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Sprache und Interkulturalität in der digitalen Welt / Language and Interculturality in the Digital World

von Roman Lietz (Band-Herausgeber:in) Milene Mendes de Oliveira (Band-Herausgeber:in) Luisa Conti (Band-Herausgeber:in) Fergal Lenehan (Band-Herausgeber:in)
©2024 Sammelband 314 Seiten
Open Access

Zusammenfassung

Der Band befasst sich mit Zusammenhängen von Sprache, Interkulturalität und Digitalität. Die neun Kapitel untersuchen, wie sich Interkulturalität in verschiedenen Settings digitaler Kommunikation – von YouTube über Tripadvisor bis Twitter – manifestiert und wie sie mit kommunikativen Strategien und komplexen Identitätsdarstellungen verwoben wird.
The contributions to this volume address the blending of language, interculturality and digitality. The nine chapters investigate how (inter)culturality is manifested in various settings of digital communication – from YouTube to Tripadvisor and Twitter – and how it becomes intertwined with sets of communicative strategies and complex displays of identity.
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Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einführung: Sprache und Interkulturalität in der digitalen Welt
  • Introduction: Language and Interculturality in the Digital World
  • 1 Aushandlung von Interkulturalität in der Online-Welt / Negotiating Interculturality in the Online World
  • Displaying and Negotiating Power through Entitlement Claims in Newly-Established International Online Groups
  • „I definitely feel like I have become very germanized in a lot of ways“: Zur Darstellung kultureller Erfahrung durch Expatriate Youtuber*innen
  • Positioning in Digital Interactions: Representations of the German Language and its “Culture” on YouTube Text-Based Polylogues
  • 2 Digitale Interkulturalität in Institutionellen Kontexten / Digital Interculturality in Institutional Contexts
  • Peer Feedback in Intercultural Online Communication: Theoretical and Practical Considerations for English Language Teaching
  • Online Consumer Reviews and Management Responses: Intercultural Service Encounters in the Digital World
  • Mehrsprachigkeit in der polizeilichen Einsatzausbildung – analog und digital
  • 3 (Sozio-)Kulturelle Reflexionen und Fallstudien zu Digitaler Interkulturalität / (Socio-)Cultural Reflections and Case Studies on Digital Intercultural Phenomena
  • Diskursive Herstellung von Identität und sozialer Kohäsion im virtuellen Raum
  • Digitaler Europäismus: #DenkEuropaMit, @PulseOfEurope und europäisierte Referenzialität vor der Bundestagswahl 2021
  • Heimat als Netzwerk. Wie sie erlebt wird und imaginiert werden kann
  • Autorenbiografien

Milene Mendes de Oliveira / Roman Lietz

Einführung: Sprache und Interkulturalität in der digitalen Welt

1. Sprache, Interkulturalität und die Digitale Welt

Sprache und Kultur ist als Phrase (nicht nur) im akademischen Bereich weit verbreitet: Sie findet sich etwa in Buchtiteln oder in den Bezeichnungen von Sprachinstituten an Hochschulen auf der ganzen Welt. Dabei kann die Konjunktion und entweder auf die Vermischung der Begriffe hinweisen, wobei Sprache und Kultur in diesem Fall eine wechselseitige Wirkung aufeinander haben, oder sie weist auf die Unterscheidbarkeit der beiden Begriffe hin, das heißt auf ihre Existenz als zwei unabhängige Konstrukte, deren Merkmale zwar getrennt sind und bleiben, die aber Berührungspunkte haben können. Wir sind überzeugt, dass die Verortung der beiden Begriffe auf unterschiedlichen Seiten dazu führt, dass Gemeinsamkeiten und mögliche Synergien ungerechtfertigterweise vernachlässigt werden, und betrachten daher das und als eine verbindende Konjunktion.

Auch wenn die Überlegungen zum Einfluss von Sprache auf Kultur schon Jahrhunderte zurückreichen, hat sich Busch (2022) zufolge die Sprachwissenschaft eine gewisse Distanz zu Diskussionen über Kultur bewahrt. Den großen Fragen der Kultur hat sie sich erst genähert, nachdem sich andere Geisteswissenschaften dem Cultural Turn längst verschrieben hatten. Besonders angeregt durch Dell Hymes, John Gumperz und andere öffnete sich die Linguistik der Erforschung von Sprachgebrauch in Zusammenhang mit Kultur.1 Deren Studien bildeten einen Rahmen, in dem Kultur als etwas, das Menschen tun, und nicht unbedingt als etwas, das Menschen haben, analysiert wurde. Mittlerweile wird diese soziolinguistische Denkschule stärker in der linguistischen Ethnografie vertreten (Rampton, 2022; Copland/Creese 2015), wenngleich sie noch immer Distanz zur traditionellen Linguistik hält, die sich weiterhin auf die Beschreibung von Sprache konzentriert (Busch 2022).

Im digitalen Zeitalter, das durch die schnelle Verbreitung und Verarbeitung von Informationen (z. B. durch Nachrichtenportale, Messenger- Dienste, Social Media) sowie von Superdiversität (Vertovec 2007; Blommaert/Rampton 2011) gekennzeichnet ist, sind die Verbindungen von Sprache und Kultur jedoch zu offensichtlich, um ignoriert werden zu können. Im vorliegenden Band finden wir dazu Beispiele, die sich etwa mit der Aushandlung der Bedeutungen von Sprache und Kultur auf Twitter, in YouTube-Videos und ihren Kommentarsektionen, in Foren und in Kundenbewertungsportalen befassen. Darüber hinaus müssen wir jedoch im Blick behalten, dass die Phrase Sprache und Kultur auch in essentialistischen Strömungen ihre Attraktivität genießt, die nicht selten neue Rechte Ideologien nähren, zum Beispiel jene, die Linguistik mit vermeintlicher sprachlicher Reinheit verknüpfen möchten (Horner/Weber 2014; siehe auch Contis Beitrag in dieser Ausgabe).

In diesem Band haben wir uns entschieden, Abstand von Sprache und Kultur als Referenz zu nehmen und wollen stattdessen von Sprache und Interkulturalität sprechen. Interkulturalität wird vom deutschen Kultur- und Kommunikationswissenschaftler Jürgen Bolten (2015: 118) als „unvertraute Vielfalt“ beschrieben und bezieht sich auf Situationen, in denen sich Individuen in mehrdeutigen und unvorhersehbaren Situationen wiederfinden, die sie nicht ohne Weiteres durchschauen oder einordnen können und die jenseits ihrer „Normalitätserwartung“ liegen. Diese terminologische Annäherung ist insofern hilfreich, als sie es ermöglicht, Kultur losgelöst von Nation (und den damit verbundenen Stereotypen) zu sehen, und stattdessen auch detaillierter die Herausforderungen für individuelle Begegnung in einem neuen Handlungsfeld in den Blick nimmt. Das kann ein neues Heimatland sein, aber auch ein neuer Verein, eine neue Arbeitsstelle oder eine neue Online-Community. Auch international wird dieser Diskurs von unterschiedlichen Wissenschaftsgemeinschaften aufgegriffen, etwa durch MacDonald und Laadegard (2022) in ihrer Sonderausgabe des Journals Language and Intercultural Communication.

Unsere Präferenz für den Begriff Interkulturalität ist auch durch die unterschiedlichen Kulturbegriffe begründet, die sich von struktur- zu prozessorientierten Perspektiven (Bolten 2007) erstrecken.2 Heterogen ist in diesem Sinne auch der jeweilige Kulturbegriff in den einzelnen Beiträgen in diesem Band. Bei einigen Autor*innen ist diese Vielfalt an Kultur- und Interkulturalitätskonzepten und die Selbstzuschreibung der Akteur*innen gar der Anlass für die durchgeführten Untersuchungen (siehe die Beiträge von Kreß und Barbosa in diesem Band).

Mit der Beziehung zwischen Sprache und Interkulturalität im Hinterkopf wollen wir uns nun der Frage widmen, wie das Digitale hier hineinspielt und das Thema in ein Praxisfeld Digitaler Interkulturalität verwandelt. Dass durch das Internet Nutzer*innen weitreichende Möglichkeiten zur aktiven Teilhabe an öffentlichen Diskursen bekommen haben und relativ barrierefrei eigenen Content erstellen können, ist mittlerweile kein Geheimnis mehr. Aus Konsument*innen (Engl. users) wurden Prosument*innen (Engl. produsers) (Bruns 2008).3 Dieser Paradigmenwechsel eröffnet einen Raum, in dem die eigene Position sichtbar gemacht wird, sei es als Ausdruck politischer Teilhabe (siehe Lenehan in diesem Band), sei es im Verteidigen des Stakes in internationalen Kollaborationen (siehe Mendes de Oliveira/Conti), in Peer-Feedback in dezentralen pädagogischen Konzepten (siehe Schluer/Liu) oder durch Online-Bewertungen von Dienstleistungen (siehe Schröder).

Die Teilhabemöglichkeiten selbst werden operativ durch die Funktionen der Plattformen und Online-Tools bereitgestellt. Diese Funktionen, auch „affordances“ (Gibson 1986) genannt, sind „spezifische von den digitalen Medien erschaffene Möglichkeiten, um Handlungen zu erlauben.“ (Jones/Chik/Hafner, 2015: 10; eigene Übersetzung). Dazu gehören der Like-Button und die Retweet-Funktion (Twitter) ebenso wie Kommentarsektionen oder Übersetzungs-Apps, die über jedes Smartphone bedient werden können (siehe Meyer/Kolloch in diesem Band). Jones/Chik/Hafner weisen jedoch zurecht auf die nichtdeterministische Nutzung dieser Funktionen hin: De facto können Nutzer*innen die Technologien auch ganz anders als von den Entwickler*innen intendiert verwenden.

Das Verhältnis zwischen Nutzer*innen und Online-Funktion wird auch als Cultures of Use bezeichnet. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Technologien für verschiedene Gemeinschaften voneinander abweichende Bedeutungen, Anwendungen und Wertigkeiten haben können und auch die Handlungsfähigkeit der Akteure in der Technologie-Nutzer-Relation eine wichtige Rolle spielt. (Thorne, 2016). Vor allem darf man nicht vergessen, dass nicht die Technologien für eine Varianz sorgen, sondern die menschlichen Akteur*innen, die die nahezu unendlichen Möglichkeiten nutzen, medialen Content zu erstellen (Videos, Bilder, Texte,…), um – oft auch gemeinschaftlich – fluide Identitäten online zum Ausdruck zu bringen (Androutsopoulos 2016; siehe Lietz in diesem Band).

In diesem Band untersuchen wir das Zusammenwirken von Sprache, Interkulturalität und Digitalität und verknüpfen es durch die Vorstellung einer Digitalen Interkulturalität. Diese haben wir4 kürzlich als „komplexes Zusammenspiel des Digitalen mit dem Interkulturellen“ sowie als eine spezielle „Hyper-Interkulturalität der digitalen Welt mit einer unendlichen Zahl von neuen und diversen Verbindungen“ (Lenehan, 2022: 6, eigene Übersetzung) charakterisiert, wobei selbstverständlich eine tiefere Theoretisierung noch aussteht. Unser Vorhaben wird auch von den Internet Studies beeinflusst, einem recht neuen und höchst interdisziplinären Feld, welches sich aus verschiedenen Perspektiven den sozialen und kulturellen Implikationen der Internetnutzung widmet (Dutton 2013: 1). Konkret betrachten die Internet Studies schwerpunktmäßig drei Felder: (a) Technologie (technology), (b) Recht (policy and law) und – für (Sozio-)Linguist*innen sicherlich am interessantesten – (c) Nutzung (uses) (Dutton 2013: 2). Natürlich werden in diesem Band auch Aspekte von Technologie und Recht gestreift, doch der Fokus liegt naturgemäß auf use. Wir wollen dabei über die reine Praxis hinausblicken und Praxis eher im Bourdieu’schen Sinne als „eine Handlung mit einer Geschichte“ (an action with a history, Scollon/Saint-Georges 2012, eigene Übersetzung) begreifen, schließlich sind wir davon überzeugt, dass Handlungen immer in soziokulturelle Bedeutungen eingebettet sind und ohne diese nicht verstanden werden können. Daher widmen wir uns hier – angelehnt an Dutton (2013: 3) der zentralen Frage: Wer verhält sich in der digitalen Interkulturalität, auf welche Weise und mit welchen Resultaten?5

Stellvertretend für diese Handlungen stehen oft vielfältige und fluide Formen von manchmal überraschenden „Texten“, zu denen auch mündliche Diskussionen, Videos oder auf engstem Raum gebündelte Informationen in Tweets oder Emojis gehören. Auch wenn die Erforschung dieser Art von variantenreichen Texten quantitativ, also schematisch und in großen Datenmengen, erfolgen kann, gibt es – so Bakardijewa (2011: 61) – durchaus ein großes Interesse, die Diskurse in und um Online-Erzeugnisse(n) interpretativ und kritisch, also qualitativ, zu analysieren. Dieser interpretative, kritische, qualitative Ansatz steht im methodologischen Zentrum der folgenden Beiträge, die in ihrem Zusammenspiel eine große Vielfalt abbilden und uns dabei unterstützen und motivieren, das Verständnis von digitaler Interkulturalität zu schärfen.6

2. Die Beiträge in diesem Band

Dieser Band basiert auf der Zusammenstellung und Erweiterung von Beiträgen, die im September 2021 auf der jährlichen Konferenz der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) in der Sektion Interkulturelle Kommunikation (Sektionsvorsitz: Bernd Meyer und Beatrix Kreß) vorgetragen wurden. Wir setzen mit diesem Band einen Diskurs fort, den wir als ReDICo-Team in einer Sonderausgabe des Interculture Journal (Lenehan et al. 2022) begonnen haben und mit dem wir dem Begriff der Digitalen Interkulturalität weitere Substanz geben wollen, indem wir Fallstudien digitaler Praktiken mit einem Schwerpunkt auf Sprache zusammentragen. Diese Fallstudien behandeln unterschiedliche Aspekte von Online-Kommunikation, so zum Beispiel Feedback und Positioning. Ergänzt werden sie durch anthropologische und soziokulturelle Kontextualisierungen zu Aspekten wie Identität(en), Zugehörigkeit und Kultur der Digitalität (culture of digitality, Stalder 2019). Wir sind davon überzeugt, dass digitale Interkulturalität nur interdisziplinär erforscht werden kann. Daher vereint dieser Band unterschiedliche Perspektiven aus den Sprachwissenschaften und den Interkulturellen Studien. Er betrachtet Sprachgebrauch, Sprachakteur*innen und digitale Funktionen, die erst durch ihr Zusammenwirken interkulturelle digitale Praktiken hervorbringen.

Das erste Kapitel, Aushandlung von Interkulturalität in der Online-Welt, umfasst drei Beiträge, die aufzeigen, wie Akteur*innen in Situationen mit großer Komplexität miteinander diskutieren und (digital interkulturelle) Praktiken aushandeln. Milene Mendes de Oliveira und Luisa Conti berichten von einem Hochschulsetting, bei dem Student*innen in einem interkulturellen Online-Spiel über Zoom miteinander interagieren. Die Autorinnen zeigen, mit welchen interaktionalen Handlungen Spielrollen ausgehandelt werden. Im Detail werden kommunikative und interaktionale Handlungen analysiert, in denen Spieler*innen eine Rolle für sich oder ein*e Kolleg*in beanspruchen und damit eine Gruppeninklusion anstreben oder (unbeabsichtigt) die Exklusion anderer bewirken.

Beatrix Kreß präsentiert eine Untersuchung aus dem Bereich der linguistischen und der funktionalen Pragmatik. Im Zentrum stehen zwei englischsprachige Expatriates in Deutschland, die mittels ihrer YouTube-Kanäle Beobachtungen, Emotionen und soziale Erfahrungen aus ihrem Leben teilen. Es wird herausgearbeitet, dass die Vloggerinnen kulturelle Unterschiede unter anderem durch verbale, para-verbale und non-verbale Mittel hervorheben und somit einerseits Kulturkontraste hervorheben und andererseits sich selbst als Expertinnen für den Umgang mit diesen Kontrasten positionieren. Die Autorin schlussfolgert, dass die Konstruktion von kulturellem Kontrast erst die Grundlage für den webproduzierten Content der Vloggerinnen bietet.

Details

Seiten
314
Jahr
2024
ISBN (PDF)
9783631881323
ISBN (ePUB)
9783631881330
ISBN (Hardcover)
9783631881316
DOI
10.3726/b21349
Open Access
CC-BY
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (April)
Schlagworte
Postdigitalität Postdigitality Digitale Interkulturalität Digital Interculturality Europäismus Europeanism Macht Power Identität Identity Positionierung Positioning Expatriates Peer-Feedback Online-Bewertungen Online-Reviews Heimat
Erschienen
Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2024. 314 S., 35 farb. Abb., 8 S/W-Abb., 1 Tab.

Biographische Angaben

Roman Lietz (Band-Herausgeber:in) Milene Mendes de Oliveira (Band-Herausgeber:in) Luisa Conti (Band-Herausgeber:in) Fergal Lenehan (Band-Herausgeber:in)

Roman Lietz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Interkulturelle Kommunikation der Johannes Gutenberg-Universität Mainz / is a researcher in the area of Intercultural Communication at the Johannes Gutenberg University of Mainz. Milene Mendes de Oliveira ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Potsdam / is a researcher in the Department of English and American Studies at the University of Potsdam. Luisa Conti ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bereich Interkulturelle Wirtschaftskommunikation der Friedrich-Schiller-Universität Jena / is a researcher in the area of Intercultural Studies at the Friedrich Schiller University of Jena. Fergal Lenehan ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bereich Interkulturelle Wirtschaftskommunikation der Friedrich-Schiller-Universität Jena / is a researcher in the area of Intercultural Studies at the Friedrich Schiller University of Jena.

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Titel: Sprache und Interkulturalität in der digitalen Welt / Language and Interculturality in the Digital World