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Schulromane der Gegenwart und ihre Darstellung von Macht

von Vera Jürgens (Autor:in)
©2025 Dissertation 388 Seiten
Reihe: Moderne und Gegenwart, Band 23

Zusammenfassung

Erzählende Schulliteratur ist untrennbar mit dem Phänomen der Macht verbunden – diese Lesart dominiert die Rezeption literarischer Schulgeschichten seit dem Beginn ihrer Etablierung als eigenes Genre. Das Buch setzt sich daran anknüpfend mit der Frage auseinander, wie Macht in ausgewählten Schulromanen des 21. Jahrhunderts lesbar wird. Es erweitert das Korpus um diesbezüglich von der Forschung nicht bearbeitete Texte und begreift diese als Auseinandersetzung mit einer Gattung und ihren Konventionen. Sein Ansatz ist, Machtphänomene und ihre Literarisierung nachzuweisen: Es wird zum einen ersichtlich, dass Macht nicht nur ein Strukturelement der Schulgeschichte, sondern auch ein gestaltendes Phänomen des Schulromans als Erzählung ist. Zum anderen brechen neuere Texte den eigentlich genretypischen Konnex von Macht und Schule auf und zeigen, dass sich das Erzählen über Schule in dieser Hinsicht zur Gegenwart hin fundamental wandelt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort und Danksagung
  • Abbildungsverzeichnis
  • Siglenverzeichnis
  • 1 Problemstellung und Prolegomena
  • 2 Literaturgeschichtlicher Abriss und Forschungsstand zur Schulliteratur
  • 2.1 Wurzeln, Kanon und prominente Themen
  • 2.2 Rezeptionslinien und Forschungsschwerpunkte
  • 2.3 Macht als wesentlicher Teil des Schuldiskurses
  • 3 Macht in Literatur und Schule. Grundannahmen und Positionsbestimmungen
  • 3.1 Beziehungen, Körper und Beobachtungsmechanismen. Foucaults Disziplinarmacht als Bezugsrahmen
  • 3.2 Zwischen Diskurs und Deutung. Macht und die Analyse von Literatur
  • 3.3 Schule, Bildung und Erziehung aus dem Blickwinkel der Macht
  • 4 Textkorpus, Anlage und Aufbau der Arbeit
  • 4.1 Begriffsdefinition des Schulromangenres
  • 4.2 Eingrenzung des Zeit- und Sprachraums
  • 4.3 Gattung und weitere Auswahlkriterien des Korpus
  • 4.4 Anmerkungen zu Vorgehen und Methodik
  • 5 Juli Zeh: Spieltrieb (2004)
  • 5.1 Recht, Philosophie und Schulliteratur. Forschungsabriss und einführende Überlegungen zum Roman
  • 5.2 Exkurs in die Schule der Gewalt (2001). Vorbemerkungen zur Analyse am Beispiel von Eine Prinzessin schlägt zurück
  • 5.3 Unter dem Radar schulischer Beobachtungsmechanismen. Das Ernst-Bloch-Gymnasium als paradoxer Überwachungsraum
  • 5.4 Figurenbeziehungen und ihr Einfluss auf den Raum. Zur Klasse
  • 5.5 Das höchste Stockwerk der Macht. Zum Internat
  • 5.6 Mehrere Machtverhältnisse in Einem. Die Disziplinarmacht und ihr Einwirken auf die Erzählung
  • 5.6.1 Macht im Spiel der Romanfiguren. Rollenverteilungen, Ziele und Zwangsmittel
  • 5.6.2 Störfaktoren und Unregelmäßigkeiten im Spiel. Disziplinarische Eingriffe in die Erzählung
  • 5.7 Zusammenfassung – Das Spiel der Macht
  • 6 Judith Schalansky: Der Hals der Giraffe (2011)
  • 6.1 Schulgeschichte und Bildungsroman in der Form eines Biologiebuchs. Die Forschungslage zu Schalanskys Werk
  • 6.2 Die Klasse als Panopticon
  • 6.2.1 Ordnung ist alles. Lohmarks Kunst der Verteilung
  • 6.2.2 Beobachtungsmechanismen und gegenseitige Kontrolle im panoptischen Arrangement
  • 6.3 Macht im Spiegel des Schüler-Lehrer-Verhältnisses. Zu den Jagdrevieren
  • 6.3.1 Lohmarks Disziplinartechniken, Befehle und Signale
  • 6.3.2 Machthaber, Räuber-Beute-Beziehung und Konkurrenz
  • 6.4 Lohmarks Existenzregeln. Selbstzucht und Grenzziehungen
  • 6.5 Der disziplinarische Blick und sein Wirken. Zur Macht auf der Ebene des discours
  • 6.6 Zusammenfassung – Der Überlebenskampf der Inge Lohmark und die Zurichtung ihrer Erzählung
  • 7 Katharina Tiwald: Die Wahrheit ist ein Heer (2012)
  • 7.1 Die gescheiterte Bildungsbiografie einer Jugendlichen. Vorbemerkungen zur Handlung und Motivik
  • 7.2 Beschattungen und Beobachtungsmechanismen einer anonymen Instanz
  • 7.3 Körper, Maschine und Schule
  • 7.4 Die Volksschule und das Gymnasium K. als Kasernen. Zu den Disziplinarinstitutionen
  • 7.5 Figuren- und Machtverhältnisse. Zur Modulation eines Themas
  • 7.5.1 Das Oberhaupt Gottfried Blech
  • 7.5.2 Figuren als Machthaber
  • 7.5.3 Fallhöhe und Fehleinschätzungen. Figuren als Rädchen im Getriebe
  • 7.6 Panoptismus und Selbstreflexion. Tiwalds Erzählstrategie
  • 7.7 Zusammenfassung – Das Mädchen G. im Spiel der g-Kräfte
  • 8 Zwischenfazit und Vergleich – Macht als Strukturelement der Schulerzählung
  • 9 Summarische Betrachtung weiterer Schulromane aus machtanalytischem Blickwinkel
  • 9.1 Herrschaft und Hierarchien. Willkommen im Lehrerzimmer (2003)
  • 9.1.1 Überwachungsmechanismen und Formen der Bestrafung
  • 9.1.2 Figurenbeziehungen zwischen Gewalt- und Machtverhältnissen
  • 9.1.3 Lehrerzimmer und Lehrerromane in der Gegenwartsliteratur
  • 9.2 Schule als Mikrokosmos. Die Gesellschaft und ihre Hausaufgaben (2004)
  • 9.3 Tatort Schule. Reberg (2017) als Schul- und Detektivroman
  • 9.3.1 Normierung und Gehorsam. Zur Schule als Disziplinarsystem
  • 9.3.2 Reberg unterm Rad. Das Erzählschema des Detektivromans als formgebendes Prinzip der Schulgeschichte
  • 9.4 Das Lied vom Tun und Lassen (2011). Wenn Schule und Macht nebensächlich werden
  • 9.5 Perspektiven und Grenzen. Das Klassenbuch (2017) als Requiem
  • 9.5.1 Nähe und Verständnis statt Überwachen und Strafen. Die Lehrerfigur Frau Höppner im digitalen Netz
  • 9.5.2 Zur digitalen Überwachung und zur Umwandlung des Raums
  • 9.5.3 Klassenbuch als Schul- und Adoleszenzroman. Ein Wiederaufleben genretypischer Konventionen?
  • 10 Übersicht und Resümee
  • 10.1 Synopse, Zusammenführung der Erkenntnisse und Thesen
  • 10.1.1 Der Schulroman als Auseinandersetzung mit Macht
  • 10.1.2 Macht als gestaltendes Element des Erzählens
  • 10.1.3 Bedeutungsveränderung von Macht und Schule im Schulroman
  • 10.2 Diskussion und Einordnung der Ergebnisse in die Geschichte der Schulliteratur
  • 10.2.1 Das Erbe des Schulromans. Oder: Genrekonventionen im Geflecht von Überwachen und Strafen
  • 10.2.2 Abkehr und Formwandel: Der Schulroman des 21. Jahrhunderts
  • Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

Vera Jürgens

Schulromane der Gegenwart und ihre Darstellung von Macht

Autorenangaben

Vera Jürgens studierte Germanistik und Sportwissenschaft an der Universität Osnabrück. Dort promovierte sie auch als Stipendiatin der Stiftung der Deutschen Wirtschaft und war als Lehrbeauftragte am Institut für Germanistik im Bereich der Literaturdidaktik tätig.

Über das Buch

Erzählende Schulliteratur ist untrennbar mit dem Phänomen der Macht verbunden – diese Lesart dominiert die Rezeption literarischer Schulgeschichten seit dem Beginn ihrer Etablierung als eigenes Genre. Das Buch setzt sich daran anknüpfend mit der Frage auseinander, wie Macht in ausgewählten Schulromanen des 21. Jahrhunderts lesbar wird. Es erweitert das Korpus um diesbezüglich von der Forschung nicht bearbeitete Texte und begreift diese als Auseinandersetzung mit einer Gattung und ihren Konventionen. Sein Ansatz ist, Machtphänomene und ihre Literarisierung nachzuweisen: Es wird zum einen ersichtlich, dass Macht nicht nur ein Strukturelement der Schulgeschichte, sondern auch ein gestaltendes Phänomen des Schulromans als Erzählung ist. Zum anderen brechen neuere Texte den eigentlich genretypischen Konnex von Macht und Schule auf und zeigen, dass sich das Erzählen über Schule in dieser Hinsicht zur Gegenwart hin fundamental wandelt.

Zitierfähigkeit des eBooks

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Vorwort und Danksagung

Palffy sieht Till in die Augen. Er sieht nett aus, und Till fragt sich, wieso sie ihn immer so schlecht behandelt haben. ‚Weißt du, im Nachhinein war’s schon cool, was uns der Dolinar beigebracht hat, auch wenn mir vorkommt, dass ich schon alles vergessen hab. Ich vermiss das Marianum sogar ein bissi, weißt du, einfach so in der Schule sitzen und etwas beigebracht bekommen, über, keine Ahnung, Eposse oder Minnelieder. Es war schon super, eigentlich.‘ ‚Spinnst du?‘, sagt Till. ‚Es war die Hölle, du Idiot!‘

(Tonio Schachinger (2023): Echtzeitalter. Hamburg: Rowohlt, S. 365)

So unterschiedlich die Romanfiguren ihre Schulzeit in Tonio Schachingers jüngst erschienener Schul- und Coming-of-Age-Geschichte auch bewerten mögen, wird eines doch ganz deutlich: Die Schule ist eine prägende Erfahrung im Leben Jugendlicher. Und während das abschätzige, beinahe zum Schmunzeln einladende Urteil des Protagonisten Till bereits zentrale Themen der vorliegenden Studie andeutet, möchte ich mir in einem übertragenen Sinne an dem Rückblick der anderen Schülerfigur ein Beispiel nehmen, um die Anfertigung dieser Promotionsschrift Revue passieren zu lassen. So war rückblickend auch die Arbeit an dieser Untersuchung schön, zur Zeit der Corona-Pandemie zwar nicht immer leicht, aber schon super und im Nachhinein eine wunderbare Erfahrung, für die ich mich nachstehend herzlich bedanken möchte.

Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Christian Dawidowski, der mich in den vergangenen Jahren neben der fachlichen Betreuung vor allem mit großem Engagement unterstützt hat. Die wegweisenden Gespräche auf intellektueller und persönlicher Ebene werden mir als bereichernder Austausch in Erinnerung bleiben. Ich möchte mich bei ihm für alles bedanken, was er mir ermöglicht hat.

Für die wertvollen Anregungen möchte ich mich außerdem bei Olav Krämer, dem Zweitgutachter meiner Dissertation, bedanken. Er hat die Entstehung dieser Arbeit mit entscheidenden Impulsen gefördert.

Zu danken habe ich darüber hinaus den weiteren der Promotionskommission Christopher Meid, Sven Thiersch und Christian Schneider.

Bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Kolloquien von Christian Dawidowski möchte ich mich außerdem für die Ratschläge und konstruktiven Anregungen bedanken. Es war mir eine große Freude, an den Veranstaltungen in Osnabrück und Nartum teilnehmen zu können.

Zu großem Dank bin ich auch der Stiftung der Deutschen Wirtschaft verpflichtet, die mir ein dreijähriges Promotionsstipendium gewährt hat. Mein Dank gebührt dabei vor allem Natalia Neri für das in mich gesetzte Vertrauen.

Für vielfältige Hinweise und anregende Gespräche bin ich meinen Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl der Literaturdidaktik in Osnabrück dankbar. In diesem Zusammenhang möchte ich mich außerordentlich bei Lisa Czolbe bedanken, die mir auch als Freundin in Krisenzeiten aufbauend zur Seite stand.

So richtet sich mein herzlicher Dank vor allem an meine Freunde und Familie, die mein Vorhaben mit viel Zuspruch und Humor unterstützt haben. Anna und Heinz-Josef Haslöwer und meinen Eltern Kerstin und Ansgar Jürgens danke ich dabei besonders für den seit jeher gebotenen Rückhalt, ihre Ermutigung und Geduld.

Schließlich, gleichwohl am bedeutendsten, ist meinem Mann, Patrick Jürgens, in unermesslicher Weise zu danken. Ohne seine Hilfe, seine bedingungslose Unterstützung, Hingabe und Fürsorge hätte ich diese Arbeit nicht schreiben können; seine Liebe hat mir stets den Rücken gestärkt und mich in jeglicher Hinsicht getragen. Ich danke ihm von Herzen – für alles.

Vera Jürgens

Osnabrück und Bad Iburg, im Juli 2024

Siglenverzeichnis

Die in der vorliegenden Untersuchung verwendeten Siglen werden nachfolgend in der Reihenfolge der Autorennamen aufgeschlüsselt.

1 Problemstellung und Prolegomena

„Ich haßte die Schule, ich haßte ihren Zwang, ich haßte das ganze System, und ich wollte ihm zu Leibe rücken“1, schreibt der Autor Friedrich Torberg in einem 1973 publizierten Essay in Bezug auf den Entstehungskontext seines Romans Der Schüler Gerber (1930).2 Seine Äußerung und die sich in ihr widerspiegelnde Schulfeindlichkeit stehen dabei stellvertretend für einen Grundton, der sich auch in anderen Texten um die Wende zum 20. Jahrhundert artikuliert und schon bald die Grundlage eines eigenständigen, literarischen Genres bilden sollte: die Schulliteratur. Zu dieser Zeit machte also eine ganze literarische Stoffgruppe in der Öffentlichkeit und in wissenschaftlichen Kreisen von sich reden, zumal ihr Auftreten ebenso überraschend wie erschütternd war: Neben der Vielzahl einschlägiger Texte erstaunte auch der von ihnen ausgehende Tenor, dass die Schule ein lebensfeindlicher Ort sei und das ihr anvertraute Kind zugrunde richte. Aber nicht nur der literarisch dargestellten Schule wurde in den Jahren um 1900 „der Prozess gemacht“.3 Indem sie als eine Metapher von sozialen Gefügen auch die Strukturen eines Makrokosmos verdeutlicht, stand mit ihr ebenso die Gesellschaft in der Kritik. Ihre Verhältnisse waren es, die über die Schule hinaus angeklagt wurden – und diese sich in den literarischen Texten manifestierende Schulkritik stellt zugleich den Ausgangspunkt für den vorliegenden Forschungskontext dar, da sie sich in der Rezeption des Genres unlängst zu einer fundamentalen Gesellschafts- und Machtkritik ausgeweitet hat.

Die Rezeptionsgeschichte der Schulliteratur ist demnach wesentlich von dem Phänomen der Macht bestimmt, indem z. B. der gesellschaftspolitische Hintergrund des Wilhelminischen Kaiserreichs oder die „Schule unter neuen Machtverhältnissen“4 zur Zeit des Nationalsozialismus die argumentative Grundlage für die bildungs- und gesellschaftskritische Lesart der literarischen Schulgeschichten bildet. Dabei ist in methodologischer Hinsicht aber von besonderer Bedeutung, dass die Macht selbst nie als eigenständiges Motiv oder Thema betrachtet wurde. Stets war sie Teil des soziopolitischen Hintergrundes und wurde wie selbstverständlich zum Zwecke der Interpretation herangezogen. Erst mit einem schmalen Band des Literaturwissenschaftlers Matthias Luserke aus dem Jahr 1999 begann wohl die eingehende Beschäftigung mit der Schulliteratur aus einer machtanalytischen Perspektive – davon zeugen einzelne Forschungsbeiträge, die in den Folgejahren veröffentlicht wurden.5 Luserkes Arbeit, die sich ausgewählten Schulerzählungen des 19. und 20. Jahrhunderts widmet, markiert in diesem Sinne den Auftakt für eine Analyse der Schulliteratur aus dem Blickwinkel der Macht, und obwohl Luserke diese Texte immer noch als „kleine Gesellschaftsanalysen“6 begreift, rückt das Machtphänomen erstmals als ein sich in Ordnungen und Verhaltensweisen widerspiegelnder Mechanismus in den Mittelpunkt der literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung.

Gleichwohl existiert bis heute keine literaturwissenschaftliche Arbeit, die sich mit der Schulliteratur des 21. Jahrhunderts, also mit den literarischen Werken des Genres ab den 2000er Jahren, beschäftigt und sie hinsichtlich ihrer Darstellung von Macht sondiert. Diesem Desiderat begegnet die vorliegende Untersuchung, indem sie die Bedeutung von Macht in ausgewählten Schulromanen der Gegenwartsliteratur7 erforscht und sie in diesem Kontext – gleichwohl nur im Ansatz – mit ihren Vorgängertexten vergleicht. Dieser Anspruch erklärt zudem den für sie gewählten Titel, da sie sich bei der Analyse der zeitgenössischen Schulromane auf ein Thema konzentriert und die Werke außerdem als ein eigenes Genre betrachtet, das einer literarischen Tradition angehört. Im Rekurs auf ihre methodologische Anlage knüpft die vorliegende Untersuchung so nicht nur an die einschlägige Arbeit von Luserke an und weitet das zu analysierende Korpus auf aktuelle Romane der Gegenwartsliteratur aus, sondern führt das Analyseinstrumentarium auch auf eine theoretische Grundlage zurück, die im Zusammenhang mit der Schulliteratur so noch nicht – jedenfalls nicht umfassend – geleistet wurde.8 Es ist demnach das auf den französischen Philosophen Michel Foucault zurückgehende Konzept der Disziplinarmacht, das dieser Analyse als Bezugsrahmen dient, um der Darstellung von Macht in literarischen Schulgeschichten der Gegenwart nachzugehen.

Obwohl sich die vorliegende Untersuchung mit der Wahl des Korpus teilweise in die jüngsten zur Schulliteratur veröffentlichten Forschungsbeiträge einreiht, unterscheidet sie sich doch grundlegend von ihnen. In dieser Weise liegt – wie der Forschungsbericht im folgenden Kapitel ausführlich zeigt – mit Anna Stiepels Dissertation aus dem Jahr 2016 eine Arbeit für den Bereich der Internatsliteratur vor, die hier dezidiert ausgeklammert wird. Ähnlich konzentriert sich die im Folgejahr erschienene Dissertation von Kathrin Emeis mit dem Lehrer9 als Figur der Krise auf einen Themenschwerpunkt, der für den vorliegenden Forschungskontext nur am Rande relevant ist. Dies bildet sich – abgesehen von Judith Schalanskys Der Hals der Giraffe – zugleich in den hier weniger berücksichtigten Lehrerromanen der Gegenwartsliteratur ab. Das Korpus von Larissa Widmann ist demgegenüber weiter gefasst; in ihrer 2021 veröffentlichten Studie trägt sie über 100 erzählende Schultexte10 aus circa 150 Jahren Literaturgeschichte zusammen, um aus der Übersicht ein epochenübergreifendes Bild zu abstrahieren. Kampfschauplatz Schule zeigt aus einer erziehungswissenschaftlichen Perspektive, dass die Schule in der Literatur von Kämpfen und Konflikten geprägt ist. Ein Forschungsstand im engeren Sinne existiert zum Kernthema der vorliegenden Untersuchung also nicht, weil die Schulromane der Gegenwartsliteratur bislang weder als eigenes Genre betrachtet noch systematisch aus dem Blickwinkel der Macht erforscht worden sind. Auch die jüngst publizierte Arbeit von Widmann kommt diesem Vorhaben nicht nach, denn obwohl sie 15 Erzähltexte untersucht, die bis einschließlich 2015 veröffentlicht worden sind, wird die Analyse der Einzeltexte zugunsten des genreübergreifenden Bildes verkürzt.

Details

Seiten
388
Erscheinungsjahr
2025
ISBN (PDF)
9783631922859
ISBN (ePUB)
9783631922866
ISBN (Hardcover)
9783631922842
DOI
10.3726/b22062
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (Dezember)
Schlagworte
Stoff- und Motivgeschichte allgemeine und vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft Literatur und Macht einzelne Stoffe und Motive deutsche Literatur Foucault Adoleszenz Macht Schule Schulliteratur Schulroman Gegenwartsliteratur
Erschienen
Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2025., 388 S., 3 s/w Abb.
Produktsicherheit
Peter Lang Group AG

Biographische Angaben

Vera Jürgens (Autor:in)

Vera Jürgens studierte Germanistik und Sportwissenschaft an der Universität Osnabrück. Dort promovierte sie auch als Stipendiatin der Stiftung der Deutschen Wirtschaft und war als Lehrbeauftragte am Institut für Germanistik im Bereich der Literaturdidaktik tätig.

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Titel: Schulromane der Gegenwart und ihre Darstellung von Macht