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Biographisches Erzählen nach Bourdieu

Der biographische Habitus von Ewald Christian von Kleist (1715-1759)

by Annika Hübner (Author)
©2025 Monographs X, 312 Pages

Summary

Die Kleist-Briefe eröffnen mittels Pierre Bourdieus Begriffsinstrumenten soziale Momentaufnahmen von Kleists widersprüchlich erscheinenden Lebenswelten, in welchen der Akteur als deutscher Dichter sowie als preußischer Offizier soziale Positionen besetzt. Kleists Briefe zeichnen zunächst das Bild eines tief zerrissenen inneren Zustands. Er fühlt sich sozial isoliert, pathologisiert und missverstanden – seine Melancholie erscheint nicht nur als persönliche Krise, sondern als Folge gesellschaftlicher Härte und medizinischer Fehldeutung. Trotz der düsteren Grundstimmung durchziehen diese Briefe auch Momente leiser Hoffnung: Freundschaft bietet Trost, das Schreiben ermöglicht Selbstvergewisserung. Doch zwischen Todessehnsucht, Rückzugsphantasien und dem Wunsch nach einem Neuanfang bleibt eine existenzielle Spannung bestehen. Kleist schwankt zwischen Resignation und einem tastenden Versuch, der Welt doch noch einen Sinn abzuringen.

Table Of Contents

  • Abdeckung
  • Titelseite
  • Copyright-Seite
  • Danksagung
  • Inhalt
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Thematische Einführung
  • 1.2 Forschungsinteresse
  • 1.3 Erkenntnistheorie
  • 1.4 Anmerkung zur methodischen Vorgehensweise
  • 2 Theorien und Methoden Pierre Bourdieus
  • 2.1 Die feinen Unterschiede als Werkzeugkasten
  • 2.2 Die Begriffsinstrumente Bourdieus
  • 2.3 Emotionskonstruktionen
  • 2.4 Biographisches Erzählen
  • 3 Die Quellenperspektive
  • 3.1 Kleists Emotionskonstruktionen
  • 3.2 Eine Selbstreflexion
  • 3.3 Zur Kleist-Forschung
  • 4 Begriffseinführung biographischer Habitus
  • 4.1 Definition
  • 4.2 Anwendung
  • 5 Kleists biographischer Habitus
  • 5.1 Kleists soziale Felder und Positionen
  • 5.1.1 Transkription Lebenslauf
  • 5.1.2 Kleist als ‚Adliger‘
  • 5.1.3 Kleist als ‚Militärangehöriger‘
  • 5.1.4 Kleist als ‚Dichter‘
  • 5.1.5 Zusammenfassung
  • 5.2 Kleists Krise: Ein unvollendeter Hungersuizid
  • 5.2.1 Transkriptionen
  • 5.2.2 Kleists Logik der Praxis: Suizid?
  • 5.2.2.1 „Mangel der Gesellschaft und aller Ergötzlichkeit“
  • 5.2.2.2 „Er hat sich wollen zu Tode hungern“
  • 5.2.2.3 „weil ich etwas von der Medicin weiß“
  • 5.2.2.4 Zwischenfazit
  • 5.2.3 Kleists Randpositionen im Akteursgefüge
  • 5.2.3.1 Kleist und Gleim
  • 5.2.3.2 Kleist und Krause
  • 5.2.3.3 Kleist und die Feldscher
  • 5.2.3.4 Kleist und die Offiziere
  • 5.2.3.5 Kleist und General Stille
  • 5.2.3.6 Kleist und die Familie Kleist
  • 5.2.3.7 Zwischenfazit
  • 5.2.4 Kleists Selbstverständnis „Melancholia immaterialis“
  • 5.2.5 Das Setting des unvollendeten Hungersuizids
  • 5.2.6 Kleists ‚Doppelposition‘: Dichter/Offizier
  • 5.3 Widersprüchlichkeiten des Brief-Kleists
  • 5.3.1 Zwischenmenschliche Beziehungen
  • 5.3.1.1 „Kuss von Sauce“
  • 5.3.1.2 „ich mag noch gerne mit Mädchens spielen“
  • 5.3.2 Speisen, Sprache, Wissen
  • 5.3.2.1 „schicken Sie mir doch immer Krammetsvögel!“
  • 5.3.2.2 „so redet kein männlich Herz“
  • 5.3.2.3 „ich ärgere mich über meine Pferde=natur“
  • 5.3.3 Kriegsimaginationen
  • 5.3.3.1 „daß ich weinen muß und gleich schlagen möchte“
  • 5.3.3.2 „ich bin den Soldaten erschrecklich müde“
  • 6 Fazit: Kleists biographischer Habitus als Distinktionsmerkmal
  • 7 Reflexion: Biographisches Erzählen nach Bourdieu
  • Quellen- und Literaturverzeichnis
  • Quellen
  • Literatur und Onlineressourcen

Annika Hübner

Biographisches Erzählen nach Bourdieu

Der biographische Habitus von Ewald Christian von Kleist (1715-1759)

Berlin · Bruxelles · Chennai · Lausanne · New York · Oxford

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-631-93077-9 (Print)

ISBN 978-3-631-93078-6 (E-PDF)

ISBN 978-3-631-93079-3 (E-PUB)

DOI 10.3726/b22564

Verlegt durch Peter Lang GmbH, Berlin (Deutschland)

Danksagung

Ich habe zuerst all jenen zu danken, ohne die diese Arbeit nicht in dieser Form hätte entstehen können. Ich danke von Herzen meinem Doktorvater und Betreuer meiner Arbeit Ralf Pröve, der mich als externe Doktorandin an der Universität Potsdam angenommen hat. Besonders danke ich ihm für sein Vertrauen und seine Anerkennung, die er während des gesamten Betreuungszeitraums und darüber hinaus in mich setzte sowie für seine stets konstruktive Kritik. Dasselbe gilt für Sebastian Ernst, dem ich ebenfalls von Herzen für seine freundschaftliche Unterstützung seit meinem ersten Tag in Potsdam danke.

Ebenfalls möchte ich mich bei allen Mitwirkenden des Kolloquiums Geschichte machen von Prof. Dr. Ralf Pröve an der Universität Potsdam 2019/20 für die anregenden Kommentare zu meinem Dissertationsprojekt bedanken.

Ich bedanke mich bei meinen Eltern und Geschwistern sowie der ganzen Familie Rümmele für all die Geduld mit mir sowie die vielfältige bedingungslose Unterstützung, ohne die diese Arbeit nicht hätte entstehen können. Meiner Mutter Ulrike Hübner und Ulrich Fuchs gebühren dafür außerordentlichen Dank. Besonders danke ich auch Dr. Annette und Stefan Rümmele für das Zimmer für mich allein sowie Leander Rümmele für seine Verlässlichkeit und sein Vertrauen in mich. Für die Unterstützung, besonders finanzieller Art, bedanke ich mich bei meinem Vater Hans-Joachim Hübner und Elke Folter.

Eine spezielle Dankbarkeit möchte ich gegenüber Dr. Sabine Wloch und Anne Walz zum Ausdruck bringen für all die erkenntnisreichen (und heilsamen) Gespräche zum Thema Emotionen. Jesse und Flo danke ich für ihre Freundschaft in dieser Zeit, wie auch Raksha für die vielen inspirierenden Spaziergänge am Rhein. Ebenfalls bedanke ich mich bei Martin Johannes Gropp für die aufgeschlossenen und bereichernden Wissenschaftsgespräche und für seine Freundschaft.

Folgende Arbeit ist die gekürzte, überarbeitete Version meiner 2023 an der Universität Potsdam angenommenen Dissertation, die von Prof. Dr. Ralf Pröve sowie Prof. Dr. Marian Füssel und Prof. Dr. Stefan Haas begutachtet wurde. Für deren Mühe und anregende Kritik bedanke ich mich hiermit ein weiteres Mal.

Inhalt

Danksagung

1 Einleitung

1.1 Thematische Einführung

1.2 Forschungsinteresse

1.3 Erkenntnistheorie

1.4 Anmerkung zur methodischen Vorgehensweise

2 Theorien und Methoden Pierre Bourdieus

2.1 Die feinen Unterschiede als Werkzeugkasten

2.2 Die Begriffsinstrumente Bourdieus

2.3 Emotionskonstruktionen

2.4 Biographisches Erzählen

3 Die Quellenperspektive

3.1 Kleists Emotionskonstruktionen

3.2 Eine Selbstreflexion

3.3 Zur Kleist-Forschung

4 Begriffseinführung biographischer Habitus

4.1 Definition

4.2 Anwendung

5 Kleists biographischer Habitus

5.1 Kleists soziale Felder und Positionen

5.1.1 Transkription Lebenslauf

5.1.2 Kleist als ‚Adliger‘

5.1.3 Kleist als ‚Militärangehöriger‘

5.1.4 Kleist als ‚Dichter‘

5.1.5 Zusammenfassung

5.2 Kleists Krise: Ein unvollendeter Hungersuizid

5.2.1 Transkriptionen

5.2.2 Kleists Logik der Praxis: Suizid?

5.2.2.1 „Mangel der Gesellschaft und aller Ergötzlichkeit“

5.2.2.2 „Er hat sich wollen zu Tode hungern“

5.2.2.3 „weil ich etwas von der Medicin weiß“

5.2.2.4 Zwischenfazit

5.2.3 Kleists Randpositionen im Akteursgefüge

5.2.3.1 Kleist und Gleim

5.2.3.2 Kleist und Krause

5.2.3.3 Kleist und die Feldscher

5.2.3.4 Kleist und die Offiziere

5.2.3.5 Kleist und General Stille

5.2.3.6 Kleist und die Familie Kleist

5.2.3.7 Zwischenfazit

5.2.4 Kleists Selbstverständnis „Melancholia immaterialis“

5.2.5 Das Setting des unvollendeten Hungersuizids

5.2.6 Kleists ‚Doppelposition‘: Dichter/Offizier

5.3 Widersprüchlichkeiten des Brief-Kleists

5.3.1 Zwischenmenschliche Beziehungen

5.3.1.1 „Kuss von Sauce“

5.3.1.2 „ich mag noch gerne mit Mädchens spielen“

5.3.2 Speisen, Sprache, Wissen

5.3.2.1 „schicken Sie mir doch immer Krammetsvögel!“

5.3.2.2 „so redet kein männlich Herz“

5.3.2.3 „ich ärgere mich über meine Pferde=natur“

5.3.3 Kriegsimaginationen

5.3.3.1 „daß ich weinen muß und gleich schlagen möchte“

5.3.3.2 „ich bin den Soldaten erschrecklich müde“

6 Fazit: Kleists biographischer Habitus als Distinktionsmerkmal

7 Reflexion: Biographisches Erzählen nach Bourdieu

Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellen

Literatur und Onlineressourcen

KAPITEL 1 Einleitung

1.1 Thematische Einführung

Ich stelle in vorliegender Monographie eine Theorie und Methode zu biographischem Erzählen anhand einer exemplarischen Quellenauswahl vor.

Zuerst möchte ich auf das Verwenden der ersten Person Singular hinweisen. Bereits in dieser Vorgehensweise stecken theoretisch-methodisch relevante Denkmodelle: So markiert das Verwenden des Ich-Pronomens eine mir mehr oder weniger bewusste Entscheidung innerhalb des Forschungsprozesses. Denn laut aktueller neurowissenschaftlicher Studien ist das Denkmodell einer an sich vorhandenen Willensfreiheit des Menschen nicht ohne Weiteres tragbar.1 Dies führt zu meiner Frage, wie ich als Wissenschaftlerin/Akteurin damit umgehen soll. Weil es bisher so aussieht, als ob meine jeweilige Umgangsweise mit diesen Denkmodellen auch wiederum die Problemstellung entsprechend anders definiert.2

Ich gehe zunächst davon aus, dass, als einer der ersten Schritte des wissenschaftlichen Arbeitens überhaupt, Entscheidungen über die jeweiligen angewandten erkenntnistheoretischen Grundlagen getroffen werden. Dabei tragen sowohl persönliche, individuelle Überzeugungen als auch allgemein anerkannte wissenschaftliche Grundsätze, die mehr oder weniger bewusst übernommen werden, jeweils ihre Anteile zu einer Entscheidungsfindung bei.3

Historikerinnen treffen beim wissenschaftlichen Arbeiten also ständig Entscheidungen, die (nicht) auf einem freien Willen basieren. Dabei stellt das Thema Ich eine vielversprechende Chance dar, sich mit sich selbst in der Position als geschichtswissenschaftlichem Faktor auseinanderzusetzen, da es selbst ein entsprechendes Produkt darstellt.

Es ist dabei nicht mein Ziel, die untrennbaren Vorgänge, die sich innerhalb meiner Person zwischen Historikerin und Akteurin abspielen, voneinander zu separieren. Vielmehr geht es mir darum, diese Untrennbarkeit als konstruierender Faktor anzuerkennen, ihr Rechnung zu tragen und in dem Wort Ich auszudrücken. Das Ich-Pronomen markiert also eine sichtbar gemachte Entscheidung, die bewusste sowie unbewusste Anteile der Akteurin/Historikerin enthält, dieses oder jenes Denkmodell zu verwenden.4

Pierre Bourdieu (1930–2002) erläutert in Die feinen Unterschiede5 Konzepte bzw. Begriffsinstrumente, die dazu befähigen, im Gebaren von Akteurinnen6 eine Logik7 zu erkennen, die als soziale Urteilskraft8 zum Ausdruck komme und in sogenannten ausdifferenzierten Gesellschaften auf entsprechende Weise verschleiert sei.9

In vorliegender Monographie wende ich eine Auswahl der Begriffsinstrumente Bourdieus auf Briefe eines Akteurs an, der in der Mitte des 18. Jahrhunderts in (noch) nicht ausdifferenzierten Gesellschaftsstrukturen lebte, und die Unterschiede zwischen ihm und seinen Zeitgenossen auf den ersten Blick gar kein feines, vielmehr durch die Struktur der Stände vermeintlich grobes Erscheinungsbild zu vermitteln scheinen.10 Ich stelle mir dabei jedoch vor, dass Selbstzeugnisse11 aus jener Kultur des 18. Jahrhunderts ebenso gewisse Verschleierungen und ausdifferenzierte Positionen bzw. Individualisierungen12 aufweisen können, wie ich und meine Zeitgenossinnen, nur eben nach anderen sozialen Gesetzen. Daher erscheint der Habitusbegriff Bourdieus zum Auswerten entsprechender Selbstzeugnisse aus dem 18. Jahrhundert vielversprechend zu sein.13 Dieser soll dazu befähigen, sich biographischen14 Erzählkonstruktionen anzunähern sowie reflektiert mit Begriffsinstrumenten Pierre Bourdieus bezüglich biographischem Erzählen zu arbeiten.15

Meine Quellenauswahl besteht hauptsächlich aus emotionalen16 Aussagen Ewald Christian von Kleists, mit welchen er in seinen Briefen17 seinen Lebensentwurf zu verschiedenen Zeitpunkten, die ich als eine Krise18 wahrnehme, kommentierte. Es scheint aus diesem Blickwinkel so, als ob Kleist seine Emotionskonstruktionen19 aus den Perspektiven eines Mannes von ‚Adel‘20, eines deutschen Dichters21 sowie eines preußischen Offiziers22 und schließlich Kriegsteilnehmers23 äußerte und dabei immer wieder die Fortführung seines eigenen Lebens in Frage stellte.

Details

Pages
X, 312
Publication Year
2025
ISBN (PDF)
9783631930786
ISBN (ePUB)
9783631930793
ISBN (Softcover)
9783631930779
DOI
10.3726/b22564
Language
German
Publication date
2025 (November)
Keywords
soziale Randposition Suizidalität selbstverletzendes Verhalten Selbstdarstellungen in den Medien Ehre Freundschaft Kriegserfahrungen Briefe aus der Frühen Neuzeit Schreibpraktiken Briefkulturen Garnison Potsdam Lebenserzählungen Emotionen Identitätskrise Identität biographisches Erzählen biographischer Habitus soziale Urteilskraft Pierre Bourdieu Johann Wilhelm Ludwig Gleim Ewald Christian von Kleist
Published
Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2025. x, 312 S.
Product Safety
Peter Lang Group AG

Biographical notes

Annika Hübner (Author)

ANNIKA HÜBNER studierte Geschichte und Germanistik (B.A.) sowie Geschichte mit dem Schwerpunkt “Quellen und Deutungen” (M.A.) an der Universität Stuttgart. Anschließend wurde sie an der Universität Potsdam im Fachbereich Sozialgeschichte bei Professor Dr. Pröve promoviert. Derzeit ist sie als Lehrbeauftragte an der HTW Berlin tätig.

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Title: Biographisches Erzählen nach Bourdieu