Lade Inhalt...

Der digitale Nachlass

Die Weiternutzung von Social Media Accounts nach dem Erbfall

von Lara Reich (Autor:in)
©2023 Dissertation 270 Seiten

Zusammenfassung

Jeder Nutzer eines sozialen Netzwerkes wird eines Tages versterben, sein Account wird dabei zurückbleiben und grundsätzlich wird dabei der Accountvertrag auch an seine Erben übergehen. Der Erbe könnte sich dann die Frage stellen, ob er diesen Account nun auch aktiv selber nutzen kann, was vor allem bei Accounts mit vielen Followern und großer Reichweite attraktiv sein dürfte.
Dieses Buch untersucht, ob auch die aktive Weiternutzung vom Erbrecht umfasst ist und befasst sich anschließend mit der Wirksamkeit der Nutzungsbedingungen der großen Social Media Plattformen. Außerdem werden Fragen der möglichen Vorsorge des Erblassers behandelt und es wird die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regulierung diskutiert.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Kapitel 1: Social Media Accounts
  • A. Accounts und Social Media
  • I. Begriffserklärung „Account“
  • II. Social Media und Soziale Netzwerke
  • 1. Der Begriff
  • 2. Die Nutzer
  • B. Rechtliche Beurteilung von Accounts
  • I. Der Account als Sache
  • II. Accounts als Immaterialgüter(rechte)
  • 1. Der Account selbst
  • 2. Die Inhalte des Accounts
  • III. Rechtsbeziehung zwischen Nutzer und Anbieter
  • 1. Kein Gefälligkeitsverhältnis
  • 2. Kein Auftrag bei Entgeltlichkeit
  • 3. Der Austauschvertrag
  • 4. Sonderfall: Der Vertrag bei Minderjährigen
  • C. Übertragbarkeit von Accounts
  • Kapitel 2: Vererblichkeit des Accounts
  • A. Kriterien zur Vererblichkeit des Account-Vertrags
  • I. Übergang von Rechtspositionen im deutschen Erbrecht
  • II. Vererblichkeit von Dauerschuldverhältnissen
  • 1. Das Vermögen im Erbrecht als Kriterium
  • a) Vermögensbegriff
  • b) Vermögenswert des Accounts
  • aa) Vermögenswert aus der Reichweite
  • bb) Vermögenswert aus den Daten
  • cc) Vermögenswert aufgrund einer monetären Gegenleistung
  • dd) Problem: Trennung von Inhaberschaft und Daten?
  • ee) Schlussfolgerung aus dem Vermögenswert
  • 2. Unvererblichkeit von Rechtspositionen durch Gesetz oder Vertrag
  • 3. Unvererblichkeit aufgrund von Höchstpersönlichkeit
  • a) Keine Unvererblichkeit bei höchstpersönlichen Inhalten
  • b) Einzelfallbetrachtung zur Feststellung der Höchstpersönlichkeit
  • c) Höchstpersönlichkeit im Account
  • aa) Höchstpersönlichkeit der passiven Nutzung
  • bb) Höchstpersönlichkeit der aktiven Weiternutzung
  • d) Konsequenzen der mangelnden Höchstpersönlichkeit
  • 4. Der Zweck als Kriterium für die Unvererblichkeit
  • 5. Zusammenfassung
  • B. Zugang zum Account aufgrund erblicher Immaterialgüter(rechten)
  • I. Vererblichkeit von Immaterialgütern
  • II. Vererblichkeit von Urheberrechten
  • 1. Grundsätze
  • 2. Zugriff auf den Account
  • Kapitel 3: Vererblichkeit über das allgemeine Persönlichkeitsrecht
  • A. Allgemeines Persönlichkeitsrecht zu Lebzeiten
  • I. Inhalt
  • II. Persönlichkeitsrecht bei Accounts
  • B. Persönlichkeitsrecht nach dem Tod des Rechtsinhabers
  • I. Vererblichkeit des Accounts als vermögenswerter Bestandteil
  • 1. Anerkennung der vermögenswerten Bestandteile
  • 2. Bei Accounts
  • a) Unterschied zwischen Accounts und klassischer Vermarktung von Persönlichkeitsmerkmalen
  • b) Rechtliche Konsequenz dieser Unterscheidung für Accounts
  • aa) Berücksichtigung des Vermögenswertes des Accounts
  • bb) Rechtliche Folge des Vermögenswertes für die Vererblichkeit
  • II. Ideelle Bestandteile nach dem Tod des Rechtsträgers
  • III. Probleme bei der Wahrung des Persönlichkeitsrechts nach dem Tod
  • a) Konflikte zwischen Erben und Angehörigen
  • b) Schutzlücken für den Verstorbenen
  • c) Schutzdauer
  • IV. Vererblichkeit des Accounts als Dauerschuldverhältnis und über das Persönlichkeitsrecht
  • Kapitel 4: Die Vererblichkeit einschränkendes Recht
  • A. Wettbewerbsrecht
  • B. Datenschutzrecht
  • I. Vererblichkeit trotz Datenschutzrecht
  • 1. Einsichtsrecht in den Account
  • a) Rechtfertigung aufgrund der Vertragserfüllung
  • b) Rechtfertigung aufgrund berechtigter Interessen
  • 2. Datenschutz bei der aktiven Weiternutzung
  • a) Keine Haushaltsausnahme
  • b) Datenschutzrechtliche Folgen für den Erben
  • c) Konsequenzen bei Interessenabwägung zugunsten der Kommunikationspartner des Erblassers
  • II. Einwilligung des Erben
  • Kapitel 5: Konsequenzen der Weiternutzungsoption
  • A. Wirksamkeit der Nutzungsbedingungen
  • I. AGB-Kontrolle
  • 1. Überblick über die Regelungen der Plattformen
  • a) Facebook
  • aa) Keine Weitergabe des Passwortes
  • bb) Der Nachlasskontakt
  • b) YouTube
  • aa) Vertraulichkeit des Passwortes
  • bb) Kontoinaktivität-Manager
  • cc) Versterben ohne Anweisungen bezüglich der Kontoverwaltung
  • dd) Zusammenfassung
  • c) Instagram
  • aa) Keine Übertragung des Kontos zu Lebzeiten
  • bb) Gedenkzustand
  • d) LinkedIn
  • aa) Vertraulichkeit des Passwortes
  • bb) Entdeckung des Profils eines verstorbenen Nutzers
  • e) Twitter
  • 2. Überprüfung der Nutzungsbedingungen
  • a) Vorliegen von AGB und Einbeziehung
  • aa) Vorliegen von AGB
  • bb) Wirksame Einbeziehung in den Vertrag
  • b) Überraschende Klausel, § 305c Abs. 1 BGB
  • c) Inhaltskontrolle, §§ 307–309 BGB
  • aa) Untersagung der Weitergabe des Passwortes
  • bb) Gedenkzustand
  • cc) Nachlasskontakt Facebook
  • dd) Mindestalter zur Festlegung eines Nachlasskontakts
  • ee) Kontoinaktivität-Manager
  • ff) Anfrageklausel von Google
  • gg) Legitimationsklauseln
  • hh) Zusammenfassung
  • II. Möglichkeiten der Betreiber zum Ausschluss der Vererblichkeit
  • 1. Grundsätzlicher Ausschluss der Vererblichkeit
  • 2. Ausschluss der Weiternutzungsmöglichkeit
  • 3. Ausschluss der passiven Zugangsmöglichkeit
  • 4. Fazit hinsichtlich möglicher AGB
  • B. Vorsorge des Erblassers
  • I. Hinterlegung der Zugangsdaten
  • 1. Analoge Liste mit Zugangsdaten
  • 2. Zugangsdaten im Testament
  • 3. Verwaltung durch kommerzielle Dienstleister
  • 4. Hinterlegung der Zugangsdaten beim Notar
  • II. Erbrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten des Erblassers
  • 1. Verhinderung des Zugangs
  • 2. Vererbung nur an bestimmte Personen
  • a) Die Teilungsanordnung nach § 2048 BGB
  • b) Das Vorausvermächtnis nach §§ 1939, 2147 ff. BGB
  • 3. Weitere Gestaltungsoptionen
  • a) Festlegung der Art der zukünftigen Nutzung
  • b) Verhinderung der Nutzung durch eine Auflage
  • aa) Auflösende Bedingung der Erbeneinsetzung
  • bb) Keine Sittenwidrigkeit der Bedingung
  • cc) Praktikabilität der Auflage
  • III. Trans- und postmortale Vollmachten
  • a) Grundsätzliches zu Vollmachten
  • b) Widerruf der Vollmacht
  • c) Eignung der Stellvertretung beim digitalen Nachlass
  • IV. Vorsorge durch vertragliche Regelungen
  • 1. Anordnung zur Löschung des eigenen Accounts
  • 2. Zugänglichmachen des Accounts
  • C. Vorschläge für Lösungen seitens der Betreiber
  • I. Aufklärung über den digitalen Nachlass
  • II. Gestaltungsoptionen
  • 1. Auswahlmöglichkeiten für den Erblasser
  • 2. Eintritt des Vorsorgefalls
  • 3. Rechtliche Beurteilung der Gestaltungsoptionen
  • Kapitel 6: Sonderfall: Account wird von mehreren Personen betrieben
  • A. Private gemeinschaftliche Nutzung
  • B. Account-Nutzung durch GbR
  • I. Gesetzlicher Normfall
  • II. Fortsetzungsklauseln
  • III. Empfehlungen zur Vorsorge für die Gesellschafter
  • Kapitel 7: Bedarf nach einer gesetzlichen Regelung
  • A. Bisherige Ansätze zur Regulierung
  • I. Antrag zur Regelung des digitalen Nachlasses 2019
  • II. Aktueller Stand
  • B. Bedarf
  • Zusammenfassung der Ergebnisse
  • Literaturverzeichnis
  • Anhang: Nutzungsbedingungen

Einleitung

A.  Anlass der Untersuchung

Auf der Social Media Plattform Instagram finden sich nicht nur zahlreiche Profile von lebenden Nutzern,* sondern zum Teil auch Nutzerkonten von toten Prominenten.

Marylin Monroe etwa starb im Jahr 1962.1 Zu diesem Zeitpunkt existierte das World Wide Web noch nicht2 und folglich auch keine sozialen Netzwerke. Dennoch ist beim sozialen Netzwerk Instagram eine „official Instagram Page“ von Marylin Monroe zu finden.3 Ein blauer Haken neben dem Namen des Profils signalisiert, dass das Konto verifiziert ist.4 Auf dem Profil werden nicht nur regelmäßig Fotos von Marilyn Monroe hochgeladen, sondern es wird zum Teil auch Bezug auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen genommen.5

Weil es ausgeschlossen ist, dass Marylin Monroe diesen Account selbst pflegt, stellt sich die Frage, wer diesen Account verwaltet und welchen Nutzen der Profilbetreiber davon haben könnte.

Die Rechte an Marilyn Monroes Nachlass gehören einer Firma ohne persönliche Verbindung zu ihr.6 Demnach erscheint ein rein ideelles Interesse an der Gestaltung und Nutzung eines solchen Accounts unwahrscheinlich. Dies und die Tatsache, dass es noch weitere längst verstorbene Prominente mit aktiven Instagram-Accounts gibt7, deutet darauf hin, dass hinter dem Betrieb des Accounts wirtschaftliche Interessen stehen und die postume Werbung lukrativ sein könnte.8

Bei Marilyn Monroe handelt es sich um eine Amerikanerin und auch das Unternehmen, dem ihre Rechte gehören, ist keine deutsche Firma.9 Dennoch lässt sich dieses Problem auch auf Deutschland übertragen, denn auch hierzulande hat Instagram viele Nutzer,10 von denen einige auch Geld mit ihrem Account verdienen.11

Die Influencerin12 Pamela Reif beispielsweise mit über acht Millionen Abonnenten, sogenannten „Followern“, bei Instagram13 machte 2020 mit ihrem YouTube-Account nach den Schätzungen von Vermögenmagazin.de monatlich circa 65.000 € Umsatz. Bei Instagram verdient sie demnach pro Beitrag, sogenanntes „Posting“, zwischen 5.000 und 10.000 €.14

Der wirtschaftliche Erfolg von Influencern wie Pamela Reif erklärt sich dadurch, dass sie durch ihre vielen Abonnenten, sogenannte „Follower“, mit einem einzigen Posting zahlreiche Leute erreicht und dadurch attraktiv als Werbepartnerin für Unternehmen ist.15 Diese Wirkung wird durch die Instagram-Algorithmen noch verstärkt: Wird ein Posting innerhalb einer bestimmten Zeit häufig geteilt, kommentiert oder geliked, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass der Beitrag innerhalb des Netzwerks verbreitet wird und so noch mehr Leute erreicht.16

Die Followeranzahl kann als Indikator für die Größe und Relevanz eines Accounts gesehen werden; potentielle Werbepartner können durch die Zahl Rückschlüsse auf die mögliche Werbewirkung ziehen.17 Daher erklärt sich auch das Interesse der Nutzer an einer großen Followeranzahl; dieses zeigt sich unter anderem daran, dass es verschiedene Websites gibt, bei denen Follower käuflich erworben werden können.18 Diese „Fake-Follower“ interagieren allerdings nicht und bilden aus Sicht potentieller Werbepartner auch keine taugliche Zielgruppe. Die falschen Follower täuschen eine Wertigkeit des Profils vor, die so tatsächlich nicht besteht.19

Eine Alternative zum Erwerb von Followern könnte die Erbschaft sein. Denn auch erfolgreiche Influencer mit vielen Abonnenten werden eines Tages versterben, ihr Account im sozialen Netzwerk mit seinen Followern wird aber bleiben. Fraglich ist, was nach dem Ableben mit dem Account des Inhabers geschehen kann.

Dass sogar Interesse an den Accounts von toten Prominenten bestehen kann, zeigt das Beispiel der Marilyn Monroe.20 Der Unterschied zwischen heutigen Influencern und Marilyn Monroe und ihrem Account liegt allerdings darin, dass sie zu Lebzeiten keinen Account hatte und die Inhaber ihres Nachlasses einen solchen einfach selbst eröffnen und zu Werbezwecken nutzen konnten.

Für aktuelle Influencer mit Accounts könnte hingegen gelten, dass neben den erblichen Rechten am Persönlichkeitsrecht der Person, und damit dem Recht zur Vermarktung, schließlich auch der Account (-Vertrag) mit seinen Followern übergehen könnte.

Diese Fragestellung ist heute, zu einem Zeitpunkt, zu dem die meisten Influencer relativ jung sind,21 noch nicht dringlich. Dennoch gibt es bereits vereinzelt Fälle, in denen erfolgreiche Influencer verstorben sind.22 Die Relevanz der Problematik wird allerdings in den nächsten Jahren wahrscheinlich zunehmen. Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass die Fortführung von den Erblassern und Erben überhaupt gewünscht wäre.

Erwünscht sein kann eine Fortführung des Accounts aufgrund unterschiedlicher Motive. Ideelle Motive können sich insbesondere aus einer persönlichen Verbundenheit zum Erblasser ergeben.23 So könnten die Erben über die Möglichkeiten der Gedenkfunktionen bei Facebook oder Instagram hinaus mit der Fortführung des Accounts eine Art Andenken schaffen wollen und das Profil mit Inhalten füllen wollen, die den Erblasser besonders würdigen. Schließlich kann es ein persönliches Interesse sein, nach dem Versterben einer nahestehenden Person auch im Internet möglichst individuell zu gedenken und nicht nach nur einem vorgeschriebenen Muster, wie manche Plattformen es vorsehen.24

Daneben könnten wirtschaftliche Motive aber eine noch größere Rolle spielen, das dürfte insbesondere bei den Accounts von Influencern mit vielen Followern gelten. Damit kann auch die Nutzungsmöglichkeit eines Accounts wirtschaftlich interessant sein. Denn dass am, auch künstlich herbeigeführten, Erwerb von Followern Bedarf besteht, zeigt sich bereits am großen Angebot von „Fake-Followern“, die im Internet zum Verkauf angeboten werden.

Anders als bei den „Fake-Followern“, die käuflich erworben werden, würde es sich bei den geerbten Followern stattdessen um „echte“ Abonnenten handeln, folglich um reale Personen, die ihren Account aktiv nutzen und somit auch empfänglich für Werbung wären. Solche hätten bei Reaktionen auf Postings einen größeren Wert, da dies mehr Reichweite generieren würde. Somit kann festgehalten werden, dass die geerbten Follower wohl sogar wertvoller sein dürften als die käuflich erworbenen.

Wie die Beispiele toter Prominenter mit Instagram Accounts zeigen, haben zahlreiche Abonnenten auch Interesse an Inhalten mit Persönlichkeitsmerkmalen Verstorbener, sodass zumindest nicht pauschal angenommen werden kann, dass die Abonnenten im Erbfall reihenweise abwandern würden.

Auch die Werbepartner könnten ein finanzielles Interesse daran haben, dass erfolgreiche Accounts mit großer Reichweite weiter betrieben werden. Sicherlich werden solche Entscheidungen im konkreten Einzelfall auch anders ausfallen können, ein grundsätzliches Interesse der Werbepartner an einer Zusammenarbeit auch mit den Erben ist nicht auszuschließen. Selbst der Diensteanbieter hat sicherlich kein Interesse an „toten Accounts“, weil sich diese auch negativ auf die Attraktivität des Netzwerkes auswirken könnten,25 26 da kaum ein Nutzer Interesse am Abonnement ungenutzter Accounts ohne neue Inhalte haben dürfte, insbesondere, wenn diese gehäuft vorkämen.

Es lässt sich festhalten, dass ein grundsätzliches Interesse der Erben und Erblasser bestehen kann, einen Account zu vererben und dass selbst die Abonnenten ein Interesse an Accounts toter Prominenter haben können.

Der BGH hat in einem Urteil über die Vererblichkeit eines privaten Facebook-Accounts entschieden, dass der Account selbst vererbbar ist, die aktive Weiternutzung aber im konkreten Fall nicht zu den Befugnissen der Erben zählt.27 Im damaligen Verfahren war allerdings die aktive Weiternutzung weder von den Erben gewünscht noch auf irgendeine Art streitgegenständlich, weshalb der BGH sich mit dieser Problematik auch nicht ausführlich auseinandergesetzt hat.28

Insofern scheint es zumindest zweifelhaft, ob diese Entscheidung allgemeingültig für jedes Profil jedes sozialen Netzwerkes gelten kann. Denkbar sind insbesondere Fälle, in denen ein Profil durch seine Follower eine große Reichweite und damit einen Vermögenswert hat. Problematisch könnte diesbezüglich das postmortale Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen sein und die Geltendmachung dieser ideellen Bestandteile durch die Angehörigen.29

Nach § 1922 Abs. 1 BGB, wonach das Vermögen als Ganzes auf den Erben übergeht, erscheint eine Vererblichkeit des Accounts grundsätzlich plausibel.

Diese Arbeit widmet sich der Begründung dieser Vererblichkeit. Dabei beschränkt sie sich bewusst auf die Accounts von Social Media Plattformen, da vor allem bei diesen ein Interesse an der aktiven Weiternutzung bestehen kann. Dafür wird zunächst untersucht, was rechtlich hinter Accounts steht, um dann in einem nächsten Schritt die Vererblichkeit anhand relevanter Kriterien zu überprüfen. Anschließend wird die Vererblichkeit unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geprüft. Danach wird untersucht, ob das Wettbewerbsrecht- und/oder das Datenschutzrecht eine Vererblichkeit des Accounts hindern oder beschränken können. Nachfolgend wird sich den Konsequenzen der Ergebnisse aus dem ersten Teil gewidmet, in dem die AGB der großen Plattformen untersucht werden sowie die Vorsorgemöglichkeiten des Erblassers behandelt werden. Anschließend wird der Sonderfall behandelt, dass ein Account von mehr als einer Person betrieben wird, während in einem letzten Kapitel der Bedarf nach einer gesetzlichen Regelung untersucht wird.

B.  Digitaler Nachlass

Relevant für das Verständnis der folgenden Arbeit ist der Begriff des „digitalen Nachlasses“. Bislang fehlt es an einer genauen Definition des Begriffs.30 Beschrieben werden kann der digitale Nachlass aber nach Deusch als „Gesamtheit der Rechtsverhältnisse des Erblassers, betreffend informationstechnische Systeme31, einschließlich des gesamten elektronischen Datenbestand des Erblassers.“32 Das betrifft sowohl die Vertragsverhältnisse zu Access-, Host- oder E-Mail-Account Providern, Anbietern sozialer Netzwerke oder anderer Angebote im Internet, als auch Urheberrechte, Rechte an Domains, das Eigentum und die Nutzungsrechte an Hard- und Software sowie die Rechte an Blogs, Clouds, Videos bei YouTube, Forenbeiträgen oder E-Mails.33 Letztlich stellt der Begriff des „digitalen Nachlasses“ eine Umschreibung erbrechtlich übergangsfähiger Rechte und Rechtsverhältnissen dar, die zu Lebzeiten des Erblassers in digitalen Zusammenhängen entstanden sind, zum Todeszeitpunkt noch bestehen und somit durch Universalsukzession übergangsfähig sind.34

Ebenfalls problematisch am Versuch der Definition ist bereits die Tatsache, dass das Erbrecht im bürgerlichen Recht den Begriff des „digitalen Nachlasses“ nicht kennt. Dieser suggeriert, dass es eine klare Unterscheidung zwischen dem digitalen und dem sonstigen Nachlass gibt. Im deutschen Erbrecht gibt es aber nur einen einzigen Nachlass, der aus unterschiedlichen Aktiva und Passiva besteht. Daraus folgt, dass der Begriff des „digitalen Nachlasses“ lediglich beschreibender Natur ist, klare rechtliche Zuweisungen folgen aus ihm zum aktuellen Zeitpunkt gerade nicht.35

Beim digitalen Nachlass handelt es sich also um einen größeren Komplex, die vorliegende Arbeit widmet sich lediglich dem Unterpunkt der Social Media Accounts.

C.  Gerichtliche Entscheidungen

Da es sich bei der Problematik des digitalen Nachlasses um ein vergleichsweise neues Phänomen handelt,36 gibt es bislang kaum höchstrichterliche Rechtsprechung dazu. Allerdings entschied der BGH am 12.07.2018 in einem Grundsatzurteil37 über die Vererblichkeit eines Facebook Accounts, am 27.06.2020 folgte ein Beschluss in der gleichen Streitigkeit.

I.  Das Urteil vom 12.07.2018 – III ZR 183/17

In diesem Urteil entschied der BGH über die Vererblichkeit eines Facebook Accounts. Geklagt hatten die Eltern als Erbengemeinschaft ihrer minderjährigen Tochter auf Zugang zu dem Facebook-Konto der Tochter.38 Diese war im Jahr 2012 unter ungeklärten Umständen tödlich verunglückt, die Eltern versprachen sich von dem Zugang zu ihrem Konto Informationen über mögliche Suizidabsichten der Tochter.39

Der BGH urteilte, dass Facebook der Erbengemeinschaft den Zugang zum Account gewähren müsse. Dieser Zugangsanspruch ergebe sich aus dem auf die Erben nach § 1922 Abs. 1 BGB mit seinen Rechten und Pflichten übergegangenen Vertrag.40 Weder das postmortale Persönlichkeitsrecht der Verstorbenen noch das Fernmeldegeheimnis oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kommunikationspartner oder datenschutzrechtliche Regelungen stünden dem entgegen.41

Die Vererblichkeit des Vertrages sei weder vertraglich ausgeschlossen worden,42 noch ergebe sich eine Unvererblichkeit aus dem Wesen des Vertrages, da die Leistungen der Parteien nicht derart höchstpersönlich seien, dass der Rechtsgedanke des § 399 BGB greifen könnte.43

Demnach geht der Nutzungsvertrag also nach § 1922 BGB grundsätzlich auf die Erben über.

Die Frage einer damit einhergehenden aktiven Weiternutzung durch den Erben war nicht streitgegenständlich, der BGH äußerte sich nur am Rande zur Problematik. Dazu führte der BGH aus, dass das Kontoverhältnis insoweit personenbezogen sei, als dass nur der Nutzer Inhalte posten und Nachrichten schreiben dürfe. Dies würde allerdings nicht zu dessen Unvererblichkeit führen, sondern „könnte allenfalls dazu führen, dass – wie beim Girovertrag – die aktive Weiternutzung des Kontos des Erblassers durch den Erben, die in der Praxis ohnehin regelmäßig nicht beabsichtigt sein wird, nicht von seinem Erbrecht umfasst ist.“44 Aufgrund der mangelnden Streitgegenständlichkeit könne diese Frage aber auf sich beruhen.45

Mithin war nach diesem Urteil zwar vieles im Bereich des digitalen Nachlasses gerichtlich geklärt, die Frage der aktiven Weiternutzung durch den Erben blieb aber offen.

II.  Der Beschluss vom 27.08.2020 – III ZB 30/20

In der gleichen Streitigkeit folgte am 27.08.2020 ein Beschluss zur Auslegung des Vollstreckungstitels des BGH über die Art der Zugangserteilung durch den Plattformbetreiber. Facebook hatte den Klägern nach dem ersten BGH-Urteil lediglich einen USB-Stick zur Verfügung gestellt, in dem in einer PDF-Datei auf 14.000 Seiten die ausgelesenen Konto-Daten der Verstorbenen enthalten waren.46

Der BGH teilte nun mit, dass der Zugang zum Konto derart erfolgen müsse, dass sich die Erben im Konto so „bewegen“ können wie der ursprüngliche Nutzer.47 Dieser Anspruch folge aus dem auf die Erben übergegangenen Vertragsverhältnis mit Facebook.48 Der Zugangsverpflichtung via USB-Stick hätte Facebook allenfalls dann nachkommen können, wenn durch die auf dem Stick gespeicherten Dateien das Benutzerkonto funktional nachgebildet worden wäre.49

Bei all diesen Erläuterungen über die Gestaltung des Zugangs nimmt der BGH auch im Beschluss die aktive Weiternutzung aus. So wird ausgeführt, dass sich der Erbe, mit Ausnahme der aktiven Weiternutzung, im Konto „bewegen“ können müsse wie der Erblasser.50 An anderer Stelle wird die aktive Nutzung als einziger Unterschied zwischen den Rechten von Erben und Erblasser genannt.51 Bezugnehmend auf das Urteil vom 12.07.2018, wonach Gegenstand des Rechtsstreit lediglich die Bereitstellung der vorhandenen Inhalte des Kontos zum Abruf durch den Erben sei, wird erläutert, dass der Senat lediglich die aktive Weiternutzung vom Streitgegenstand dieses Rechtsstreits abgegrenzt habe, der eine aktive Weiternutzung nicht umfasse.52 Im Sinne dieser Abgrenzung steht auch eine weitere Textstelle, nach der die Erben aufgrund des Vollstreckungstitels nicht zu einer aktiven Weiternutzung berechtigt seien; wenn die Schuldnerin der Auffassung wäre, dass die Erben zu dieser Nutzung auch materiell-rechtlich nicht berechtigt sei, könne sie Unterlassung verlangen.53

Dies wirkt zunächst so, als wäre die aktive Weiternutzung durch den Erben nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich ausgeschlossen. Allerdings ist der entscheidende Punkt, dass die aktive Weiternutzung nicht verlangt wurde und sich der BGH daher überhaupt nur am Rande mit der Thematik befasst hat. Die Erben hatten schließlich weder ideelle noch wirtschaftliche Interessen an einer Fortführung des Accounts, sodass die vermeintliche Ablehnung sich ohnehin nur auf den konkreten Fall bezieht.

Schon im Beschluss wird deutlich, dass es nicht genügt, wenn nur die Daten des Accounts zur Verfügung gestellt werden, vielmehr geht es auch um die weiteren Funktionen des Kontos. Die aktive Weiternutzung wäre demnach ohnehin nur die konsequente Weiterführung des Gedankens, dass der Account mit allen Rechten und Pflichten auf den Erben übergeht.


* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text verallgemeinernd das generische Maskulinum verwendet. Diese Formulierungen umfassen gleichermaßen weibliche und männliche Personen; alle sind damit selbstverständlich gleichberechtigt angesprochen.

1 Summers, Goddess, S. 1.

2 T. Braun, Informatik Spektrum 33 (2010), 201, 205.

3 Marilyn Monroe, https://www.instagram.com/marilynmonroe/?hl=de.

4 Ebd.

5 Zum #blackoutTuesday: Marilyn, https://www.instagram.com/p/CA77kVmgF6t/.

6 Gilden, William & Mary Law Review 2021, 4; Forbes, Entrepreneur, https://www.forbes.com/video/5855494792001/the-entrepreneur-keeping-marilyn-monroe-alive/?sh=2f80c5f64242.

Details

Seiten
270
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631909454
ISBN (ePUB)
9783631909461
ISBN (Paperback)
9783631909362
DOI
10.3726/b21246
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Dezember)
Schlagworte
Soziale Netzwerke AGB Facebook Vermögenswert von Accounts Allgemeines Persönlichkeitsrecht Erbschaft Accounts
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 270 S.

Biographische Angaben

Lara Reich (Autor:in)

Lara Reich hat Rechtswissenschaften an der Universität Bremen studiert. Anschließend war sie neben ihrer Promotion an der Universität Bremen und der Universität Augsburg als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig.

Zurück

Titel: Der digitale Nachlass