Lebenslanges Lernen und Weiterbildungsberatung
Politisch-wissenschaftliche Diskurse und Perspektiven in der Bevölkerung
Summary
Hierzu werden empirische Ergebnisse aus dem durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojekt (2021-2024) vorgestellt. Übergreifend wird der Frage nachgegangen, welche Relevanzen der Weiterbildungsberatung zukommen und welche Diskrepanzen zwischen Politik, Wissenschaft und Bevölkerung gegebenenfalls bestehen. Die empirischen Einsichten liefern wertvolle Impulse für die Weiterentwicklung der Beratungslandschaft und regen zum kritischen Diskurs jenseits von Slogans, Mantras und Mythen an.
Excerpt
Table Of Contents
- Deckblatt
- Halbtitelseite
- Titelblatt
- Copyright-Seite
- Inhaltsverzeichnis
- Einleitung und Rahmung
- I. Diskurse in Politik und Wissenschaft
- Weiterbildungsberatung in bildungspolitischen Dokumenten zum Lebenslangen Lernen
- Relevanz von Telefonberatung in der Weiterbildung per Literatur- und Dokumentenanalyse
- II. Empirische Explorationen zu Perspektiven der Bevölkerung
- Anlässe und Prozessierung im Kontext telefonischer Weiterbildungsberatung
- Zur Gestaltung der Weiterbildungsberatung: Erfahrungen und Erwartungen aus Bevölkerungsperspektive
- Durchführung einer Online-Erhebung im Rahmen der Studie „Weiterbildungsberatung und Lebensbegleitendes Lernen“
- III. Fazit
- Abschließender Vergleich der Projekte, Fazit und Empfehlungen
Bernd Käpplinger
Einleitung und Rahmung
Weiterbildungsberatung wird seit einigen Jahren vielfach eine große Bedeutung bei der Steigerung der Weiterbildungsbeteiligung zugesprochen (u. a. Gieseke & Opelt, 2004; Käpplinger, 2020; Weiß, 2008). Ein damit oft verbundener, normativer Leitgedanke ist hier, wie Weiterbildungsberatung Individuen dabei unterstützen kann, wie sie autonome Weiterbildungsentscheidungen gut informiert treffen können. Weiterbildungsberatung sollte und darf kein dominant politisches Steuerungsinstrument von Fördermittelgebern sein, um bestimmte Weiterbildungsentscheidungen regulativ explizit oder implizit anzubahnen (vgl. Käpplinger, 2016), die zum Beispiel aufgrund aktueller Arbeitsmarkt- und Wirtschaftslage politisch opportun erscheinen. In unseren empirischen Studien in diesem Band wurde an mehreren Stellen von Befragten in der Vergangenheit genutzte Beratungen kritisiert, die sie wohl eine bestimmte Richtung lenken wollten und sich zu wenig auf die zu beratenden Personen eingelassen haben. Es verwundert nicht, dass Tagungen zu Beratungsethik eine große Resonanz finden (dvb, 2018). Auch in digitalen Beratungsräumen stellen sich viele (neue) ethische Fragen wie man Beratungen (nicht) durchführen sollte.
Neben Face-to-Face Beratungen, Mail- und Videoberatungen wird Weiterbildungsberatung auch in Form von Telefonberatung angeboten. Im Sinne einer Exploration dieses Formats stand die Praxis eines spezifischen Telefonberatungsangebots zunächst im Fokus der nachfolgend dargelegten Analysen im Rahmen unseres Projektes, was dankenswerter Weise vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zwischen 2021 und 2024 in mehreren Projektphasen gefördert wurde. Besonderen und herzlichen Dank möchten wir hier Heidemarie Stuhler vom BMBF aussprechen, die sich über Jahre und Projektphasen hinweg für die hier im Folgenden vorgestellten Studien und Analysen vehement eingesetzt hat. An ihr hat es sicherlich nicht gelegen, dass sich das BMBF leider gegen eine weitere Förderung des Info-Telefons ausgesprochen hat, was wir und andere Fachleute sehr bedauern (siehe auch Käpplinger et al., 2023). Wir hoffen, dass Telefonberatung aber auch in ein paar Jahren eine (neue) Zukunft haben wird und dabei dann ggf. die reichhaltigen Forschungsbefunde, die wir im Folgenden präsentieren werden, eine Anregung und Hilfestellung bieten können, damit man quasi „das Rad nicht neu erfinden“ muss. Über die Telefonberatung hinaus, meinen wir in diesem Band auch viel mehr und weitere Erkenntnisse auch zu anderen Beratungsformen und -anbietern vor allem aus Perspektive der Bevölkerung gewonnen zu haben, die manche Diskurse in Politik und Wissenschaft mindestens neu zur Diskussion stellen.
Von Januar 2015 bis November 2022 förderte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das sogenannte „Infotelefon Weiterbildungsberatung“. Zum Zeitpunkt des Projektbeginns gab es relativ wenige empirischen Forschungsaktivitäten zur theoretischen und praktischen Grundlegung und weiteren Ausarbeitung von Telefonberatung insbesondere im Feld von Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung in Deutschland. Vorliegende mikroanalytische und empirische Untersuchungen von Bildungsberatungsprozessen in diesem Feld bezogen sich fast ausschließlich auf Face-to-Face-Beratungen. Hier wurden z. B. die Funktion der Wissensvermittlung (Enoch, 2011), die von Fragetechniken (Müller, 2005) oder die Beratungspraktiken in einzelnen Phasen der Gespräche (Pörtner, 2006; Gieseke & Stimm, 2016) rekonstruiert. Weitere Studien fokussierten Besonderheiten spezifischer Formate (z. B. Kurswahlberatungen (Stanik, 2014), Existenzgründungsberatungen (Maier-Gutheil, 2009), Gutscheinberatungen (Käpplinger & Stanik, 2014) oder betrachteten die Einflüsse der institutionellen Anbieter auf die Beratungsinteraktionen (Stanik, 2015). Analysen von Mail-Beratungsprozessen als medial vermittelte Beratungen zeigten zudem, dass hier die Beratungsanliegen der Ratsuchenden häufig nicht in ihrer Komplexität bearbeitet werden und die Ratsuchenden zu Face-to-Face-Beratungen veranlasst werden sollen (Stanik & Maier-Gutheil, 2018). Sicherlich wäre hier noch einiges mehr zu nennen an empirischen Studien zu Weiterbildungsberatung. Die Forschung hat sich hier durchaus erfreulich ausdifferenziert (vgl. auch Käpplinger 2019). Speziell zur Telefonberatung oder hybriden Formen entstanden so auch in den letzten Jahren einige Publikationen der Forschung (Lerch & Weitzel, 2024; Mocigemba & Unterreiner, 2024; Pätzold & Dohmen, 2024; Schmidt-Lauff & Rathmann, 2024). Dies war teilweise durch die Corona-Krise befördert, weil telefonische oder digitale Beratungsformen hier oft allein praktikabel waren in manchen Phasen der Pandemie bzw. durch den politischen Umgang mit der Pandemie (vgl. Wenzel & Jaschke, 2020).
Caroline Dietz und Martin Reuter eröffnen diesen Sammelband nach der Einleitung mit dem Beitrag „Weiterbildungsberatung in bildungspolitischen Dokumenten zum Lebenslangen Lernen“. Dabei gehen Sie auf Basis der Analyse von Dokumenten unterschiedlicher bildungspolitischer Akteure auf nationaler und internationaler Ebene der Frage nach, welche Bedeutung der Weiterbildungsberatung bildungspolitisch zukommt und welche Beratungsverständnisse sichtbar werden.
Nina Lichte und Bernd Käpplinger gehen anschließend in ihrem Beitrag der „Relevanz von Telefonberatung in der Weiterbildung per Literatur- und Dokumentenanalyse“ nach. Dieser Beitrag entstand in der ersten Projektphase, als wir uns vertieft mit der Telefonberatung national und international gestützt auf Literatur befasst haben. Er liefert wichtige Grundlagen und gibt einen guten Überblick, was weitere oder vertiefende Forschungsarbeiten zu Telefonberatung unterstützen und anregen kann. Forschungslücken werden aufgezeigt.
Tim Stanik und Anika Denninger befassen sich dann qualitativ empirisch auf der Basis von Beobachtungen und Dokumentenanalysen mit „Anlässe und Prozessierung im Kontext telefonischer Weiterbildungsberatung“. Hier bestand die Möglichkeit und Chance im für das Info-Telefon zuständigen Callcenter in Rostock vor Ort Beratungsgespräche zu beobachten und mit den Beratenden Interviews zu führen. Konkrete Fälle von Anrufenden konnten so besprochen werden. Den Beratenden vor Ort in Rostock möchten wir nachdrücklich danken für ihre professionelle Offenheit und Bereitschaft sich im wörtlichen Sinne „über die Schulter schauen zu lassen“. Dabei fiel u. a. auf, dass die Telefonberatung nicht immer allein telefonisch stattfand, sondern Tools für ein Co-Browsing genutzt wurden, sodass sowohl Telefon als auch Internet in Beratungen hybrid verbindend genutzt wurden in Beratungssitzungen. Die Beobachtungen und Gespräche vor Ort waren sehr wichtig, um die Telefonberatungen gut zu verstehen.
„Zur Gestaltung der Weiterbildungsberatung: Erfahrungen und Erwartungen aus Bevölkerungsperspektive“ äußern sich dann Caroline Dietz, Martin Reuter, Claudia Pohlmann und Nina Lichte. Dieser Beitrag entstand in der zweiten Projekthälfte als leider schon klar geworden war, dass das Info-Telefon des Bundesministeriums für Bildung und Forschung nicht fortgeführt werden würde. Unser ursprüngliches Forschungsinteresse mehr darüber zu erfahren, wie man fokussiert Telefonberatung im Verhältnis zu anderen Beratungsformen (Präsenz und digital) gewichten kann aus Bevölkerungsperspektive wurde nun weniger prominent. Wir konnten hier unser Forschungsinteresse rechtzeitig vor der qualitativen und quantitativen Feldphase neu justieren und uns nun mehr damit befassen, wie Weiterbildungsberatung insgesamt von der Bevölkerung und verschiedenen Gruppen in der Bevölkerung wahrgenommen wird. War unser Projekt zunächst stark anwendungsorientiert ausgelegt, konnten wir nun stärker forschungs- bzw. grundlagenorientiert forschen. So kam im quantitativen Forschungsteil auch ein Vignettendesign zum Einsatz, um allgemeinen Präferenzen der Bevölkerung zu Weiterbildungsberatung zu eruieren: „Durchführung einer Online-Erhebung im Rahmen der Studie „Weiterbildungsberatung und Lebensbegleitendes Lernen““ von Frank Arndt, Frauke Bilger, Eva Koubek und Bernd Käpplinger. Vignettenstudien wurden bislang eher selten in der Weiterbildungsforschung durchgeführt. Sie bieten anspruchsvolle Auswertungsmöglichkeiten, aber bringen auch methodische Herausforderungen mit sich, da u. a. in der praktischen Umsetzung das sogenannte Vignettenuniversum begrenzt ist, wenngleich man sich eigentlich noch viel mehr Parameter vorstellen und wünschen könnte, die man den Befragten dann zur Beurteilung und Bewertung vorlegt. Im qualitativen Forschungsteil von Dietz, Reuter, Pohlmann und Lichte wurden dagegen bundesweit Gruppendiskussionen zu Weiterbildungsberatung durchgeführt und ausgewertet. Den Vermittelnden in verschiedenen Organisationen möchten wir nachdrücklich danken für ihre Unterstützung, um Teilnehmende an den Gruppendiskussionen zu finden und Räumlichkeiten in verschiedenen Organisationen zur Durchführung der Diskussionen nutzen zu können. Gruppendiskussionen oder Fokusgruppen gibt es in der Weiterbildungsforschung durchaus oft, aber nur relativ selten bislang zu Weiterbildungsberatung. Generell haben wir den Eindruck gewonnen, dass wir viele valide und vertiefte Einblicke in die Bevölkerungsperspektive gewinnen konnten und dies auch Überraschungen vorhält, da die Bevölkerungsperspektive nicht immer identisch mit den Perspektiven von Politik, Wissenschaft und Beratungspraxis sind. Dies kann vielleicht Anregungen bieten, beliebte Diskussionspunkte neu anzugehen bzw. anders zu sehen.
Der abschließende Vergleich der Projekte, Fazit und Empfehlungen erfolgt schließlich durch Bernd Käpplinger, Caroline Dietz und Martin Reuter. Hier führen wir die Ergebnisse aller Projektphasen und -teile kontrastierend und komprimiert zusammen. Den Lesenden mit wenig Zeit sei besonders dieses Kapitel zur Lektüre und für einen Gesamtüberblick empfohlen. Oftmals unterstützen sich qualitative und quantitative Methoden dabei wechselseitig, aber es kommt auch zu differenten Ergebnissen, die u. a. weiteren Forschungsbedarf begründen. Es ist als Wissenschaftlerin und Wissenschaftler durchaus eine Herausforderung, Empfehlungen für Politik und Praxis auszusprechen. Gerade unser Projekt und seine zunächst enge Einbindung in die existierende Förderpraxis des Info-Telefons zeigt nahezun exemplarisch auf, wie different Politik und Wissenschaft agieren können. Politische Entscheidungen werden oft unabhängig von Wissenschaft und wissenschaftlichen Erkenntnissen getroffen. Die Einstellung des Info-Telefons war eindeutig eine rein politisch-finazielle Entscheidung, die sich nicht auf wissenschaftliche Erkenntnisse oder Empfehlungen stützte. Macht dies das Geben von Empfehlungen durch die Wissenschaft überflüssig? Wir denken nicht, da politische Entscheidungen auch revidiert werden können und man auch kaum darüber weiß, wie Empfehlungen durch die Wissenschaft über verschlungene und langwierige Wirkungen in Politik und Praxis vielleicht doch wirkungsvoll werden. Wir würden uns jedenfalls freuen, wenn zum Beispiel in ein paar Jahren Telefonberatung als eine auszubauende Beratungssäule wiederentdeckt würde und unsere Publikation hier dann eine Renaissance erfahren würde. Außerdem ist dieses Buch wie bereits mehrfach erwähnt auch deutlich breiter angelegt, da es sich bei weitem nicht allein mit Telefonberatung befasst, sondern sich in weiten Teilen mit Weiterbildungsberatung insgesamt befasst. Wir haben uns deswegen auch bewusst dagegen entschieden, die Erkenntnisse dieses Projekts in verschiedene, parzellierten Aufsätzen zu veröffentlichen, sondern wollen bewusst alle Ergebnisse hier gebündelt zusammenführen und in einem Zusammenhang stellen. Dies mag nicht modisch sein, weil heutzutage leider oft (zu sehr) der Fokus auf referierte Aufsätze liegt, aber wir sehen die große Gefahr, dass allein durch referierte Aufsätze Zusammenhangswissen zu wenig gefördert wird.
Literatur
dvb – Deutscher Verband für Berufs- und Bildungsberatung (2018). Beratungsethik und Vielfalt der Berufsfelder. Fachmagazin dvb-forum. 10.3278/DVB1802W
Enoch, C. (2011). Dimensionen der Wissensvermittlung in Beratungsprozessen. Gesprächsanalysen der beruflichen Beratung. Springer VS.
Gieseke, W., & Stimm, M. (2016). Praktiken der professionellen Bildungsberatung. Innensichten auf die Entscheidungsfindung im Beratungsprozess. Springer.
Gieseke, W., & Opelt, K. (2004). Weiterbildungsberatung II. Studienbrief EB 2001, 2. überarb. Aufl. TU Kaiserslautern, Zentrum für Fernstudien und Universitäre Weiterbildung.
Käpplinger, B., Reuter, M., Dietz, C., Schmidt-Lauff, S., Rathmann, M., Pätzold, H., Dohmen, J., Lerch, S., Weitzel, H., & Ellwart, K. (2023). Positionspapier: Anforderungen an eine zeitgemäße und professionelle Bildungsberatung. Hessische Blätter für Volksbildung, 73(3), 91-93. URL: https://hessische-blaetter.de/articles/225/files/650d6624174eb.pdf
Käpplinger, B. (2020). Weiterbildungsberatung: Mantra oder manifester Bedarf? Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 49(1), 17–21.
Käpplinger, B. (2019). Beratung im Rampenlicht – Von Sisyphos zu Prometheus? In O. Dörner, C. Iller, I. Schüßler, C. Maier-Gutheil, & C. Schiersmann (Hrsg.), Beratung im Kontext des Lebenslangen Lernens. Konzepte, Organisation, Politik, Spannungsfelder (S. 17–32). Barbara Budrich.
Käpplinger, B. (2016). Gutscheinberatung – Regulative Beratung. In W. Gieseke, & D. Nittel (Hrsg.), Handbuch Pädagogische Beratung über die Lebensspanne (S. 259–266). Beltz Juventa.
Details
- Pages
- 296
- Publication Year
- 2025
- ISBN (PDF)
- 9783631936511
- ISBN (ePUB)
- 9783631936528
- ISBN (Hardcover)
- 9783631936504
- DOI
- 10.3726/b22824
- Language
- German
- Publication date
- 2025 (October)
- Keywords
- Weiterbildungsberatung Lebenslanges Lernen Telefonberatung Lifelong Learning Lifelong Guidance Erwachsenenbildung Beratung in Bildung Beratung und Beschäftigung Bevölkerungsbefragung Vignettenstudie Dokumentenanalyse Qualitative Interviews
- Published
- Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2025. 296 S. 28 s/w Abb., 9 farb. Abb., 36 Tab.
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