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Mehrsprachigkeits-sensitive Kompetenzen angehender Englischlehrkräfte fördern

Zur Rolle videobasierter Lernumgebungen und individueller Sprach(lern)biographien

von Heike Niesen (Autor:in)
©2025 Monographie 314 Seiten

Zusammenfassung

Angesichts der Anforderungen, die der lernzielorientierte Einbezug schülerseitiger Mehrsprachigkeit an Lehrkräfte stellt, lotet der Band das Potenzial videobasierter Professionalisierungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der Sprachlernbiographien angehender Englischlehrkräfte aus. Erforscht werden universitäre Formate zur Förderung mehrsprachigkeits-sensitiver professioneller Wahrnehmungs- und Handlungskompetenz. Eingebettet in aktuelle Befunde der Mehrsprachigkeitsforschung und -didaktik werden die Erkenntnisse in interdisziplinär gestützte Forschungsdesiderate überführt.
Heike Niesen legt eine hochspannende, kumulativ angelegte Studie zur Frage der Integration von mehrsprachigkeitsdidaktischen Elementen in die Ausbildung von angehenden Englischlehrkräften […] vor.
(Britta Hufeisen, TU Darmstadt)
Was die sinnvolle Verknüpfung fachspezifischer Fragen mit ursprünglich in bildungswissenschaftlichen Kontexten genutzten Erhebungsinstrumenten betrifft, leistet die Studie einen bedenkenswerten Diskussionsbeitrag.
(Britta Viebrock, GU Frankfurt am Main)
Die Arbeit bietet einen umfassenden Einblick in die Konzeption wissenschaftlich fundierter Seminare […]. Sie leistet einen beachtlichen Beitrag zum Fachdiskurs.
(Sandra Bellet, PH Vorarlberg)

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Kastenverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • 1. Kontextualisierung und Zielsetzung der Arbeit
  • 1.1 Aktuelle Herausforderungen der (Aus-)bildung von Fremdsprachenlehrkräften
  • 1.1.1 Modelle und Hypothesen des multiplen Sprachenerwerbs
  • 1.1.2 Bildungspolitische Perspektiven
  • 1.1.3 Empirische Erkenntnisse
  • 1.2 Professionalisierungsmaßnahmen von Lehrkräften zum Umgang mit sprachlicher Vielfalt im Fremdsprachenunterricht
  • 2. Der Einbezug lehrkraftseitiger sprachlicher Vielfalt zur Förderung professioneller Kompetenzen
  • 2.1 Bildungspolitische Perspektiven
  • 2.2 Empirische Erkenntnisse
  • 3.Ü bergeordneter Entstehungskontext der Kerntexte – das Projekt ‚Level‘
  • 3.1 Professionelle Wahrnehmungskompetenz und Einsatz von Unterrichtsvideos im Projekt ‚Level‘
  • 3.2 Professionelle Wahrnehmungskompetenz aus fremdsprachendidaktischer Perspektive
  • 3.3 Professionelle Wahrnehmungskompetenz und Einsatz von Unterrichtsvideos in den untersuchten ‚Level‘-Seminaren
  • 3.4 Professions- und Professionalisierungsverständnis
  • 3.5 Tabellarische Übersichten und spezifische Entstehungskontexte der Kerntexte
  • 3.6 Begrifflichkeiten und Konzepte
  • 4. Inhaltliche Genese der Kerntexte
  • 5. Diskussion und Ausblick
  • 5.1 Ein Blick zurück ….
  • 5.2 … und drei nach vorne
  • Literaturverzeichnis
  • Anhang

1. Kontextualisierung und Zielsetzung der Arbeit

1.1Aktuelle Herausforderungen der (Aus-)bildung von Fremdsprachenlehrkräften

„Die Lehrerbildung in Deutschland leidet“ (Kurtz 2018: 88). Diese, im Kontext fremdsprachendidaktischer Lehrkräftebildung getroffene Feststellung wird von zahlreichen Akteuren der Lehrkräfte(aus)bildung geteilt. So konstatiert beispielsweise Nünning (2018): „Kaum ein Bereich im deutschen Bildungssystem ist in den letzten Jahren so sehr zum Objekt von Debatten, Reformen und oftmals parteipolitisch motivierten Querelen gewesen wie die Lehrerbildung“ (ebd.: 193). In ähnlicher Weise stellt Doff (2019) heraus, dass die Lehrerbildung „unter konstantem Reformdruck [stehe]“ und sich der „Eindruck einer Dauerbaustelle […] nicht nur dem Feld, sondern auch dessen Akteuren eingeschrieben [habe]“ (ebd.: 7). Ganze Bände titeln mit bezeichnenden Termini und rücken die Lehrkräftebildung in „Spannungsfelder“ (Bosse et al. 2012, Doff 2019) oder bezeichnen sie gar als „Brennpunkt“ (Legutke & Schart 2016).

Angesichts dieser vielfachen und eindrücklichen Herausstellung der aktuell schwierigen Situation der Lehrkräfteausbildung in Deutschland stellt sich die Frage, aus welchem Grund selbige, um bei Kurtz’ Worten zu bleiben, „leidet“. Mit welchen Herausforderungen sieht sich die Lehrkräftebildung zurzeit konfrontiert? Mit welchen Maßnahmen werden diese Herausforderungen angegangen und mit welchen Ergebnissen? Zwar erscheint der Gedankenschluss banal, aber zur Beantwortung dieser Fragen und – weiterführend – der Frage nach „blinden Flecken“ der Lehrkräftebildung und der Möglichkeit ihrer Adressierung, muss zunächst einmal in den Blick genommen werden, wer im Rahmen der Lehrkräfte(aus)bildung zu was (aus-)gebildet2 werden soll. Es macht wenig Sinn, sich in immer weitergehenden und umfassenderen Reformen zur Qualitätsentwicklung der Lehrkräftebildung zu ergehen, wenn nicht Überlegungen hinsichtlich dessen angestellt werden, was Lehrkräfte brauchen, um professionell agieren zu können. Diese logische Reihenfolge des was vor dem wie scheint nicht selbstverständlich zu sein (Biesta 2019).

Es kann mittlerweile als unbestritten gelten, dass sich (Fremd-)Sprachenlehrkräfte mit der berufspraktischen Anforderung des Umgangs mit sprachlicher Vielfalt3 im Unterricht konfrontiert sehen. Diese Anforderung ergibt sich in erster Linie daraus, dass – auch bedingt durch Migrationsprozesse – die sprachliche Vielfalt in den Lerngruppen des deutschen Bildungssystems zugenommen hat (Bredthauer 2018, Krifka et al. 2014). Dieser Befund wird gestützt durch Statistiken, die auf repräsentativen Befragungen beruhen. So geht aus den Endergebnissen des Mikrozensus 2021 (Statistisches Bundesamt 2022) zunächst hervor, dass ca. 50% der insgesamt knapp 28% der Haushalte, in denen Personen mit Migrationshintergrund4 leben, Deutsch oder vorwiegend Deutsch gesprochen wird. Für etwa die Hälfte der befragten Haushalte wird angegeben, dass vorwiegend eine andere bzw. andere Sprachen als das Deutsche verwendet werden. Hier werden in erster Linie Türkisch, Polnisch, Russisch, Arabisch sowie Rumänisch genannt, gefolgt von bspw. Englisch, Italienisch und Französisch (ebd.: 503ff.).

Die im Jahr 2018 vom Leibnitz Institut für Deutsche Sprache sowie dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung durchgeführte „Deutschland-Erhebung“ (Adler 2019) weist zwar eine deutlich kleinere Stichprobe (N=4.339, ebd.: 213) auf als der Mikrozensus, im Zuge dessen 1% der Gesamtbevölkerung befragt werden, geht jedoch insofern über selbigen hinaus, als nicht nur Haushalte, sondern Einzelpersonen befragt wurden. Jenseits der Nennung einer einzelnen Sprache als vorwiegend im Haushalt verwendete (wie im Mikrozensus) haben die Befragten die Möglichkeit, freie Antworten hinsichtlich ihrer Erstsprache(n) zu geben.5 Diese Vorgehensweise verfolgt das Ziel, „Mehrsprachigkeitskonstellationen abzubilden“ (ebd.: 205).6 Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass gut 14% der Befragten eine andere Erstsprache als Deutsch angaben, darunter vor allem Russisch, Türkisch, und Polnisch. Große Heterogenität ließ sich innerhalb der einem Haushalt zugehörigen Personen feststellen, und zwar mit Blick auf die Frage, welche weiteren Sprachen im jeweiligen Haushalt gesprochen werden. Mehr als 20% der Befragten gab an, neben dem Deutschen noch mindestens eine weitere Sprache im Haushalt zu verwenden (ebd.: 215f.).

Eine vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Auftrag gegebene Befragung aus dem Jahr 2019, die auf Basis des sozio-ökonomischen Panels durchgeführt wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass in 38% der Haushalte, in denen Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund unter sechzehn Jahren leben, vor allem Deutsch gesprochen wird. In knapp 40% wird vornehmlich die Sprache des jeweiligen Herkunftslandes oder eine andere Sprache gesprochen, wohingegen in knapp 23% dieser Haushalte „mehrere Sprachen gleichermaßen“ gesprochen werden (Geis-Thöne 2022: 115).

Für einzelne Bundesländer lassen sich Daten zusammentragen, die Auskunft über den Prozentsatz von Schülerinnen und Schülern mit nicht- deutscher Erstsprache im System der allgemeinbildenden Schulen geben. In Berlin etwa lag im Schuljahr 2021/2022 der prozentuale Anteil von Lernenden mit nicht-deutscher Herkunftssprache bei insgesamt 41% (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2022: 8). Für Hamburg liegen die „Anteile der Schülerinnen und Schüler mit […] nicht-deutscher Familiensprache“ im Schuljahr 2022/2023 bei knapp 33%.7

Problematisch ist an dieser Stelle, dass eine bundeseinheitliche Erfassung von Lernenden nicht-deutscher Erstsprache nach wie vor nicht existiert, ganz zu schweigen von verlässlichen Angaben hinsichtlich individueller, mehrsprachiger Sprachenverwendungsgefüge in entsprechenden Haushalten. Einzelne Angaben müssen mühsam zusammengetragen werden, zudem sind sie nur wenig vergleichbar: In zahlreichen Ländern wird lediglich der Migrationshintergrund von Lernenden erfasst – es ist hinlänglich bekannt, dass aufgrund dieses Merkmals nur wenige Rückschlüsse bzgl. der alltäglichen, mehrsprachigen Praktiken von Lernenden gezogen werden können.8

Ungeachtet der mangelnden Transparenz der statistischen Erhebungs- und Darstellungsmodi der Länder kann festgehalten werden: Ein nicht unerheblicher Teil der Schülerschaft im deutschen Bildungssystem der allgemeinbildenden Schulen weist – oft neben dem Deutschen – eine Vielzahl anderer Sprachen als Erstsprachen auf.

Was bedeutet dies nun für den Fremdsprachenunterricht in der Schule, genauer: für den fremdsprachlichen Englischunterricht? So befremdlich es anmutet, kann diese Frage auf den ersten Blick beantwortet werden mit: Offenbar nicht viel. So ergaben zahlreiche, im deutschen Kontext angesiedelte Untersuchungen, dass sich Fremdsprachenlehrkräfte zwar grundsätzlich gegenüber verschiedenen Erstsprachen von Lernenden aufgeschlossen zeigen, und zwar auf der Primar- wie Sekundarstufe, eine Berücksichtigung oder gar ein strukturierter Einbezug dieser Sprachen in den Unterricht jedoch selten bis gar nicht erfolgt, insbesondere dann, wenn es sich bei den sprachlichen Ressourcen der Schüler und Schülerinnen um migrationsbedingte (Mehr-)Sprachigkeit handelt (Bonnet & Siemund 2018, Busse et al. 2020, Cutrim Schmid & Schmidt 2017, Göbel & Vieluf 2017, Hopp et al. 2019, Jakisch 2015, Wilken 2021). Vielmehr muss konstatiert werden, dass eine Ausrichtung fremdsprachlicher Lehr-/Lernprozesse auf monolingual-deutsch aufgewachsene Lernende im Sinne eines ‚monolingualen Habitus‘ (Gogolin 2008, 2013) nach wie vor die Norm zu sein scheint: Der Unterricht wird nach Möglichkeit ausschließlich in der Fremdsprache durchgeführt, lediglich auf die Schulsprache Deutsch wird in Ausnahmesituationen zurückgegriffen, bspw. zu organisatorischen Zwecken oder zur Klärung grammatikalischer Phänomene. Handelt es sich bei den Erstsprachen der Lernenden um solche, die nicht dem fremdsprachlichen (gymnasialen) Schulkanon entsprechen, so werden selbige meist ignoriert. Bereits vor zehn Jahren machte Krumm (2013) für den österreichischen Kontext auf diese Gegebenheit aufmerksam und stellte pointiert die Existenz einer „Zwei- Klassen-Mehrsprachigkeit“ heraus, die auf einer Unterscheidung zwischen „Elite-“ und „Armutsmehrsprachigkeit“ beruhe (ebd.: n.p.).

Ohne an dieser Stelle auf die Gründe für die weitgehende Exklusion der Erstsprachen von Lernenden im fremdsprachlichen (Englisch-)Unterricht einzugehen (Abschnitt 1.1.3), soll hier nun die Frage nach der Bedeutung sprachlicher Vielfalt für den schulischen Fremdsprachenunterricht in abgewandelter Form beantwortet werden, nämlich: Was sollte die sprachliche Vielfalt der Lernenden für den fremdsprachlichen Englischunterricht in der Schule bedeuten? Ganz grundsätzlich kann diese Frage wie folgt beantwortet werden: Lehrkräfte sollten die verschiedenen Erstsprachen bzw. vorgelernten Sprachen der Lernenden in den Unterricht einbinden und für fremdsprachliche Lehr-/Lernprozesse anschlussfähig machen. Was dies genau bedeutet und welche Gründe für eine solche Position sprechen, wird in den folgenden Abschnitten in den Blick genommen, damit mit Legutke und Schart (2016) eingestimmt werden kann, wenn sie sagen: „Die Black Box Lehrerbildung beginnt sich zu öffnen“ (ebd.: 39).

1.1.1Modelle und Hypothesen des multiplen Sprachenerwerbs

Die Frage nach der Bedeutung, die schülerseitige Mehrsprachigkeit9 für den fremdsprachlichen Englischunterricht haben sollte, kann nur unter Einbezug von Perspektiven, die sich des multiplen Sprachenerwerbs annehmen, fundiert beantwortet werden. Die folgenden Ausführungen legen diese Perspektiven dar, und zwar auch vor dem Hintergrund empirischer Befunde, die diese Perspektiven stützen und einschließlich der jeweils mit den entsprechenden Arbeiten einhergehenden didaktischen Implikationen. Der Abschnitt schließt mit einer zusammenfassenden Erläuterung, auch bzgl. des Eingangs, den die jeweiligen Modelle und Hypothesen in die untersuchten universitären Seminare gefunden haben, die ihrerseits den vorgelegten Kerntexten zugrunde liegen (Kasten 1).

Die Forschung um zweisprachige10 Bildungsprogramme in den USA, Kanada und Europa der letzten fünfundvierzig Jahre wurde maßgeblich vorangetrieben und im Spiegel neuester Forschungsergebnisse erläutert von Cummins (2021). Den Hintergrund dieser Forschung bildeten zum einen, bspw. in den USA der 1970er und 1980er Jahre, vorhandene gesellschaftliche Machtstrukturen, mit denen strukturelle Benachteiligungen neu Zugewanderter im Bildungssystem einhergingen (ebd.: 7f.). Neben diesen gesellschaftlichen Faktoren, die in ein “underachievement” (ebd.: 7) neu Zugewanderter im Bereich der Bildungslandschaft hineinspielten, sind Entscheidungen bzgl. der Erfassung von Kompetenzen in der offiziellen (Bildungs-)Sprache Englisch kaum zu trennen: Sprachtests, die durchgeführt wurden, um zu entscheiden, wie lange Kinder und Jugendliche in zweisprachigen Bildungsprogrammen verbleiben müssten, bevor ein Wechsel in den regulären – soll heißen: einsprachigen – Unterricht angeraten ist, seien nicht nur an monolingual-Englisch aufgewachsenen Lernenden ausgerichtet sondern auch eindimensional, insofern, als sie ein simplifiziertes Verständnis von Sprachkompetenz aufwiesen (Wong Fillmore 2021: xxii). Anders ausgedrückt: Die durchgeführten Sprachtests berücksichtigten weder die Tatsache, dass sich neu Zugewanderte noch im Prozess des Erlernens der englischen Sprache befanden, noch, dass sich, so Cummins (1979, 1980, 1981), Sprachkompetenz aus zwei Komponenten speist, nämlich “cognitive/academic language proficiency (CALP)”11 sowie “basic interpersonal communicative skills (BICS)” (Cummins 2021: 8). Während sich nun BICS, auch genannt “conversational fluency” bei neu zugewanderten Englischlernenden relativ schnell entwickelt, ist dies im Falle von CALP nicht der Fall, insbesondere auch deshalb, da dieser Kompetenzbereich nicht nur linguistisches, sondern auch konzeptuelles und akademisches Wissen erfordert (ebd.: 8). Das Verständnis von Sprachkompetenz, das sich in BICS und CALP manifestiert, wurde vielfach durch empirische Untersuchungen gestützt, ebenso wie die Annahme, dass CALP in der Zweitsprache (hier: Englisch) nicht unabhängig von CALP in der Erstsprache operiert (ebd.: 9). Auf dieser Basis fußt die linguistic interdependence hypothesis:12

The hypothesis proposed a relationship between the development of L1 and L2 proficiency in literacy-related aspects of language, such that students with a strong foundation in L1 were in a much better position to develop grade-appropriate language and literacy proficiency in L2 in comparison to those who had much less opportunity to develop a strong literacy-related foundation in L1 (Cummins 2021: 24).

Dass CALP in der Zweitsprache nicht ohne CALP in der Erstsprache gedacht werden kann und soll, basiert auf der Annahme einer Common Underlying Proficiency (CUP) zwischen Sprachen. Diese Kompetenz, die deklaratives wie prozedurales Sprachwissen umfasst, operiert unterhalb der klar zu unterscheidenden Oberflächenmerkmale verschiedener Sprachen wie bspw. Aussprache, eine Perspektive, die zur bekannten dual-iceberg Darstellung nach Cummins geführt hat (Cummins 1980, 2021: 28f.).

Als Gegenposition zur CUP-Annahme wird jene eines “Separate Underlying Proficiency (SUP)” ins Feld geführt, für die sich, nach Cummins (2021), zwar keinerlei empirische Belege finden ließen und lassen, die jedoch gleichwohl vielfach und weltweit zweit- und fremdsprachliche Lehr-/Lernprozesse bestimmt, dergestalt, dass ein Höchstmaß an ausschließlicher Verwendung der Zielsprache unter Exklusion von Erstsprachen angestrebt wird (im Original: “maximum exposure” or “time-on-task assumption”, ebd.: 27f.).13 Diesem Ansatz liegt, so Cummins, der Kurzschluss zugrunde, dass nur ein Mehr an Zweitsprache auch zu einem Mehr an Kompetenz in der Zweitsprache führt, und dadurch nicht nur eine Förderung erstsprachlicher Kompetenzen, sondern auch potenzieller Sprachentransfer aus dem Blick gerät. Zweitsprachlicher Unterricht jedoch, in dem erstsprachliche Kompetenzen einbezogen werden, fördere den Transfer von Ausgangs- zu Zielsprache und umgekehrt, sodass sich beide Sprachen gegenseitig stärken können, ein Prozess, der von Cummins (2021) bezeichnet wird als “two-way-language-transfer across languages” (ebd.: 30). Paradoxerweise kann also – zumindest im Zusammenhang mit neu Zugewanderten – festgehalten werden: “[L]‌ess instruction through English will result in more achievement in English” (ebd.: 27; Hervorh. im Original).

Wie entscheidend die Förderung der Erstsprache beim Lernen einer Zweitsprache für die Entwicklung von Bilingualismus und kognitiver Fähigkeiten ist, wurde bereits früh in den Arbeiten Cummins’ verdeutlicht (Cummins 1976). Diese Arbeiten kulminierten in der Annahme der Existenz zweier Kompetenz-Schwellenniveaus, die Lernende in beiden Sprachen aufweisen müssen, um kognitiv beim Zweitsprachenlernen profitieren zu können:

[T]‌here may be a threshold level of proficiency that bilingual students must attain both to avoid cognitive/academic difficulties and allow the potentially beneficial aspects of becoming bilingual to enhance cognitive/academic functioning. […]. I raised the possibility that there might be not one but two thresholds; attainment of the lower threshold would be sufficient to avoid any negative cognitive/academic effects, but attainment of a second, higher, level of proficiency in both languages might be required to experience cognitive, linguistic, or academic advantages (Cummins 2021: 14f.).

Details

Seiten
314
Erscheinungsjahr
2025
ISBN (PDF)
9783631925997
ISBN (ePUB)
9783631926000
ISBN (Hardcover)
9783631925980
DOI
10.3726/b22299
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (Dezember)
Schlagworte
Sprachlernbiographie Mehrsprachigkeit Mehrsprachigkeitsforschung Mehrsprachigkeitsdidaktik Handlungskompetenzen Wahrnehmungskompetenzen
Erschienen
Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2025. 314 S., 2 farb. Abb., 4 Tab.
Produktsicherheit
Peter Lang Group AG

Biographische Angaben

Heike Niesen (Autor:in)

Heike Niesen ist Professorin für die Didaktik des Englischen an der Universität Leipzig. Sie war als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Goethe Universität Frankfurt/Main und als Studienrätin im Hochschuldienst an der Universität Paderborn tätig. Ihre Forschungsinteressen umfassen die Professionalisierung von Englischlehrkräften und Lehrkräftebildnern.

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