion internationaler Curricula oder die Durchführung von internationalen Schulleistungsstudien. Andererseits zählen dazu nationale Prozesse wie die Implementierung von Bildungsstandards, die Zentralisierung von Abschlussprüfungen, das Monitoring durch Lernstandserhebungen und Vergleichsarbeiten oder die Entwicklung länderspezifischer Lehr- bzw. Bildungspläne. Die Meso-Ebene meint den konkreten Bereich der Schule, auf dem z. B. spezifische Schulcurricula oder schulspezifische Lehrbuch- und Methodenentscheidungen wirken. Mit der Mikro-Ebene schließlich ist das Lehren und Lernen im Klassenverbund gemeint, also konkrete Lernsettings, Aufgabenstellungen und fachspezifische Lernprozesse.

Quer zu diesen systemischen Ebenen lassen sich Formen und Problemfelder der Konstruktion unterscheiden.1 Blicken wir zunächst auf die hierarchiehöheren Felder, also die Makro- und Meso-Ebene, dann sind deutschdidaktische Akteure häufig in folgende administrativ-beratende Formen der Konstruktion involviert:

Details

Seiten
256
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631898284
ISBN (ePUB)
9783631898291
ISBN (Hardcover)
9783631877876
DOI
10.3726/b20631
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (April)
Schlagworte
Deutschdidaktik forschungsorientiertes Lehren und Lernen Stärkung der Fachdidaktik
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 256 S., 13 S/W-Abb., 4 Tab.

Biographische Angaben

Martina von Heynitz (Band-Herausgeber:in) Michael Steinmetz (Band-Herausgeber:in)

Dr. Martina von Heynitz ist Akademische Oberrätin im Fach Deutsch mit Sprecherziehung an der Pädagogischen Hochschule Weingarten. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Literaturdidaktik, insbesondere literarischer Verstehenskompetenzen und damit verbundener Rezeptionsprozesse, Aufgabenforschung und Professionsforschung. Dr. habil. Michael Steinmetz ist Professor für Literatur und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Weingarten. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Literaturdidaktik, insbesondere der Aufgaben- und Gesprächsforschung, der Bildungsstandards und der Textkompetenzen.

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