Lade Inhalt...

Danksagungen in Dissertationen

Zur Genese einer Textsorte

von Julia Wesian (Autor:in)
©2015 Dissertation XII, 284 Seiten

Zusammenfassung

Die Studie stellt die erste umfassende linguistische Analyse der Textsorte Dissertations-Danksagung im deutschsprachigen Raum dar. Auf der Grundlage eines eigens für die Untersuchung entwickelten Textbeschreibungsmodells wird die Entwicklungsgeschichte der Textsorte in vier ausgewählten Fachdisziplinen nachgezeichnet. Für die textlinguistische Forschung leistet diese empirische Arbeit insofern einen wichtigen Beitrag, als sie die Textlinguistik in ihrem Vorhaben unterstützt, eine flächendeckende Beschreibung der existierenden Textsorten zu erzielen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • I Einleitung
  • 1 Gegenstand der Untersuchung
  • 2 Aufbau der Arbeit
  • II Forschungsstand und Desiderate
  • 1 Stand der Forschung im deutsch- und englischsprachigen Raum
  • 2 Forschungsdesiderate
  • III Theoretische Grundlagen
  • 1 Texte als Untersuchungsgegenstand linguistischer Forschung
  • 1.1 Explizierung des Textbegriffs
  • 1.2 Klassifizierung und Beschreibung von Textsorten
  • 2 Konsequenzen für die textlinguistische Untersuchung der Dissertations-Danksagung
  • 2.1 Textlinguistische Forschungsmethoden
  • 2.2 Der integrative Textbegriff
  • 2.3 Terminologische Abgrenzung: Textsorte und Textmuster
  • 2.4 Untersuchungskriterien
  • 2.5 Textbeschreibungsmodell
  • 3 Zusammenfassung
  • IV Korpus
  • 1 Zusammenstellung des Korpus
  • 1.1 Dissertations-Danksagungen als Untersuchungsgegenstand
  • 1.2 Kriterien für die Korpuserstellung
  • 1.3 Datengrundlage
  • 1.3.1 Hauptkorpus
  • 1.3.2 Zusatzkorpora
  • 1.3.2.1 Danksagungen in DDR-Dissertationen
  • 1.3.2.2 Danksagungen in online veröffentlichten Dissertationen
  • 2 Umfang des Korpus: tabellarische Übersicht
  • 3 Zusammenfassung
  • V Methodik und Hypothesen
  • 1 Methodisches Vorgehen bei der Erstellung und Auswertung des Korpus
  • 2 Untersuchungshypothesen
  • 1) Die Dissertations-Danksagung hat sich von der Texthandlung zur Textsorte entwickelt.
  • 2) Die Dissertations-Danksagung spiegelt den Wandel von der Distanz- zur Nähekommunikation wider.
  • 3) Eine digitale Veröffentlichung führt zu Musterabweichungen bei der Dissertations-Danksagung.
  • 4) Die Dissertations-Danksagung gibt Hinweise auf die unterschiedlichen Interaktionssysteme, in welchen die Promovierenden involviert sind.
  • 5) Der gesellschaftliche Kontext übt einen Einfluss auf die sprachliche Realisierung der Dissertations-Danksagung aus.
  • VI Empirische Analyse
  • 1 Dissertations-Danksagungen im soziokulturellen Kontext der Bundesrepublik Deutschland
  • 1.1 Soziokultureller Kontext 1: Erster und Zweiter Weltkrieg
  • 1.1.1 Der Einfluss der Kriegsgeschehnisse auf die deutsche Sprache
  • 1.1.2 Auftreten zeittypischer Stilmittel
  • 1.1.3 Sprachliche Bezugnahmen auf den zeithistorischen Kontext
  • 1.2 Soziokultureller Kontext 2: Teilung Deutschlands
  • 1.2.1 Hinweise auf das DDR-spezifische Promotionsverfahren
  • 1.2.2 Sprachlich-kommunikative DDR-Spezifika
  • 1.2.3 Hinweise auf die Identifikation mit dem politischen System, insbesondere bei rechtswissenschaftlichen DDR-Dissertationen
  • 1.3 Soziokultureller Kontext 3: Studenten- und Frauenbewegung
  • 1.3.1 Sprachwandel durch die Studentenbewegung: Informalisierung
  • 1.3.2 Sprachwandel durch die Frauenbewegung: geschlechtergerechte Sprache
  • 1.3.2.1 Verwendung der Beidnennung
  • 1.3.2.2 Der Wegfall der weiblichen Anredeform „Fräulein“
  • 1.3.2.3 Geschlechtsspezifische Verwendung der geschlechtergerechten Sprache
  • 1.4 Zusammenfassung
  • 2 Der Kommunikationsbereich der Dissertations-Danksagung
  • 2.1 Die Dissertations-Danksagung im funktional ausdifferenzierten Teilsystem Wissenschaft
  • 2.2 Die Dissertations-Danksagung im Organisationssystem Universität
  • 2.2.1 Die Organisation der Universität in unterschiedliche Fachbereiche
  • 2.2.2 Das Promotionsstudium
  • 2.2.2.1 Die Finanzierungsmöglichkeiten eines Promotionsstudiums
  • 2.2.2.2 Lehrveranstaltungen für Promovierende
  • 2.2.2.3 Prüfungsmodalitäten
  • 2.2.2.4 Dauer des Promotionsstudiums
  • 2.2.2.5 Themenfindung
  • 2.2.2.6 Methodik
  • 2.2.2.7 Publikation der Dissertationsschrift
  • 2.3 Die Dissertations-Danksagung als strukturelle Kopplung zwischen Interaktionssystemen
  • 2.4 Zusammenfassung
  • 3 Die Dissertation als Bezugstext der Dissertations-Danksagung
  • 3.1 Realisierung des Dankes innerhalb unterschiedlicher Peritexte
  • 3.2 Referenz auf den Bezugstext mittels deiktischer Ausdrücke
  • 3.3 Zusammenfassung
  • 4 Publikationsform
  • 4.1 Auswirkungen auf die Gruppe der Dankempfänger/-innen
  • 4.2 Auswirkungen auf die Bezeichnung der Textsorte Dissertations-Danksagung
  • 4.3 Auswirkungen auf die Texmusterorientierung
  • 4.4 Zusammenfassung
  • 5 Die soziale Funktion der Dissertations-Danksagung
  • 5.1 Dank als Interaktionsritual
  • 5.1.1 Differenzierung zwischen Dank und Danksagung
  • 5.1.2 Realisierung von Dank und Danksagung mit Hilfe von Routineformeln
  • 5.2 Dank als Akt der Höflichkeit
  • 5.2.1 Positive Höflichkeit in der Dissertations-Danksagung am Beispiel der Erhöhung des Gegenübers im Anredeverhalten
  • 5.2.2 Positive Höflichkeit in der Dissertations-Danksagung am Beispiel der Selbstbescheidung
  • 5.3 Dank als Kommunikationsstrategie
  • 5.4 Zusammenfassung
  • 6 Die kommunikative Funktion der Dissertations-Danksagung
  • 6.1 Die Handlungsstruktur
  • 6.1.1 Dominierende Texthandlung(-en)
  • 6.1.2 Texthandlungen
  • 6.1.3 Spezifizierende Teilhandlungen
  • 6.1.4 Das angepasste Modell der Handlungsstruktur
  • 6.1.5 Zusammenfassung
  • 6.2 Sprachliche und nichtsprachliche Merkmale
  • 6.2.1 Makrotypografische Merkmale
  • 6.2.1.1 Anzahl der Danksagungen innerhalb der Dissertation
  • 6.2.1.2 Umfang und Positionierung der Dankhandlungen
  • 6.2.1.3 Häufigkeit des Auftretens von Dissertations-Danksagungen
  • 6.2.1.4 Formale Textgestaltung
  • 6.2.1.5 Interpunktion und Typografie
  • 6.2.2 Grammatikalisch-syntaktische Merkmale
  • 6.2.2.1 Modus
  • 6.2.2.2 Attribuierung zur Qualifizierung von Dank, Leistung und Personen
  • 6.2.2.3 Komparation
  • 6.2.3 Lexikalische Merkmale
  • 6.2.3.1 Referentielle Phraseologismen
  • 6.2.3.2 Intensitäts- und Fokuspartikeln
  • 6.2.4 Rhetorisch-stilistische Merkmale
  • 6.2.4.1 Kommunikationsrichtung
  • 6.2.4.2 Metaphorik
  • 6.2.5 Inhaltlich-formale Merkmale
  • 6.2.5.1 Leistungen, für die gedankt wird
  • 6.2.5.2 Insiderinformationen
  • 6.2.5.3 Glaubensbekenntnisse
  • 6.2.5.4 Signatur, Orts- und Datumsangabe
  • 6.2.6 Zusammenfassung
  • 7 Das Textmuster
  • 7.1 Zentrale Merkmale der Dissertations-Danksagung
  • 7.2 Periphere Merkmale der Dissertations-Danksagung
  • VII Schluss
  • 1 Zusammenfassung und Ausblick
  • Literaturverzeichnis

IEinleitung

1Gegenstand der Untersuchung

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, eine ausführliche linguistische Analyse der Textsorte „Dissertations-Danksagung“ vorzulegen, die auf einer breiten empirischen Datengrundlage basiert. Dazu wurden 360 Dissertationen mit insgesamt 379 Dissertations-Danksagungen zusammengetragen. Eine solche Untersuchung liegt für den deutschsprachigen Raum bislang noch nicht vor. Zwar existieren zu einzelnen Textsorten wie dem Horoskop oder der Pressemitteilung umfassende Untersuchungen, und auch die Dissertations-Danksagung wurde bereits in unterschiedlichen Aufsätzen behandelt,1 eine umfassende, korpusbasierte Monographie zur Textsorte Dissertations-Danksagung stellte bislang aber ein Forschungsdesiderat dar. Dieser Umstand mag verwundern, ist doch eine Textsortenanalyse der Dissertations-Danksagung für die Textlinguistik wie auch für den Wissenschaftssektor und in letzter Instanz sogar für die Gesellschaft in mehrerlei Hinsicht interessant.

Für die Textlinguistik ist die vorliegende Analyse insofern von Interesse, als die Beschreibung einzelner Textsorten einen wichtigen Forschungsschwerpunkt innerhalb der Disziplin darstellt. So lässt sich das Ziel der Textlinguistik, zuverlässige Aussagen über die Zusammenhänge zwischen Struktur und Funktion unterschiedlicher Texte herauszustellen, nur adäquat verwirklichen, wenn diese Aussagen auf der Basis von konkreten Sprachdaten getroffen werden können. Zwar sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Erhebungen zu verschiedenen Textsorten entstanden, in Anbetracht der Vielzahl von existierenden Textsorten müssen aber noch viele weitere Untersuchungen folgen, um das definierte Ziel zu erreichen. Mit der vorliegenden Arbeit wird ein Schritt in diese Richtung getan.

Aufgrund ihrer diachronen Ausrichtung ist die Analyse der Dissertations-Danksagung von zusätzlichem linguistischen Interesse. So versprechen die erhobenen Sprachdaten, die in einem Untersuchungszeitraum von insgesamt rund 130 Jahren produziert wurden, wichtige Erkenntnisse über die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Textsorte. Darüber hinaus werden soziokulturelle Einflussfaktoren und ihre Auswirkungen auf die deutsche Sprache in einer solchen themenbezogenen Analyse möglicherweise aufgedeckt. Insbesondere der immer stärker werdende Einfluss der digitalen Medien auf das menschli ← 1 | 2 → che Kommunikationsverhalten und damit einhergehend auf die Ausgestaltung schriftlicher Texte scheint mit Blick auf die Textsorte Dissertations-Danksagung bedeutsam. So bieten immer mehr Universitäten Promovierenden die Möglichkeit, die eigene Dissertation online zu veröffentlichen. Aufgrund dieser formalen Entwicklung wird in der vorliegenden Arbeit eine separate Analyse von solchen Dissertations-Danksagungen durchgeführt, die online publiziert worden sind. Im Gegenzug lässt sich anhand der Sprachdaten überprüfen, ob sich Sprachwandelprozesse, die im Rahmen anderer linguistischer Untersuchungen bereits wissenschaftlich belegt worden sind, auch in der Textsorte Dissertations-Danksagung widerspiegeln.

Für den Wissenschaftssektor ist eine linguistische Analyse der Dissertations-Danksagung interessant, weil diese spezielle Textsorte nur im wissenschaftlichen Umfeld realisiert wird. Ziel ist es, mit Hilfe der erhobenen Sprachdaten Aussagen über die Entwicklung und aktuelle Beschaffenheit des Kommunikationsbereichs Wissenschaft bzw. Universität in Teilbereichen zu treffen und mögliche Veränderungen darzulegen. Ebenso können etwaige Unterschiede in der sprachlichen und formalen Realisierung der Dissertations-Danksagung auf heterogene Lern- und Arbeitsstrukturen in verschiedenen Fachdisziplinen hinweisen.

Von gesellschaftlicher Bedeutung ist die vorliegende Arbeit deshalb, weil die sprachliche Realisierung der Dissertations-Danksagung Aufschluss über den gesellschaftlichen Kontext, in welchem sie produziert worden ist, geben kann. Gerade für die Bundesrepublik Deutschland ist dieser Aspekt von besonderem Interesse, weil sich durch die knapp 50 Jahre andauernde Teilung Deutschlands als ein Ergebnis des Zweiten Weltkrieges zwei unterschiedliche gesellschaftliche Kontexte herausgebildet haben. Um herauszufinden, inwieweit sich diese in den Dissertations-Danksagungen widerspiegeln, wird im Rahmen dieser Arbeit eine vergleichende Analyse zwischen Textexemplaren aus West- und Ostdeutschland durchgeführt.

2Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Untersuchung umfasst sieben Teile. Der erste Teil dient der Einführung in die Thematik. Hier werden der Gegenstand der Untersuchung sowie der Aufbau der Arbeit erläutert.

Im zweiten Teil folgt eine überblickartige Darstellung der bisherigen Forschungstätigkeiten der Linguistik zum Thema „Dissertations-Danksagung“ im deutsch- sowie im englischsprachigen Raum. Darüber hinaus werden die Forschungsdesiderate, welche in der Literatur in Bezug auf die linguistische Analyse der Dissertations-Danksagung ersichtlich wurden, aufgezeigt. ← 2 | 3 →

Im dritten Teil gilt es, die theoretischen Grundlagen zu schaffen, die für eine adäquate Textsortenbeschreibung der Dissertations-Danksagung unerlässlich sind. In diesem Zusammenhang wird zunächst die Entwicklung der Textlinguistik als Teildisziplin der Linguistik skizziert und die Textsortenbeschreibung als eine ihrer wesentlichen Aufgaben herausgestellt. Im Anschluss daran werden diejenigen Aspekte der textlinguistischen Forschung, die im weiteren Verlauf der Arbeit als relevant gesetzt werden, separat vorgestellt und zu einem individuellen Textbeschreibungsmodell zusammengefügt.

Der vierte Teil der Untersuchung befasst sich mit dem Korpus. Faktoren wie die Auswahl der Fachdisziplinen, aus denen die analysierten Dissertations-Danksagungen stammen, oder die Auswahl des Untersuchungszeitraums werden in diesem Zusammenhang ebenso erläutert wie die vorgenommene Unterteilung in ein Hauptkorpus sowie zwei Zusatzkorpora.

Im fünften Teil wird das methodische Vorgehen bei der Erstellung und Auswertung des Korpus erläutert. Unter anderem wird im Zuge dessen der Pretest erläutert, der im Vorfeld der Analyse mit ausgewählten Textexemplaren durchgeführt worden ist. Zusätzlich erfolgt in diesem Teil die Formulierung der Untersuchungshypothesen, welche die Untersuchung leiten.

Im sechsten Teil der Untersuchung gilt es, die Ergebnisse der empirischen Analyse im Einzelnen darzulegen und zu interpretieren. Die gewonnenen Erkenntnisse werden dabei entsprechend der im zuvor entwickelten Textbeschreibungsmodell dargelegten Parameter präsentiert.

Der siebte Teil bildet den Abschluss der Untersuchung. Er dient der zusammenfassenden Darstellung der Ergebnisse sowie ihrer theoretischen Einordnung in den Forschungskontext. ← 3 | 4 → ← 4 | 5 →

1Vgl. Teil II, Kap. 1.

IIForschungsstand und Desiderate

1Stand der Forschung im deutsch- und englischsprachigen Raum

Das Thema des Dankens in einer wissenschaftlichen Abhandlung ist in der Vergangenheit in verschiedenen Aufsätzen sowie als Teilaspekt umfassender Untersuchungen behandelt worden. Im deutschsprachigen Raum befasst sich zum Beispiel Antos (1986) im Zuge seiner Analyse von Grußworten auch peripher mit Danksagungen, die er als einen Sprechakt/Teiltext des Grußwortes auffasst.2 Grußworte als Ganzes wiederum versteht Antos als „‘Textakte’ in einem dem Sprechakt-Begriff parallelen Sinne“, deren dominierende illokutive Funktion „eben nicht im Übermitteln von Grüßen“ bestehe, sondern in der Deklaration sozialer Anerkennung (Antos 1986: 53). Mit dieser Auffassung, die bereits zu Beginn des Aufsatzes formuliert wird, fokussiert Antos die soziale Funktion von Texten und legt zugleich den Grundstein für seine weiteren Ausführungen. So nutzt er die soziale Funktion als Beschreibungsrahmen, um weitere wichtige Merkmale der Textsorte herauszustellen, zu denen er insbesondere ihre Stilistik zählt.

Gülich (1997) betrachtet Danksagungen in wissenschaftlichen Untersuchungen insbesondere unter dem Aspekt des Formelhaften.3 Konkret nutzt sie die Textsorte Danksagung, um ihr Konzept „Formelhafter Text“, mit dem sie der Frage nachgeht, „ob man sinnvollerweise Textteile und sogar ganze Texte als Phraseologismen beschreiben kann“ (Gülich 1997: 131), an konkreten Textbeispielen zu verifizieren und Charakteristika formelhafter Texte zu entwickeln (Gülich 1997: 131f.). Dabei zieht Gülich auch einen Vergleich zwischen Grußworten und Danksagungen und weist auf deutliche Parallelen hin, wie die Tatsache, dass Grußworte wie auch Danksagungen nicht mit ihrem alltäglichen Pendant – dem Grüßen und Danken in Alltagssituationen – gleichzusetzen sind. Ebenso weisen laut Gülich beide Textsorten den von Antos definierten „Zwang zur begrenzten Expansion“ auf, worunter das Einhalten einer bestimmten Mindestlänge zu verstehen sei (Gülich 1997: 154). Wie Antos fokussiert ← 5 | 6 → auch Gülich in ihrer Untersuchung den Aspekt der sozialen Textfunktion. Sie geht davon aus, dass Danksagungen in wissenschaftlichen Untersuchungen „als formelhafte Texte wichtige Funktionen im sozialen Leben erfüllen“ (Gülich 1997: 160), zu denen sie unter anderem den Ausdruck der „Ehrerbietung“ zählt, durch den der Verfasser bzw. die Verfasserin dem Adressaten symbolisch seine Wertschätzung ausdrücke (Gülich 1997: 161).

Mit dem Vorwort in wissenschaftlichen Abhandlungen und damit einhergehend auch mit der darin oftmals enthaltenen Danksagung setzt sich Cho (2000) im Rahmen seiner Monographie „Kommunikation und Textherstellung“ auseinander, in deren Zentrum die systematische Analyse und Bewertung zweier Handlungskonzepte steht: zum einen das der Sprechakttheorie und zum anderen das der funktional-kommunikativen Sprachbeschreibung (Cho 2000: 1ff.). Wie die beiden Konzepte für die Analyse eines Textes bzw. einer Textsorte gewinnbringend kombiniert und angewendet werden können, zeigt Cho anhand einer repräsentativen Anzahl von Textexemplaren der Textsorte „Vorwort in wissenschaftlichen Abhandlungen“. Dabei definiert Cho die Danksagung als Kommunikationshandlung mit kontaktiver Funktion4 und setzt sie anschließend in Bezug zu den weiteren Kommunikationshandlungen der Textsorte. Im Zuge dessen spezifiziert Cho die Danksagung weiter als kontaktiven Handlungstypen, dem die folgenden Eigenschaften zuzuschreiben seien: 1) Konstitution von Beziehungen zwischen Partnern in Bezug auf gedankliche, emotionale und volitive Inhalte; 2) Abhängigkeit von tradierten gesellschaftlichen Verhaltensnormen; 3) geringe Komplexität (Cho 2000: 190f.).

Koller (2001) wählt drei Zugänge, um sich Danksagungen in wissenschaftlichen Arbeiten zu nähern: Zunächst beleuchtet er den Dank als alltäglich-routinierte Handlung unter dem Aspekt der Höflichkeit und der Höflichkeitsregeln und kommt zu dem Schluss, dass Dankbarkeit in derartigen Dank-Handlungssituationen „keine oder nur eine höchst nebensächliche Rolle“ (Koller 2001: 273f.) spielt.5 Vielmehr erfolgten diese Dankhandlungen in Übereinstimmung mit kulturell determinierten Verhaltensregeln (Koller 2001: 274). Von dieser Überlegung aus gelangt Koller zu seinem zweiten Zugang, der Betrachtung von Dank in sprachgeographischer Hinsicht. Am Beispiel des Sprachverhaltens in routinemäßigen Danksituationen von deutschen Urlaubern in der Deutschschweiz verdeutlicht Koller die sozialpsychologische Dimension von Sprache. Er zeigt auf, ← 6 | 7 → wie der Dialektgebrauch als Zeichen der Zugehörigkeit und Sprachkompetenz von Deutschen bewusst eingesetzt wird (Koller 2001: 276f.). Als dritten Zugang wählt Koller die Analyse von Dank unter dem Aspekt der nicht-rituellen Handlung in Routinesituationen. Er stellt heraus, dass der ausformulierte Dank nicht mit Routine-Dankesformeln gleichzusetzen sei, da dieser nicht nur die Befolgung einer Verhaltensregel darstelle, sondern der Herstellung von Gleichgewicht in zwischenmenschlichen Beziehungen diene (Koller 2001: 278f.). Auf der Basis seiner Überlegungen zu Dankhandlungen kommt Koller zu dem Schluss, dass die Beschreibung von Danksagungen in wissenschaftlichen Arbeiten nicht ausschließlich über den Zugang der routinierten Sprachhandlung erfolgen dürfe, sondern alle drei Zugänge bei der Analyse Berücksichtigung finden müssten (Koller 2001: 288).

In benachbarten Wissenschaftsdisziplinen, wie zum Beispiel der Pädagogik, erregen Danksagungen in wissenschaftlichen Arbeiten ebenfalls das Forschungsinteresse. So untersuchen Hollstein/Schütze (2004) das Phänomen der Selbstdarstellung in der Wissenschaft am Beispiel von Danksagungen in soziologischen Habilitationsschriften. Als Korpus dienen Danksagungen von vier Generationen, welche die Autorinnen als Gründerväter (berufen zwischen 1948 und 1953), Nachkriegsgeneration (berufen zwischen 1958 und 1970), Ausbaugeneration (berufen zwischen 1970 und 1985) sowie Nachfolgegeneration (berufen nach 1989) bezeichnen (Hollstein/Schütze 2004: 159). Aufgrund der Analyseergebnisse konstatieren Hollstein/Schütze einen Wandel des Danksagungsverhaltens, den sie unter anderem auf veränderte Bedingungen im Wissenschaftssystem zurückführen (Hollstein/Schütze 2004: 156ff.). Des Weiteren stellen sie fest, dass „Danksagungen eine legitime Möglichkeit“ darstellen, „sich als Person zu präsentieren“ (Hollstein/Schütze 2004: 179), wobei sich die Art und Weise der Selbstdarstellung im Laufe der Jahre verändert habe:

„Die […] Veränderung erkennen wir darin, dass an die Stelle des Bildes vom heroischen, um nicht zu sagen charismatischen Wissenschaftlers das Bild eines Wissenschaft betreibenden Alltagsmenschen tritt“ (Hollstein/Schütze 2004: 179).

Sanderson (2005) vergleicht im Rahmen ihrer Untersuchung zur kontrastiven Fachtextpragmatik Danksagungen in deutsch- und englischsprachigen wissenschaftlichen Fachartikeln miteinander. Die Studie basiert auf einem aus 100 Fachartikeln bestehenden Korpus, die in den Jahren 1997-2002 von deutschen, britischen und US-amerikanischen Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern verfasst worden sind, und deckt die geisteswissenschaftlichen Disziplinen Volkskunde, Geschichte, Philosophie, Literaturwissenschaft und Linguistik ab (Sanderson 2005: 65). Sanderson stellt eine enorme Variation der Danksagungen ← 7 | 8 → sowohl innerhalb als auch zwischen den Sprachen fest. Sie macht deutliche Unterschiede unter anderem in Bezug auf ihre Position im Text, ihre Textlänge sowie ihre lexikalische Realisierung aus. So seien zum Beispiel die deutschsprachigen Danksagungen im Vergleich zu den anglophonen erheblich kürzer und zudem weitaus seltener zu finden (Sanderson 2005: 69). Ebenso sei eine „Hierarchie der Dankempfänger“ auszumachen, „bei der die Kollegen an erster Stelle stehen“ (Sanderson 2005: 73). Aufgrund ihrer Analyseergebnisse kommt Sanderson zu dem Schluss, dass „Danksagungen […] in den geisteswissenschaftlichen Artikeln […] einen sehr instabilen, d. h. wenig standardisierten Textabschnitt“ darstellen (Sanderson 2005: 70).

Danksagungen in wissenschaftlichen Arbeiten und speziell Danksagungen in Dissertationen haben in den vergangenen Jahren nicht nur das wissenschaftliche, sondern vereinzelt auch das öffentliche Interesse erregt. So liegen Presseartikel zur Thematik sowohl in gedruckter als auch in digitaler Form vor:

Ein Artikel des Osteuropa-Historikers Jan Plamper zum Thema Danksagungen ist im Jahr 2008 im Wochenmagazin „DIE ZEIT“ erschienen. Plamper konstatiert eine deutliche Zunahme von Danksagungen insbesondere in geisteswissenschaftlichen Büchern und beschreibt diesen Prozess als „inflationäre Ausbreitung der Dankeskultur“. Seiner Ansicht nach haben Danksagungen das Potenzial, sowohl die Entwicklung von Macht- und Geschlechterverhältnissen innerhalb einer Gesellschaft widerzuspiegeln als auch Auskunft über die Beschaffenheit des Wissenschaftsapparates zu geben. Aus diesem Grund plädiert Plamper für eine Ausweitung der Dankesforschung, die bislang noch am Anfang stehe.

In einem von Thomas Hoeren im Jahr 2011 in der Deutschen Universitätszeitung „duz“ publizierten Artikel zu Widmungen in Doktorarbeiten wird festgestellt,6 dass sowohl die Anzahl als auch der Grad an Skurrilität von in Dissertationen verfassten Danksagungen7 in den vergangenen Jahren rapide gestiegen seien. Hoeren untermauert seine Ansicht mit zahlreichen, selbst zusammengetragenen Textbelegen. Aufgrund seines populärwissenschaftlichen Charakters ist der Artikel für die vorliegende Untersuchung inhaltlich nur von peripherer Bedeutung, doch zeigt seine Veröffentlichung, dass sich das Interesse für Disser ← 8 | 9 → tations-Danksagungen über unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen hinaus bis hin zu einem breiteren, nicht zwangsläufig wissenschaftlichen Publikum erstreckt.

Im englischsprachigen Raum wurde die erste systematische Analyse zu Danksagungen in wissenschaftlichen Arbeiten von MacKintosh (1972) unternommen.8 Dabei handelt es sich um eine unveröffentlichte Dissertationsschrift mit dem Titel „Acknowledgements patterns in sociology“. Für seine Untersuchung zieht MacKintosh Danksagungstexte aus einem amerikanischen Fachjournal heran, die er entsprechend ihrer inhaltlichen Ausprägung in drei Kategorien unterteilt: 1. facilities; 2. access to data; 3. help of individuals. Letztere Kategorie spezifiziert er in Bezug auf die Art und Weise der Hilfestellung sowie auf die Person, welche selbige geleistet hat, weiter in: 3.1 clerical; 3.2 help from a non-scientist expert; 3.3 help from an expert in another field; 3.4 technical assistance; 3.5 both general and specific help from professional colleagues (Cronin 1995: 39).

Sehr früh befasste sich auch Ben-Ari (1987) mit der Danksagungspraxis im Wissenschaftsbereich. Bereits in den 1980er Jahren machte er Danksagungen in wissenschaftlichen Arbeiten zu seinem Untersuchungsgegenstand. Dabei konzentrierte er sich auf Textbelege aus dem Bereich der Ethnographie und fokussierte insbesondere den sozialen Kontext, in welchem die Texte produziert werden:

Details

Seiten
XII, 284
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653052237
ISBN (ePUB)
9783653968484
ISBN (MOBI)
9783653968477
ISBN (Hardcover)
9783631662243
DOI
10.3726/978-3-653-05223-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Schlagworte
Textsortenanalyse Textlinguistik Sprachgeschichte Soziolinguistik
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. XII, 284 S., 35 Graf.

Biographische Angaben

Julia Wesian (Autor:in)

Julia Wesian studierte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster die Fächer Germanistik, Allgemeine Sprachwissenschaft und Soziologie. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen geschlechtergerechte Sprache und Textlinguistik.

Zurück

Titel: Danksagungen in Dissertationen
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
303 Seiten