Erinnerung, Schuld und Neubeginn
Deutsche Literatur im Schatten von Weltkrieg und Holocaust
Series:
Jochen Vogt
Dieser Band geht diesen Fragen im historischen Überblick wie in detaillierten Einzelanalysen nach; besonderes Interesse gilt Klassikern der Nachkriegsliteratur wie Heinrich Böll und Peter Weiss, aber auch Autoren der nachfolgenden Generation wie Bernward Vesper, Christoph Meckel oder Uwe Timm. Die Studien fragen nach der historischen Leistung der Nachkriegsliteratur, ihrem Beitrag zu einer post- und nichtfaschistischen deutschen Identität, aber auch nach ihren Defiziten und Unzulänglichkeiten, und reflektieren schließlich ihre Ablösung durch vielfältige neue Themen, Formen und Schreibweisen seit Anfang der 1980er Jahre.
Wir Kinder von Murks und Coca Cola. Über Bernward Vespers Lebens- und Todesbuch Die Reise
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Ein Leben voller Widersprüche. Ein selbst gesetzter Tod. Ein unvollendetes Buch, das starke Reaktionen provoziert und die Meinungen auseinandertreibt. Schwierigkeiten bei der Einschätzung der Person Bernward Vesper und bei der Verständigung über den Rang seines nachgelassenen Lebensbuches waren immer wieder zu beobachten. Einigermaßen blamiert hat sich beispielsweise der Literat Hermann Peter Piwitt: „Ich erinnere mich an einen Freund aus jenen Tagen, den jungen Bernward V. […]. Aufgewachsen in einem Milieu musisch-sentimentaler Verstandeskultur, voll Haßliebe zu seinem Vater, einem ehemals völkischen Lyriker, schrieb er als Student bis 1967 Gedichte voll ungenauer politischer Stimmungen, hitzig, sentimentalisch, aber ohne Realitätssinn […]. Ein Jahr später traf ich Bernward V. wieder, er redete nur noch Grobgesiebtes, konnte vor Kraft kaum gehen und hatte für Kunst und Literatur bloß Spott übrig. – Wieder einige Jahre später hat er sich umgebracht.“
Die traurige Exempelgeschichte soll Piwitts These von der verhängnisvollen Kunstfeindlichkeit der Studentenbewegung biographisch illustrieren; niedergeschrieben ist sie 1975, fast zum letztmöglichen Zeitpunkt.1 Denn 1977, sechs Jahre nach jenem Selbstmord, wird ein unvollendetes Manuskript Vespers gedruckt, an dem er bis zuletzt gearbeitet hatte: Die Reise. Romanessay. Von diesem Buch, zunächst nur im Postversand erhältlich, werden in einem Jahr 40 000 Exemplare verkauft. Die kritische Resonanz gerade auch in sogenannten bürgerlichen Blättern ist positiv, ja euphorisch. „Die Melodie des Textes ist von einer bizarren...
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