Der wirtschaftliche Wert von Geschäftsgeheimnissen
Zusammenfassung
ausdrücklich normierte Legaldefinition für Geschäftsgeheimnisse. Diese neue Definition weist zwar große Schnittmengen zur früheren -von der Rechtsprechung aus den §§ 17 ff. UWG a.F. abgeleiteten -Definition auf. Allerdings ist der in der neuen Definition aus § 2 Nr. 1 GeschGehG zugrunde gelegte „wirtschaftliche Wert“ eine Voraussetzung, die der deutschen Rechtsordnung zuvor unbekannt gewesen ist. Obwohl die GeschGeh-RL schon im Jahr 2016 und das GeschGehG im Jahr 2019 in Kraft getreten sind, belassen es die Rechtsprechung und Literatur immer noch häufig dabei, keine größeren Ausführungen zum wirtschaftlichen Wert zu machen. Der Autor hat es sich in seiner Dissertation zur Aufgabe gemacht, die hiesige Forschungslücke zu schließen, und hat sich hierbei für einen interdisziplinären Ansatz an der Schnittstelle zwischen Ökonomie und Jurisprudenz entschieden.
Themenübersicht
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Literaturverzeichnis
- LEHRBÜCHER UND MONOGRAPHIEN
- KOMMENTARE
- AUFSÄTZE
- Abkürzungsverzeichnis
- Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- A. Ursprung der Untersuchung: Geheimnisschutz im Wandel
- B. Anlass der Untersuchung: „wirtschaftlicher Wert“
- C. Gang der Untersuchung
- Teil 1: Die „geheime Information“ als Grundlage
- A. Information
- B. Geheimheit
- I. Allgemein bekannt
- II. Ohne Weiteres zugänglich
- III. Geheimnisverletzungen und Irreversibilität
- C. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
- Teil 2: Der „wirtschaftliche Wert“ als neue Voraussetzung
- A. Auseinanderfallen von der GeschGeh-RL und dem GeschGehG
- I. „Kommerzieller“ oder „wirtschaftlicher“ Wert?
- II. Wirtschaftlicher Wert als eigenständige Voraussetzung
- B. Zusammenhang zwischen Geheimheit und wirtschaftlichem Wert
- I. Kausalzusammenhang
- II. „independent value“ für die GeschGeh-RL und das GeschGehG?
- C. Zusammenstellung von (öffentlichen) Einzelinformationen
- I. Beispiel: Rezept
- II. Beispiel: Kunden- und Lieferantenliste
- III. Zwischenergebnis
- D. „Realer“ oder (auch) „potenzieller“ Wert?
- I. Wettbewerbsvorteile ohne (bisherige) Manifestation
- II. Beispiel: „Informationen ohne Verarbeitungsstufe“
- 1. Daten als Informationen i. S. d. GeschGehG
- 2. Nutzungs- und Verwertungspotenzial von Rohdaten im Zeitalter von „Big Data“
- a) Kombinierbarkeit und (Wieder-)Verwendbarkeit
- b) Beispiel: Automobilbranche
- c) Zwischenergebnis
- 3. Wertsteigerung durch Geheimhaltung
- a) Geheimheit
- aa) Aufwand zur Zugänglichkeit
- bb) Zugänglichkeit für „nahezu jeden“?
- cc) Zwischenergebnis
- b) Kausalzusammenhang
- 4. Zwischenergebnis
- E. Verwertungs- und Nutzungs-, aber (auch) Schädigungspotenzial?
- I. Änderung von „Interesse“ auf „Wert“ als Verengung?
- II. Der wirtschaftliche Wert als „Ausdruck der Wettbewerbsfähigkeit“
- III. Zwischenergebnis
- F. Rechtswidrigkeit als Hindernis?
- I. Exkurs: Aufteilung eines „illegalen“ Geheimnisses?
- II. Rückblick: „Berechtigtes, wirtschaftliches Interesse“ nach früherer Rechtslage
- 1. Ein „berechtigtes Interesse“ im Strafrecht am Beispiel des § 203 StGB
- 2. Strafbarkeitslücke ohne den Schutz eines rechtswidrigen Zustands?
- 3. Zwischenergebnis
- III. Auswirkungen der GeschGeh-RL und des GeschGehG
- 1. Wortlaut
- a) Richtlinienkonformität und Auslegung von § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG
- b) Bedeutung für den wirtschaftlichen Wert
- c) Zwischenergebnis
- 2. Sinn und Zweck
- a) Innovationsschutz
- b) Whistleblowing-Aktivitäten
- c) Handelbarkeit
- d) Legitimität
- e) Rechtssicherheit
- f) Zwischenergebnis
- 3. Historische Entwicklung
- 4. Systematik
- a) Ausgestaltung der „Ausnahmen“ in Art. 5 lit. b der GeschGeh-RL und § 5 Nr. 2 GeschGehG
- b) Einordnung der „Ausnahmen“
- c) Zwischenergebnis
- 5. Zwischenergebnis
- G. Unternehmens-/Geschäftsbezug
- I. Der wirtschaftliche Wert als Nachfolger?
- 1. Zuordnung zu einem Inhaber
- 2. Abgrenzung zu anderen Geheimnisarten
- 3. Perspektive der Zuordnung und Abgrenzung
- 4. Beschränkung durch die übrigen Voraussetzungen und Reichweite ihrer Funktionen
- 5. Zwischenergebnis
- II. Beispiel: Wissenschaftsgeheimnis
- 1. Richtlinien- und gesetzgeberischer Wille des Vorfeldschutzes
- 2. Exkurs: „Teilnahme am Wettbewerb“ als ursprüngliche Voraussetzung im Referentenentwurf zum GeschGehG
- 3. Vereinbarkeit mit dem Anwendungsbereich des GeschGehG
- 4. „Wettbewerbs“-Vorteil trotz eines „trägerabstrahierenden Potenzials“?
- 5. Zwischenergebnis
- III. Beispiel: Privatgeheimnis
- 1. Grundsatz
- 2. Ausnahmen
- a) Umstände über Mitarbeiter eines Unternehmens
- aa) Unternehmer und leitende Mitarbeiter
- bb) Andere, wirtschaftlich bedeutende Mitarbeiter
- cc) „Gewöhnliche“ Mitarbeiter
- dd) Zwischenergebnis
- b) Personen des öffentlichen Lebens
- 3. Zwischenergebnis
- IV. Zwischenergebnis
- H. Wertschwelle als rechtssicheres Abgrenzungskriterium?
- I. Art. 39 Abs. 3 des TRIPS-Abkommens als Vorbild?
- II. Vereinbarkeit mit der GeschGeh-RL und dem GeschGehG und Beispiel: Software und Datenzusammenstellungen
- I. Zeitliche Bezifferung des wirtschaftlichen Wertes
- I. Rückblick: Retrospektive Bemessung des berechtigten, wirtschaftlichen Interesses
- II. Prospektive Bemessung als Erfordernis des wirtschaftlichen Wertes?
- 1. Gestiegene Anforderungen des GeschGehG
- 2. Praktische Vorteile einer prospektiven Bemessung
- 3. Vereinbarkeit mit dem Potenzialverständnis des GeschGehG
- a) Existenz des wirtschaftlichen Wertes
- b) Höhe des wirtschaftlichen Wertes
- 4. Exkurs: Präventive Umsetzung der prospektiven Bemessung
- III. Zwischenergebnis
- J. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
- Teil 3: Ökonomische Bemessung des wirtschaftlichen Wertes
- A. Ökonomische Grundlagen zum wirtschaftlichen Wert
- I. „Wert“ als Subjekt-Objekt-Beziehung
- II. Mehrdeutigkeit des wirtschaftlichen Wertes als Möglichkeit für verschiedene Wertbegriffe?
- B. Ökonomische Wertbegriffe und Methoden zur Bemessung des wirtschaftlichen Wertes
- I. Marktzentriert: Marktwert
- 1. Gewöhnlicher Geschäftsverkehr
- a) Übertragbarkeit als Voraussetzung des Geschäftsverkehrs
- b) Existenz eines sachlich abgrenzbaren Marktes
- aa) Vergleichbarkeit von Geschäftsgeheimnissen
- bb) Rechtmäßigkeit als Markterfordernis?
- cc) Transparenz als Markthindernis: Hypothetischer Markt für Geschäftsgeheimnisse?
- c) Zwischenergebnis
- 2. Preis, also Wert für „jedermann“
- a) Zugänglichkeit zu Informationsquellen als methodische Verzerrung
- b) Verhältnis von Wert zu Preis
- c) Auswahl der gezahlten Preise und „jedermann“ als unbestimmter Begriff
- aa) „Kleinster gemeinsamer Nenner“?
- bb) Ausschluss ungewöhnlicher oder persönlicher Verhältnisse
- cc) Durchschnittliche Nutzbarkeit und Wertungen des BewG und der IFRS
- 3. Zwischenergebnis
- II. Kapitalwertorientiert: Erfolgswert
- 1. Unterschied zwischen prospektivem und retrospektivem Erfolgswert
- 2. Erfolg durch interne Nutzung und/oder externe Lizenzierung
- 3. Quantifizierung des Erfolgs
- a) Schwierigkeiten bei Geschäftsgeheimnissen
- aa) Art der Nutzenentfaltung
- bb) Fehlerhaftigkeit der Annahmen und Beispiel: Geheimhaltung
- b) Ertragswertverfahren und DCF-Verfahren
- aa) Nutzungsdauer
- (1) Rechtliche Faktoren
- (a) Gesetzliche Schutzdauer
- (b) Regulierung
- (2) Wirtschaftliche Faktoren
- (a) Beispiel: technologiebasierte Geschäftsgeheimnisse
- (b) Beispiel: kundenorientierte Geschäftsgeheimnisse
- (3) Statistische Schätzungen und Beispiel: Rezepte
- (4) Zwischenergebnis
- bb) Zukünftige Zahlungsströme
- (1) Methode der unmittelbaren Cashflow-Prognose
- (2) Methode der Lizenzpreisanalogie
- (3) Mehrgewinnmethode
- (4) Residualwertmethode
- cc) Diskontierungssatz
- 4. Zwischenergebnis
- III. Investitionszentriert: Herstellungs- und Anschaffungswert
- 1. Aufwendungen zur Herstellung
- 2. Aufwendungen zur Anschaffung
- 3. Differenz zwischen Aufwendungen und Wettbewerbsvorteil
- 4. Zwischenergebnis
- IV. Kostenorientiert: Wiederbeschaffungs- und Reproduktionswert
- V. Schadenszentriert: Subjektiver Wert
- 1. Geheimhaltungskosten als subjektiver Tauschwert
- a) Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen gemäß § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG
- b) Zusammenhang als Rückschluss auf den wirtschaftlichen Wert?
- aa) Wortlaut
- bb) Sinn und Zweck
- cc) Systematik
- c) Kategorische Klassifizierung von Geschäftsgeheimnissen
- d) Differenz zwischen Geheimhaltungskosten und Wettbewerbsvorteil
- 2. Wettbewerbsnachteil als subjektiver Schadenswert
- a) Prospektive Bemessung
- b) Retrospektive Bemessung
- c) Zwischenergebnis
- 3. Zwischenergebnis
- C. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
- Teil 4: Wertbestimmung bei der Bilanzierung
- A. Bilanzierung dem Grunde nach: Aktivierung von Geschäftsgeheimnissen
- I. Aktivierungsvoraussetzungen
- 1. Handelsrecht: Vermögensgegenstand
- a) Schuldendeckungsfähigkeit
- aa) Streitstand
- bb) Bedeutung für Geschäftsgeheimnisse
- (1) Ausschließliches Schädigungspotenzial
- (2) Nutzungs- und/oder Verwertungspotenzial
- cc) Zwischenergebnis
- b) Subjektive Zurechenbarkeit
- c) Objektive Zugehörigkeit
- 2. Steuerrecht: Wirtschaftsgut
- a) Vermögensvorteil
- b) Bilanzielle Greifbarkeit
- c) Übertragbarkeit
- d) Selbstständige Bewertbarkeit
- 3. IFRS: Vermögenswert
- a) Gegenwärtige, wirtschaftliche Ressource
- b) Kontrolle als Resultat vergangener Ereignisse
- c) Identifizierbarkeit
- d) Wahrscheinlichkeit des Nutzenzuflusses
- e) Verlässliche Bewertung der Anschaffungs- und Herstellungskosten
- 4. Vergleich der Aktivierungsvoraussetzungen
- II. Aktivierungsverbot für bestimmte selbstgeschaffene Geschäftsgeheimnisse
- 1. Abgrenzung zwischen Anlage- und Umlaufvermögen
- 2. Abgrenzung zwischen Sachanlage- und immateriellem Anlagevermögen
- a) Funktionale Einheit
- b) Exkurs: Einordnung in § 266 Abs. 2 A. I. HGB
- c) Zwischenergebnis
- 3. Ausweitung der Aktivierung auf alle selbstgeschaffenen Geschäftsgeheimnisse?
- 4. Zwischenergebnis
- III. Zwischenergebnis
- B. Bilanzierung der Höhe nach: Bewertung von Geschäftsgeheimnissen
- I. Zugangsbewertung
- 1. Abgrenzung zwischen Anschaffung und Herstellung anhand des Herstellungsrisikos und Beispiel: Standard- und Individualsoftware
- 2. Anschaffungskosten
- a) Einzelerwerb
- b) Unternehmenserwerb
- aa) Neubewertung zum beizulegenden Zeitwert
- bb) Derivativer Geschäfts- oder Firmenwert
- c) Besonderheit: Tauschgeschäft und Beispiel: Daten gegen Datendienst
- d) Zwischenergebnis
- 3. Herstellungskosten
- a) Abgrenzung zwischen den Phasen von FuE
- aa) Handelsrecht und „Ausstrahlungswirkung“ der IFRS
- bb) Anforderungen aus IAS 38.57
- (1) Fähigkeit zur Fertigstellung
- (2) Absicht zur Fertigstellung
- (3) Künftiger wirtschaftlicher Nutzen durch Nutzung oder Verkauf
- (4) Verlässlichkeit der Bewertung und Dokumentation
- cc) Beispiel: „Project Life Cycle Systems“ in der Automobilbranche
- dd) Zwischenergebnis
- b) Besonderheit: Unterschied zwischen sequenziellem und iterativem Ablauf und Beispiel: Software
- c) Ausweitung der Zugangsbewertung auf die Forschungsphase?
- d) Zwischenergebnis
- 4. Abgrenzung zwischen nachträglichen Kosten und dem Erhaltungsaufwand und Beispiel: angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen
- 5. Zwischenergebnis
- II. Folgebewertung
- 1. Nutzungsdauer von Geschäftsgeheimnissen
- a) Nutzungsdauerfiktionen im Handels- und Steuerrecht
- b) „impairment-only“-Ansatz in den IFRS
- c) Zwischenergebnis
- 2. Planmäßige Abschreibung: fortgeführte Anschaffungs-/Herstellungskosten
- 3. Außerplanmäßige Abschreibung
- a) Handels- und Steuerrecht
- aa) Dauernde Wertminderung
- bb) Beizulegender Wert/Teilwert
- b) IFRS: Vergleich mit dem erzielbaren Betrag (Werthaltigkeitstest)
- aa) Beizulegender Zeitwert abzüglich Veräußerungskosten
- bb) Nutzungswert
- cc) Unterschied zwischen einzelnen Geschäftsgeheimnissen und solchen in CGU und Beispiel: Geschäftsgeheimnisse als Bestandteile des derivativen Geschäfts- oder Firmenwertes
- c) Vergleich der außerplanmäßigen Abschreibung
- 4. Wertaufholung und Zuschreibung
- 5. Besonderheit in den IFRS: Neubewertungsmodell
- 6. Zwischenergebnis
- III. Zwischenergebnis
- C. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
- Teil 5: Wertbestimmung für Ersatzansprüche
- A. Spezialrechtliche Ansprüche aus dem GeschGehG
- I. Konkreter Schadensersatz i. R. d. §§ 249 ff. BGB
- 1. Restitution und Kompensation
- 2. Entgangener Gewinn
- a) Orientierung an kartellrechtlichen Bemessungsmethoden
- b) Beispiele: Kalkulationsgrundlagen und pharmazeutische Produkte
- c) Besonderheit für „illegale“ Geheimnisse
- 3. Zwischenergebnis
- II. Gewinnherausgabe i. R. d. § 10 Abs. 2 S. 1 GeschGehG
- 1. Aufteilung in kausale und nicht-kausale Gewinnanteile?
- a) Anwendung bei Immaterialgüterrechten und Rückblick: §§ 17 ff. UWG a. F.
- b) Vereinbarkeit mit dem heutigen Geheimnisschutz
- c) Darlegungs- und Beweislast des Rechtsverletzers als Kompromiss?
- 2. Ausschließlich innerbetriebliche Verwendung
- 3. Zwischenergebnis
- III. Lizenzanalogie i. R. d. § 10 Abs. 2 S. 2 GeschGehG
- 1. Anspruchshöhe und Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Wert
- a) Durchgesetzte oder branchenübliche Lizenzsätze
- b) Pauschale Lizenzsätze: Daumenregeln
- c) Hypothetisches Verhandlungsverhalten und Beispiel: Nutzungspotenzial von technischen Geschäftsgeheimnissen
- d) Art der Lizenz
- e) Zwischenergebnis
- 2. „Verletzerzuschlag“/Strafschadensersatz?
- a) Herleitung über Immaterialgüterrechte und Vorteile
- b) Vereinbarkeit mit dem heutigen Geheimnisschutz
- c) „Über“-Kompensation als Kompromiss?
- 3. Zwischenergebnis
- IV. Entschädigung für immaterielle Schäden i. R. d. § 10 Abs. 3 GeschGehG
- B. Privatrechtliche Ansprüche aus dem BGB
- C. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
- Teil 6: Wertbestimmung in Gerichtsverfahren
- A. Anwendbarkeit und Vorteile des § 287 ZPO
- B. Wert- und Schadensschätzung von Geschäftsgeheimnissen im Verfahren
- I. Anforderungen an den Inhaber
- II. Sachverständigenbeweis gemäß § 287 Abs. 1 S. 2 ZPO
- C. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
- Teil 7: Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit
Einleitung
A. Ursprung der Untersuchung: Geheimnisschutz im Wandel
Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts traten weltweit neue Regelungen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen in Kraft. So wurde im US-amerikanischen Recht der „Defend Trade Secrets Act“ im Jahr 2016 eingeführt und auch das chinesische Wettbewerbsrecht wurde in den Jahren 2017 und 2019 zugunsten eines umfassenderen Geheimnisschutzes reformiert. Auch vor der EU machten geheimnisschutzrechtliche Reformen keinen Halt. So legte die Europäische Kommission schon im Jahr 2013 einen Entwurf vor, der später als GeschGeh-RL in Kraft trat. Als diese am 26. April 2019 durch das GeschGehG in nationales Recht umgesetzt wurde,1 änderte sich die Rechtslage so, dass die §§ 17 ff. UWG a. F. durch ein geheimnisschutzrechtliches Stammgesetz ersetzt wurden, wodurch der Schutz von Geschäftsgeheimnissen formell ausgelagert, materiell erweitert und insgesamt dem Immaterialgüterschutz angenähert wurde.
Die Reformen wurden vorangetrieben, da die wirtschaftliche Bedeutung von Geschäftsgeheimnissen zugenommen hat,2 was auch für die Zukunft zu erwarten ist.3 So gelten Geschäftsgeheimnisse als wertvolle immaterielle Werte4 und werden – insb. bei kleinen und mittleren Unternehmen sowie Start-Ups5 – zum „inneren Bestand eines jeden Unternehmens“6 gezählt. Zutreffend werden Geschäftsgeheimnisse auch als „Lebenselixier unternehmerischer Tätigkeit“ bezeichnet,7 was sich mitunter daran zeigt, dass viele Inhaber den Geheimnis- gegenüber dem Patentschutz bevorzugen.8 Der Wert von Geschäftsgeheimnissen übersteigt oft sogar den Wert von herkömmlichen Immaterialgüterrechten,9 was sich bspw. am „Google“-Suchalgorithmus oder an der „Coca-Cola“-Rezeptur zeigt.10
Vor allem die – angeblich nur unter wenigen Angestellten bekannte und einmal niedergeschriebene11 – „Coca-Cola“-Rezeptur wird häufig als Beleg für die große Bedeutung von Geschäftsgeheimnissen angeführt, da Stammkunden von „The Coca-Cola Company“ dazu veranlasst werden, als Gegenwert einen hohen Preis für einen „einzigartigen Geschmack“ zu zahlen,12 der insb. aus dem geheimen Rezept resultiert. Der Preis ist hoch, wenn die Nachfrage zwar groß, aber das Angebot klein ist. Könnten mehrere Wettbewerber – bspw. nach einer Geheimnisverletzung – denselben Geschmack wie „The Coca-Cola Company“ anbieten, würde sich das Angebot und auch der Wettbewerb erhöhen. Da sich Anbieter unterbieten wollen, würde der Preis des Produktes infolge des „Preiskampfes“ sinken und „The Coca-Cola Company“ einen niedrigeren Erlös erwirtschaften. Das hätte zur Folge, dass das Rezept von „The Coca-Cola Company“ als Geschäftsgeheimnis „wirtschaftlich abgewertet“ oder sogar vollständig entwertet wäre.13
Dieses Beispiel zeigt bereits, wie bedeutend Geschäftsgeheimnisse für die Wettbewerbsfähigkeit sein können. Dass sie in Erwg. 1 der GeschGeh-RL als „Währung der wissensbasierten Wirtschaft, die einen Wettbewerbsvorteil schafft“, bezeichnet werden, ist keine Überraschung. Überraschender könnte eher sein, dass neben den positiven Eigenschaften schon die einmalige Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses zur Entwertung führen kann und die Gefahren für Geschäftsgeheimnisse heutzutage mehr zu- denn abnehmen.14 Dementsprechend bedarf es für diese wertvollen, aber zugleich „besonders verletzlichen“15 Informationen rechtliche Schutzmechanismen, die vor Inkrafttreten der GeschGeh-RL und des GeschGehG unzureichend und ineffektiv waren.16 Zwar gab es auch vorher schon internationale Vereinbarungen, die Mindestanforderungen an den Geheimnisschutz gestellt haben (z. B. Art. 39 Abs. 2 des TRIPS-Abkommen), jedoch unterschieden sich die Regelungen schon in der EU erheblich17 oder fehlten sogar ganz, wodurch der freie Warenverkehr und die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit von Geheimnisinhabern erheblich beeinträchtigt wurden.18
Obwohl die Vertraulichkeit von Geschäftsgeheimnissen vom staatlichen Schutzauftrag umfasst ist,19 schützte das deutsche Recht vor Inkrafttreten des GeschGehG Geschäftsgeheimnisse nur unzureichend, sodass der Geheimnisschutz sogar als „Aschenputtel und Stiefkind des geistigen Eigentums und Lauterkeitsrecht“ bezeichnet.20 So wurden Geschäftsgeheimnisse vor allem durch die §§ 17 ff. UWG a. F. geschützt,21 die den Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen unter Strafe stellten und mit einem unselbstständigen und akzessorischen Zivilrechtsschutz verknüpft wurden.22 Bei den Normen handelte es sich aber um eine „veraltete, lückenhafte Regelungstechnik“,23 was damit einherging, dass die lauterkeitsrechtlichen Schutzansprüche praktisch kaum durchsetzbar waren.24 Aus diesen Gründen war der nebenstrafrechtliche Schutz gemäß §§ 17 ff. UWG a. F. in der Praxis nur von geringer Bedeutung, sodass das Inkrafttreten des GeschGehG grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung gewesen sein ist.
B. Anlass der Untersuchung: „wirtschaftlicher Wert“
Im Vergleich zur früheren Rechtslage ermöglichen die heutigen Regelungen des GeschGehG höhere Erfolgsaussichten durch den stärkeren Zivilrechtsschutz und eine höhere Diskretion in Gerichtsverfahren.25 Neu ist auch die geheimnisschutzrechtliche Legaldefinition aus § 2 Nr. 1 GeschGehG. So gab es in den §§ 17 ff. UWG a. F. noch keine Legaldefinition, sondern es war die Rspr., die aus diesen Normen einen Geheimnisbegriff entwickelt hat. Dem BGH zufolge waren Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse…
„… im Zusammenhang mit einem Geschäftsbetrieb stehende Tatsachen, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis bekannt waren und nach dem bekundeten Willen des Geschäftsinhabers aufgrund eines berechtigten, wirtschaftlichen Interesses geheim gehalten werden sollten“.26
Hiervon abweichend muss es sich nun bei einem Geschäftsgeheimnis i. S. d. GeschGehG um eine Information handeln,
a) die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Information umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist und
b) die Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist und
c) bei der ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht.
Durch die erstmalige Einführung einer Legaldefinition hat der Gesetzgeber Art. 2 Nr. 1 der GeschGeh-RL umgesetzt und ausdrückliche Voraussetzungen geschaffen, die den sachlichen Anwendungsbereich des GeschGehG eröffnen. Die neue Definition entspricht im Wesentlichen der bereits bekannten Definition aus Art. 39 Abs. 2 des TRIPS-Abkommens und ähnelt auch der aus den §§ 17 ff. UWG a. F. entwickelten Definition.27 Daher liegt es zumindest nahe, dass der neue mit dem alten Begriff im Einklang steht und eine „große Schnittmenge“ aufweist.28
Doch mit der neuen Definition gehen auch neue (Abgrenzungs-)Fragen einher,29 denn insb. der wirtschaftliche Wert ist eine Voraussetzung, die der deutschen Rechtsordnung zuvor unbekannt gewesen ist. Obwohl die GeschGeh-RL schon seit dem Jahr 2016 und das GeschGehG seit dem Jahr 2019 in Kraft getreten sind, belassen es die – auch die europäische30 – Rspr. und Literatur oft noch dabei, keine größeren Ausführungen zum wirtschaftlichen Wert zu machen.31 Ein „völliger Gleichlauf“ zum berechtigten, wirtschaftlichen Interesse ist aber jedenfalls schon deshalb nicht zu erwarten,32 da im Gegensatz zum früheren Definitionsmerkmal die rechtlichen, aber auch die faktischen Anforderungen an das vermeintliche Pendant des wirtschaftliches Wertes verschärft worden sind.33 So könne der „Nachweis objektiver Werthaltigkeit“ nicht nur fürs Vorliegen der eigenen Voraussetzung von Bedeutung, sondern im Zuge des „wirtschaftlichen Wertbemessungsgebotes“ auch im Vorhinein zur Bestimmung angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen i. S. d. § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG erforderlich sein.34 So fehlt ohne prospektive Wertprognose eine hinreichend sichere Grundlage für die Frage, ob eine Information „dem Geheimniswert […] entsprechend geschützt“35 ist.
Doch nicht nur mit Blick auf die rechtliche Anforderung, sondern auch aus ökonomischen Gründen ist es für Inhaber sinnvoll, den wirtschaftlichen Wert zu bemessen, um die Geheimhaltungskosten in ein sinnvolles Kosten-Nutzen-Verhältnis zu setzen.36 Selbst wenn die neue Voraussetzung des wirtschaftlichen Wertes nicht schon unmittelbar zu zusätzlichem Aufwand bei Inhabern führt, ist der praktische Handlungsbedarf mindestens mittelbar im Zuge der ebenso neuen angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen gestiegen.37
Außerdem ist die Wertbestimmung von Geschäftsgeheimnissen auch für Steuer- und Buchhaltungsanforderungen, Konkurse, Lizenzierungs-, Verkaufs- oder sonstige Transaktionsaktivitäten, Rechtsstreitigkeiten und Kapitalbeschaffungen von Bedeutung.38 Jedenfalls ist zur Wertbestimmung nur mit Vorsicht auf die Rspr. zu dem vormals aus den §§ 17 ff. UWG a. F. hergeleiteten Geheimnisbegriff und der damit einhergehenden Bemessung des „berechtigten, wirtschaftlichen Interesses“39 zurückzugreifen.40 Die zur früheren Rechtslage getroffenen Feststellungen müssen richtlinienkonform sein, sodass der heutige Begriff teilweise unabhängig vom nationalen Rechtsverständnis auszulegen ist.41
Ohnehin haben Inhaber vor der Einführung eines etablierten und einheitlichen Geheimnisschutzes nur unzureichend den Wert ihrer Geschäftsgeheimnisse bemessen.42 Aufgrund des wirtschaftlichen Wertes wird es nun bspw. auch für die gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen notwendig sein, den Wert eines Geschäftsgeheimnisses dem Grunde und der Höhe nach nachweisen zu können, was insb. durch eine ordnungsgemäße Bilanzierung möglich sein könnte.43 Bisher lag der Fokus im Bilanzwesen vor allem auf Patenten und Kundenbeziehungen, um den Wert ihrer Tätigkeiten zu bestimmen.44 Da aber die Bedeutung von Geschäftsgeheimnissen erheblich zugenommen hat, ist fraglich, ob und wie effizient eine Abbildung und ein Nachweis des wirtschaftlichen Wertes im Zuge der Bilanzierung gelingt, sodass der wirtschaftliche Wert – aus Effizienzgründen und ggf. auch für andere Zwecke – anhand derselben Vorgehensweise ermittelt werden kann. Obwohl es bei der Bewertung von Software, Algorithmen, Formeln und Listen schon Fortschritte gegeben hat,45 entspricht der Diskurs noch nicht der wirtschaftlichen Bedeutung von Geschäftsgeheimnissen, vor allem da Inhaber häufig noch nicht die Notwendigkeit erkannt haben oder vor großen Schwierigkeiten stehen.46 So ergibt sich ein ökonomischer Nutzen bei immateriellen Werten oft erst aus dem Zusammenwirken mit anderen Werten, sodass der durch ein Geschäftsgeheimnis „generierte Wert“47 nur mit Schwierigkeiten und anhand von Annahmen bestimmt werden kann.
Aus diesen Gründen ist zu untersuchen, ob und inwieweit die Abbildung und der Nachweis eines wirtschaftlichen Wertes effizient gelingen kann. Dafür muss der Begriff aus § 2 Nr. 1 GeschGehG im Vergleich zur früheren Rechtslage neu eingegrenzt, die Eignung verschiedener Wertbegriffe sowie Bemessungsmethoden diskutiert und die Wertbestimmung anhand von Anwendungsfällen (Bilanzierung, Ersatzansprüche, Gerichtsverfahren) überprüft werden.
C. Gang der Untersuchung
Um die neue Definition und insb. ihre neue Voraussetzung des wirtschaftlichen Wertes zu begreifen, ist in Teil 1 zuerst der Begriff der „geheimen Information“ als Grundlage des Geheimnisschutzes einzugrenzen. Konkret geht es darum, was eine Information ist, welche Anforderungen das GeschGehG an sie stellt und wann sie (noch) geheim ist.
In Teil 2 ist der „wirtschaftliche Wert“ als neue Voraussetzung des GeschGehG zu konkretisieren. Neben Unterschieden zwischen der GeschGeh-RL und dem GeschGehG, die für ein einheitliches Verständnis geklärt werden sollten, sind einige frühere Definitionsmerkmale mutmaßlich entfallen (z. B. Geschäfts-/Unternehmensbezug) und neue Ausprägungen hinzugekommen (z. B. Zusammenhang zwischen Geheimheit und wirtschaftlichem Wert). Zudem besteht schon auf rein begrifflicher Ebene ein Unterschied zwischen dem „wirtschaftlichem Wert“ i. S. d. GeschGehG und dem zuvor erforderlichen „berechtigten, wirtschaftlichen Interesse“ i. S. d. UWG. Die neue Voraussetzung des wirtschaftlichen Wertes dient gemäß Erwg. 14 der GeschGeh-RL insb. dazu, zwischen belanglosen (wertlosen) und zu schützenswerten (wertvollen) Geheimnissen abzugrenzen. Ob aber der wirtschaftliche Wert im Vergleich zum berechtigten, wirtschaftlichen Interesse ein „Mehr“ oder „Weniger“ ist, ist weder vom Richtlinien- noch vom Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt worden. Um diese Frage zu beantworten, ist insb. zu klären, ob Geheimnisse bereits einen realen Wert haben müssen oder schon ein potenzieller Wert ausreicht. In der Annahme, dass ein potenzieller Wert genügt, stellt sich die Folgefrage, ob es sich hierbei um ein positives Verwertungs- und Nutzungspotenzial handeln muss oder auch schon ein negatives Schädigungspotenzial genügt. Sollte Letzteres der Fall sein, muss zwischen Schädigungspotenzialen „legaler“ oder neutraler Art und solchen „illegaler“ Art unterschieden werden. Der Schutz „illegaler“ Geheimnisse wurde schon vor den Reformen für die frühere Rechtslage umfassend diskutiert und ist bis heute umstritten, jedoch fehlt für ein mögliches Rechtmäßigkeitserfordernis die eindeutige Entscheidung des Richtlinien- und Gesetzgebers. Die Frage nach der Rechtswidrigkeit als Hindernis lässt sich durch Auslegung der GeschGeh-RL und des GeschGehG beantworten.
Nach den Grenzen und dem Inhalt des wirtschaftlichen Wertes i. S. d. GeschGehG geklärt sind („was“ und „welche Geheimnisarten“) ist zu erklären, wie der wirtschaftliche Wert bemessen werden soll („wie“ und „wie hoch“). Hierzu werden in Teil 3 verschiedene Wertbegriffe und Bemessungsmethoden dargelegt und auf ihre Eignung hinsichtlich des GeschGehG überprüft. Obwohl einzeln angedeutet wird, einen marktzentrierten Ansatz als (einzig) richtige Methode zu erachten,48 schweigen die meisten bisher dazu, anhand welcher Wertbegriffe und Bemessungsmethoden der wirtschaftliche Wert von Geschäftsgeheimnissen abgebildet und nachgewiesen werden soll. Über einen marktzentrierten Ansatz hinaus könnten sich auch kapitalwertorientierte, investitionszentrierte, kostenorientierte und schadenszentrierte Ansätze für das GeschGehG eignen. In der Annahme eines weiten Potentialverständnisses49 ist es unplausibel, dass ein einziger Ansatz alle Formen des wertbegründenden Potenzials darstellen kann. Daher ist zu untersuchen, wie der wirtschaftliche Wert ökonomisch am besten bemessen werden kann.
Im Anschluss werden Anwendungsfälle der Wertbestimmung untersucht. Da die Bewertung von (immateriellen) Werten in kaum einem anderen Bereich praktisch und normativ so umfangreich ausgestaltet ist, richtet sich der Blick in Teil 4 auf die Bilanzierung in Form der externen Rechnungslegung. Hierfür muss zunächst untersucht werden, ob und inwieweit Geschäftsgeheimnisse aktivierungsfähig und dadurch der bilanziellen Wertzuweisung zugänglich sind. So müssen sie die Aktivierungsvoraussetzungen der Rechnungslegungssysteme erfüllen, wobei das für selbstgeschaffene Geschäftsgeheimnisse nur restriktiv möglich sein dürfte. Bspw. sind Kundenlisten und vergleichbare Werte gemäß § 248 Abs. 2 S. 2 HGB und IAS 38.63 von der Aktivierung ausgeschlossen. Doch auch für Geschäftsgeheimnisse, die aktiviert werden können, könnte eine bilanzielle Bewertung wegen § 255 Abs. 2a S. 4 HGB und IAS 38.53 f. nicht immer umfassend oder getreu dem GeschGehG möglich sein, wenn es sich um Geschäftsgeheimnisse der Forschungsphase handelt oder sich FuE nicht hinreichend verlässlich trennen lassen. Obwohl sich Aufwendungen für – auch auf Geschäftsgeheimnisse bezogene – FuE in Deutschland den jährlichen Betrag von 100 Mrd. Euro überschreiten,50 können nicht alle Kosten bei der bilanziellen Zuweisung zu einem immateriellen Wert berücksichtigt werden. Somit ist die Abgrenzung zwischen FuE für die bilanzielle Bewertung einiger Geschäftsgeheimnisse maßgeblich. Sodann ist zu untersuchen, anhand welcher Bewertungsmaßstäbe und wie hoch Geschäftsgeheimnisse einen konkreten bilanziellen Wert erhalten und inwieweit der bilanzielle Wert dem wirtschaftlichen Wert entspricht. Der effizienten Abbildung des wirtschaftlichen Wertes i. R. d. Bilanzierung könnte sowohl in der Zugangs- als auch in der Folgebewertung entgegenstehen, dass sich diese an den (fortgeführten) Anschaffungs- und Herstellungskosten orientieren. Ob und inwieweit dies der Abbildung und dem Nachweis des wirtschaftlichen Wertes entgegensteht,51 ist anhand der Bilanzierung der Höhe nach festzustellen.
Auch für geheimnisschutzrechtliche Ansprüche im Fall von Geheimnisverletzungen ist die Wertbemessung von Geschäftsgeheimnissen entscheidend, was sich am folgenden Beispiel zeigt:52 Das Bauunternehmen A konkurriert mit dem Bauunternehmen B um die Errichtung privater Wohnprojekte. Hierfür geben A und B versteckte Gebote auf Aufschreibungen ab, anhand derer die Bauherren entscheiden, welches Bauunternehmen sie als Bauträger beauftragen. G, der zuerst Geschäftsführer von A war, hat nach einer beruflichen Auszeit und dem Ausscheiden aus A eine Vorstandsposition bei B angenommen. Da A seitdem bei zahlreichen Ausschreibungen „leer ausgeht“, vermutet A, dass G geheime Geschäftspläne, Kostenkalkulationen und Kundenlisten an B übermittelt und er so einen Wettbewerbsvorteil von A unbefugt gemindert haben könnte. Um die durch die vermutete Geheimnisverletzung entstandenen Schäden – insb. die entgangenen Gewinne – zu kompensieren, muss A – spätestens in diesem Zeitpunkt – den wirtschaftlichen Wert seiner Geschäftsgeheimnisse bemessen. In Teil 5 soll also die Frage beantwortet werden, ob und inwieweit der wirtschaftliche Wert in Ersatzansprüchen abgebildet und im Fall einer Geheimnisverletzung kompensiert werden kann. Hierfür sieht das GeschGehG nun sogar Institute vor, die zuvor schon für Immaterialgüterrechte angewendet wurden. Ob diese zur vollständigen Kompensation des wirtschaftlichen Wertes ausreichen, ist anhand einer GeschGehG-spezifischen Auslegung der dreifachen Schadensberechnung und weiterer Ansprüche festzustellen.
Geheimnisschutzrechtliche Ersatzansprüche und weitere Rechtsbehelfe (z. B. Beseitigung, Unterlassung, Vernichtung, usw.) sind insb. in Gerichtsverfahren durchzusetzen. Da ein Vollbeweis mit Blick auf gut geschützte und nicht immer unmittelbar auf Zahlungsströme oder Schädigungen wirkende Geheimnisse nur selten „Früchte trägt“, unterliegt die Schätzung des wirtschaftlichen Wertes von Geschäftsgeheimnissen gemäß § 287 ZPO. Die damit einhergehenden verfahrensrechtlichen Besonderheiten stellen den abschließenden Gegenstand der Untersuchung in Teil 6 dar.
1 BGBl. I 2019, 466 ff.
2 Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, 2020, Einl. Rn. 1 m. w. N.; Keller, in: Keller/Schönknecht/Glinke, GeschGehG, 2021, § 1 Rn. 1, 3 m. w. N.; Ann, GRUR-Prax 2016, 465, 465; Falce, IIC 2015, 940, 941 m. w. N.; Hiéramente/Golzio, Die Reform des Geheimnisschutzes aus Sicht der Compliance-Abteilung – Ein Überblick, CCZ 2018, 262, 262; Hohendorf, in: Heinemann/Sattler, Immaterialgüter und Digitalisierung, 2017, 105, 105; Klein/Wegener, GRUR-Prax 2017, 394, 394; Nienaber, Bedeutung und Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Mittelstand, 2019, Rn. 1; Ollivier/Gorius/Simon/Chapuis, JLES 2019, 169, 169 ff.; Reinfeld, Das neue Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, 2019, § 1 Rn. 84; Sebulke, Zivilprozessualer Geheimnisschutz im Anschluss an das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, 2021, 27; Vögele/Vögele, in: Vögele, Intangibles, 2. Aufl., 2021, § 4 A. Rn. 19; zur Bedeutung in der US-amerikanischen Wirtschaft vgl. Almeling, BTLJ 2012, 1091, 1104 ff. m. w. N.; als allgemeinen Trend für sämtliche immateriellen Werten identifizierend Naumann, IRZ 2017, 2017, 189, 189; vgl. Huber, in: Ann/Loschelder/Grosch, Praxishandbuch Know-how-Schutz, 2010, Kap. 1 Rn. 235 ff.
3 Europäische Kommission, Study on Trade Secrets and Confidential Business Information in the Internal Market, 2013, 84 f.; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl. 2023, GeschGehG, Vorbemerkungen Rn. 38 ff.; Ann, GRUR 2014, 12, 13; Koch, in: Vögele, Intangibles, 2. Aufl. 2021, § 1 B. Rn. 235; Ollivier/Gorius/Simon/Chapuis, JLES 2019, 169, 173; Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 115; am Beispiel der Automobilindustrie Steinmann/Schubmehl, CCZ 2017, 194, 194 ff.; als allgemeinen Trend für sämtliche immateriellen Werte identifizierend Naumann, IRZ 2017, 189, 189.
4 Vögele/Vögele, in: Vögele, Intangibles, 2. Aufl. 2021, § 4 B. Rn. 31.
5 Götz, Der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Zivilverfahren, 2014, 1 ff.; Hornkohl, Geschäftsgeheimnisschutz im Kartellschadensprozess, 2021, 92.
6 Alexander, WRP 2017, 1034, 1034.
7 Alexander, WRP 2017, 1034, 1034.
8 Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum, Protecting Innovation Trough Trade Secrets And Patents: Determinants For European Union Firms, 2017, 28 ff.
9 BGH, Urt. v. 16.10.1962, KZR 11/61 = GRUR 1963, 207, 210; BGH, Urt. v. 25.01.1955, I ZR 15/53 = GRUR 1955, 388, 390; so auch Ann, GRUR 2007, 39, 39 f.; Götz, Der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Zivilverfahren, 2014, 1 m. w. N.; Kraßer, GRUR 1970, 587, 588; Rody, Der Begriff und die Rechtsnatur von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen unter Berücksichtigung der Geheimnisschutz-Richtlinie, 2019, 120; so sogar schon Stumpf, Der Know-how-Vertrag, 3. Aufl. 1977, Rn. 11.
10 Beispiele nach Hillenbrand, Der Begriff des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses, 2017, 1.
11 Daub, Die Verletzung von Unternehmensgeheimnissen im deutschen und US-amerikanischen Recht, 1996, 16.
12 Beispiel nach Prinz, Der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Informationsfreiheitsrecht, 2014, 68; Rody, Der Begriff und die Rechtsnatur von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen unter Berücksichtigung der Geheimnisschutz-Richtlinie, 2019, 17; allgemein zu Wettbewerbsvorteilen von „Rezepturen, die den Geschmack von Lebensmitteln bestimmen“ Moser, Bewertung immaterieller Vermögenswerte, 2. Aufl. 2017, 14.
13 Prinz, Der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Informationsfreiheitsrecht, 2014, 69; zu ähnlichen Auswirkungen in der Arzneimittelbranche Trips-Hebert, PharmR 2005, 155, 160; zu ähnlichen Auswirkungen in der Telekommunikationsbranche von Danwitz, DVBl. 2005, 597, 598.
14 Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl. 2023, GeschGehG, Vorbemerkungen Rn. 40; Hauck, in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 3. Aufl. 2022, GeschGehG, § 2 Rn. 24; Baranowski/Glaßl, BB 2016, 2563, 2563; Dreyfus/van Eechoud, in: Schovsbo/Minssen/Riis, The Harmonization and Protection of Trade Secrets in the EU, Cheltenhem, 2020, 171, 171 f.; Hillenbrand, Der Begriff des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses, 2017, 2 f.; Hohendorf, in: Heinemann/Sattler, Immaterialgüter und Digitalisierung, 2017, 105, 106; Müllmann, WRP 2018, 1177, 1179 f.; Nienaber, Bedeutung und Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Mittelstand, 2019, Rn. 1 f. m. w. N.; Schuth, Die Neuregelung zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse und ihre Auswirkungen für das Arbeitsrecht, 2021, 36 f.; zu Risiken und Bedrohungslagen im Detail Wurzer, in: Wurzer/Kaiser, Handbuch Internationaler Know-how-Schutz, 2. Aufl. 2011, 73 ff.; allgemein und branchenbezogen hierzu Huber, in: Ann/Loschelder/Grosch, Praxishandbuch Know-how-Schutz, 2010, Kap. 1 Rn. 253 ff.; zu weiteren Risikofeldern Huber, in: Ann/Loschelder/Grosch, Praxishandbuch Know-how-Schutz, Köln, 2010, Kap. 10 Rn. 1 ff.; vgl. auch Trallero Ocaña, The Notion of Secrecy, 2021, 279 ff.; allgemein für immaterielle Werte und im Unterschied zu materiellen Werten Dreier, Kompensation und Prävention, 2002, 62 ff., 608.
15 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, UWG, § 9 Rn. 220.
16 Keller, in: Keller/Schönknecht/Glinke, GeschGehG, 2020, Einl. A. Rn. 9 ff.; Ann, GRUR 2007, 39, 39 ff.; Rosenthal/Hamann, NJ 2019, 321, 321; Scholtyssek/Judis/Krause, CCZ 2020, 23, 24.
17 Europäische Kommission, Study on the Legal Protection of Trade Secrets in the context of the Data Economy (GRO/SME/20/F/206) Final Report, 2022, 22; Falce, IIC 2015, 940, 945 ff.
18 Baranowski/Glaßl, BB 2016, 2563, 2563.
19 Passarge, CB 2018, 144, 144.
20 Ann, GRUR 2007, 39, 39; McGuire, GRUR 2015, 424, 424; Ohly, GRUR 2019, 441, 441; Scholtyssek/Judis/Krause, CCZ 2020, 23, 24.
21 Hierzu im Detail Wagner, Know-how. Einordnung in das Zivilrecht, 2016, Rn. 115 ff.
22 Hohendorf, Know-how-Schutz und Geistiges Eigentum, 2020, 60 f.; Hohendorf, in: Heinemann/Sattler, Immaterialgüter und Digitalisierung, 2017, 105, 107 ff.; Schuth, Die Neuregelung zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse und ihre Auswirkungen für das Arbeitsrecht, 2021, 53 ff.; hierzu auch Wagner, Know-how. Einordnung in das Zivilrecht, 2016, Rn. 140 ff.
23 Enders, GRUR 2012, 25, 28; McGuire, GRUR 2016, 1000, 1000 f.; Ohly, GRUR 2019, 441, 441; Ohly, GRUR 2014, 1, 4 ff.
24 Hohendorf, Know-how-Schutz und Geistiges Eigentum, 2020, 61; McGuire, GRUR 2016, 1000, 1001.
25 Hauck, in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 3. Aufl. 2022, GeschGehG, vor § 1 Rn. 10 m. w. N.; im Detail Kalbfus, in: Obergfell, Beiträge zum Immaterialgüterrecht, 2021, 295, 302; 313 ff.; so auch Thiel, WRP 2019, 700, 703.
26 Stellvertretend für die ständige Rspr. BGH, Urt. v. 26.02.2009 – I ZR 28/06 = GRUR 2009, 603, 604; gleichlautend noch kurz vor Ablauf der Frist zur Umsetzung der GeschGeh-RL BGH, Urt. v. 22.03.2018, I ZR 118/16 = GRUR 2018, 1161, 1163.
27 So Hoeren, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, 2021, § 2 Rn. 2 f. m. w. N.; so auch Hohendorf, Know-how-Schutz und Geistiges Eigentum, 2020, 44 f.; genauso Wiese, Die EU-Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen, 2018, 40.
28 So nämlich McGuire, in: Ahrens/Büscher/Goldmann/McGuire, Praxis des Geistigen Eigentums, Festschrift für Hennig Harte-Bavendamm zum 70. Geburtstag, München, 2020, 367, 377.
29 Mit anderen Bezügen, aber so auch Kalbfus, in: Obergfell, Beiträge zum Immaterialgüterrecht, 2021, 295, 296.
30 Hierzu Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl. 2023, GeschGehG, Vorbemerkungen Rn. 26a m. w. N.
31 Hrdy, Fordham Law Review 2022, 557, 606 zufolge wohl auch im US-amerikanischen Recht noch lückenhaft.
Details
- Seiten
- 448
- Erscheinungsjahr
- 2024
- ISBN (PDF)
- 9783631920381
- ISBN (ePUB)
- 9783631920398
- ISBN (Paperback)
- 9783631920299
- DOI
- 10.3726/b21917
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2024 (August)
- Schlagworte
- Immaterialgut Immaterialgüterrecht Intellectual Property gewerblicher Rechtsschutz Bilanzierung Bilanzrecht Rechnungslegung Wertbemessung Bewertung Geschäftsgeheimnis Geheimnisschutz GeschGehG GeschGeh-RL wirtschaftlicher Wert
- Erschienen
- Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2024. 448 S.