Lade Inhalt...

Dekarbonisierung, Digitalisierung, Demographie

Gestaltungsanspruch für gewerblich-technische Facharbeit und Bildung

von Axel Grimm (Band-Herausgeber:in) Volkmar Herkner (Band-Herausgeber:in) Torben Karges (Band-Herausgeber:in) Reiner Schlausch (Band-Herausgeber:in)
©2024 Konferenzband 526 Seiten

Zusammenfassung

Am 6. und 7. Oktober 2022 fand am Berufsbildungsinstitut Arbeit und Technik (biat) der Europa-Universität Flensburg (EUF) die 22. Herbstkonferenz der Arbeitsgemeinschaft Gewerblich-Technische Wissenschaften und ihre Didaktiken (gtw) statt. Unter dem Tagungstitel „Dekarbonisierung, Digitalisierung, Demographie – Gestaltungsanspruch für gewerblich-technische Facharbeit und Bildung" konnte die Konferenz drei nicht nur für die gewerblich-technische Facharbeit und die Berufsbildung sehr zentrale gesellschaftliche Themenstellungen aufgreifen, mit denen bereits seit geraumer Zeit und zukünftig noch wesentlich stärker ein hoher Gestaltungsanspruch einhergeht. Über dreißig Einzelbeiträge verdeutlichen in diesem Band die thematische Relevanz für die gewerblich-technischen Wissenschaften.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Teil I: Einleitende Beiträge
  • Gegenwart und Zukunft mitgestalten. Vorwort
  • Flensburger Erklärung 2022
  • Dekarbonisierung – Digitalisierung – Demographie: Herausforderungen für die Berufsbildung und ihre Mythen. Keynote
  • Teil II: Wandel der gewerblich-technischen Facharbeit und der beruflichen Anforderungen
  • Wandel der industriellen Facharbeit. Konsequenzen für die Berufsausbildung in der M+E-Industrie
  • Innovation von Kooperation und Transfer in Akteursnetzwerken – Durchführung und Ergebnisse des Projektes „DigiBAU“
  • Arbeitsmarkt- und Berufsinformationen als Datenbasis für eine verbesserte Abstimmung zwischen Bildung und Beschäftigung. Ein Verfahren zur Entwicklung beruflicher Curricula
  • Wasserstoffwirtschaft und gewerblich-technische Facharbeit. Zukunftstrend Wasserstoff – Schlüsseltechnologie einer erfolgreichen Dekarbonisierung der Wirtschaft?
  • Wasserstoff als Zukunftsthema in der beruflichen Bildung? Ein erster Blick auf technologische Veränderungen und neue Qualifikationsanforderungen für Fachkräfte im Verkehrssektor
  • Wasserstoffwirtschaft in Deutschland: Folgen für den Arbeitsmarkt
  • Innovative Ausbildungskonzepte in der Land- und Baumaschinenmechatronik
  • Teil III: Konzepte für das berufliche Lernen in gewerblich-technischen Berufsfeldern
  • Entwicklung eines Online-Tools zur kollaborativen Planung und Umsetzung von Lernsituationen in den gewerblich-technischen Fachrichtungen
  • Online-Communities – Paradigma einer digitalen Lernkultur
  • Peer Learning in gewerblich-technischen Ausbildungsberufen. Eine geeignete Lernmethode für Berufsschule und Betrieb?
  • Augmented Reality in der Instandhaltung. Eine neue berufliche Gestaltungsaufgabe?
  • Analyse gewerblich-technischer AR- und VR-Anwendungen mit dem Analyseraster Technischer Wissensinhalte (ArTWin)
  • Berufsspezialistin und Berufsspezialist für Industrielle Transformation. Einblick in erste Erkenntnisse einer bereichsübergreifenden Fortbildung auf der DQR-Stufe 5 aus dem InnoVET-Projekt BIRD
  • Concept Maps von Auszubildenden und Lehrkräften zu Funktionszusammenhängen in (vernetzten) mechatronischen Systemen
  • Neue Anforderungen an Facharbeit im Spiegel digitaler Transformationsprozesse. Bedarfsorientierte und anschlussfähige Qualifizierungsangebote für Fachkräfte der Metall- und Elektroindustrie
  • Lehren im Kontext der Arbeit lernen. Entwicklung eines Weiterbildungsangebotes für ausbildende Fachkräfte
  • Entwicklungsaufgaben beim Übergang von Fachkräften in die Ausbildungstätigkeit in industriellen Betrieben
  • Maker Education. Ein innovativer Ansatz zukunftsorientierter (Berufs-)Bildung?
  • Teil IV: Berufsbildung im demografischen Wandel
  • Zur Bindung von gewerblich-technischen Auszubildenden – eine empirische Analyse
  • Übergänge aus dem Hoch- in das Fachschulsystem. Neue Wege für die Sicherung des gewerblich-technischen Fachkräftebedarfs auf DQR-Niveau 6
  • Teil V: Gewerblich-technische Lehrkräftebildung und Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung, Heterogenität, Digitalität
  • Forschendes/problemorientiertes Lernen in der Lehrendenbildung. Evaluation eines komplexen Lernaufgabenkonzepts für Lernfelder/-situationen
  • Blended Learning als hochschuldidaktischer Ansatz für die Kooperation zwischen Universität und (Fach-)Hochschulen im Studium des Lehramtes an berufsbildenden Schulen
  • Die Sanierung einer denkmalgeschützten Villa als Berufsbildungsprojekt im Rahmen einer virtuellen Lernumgebung
  • Digitalisierung in der beruflichen Lehramtsausbildung. Entwicklung von (studienübergreifenden) Medienpaketen
  • AdeLeBK.nrw – Adaptive E-Learning-Angebote für die kleinen gewerblich-technischen Fachrichtungen im Lehramt Berufskolleg als Antwort auf die Heterogenität der Lehrkräfte
  • Konzept zur Entwicklung von E-Learning-Lehrinhalten. Am Beispiel von lehramtsbezogenen Masterstudiengängen unter Berücksichtigung des digitalen Wandels in der Fahrzeugtechnik
  • Adaptives E-Learning für das Themengebiet Arbeitssicherheit als Fachinhalt in der Lehrkräftebildung für eine Arbeitswelt im Wandel
  • Didaktische Nutzung des digitalen Zwillings in einem E-Learning-Lernbaustein zum Thema „Smart Factory“ für die Lehramtsmasterstudiengänge der gewerblich-technischen Fachrichtungen
  • Von der Aufgabenstellung zur vollständigen Handlung
  • Domänenspezifische Qualitätssicherung im gewerblich-technischen Lehramt
  • Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Axel Grimm, Volkmar Herkner, Torben Karges, Reiner Schlausch

Gegenwart und Zukunft mitgestalten Vorwort zur 22. gtw-Herbstkonferenz 2022 in Flensburg anlässlich 25 Jahre biat

Am 6. und 7. Oktober 2022 fand am Berufsbildungsinstitut Arbeit und Technik (biat) der Europa-Universität Flensburg (EUF) die 22. Herbstkonferenz der Arbeitsgemeinschaft Gewerblich-Technische Wissenschaften und ihre Didaktiken (gtw) statt. Damit durfte das biat schon zum zweiten Mal zur gtw-Konferenz einladen. Am 9. und 10. Oktober 2012 fand bereits die 17. Herbstkonferenz in Flensburg statt, deren Beiträge in einem fast 600 Seiten umfassenden Tagungsband1 festgehalten wurden. Wird die vom 4. bis zum 6. Juni 1998 in Flensburg durchgeführte Tagung der Arbeitsgemeinschaft der Hochschulinstitute für gewerblich-technische Berufsbildung (HGTB) mitgezählt, würde es – da die HGTB als Vorläuferorganisation der gtw bezeichnet werden kann – bereits die dritte derartige Veranstaltung mit Ausstrahlung in den gesamten deutschsprachigen Raum im hohen Norden gewesen sein.

Im Jahr 2022 hatte das biat zwei gute Gründe für die Ausrichtung der Konferenz: Erstens konnte nach den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie der Forschungscommunity endlich wieder die Möglichkeit geboten werden, persönlich in präsenter Form zusammenzukommen und den inhaltlichen Austausch sowie die Netzwerkbildung zu fördern; zweitens war das 25-jährige Jubiläum des Berufsbildungsinstituts Arbeit und Technik ebenfalls ein wichtiger Grund für die Ausrichtung der Tagung in Flensburg. Das biat wurde im Jahr 1997 an der damaligen „Bildungswissenschaftlichen Hochschule – Universität Flensburg“ gegründet. Eine umfangreiche Institutsgeschichte wurde zum 20-jährigen Jubiläum veröffentlicht.2

Wie der Institutsname bereits andeutet, stehen Berufsbildung, Arbeit und Technik sowie deren Wirkungen auf Gesellschaft, Umwelt und Politik im Zentrum des wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses am biat. Daher lag es nahe, das Themenspektrum der Konferenz unter einem Tagungstitel zu bündeln, bei dem das komplexe Beziehungsgeflecht eine wesentliche Rolle spielt. Unter Berücksichtigung aktueller Themenaspekte fiel die Entscheidung auf den Tagungstitel:

„Dekarbonisierung, Digitalisierung, Demographie – Gestaltungsanspruch für gewerblich-technische Facharbeit und Bildung“

Somit widmete sich die Konferenz drei nicht nur für die gewerblich-technische Facharbeit und die Berufsbildung sehr zentralen gesellschaftlichen Themenstellungen, mit denen bereits seit geraumer Zeit und zukünftig noch wesentlich stärker ein hoher Gestaltungsanspruch einhergeht. Mit „Gestalten“ ist dabei – in Gegensetzung zum „Anpassen“ – die bewusste, aktive und vor allem prospektive sowie kritische und reflexive Auseinandersetzung gemeint.

Die Umstellung auf CO2-freie Technologien, um die Klimaneutralität zu erreichen, hat sehr große Auswirkungen auf viele gewerblich-technische Berufsfelder. Veränderungen in der Energiewirtschaft, der industriellen Produktion sowie im Verkehrs- und Gebäudesektor haben unmittelbare Auswirkungen auf die Facharbeit und die benötigten Kompetenzen der dort tätigen Fachkräfte. Auch der fortschreitende digitale Wandel verändert das Arbeiten und Lernen weiterhin stark. Die Pandemie hat eindrücklich die Stärken und Schwächen digital-unterstützten Lernens und Lehrens offenbart, aber auch einen Innovationsschub ermöglicht. Digitalisierung im gewerblich-technischen Bereich heißt aber auch, digitalisierte Arbeitsmittel und Werkzeuge der Facharbeit zu nutzen und deren Einsatz zu reflektieren. Ferner wird die demografische Entwicklung für die anstehenden Transformationsprozesse eine große Herausforderung darstellen. Ohne einen entsprechend qualifizierten gewerblich-technischen Fachkräftenachwuchs werden die anstehenden Aufgaben nicht bewältigt werden können. Ebenfalls gilt es, Antworten auf den Lehrkräftemangel im gewerblich-technischen Bereich zu finden, da die vorhandene und sich noch weiter verschärfende Versorgungslücke an den berufsbildenden Schulen auch hier den demographischen Entwicklungen unterliegt.

Vor diesem Hintergrund wurden auf der 22. gtw-Herbstkonferenz die folgenden Themenschwerpunkte unter dem Einfluss der aktuellen Entwicklungen kritisch betrachtet:

  • Wandel der gewerblich-technischen Facharbeit und der beruflichen Anforderungen,
  • Konzepte für das berufliche Lernen in gewerblich-technischen beruflichen Tätigkeitsfeldern,
  • Berufsbildung im demografischen Wandel,
  • Gewerblich-technische Lehrkräftebildung und Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung, Heterogenität, Digitalität.

Entsprechend der Schwerpunkte konnte ein umfangreiches Konferenzprogramm angeboten werden. So wurden drei Exkursionen durchgeführt: in das Maritime Zentrum der Hochschule Flensburg (u. a. Schiffssimulation), zum Prüflabor des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) und in das Industriemuseum Kupfermühle. Für die Keynotes zur Eröffnung der Konferenz konnten Martin Fischer, Professor i. R. am Karlsruher Institut für Technologie, mit dem Beitrag „Aktuelle Herausforderungen für die Berufsbildung: Dekarbonisierung, Digitalisierung, Demografischer Wandel“3 sowie Oke Beckmann und Barbara Schüssler von der GP JOULE Gruppe zum Thema „Energiewende & Sektorenkopplung – Herausforderungen in der Ausbildung“ gewonnen werden. In den Sessions wurde ein umfangreiches und breites Angebot an Vorträgen zu den o. g. Themenschwerpunkten präsentiert und mit den Zuhörenden diskutiert.

Die nun vorliegende Publikation zur gtw-Konferenz 2022 vereint fast vollständig die dargebotenen Vorträge. Dabei haben die Autorinnen und Autoren ihre Beiträge um Anregungen aus den Diskussionen bereichert. So stellt die Veröffentlichung nicht nur eine Dokumentation der Tagung dar, sondern mit ihr wird die Ambition verbunden, den wissenschaftlichen Austausch in der kleinen Fachcommunity zu fördern und ein Stück weit mitzugestalten. Dies ist ein Anspruch, den das biat wie auch die gtw zukünftig weiterverfolgen sollten.

Die Herausgeber danken den Autorinnen und Autoren und wünschen viel Freude und Erkenntnisgewinn bei der Lektüre.


1 Becker, M.; Grimm, A.; Petersen, A.; Schlausch, R. (Hrsg.) (2013): Kompetenzorientierung und Strukturen gewerblich-technischer Berufsbildung. Münster, Berlin.

2 Becker, M.; Grimm, A.; Herkner, V.; Schlausch, R. (Hrsg.) (2018): Flensburger Perspektiven zur Lehre und Forschung für die Berufsbildung. 20 Jahre biat. Berlin u. a.

3 Siehe Beitrag „Dekarbonisierung – Digitalisierung – Demographie: Herausforderungen für die Berufsbildung und ihre Mythen“ in diesem Band.

Matthias Becker, Martin Frenz, Lars Windelband

Flensburger Erklärung 2022

Die Arbeitsgemeinschaft Gewerblich-Technische Wissenschaften und ihre Didaktiken (gtw) in der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e. V. hat sich im Rahmen der 22. gtw-Herbstkonferenz 2022 anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Berufsbildungsinstituts Arbeit und Technik (biat) an der Europa-Universität Flensburg mit dem Themenkomplex „Dekarbonisierung, Digitalisierung, Demographie – Gestaltungsanspruch für gewerblich-technische Facharbeit und Bildung“ auseinandergesetzt. Sie fasst ihre Einschätzungen zu notwendigen Entwicklungen in den Didaktiken und der Lehrkräftebildung in der folgenden Erklärung zusammen.

Berufsbildung ist Schlüssel für die Energiewende

In gewerblich-technischen Berufszweigen herrscht ein anhaltender Fachkräftemangel, wie unlängst anhand des fehlenden Fachpersonals zur Installation von Wärmepumpen in der Öffentlichkeit deutlich wurde. Berufe aus den Berufsfeldern der Informationstechnik, der Fahrzeugtechnik oder der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik in der Metalltechnik finden sich unter den Top Ten mit dem größten Personalmangel. Deutlich wird: Die drei zentralen Themenstellungen der gtw-Herbstkonferenz setzen die Berufsbildung seit geraumer Zeit und zukünftig noch wesentlich stärker unter enormen Handlungsdruck: Dekarbonisierung, Digitalisierung und Demographie.

Die Umstellung auf CO2-freie Technologien führt zu gravierenden Veränderungen in der Energiewirtschaft, der industriellen Produktion und in den Dienstleistungsbereichen des Handwerks. Unmittelbare Auswirkungen auf die Facharbeit und die benötigten Kompetenzen der Fachkräfte sind die Folge. Ohne einen hoch qualifizierten gewerblich-technischen Fachkräftenachwuchs werden die anstehenden Aufgaben zur Realisierung der Energiewende nicht bewältigt werden können. Die gewerblich-technischen Wissenschaften und ihre Didaktiken (gtw) sind hier gefordert, die Veränderungen in der Facharbeit zu identifizieren und nachhaltig wirksame Konzepte für die Berufsbildung zu erarbeiten. Die gtw fordert daher den Bund und die Länder auf, die hierfür notwendigen Strukturen an den Hochschulen zu stärken und Programme aufzulegen, mit denen die Berufsbildung substanzielle Beiträge zur Gestaltung der Energiewende leisten kann.

Digitalisierung ist wesentliche Herausforderung für die berufliche Didaktik

Die Beiträge der Flensburger gtw-Konferenz zeigen: In den gewerblich- technischen Wissenschaften wird der Einfluss der Digitalisierung auf Facharbeit und Berufsbildung bereits vielfältig untersucht. Dabei wird auch deutlich, dass die Digitalisierung auch attraktivitätssteigernd und unterstützend auf Berufsbildungsstrukturen wirkt. Ebenso deutlich wird allerdings auch, dass in Lehr- und Lernprozessen oftmals eine Verkürzung auf den Aspekt der „Digitalisierung als Methode“ erfolgt. Digitalisiertes Lehren und Lernen sichert jedoch nicht ab, dass die relevanten Digitalisierungsinhalte gelernt werden. Letztere sind den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen nach mit den berufsbezogenen Handlungsstrukturen untrennbar verwoben. Digitalisierung kann daher nicht als isolierter Inhalt gelehrt werden. Für die gtw-Standorte ergibt sich daraus die Herausforderung, die Digitalisierungsinhalte im Studium gewerblich-technischer Studiengänge entsprechend didaktisch aufzuarbeiten. Die bislang in den ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen der Kultusministerkonferenz für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken enthaltenen fach- und berufswissenschaftlichen Inhalte beschränken sich auf elementare Grundlagen der Informationstechnik und werden dem Charakter der durch die Digitalisierung aufkommenden Anforderungen an Lehrkräfte nicht mehr gerecht. Die gtw empfiehlt daher, die inhaltlichen Anforderungen fachrichtungs-und berufsbezogen zu überarbeiten.

Demografie-Herausforderungen zukunftsorientiert begegnen

Es herrscht nicht nur ein Mangel an gewerblich-technischen Fachkräften, sondern es fehlt auch im hohen Maße der Nachwuchs für berufsbildende Schulen und Forschungseinrichtungen für die beruflichen Fachrichtungen Metalltechnik, Elektrotechnik, Fahrzeugtechnik, Informationstechnik und Bautechnik. Diesem, seit mehreren Jahrzehnten stets wiederholt kritisierten Mangel wird nach wie vor nicht strukturell begegnet. Immer noch dominieren Sondermaßnahmen einzelner Bundesländer, Direkteinsteigerprogramme und eine Tendenz der Einführung ungeeigneter Bereichsdidaktiken an den Hochschulen. Eine Absicherung von Mindeststandards bei der Lehrkräfteausbildung ist so kaum zu erreichen oder gar abzusichern. In der Folge fehlt auch der wissenschaftliche Nachwuchs für die Berufsbildungsforschung.

Die- gtw wird daher eine Initiative zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch die Etablierung einer Veranstaltungsreihe ergreifen. Diese soll die Kompetenzen von Nachwuchswissenschaftlern und -wissenschaftler- innen ur Untersuchung gewerblich-technischer Facharbeit und Berufsbildung fördern und einen Beitrag zur Nachwuchsgewinnung in der Wissenschaft leisten. Zudem wird die gtw die Vernetzung mit anderen Fachdidaktiken und insbesondere mit der Gesellschaft für Fachdidaktik (GFD) erhöhen. Zugleich fordert die gtw, dass Bund und Länder endlich gemeinsam mit den Hochschulen an strukturellen Lösungen für die Lehrkräftebildung in allen drei Phasen arbeiten. Neben der Notwendigkeit, zusammen mit der Berufsbildungspraxis Modellversuche durchzuführen, um zukunftsorientierte Lösungen für die Herausforderungen in der gewerblich-technischen Bildung zu schaffen, gilt es, die notwendigen Ressourcen an den Hochschulen für eine qualitätsorientierte didaktische Ausbildung wiederherzustellen.

Martin Fischer

Dekarbonisierung – Digitalisierung – Demographie: Herausforderungen für die Berufsbildung und ihre MythenKeynote der 22. Herbstkonferenz der gtw

Abstract: Im Beitrag werden Megatrends der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland (Dekarbonisierung, Digitalisierung, demographischer Wandel) angesprochen und in ihrer Bedeutung für die gewerblich-technische Berufsbildung analysiert. Dabei wird herausgearbeitet, dass diese Megatrends häufig zu Sachzwängen stilisiert werden, denen die Berufsbildung sich schlicht nur anpassen könne – ein Mythos, dem einige Argumente entgegengesetzt werden, die Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten von Berufsbildungsakteuren aufzeigen.

The article addresses megatrends of economic development in Germany (decarbonisation, digitalisation, demographic change) and analyses their significance for Technical Vocational Education and Training (TVET). It is shown that these megatrends are often stylised as constraints to which VET can only adapt – a myth that is countered by a number of arguments that show the possibilities for VET stakeholders to shape and influence these trends.

Keywords: DekarbonisierungDigitalisierungdemographischer WandelBerufsbildungBerufsorientierungFacharbeitGestaltungsorientierung

1 Einleitung

Megatrends in Wirtschaft und Gesellschaft tangieren selbstverständlich auch die gewerblich-technische Facharbeit und die darauf bezogene Berufsbildung (Schludi et al. 2022). Das ist in Deutschland wegen des Betriebsbezugs von Berufen und Berufsbildung im dualen Ausbildungssystem noch stärker der Fall als in Ländern mit rein schulischen Berufsbildungssystemen, in denen die aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen thematisch weniger eine Rolle spielen und, wenn überhaupt, eher längerfristig berücksichtigt werden. Die Dekarbonisierung, d. h. der Ausbau und die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien, die Digitalisierung der Wirtschaft und der demographische Wandel in der (Erwerbs-)Gesellschaft markieren aktuell solche Megatrends (BMAS 2021). Die Frage ist nur, wie man sich dieses „Tangieren“ vorstellt und vorstellen kann.

2 Mythos Dekarbonisierung – das grüne Jobwunder?

In Deutschland ist von der Politik eine Energiewende ausgerufen worden. Sie wird häufig mit dem Begriff „Dekarbonisierung“ in Verbindung gebracht. Versteht man unter Dekarbonisierung zunächst ganz allgemein die Reduktion fossiler Energieträger in einer Wirtschaft zugunsten erneuerbarer Energien, so ergeben sich daraus grundsätzlich zwei Aufgabenbereiche für gewerblich- technische Facharbeit: 1) Facharbeit im Bereich der Energiewirtschaft, 2) Facharbeit, die mit der Nutzung (erneuerbarer) Energien in alltäglichen Anwendungen zur Fortbewegung, Heizung, Produktion etc. zusammenhängt. Betrachtet man den erstgenannten Bereich, die Energiewirtschaft, bestehen und ergeben sich Aufgaben für gewerblich-technische Facharbeit bei der Produktion, Installation und Instandhaltung von Anlagen zur Energiegewinnung aus erneuerbaren Energien sowie deren Beschaffung, Verteilung und Vertrieb. Dies sind, im Vergleich zur Energiegewinnung aus fossilen Energieträgern, überwiegend neue Aufgaben, aber eben in dem begrenzten Sektor der Energiewirtschaft. Die Arbeit im Kohlebergbau unterscheidet sich schon auf den ersten Blick stark von der Arbeit bei der Installation von Photovoltaik-Anlagen, ebenso die Arbeit auf Ölbohrplattformen von der Arbeit bei der Wartung von Windkrafträdern. Auf den zweiten Blick lassen sich auch Aufgaben registrieren, die in alten wie in neuen Formen der Energiewirtschaft relevant sind, wie z. B. der Umgang mit Elektrizität oder die Handhabung von Informationstechnik. Aber summa summarum sind für Facharbeit im Bereich der Energiewirtschaft, besonders bei der Energiegewinnung, Veränderungen zu erwarten bzw. bereits seit Jahren relevant, die spezifisch sind für den jeweiligen Typ der Energiegewinnung: aus Sonnenenergie, Wasserstoff, Windkraft etc.

Der zweitgenannte Bereich, die Herstellung, Installation, Instandhaltung von Produkten und Prozessen, die mit (erneuerbaren) Energien betrieben werden, beinhaltet hingegen ein viel breiteres Spektrum von Veränderungen, die für Facharbeit branchenübergreifend einschneidend sein können, aber vielleicht auch nicht oder nur teilweise relevant sind. Ob die Eisenbahn mit Ökostrom betrieben wird, hat vermutlich weder für Lokführer/-innen noch für Instandhaltungsfachkräfte in den Bahnwerkstätten eine hervorgehobene Bedeutung. Anders wird es schon im Automobilbau, wo die Umstellung auf die Produktion von Elektroautos vielleicht in der Lackiererei noch wenig Veränderungen auslöst, ganz sicher aber bei der Herstellung der Antriebstechnik.

Es sind mittlerweile einige Untersuchungen durchgeführt worden, die im Kontext der Dekarbonisierung zum Fachkräftebedarf Stellung nehmen:

Beispielsweise sehen nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zum Thema „Dekarbonisierung“ 40 Prozent aller Unternehmen stark steigenden Bedarf an Fachkräften mit digitalem Expertenwissen, 54 Prozent der befragten Unternehmen prognostizieren einen steigenden Bedarf an Fachkräften mit digitalen Anwenderkenntnissen und Grundkompetenzen (Demary et al. 2021, S. 14). Eine Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung zum Thema „Wasserstoff“ kommt zu dem Ergebnis, dass beim Aufbau einer Elektrolyseur- und Brennstoffzellfertigungsindustrie hohe Beschäftigungspotenziale im Automobil-/Maschinenbau und eine Verbesserung der deutschen Außenhandelsbilanz zu erwarten seien (Steeg et al. 2022, S. 23).

Die generelle Argumentation vieler der vorliegenden Studien lautet: Es existiert ein hoher Fachkräftebedarf, damit die Energiewende vollzogen werden kann. Dem soll hier, bezogen auf einzelne Branchen bzw. Segmente in einzelnen Branchen, gar nicht grundsätzlich widersprochen werden. Explizit oder implizit wird mit dieser Argumentationsweise jedoch ein Mythos wiederbelebt, der vor allem von der Politik seit mehr als zehn Jahren ins Spiel gebracht worden ist: Dekarbonisierung – das grüne Jobwunder! Diese Diagnose wäre nur dann angebracht, wenn es eine Gesamtbetrachtung der prognostizierten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gäbe. Und an der fehlt es (außer für Niedersachsen (Wrobel & Althoff 2022)). Zu dieser Gesamtbetrachtung würde nicht nur gehören, wie viele und welche Fachkräfte in einem bestimmten Segment des Arbeitsmarkts benötigt werden. Dazu gehört auch die Frage: Wie viele und welche Arbeitsplätze im Sektor fallen an anderer Stelle weg? Und: Wie viele und welche der benötigten Fachkräfte werden überhaupt in Deutschland nachgefragt? Und schließlich: Findet man solche Fachkräfte überhaupt, wenn sie denn gebraucht würden? Die letztgenannten Fragen bleiben offen, weil die nachfolgend genannten Widersprüche, die bei einer Bilanzierung zu berücksichtigen wären, zu wenig in die Betrachtung mit einbezogen werden:

Details

Seiten
526
Jahr
2024
ISBN (PDF)
9783631906866
ISBN (ePUB)
9783631906873
ISBN (Hardcover)
9783631906859
DOI
10.3726/b21167
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (Februar)
Schlagworte
Gewerblich-technische Lehrkräftebildung Berufsbildung im demografischen Wandel Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung, Heterogenität, Digitalität Heterogenität Digitalität
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2024. 526 S., 106 s/w Abb., 32 Tab.

Biographische Angaben

Axel Grimm (Band-Herausgeber:in) Volkmar Herkner (Band-Herausgeber:in) Torben Karges (Band-Herausgeber:in) Reiner Schlausch (Band-Herausgeber:in)

Axel Grimm ist Professor für die beruflichen Fachrichtungen Elektrotechnik und Informationstechnik und deren Didaktiken am Berufsbildungsinstitut Arbeit und Technik (biat) der Europa-Universität Flensburg. Volkmar Herkner ist Professor für Berufspädagogik am Berufsbildungsinstitut Arbeit und Technik (biat) der Europa-Universität Flensburg. Torben Karges ist Professor für die beruflichen Fachrichtungen Metalltechnik und Fahrzeugtechnik und deren Didaktiken am Berufsbildungsinstitut Arbeit und Technik (biat) der Europa-Universität Flensburg. Reiner Schlausch war bis 2023 Professor für die beruflichen Fachrichtungen Metalltechnik und Fahrzeugtechnik und deren Didaktiken am Berufsbildungsinstitut Arbeit und Technik (biat) der Europa-Universität Flensburg.

Zurück

Titel: Dekarbonisierung, Digitalisierung, Demographie