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Wohnungswirtschaft: Definition und Prozessgestaltung des Sozialen Forderungsmanagement aus wirtschaftsrechtlicher Sicht

von Bastian Kühn (Autor:in)
©2023 Dissertation 468 Seiten

Zusammenfassung

Das vorliegende Werk beschäftigt sich mit der Definition und der Prozessgestaltung des Sozialen Forderungsmanagements in der Wohnungswirtschaft. Synergien zwischen der Zielsetzung der Wohnraumerhaltung und der Realisierung des Mieterlöses stellen die Grundlage dar. Es wird ein ganzheitlicher Konzeptansatz sowie vertieftes Anwenderwissen vermittelt. Die Erläuterung und rechtliche Würdigung wesentlicher Rechtsgrundlagen werden durch praxisnahe Vorschläge zur Rechtsgestaltung ergänzt. Erstmalig wird eine wissenschaftliche Verbindung zwischen der Psychologie und der Entstehung von Mietschulden hergestellt. Dieses umsetzbare Managementkonzept richtet sich insbesondere an Führungskräfte als auch an Mitarbeitende im Bereich des Forderungsmanagements eines Wohnungsunternehmens.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Abkürzungsverzeichnis
  • 1. Teil: Einleitung
  • A. Inhalt
  • B. Bedeutung
  • C. Schwerpunkte
  • D. Methodik
  • 2. Teil: Grundlagen
  • A. Ausgangssituation
  • B. Forderungsmanagement in der Wohnungswirtschaft
  • I. Bedeutung und Definition der Wohnungswirtschaft
  • II. Forderungsmanagement als Kernaufgabe
  • III. Wohnen als zunehmendes Überschuldungsrisiko
  • IV. Entwicklung der Mietschulden
  • C. Forschungsziel
  • I. Forschungsstand
  • II. Forschungsleitfragen
  • III. Forschungskontext
  • IV. Kontextbezogene Herausforderungen
  • D. Bezug zur Psychologie
  • E. Grundgedanken des Sozialen Forderungsmanagements
  • F. Begrifflichkeit des Sozialen Forderungsmanagements
  • I. Bestimmung des Managementbegriffes
  • II. Bestimmung des Sozialbegriffes
  • 1. Schuldnerkommunikation
  • 2. Kooperation
  • 3. Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit
  • G. Konkurrenz der Gläubiger
  • 3. Teil: Forderungsmanagementprozess
  • A. Wahl des geeigneten Geschäftspartners
  • B. Zusammenführung der Prozess- und Ergebnisverantwortung
  • C. Zahlungsverzug: Fälligkeit und Schadensersatz
  • D. Bedeutung des Mahnung
  • E. Mahnverfahren gem. §§ 688-703d ZPO
  • F. Frühestmöglicher Kündigungszeitpunkt
  • I. Außerordentliche Kündigungsgründe
  • 1. Generalklausel gem. § 543 Abs. 1 S. 2 BGB
  • a) Kündigungsgrund der dauerhaft unpünktlichen Mietzahlung
  • aa) Notwendigkeit einer gesetzlichen Fixierung
  • bb) Regelungsentwurf § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 lit. c BGB
  • b) Tatbestand der endgültigen Erfüllungsverweigerung
  • c) Tatbestand der fälligen Betriebskostennachzahlung
  • 2. Gesetzlich typisierte Zahlungsverzüge
  • a) § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 lit. a Alt. 1 BGB
  • b) § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 lit. a Alt. 2 BGB
  • c) § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 lit. b BGB
  • d) Innenabgrenzung
  • 3. Hinterlegungsverzug gem. § 569 Abs. 2a S. 1 BGB
  • 4. Sonstige Kündigungsgründe
  • 5. Entstehung und Nutzung des Kündigungsrechts
  • II. Ordentliche Kündigungsgründe
  • 1. Rückständige Mietzahlung
  • 2. Nichtleistung der Sicherheitsleistung
  • 3. Rückständige Betriebskostennachforderung
  • 4. Unpünktliche Mietzahlung
  • III. Konkurrenzverhältnis der Kündigungsgrundlagen
  • IV. Anforderungen Kündigungsschreiben
  • G. Klagebegehren
  • H. Zahlung innerhalb der Schonfrist
  • I. Rechtsfolgen
  • II. Fristbeginn
  • III. Informationspflicht
  • IV. Zeitlicher Ablauf
  • V. Leistungsvoraussetzungen
  • VI. Leistungsarten
  • VII. Auswirkung eines Insolvenzverfahrens
  • VIII. Ausschlussfrist gem. § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 BGB
  • IX. Nachholrecht im Kontext der ordentlichen Kündigung
  • I. Räumungsvollstreckung
  • J. Beratungsangebot
  • K. Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II
  • I. Zielsetzung der Rechtsvorschrift
  • II. Begriffe der Unterkunft und Heizung
  • III. Angemessenheit der Miete
  • IV. Erforderlichkeit des Umzuges
  • V. Absetzung der Mietzahlung
  • VI. Übernahme sonstiger Leistungen
  • VII. Übernahme von Mietschulden
  • VIII. Sanktionierbarkeit der Transferleistungen
  • IX. Würdigung der gesetzlichen Regelung
  • L. Weitere Schuldenbereinigungsmaßnahmen
  • I. Die Rolle der Ratenzahlungsvereinbarung
  • 1. Erfüllung eines Kündigungstatbestandes
  • 2. Nichterfüllung eines Kündigungstatbestandes
  • 3. Inhaltliche Gestaltung der Ratenzahlungsvereinbarung
  • II. Rettungsbürgschaft
  • III. Vollstreckungs- und Tilgungsabrede
  • IV. Verrechnung der Sicherheitsleistung bei Beendigung
  • M. Im Kontext der Verbraucherinsolvenz
  • I. Zahlungsschwierigkeiten vor dem Eröffnungsantrag
  • II. Zahlungsschwierigkeiten nach dem Eröffnungsantrag
  • III. Behandlung der Sicherheitsleistung in der Insolvenz
  • N. Prozesskostenrisiko
  • O. Verjährung
  • P. Die Beachtung der Datenschutz-Grundverordnung
  • I. Grundsätze der Verarbeitung personenbezogener Daten
  • II. Die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung
  • III. Informationspflichten gem. Art. 13, 14 DS-GVO
  • Q. Psychologischer Erklärungsansatz
  • I. Einleitung
  • II. Begriffserklärung
  • III. Forschungsstand
  • IV. Theoretische Grundlagen zur Prokrastination
  • 1. Prokrastination als Persönlichkeitsmerkmal bzw. Verhaltensdisposition
  • 2. Prokrastination aus erwartungsnutzentheoretischer bzw. zeitabhängiger Sicht
  • 3. Prokrastination als Ergebnis defizitärer Selbststeuerungsfähigkeit
  • V. Schlussfolgerung für das Soziale Forderungsmanagement
  • R. Bezug zur Corporate Social Responsibility
  • S. Bilanzielle Bewertung von Mietforderungen
  • 4. Teil: Ergebnis
  • A. Legaldefinition Soziales Forderungsmanagement
  • B. Prozessgestaltung Soziales Forderungsmanagement
  • C. Zusammenfassende Thesen
  • I. Thesen der grundsätzlichen Konzeptausrichtung
  • II. Thesen der Forderungsprozessgestaltung
  • III. Thesen der Psychologie
  • IV. Thesen des Gesamtkonzeptes
  • Literaturverzeichnis
  • Verzeichnis sonstiger Quellen
  • Internetquellenverzeichnis
  • Rechtsprechungsverzeichnis
  • Eidesstattliche Versicherung

2. Teil: Grundlagen

A. Ausgangssituation

Die deutsche Wohnungswirtschaft ist geprägt durch eine Vielzahl von kleinen bis mittelgroßen wohnungswirtschaftlichen Unternehmen, deren Geschäftstätigkeit aus der nachfolgend dargestellten Historie heraus auch heute noch regelmäßig auf den geographisch regionalen Wohnungsmarkt beschränkt ist.

93,1 % der Mitgliedsunternehmen des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V.9 halten jeweils bis zu 5.000 Wohneinheiten und sind überwiegend in der Form der Genossenschaft (rund 65 %) und Kapitalgesellschaft (rund 33 %) am Markt tätig.10

Während der Weimarer Republik und einer fortschreitenden Industrialisierung, wurden zunehmend die Forderungen nach bezahlbarem und gesundem Wohnraum für die kriegsgebeutelte Bevölkerungsschicht mit einem kleinen Einkommen laut. Dieser Wohnungsnotstand entstand zunehmend in den Standorten der Industrie und deren überfüllten und hygienisch unzumutbaren Siedlungen, bewohnt durch zumeist sozialschwache Bewohner.11

Die Behebung dieses Mangels wurde regelmäßig einer zu gründenden gemeinnützigen Baugenossenschaften übertragen.12 Es entstanden zahlreiche Wohnungsbaugenossenschaften.13 Mit dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz vom 29.02.194014 wurden die zuvor etablierten und die Gemeinnützigkeit betreffenden Regularien zusammengefasst und einheitliche fixiert.15

Gemeinnützige Wohnungsunternehmen waren Genossenschaften oder Kapitalgesellschaften. Dazu gehörten kommunale Wohnungsunternehmen, deren Geschäftstätigkeit auf die Wohnraumversorgung der breiten Bevölkerungsschicht ausgerichtet war. Um die niedrigen bis mittleren Einkommensschichten mit Wohnraum versorgen zu können stand nicht die Gewinnerzielungsabsicht im Vordergrund, sondern die Vermietung diente der bloßen Selbstfinanzierung des Wohnungsbaus.16

Aus diesem Grund handelt es sich auch heute noch regelmäßig (rund 26 % der GdW-Mitgliedsunternehmen17), um kommunale oder öffentliche Unternehmen mit Beteiligung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts. Nicht erfasst sind dabei Wohnungsunternehmen ohne jegliche öffentliche Beteiligung, welche jedoch regional eng mit der jeweiligen Kommune zusammenarbeiten oder ohne eine öffentliche Beteiligung stark am regionalen Wohnungsmarkt engagiert sind.

Aufgehoben wurde das WGG durch das Steuerreformgesetz von 1990.18 Sinn und Zweck war insbesondere die Aufhebung des Steuervorteils für gemeinnützige Wohnungsunternehmen gegenüber den nicht steuerlich begünstigten.19 Seit dem unterliegen auch diese rund 1.80020 Wohnungsunternehmen der unbeschränkten Steuerpflicht.

Jener Wettbewerb führte zu einer höheren und bezahlbaren Wohnqualität.21

Inzwischen wird von einer „Renaissance“22 der kommunalen Wohnungsunternehmen gesprochen.

Diese nehmen nicht nur die dem ursprünglichen Gesellschaftszweck entwachsene Wohnraumversorgung der unteren bis mittleren Bevölkerungsschichten wahr, sondern versorgen unter anderem zunehmend auch die obere Bevölkerungsschicht mit Wohnraum, schaffen bezahlbaren und barrierearmen Wohnraum, tragen die Energiewende mit, kümmern sich um die Unterbringung von Flüchtlingen und tragen allgemein zur Steigerung der sog. Stadtrendite, welche beispielsweise städtebauliche oder soziale, ökologische Aspekte des lokalen Umfeldes umfasst, bei.23

Um jene Aufgaben erfüllen zu können, bedarf es einer nachhaltigen Unternehmenspolitik. Demnach verfolgen kommunale, ebenso wie private, Wohnungsunternehmen neben den ökologischen und sozialen Zielen insbesondere ökonomische Ziele. Diese beinhalten unter anderem eine Gewinnerwirtschaftung, eine angemessene Eigenkapitalverzinsung, sowie die Bewirtschaftung und Modernisierung der Eigenbestände.24

Soziale Ziele bilden den Schwerpunkt der kommunalen Unternehmen und umfassen neben der Wohnraumversorgung der breiten Schichten auch die soziale Stadtentwicklung und soziale Stabilität in den jeweiligen Quartieren.25

Zunehmend stößt ein Wohnungsunternehmen in sozialer Hinsicht Maßnahmen an, welche sich nicht nur von dem eigentlichen Unternehmenszweck entfernen, sondern sogar in den Aufgabenbereich der öffentlichen Hand (z.B. die Einrichtung eines Jugendclubs) fallen.26

Die regional tätigen Unternehmen agieren demnach als Standortgestalter und übernehmen zunehmend nicht originäre wohnungswirtschaftliche Aufgaben.

Es ist in diesem Zusammenhang auch von einer gesamtgesellschaftlichen, speziell auf den regionalen Wohnungsmarkt bezogene soziale Verantwortung zu sprechen.27

Hinter dem sozialen Engagement verbergen sich ebenso wirtschaftliche Ziele, da mit einer sozialen Stabilität beispielsweise nicht nur die Vermietung, sondern auch die Mietzahlung sichergestellt werden soll.28

Ein solch soziales Engagement wird als eine in die Geschäftsstrategie integrierte Aufgabe gesehen.29

Demnach bestimmt nicht nur die Eigentümerstruktur die Übernahme sozialer Verantwortung, sondern insbesondere auch die wirtschaftlichen Ziele eines Wohnungsunternehmens.

Inhalt der Sozialverantwortung ist auch die Durchführung eines sozialverträglichen Mietforderungsmanagement.

Vorliegend soll hier nicht nur die Vereinbarkeit des betriebswirtschaftlichen Grundsatzes der Gewinnmaximierung mit der Übernahme von Sozialverantwortung dargestellt werden, sondern es sollen vielmehr die Synergieeffekte aufgezeigt werden, die sich aus diesem konzipierten Zusammenschluss ergeben können. Im Rahmen dieses Zusammenschlusses sollen insbesondere rechtliche, wirtschaftliche und psychologische Aspekte betrachtet werden.

Die Wirtschaftlichkeit eines Bestandsverwalters hängt damit nicht nur von der Vermietung der Bestandswohnung ab, sondern insbesondere auch von der Vereinnahmung des mietvertraglich vereinbarten Mietzinses.

Ein Zahlungsverzug oder gar ein Zahlungsausfall belastet unmittelbar das wirtschaftliche Ergebnis des Vermieters. Zeitgleich droht auf Seiten des Mieters wohl möglich die Wohnungslosigkeit.

Gemeinsame Zielsetzung sollte daher der Erhalt der Wohnung unter der Voraussetzung der mietvertragskonformen Zahlung des monatlich fälligen Entgeltes sein.

Zur Realisierung des Zahlungseinganges kommt der Effizienz des Forderungsmanagements in der Wohnungswirtschaft damit eine herausragende Bedeutung zu.

„Mietrückstände kann man nur durch aktives Tun verhindern“30.

Dieses Zitat wirft unweigerlich die Frage auf, was unter einem „aktiven Tun“ im vorliegenden Kontext inhaltlich zu verstehen ist. Der Beantwortung dieser Frage verschreibt sich die vorliegende Arbeit.

Das Forderungsmanagement und die Kündigung sind als „die wichtigste Handhabe, um Forderungsausfälle zu vermeiden“31 bezeichnet.

Für die Zielerreichung der Wohnraumerhaltung, unter der zugleich zu erfüllenden Prämisse der Forderungsbeitreibung, soll das im Folgenden ausführlich dargestellte, charakterisierte, strukturierte und letztlich definierte Konzept dienen. Im Blickpunkt der Betrachtung steht schwerpunktmäßig die rechtliche und inhaltliche konzeptionelle Ausgestaltung.

Diese Konzipierung soll den Vermieter unterstützen, seinen Vertragspartner zur vertragsgemäßen Mietzahlung anzuleiten und diese entsprechend zu priorisieren.

Dass es an einer entsprechenden Priorisierung insbesondere im Generationenvergleich mangeln könnte, lässt eine subjektive Expertenaussage vermuten.32 Bestätigt wird dies von der Aussage einer verbreiteten Sorglosigkeit zur Zahlung der Miete aufgrund mangelnder Kenntnis über die drohenden Konsequenzen.33

Daran anknüpfend ist auch die Überforderung als Begründung für die Entstehung von Mietforderungen angeführt.34 Diese kann sowohl eine wirtschaftliche, aber auch eine psychologische Überforderung hinsichtlich der Zahlungspriorisierung umfassen.

Die Priorisierung ist relevant, da die Mietzahlung in einem konkurrierenden Verhältnis zu anderen Ausgaben, wie beispielsweise der Unterhaltungselektronik, steht. Neben der Armut könnte dies die schwerwiegendste Ursache für die Entstehung von Mietschulden sein.35

Aber auch sozialpolitische bzw. sozialrechtliche Gegebenheiten könnten einen entsprechenden Einfluss auf das Bewusstsein der Wichtigkeit der vertragsgemäßen Mietzahlung nehmen. In diesem Zusammenhang könnte die leichtfertige Vergabe von Transferleistungen im Sinne des SGB II oder SGB XII das Verantwortungsbewusstsein für eine vertragsgemäße Mietzahlung negativ beeinflussen.

Die exakten Gründe für eine mangelnde Priorisierung der Mietzahlung sind wissenschaftlich nicht erforscht. Ungeachtet dessen ist herauszustellen, dass eine vertragsgemäße Zahlung der Miete und die damit verbundene Sicherung der Wohnung nicht derart priorisiert wird, wie es nach Maslow36 sein sollte.

Die vertragsgemäße Zahlung der Miete sollte gesellschaftlich (wieder) als selbstverständlich angesehen werden und die Zahlungshandlung nicht erst von dem Ergebnis des prognostizieren, persönlichen Nutzens abhängig gemacht werden. Der Zahlung ist damit die höchste Priorität beizumessen.37

„Gewinn und Verantwortung ist kein Gegensatz“38. Diese Worte aus dem Kontext des Corporate Social Responsibility39, könnten zugleich als Grundgedanke für das vorliegende Konzept deklariert werden.

Die eingangs erwähnte „Verantwortung“ ist insbesondere mit Blick auf die Bezeichnung der Wohnungswirtschaft als ein „existenziell menschlicher Kernbereich“40 und das „Wohnen“ als ein „nicht substituierbares“41 Gut deutlich. Darüber hinaus sind ökonomische und soziale Überlegungen damit als „untrennbar“42 voneinander zu bezeichnen.

Dieses Konzept ist nicht aufgrund der Verpflichtung zur Übernahme sozialer Verantwortung konzipiert. Vielmehr soll die unternehmerische Entscheidung für eine freiwillige Übernahme durch die Chance zur nachhaltigen Gewinnoptimierung bekräftigt werden.

Aus diesen Gründen ist die Bezeichnung des Sozialen Forderungsmanagements als das einzig „wirtschaftlich sinnvolle und nachhaltige“43 Modell, welches „mit unserer Verfassung und unserem ganzen Wertesystem“44 im Einklang steht zu bekräftigen. Ebenso herauszustellen und zu befürworten ist die Aussage, dass es sich um ein Modell handelt bei dem es um „Fordern und Fördern“45 geht und bei dem „am Ende alle Beteiligten etwas zu ihrem Vorteil erlangen“46. Dieses Managementkonzept ist als eine Art Unterstützer für den Mieter anzusehen.47

Mit der Senkung der Wohnungsnachfrage, wird insbesondere innerhalb strukturschwacher Wohnungsmärkte die Sozialarbeit in den kommenden Jahren intensiviert werden müssen.48

Daran anknüpfend ist hervorzuheben, dass mehr Unternehmen im Osten die Umgestaltung und Effektivierung ihrer Forderungsmanagementkonzepte vornehmen, als im Westen der Bundesrepublik Deutschland.49

Seitens des Deutschen Mieterbundes e.V. wird zustimmend ausgeführt, dass es in manchen Wohngegenden einfacher ist, eine entsprechende Beratung anzubieten und eine Konfliktlösung zu erörtern, als einen neuen Mieter zu finden.50

Diese Notwendigkeit der Forcierung des Forderungsmanagements ist damit offensichtlich abhängig von der Nachfrage und der gesellschaftlichen Struktur auf dem jeweiligen Wohnungsmarkt.

Dies lässt insgesamt die These zu, dass je stärker die Nachfrage auf dem jeweiligen Wohnungsmarkt sinkt, desto wichtiger wird die Effektivierung des Forderungsmanagements.

Aber selbst, wenn im Falle einer notwendig werdenden Zwangsräumung eine zeitnahe Neuvermietung aufgrund einer guten Nachfrage sichergestellt werden kann, entsteht dem Unternehmen in diesem Fall ein Schaden i.H.v. rund 9.000 Euro51. Diesem Beispiel, mit einer angenommenen geringen Bruttomiete i.H.v. 400 Euro, liegen zugrunde der Mietausfall, die Schadenersatzansprüche, die Instandsetzung, sowie Gerichts- und Anwaltskosten. Interessant ist der auf den Mietausfall entfallende Anteil.

Statistisch nicht erfasst ist die Dauer einer Räumungsklage. Verschiedene nicht wissenschaftliche Berichte, gehen bei einfachen und unstreitigen Sachverhalten von einer Dauer bis zur Zwangsvollstreckung von rund sechs Monate52 aus.

Ein längerer Zeitraum ist mit Verweis auf den Gerichtsbezirk des AG Hamburgs53 zu bestätigen.54 Wird dieser Gerichtsbezirk als repräsentativ angenommen, kommen zwei bis drei Monate von der Rechtskraft des Versäumnisurteils, Erstellung der vollstreckbaren Ausfertigung bis hin zur Räumungsdurchführung durch den Gerichtsvollzieher hinzu.55 Dies ergibt einen vom Gerichtsbezirk abhängigen Zeitraum zwischen sechs und neun Monaten für die Gesamtdauer einer Räumungsklage. Im vorliegenden Beispiel ergibt dies einen reinen Mietausfall i.H.v. mindestens 3.200 Euro (zwei Monate für den kündigungsrelevanten Mietrückstand zzgl. sechs Monate Verfahrens- und Rechtsdurchsetzungsdauer, multipliziert mit der Bruttomiete i.H.v. 400 Euro) zzgl. der verauslagten Gerichts- und Anwaltskosten, sowie die Kosten der Instandsetzung. In einigen Gerichtsbezirken kann die Dauer der Räumungsklage bis zu zwölf Monate betragen.56

Dies verdeutlicht die marktunabhängige Bedeutung der Erhaltung des Wohnraumes.57 Durch eine derzeit gute Weitervermietungsmöglichkeit besteht die Gefahr, dass die positive gesamtwirtschaftliche Wohnungsmarktsituation strukturelle Mängel überdeckt.58

Inhalt des vorliegenden Managementkonzeptes ist nicht lediglich die reaktive Beitreibung offener Forderungen. Vielmehr beginnt der proaktive Forderungsprozess bereits im Zeitpunkt der Geschäftsanbahnung, um einer Entstehung von Mietschulden vorzubeugen.

Als strukturiertes, sozialverträgliches und nachhaltiges Konzept stellt das Soziale Forderungsmanagement eine zukunftsorientierte Form der Forderungsbeitreibung dar.

B. Forderungsmanagement in der Wohnungswirtschaft

Gegenstand der Betrachtung ist eine bisher inhaltlich nicht allgemeingültig definierte Form der systematischen Forderungsbeitreibung innerhalb der Wohnungswirtschaft.

I. Bedeutung und Definition der Wohnungswirtschaft

Eine Legaldefinition der Wohnungswirtschaft existiert nicht. Unter einem engen Verständnis der Wohnungswirtschaft sind alle Unternehmen, Selbstnutzer und Kleinvermieter zu fassen, die an der Bewirtschaftung, Vermittlung und Verwaltung von Immobilien beteiligt sind.59 Dieser Kernbereich ist auch als Grundstücks- und Wohnungswirtschaft bezeichnet.60

Die Bruttowertschöpfung der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft betrug im Jahr 2017 rund 316 Mrd. Euro, wuchs 2018 auf 324,7 Mrd. Euro.61 Im Vergleich dazu, betrug die Bruttowertschöpfung der Automobilindustrie im Jahr 2017 rund 106 Mrd. Euro.62 Damit entspricht die Bruttowertschöpfung der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft dem Dreifachen der Automobilindustrie. Auf die Grundstücks- und Wohnungswirtschaft entfiel im Jahr 2018 ein Anteil i.H.v. 10,6 % der Gesamtbruttowertschöpfung.63 Die Wohnungswirtschaft hat sich in den vergangenen 20 Jahren stetig entwickelt und sich als sehr stabil in wirtschaftlich schwierigen Zeiten erwiesen.64 Im Ergebnis stellt die Grundstücks- und Wohnungswirtschaft damit eine der ökonomisch wichtigsten Branchen der deutschen Volkswirtschaft dar.65

Insgesamt gibt es in Deutschland 41 Millionen Wohnungen.66 Mietwohnungen wurden im Jahr 2014 rund 20 Millionen Mietwohnungen gezählt.67

Der Mietwohnungsmarkt gliedert sich wiederum in 40 % Selbstnutzer, 37 % private Eigentümer und 23 % professionell-gewerbliche Vermieter von Mietwohnungen.68

Darunter werden rund sechs Millionen Wohnungen von Mitgliedsunternehmen des GdW verwaltet.69

Relevant für den vorliegenden Kontext sind jene Unternehmen, deren Kerntätigkeit auf der Vermietung und Verpachtung von Wohnimmobilien ausgerichtet ist. Dies entspricht den vorgenannten gewerblich-professionellen Vermietern, deren wesentliche Aufgabe die Bewirtschaftung der acht Millionen Wohneinheiten ist.

Der im Folgenden in der Betrachtung stehende Vermieter wird aus Sicht der institutionellen Perspektive als unternehmerischer Anbieter in Form eines Bestandshalters bezeichnet.70 Auch als Unternehmer gilt der private Vermieter, der Anlage und Verwaltung seines Vermögens, Mietwohnungen auf dem Markt anbietet und so am Wettbewerbt teilnimmt.71 Entgegen dieser Definition wird jedoch der private Vermieter, aufgrund der unsicheren Interessen und der teilweise mangelnden Professionalität, nicht in die Betrachtung mit einbezogen.

Der GdW vertritt insgesamt rund 3.000 wohnungswirtschaftliche Unternehmen. Die Mitglieder des GdW treten überwiegend in den Rechtsform der Genossenschaft oder Kapitalgesellschaft auf. Häufig umfassen diese einen Bestand bis zu jeweils 500 Wohneinheiten.72

Unter der Annahme, dass es sich bei den Mitgliedern des GdW um überwiegend gewerblich-professionelle Anbieter handelt, existieren in Deutschland über 3.000 Unternehmen als potentielle Anwender des vorliegenden Managementkonzeptes.

II. Forderungsmanagement als Kernaufgabe

Im Rahmen einer Umfrage unter 1.000 Vermietern gaben 27 % der Befragten den Mietausfall und 25 % den verspäteten Zahlungseingang als die beiden häufigsten negativen Erfahrungen in ihren Mietverhältnissen an.73

Das Forderungsmanagement ist als eine der beiden wichtigsten Säulen innerhalb eines wohnungswirtschaftlichen Unternehmens benannt.74

Als Forderungsmanagement wird der Prozess von Entstehung der Forderung bis hin zum Geldeingang bezeichnet.75

Der Wertschöpfungsprozess ist abhängig vom Lebenszyklus der Immobilie, beginnt im Zeitpunkt des Immobilienerwerbs und endet, unterstellt man den hier betrachteten Bestandshalter, mit dem Exit aus dem Bestand des Unternehmens.76 Innerhalb dieses Lebenszyklus ist die Bewirtschaftung des Eigenbestandes (sog. Hausbewirtschaftung) vorzunehmen. Subsumierbar unter der Begrifflichkeit der Bewirtschaftung sind unter anderem die Vermietung, die Verwaltung und das Forderungsmanagement.77

Das Konzept des Forderungsmanagements beinhaltet im Wesentlichen die unternehmenspolitische Entscheidung, wie mit der Entstehung von fälligen und nicht beglichenen Forderungen umgegangen werden soll.78 Inhaltlich sind folglich die Prozesse des Planens, Entscheidens, Organisierens und Kontrollierens enthalten.79

Bezeichnet wird das Forderungsmanagement als das „A und O“ zur Vermeidung von Forderungsausfällen.80 Die Abgabe dessen an einen restriktiv und ausschließlich formularmäßig arbeitenden Inkassodienstleister ist von Experten als die schlechtere Alternative bewertet worden.81

Der Abbau von Mietschulden ist unmittelbar ergebnis- und liquiditätswirksam mit Einfluss auf die Gewinn- und Verlustrechnung. Ohne ein erfolgreiches Forderungsmanagement ist der vertrieblicher Einsatz, in Form einer Wohnungsvermietung, erfolglos.82 Das Forderungsmanagement stellt somit eine der wichtigsten Unternehmensbereiche dar.

III. Wohnen als zunehmendes Überschuldungsrisiko

Auf Seiten des Verbrauchers umfasst der Bereich des Wohnens mit ca. 36 % (859 Euro monatlich) die höchsten Konsumausgaben der Haushalte.83 Dieser Wert beinhaltet die Grundmiete zzgl. der kalten und warmen Betriebskosten.84 Im Jahr 2017 lag die Quote der Personen, die aufgrund ihrer Wohnkosten überbelastet waren bei 14,5 %. Dieser Wert ist zwischen 2010 und 2017 gestiegen, ging jedoch 2017 auf das genannte Ausgangsniveau zurück.85

Im Jahr 2018 war jeder beratene Schuldner mit durchschnittlich rund 1,8 Monatsmieten zahlungsrückständig.86

Darüber hinaus ist der Vermieter einer der größten Gläubiger in der Schuldenstatistik.87

Derzeit leben in Deutschland rund 6,9 Millionen überschuldete Verbraucher.88 Damit hat die Zahl der überschuldeten Verbraucher zum fünften Mal in Folge zugenommen.89 Die Überschuldungsquote ist dagegen in den letzten drei Jahren nahezu konstant geblieben.90

Als Gründe für eine steigende Überschuldungsgefahr werden insbesondere politische, konjunkturelle und wirtschaftliche Gründe angeführt.91 Dies umfasst unter anderem steigende Energie- und Mobilitätskosten.92

Aber auch gesellschaftliche Herausforderungen, wie beispielsweise die zunehmende unwirtschaftliche Haushaltsführung, wirken risikofördernd.93

Eine Mietbelastungsquote von über 30 Prozent gilt als problematisch, da die finanziellen Mittel für die sonstige Lebensführung dadurch nicht unerheblich limitiert werden.94 Die Mietbelastungsquote liegt in den Großstädten bereits bei rund 40 Prozent aller Haushalte über diesem Grenzwert.95

Rund 1,3 Millionen Haushalte in deutschen Großstädten haben nach Abzug der Wohnkosten weniger Geld zur sonstigen Lebensführung zur freien Verfügung, als Personen die Leistungen gem. § 20 SGB II beziehen.96

Allerdings ist auch in den Klein- und Mittelstädten ein deutlicher Nachholeffekt hinsichtlich der Mietpreissteigerung zu beobachten.97

Trotz dieser zunehmenden finanziellen Belastung ist es auffällig, dass die Miete nicht als eine der wichtigsten Schuldenarten98 angeführt wird.

Dies wird mit der erhöhten Priorität bei der Begleichung der Mietschulden begründet99 und führt unmittelbar zum Kern des vorliegenden Managementkonzeptes. Die entsprechende Priorisierung zur Zahlung der Miete beruht demnach auf den andernfalls drohenden Negativfolgen für den Mieter.100 Zuzustimmen ist, dass diese Priorisierung dazu beiträgt, dass innerhalb der Schuldencharakterisierung die Schulden des Bereiches Wohnen nicht prozentual gewichtiger sind. Jedoch ist die Anerkenntnis als die neunthäufigste Schuldenart nicht befriedigend, wenn bedacht wird, welch ein gravierender Eingriff durch die Entstehung dieser Schulden droht. Aus diesem Grund erscheint die bisherige Priorisierung nicht überzeugend.

Es wird prognostiziert, dass die Überschuldung, insbesondere aufgrund der steigenden Mietbelastungsquote, erst zeitverzögert und mittelfristig zunimmt, sodass die für die Zukunft prognostizierte Überschuldungsentwicklung negativ zu bewerten ist.101

In diesem Zusammenhang werden die Mietkosten in Großstädten nicht nur zum Überschuldungs-, sondern vielmehr zum Armutsrisiko.102

Selbst wenn unterstellt wird, dass die Mietforderungen durch eine entsprechende Priorisierung zunächst nicht steigen, nimmt die Gesamtbelastung des jeweiligen Haushaltes durch steigende Mietkosten weiter zu und erhöht somit das Überschuldungsrisiko.

Sofern eine entsprechende Priorisierung unterstellt wird, wirken steigende Mietkosten nicht automatisch mietausfallsteigernd. Durch steigende Mietkosten wird jedoch das Risiko der finanziellen Überforderung gesteigert, was letztlich ebenso zum Mietausfall führen kann.

IV. Entwicklung der Mietschulden

Laut aktuellen Mietschuldenstatistiken des GdW sanken die Mietschulden von 757 Millionen Euro (Stand 2003) auf 372 Millionen Euro (Stand 2017).103

Unter Bezugnahme auf die vorangegangene allgemeine Überschulungsentwicklung wird festgehalten, dass die Anzahl der überschuldeten Verbraucher zunimmt, die Mietschulden jedoch, statistisch gesehen, rückläufig sind. Dies entspricht einer derzeitigen Mietschuldenquote von rund 2,1 % Prozent der Sollmieten.104 Das gleiche prozentuale Niveau wurde im Bundesdurchschnitt zum 31.12.2016 erreicht.105 Mit Blick auf das summenmäßige Ergebnis ist jedoch ein Anstieg von 387 (Stand 2015) auf 412 Millionen Euro (Stand 2016) der Mietschulden erkennbar.106 Als ursächlich kann dafür unter anderem der Anstieg der netto Sollmieten von 5,36 Euro auf 5,51 Euro je Wohnflächenquadratmeter107 angeführt werden.

Neben den Mietschulden ist die Entwicklung der Mietausfälle separat angeführt. Diese Mietausfallquote lag zum 31.12.2016 bei 4,8 % der Sollmiete.108

Das Bundesland NRW lag mit 4,3 % Mietausfall- und 2,1 % Mietrückstandsquote nahezu exakt im Bundesdurchschnitt.109

Werden rückständige Miete als nicht mehr werthaltig bewertet, so werden diese bilanziell ausgebucht110 und gelten als Mietausfall.

Mit Blick auf die einzelnen Bundesländer111 ist eine unmittelbare Kohärenz zwischen diesen beiden Kennzahlen erkennbar.

Hier relevant ist die Summe aus Mietschulden und Mietausfällen. Dies ergibt eine für das Forderungsmanagement relevante Quote i.H.v. rund sieben Prozent der Sollmieten.

Laut dem GdW hängt die positive Entwicklung der Mietschulden mit der wirtschaftlich stabilen Lage in Deutschland zusammen.112 Weiterhin wird der Rückgang der Mietschulden mit dem „aktiven und sozialen Vermietungs- und Mietschuldenmanagement, sowie eigene Beratungs- und Betreuungsangeboten der Wohnungsunternehmen“113, begründet.

Aus Sicht der Praxis wird ebenfalls die Verbesserung des Forderungsmanagements angeführt.114 Belegt wird dies unter anderem durch die Darlegung der Mietschuldenentwicklung eines beispielhaften Unternehmens.115 Inhaltlich wird der Terminus der Verbesserung durch eine höhere Arbeitsintensivität, andere bzw. einheitliche Arbeitsabläufe, eine geringere Verwaltungslastigkeit, einer besseren Kooperation mit Dienstleistern und der Favorisierung pragmatischeren Lösungen innerhalb des Forderungsmanagements konkretisiert.116

Warnend wird jedoch auch ausgeführt, dass die gesamtwirtschaftliche Situation viele strukturelle Defizite überdeckt, diese jedoch bei einer befürchteten Rezession in den kommenden Jahren wieder an Aktualität gewinnen werden.117 Dies lässt die These zu, dass in wirtschaftlich schlechteren Zeiten die vorliegende Thematik an Bedeutung gewinnt.

Mit Blick auf die vorangegangenen Ausführungen ist in der Tendenz ein intensiverer Umgang mit der Thematik der Forderungsbeitreibung zu erkennen.

Fraglich ist jedoch ob dies der Hauptgrund für diese enorme Senkung der Mietschulden ist. Realistisch betrachtet ist die beinahe Halbierung der Mietschulden von 2003 bis 2016 lediglich anteilmäßig auf einen intensiveren Umgang mit dieser Thematik zurückzuführen.

Kosmetisch oder gar verfälschend könnte auch die zunehmende Rolle der bilanziellen Ausbuchung von Mietforderungen wirken.118

Auch die steigende Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt könnte sich positiv auswirken, da mangels Angebot die Wichtigkeit der Wohnraumerhaltung für den Mieter zunimmt.119

Als weiterer Grund für die positive Entwicklung wird die 2005 erfolgte Umsetzung der ALG II-Reform durch das Inkrafttreten des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt120 angeführt.121 Im Jahre 2002 wurde die damalige Kommission eingesetzt um den Arbeitsmarkt aufgrund der nicht zufriedenstellenden Arbeitslosenzahlen zu reformieren.122 Es folgte eine Reihe von Gesetzesänderungen, auch bekannt als die „Hartz-Gesetze“123. Ziel war die Abschaffung der als ineffizient bezeichneten, parallel betriebenen Fürsorgesysteme der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für Erwerbsfähige.124 Stattdessen erfolgte, neben der Neuordnung der Sozialhilfe, die Etablierung der Grundsicherung für Arbeitssuchende, welche unter anderem eine passgenaue Eingliederung in den Arbeitsmarkt ermöglichen sollte.125 Dies war die Geburtsstunde der heute geltenden Regelungen des SGB II (Arbeitslosengeld II) und SGB XII (Sozialhilfe).

Ungeachtet einer ausführlichen Wertung der möglichen Gründe dieser äußerst positiven statistischen Entwicklung, ist an dieser Stelle eine zunehmende Fokussierung der Wohnungsunternehmen auf den Bereich des Forderungsmanagements festzustellen.

C. Forschungsziel

I. Forschungsstand

Fraglich ist was unter dem zuvor angeführten „aktiven und sozialen Vermietungs- und Mietschuldenmanagement“126 zu verstehen ist.

In diesem Zusammenhang wird berichtet, dass rund zwei Drittel der GdW-Mitgliedsunternehmen „seit einiger Zeit Gespräche und Beratung“ anbieten.127 Diese Zahl scheint nur dann realitätsnah, wenn angenommen wird, dass es sich nicht um vollumfängliche Managementkonzepte, sondern um die Anwendung einzelner Teilelemente handelt.

Das bisherige Forderungsmanagement eines Wohnungsunternehmens wurde geprägt von einem repressiven und einengendem Arbeitsablaufprozess, welches inhaltlich aus dem Mahnen, Kündigen, Klagen und Räumen besteht.

Einige Vermietungsgesellschaften arbeiten damit bereits mit Forderungskonzepten welche Komponente enthalten, die Inhalte des Sozialen Forderungsmanagements im vorliegenden Sinne sind. Dies bestätigt die Erkenntnis, dass der persönlich und beratende Ansatz bereits in der Praxis präsent ist.128

Als namhaftes Beispiel ist in diesem Zusammenhang die Degewo AG zu nennen. Die Degewo Forderungsmanagement GmbH, Tochtergesellschaft der Degewo AG, wirbt unter anderem mit einer „sozialkompetenten und nachhaltigen Mietschuldenbearbeitung129. Damit steht nun die präventive Beratung mit dem Ziel der Wohnraumerhaltung im Fokus und es konnten zwischen 2006 und 2009 die Mietschulden damit um rund neun Millionen Euro reduziert werden.130

Der Ansatz der Degewo AG kann jedoch nur bedingt auf den vorliegenden Forschungskontext übertragen werden, da beispielsweise eine „aufsuchende Mietschuldenbearbeitung“131 für die an dieser Stelle im Fokus stehende Unternehmensgröße nicht adaptiert werden kann. Dies begründet sich insbesondere darin, dass beispielsweise für einen Sozialberater das Aufgabenspektrum innerhalb eines kleineren Wohnungsbestandes zu gering ist, um diesen wirtschaftlich tragfähig zu beschäftigen. Darüber hinaus ist die aufsuchende Mietschuldnerberatung als „problembezogener Ansatz“132 charakterisiert, was dem hiesigen Konzept nicht gerecht wird, da es proaktiv und präventiv arbeitet und nicht erst im Moment der Problementstehung ansetzt.

Ohne der zur Hilfenahme einer repräsentativen empirischen Untersuchung, wird an dieser Stelle jedoch angenommen, dass bereits verschiedenste vergleichbare Elementen des nachfolgend dargestellten Managementkonzeptes in der Praxis Anwendung finden.133

Darüber hinaus wird festgestellt, dass weder eine allgemeingültige Definition, noch eine inhaltliche Prozessbeschreibung des Sozialen Forderungsmanagements existiert. Die konkrete Ausgestaltung ist bisher vollständig unternehmensabhängig. Weiterhin ist fraglich, ob der Professionalisierungsgrad der kleinen bis mittleren wohnungswirtschaftlichen Unternehmen derart fortgeschritten ist, dass eine unternehmensinterne Prozessbeschreibung des Forderungsmanagements existiert. Dazu soll hier Abhilfe geschaffen werden.

II. Forschungsleitfragen

Die übergeordneten Leitfragen widmen sich der Fragestellung nach der rechtskonformen, inhaltlichen und zeitlichen Ausgestaltung des Sozialen Forderungsmanagements, des Zusammenhanges zwischen der Prokrastination und der Entstehung von Mietschulden, sowie einer allgemeingültigen Definition dieses Managementkonzeptes.

Auf der sekundären Ebene ist mit der Beantwortung der vorgenannten Leitfragen eine Reihe von weiteren Forschungsfragen verbunden. Fortlaufend sind die jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen zu betrachten. Auf der untergeordneten Ebene sind insbesondere die nachfolgenden Fragestellungen relevant:

- Was beinhaltet die Zielsetzung des vorliegenden Konzeptes?

- Wie sieht die Grundphilosophie dieses Konzeptes aus?

- Welche Bedeutung kommt der Wohnungswirtschaft und dem dazugehörigen Mietforderungsmanagement zu?

- Warum wird auf den Sozialbegriff zurückgegriffen und wie ist dieser vorliegend zu definieren?

- An welcher Stelle im Forderungsprozess setzt das Soziale Forderungsmanagement an?

- Welche Forderungsprozesselemente sind maßgeblich und in welcher Reihenfolge sind diese anwendbar?

- Welche Rolle spielt die unternehmensinterne Prozess- und Ergebnisverantwortung und wie ist kann diese strategisch sinnvoll vergeben werden?

Details

Seiten
468
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631908211
ISBN (ePUB)
9783631908228
ISBN (Paperback)
9783631908204
DOI
10.3726/b21161
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Oktober)
Schlagworte
Mietforderungsmanagement Mietzahlung Anwendungskonzept Zahlungsverzug Wohnungsunternehmen Prokrastination Forderungsprozessgestaltung Mietschuldner Forderungsmanagementprozess Schuldnerkommunikation Kooperation
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 468 S.

Biographische Angaben

Bastian Kühn (Autor:in)

Bastian Kühn studierte Deutsches und Europäisches Wirtschaftsrecht an der Universität Siegen. Nach seinem Studium arbeitete er als Führungskraft bei einem mittelständischen Wohnungsunternehmen in Südwestfalen. Hierbei entstand das Forschungsinteresse für die vorliegende Thematik. Berufsbegleitend erfolgte an der Fakultät III Wirtschaftswissenschaften, Wirtschaftsinformatik und Wirtschaftsrecht der Universität Siegen die Verfassung dieser Dissertation.

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Titel: Wohnungswirtschaft: Definition und Prozessgestaltung des Sozialen Forderungsmanagement aus wirtschaftsrechtlicher Sicht